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kleines Gedicht

Was es ist?!

 

-♥- Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

 

-♥- Es ist Unglück, sagt die Berechnung.

-♥- Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst.

-♥- Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

 

-♥- Es ist lächerlich, sagt der Stolz.

-♥- Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.

-♥- Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung.

Es ist, was es ist, sagt die Liebe.

 

- von Erich Fried

1. Jubelrufe

Laute Rufe und Schreie waren in unserem Klassenraum – 211 – zu hören. Schreie und Jubel von Schülern, die sich darauf freuten, dass Mrs. Klein die Schule verließ. Sie war alt, streng und roch immer sehr nach Wald. Ich mochte den Geruch. Er brachte mir in den Mathestunden immer etwas Tröstliches. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich den Wald liebte.

Die Bäume und die Tiere.

Die Ruhe, die mich selber zu beruhigen schien.

 Der Geruch, der mich umfing.

Manchmal fühlte ich mich dort wohler, als bei mir zuhause. Mrs. Klein würde ich vermissen. Obwohl ich Mathematik nichts abgewinnen konnte, mochte ich das Fach. Ein bisschen komisch, ganz gewiss, aber es entsprach der Wahrheit. Wieder wurde ein Jubelruf geschrien. Ich drückte mir die Ohren zu, damit ich nicht wegen Ohrschmerzen starb und warf ein Blick zurück zu Clarissa, die mich genervt ansah. Ihr schien das ganze Geschrei ebenfalls mächtig auf die Nerven zu gehen.

„Ruhe!“, pfiff uns Mr. Lohrmann zur Ordnung. Er war unser Direktor und seine Stimme klang immer so furchteinflößend. Vor ihm hatte jeder den gewissen Respekt. „Ihr werdet den Lehrer mit dem nötigen Respekt entgegennehmen und wehe ihr macht irgendwelche Streiche. Ihr seid siebzehn Jahre alt, benehmt euch dementsprechend erwachsen!“, fuhr er weiter fort und sah uns mahnend an. „Wenn ich etwas hören werde, wird es Konsequenzen haben. Ich gebe nun an meine Kollegin Mrs. Freyman weiter. Auf Wiedersehen!“

Damit verließ er uns und sofort kehrten wieder die Jubelrufe zurück. Von ‚Endlich ist die Mal weg‘ bis hin zu ‚Ich schmeiße heute eine Party. Das müssen wir feiern!‘ war alles dabei. Es schockierte mich zutiefst. Ich hätte nie gedacht, dass sie alle so abgehen würden… Unsere Deutschlehrerin versuchte den Unterricht fortzusetzen, aber sofort wurde klar, dass sie das vergessen konnte. Sie blickte hilflos von der ersten Reihe bis zur letzten und mich übermahnte das Mitleid.

 „Seid mal alle ruhig, verdammt!“, schrie ich und augenblicklich war es still. Es hatte etwas, in einer Stadt zu leben mit fünftausend Einwohnern. Ein reicher Politiker und schon hatte man einen hohen Rang. Mein Vater war der Bürgermeister von Oberndorf und hatte deswegen den gewissen Stand. Und somit auch ich.

 Eigentlich ging es mir … am Allerwertesten vorbei, aber in manchen Situationen war ich recht froh darüber, dass hier alle auf einen zu hören schienen.

Für alle die nicht wissen wo Oberndorf lag: es war eine kleine Stadt im Bundesland Salzburg in Österreich. Es lag an der Salzach und für mich war diese Stadt wunderschön. Ich liebte den Fluss, die Flussschleife, die die bayerische Stadt Laufen von unserer Stadt trennte. Ich war einmal in einem Helikopter und von der Vogelperspektive war die Flussschleife wunderschön. Auf jeden Fall einen Blick wert. Immer noch sahen mich alle an und ich deutete lautlos auf Mrs. Feyman.

„Sie würde uns gerne etwas beibringen. Und das geht nur, wenn ihr alle mitmacht!“

 Es dauerte einige Minuten, bis alle dem Unterricht folgten, aber dennoch hatten sie auf mich gehört. Zumindest ein Teil, der andere murmelte noch munter drauf weiter. Ich tat so, als würde ich ebenfalls am Unterricht teilnehmen, doch ich grübelte darüber nach, wer den Matheunterricht führen würde.

Welcher neue Lehrer an unsere Schule kam. Ich überhörte die Schulklingel. Erst als Clarissa mich anstupste, bemerkte ich, dass wir alleine waren. Alle anderen waren in den Physiksaal marschiert, wo wir heute Versuche machen wollten. Ich hatte mich darauf gefreut, es war etwas anderes wie der sonst so lahme Unterricht von Mr. Patrick.

„Möchtest du nicht aufstehen?“, wurde ich von ihr gefragt und ich stand kommentarlos auf. „Heute ist irgendwie ein komischer Tag“, murmelte ich ihr zu und sie nickte. „Ich weiß. Glaub mir, das ist das Wetter. November ist auch wirklich schrecklich!“

„Ende November. Nächste Woche ist schon der erste Advent.“

Sie stöhnte laut auf.

„Ich bin nur froh, dass wir noch keinen Schnee haben. Glaubst du, dass wir dieses Jahr Schnee haben werden?“ Ich zuckte mit den Schultern. Momentan sah es eher nicht danach aus…

Ich mochte den Schnee. Er hatte etwas Verträumtes und Romantisches an sich. Wer möchte auch nicht, eingekuschelt in einer Decke, vor dem Kamin sitzen, einen Kakao in der Hand und leckerere Plätzchen daneben? Die Vorstellung gefiel nicht nur mir. Am liebsten mit einem Freund, der hinter einem saß. Ich unterdrückte ein Seufzen und ging aus dem Raum. „Ich hoffe es. Schnee ist schön und-„

„-du brauchst endlich einen Freund, damit du dich wie in den Filmen an ihn schmiegen kannst, während das Feuer des Kamines euch Wärme schenkt?“, beendete sie meinen Satz und ich schenkte ihr einen bösen Blick.

„Welches Mädchen wünscht sich das nicht?“, hakte ich nach. „Nur schade, dass Oberndorf nicht so viele Jungs hat, die nicht nur mit ihrem kleinen Freund denken“, sagte sie. „Du sagst es. Kilian war toll und kein einziger kann ihm das Wasser reichen“, erwiderte ich.

„Nein, nein, nein. Cheyenne, ich schwöre dir, wenn du jetzt wieder damit anfängst bin ich weg!“

Ich lachte.

„Komm schon, Clare. Du liebst mich. Würdest du mich echt verlassen?“, fragte ich süß und klimperte mit den Wimpern. „Nein kann ich nicht. Aber bitte erspar mir das ‚Er ist einfach weggezogen und ich vermisse ihn nach drei Monaten immer noch‘-Drama. Siehe nach vorne, der nächste Kerl wartet um die Ecke.“ Ich lachte und bog um die Ecke.

