Marmilin-Verlag präsentiert den ersten Band der neuartigen Anthologie mit spannenden Fortsetzungsgeschichten. Verschiedene Autorinnen und Autoren ließen sich von der Idee inspirieren, ihre Romane in mehreren Folgen zu veröffentlichen. Es sind sehr unterschiedliche Geschichten zusammen gekommen: Fantasy, Märchen und ein Politkrimi. Gerade dass die Geschichten so verschieden sind, macht unsere Anthologie so einzigartig und so unterhaltsam. Doch wir halten uns zurück und lassen unsere Leser entscheiden...
Im Roman von h.j. white „Seelenteil“ geht es eher düster zu. Die Atmosphäre verdichtet sich mit jedem Wort, mit jeder Minute. Es schlägt die Stunde des Bösen - das allerdings auch recht charmant erscheinen kann.
Sabine Simon führt in „Für immer ist nicht genug“ ihre Leserinnen und Leser in die innere Welt eines jungen Mannes, der erst vor kurzem auf tragische Weise seine Geliebte verloren hat. Er spürt ihre mystische Anwesenheit, er ist zerrissen zwischen der Realität, die ihn mit neuen Erlebnissen und Gefühlen lockt, und der Vergangenheit, die ihn, wie es ihm scheint, immer noch festhält.
Märchenhaft und etwas schaurig geht es bei René Deter in seiner Geschichte „Im Zauberreich der Baba Yaga“ zu. Der Autor weiht uns in die mythologische Welt der Slawen ein, mit ihren heute fast vergessenen mächtigen Gottheiten.
Katharina Hönow zeigt in ihrer Geschichte „Psychopath. Tödliche Liebe“, wie der Alltag einer jungen Frau zum Horror wird - unmerklich und doch erschreckend schnell. Manchmal ist es nur ein einziger Mensch, der diese furchterregende Wandlung verursacht.
Rainer Göcht berichtet in „Treibjagd“ über fiktive Ereignisse, die sich rund um die somalischen Piraten abspielen. Sein Abenteuer-Roman ist sehr realistisch geschrieben und zeigt, dass der Autor sich ausführlich mit dieser Problematik auseinander gesetzt hat.
Die Geschichte von Marina Millioti „Im Meer“ beginnt in mehr oder weniger ferner Zukunft und setzt mit dem Rückblick auf eine Kreuzfahrt vor. Unterschiedliche Menschen sind auf den Luxusdampfer gestiegen um eine erholsame Woche zu verbringen. Es wird aber ein eher eigenartiger Urlaub sein...
Aileana Blair „Slayer - Die Ursprünglichen“ ist eine spannende Geschichte mit ungewöhnlichen Feen und deren Gegnern, mit einem Zauber vom alten Irland und mit sehr modernen Charakteren.
Qorin führt uns Leser in ihrer Geschichte „Umluft“ tief unter die Erde auf der Suche nach einem Schatz. Wieso denn „Umluft“? So oder ähnlich heißt eine geheimnisvolle Stadt. Ist ihr Name nicht genau bekannt? Doch, aber die Zwergensprache ist nun einmal so schwer...
Zum Schluss noch etwas Wichtiges: „Immer weiter und weiter“ soll mehr als nur eine Anthologie mit Fortsetzungsgeschichten werden (obwohl auch das einmalig und spannend wäre). „Immer weiter und weiter“ soll eine Art Literaturmagazin werden, das regelmäßig erscheint und seine Leser in verschiedene Ereignisse rund um Literatur einweiht. Daher im ersten Band ein Bericht über die Buchmesse „Unknown“ in Essen. Diese Messe ist jung und viel weniger bekannt als ihre große Schwester Frankfurter Buchmesse. Das ist eben der Grund gewesen, warum wir darüber berichten wollen. Noch ein Interview mit der begabten Autorin Rebekka Weber und selbstverständlich Hinweise auf viele andere lesenswerte Bücher...
MM
Prolog
Dunkle Wolken ziehen über den Petersplatz. Der Wind weht stürmisch und selbst für Februar ist es eindeutig zu kalt. Mit sorgenvollem Blick steht Papst Benedikt Pius am Fenster seines Arbeitszimmers und blickt hinab auf den ungewohnt leeren Petersplatz. Mindestens genauso dunkel wie die Wolken sind auch die Gedanken, die im Kopf des Pontifex’ kreisen.
Er ist so darin vertieft, dass er das Eintreten seines treuen Kammerdieners Ronaldo Paele, der ihn seinen täglichen 16:00 Uhr-Tee serviert, nicht registriert. Erst als Ronaldo sich respektvoll räuspert, taucht der Papst aus seinen mehr als trüben Gedanken wieder auf und sieht seinen Kammerdiener müde an.
„Heiliger Vater!“, beginnt Ronaldo, der bereits seit Tagen bemerkt, dass sein Herr äußerst besorgt ist.
Er stellt das Tablett behutsam auf dem Schreibtisch des Papstes ab. „Ihr Tee“, fügt er erklärend hinzu. „Vielen dank, Ronaldo.“ Die Stimme des Papstes klingt matt und erschöpft, auch seine gesamte körperliche Verfassung zeugt von einer erdrückenden Müdigkeit.
