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Der Prof. wehrt sich

 

 

 

Roman von Rainer Göcht

 

 

 

Text

Rainer Göcht

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Worum geht es eigentlich in unserer aufgeblasenen Gesellschaft? Geht es darum, wie wir Menschen sind? Geht es darum, welche Werte wir schätzen und wie wir miteinander umgehen? Oder dreht sich das Leben mehr um das „Was besitze ich? Wie viel Geld ist auf meinem Konto? Welche Position habe ich in meiner Firma oder meiner Institution inne?  Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Konto usw.?“ 

 

Die Rücksichtslosigkeit, der Egoismus, die Gleichgültigkeit, die Respektlosigkeit und die Verlogenheit sind Attribute, die unsere Gesellschaft weitgehend beherrschen. Darum geht es in diesem Roman. Aber auch um viel mehr. Um die Treue, um die wahre Freundschaft und darum, wie Menschen trotz allen Widrigkeiten MENSCHEN bleiben können.

 

Dr. Hartmut Sommer, Professor für Informatik an der Universität einer deutschen Großstadt, ausgezeichnet mit verschiedenen Buchpreisen für seine Veröffentlichungen, bezieht ein hoch dotiertes Gehalt,  ist verheiratet mit der Tochter einer reichen Handelsfamilie. Er wird in der Gesellschaft herumgereicht und bewundert wie ein Wesen von einem anderen Stern. Man buhlt um seine Bekanntschaft, um sich mit seinen Lorbeeren zu schmücken. Anders ausgedrückt: beruflich und gesellschaftlich hat er seinen Zenit erreicht.

 

 Eine Katastrophe wirft ihn aus seinem bisher behüteten Dasein in eine brutale Wirklichkeit, die er erst wie ein kleines Kind erlernen muss. Seine gesellschaftliche Stellung bröckelt in ein Nichts, seine sogenannten Freunde kennen ihn kaum noch oder wenden sich von ihm ab. Er führt ein Schattendasein, welches ihn nach ganz unten an den Rand jeglichen gesellschaftlichen Engagements bringt. Mit einer ungeheuren Energieleistung versucht er, sich aus diesem Sumpf wieder heraus zu ziehen. 

 

 

Es versprach, ein sonniger Tag zu werden. Die ersten warmen Sonnenstrahlen drangen in das große Esszimmer der Familie Sommer, die bei geöffneter Terrassentür gerade ihr gemeinsames Frühstück einnahm. Professor Dr. Hartmut Sommer, 38 Jahre, bereitete sich, wie jeden Morgen um neun Uhr, darauf vor, mit dem Auto zur Universität zu fahren, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Er wohnte mit seiner Familie in einer privaten Villa am Stadtrand, mitten in einem wunderschönen Park mit altem Baumbestand, der regelmäßig von einer Gärtnerei gepflegt wurde.

Professor Sommer schob seinen Stuhl zurück, wischte sich mit der Serviette die Mundwinkel sauber, schnippte mit den Fingern noch die restlichen Brötchenkrümel von seiner dunkelblauen Weste und sagte zu seiner Frau: 

„Ich bin pünktlich wieder zum Mittag zurück, damit wir heute frühzeitig zur Geburtstagsfeier deines Vaters fahren können.“ Er stand auf, verabschiedete sich von seiner schönen Frau Julia, 32 Jahre, und den beiden Kindern, dem neunjährigen Patrick und der drei Jahre älteren Katrin, die am heutigen Freitag schulfrei hatten, jeweils mit einem gehauchten Kuss, nahm seine dunkelblaue Anzugsjacke vom Bügel im Flur und verließ das Haus. 