Doch leider meinte es Gott nicht gut mit mir. Abgesehen von dem heißen Typ eine Stufe ober uns, der – wie war es auch anders zu erwarten – eine Freundin hatte, waren nur noch zwei Jungs hier und denen schenkte ich ein kleines Lächeln und vielleicht ein Hallo. Nicht weil sie nicht so heiß waren wie der Vergebene, nein, aber ich ließ mich nun mal nicht mit jüngeren ein…

„Hammer Kerle, wirklich Clare. Die zwei Vierzehnjährigen waren doch gewiss etwas für mich“, sagte ich sarkastisch und verdrehte die Augen. Es würde immer nur Kilian sein. Er war der perfekte Freund, ich vermisste ihn immer noch sehr.

„Cheyenne!“, rief mir Charlie zu – der vergebene Junge eine Stufe ober mir. „Lass mich raten? Du hast es wieder vergessen?“, fragte ich und Charlie sah mich zerknirscht an. „Heute Abend, vier Uhr beim Tennisklub und vergiss nicht deine Tennissachen!“

Ich wandte den Blick von Charlie ab und ging weiter zu meinem Unterricht. „Danke, Cheyenne. Wir sehen uns!“, rief er mir nach, aber da war ich schon fast weg.

„Tennis? Mit Charlie?“, hakte Clare nach. Klar, ich hatte ihr nie erzählt, dass ich mit Charlie abhing. Mehr oder weniger gezwungenermaßen.

„Tennis mit unseren Familien“, korrigierte ich sie, „Charlies Vater ist unser Anwalt und hilft Dad bei wichtigen juristischen Dingen. Und einmal in der Woche treffen wir uns zum Tennis spielen. Wir gewinnen immer haushoch, aber das nur weil Charlie wirklich schlecht darin ist…“

„Das wusste ich gar nicht“, empörte sich Clare und dieses Mal war ich diejenige die zerknirscht dreinsah. „Aber nur, weil das so unwichtig ist“, murmelte ich.

Endlich betraten wir den Saal und wurden sofort von Joanna empfangen, die uns ein Stück Papier vor die Nase hielt. „Meine Party heute. Würde mich freuen, wenn ihr kommt!“ Ich betrachtete das weiße Blatt Papier, wo nur mit einem Kugelschreiber draufgeschrieben stand, wo und wann die kleine Fete stattfinden würde.

„Ehm klar, mal sehen“, antwortete ich Joanna und verkroch mich auf meinen Sitz in der vorletzten Reihe. „Wir gehen dahin, nachdem was ich gerade erfahren habe, bist du es mir schuldig, Cheyenne.“

Ich sah sie schmollend an.

„Das kannst du mir nicht antun.“

„Doch, du hast mir verschwiegen, dass du mit Charlie abhängst!“, konterte sie.

„Um Mitternacht sind wir wieder zuhause!“

 Damit gab sie sich zufrieden und strahlte mich an. Erneut musste ich einen Seufzer unterdrücken. Dieses Mädchen würde mich eines Tages ins Grab befördern. Vielleicht während wir zu viel feierten? Ich schüttelte den Gedanken ab, sie war immer noch meine beste Freundin und egal wie sehr sie mich um den Verstand brachte, ich liebte sie. Es klingelte zur Stunde und ein gehetzter Mr. Patrick betrat den Raum.

 

#

„I’m addicted to you, hooked on your love. Like a powerful drug I can't get enough of”, trällerte es aus unserem Handy.

Es war eine kleine Fünf-Minuten-Pause, weswegen wir hinter der Schule im Garten saßen und das kleine bisschen Sonne genossen, die nur noch kurz zu scheinen schien, ehe die Wolken sie verdecken würden.

 Es war kalt, keine Frage, aber durch unsere Wintermäntel waren wir warm geschützt und reckten unser Gesicht der Sonne zu. Die ersten vier Stunden hatten wir hinter uns, die letzten zwei folgten. Avicii gab sein neustes Lied zum Besten und wir summten leise mit.

Ich liebte es, wenn im Winter die Sonne für kurze Zeit herauskam. Vor allem, wenn ich gerade nicht in der Schule festsaß und sie so nur vom Fenster aus betrachten konnte.

„Ich will Sommer“, nuschelte Clare. „Der kommt noch. Nach dem Frühling.“

„Das weiß ich selbst, Dümmchen! Ich will ihn jetzt!“ Ich erklärte ihr nicht, dass das nicht möglich war, das wusste sie selbst. Lieber blieb ich still und lauschte der Stille. Die Schüler waren alle in der Schule.

Nur wenige standen noch draußen und heimlich eine Zigarette, da es verboten war, in den kleinen Pausen zu rauchen. Das war ganz so üblich in unsere Schule – die Bundeshandelsakademie.

Ich verzog das Gesicht. Eine meiner kleinen Lasten, waren Zigaretten. Wann immer eine Party stieg oder ich in Stresssituationen war, neigte ich dazu, eine zu rauchen. Ich verabscheute mich dafür, ich hasste diese Dinge und doch kam ich nicht von ihnen weg. Mein Vater missbilligte es. Meine Mutter sah darüber hinweg, weil sie in Stresssituationen ganz gleich handelte. Das hatte ich wohl von ihr.

Ich legte meine Hände in meine Jackentasche, schloss die Augen und spürte die kleine Wärme auf meinem Gesicht. Obwohl es Minusgrade hatte, konnte die Sonne mich ein wenig wärmen. „Was wirst du heute anziehen?“, fragte sie mich. „Jeans und Pullover. Du?“

„Jeans und Pullover? Cheyenne, nein. Du wirst heute heiß aussehen und dir einen Jungen krallen, den du diese Nacht vernaschen wirst!“ Ich wollte mich in eine erneute Diskussion mit ihr einlassen, aber ich war heute nicht in der Stimmung für Diskussionen, also nickte ich. „Kurzer Minijeansrock und ein hautenges Top mit Ausschnitt. Pumps dazu und drei Kilo Schminke“, gab ich zurück und sie verzog das Gesicht.

„Die drei Kilo Schminke kannst du weglassen, aber ansonsten“, sie hob den Daumen, „ist es toll.“

Ich sah sie lächelnd auf. Ich war froh, sie zu haben. Sonst würde ich nur noch alleine im Zimmer sitzen und ein ums andere Liebesbuch verschlingen. Ich liebte diese Bücher, kitschig und romantisch Das war ein Muss für mich. Ohne ging einfach nicht.

„Soll ich das dunkelgrüne Kleid anziehen?“, riss mich Clare aus meinen Gedanken. „Ja, das steht dir. Betont dein grün in deinen Augen.“ Ihre Augen waren unglaublich. Ich liebte dieses strahlende braungrün in ihren Augen. Ich beneidete sie darum. Ich hatte nur blaue Augen. Wenn auch zugegeben, leuchtende, eisblaue Augen.

„Super, dann ist das geklärt. Wie wirst du deine Haare machen?“ Sie nahm eine meiner dunkelbraunen fast schwarzen Haarsträhnen in die Hand und zwirbelte sie herum. „Mit einem Glätteisen glatt machen?“, fragte ich eher.