„Heiliger Vater, kann ich noch etwas für Sie tun?“, fragt Ronaldo in der Hoffnung, den Grund für die Besorgnis seines Chefs irgendwie lindern zu können.
Doch der Pater schweigt. Ronaldo will gerade gehen, als sein Blick auf das uralte, dicke, sagenumwobene Buch, das aufgeschlagen auf dem antiken Schreibtisch liegt, fällt. Sagenumwoben! Er kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, da er an diese ganzen mystischen Prophezeiungen nicht glaubt. Außerdem kann er nicht nachvollziehen, wie ein so weiser, intelligenter und – für einen Papst - hochmoderner Mann wie Benedikt Pius diesen über 2000 Jahren alten Märchen Glauben schenken kann.
Mit Schritten so schwer wie Blei geht der Papst zurück zu seinem Arbeitsplatz und setzt sich. Mit einer Hand streicht er über das Buch, dessen Inhalt ihm so viel Angst einjagt. Natürlich ist ihm Ronaldos Reaktion nicht entgangen. Diese ungläubige Jugend!
„Nein, danke, Ronaldo“, antwortet er und lässt den Blick auf seinem Kammerdiener ruhen, der noch immer ein bisschen belustigt aussieht. Es scheint, als liege ihm noch etwas auf dem Herzen. „Kann ich noch etwas für dich tun?!“
Ronaldo räuspert sich erneut, dieses Mal aus Verlegenheit und schüttelt den Kopf. Doch die warmherzigen Augen des Pontifex ermutigen sein Herz.
„Heiliger Vater, warum seid Ihr seit Tagen so besorgt?“ Auf dem Gesicht von Benedikt Pius huscht ein kurzes Lächeln, Er ist erfreut darüber, dass er so einen aufmerksamen Kammerdiener hat.
„Das ist dir also nicht entgangen.“ Dann atmet er wieder tief und schwer durch. „Es wird dunkler in dieser Welt, Ronaldo. Das Böse gewinnt die Oberhand und die Menschen wenden dem Guten, Gott und folglich auch der Kirche, den Rücken zu.“ Die Traurigkeit, die sein Herz erfasst, während er seine Ängste ausspricht, ist unbeschreiblich erdrückend.
Aber Heiliger Vater. Sie glauben doch nicht ernsthaft an die Prophezeiung?“ Nur mit Mühe kann Ronaldo seine Stimme ruhig und respektvoll halten. Er deutet auf den aufgeschlagenen Text und rollt genervt mit den Augen. Dieses Buch, in uraltes Krokodilleder gebunden und mit vergilbten, brüchigen Seiten, strahlt etwas Unheilvolles, aber dennoch Machtvolles aus. Selbst Ronaldo kann sich der Aura des Buches nicht vollständig entziehen . Er verflucht heimlich den Tag, als Benedikt Pius das Buch im Kellergewölbe der Sixtinischen Kapelle gefunden hat.
Seitdem hatte sich Benedikt Pius verändert. Was Ronaldo bislang mit seinen begrenzten Mitteln für sich selbst recherchieren konnte, ist, dass das Werk aus längst vergangener Zeit stammt und ursprünglich in einer Sprache verfasst wurde, die die Menschen seit Jahrhunderten vergessen haben. Doch die darin übersetzten Texte vermögen es den Papst und einige eingeweihte, eng vertraute Kardinäle in Angst und Schrecken zu versetzen.
„Die von Gott getrennte Welt ist verloren in vollständiger Dunkelheit. Sie verbrennt letztendlich in einem Regen aus Schwefel und Feuer, wenn die Planeten Gottes sich in einer Linie befinden. Geöffnet wird das Tor der Hölle. Nur ein Licht der Dunkelheit, aus wahrer tiefer Liebe entsprungen, ist wahrlich die einzige Hoffnung auf Rettung der Welt.“
„Heiliger Vater, das kann alles und nichts bedeuten!“, entgegnet Ronaldo entsetzt über den unsinnigen Aberglauben des sonst so weisen Mannes. „Die Mayas wurden auch falsch interpretiert und wir haben den 21.12.2012 überlebt!“ Ronaldo spürt deutlich, wie die Wut in seinen Adern aufsteigt. Wieso ist der Papst, wenn es um dieses bescheuerte Buch geht, nur so verbohrt?
Benedikt Pius sieht Ronaldo an und weiß, dass er diesen Menschen zum Glauben an die Prophezeiungen niemals bekehren kann.
Kapitel 1
Gehetzt stolpere ich durch meine kleine Betonblock-Wohnung, in der gerade mal wieder die Heizung ausgefallen ist. Klasse! In meinem Kopf klingen die Worte meiner besten Freundin Tamara bei meinem Einzug nach: „Ist ja nur vorübergehend!“ Dieses „vorübergehend“ dauert nun schon ein halbes Jahr und es ist noch keine bessere Alternative in Sicht. Bei einem trüben, ungemütlichen Wetter tanzen dicke Schneeflocken am Fenster vorbei. Irgendetwas sagt mir, ich sollte am besten wieder zurück ins Bett gehen.