In der großen Doppelgarage stand sein silbergrauer Jaguar mit weißen Ledersitzen. Er setzte sich recht gemütlich hinter das Lenkrad, schnallte sich an und fuhr das schwere Fahrzeug auf dem rotgepflasterten Weg zur großen Hofeinfahrt, um auf die Hauptstraße einzubiegen, auf der er innerhalb von fünfundzwanzig Minuten zu seinem Arbeitsplatz gelangte. Herr Dr. Sommer schaltete das Autoradio ein, um Musik und die neuesten Nachrichten zu hören. Seine Frau hörte nicht gerne zum Frühstück Musik, sie brauchte morgens ihre Ruhe.. Der Tag nahm seinen gewohnten Lauf, wie Tausende Tage davor. Und es hätte einer von weiteren Tausenden unbeschwerten und gemütlichen Tagen werden sollen. Doch das Schicksal wollte es anders.

 

***

 

Die Geburtstagsfeier am Nachmittag von Professor Sommers Schwiegervater, Johannes von Breitenstein, sollte selbstverständlich zünftig als wichtiges Event der Stadt begangen werden. Herr von Breitenstein war siebzig Jahre alt geworden und wollte seinen Ehrentag gebührlich mit dem sehr großen Familienclan, vielen Geschäftsfreunden und wichtigen Herrschaften aus der höheren Gesellschaft feiern. Bei solchen Ereignissen zeigte sich alles, was Rang und Namen hatte.

 

Das gute Wetter begünstigte die Geburtstagsfeier, sodass noch zusätzlich einige Tische und Stühle in den großen Park gestellt wurden. Natürlich war auch die Presse anwesend, die hier die Möglichkeit nutzte, einige der Prominenz in einer sehr lockeren Atmosphäre beim Genuss von Alkoholika zu erleben. Die vielen erlesenen Getränke sorgten bei einigen Leuten auch für geistige Abstürze, gerade bei denen, die nicht so viel von diesen alkoholischen Genüssen vertragen konnten.

Herr Dr. Sommer, kein regelmäßiger Alkoholliebhaber, trank angesichts des wunderschönen Wetters und der allgemeinen heiteren Stimmung etwas zu viel, jedenfalls für seine Verhältnisse. Das Ganze bewirkte eine gewisse Persönlichkeitsstörung bei ihm. Bei einigen Damen der hüteren Gesellschaft wurde er etwas zu aufdringlich, mancher Dame gefiel zwar dieses Techtelmechtel, andere aber beschwerten sich dermaßen, dass Frau Sommer von ihrem Vater aufgefordert wurde, ihren Gatten nach Hause zu befördern. 

Nur Herr Dr. Sommer wollte nicht so recht die Gesellschaft verlassen, denn er genoss die Avancen, die manche der Damen ihm machten, und wollte sich gewisse Anzüglichkeiten nicht entgehen lassen. Sein benebeltes Gehirn registrierte gerade noch einen gewaltigen Ehekrach, der dazu führte, dass ihn seine Frau buchstäblich zum Auto schleppen musste.. 

Er hörte noch, wie sie mit jemandem sprach, den sie wohl gut kannte, denn sie duzte sich mit ihm und sagte ihm: „Na, dann bis nachher, ich will erst einmal diesen Saufkopf nach Hause fahren. Er muss von uns ja noch nichts wissen.“ Die beiden Kinder mussten sich mit ins Auto setzen und fanden alles nur sehr öde. 

Frau Sommer war wütend, sie fauchte und schimpfte und konnte sich gar nicht beruhigen. Sie startete den schweren Wagen und raste recht forsch los. Herr Dr. Sommer schnallte sich, trotz Trunkenheit und seinem sehr ausgerasteten Gehirn, noch an und schlief sofort ein. Er schnarchte laut und röchelte immer zwischendurch, was seine Frau dermaßen auf die Palme brachte, dass sie für einen Moment nicht auf die Straße achtete und ihn wachrütteln wollte, was ihr allerdings nicht gelang. Er quetschte nur ein klägliches „lass mich in Ruhe“ heraus und schon krachte und rumste es. Das Auto knallte gegen einen Baum, überschlug sich und donnerte gegen den nächsten Baum.