„Du willst deine Locken glätten?“ Ich nickte langsam. „Nach dem nächsten Waschen sind sie sowieso wieder lockig“, sagte ich und sie nickte. „Da hast du Recht. Soll ich sie mir hochstecken?“ Kritisch beäugte sie ihre Haare, die bis zu ihrem Brüsten gingen und in einem dunkelblond waren.

„So wie das letzte Mal?“, hakte ich nach, „Wenn ja, dann auf jeden Fall. Das sah so hinreißend aus.“

Clare strahlte mich an.

Nach all den Jahren war sie immer noch ein wenig unsicher, gegenüber sich selbst, obwohl sie das nicht nötig hatte. Dennoch zweifelte sie manchmal daran. Kein Wunder, wenn ihre festen Freunde sie immer betrogen. Sie hatte einfach kein Händchen für Jungs und leider war sie naiv, was dieses Thema betraf… „Wird gemacht, Cheyenne. Wann klingelt es denn?“ Sie sah auf die Uhr und in dem Moment erklang die Schulglocke, die den Unterrichtsbeginn einläutete.

„Jetzt“, kicherte ich und stand auf. „

Bist du bereit für unseren neuen Lehrer?“ Clare grinste mich an.

„Ich mochte Mrs. Klein“, gab ich zurück und erntete einen genervten Seufzer von Clare. „Also ich freue mich darauf.“

 

2. neuer Lehrer

 

„Warten Sie!“, riefen Clare und ich, während wir wie zwei Irren durch die Flure liefen und unserem neuen Mathelehrer nachriefen. Verwirrt drehte er sich um und musterte uns kurz. „Wir … können wir vor Ihnen in die Klasse? Kira ist eine richtige Plaudertasche und wird uns an Mr. Georg verraten, wenn wir zu spät kommen. Und das sieht besagter Lehrer nicht so gerne…“, fragte ich und erntete einen amüsierten Blick von unserem neuen Lehrer.

„Gerne. Ich will ja nicht, dass ihr bei meinem ersten Tag in der Schule Ärger bekommt“, erwiderte er und ließ uns in die Klasse eintreten. Wenige Sekunden darauf kam er hinein und stellte sich uns vor. „Ich bin euer neuer Mathelehrer Mr. Connors. Ich bitte euch, dass ihr euch in meinem Unterricht respektvoll verhält und natürlich hoffe ich, dass wir uns super verstehen werden.“ Schwungvoll kritzelte er Tyler Connors auf die Tafel und drehte sich dann wieder zu uns um.

„Wer Fragen an mich hat, keine Scheu, ich beantworte alle gerne.“ Sofort schnellten zehn Hände in die Höhe. Ich hingegen lehnte mich in den Stuhl zurück und hörte nur zu. „Unterrichten Sie nur Mathematik?“, wurde Mr. Connors von Kira gefragt. „Mathematik und Physik“, beantwortete er mit einem Lächeln. „Wie waren Sie in der Schule, Mr. Connors?“, fragte Theodor. „Schlecht. Bis ich endlich verstanden habe, dass Schule doch wichtig für die weitere Zukunft ist.“ Ich nutzte die Gunst, wo der Lehrer abgelenkt war und nahm mein Handy in die Hand, während ich Clare eine Nachricht schickte.

 

Ich wette die nächste Frage ist: ‚Wollen Sie mich heiraten, Mr. Connors?‘

Cheyenne

 

Ich behielt das Handy in der Hand und wartete auf die Antwort von ‚Sind Sie nicht zu jung um Lehrer zu sein?‘. „Nein, 26 Jahre ist nicht gerade jung.“ Da war ich seiner Meinung. Jung waren zwanzigjährige. Okay, er war keinesfalls alt, aber jung war er auch nicht mehr. Vor allem nicht, wenn man als 26-jähriger einen Drei-Tage-Bart hatte, der weggehörte. Hatte er keine Zeit sich zu rasieren? Ich wandte den Blick von Mr. Connors und sah auf mein Handy, wo eine Nachricht eingegangen war.

 

Stell sie und du bekommst zwanzig Euro.

Clarissa

 

Ich lachte laut auf. Hatte sie das echt geschrieben? War sie von allen guten Geistern verlassen? Mein lautes Auflachen hatte leider jeder mitbekommen. Allen voran unser neuer Lehrer. Er sah mich fragend an und ich hob meine Hand auf den Mund.

Mist!

„Ich … ähm … naja ich neige dazu an unpassenden Stellen zu Lachen. Tut mir leid, Mr. Connors.“ Ich wagte nicht mal einen Blick zu Clare. Wer weiß, wie sie gerade aussah. „Lachst du auch immer, wenn dein Daddy ein Meeting hat?“, fragte Amanda.

„Was? Nein, warum sollte ich? Und die Meetings werden ohne mich abgehalten. Klar, Amanda, das konntest du nicht wissen…“, sagte ich und sah sie an. „Ich wundere mich echt, wie jemand wie du es bis hierhin geschafft hast. Der Handelsakademie ist da wohl ein Fehler unterlaufen“, redete sie einfach weiter. Sie hasste mich. Und ich wusste nicht wieso. Vielleicht weil mein Dad Bürgermeister war? Vielleicht weil sie jemanden brauchte, auf den sie herumhacken konnte.

 Es war mir egal, ich wurde locker mit ihr fertig. „Super Zeugnis und einen unvergesslich tollen Charme“, antwortete ich und zuckte mit den Schultern. „Wie hast es du geschafft? Musste Daddy vielleicht nachhelfen?“

Amanda wurde rot und funkelte mich wütend an. „Vielleicht deiner!“

„Wie schon gesagt, es war mein toller Charme“, gab ich zurück.

„Das einzige was du bist, ist ein billiges Flittchen, das mit jedem in die Kiste steigt!“ Ich sah sie erschrocken an.

„Was?“, war meine – zugegebenermaßen – nicht tolle Antwort.

„Ein billiges, kleines-“

„Ruhe!“, schrie unser neuer Lehrer. Ich zuckte zusammen. Amandas Worte trafen mich. Egal wie sehr ich mir das Gegenteil sagte, es tat weh.

„Oh nein, sie hat so Recht. Ich steige mit jedem in die Kiste. Passen Sie auf, Mr. Connors, Sie könnten der nächste sein!“, sagte ich aufgebracht und stand auf. „Ich bin fertig für heute. Ein paar Typen warten, die ich in mein Bett einladen werde!“

Ich packte meine Sachen, niemand hielt mich auf. Mr. Connors war zu geschockt von meinen Worten, sogar Amanda hatte einen geschockten Ausdruck im Gesicht. Clare war die einzige, die ebenfalls aufstand.

„Cheyenne, beruhige dich. Amanda redet gerne einen Unsinn“, versuchte sie mich zu beruhigen. Ich sah sie einige Sekunden lang an, ehe ich mich auf den Stuhl zurücksinken ließ. „Es tut mir leid, Mr. Connors, ich wollte diese Worte nicht sagen“, murmelte ich.