Doch wie so oft im Leben, kann man leider nicht immer tun, was man gerne möchte. Doch bevor ich in den Strudel aus trübsinnigen Erinnerungen gerissen werde, greife ich mir schnell meinen dicken schwarzen Daunenmantel nebst Schal und Wollmütze. Dann geht’s an die Suche nach meinem Autoschlüssel. Mein Blick fällt auf die Uhr, verdammt ich bin zu spät. Da ich vor der Arbeit noch beim Landgericht vorbeifahren muss, das am anderen Ende der Stadt liegt, um eine Akteneinsicht abzuholen, komme ich garantiert zu spät zur Arbeit.
Autoschlüssel gefunden! Nun aber schnell!
Als ich gerade gehen will, dröhnen die Stimmen meiner Nachbarn durch die dünnen Wände. Sie streiten sich mal wieder lauthals über Nichtigkeiten, so dass man unfreiwillig jedes beleidigende Wort verstehen kann. Ich seufze, lasse die Tür ins Schloss fallen und setze meinen Weg durchs Treppenhaus fort. Ein Stockwerk darunter schreit das wenige Wochen alte Baby einer alleinstehenden jungen Frau, die eigentlich selbst noch ein Kind ist. Vor der Tür halte ich kurz inne. Sollte ich nachfragen, ob alles in Ordnung ist? Ich habe das Baby bereits gestern Abend auf dem Nachhauseweg schreien hören.
Mein innere Stimme sagt ganz laut und deutlich: ‚Nein, nicht einmischen!’, doch mein Herz klopft laut ein „Ja“ gegen meine Brust. Also klingele ich an der Tür, ohne irgendeinen Plan zu haben, was ich da gerade mache. Minutenlang tut sich nichts. Nur das Baby schreit noch lauter. Nach fünf Minuten hört man dann ein leises Schlurfen hinter der Tür und wütendes Gemurmel. Die Tür öffnet sich und ein junger Mann, Anfang 20, dunkle Haare, mehrere Tätowierungen und Piercings am Körper, öffnet mir in Unterhosen die Tür.
Sein gläserner Blick sieht mich ärgerlich und strafend an. Doch der stinkende, süßlich beißende Geruch, der mir in die Nase steigt, ist das Schlimmste. Mir wird sofort übel. „Entschuldigung“, beginne ich nervös und suche fieberhaft nach Worten, „ich wollte nachfragen, ob alles in Ordnung ist.“ Wahrheit währt am längsten, oder? „Ihr Baby schreit gerade wieder und ...“ Der Mann unterbricht mich mit einem Grunzer.
„Was geht dich das an, Tussi! Verschwinde, sonst hole ich die Bullen“, brüllt er und schlägt mir die Tür vor der Nase zu.
Mit der Polizei kennt sich dieser „nette“ Nachbar garantiert gut aus! Ich stehe noch einige Minuten um Fassung ringend vor der Tür. Dann herrscht absolute Stille in der Wohnung. Ein ungutes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit. Ist vielleicht etwas mit dem Baby passiert? Doch bevor ich mich dazu entschließen kann beziehungsweise den Mut wiedergefunden habe, erneut zu klingeln, setzt das Schreien des Babys wieder ein. Es lebt also noch. Ich beschließe, es heute Abend noch einmal zu versuchen. Vielleicht ist die Mutter ja zugänglicher.
Eilig hole ich mein Auto aus der Tiefgarage und fahre Richtung Landgericht. Die Straßen sind eisig und schneebedeckt. Da man sowieso nur im Schritttempo fahren kann, habe ich erneut Gelegenheit, mir die Umgebung genauer anzusehen. Sie liegt im äußeren Stadtkern, daher sind die Mietpreise für Wohnungen auch bei einem geringen Einkommen erschwinglich. Doch gehört die Gegend bereits zum sozialen Brennpunkt. Nur einen knappen Kilometer weiter die Straße herunter beginnt der düstere, gefährliche Teil der Stadt, in dem man nachts nicht alleine unterwegs sein sollte.
Ein grauer kalter Betonblock neben dem anderen, dicht an dicht. Der kleine Park auf der anderen Seite ist von den Anwohnern bereits zu einer Müllhalde umfunktioniert worden. Würde ich jemals wieder hier wegkommen? Langsam zweifele ich daran. Das einzig Schöne in dieser Straße ist die Kirche St. Engelbert, die am oberen Ende liegt. Ich finde, dieses Gebäude strahlt eine Hoffnung, vielleicht sogar ein Versprechen auf etwas Besseres aus. Kaum wird mir bewusst, was ich da denke, schüttele ich den Kopf. Oh Gott, was bin ich heute wieder theatralisch.
Trotz der schlechten Straßenverhältnisse und dem Zwischenstopp beim Landgericht erreiche ich die Kanzlei gegen 8:30 Uhr. Nur gut, dass die Kanzlei in der Nähe des Landgerichts liegt. Nun beginnt jedoch der tägliche Spießrutenlauf durch die Kanzlei. Mit der umfangreichen Gerichtsakte unter dem Arm, eile ich in Richtung Büro, dass ich mir mit meiner lieben Kollegin Erika Blume, Mitte 40 und immer schlecht gelaunt, teilen muss.