Als die Polizei, der Notarztwagen und das Klinomobil eintrafen, erwartete sie ein Ort des Grauens. Sie fanden drei Leichen, übelst zugerichtet und entstellt – eine Frau und zwei Kinder. Als die Polizisten die herumliegenden Reste des vollkommen zerstörten Wagens untersuchen wollten, entdeckten sie Herrn Dr. Sommer tief und fest schlafend. Die Polizisten konnten es kaum glauben, was sie da sahen. 

Der Notarzt untersuchte Herrn Dr. Sommer und versuchte ihn aufzuwecken, was erst nach einer gewissen Zeit gelang. Ein Polizist nahm sich bereits die Ausweispapiere und die Zulassung des Fahrzeugs vor und steckte alles in die Protokollmappe. „Sind Sie Herr Sommer?“, fragte der Polizist mehrere Male. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis Herr Dr. Sommer begriff, was um ihn herum geschah und was die Polizei von ihm wollte. Er schaute den Notarzt an und dann dämmerte es ihm ganz langsam, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Er versuchte aufzustehen und merkte, dass es um ihn herum keine Karosserie mehr gab. 

„Wo sind meine Frau und die Kinder? Was ist geschehen?“, stammelte er. 

„Wer hat das Auto gefahren, Ihre Frau oder Sie?“, fragte der Polizist. 

„Ich denke, meine Frau, aber was soll die Frage? Wo ist meine Frau? Ist ihr etwas passiert? Wo sind die Kinder? Was ist mit ihnen?“ 

„Herr Dr. Sommer, können Sie mir ein paar Fragen beantworten, es wäre sehr wichtig?“, fragte der Polizist. 

Der Notarzt herrschte den Polizisten an: „Ja merken Sie denn nicht, dass der Mann in einem sehr schlechten Zustand ist?“  

Herr Dr. Sommer machte noch einen weiteren Versuch aufzustehen und spürte, dass er einen fürchterlichen Kater hatte, pochende Kopfschmerzen, Schwindel, die üblichen Nachwirkungen des überhöhten Alkoholgenusses. Der Notarzt half ihm aus dieser Misere und stützte ihn beim Aufstehen. Ein Reporter der örtlichen Presse fotografierte den gesamten Vorgang mit dem schwankenden Dr. Sommer, der sich den Kopf hielt und mit stark geröteten Augen in die Runde schaute und dann schlagartig die Situation begriff. Er sah auf die zugedeckten Stellen an der Seite und musste ganz fürchterlich schlucken, seine Stimme klang ganz fremd, heiser und belegt: 

„Liegt da meine Familie?“, fragte er den Notarzt und erhielt eine kurze Bestätigung. „Ich möchte sie sehen“, sagte er schon mit wesentlich festerer Stimme. 

„Sie sehen nicht sehr gut aus“, meinte der Arzt. 

Wieder klickte der Auslöser der Kamera und alles verewigte sich auf den Bildern des Reporters. Dr. Sommer ließ sich nicht mehr abhalten und bewegte sich auf die erste Abdeckung zu, darunter lag sein Sohn. Er starrte lange in das Gesicht des Jungen, Entsetzen machte sich in seinem Gesicht breit, Tränen standen ihm in den Augen, er musste wieder kräftig schlucken. 

Die Kamera klickte und klickte. Vorsichtig legte er die Abdeckung wieder über das Kind und ging zur nächsten Plane und hob sie an. Er schaute in das verformte Gesicht seiner Tochter und konnte ein lautes Schluchzen nicht vermeiden, denn was er da sah, überstieg fast seine Phantasie. 

Seine Frau lag etwas abseits, auch hier hob er die Plane hoch und starrte in ihr deformiertes Gesicht, zerschnitten, aufgerissen, monsterhaft. Schnell ließ er die Plane fallen und setzte sich auf den hinteren Tritt des Krankenwagens, um diese Bilder erst einmal innerlich zu verdauen. Wieder surrte die Kamera, Bilder, die bald die ganze Stadt bewegten. 