Gott, war es mir peinlich, dass ich diese Worte gesagt hatte. Er sah nicht schlecht aus mit seinen schwarzen Haaren, mit seinen moosgrünen Augen. Mit seinen markanten Gesichtszügen und den geschwungenen Lippen, die so zum Küssen einluden.

Halt, Halt, Cheyenne, was denkst du denn da?

„Vergessen wir das einfach. So nun bitte ich euch darum, euch vorzustellen“, fuhr er fort und wir stellten uns nacheinander vor. Ich gab ein knappes ‚Cheyenne Adams‘ von mir und machte mich für den Rest der Stunde so klein wie mir nur möglich war. Was in Herrgotts Namen hatte mich denn geritten?

Es war alles nur ein komischer Traum, aber leider war das die Realität. Die Realität, wo ich wieder einmal in ein Fettnäpfchen gehüpft war. Mr. Connors nahm es mir nicht übel, dass ich mich nicht am Unterricht beteiligte und ich war dankbar dafür. Hätte er mich an die Tafel geholt oder mir eine Frage gestellt, wüsste ich nicht wie rot mein Gesicht werden würde.

‚Ich steige mit jedem in die Kiste. Passen Sie auf, Mr. Connors, Sie könnten der nächste sein!‘

Immer wieder hörte ich es in meinen Ohren und jedes Mal könnte ich im Erdboden versinken. Das war kein guter Start mit meinem neuen Lehrer. Ich wünschte mir Mrs. Klein zurück…

 

 

#

Die Stunde verging dann relativ schnell und ich war die erste die aus der Klasse stürmte. Clare würde mich schon finden, spätestens wenn der Unterricht wieder begann, musste ich in der Klasse sein. Wer hatte nochmals den Stundenplan gemacht? Ich würde mich beschweren. Wer konnte auch – an einem MONTAG – eine Doppelstunde Mathematik verordnen? Das war schlicht und einfach Mord an uns Schüler.

Das erste Mal wollte ich die Schule schwänzen, aber spätestens am Abend würde es mein Dad erfahren und das gab dann einen stundenlangen Vortrag über die Wichtigkeit der Schule und darauf hatte ich ehrlich gesagt keinen Bock. Der Tag war gelaufen. Amanda hatte es geschafft, dass ich vor Peinlichkeit im Erdboden versinken wollte. Amanda hatte es geschafft. Ich war doch sonst immer immun gegen ihre fiesen Attacken. Warum also, musste ich ausgerechnet bei unserem neuen Lehrer so einen Eindruck hinterlassen? Clarissa war mir gefolgt und stand nun neben mir vor der Schule.

Ich lehnte mich an die Mauer und zündete mir eine Zigarette Lucky Strike an. Langsam inhalierte ich die Zigarette und schloss die Augen.

„Ich habe nicht wirklich die Kontrolle verloren, oder?“, fragte ich Clare. „Es wird nicht wieder passieren. Amanda hat endlich ihren Triumph und wird dich für eine Weile in Ruhe lassen.“

„Warum hasst sie mich denn so sehr?“

„Weißt du nicht, dass dein Dad gegen ihren Dad bei der Bürgermeisterwahl gewonnen hat? Ich glaube, deswegen mag sie dich nicht sonderlich“, antwortete sie mir. „Das hat nichts mit mir zu tun! Wenn mein Dad gegen deinen beim Tennis gewinnen würde, würdest du mich dann auch hassen?“

Angst lag in meiner Stimme. Wenn Amanda deswegen so war, warum dann nicht eines Tages Clare? „Niemals. Du bist wie eine Schwester für mich, Cheyenne. Und ich bin nicht Amanda.“

„Könnte mir einer von euch eine Zigarette leihen? Ich habe meine zuhause vergessen.“ Erschrocken drehten Clare und ich uns um. Es war uns nicht erlaubt in den kleinen Fünf-Minuten-Pausen in den Hof zu gehen, um eine zu rauchen. Wir erwarteten Zusammenschiss, aber der blieb aus.

Mr. Connors stand dort, einen fragenden Blick im Gesicht. Ich zog die Schachtel aus meiner Hosentasche und reichte ihm eine. „In den kleinen Pausen ist Rauchen verboten, auch für Lehrer“, gab ich ihm zu Bedenken. „Und wieso sind dann Sie hier, Cheyenne?“

„Glauben Sie mir, die brauchte ich, wenn ich nicht in die Luft gehen will.“ Vor Peinlichkeit, sollte ich wohl anmerken lassen. „Geht das bei Ihrer Klasse immer drunter und drüber?“, hakte er nach. „Eigentlich lasse ich mich nie von ihr provozieren, aber meine eiserne Mauer blieb heute zuhause“, sagte ich und rieb mir mit der Hand über die Stirn.

„Also lassen Sie sich bitte nicht von Amanda und mir aus dem Konzept bringen. Ähm und nochmals entschuldigen wegen dem, was ich gesagt habe.“ Mr. Connors winkte ab.

„Die Zigarette hat alles wieder bereinigt.“ Er lächelte uns an und irgendwie war ich erleichtert, dass er nicht nachtragend war. Ich hingegen konnte sehr nachtragend sein. Ob ich wollte oder nicht. „Wann treffen wir uns?“ holte mich Clare aus meinen Gedanken. „Halb acht Uhr bei mir. Bring vielleicht eine Flasche Wodka mit. Daddy merkt es, wenn eine bei uns fehlen würde.“

„Wird gemacht. Sonst noch Wünsche?“, wurde ich gefragt. „Schokolade. Wie immer die mit Nougat. Davon kann ich nicht genug bekommen.“ Ein Lachen ertönte vor uns. Mr. Connors hatte uns wohl zugehört.

„Was ist an Schokolade so witzig?“ Ich sah ihn fragend an.

„Nichts. Ich liebe Schokolade. Vor allem Nougat.“ Ich blinzelte verwirrt.

„Haben Sie eine hier? Also Schokolade?“ Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Leider nein. Sie haben mir Lust auf Schokolade gegeben.“

Ich schmiss meine Zigarette in den Aschenbecher und grinste ihn an. „In meinem Spind habe ich immer eine aufbewahrt. Für den Notfall“, sagte ich zwinkernd und ging mit Clare in das Schulgebäude.

„Hat er gerade mit dir geflirtet? Und hast du mitgeflirtet?“, fragte Clare mich. „Was? Nein, Clare, was denkst du denn?“

Ich kicherte, weil sie auf so einen absurden Gedanken gekommen war und öffnete meinen Spind. Eine Riesentafel Nougatschokolade von Milka sprang mir entgegen und ich riss sie förmlich an mich.