Allerdings habe ich nicht lange Zeit, mich auf die mitleidigen Blicke meiner Kollegen zu konzentrieren, denn Erika kommt mir einem mehr als gestressten Gesichtsausdruck entgegen. Ihre Brille sitzt schief auf ihrer Hakennase und ihre schulterlangen, dunklen, mit grauen Strähnen versehenen Haare hat sie zu einem strengen Zopf zusammengebunden. Dazu trägt sie dieses altmodische dunkle Kostüm mit einer scheußlich roten Bluse. Sie glaubt, dadurch besonders seriös und intelligent zu wirken.
„Hannah!“, herrscht sie mich gleich an.
„Dir auch einen schönen Guten Morgen, Erika!“, gebe ich zurück und versuche, sie freundlich anzulächeln. Erika hasst mich, seit ich in ihre Abteilung versetzt worden bin. Ich denke, das ist auch der Grund, warum ich seit Monaten nur noch Praktikantenjobs erledige, obwohl ich – im Gegensatz zu Erika – die Büroleiterausbildung habe. Egal, was soll’s, ich habe mich mit dieser Tatsache bereits abgefunden. „Interessiert doch keinen, wofür man bezahlt wird“, hatte Tamara dazu einmal gesagt und ich glaube, sie hat auch recht.
„Hannah, lass das!“, pflaumt Erika mich indes weiter an. „Wo warst du so lange? Herr Dr. Leimer will dich sofort sehen!“
Was will unser Chef denn schon in aller Frühe von mir? Herr Dr. Egidius Leimer, ebenfalls in seinen Vierzigern, doch von seinem blonden Haar ist kaum noch etwas übrig. Sein Übergewicht und die Achselnässe, die bei der kleinsten Bewegung entsteht, lassen ihn etwas abstoßend wirken. Er hat einen schlechten Charakter und lässt Erika und mich gerne ins offene Messer laufen. Immer wieder kommen von ihm grenzwertige sexuelle Anspielungen, die er extrem lustig findet. Aber auch nur er allein.
Wie Erika bereits zehn Jahre für ihn arbeiten kann, ist für mich nicht nachvollziehbar. Da ich es ja doch nicht verhindern kann, bei ihm vorzusprechen, lege ich schnell die Akte auf meinem Schreibtisch ab und gehe mit aufgeregt klopfendem Herzen in sein Büro. Eine erneute Welle eines unheilvollen Gefühls überrollt mich, als ich an seiner Tür klopfe. Automatisch spanne ich mich an.
Ich höre ein gebelltes „Herein!“ Schnell noch ein Lächeln aufgesetzt, dann betrete ich sein Arbeitszimmer.
„Guten Morgen! Sie wollten mich sprechen, Herr Dr. Leimer.“ Meine Stimme klingt angespannt, nervös.
„Frau Fromm, schön, dass Sie auch noch hier hergefunden haben.“ Der Sarkasmus in seinen Worten zeigt, dass er enorm gereizt ist. „Schließen sie bitte die Tür!“
Es gibt doch nichts Schöneres, als mit Herrn „Schleimer“ allein in einem Zimmer zu sein! Widerwillig komme ich seiner Aufforderung nach.
Er mustert mich kurz. Sein Blick ist undurchsichtig, leicht verschlagen. „Hannah“, beginnt er etwas zögernd. Meinen Vornamen benutzt er eigentlich nur, wenn er etwas sehr Unangenehmes von mir will. Ich atme tief ein und versuche, mich auf das Kommende innerlich vorzubereiten.
"Ich gehe davon aus, dass Sie die aktuelle Anklage gegen unseren Klienten Adam Strecker kennen. Das Gericht hat meinen Antrag stattgegeben und er wird heute aus der Untersuchungshaft entlassen." Es folgt eine der verhängnisvollen Pausen. Schnell durchforste ich meine Erinnerungen, was darin von diesem Fall hängen geblieben ist. Als sie mir die Antwort liefern, durchzucken die Fakten über Herrn Strecker meinen Körper wie ein Stromschlag.
Nervös fahre ich mir durch meine kurzen Haare. Adam Strecker steht unter dem Verdacht, für eine Serie mehrerer brutaler Frauenmorde verantwortlich zu sein. In sämtlichen Zeitungen wurde tagelang darüber berichtet. Die Opfer waren schwer zugerichtet, die Ermittler konnten sie kaum identifizieren.
Wieso kommt er jetzt vor der Verhandlung auf freien Fuß? Bevor ich mir jedoch weiter darüber Gedanken mache, möchte ich wissen, warum Herr „Schleimer“ ausgerechnet mir das jetzt erzählt.
„Und das bedeutet ...“, frage ich vorsichtig nach.
„Sie fahren jetzt in die Justizvollzugsanstalt, holen ihn ab und bringen ihn auf direktem Wege hierher!“
Entgeistert sehe ich meinen Chef an. Soll das ein Witz sein? Allein der Gedanke an Strecker macht ihn nervös und treibt ihm die Schweißperlen auf die Stirn. Nun soll ich diesen mutmaßlichen Schwerverbrecher abholen, in meinem Kleinwagen?