Professor Sommer konnte nur noch schluchzen, seine Hände zitterten, er vermochte nicht mehr klar zu denken. Der Polizist, der ihm vorher die paar Fragen stellte, beobachtete ihn und schrieb sich einige Stichpunkte in sein Notizbuch. Der Notarzt merkte, dass dieser Mann sofortige Hilfe brauchte, und gab dem Sanitäter ein Zeichen, Herrn Dr. Sommer ins Krankenhaus zur weiteren Betreuung zu bringen.

Im Krankenhaus untersuchte das Ärzteteam der Notaufnahme Herrn Dr. Sommer sehr gründlich, es wurden aber keine schweren körperlichen Verletzungen festgestellt, was eigentlich, bei der Schwere des Unfalls, ein Wunder war. In seinem Einzelzimmer im Krankenhaus verabreichte der behandelnde Arzt ihm eine Beruhigungsspritze, damit  Herr Sommer durch einen möglichst ruhigen und tiefen Schlaf die nächsten Stunden gut überstehen konnte. 

 

Die Polizei, vertreten durch Kriminalhauptkommissar Stollmann, wartete am nächsten Morgen bereits darauf, dass Herr Dr. Sommer endlich aus seinem komaähnlichen Schlaf erwachte. 

„Sie sagten, Ihre Frau sei gefahren. Die vorläufigen Untersuchungen des zerstörten Fahrzeugs ergaben aber kein genaues Bild darüber, wer wirklich gefahren ist. Erzählen Sie uns den Ablauf etwas genauer.“ 

„Wir haben den siebzigsten Geburtstag meines Schwiegervaters, Johannes von Breitenstein gefeiert. Ich hatte zu viel getrunken, meine Frau brachte mich zum Wagen. Sie redete noch mit jemandem, den sie gut kannte, denn sie duzten sich. Von da an weiß ich nichts mehr, ich habe einen fürchterlichen Filmriss. Ich kann mich einfach nicht mehr erinnern.“

„Aus Schilderungen von anderen Gästen erfuhren wir, dass Sie und Ihre Frau einen großen Krach hatten. Sie haben Ihre Frau recht laut angeschrien.“ 

„Kann sein, ich weiß es nicht mehr so genau. Aber warum fragen Sie? Meine Frau und meine Kinder sind tot, wir hatten einen Unfall.“ 

„Warum ich frage? Na, weil ich annehme, dass nicht Ihre Frau, sondern Sie gefahren sind. Sie haben sich gestritten, Sie nahmen ihr die Autoschlüssel aus der Hand und stiegen auf der Fahrerseite ein. War es so?“ 

„Ich kann mich nicht daran erinnern.“ 

„Sie können nicht? Sie wollen sich nicht erinnern!“ 

Der Kommissar wurde immer lauter, er schien seine Geduld zu verlieren. 

„Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte mit Absicht meine Familie umgebracht?“ Auch Herr Dr. Sommer erhob seine Stimme. 

„Ich will nur damit andeuten, dass wir in Betracht ziehen, dass Sie gefahren sind, wir werden noch weitere technische Untersuchungen abwarten, die eindeutig beweisen werden, ob Sie gefahren sind.“ 

„Für die Polizei bin ich also schon im Vorfeld der Täter“, sagte Professor Sommer grimmig.

„Ich habe nicht gesagt, dass Sie es gewesen sind, sondern wir ziehen es als Möglichkeit in Erwägung“, kam eine kurze Antwort.

„Ich werde mir wohl einen Rechtsanwalt nehmen, der meine Sache Ihnen gegenüber vertritt. Sie drehen einem so nur das Wort um.“ 

 

***

In der örtlichen Presse erschien ein genauer Bericht mit Bildern des Unfalls: „Ein bekannter Professor

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Lektorat: Korrektorat June F. Duncan
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2013
ISBN: 978-3-7309-3012-0

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