„Es gibt nichts Leckeres als Schokolade“, schwärmte ich und öffnete sie. „Willst du auch?“ Sie nickte und nahm sich ein Stück. Gerade als wir den Rücktritt in die Klasse antreten wollte, klingelte es und wir sprangen los. Pünktlichkeit war etwas, was wir beide nicht wirklich hatten. Und dennoch waren wir vor dem Lehrer in der Klasse und weil Schokolade mich glücklich machte, legte ich eine Rippe Schokolade auf dem Lehrerpult. Ich wollte nicht unhöflich erscheinen…

 

3. kicherndes Schokoladengesicht

Immer weniger wurde die Schokolade, während ich dem Unterricht von Mr. Connors folgte. Clare sprang immer wieder schnell vor, schnappte sich ein Stück und zwinkerte mir zu. Der Rest meiner Mitschüler, blieb still. Auch Mr. Connors war kurz bei mir, erklärte mir den Satz des Pythagoras. Ich reichte ihm eine Schokolade, mit der er den Rest der Stunde glücklich war.

Die sechs Stunden Schule waren gleich vorüber und wir konnten nachhause gehen. Endlich, wie ich fand. Die letzte Mathestunde war doch recht unterhaltsam geworden. Vor allem, da Amanda ruhig blieb und mich nur mit ihren Blicken tötete. Doch die ignorierte ich gekonnt. Mr. Connors erklärte uns alles genau, interessant und verständlich.

Es wurde sofort klar, dass er Mrs. Klein in den Schatten stellte. Er war der geborene Lehrer. Er war gut darin und liebte es, wie es aussah. Mit einem Lächeln erläuterte er uns den Satz des Pythagoras, den wir die nächsten Stunden benötigen würden. Er wiederholte sich auch gerne zehn Mal, wenn jemand es nicht kapierte. Mir, zum Beispiel, musste er es um die zwanzig Mal erklären, bis ich endlich so eine kleine Ahnung hatte.

Ich war in Mathe schlecht, das war auch kein Geheimnis. Gegen Ende der letzten Stunde für heute – der Matheunterricht – war die Schokolade gänzlich fertig und mit einem traurigen Seufzen, packte ich meine Schultasche. Wie die anderen Schüler auch – ohne Seufzen natürlich.

„Ihr bekommt heute keine Hausaufgaben von mir auf. Wir sehen uns am Mittwoch in der dritten Stunde“, verabschiedete sich Mr. Connors und nahm seinen Aktenkoffer in die Hand. Es klingelte und alle stürmten aus dem Raum. Ich kicherte, da Clare mit einem Schokoladenmund zu mir kam. „Was lachst du denn?“, fragte sie mich und als sie mich ansah, musste sie auch lachen.

„Was lachst du?“, hakte ich nach.

„Dein Gesicht“, quiekte Clare und lachte. Ich stimmte mit ein. „Dein Gesicht ist auch komplett mit Schokolade bedeckt!“ Wir brachen in schallendes Gelächter aus, das erst verstummte, als ein Lehrer in die Klasse kam. „Könntet ihr ein wenig leiser sein, andere Schüler haben noch Unterricht!“, fuhr er uns an und dämpfte somit einen Teil unserer guten Laune. „Tut uns Leid, Mr. Hathaway“, entschuldigte ich mich und erntete einen strafenden Blick, ehe er aus dem Klassenraum stürmte. Wieder waren wir alleine.

„Kein Wunder, dass er keinen guten Ruf an unserer Schule hat“, murmelte Clare und wir verließen die Klasse. Unser Bus würde erst in einer Viertelstunde kommen, wie jedes Mal, wenn wir sechs Stunden hatten. Und das hatten wir zum Glück nur zweimal…

Ich hätte mit dem Auto fahren sollen, aber ich hatte den Schlüssel nicht gefunden, weshalb ich notgedrungen mit dem Bus fahren musste. Clare hakte sich bei mir unter und lächelte mich an. „Also, wie findest du unseren neuen Mathelehrer. Glaubst du, dass er deiner geliebten Mrs. Klein standhalten kann?“ Ich warf ihr einen Blick zu.

„Meine geliebte Mrs. Klein? Clare, Clare, Clare, du bist echt doof.“ Sie stieß mich in die Seite.

„Erstens, keine Beleidigungen gegenüber deiner allerbesten Freundin. Und zweitens, du weichst der Frage aus.“

„Tu ich nicht. Er ist in Ordnung, soweit ich das in den zwei Stunden beurteilen konnte. Und hey, einen Pluspunkt hat er schon, weil ich so einen Mist von mir gegeben habe und er mir nicht böse ist“, antwortete ich und sie kicherte kurz. „Das war besser als ‚Heiraten Sie mich‘“, lachte sie. „Das war doch nicht Absicht, Clarissa. Ich war wütend auf Amanda und da habe ich nicht nachgedacht…“ Ich fuhr mir durch die Haare.

„Sieh es so, Cheyenne. Du hast einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“ Erneut verfiel sie in Lachen und ich konnte nur stöhnen. „Wie witzig!“ Haha. „Sorry, wollte nicht lachen … obwohl es wahr ist.“ Ich blieb stehen und sah sie an. „Wie findest du ihn?“

Sie hörte auf zu lachen und zuckte mit den Schultern. „Er ist Lehrer. Wie sollte ich ihn denn schon finden? Zugegeben er könnte ein Unterwäschemodel sein. Ach“, sie seufzte auf, „er hätte echt Unterwäschemodel werden sollen, anstatt Lehrer! Cheyenne, Lehrer, wie kann man nur?“

„Wie kann man nur Spaghetti essen?“, stellte ich eine Gegenfrage und sie runzelte die Stirn. „Hä? Du isst doch auch Spaghetti?“

„Ja. Meine Frage war genauso dumm wie deine. Es gibt Menschen, die gerne unterrichten. Ich könnte das nicht, weil ich dazu einfach nicht die Nerven habe. Du auch nicht. Wenn ein Kind zweimal dasselbe nachfragt, würdest du die Decke hochgehen.“ Sie nickte und wir verließen endlich die Schule. Mr. Connors eilte zu seinem Auto – einen schwarzen Audi A3, wie ich sofort erkannte – und stieg ein. Er sah ein wenig gehetzt aus, so, als würde er dringend zu einem Termin müssen. Ich wollte denselben Audi, doch mein Vater bestand darauf, dass ich ein Auto meines Standes haben sollte.

Also bekam ich einen Jaguar, F-Type V8 S Cabrio in einem wunderschönen Rotton. Ich sah dem Audi nach, bis er außer meiner Sichtweite war und setzte dann meinen Weg fort. Clare hatte schweigend neben mir gestanden und erahnte wohl, warum ich dem Auto nachsah. Nachdem sie nicht nachfragte, schloss ich daraus, dass sie es wusste. Unser Bus stand schon da, wie wir mit einem Entsetzen erfahren mussten. Zu unserem Glück war Pete heute unser Busfahrer.

Er war ein netter und lustiger Busfahrer mit dem wir schon öfters unseren Spaß hatten. Außerdem war er Clares Nachbar, was das ganze besser machte. Vor allem für Clare, die den Busfahrer seit über einen halben Jahr recht anziehend fand. Dass er von ihr angetan war, hatte ich sofort festgestellt, aber wie es so eben war, sah man als Verliebter nicht, wie der Schwarm auf einen stand.