„Wie bitte?“, stoße ich atemlos hervor.
„Frau Fromm, das ist eine Anweisung, der Sie Folge zu leisten haben! Immerhin arbeiten Sie für mich!“, brüllt er los.
„Aber … die Gerichtsakte ...“, versuche ich zu verdeutlichen, dass ich eigentlich gar keine Zeit für einen weiteren Ausflug habe.
„Das können Sie erledigen, wenn Sie wieder hier sind!“
Ohne meinen Protest abzuwarten, reicht er mir einen Umschlag. „Hier sind alle Unterlagen, die noch für die Entlassung von Herrn Strecker benötigt werden!“
Unfreiwillig nehme ich den Umschlag an.
„Und nun gehen Sie bitte, es eilt nämlich!“
Kapitel 2
Ganz benommen kehre ich zurück zu meinem Schreibtisch. Erika sieht mich gespannt und erwartungsvoll an. Es dauert, bis ich soweit bin, ihr von dem Gespräch mit dem Chef zu erzählen. Minutenlang starre ich sie schweigend an und denke über Dr. Leimers Worte nach. Fassungslos. Ungläubig.
„Ich soll Herrn Strecker abholen und hierher bringen“, fasse ich schließlich meinen Auftrag in knappen Worten tonlos zusammen. Erikas Augen weiten sich. Damit hat selbst sie nicht gerechnet. Normalerweise bleiben die Mordverdächtigen in der JVA bis zum Verhandlungstermin.
„Bist du dir sicher?“ Erika ist offensichtlich fassungslos. Ich nicke matt.
Sie wird nun richtig panisch, geht aufgeregt im Zimmer hin und her. Allein der Gedanke an Strecker jagt ihr eine Heidenangst ein.
„Hast du seine Akte gelesen?“ Ihre Stimme wirkt fast schrill. Mit besorgtem Blick kommt sie auf mich zu. Mütterlich tätschelt sie mir die Schulter. Diese Anteilnahme von Erika ist fast erschreckender als die mir zugeteilte Aufgabe selbst. Ein Unwohlsein breitet sich in mir aus und ich bekomme eine Gänsehaut. Ich muss hier raus! Unsanft schüttle ich Erikas Hand ab und hole mir meinen Daunenmantel. Nicht weiter darüber nachdenken!
„Ich bin bald zurück“, rufe ich Erika gedankenverloren im Gehen zu. Doch so wirklich glaube ich nicht daran, mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes. Auf dem Weg zu meinem Wagen versuche ich meine Gedanken abzulenken, bevor ich hysterisch werde. Ich probiere es mit Logik. Wenn der Richter bereits jetzt von Streckers Schuld einhundertprozentig überzeugt gewesen wäre, dann hätte er Leimers Antrag nicht stattgegeben. Alles andere wäre doch unlogisch und für die Allgemeinheit zu gefährlich. Dementsprechend ist die Beweislage nicht so eindeutig.
Gut, mein Bauchgefühl wird etwas ruhiger. Meine Logik funktioniert!
Gott sei Dank sind die Straßen mittlerweile wieder frei, so komme ich relativ zügig durch die Stadt. Hilfreich ist auch, dass der Weg zur JVA gut ausgeschildert ist. Wer fährt auch freiwillig dorthin? Die Kundschaft meines Chefs bestimmt nicht! Ca. 30 Minuten später fahre ich leicht nervös auf den Parkplatz der JVA. Schnell ist eine Parklücke gefunden, doch auf dem Weg in das Gebäude werden meine Schritte immer schwerer.
Kurz vor dem Eingang bleibe ich wie angewurzelt stehen. Zwei Männer warten im Schatten des Entrees auf jemanden oder auf etwas. Meine Gedanken laufen Amok und malen mir die schlimmsten Dinge aus. Meine Nerven sind heute nicht gerade die stärksten. Beruhige dich, ermahne ich mich selbst. Dann sehe ich mir die beiden Männer genauer an, während ich meinen Weg langsam fortsetze. Der ältere, braunhaarige Mann mit durchschnittlicher Größe und Statur kommt mir bekannt vor und beim näheren Hinsehen erkenne ich, dass es sich um Herrn Meier von der Kriminalpolizei handelt. Ich hatte bereits mehrfach mit ihm zu tun, seit ich für Herrn Dr. Leimer arbeite.
Ich würde ihn als Polizisten vom alten Schlag beschreiben. Engagiert, gewitzt, hart und ungnädig zu seinen Gegnern. Der Fall ist für ihn erst abgeschlossen, wenn der Täter verurteilt worden ist. Seinen Begleiter kenne ich nicht. Sie haben mich gesehen und kommen geradewegs auf mich zu. Verdammt, haben die etwa auf mich gewartet? Wieso?
„Guten Tag, Frau Fromm“, begrüßt mich Herr Meier mit einem strengen, geschäftsmäßigen Unterton. Mein Magen zieht sich leicht zusammen.
„Guten Tag!“, grüße ich die beiden Herren zurück und versuche, gelassen zu wirken.