Ich hatte das Problem nicht. Ich hatte sofort gemerkt, als Kilian mehr als nur Freundschaft wollte. Vielleicht lag es an seinem Blick? Oder ich hatte so etwas wie einen siebten Sinn. Pete war mit seinen dreiundzwanzig Jahren einer der jüngsten Busfahrer, die wir hier in Oberndorf hatten. Ich glaubte, der älteste war über sechzig Jahre, weshalb er das Geschrei der Kinder nicht mehr ertrug und uns immer alle grimmig ansah. Er hatte sogar einmal mit voller Absicht – mit voller, ja! – mich nicht mitgenommen und das nur, weil ich um einige Sekunden zu spät dran war.

Sekunden, hallo?

Aber seit er wusste, wessen Tochter ich war, ließ er mich auch mit einer Minute Verspätung einsteigen. Wenn er noch da war und mich sah, natürlich. Aber nun wieder zu Pete und Clare. Wie immer, wenn Clare einstieg, strahlten sich die beiden an. „Hey Clare“, begrüßte er sie. „Hi, Pete“, gab sie schüchtern zurück. Dafür hätte ich ihr eine gegeben können.

„Hi“, sagte ich auch, damit ich nicht unhöflich wirkte und schlang mich an Clare vorbei, die wie angewurzelt da stand und den Weg nach hinten blockierte. Ich hatte heute echt keine Zeit zehn Minuten darauf zu warten, bis er losfuhr. Und das nur, weil er mit Clare sprach, die nur einsilbige Antworten gab. Und da kam mir die Idee. Ich hatte heute keine Zeit. Wegen der Party.

„Pete?“, trällerte ich und drehte mich wieder um. Er wandte den Blick von Clare und sah mich an. „Ja?“ Clare sah mich stirnrunzelnd an und fragte sich wahrscheinlich, warum ich mit Pete sprach. Ich ging einen Schritt wieder auf die beiden zu und lächelte ihn an. „Eine Schulfreundin von mir feiert heute eine Party, weil Mrs. Klein … ach ist doch egal warum. Ich wollte fragen, ob du Clare und mich begleiten würdest? Mit einer Begleitung ist es doch immer toll. Und du bist echt lustig.“

Pete hatte gemerkt, dass ich ihn nur fragte, weil Clare dabei war und so musste er nicht lange überlegen. „Klar, gerne. Wann und Wo?“

„Ich gehe um halb acht zu Clare. Dann ist es weniger ein Umweg, als wenn sie zu mir kommt und du dann auch noch zu mir fährst. Um acht Uhr kannst du kommen.“ Ich nahm Clarissas Hand und setzte mich zu einem Platz weiter hinten.

 „Danke“, flüsterte sie mir zu, „Anfangs dachte ich, du wolltest mit ihm flirten, weil du so gesprochen hast, aber das würdest du niemals tun.“ Ich nickte. „Und ich will heute, dass du aus dir herausgehst und ihm die Clare zeigst, die ich kenne. Und nicht diese schüchtere Version, die ist ja echt Mal blöd.“

In ihrem Blick lag Verunsicherung und ich versicherte ihr, dass das Schüchterne auf die Dauer für ihn Nerven würde. Du bist sonst nie schüchtern“, gab ich ihr zu Bedenken, „Also sei es jetzt auch nicht.“

Damit hatte ich sie und beruhigt konnte ich aussteigen. Clare musste noch drei weitere Stationen fahren, ehe auch sie aussteigen konnte. Wie immer kam ich montags um zehn nach halb zwei heim. Meine Mutter war in ihrem Kosmetiksalon und Dad war wohl in einem Meeting oder in seinem Büro im Gemeindehaus. Als ich einen Zettel am Kühlschrank kleben sah, wusste ich, dass meine Vermutungen richtig waren.

 

Bin bei meinem Salon, Dad musste noch schnell zu einem Meeting. Kommen um halb Vier. Essen liegt im Kühlschrank und vergesse nicht, dass wir um vier Uhr das Tennisspiel mit Mr. Harrington und seiner Familie haben!

Bussi Mum

 

Ich nahm mir die Lasagne aus dem Kühlschrank, wärmte sie in der Mikrowelle auf und aß sie in meinem Zimmer, wo ich mir nebenbei meine Nägel lackierte. Passend zu meinem Top, dass in dem gleichen Blau war, wie meine Augen. Ich benötigte viel Zeit für meine Nägel. Da ich Linkshänder war, konnte ich mit rechts überhaupt nicht lackieren und patzte immer wieder meinen halben Finger voll. Doch auch das schaffte ich, auch wenn es mittlerweile schon fast halb vier war. Nach dem Tennisspiel würde ich duschen gehen. Jetzt brachte es nichts.

Ich hörte von unten die Haustür aufgehen und eine gut gelaunte Mum schrie durch das ganze Haus. Ich fand unser Haus schon immer einen Tick zu groß. Die Eingangshalle nahm die Hälfte des unteren Bereiches ein. Daneben lagen noch die Küche und der Essbereich und das gigantisch große Wohnzimmer, das nach meinem Geschmack um einiges kleiner hätte sein können, war gegenüber. Wenn ich dort alleine auf der Couch lag, konnte man mich einfach übersehen, was meiner Mutter schon des Öfteren passiert war. Die Küche wurde nur von meiner Mutter benutzt, die es bevorzugte selbst zu kochen.

Also flog die Köchin weg, dass mein Vater nicht zu freuen schien. Er liebte es, Angestellte zu haben, die er herumkommandieren konnte. Und da diese wegflog, war ich diejenige, die er herumkommandierte. Neben Elise, unsere Putzfrau, die das ganze Haus in Schuss brachte. Ich kochte nie.

Aus zwei verschiedenen Gründen. Ich wusste bei Gott nicht, welche Hightech-Küchengeräte das waren, die in unserer Küche platziert waren. Geschweige denn, wie ich den Herd einschaltete, der Touchscreenmäßig war und mit einer runden, kleinen Platte funktionierte, die in einer der Schubladen lag. Unser Backofen war ebenfalls mit Touchscreeneffekt.

Der zweite Grund war, weil meine Mutter mich nicht mehr kochen ließ, nachdem ich einmal die halbe Küche abgefackelt hatte. Es war ein Versehen gewesen, wer hätte auch gedacht, dass das Backpapier sofort anfing zu brennen, wenn es nur kurz die heiße Platte berührte. Es war weniger als eine Minute, aber das hatte gereicht, um die Küche fast niederzubrennen und lebenslängliches Kochverbot zu bekommen. Mir war es nur recht. Ich wollte sowieso nie wieder kochen. Aus gutem Grund!