„Ich glaube, Sie kennen Christian Engel noch nicht.“ Er deutet auf seinen blond gelockten, 1,75 m großen und sportlich aussehenden Begleiter. Dieser reicht mir nun die Hand zum Gruß und lächelt mich freundlich an. Ich glaube, dieser Herr Engel ist der erste ehrlich und freundlich wirkende Mensch, dem ich heute über den Weg gelaufen bin.
„Hallo, freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Engel“, begrüße ich ihn leicht angespannt. Noch immer verstehe ich den Sinn hinter dem Auftauchen der beiden Männer nicht.
„Herr Meier erzählte mir, dass Sie in meiner Pfarrei wohnen.“ Verwirrt sehe ich in Herrn Engels strahlend blaue Augen. „Ich betreue St. Engelbert“, flüstert er mir leise, gespielt verschwörerisch zu.
Will er mich anklagen, weil ich nie zum Gottesdienst gehe? Oder was will der Pfarrer hier in der JVA?
„Vielleicht sollte ich dann mal öfters vorbei kommen“, rutscht es mir ungewollt, vor allem unüberlegt, heraus. Mein Mundwerk ist gerade schneller als mein Verstand, und ich spüre, wie mir eine peinliche Röte ins Gesicht steigt.
„Was führt Sie hierher?“, versuche ich, seine Aufmerksamkeit von meiner Person abzulenken und gleichzeitig meine Frage beantwortet zu bekommen. Beide Männer wechseln nervöse Blicke.
Wieder folgt eine dieser Pausen, die nichts Gutes zu bedeuten haben. Nach einem kurzen Moment betretenen Schweigens beginnt Herr Meier mit der Erklärung.
"Wir haben erfahren, dass dem von Herrn Dr. Leimer eingereichten Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls stattgegeben wurde und Strecker nun entlassen werden soll."
Verlegen sehe ich zu Boden, aus irgendwelchen nicht erkennbaren Gründen fühle ich mich, als wenn ich etwas falsch gemacht hätte. Die Augen der beiden ruhen bedrückend auf mir.
„Herr Strecker ...“ irgendetwas muss ich zu meiner Verteidigung sagen. Funktioniert hier die Logik auch? „Er ist so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen worden ist “, murmele ich.
Herr Meier sieht mich mit einem empörten Ausdruck in den Augen an.
„Frau Fromm, wir wissen alle, dass Strecker ein brutaler, gottloser Serienkiller ist. Doch ...“, er atmet tief durch, wählt seine Worte nun mit Bedacht, „... Herr Dr. Leimer hat es in den letzten Verfahren geschafft, dass dieser Mistkerl jedes Mal freigesprochen wurde. Doch dieses Mal ...“ Er lässt den Satz unvollendet, doch sein Gesichtsausdruck ist wild entschlossen.
Strecker ist der erste Täter, der von Herrn Meier zwar festgenommen wurde, jedoch bislang nicht verurteilt werden konnte. Doch bevor er mir weiter die schrecklichen Taten von Herrn Strecker erläutert und mir unnötigerweise noch mehr Angst macht, unterbreche ich ihn.
„In dubio pro reo, Herr Meier. Wir werden sehen, wie das Gericht in dieser Sache entscheidet. Wenn es genug stichhaltige Beweise gibt, wird er auch verurteilt werden. Doch fürs Erste ist er frei und ich glaube, er wartet bereits sehnlichst auf sein Taxi.“ Mein Herz pocht heftig gegen meine Rippen.
„Frau Fromm ...“, schaltet sich nun Christian Engel mit charmanter Stimme ein. Viel zu charmant für einen Priester! „Denken Sie bitte an die Opfer. Die Unschuldigen, die er qualvoll aus dem Leben gerissen hat.“ Seine blaue Augen sehen mich eindringlich an. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Hilflos zucke ich mit den Schultern. „Nicht ich habe die Entscheidung getroffen. Ich hole ihn nur ab“, erinnere ich ihn mit kratziger, trockener Stimme. Soll ich Strecker einfach hier lassen? Wie stellen sich die beiden das vor?
„Wenn ich ihn nicht abhole, dann wird jemand anderes geschickt“, gebe ich noch zu bedenken. Ich sehe zu dem Gebäude. Ein mächtiger, grauer Beton-Komplex mit Stacheldraht auf den Mauern und dem Dach, sowie Gittern vor den Fenstern. Es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter. Fast könnte man Mitleid mit dessen Bewohnern haben. Ich habe das unbeschreibliche Gefühl, als wenn mich das Gebäude beobachten würde. Besser ich verabschiede mich schnell von den beiden Herren, bevor ich keinen Mut mehr habe, es zu betreten.
„Ich sollte nun weiter ...“, sage ich leise und reiche zuerst Herrn Engel die Hand. Doch dieser unterbricht mich sogleich.
„Frau Fromm, egal was kommt, ich bin für Sie da.“ Die Eindringlichkeit seiner Stimme lässt mir erneut die Nackenhaare zu Berge stehen. Entgeistert sehe ich in diese blauen tiefgründigen Augen.