Das Esszimmer war ein mittelgroßer Raum, der an die Küche grenzte und mit Bildern ausgestattet war, die unsere Familie darstellen sollte. Der Künstler hatte uns super gemalt, das musste ich echt zugegeben. Ich konnte nur Strichmännchen und war froh, wenn diese nicht in ungeraden Strichen endeten. Sonst lag nur noch eine Abstellkammer, eine, Speisekammer und eine Toilette im unteren Stock.

Im oberen Bereich war das große Büro von Dad mit einem kleinen Meetingraum, falls er das Meeting hier halten möchte. Mums Büro lag gegenüber und daneben war die Bibliothek, wo ich so manche Stunden verbracht hatte. Außerdem lag in diesem Stock ein kleines Bad, das wir selten benutzten. Im dritten Stock waren fünf Zimmer mit separatem Bad. Bei zwei Zimmern war auch ein begehbarer Kleiderschrank, die meine Eltern und ich bekamen.

 Im Gartenbereich waren nur mehr Blumen, über Sträucher, bis hin zu Gartenskulpturen und einem Swimmingpool mit Liege. Ein Teich mit Fischen zierte das rechte hintere Ende. „Cheyenne?“

Ich schreckte aus meinen Gedanken und ging hinunter, wo mich meine Mutter freudig in die Arme schloss. Sie tat gerade so, als hätte ich sie jahrelang nicht gesehen, aber das war so typisch meine Mutter. 

4. Tennisspiel mit Überraschung

Ich zupfte schon zum etwa zehnten Mal an meinem Tenniskleid herum, dass mir ein wenig zu kurz war. Leider war ich noch nicht dazugekommen ein neues zu kaufen, weswegen ich es anziehen musste. Ich fragte mich, wie um alles in der Welt, hatte ich mir das vor zwei Jahren kaufen können? Es war in einem knalligen Pink und als ich mich vorher im Spiegel betrachtete, kam ich mir vor wie in dem Film ‚Natürlich Blond‘.

Knallpink.

Scheußlich.

Ein neues musste unbedingt her. „Alles in Ordnung. Ein wenig kurz, aber es sieht toll aus“, versicherte mir Charlie lächelnd. Wir waren gerade auf dem Weg zur Halle. Ich zitterte unter dem Kleid und dem Mantel wie verrückt. Es war auch Winter, also nahm es mich kein Wunder. „Äh danke“, murmelte ich und sah ihn skeptisch an, „Pink steht mir leider überhaupt nicht mehr. Ich bin herausgewachsen.“

„Sieht süß aus.“ Er legte einen Arm um meine Schulter, was mich ein wenig irritierte. Er musste heute außerordentlich gut gelaunt sein. „Victor hat etwas von einer Party geschwafelt, stimmt das?“

„Ja, bei Joanna. Sie macht gute Partys. Wirst du auch kommen?“, fragte ich. „Willst du denn, dass ich komme?“ Ich runzelte die Stirn.

„Ehm klar? Katie freut sich sicher.“ Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Katie SEINE Freundin war?

„Katie und ich haben Schluss gemacht. Sie hat es für notwendig gefunden auf einer Party mit einem anderen zu schlafen“, gab er mit einem wütenden Blick zurück „Nein! Das ist echt das allerletzte!“ Ich hasste Menschen, die nicht treu sein konnten. Wer es nicht konnte, sollte einfach nicht eine Beziehung führen!

„Das findet sie nicht. War ja nichts Ernstes“, äffte er sie nach und ich kicherte kurz. „Sie ist eine Idiotin, wenn sie dich so behandelt“, sagte ich. Charlie sah mich einige Sekunden an und sein Blick verriet mir alles. Er wollte mich küssen und nur Dank meinen Eltern, kam es zu nichts weiteren, weshalb ich doch froh war. Charlie war toll. Er war kein Macho, sondern machte sich etwas aus Schule. Er war freundlich zu Frauen und behandelte sie nicht wie der letzte Dreck. Und zudem sah er echt gut aus. Aber mehr als diese ‚Freundschaft‘?

„Kommt endlich! Wir wollen zu spielen beginnen!“ Unsere Mütter saßen wie immer auf einen der Tische und tranken Kaffee, während sie quatschten und uns zusahen. Charlies Vater und er spielten gegen meinen Dad und mich. Ich spielte lausig, war nicht bei der Sache, weil ich die richtigen Worte in meinen Gedanken suchte, wie ich Charlie mitteilen sollte, dass er sich nicht gleich die nächste krallen sollte. Mich!

Sogar Charlie spielte heute besser wie ich, stellte ich fest, als ich seinen Ball nicht auffing. „Konzentriere dich, Cheyenne“, sagte mein Dad und ich verbahnte alle Gedanken. Ich fing jeden Ball in meiner Nähe, wagte waghalsige Stunts und gewann das Spiel mit einem großen Vorsprung. Ausgepowert setzte ich mich neben meine Mutter und bestellte sofort einen halben Liter Mineralwasser. Charlie setzte sich neben mich.

„Können wir reden?“ Alles in mir schrie, laut ‚Nein‘ zu brüllen, aber dennoch nickte ich kurz. „Wir gehen ein wenig spazieren“, sagte ich und ging mit Charlie aus der Halle. Mein Wasser – noch voll – stand auf dem Tisch. „Charlie, mach nichts, weil du verletzt bist. Ordne deine Gefühle und stürze dich nicht in deine nächste Beziehung“, fing ich sofort an zu schwafeln. „Was bist du? Psychiater?“

„Nein, eine Freundin, die dir helfen will.“ Er hielt meine Hand fest und hinderte mich somit, weiterzugehen. „Du willst mir helfen?“ Ich nickte zaghaft. „Dann helfe mir so, wie ich es will, Cheyenne. Keine Beziehung, ich habe erst eine hinter mir. Aber sei meine Ablenkung. Lass mich Katie vergessen“, flüsterte er.

Mittlerweile war er ganz nah bei mir und ich konnte seinen Atem spüren, konnte sein Aftershave riechen. „Findest du nicht, dass das der falsche Weg ist?“, gab ich leise zurück und musterte ihn. Ich fragte mich wirklich, warum ich nicht zustimmte. Ich war in keiner Beziehung und ich fand zurzeit niemanden toll. Charlie war toll. Er war niedergeschlagen, weil Katie mit einem andere herumgemacht hatte und will meine Hilfe, die ich ihm verweigerte. Aber warum? Weil ich nicht als Ablenkung dienen wollte? Ich sollte das alles von einer anderen Perspektive sehen. Brauchte ich nicht auch Ablenkung? Kilian fehlte mir, Charlie könnte mir dabei helfen, ihn zu vergessen.

„Hilf mir, Cheyenne.“ Und diese Worte reichten, um einzuknicken. Seine Stimme klang traurig, verletzt und hilfesuchend.

„Und wie?“ Ein dankbares Lächeln glitt auf seinem Gesicht und ich konnte es nicht mehr erwidern, da seine Lippen sich auf die meine pressten. Es fühlte sich ungewöhnlich an und dennoch genoss ich es. Es war ein schöner Kuss, aber das war schon alles. Kein Kribbeln, kein Feuerwerk, kein großes Boom.