„Wie darf ich das jetzt verstehen?“, stammle ich. Ein warmes, sanftmütiges, wissendes Lächeln überzieht Herrn Engels Gesicht.
„Sie wissen, wo Sie mich finden.“ Damit dreht er sich um und geht.
Perplex sehe ich Herrn Meier an, der mindestens genauso verstört aussieht, wie ich mich gerade fühle. Doch dieser zuckt nur mit seinen Schultern und schüttelt den Kopf.
„Fragen Sie mich nicht, Frau Fromm.“
Wir sehen Herrn Engel schweigend nach, bis er außer Sichtweite ist.
„Nun dann, ich muss los.“
Herr Meier nickt, er wirkt niedergeschmettert. „Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen, Herr Meier. Bis zur Verhandlung sind noch einige Wochen hin. Und sollten die Anschuldigungen tatsächlich zutreffen, dann haben Sie noch genug Zeit, Beweise zu finden.“
Der Versuch, Herrn Meier aufzubauen, zeigt Wirkung, er blickt nun wieder etwas hoffnungsvoller, als wir uns schließlich voneinander verabschieden. Mit gemischten Gefühlen setze ich meinen Weg fort und betrete beunruhigt den Eingangsbereich der JVA.
Kapitel 3
Die Worte des Priesters haben sich profund in mein Gewissen gefressen, das nun unerbittlich an mir nagt und meine zurechtgelegte, scheinbar logische Erklärung für die unerwartete Freilassung von diesem Menschen schon fast zunichte macht. Ich denke an die unschuldigen Opfer: fünf Frauen, etwas jünger als ich, die auf entsetzliche Weise getötet und fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden.
Der Staatsanwalt verwies in der Anklageschrift darauf, dass aufgrund der Art und Weise, wie die Frauen getötet wurden, von einem tief sitzenden Frauenhass beim Täter ausgegangen werden muss. Es wurde sogar die anschließende Sicherheitsverwahrung beantragt. Was, wenn er jetzt, während er auf freiem Fuß ist, wieder tötet?
Ruhelos spiele ich mit meinen Händen und sehe mich unsicher um. Das Innere des Gebäudes wirkt noch unfreundlicher als die Außenfassade. Es kommt mir so vor, als wäre es hier drinnen auch um einiges kälter und dunkler als draußen im winterlichen Schneegestöber. Egal wie vorsichtig ich auf den grauen Steinboden auftrete, meine Schritte hallen von den kahlen Wänden wider, wie zwei tonnenschwere auf einander prallende Steine im Steinbruch, deren Gepolter noch Kilometer weit entfernt zu hören ist.
Verzweifelt kämpfe ich gegen das immer stärker werdende schlechte Gewissen an. Wie ein Mantra wiederhole ich meine Ausführungen zu Herrn Streckers Freilassung. Krampfhaft halte ich den Gedanken fest, dass er tatsächlich unschuldig sein könnte. Doch mein schlechtes Gefühl im Bauch lässt sich dadurch nicht wieder beruhigen.
Es wird Zeit für das Unvermeidbare. Mit schweren Herzen melde ich mich bei dem Beamten an der Pforte an.
Mein Mund ist trocken und meine Stimme belegt, sodass ich mich erst einmal räuspern muss. Das Herz schlägt mir vor Nervosität bis zum Hals.
„Hallo, mein Name ist Hannah Fromm, Herr Dr. Leimer hat mich angekündigt.“ Der Beamte wird hellhörig, als ich Dr. Leimers Name erwähne, er sieht von seiner Zeitung hoch und mustert mich mit strengem, argwöhnischem Blick von oben bis unten. Das schlechte Gewissen lastet mittlerweile schwer und erdrückend auf meinen Schultern.
„Ich soll … Herrn Adam Strecker … abholen“, beende ich mein Anliegen angespannt und stammelnd.
„Einen Moment, bitte.“ Der Beamte greift zum Telefon. Nach einigen Minuten bringt er mich schließlich zu dem zuständigen Sachbearbeiter in der Verwaltung. Auch dieser schenkt mir einen Blick, der mich wünschen lässt, ich könnte im Erdboden versinken. Mehrere Minuten lang beäugt mich der sehr herrisch wirkende Sachbearbeiter mittleren Alters. Doch dann geht alles ganz schnell. Es ist relativ unbürokratisch, einen Mordverdächtigen aus der JVA zu holen. Auf jeden Fall unbürokratischer, als ich es mir vorgestellt hatte.
Es werden lediglich ein paar Unterschriften und die Bestätigung der Kanzlei benötigt. Wieder folgt ein Telefonat. Der vom Sachbearbeiter angeschlagene Umgangston ist verachtend.
„Holen Sie Strecker!“, bellt er wütend ins Telefon und knallt gleich den Hörer wieder auf. Keine fünf Minuten später höre ich mehrere Schritte vor der Tür – leichte, eilige und dumpfe, schwere. „Halt!“, befiehlt eine männliche Stimme ziemlich schroff.
Unaufhaltsam wird die Tür knarzend geöffnet. Mein Puls beschleunigt sich und meine Gefühle sowie das schlechte Gewissen fahren Achterbahn. Vor mir baut sich ein Mann mit der Statur eines enorm großen Grizzlybären, leichenblasser Haut und kurz geschorenen Haaren auf. Unbewusst weiche ich bei seinem Anblick ein paar Schritte zurück. Er ist bestimmt 1 ½ Köpfe größer als ich, also mindestens 1,95 m.
Seine Schultern sind unglaublich breit und unter dem einfachen, grauen Hemd, das er trägt, kann man deutlich den Abdruck seiner muskulösen, durchtrainierten Brust und der breiten Oberarme erkennen. Bei diesem Anblick setzt mein Herz einige Schläge aus. In seinem kantigen Gesicht mit ausgeprägtem männlichen Kinn, einer großen markanten spitz wirkenden Nase und hohen Wangenknochen spiegelt sich der blanke Hass wieder.
Ich merke, wie meine Knie anfangen vor Angst nachzugeben. Mein nun wieder eingesetzter Herzschlag dröhnt in meinen Ohren. Doch als sich schließlich unsere Blicke treffen, lassen mir seine tief liegenden dunklen, fast schwarz wirkenden Augen die Nackenhaare zu Berge stehen. Ich bin davon überzeugt, für eine Sekunde darin das lodernde Feuer der Hölle gesehen zu haben, und spüre, dass ich, je länger ich in seine Augen sehe, desto tiefer in das abgrundtiefe Böse gezogen werde. Am liebsten würde ich auf der Stelle vor diesem Mann weglaufen.
Minutenlang ruhen seine Augen auf mir. Hart, kalt und entsetzlich bösartig. Er starrt mich an, als würde er mich röntgen. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass er tief in meine Seele sehen kann. Außerdem bin ich überzeugt, seine Verachtung und seinen Hass förmlich auf meiner Haut spüren zu können. So viel Verachtung entgegengebracht zu bekommen von einer Person, die mich nicht einmal kennt, ist zutiefst erschütternd.
Erst nach einer Weile finde ich meine Stimme und meinen Anstand wieder. Flüsternd, kaum hörbar, murmle ich ein „Hallo“, dann kann ich nicht länger seinem Blick standhalten.
„So, Frau Fromm, Sie können ihn mitnehmen!“, teilt mir der Sachbearbeiter verärgert mit. Ich soll diesen Menschen jetzt in die Kanzlei fahren?! Da meine Hände nun leicht zittern, vergrabe ich sie tief in meiner Manteltasche. Beklommen gehe ich an Herrn Strecker vorbei, der mir schweigend auf dem Fuße folgt.
Brennend spüre ich die hasserfüllten Blicke meines Begleiters im Rücken. Mit seinem Atem im Nacken muss ich mich selbst immer wieder ermahnen, nicht in ein panikartiges Flüchten zu verfallen. Viel zu früh erreichen wir den Parkplatz und befinden uns nur noch wenige Meter von meinem Auto entfernt. Das blanke Grauen schnürt mir die Luft ab bei der Vorstellung, gleich mit ihm auf engstem Raum zusammen zu sein.
Doch bevor ich mich so weit unter Kontrolle habe, dass ich den Wagen aufschließen kann, umfasst er grob und unbarmherzig meinen Oberarm. Er quetscht diesen durch die dicke Winterjacke so stark, dass mir das Blut abgedrückt wird.
„Ich fahre!“, faucht er mich an. Seine tiefe, düstere Stimme lässt mich vor Schreck zusammenzucken. Der Wind frischt auf und weht nun stürmisch. Riesige dunkle Wolken hängen schwer am Himmel. Nackte Angst steigt in mir hoch, macht mich unfähig zu antworten. Ohne Gnade zieht er mich näher zu sich heran, sodass mir sein männlicher körpereigener Geruch, gemischt mit einem billigen Duschgel, in die Nase steigt.
„Die Schlüssel!“, fordert er und hält mir seine offene ungeheuer große Hand hin. Er wartet ernsthaft darauf, dass ich ihm meine Autoschlüssel aushändige. Seine schwarzen Augen lodern vor Mordlust. Leider kann ich das Zittern meines Körpers nicht mehr länger zurückhalten. Mit weit aufgerissenen Augen sehe ich ihn an und schüttle verzweifelt den Kopf. Seine Augen verengen sich und auf seiner Stirn treten die Adern hervor. Mein Hals fühlt sich an wie zugeschnürt, ich ringe nach Luft und habe das beklemmende Gefühl, ersticken zu müssen.
Alles in mir will nachgeben. Doch Dr. Leimers ernster Gesichtsausdruck, schießt mir durch den Kopf. Seine Anweisungen waren deutlich.
„Nein!“, keuche ich mühsam, mit meinem letzten bisschen zusammengekratzten Widerstand, hervor.
„Schlüssel!“ Adam Strecker taxiert mich mit eiskaltem tödlichen Blick, der mir das Herz in die Hose rutschen lässt. Er atmet an meinem Haar tief ein und in einem langen Stöhnen wieder aus. Offenbar genießt er meine Angst. Ich schließe meine Augen, um mich besser kontrollieren zu können. Bevor ich ihn wieder ansehe, antworte ich ihm
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2013
ISBN: 978-3-7309-6210-7
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