In Büchern wurde das alles immer anders beschrieben, aber Charlie blieb nun Mal ein Freund. Ich sollte die Liebe, wie in den Büchern beschrieben wird, nicht suchen, sie existierte eben nur in Büchern. Das sollte ich mir endlich eingestehen. Es war nicht einmal bei Kilian, den ich wahrhaftig geliebt hatte.

„Solange bis wir jemanden gefunden haben, den wir lieben“, hauchte ich zwischen zwei Küssen und Charlie nickte.

„Da sind wir uns einig.“ Wieder nahmen seine Lippen Besitz von meinen. Es wurde schnell klar, wohin das führte. In kein Zimmer, da war keines. Aber in einem Abstellraum lagen Matten, die wir in diesem Moment als Bett benutzten. Er zerrte an meinem kurzen Kleid, zog es mir über den Kopf. Ich dagegen machte mich daran, seine Hose zu öffnen. Ich war nie gut darin gewesen, andere Hosen zu öffnen, ich konnte das einfach nicht. das merkte auch Charlie, der sie sich selbst öffnete und hinausschlüpfte.

„Wir sind uns sicher, dass wir das tun wollen?“, fragte ich. Charlie sah mich einige Sekunden an, ehe er mich hochhob und an die Wand presste. „Ja, ich denke jetzt schon nicht mehr an Katie.“ Ich blickte in seine Augen, suchte irgendetwas, was mich aufhören ließ. Es fand sich nichts, er war sich sicher, dass es helfen würde, von der gescheiterten Beziehung wegzukommen. Langsam zog ich ihm sein Hemd aus.

Ich war keine Jungfrau mehr, der einzige mit dem ich je geschlafen hatte, war am anderen Ende der Welt – Kilian. Es hatte höllisch geschmerzt, aber mit der Zeit wurde es immer besser. Charlie und ich legten uns auf die Matten und lösten uns von der restlichen Kleidung, während wir uns stürmisch küssten.

 

 

#

„Das nächste Mal, geht ihr nicht so lange spazieren!“, mahnte meine Mutter mich. Sie ging gehetzt neben mir her und strich sich ihre roten Haare aus dem Gesicht. „Ich muss noch kochen und dann treffen sich Xenia, Mia und ich zum Kino.“ Sie sah rasch auf die Uhr. „Es ist schon nach halb sieben. Es wird heute wohl nur eine Kleinigkeit geben“, redete sie weiter. Mist!

Unser kleines Tête-à-Tête hatte doch länger gedauert, als gedacht. Es war noch recht unterhaltsam geworden, vor allem als Charlie sich den Kopf anschlug. Kein Wunder, es war ziemlich eng im Abstellraum geworden, trotzdem blieben wir länger als nötig da drinnen. Wir hatten geredet und jeweils den anderen Körper untersucht.

Ich musste zugeben, dass es half. Ich dachte nicht mehr so richtig an Kilian. Leider schlich sich Verunsicherung in mich.

„Wird gemacht. Ich bin selbst im Stress. Ich muss noch duschen und mich für die Party herrichten.“ Mein Vater sah mich prüfend an. „Welche Party?“

„Eine kleine Party mit der Klasse. Ich bin um spätestens Mitternacht wieder zuhause.“ „Nein“, sagte mein Dad, aber ich blockte sofort ab. Ich war fast erwachsen verdammt! Also sollte er mich auch so behandeln! „Ich werde dorthin gehen. Clare bringt mich sonst um und das kann ich nicht gebrauchen.“

Es war meine Mutter, die dieses Mal meinen Vater ins Gewissen redete. „Sie ist siebzehn Jahre, Manuel, du kannst sie nicht einsperren.“

„Um zwölf Uhr bist du zuhause. Eine Sekunde zu spät und wir werden nochmal miteinander reden!“ Und damit ließ er das Thema ‚Party‘ fallen und öffnete die Haustür. Sofort verschwand ich im Bad, duschte mich und föhnte in Windeseile meine Haare. Ich ließ sie lockig auf meinen Rücken fallen, für glätten hatte ich keine Zeit mehr. In meinem begehbaren Kleiderschrank suchte ich mir einen kurzen schwarzen Rock aus und das blaue Top, das ich heiß und innig liebte. Dazu noch blaue Peep-Toes und ein wenig Schminke und schon war ich fertig.

Das Abendessen ließ ich Sausen und verabschiedete mich rasch von meinen Eltern. Ich öffnete die Autotür und stieg ein. Es hatte etwas tolles, schon mit siebzehn den Führerschein zu machen. Clarissa hatte nicht das Glück und musste warten, bis sie achtzehn war. Dafür war ich ihr kleiner Chauffeur und fuhr sie umher. Mit dem Jaguar kam ich in weniger als zehn Minuten bei ihr an.

Nur fünf Minuten Verspätung, aber hey! – das war echt wenig. Ich war schon mal zwei Stunden zu spät gekommen und hatte ordentlich was von Clare anhören müssen. Ein zweites Mal geschah es nie wieder, das war mir eine Lehre. Clarissa öffnete die Tür und erwartete mich schon im dunkelgrünen Minikleid. Ich liebte dieses Kleid an ihr, es harmonierte so schön mit ihren Augen. In diesem Kleid dominierte das Grün darin und das Braun sah man kaum. Ihre Haare waren locker hochgesteckt und einige Strähnen umrahmten ihr Gesicht. „Du hast Locken, Cheyenne“, begrüßte sie mich.

„Dir auch ein ‚Hallo‘. Ich hatte leider Zeitdruck, für Locken hatte die Zeit nicht mehr gereicht.“ „Tennis mit Charlie und seiner Familie. Wie war es?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wie immer“, log ich und ging an ihr vorbei. „Ich brauche einen Wodka! Ich werde mit dem Taxi heimfahren.“ Ich schmiss die Schlüssel auf die Schuhkommode und drehte mich zu Clare um.

„Du siehst übrigens toll aus, Pete werden die Augen aus dem Kopf fallen!“

„Kann ich nur zurückgeben, Wodka ist schon auf meinem Zimmer.“ Ich ging die Treppe hoch in ihr Zimmer und nahm sofort die Wodkaflasche in die Hand und nahm einen kräftigen Schluck. „Ich habe mit Charlie geschlafen!“, platzte ich heraus und nahm gleich noch einen Schluck. „Du hast was?!“ Clare sah mich schockiert an und ich zuckte mit den Schultern. „Katie hat ihn betrogen, er wollte Ablenkung, ich brauchte Ablenkung und so haben wir uns darauf eingelassen!“, erzählte ich ihr die Kurzform der Geschichte und ließ mich aufs Bett fallen. „Eigentlich wollte ich ja nicht, ich bin doch keine Ablenkung, aber dann dachte ich wieder an Kilian und das er so weit weg ist … da habe ich einfach zugestimmt.“

„Cheyenne, das ist unfassbar. Sex ist doch nicht die Lösung!“

„Das weiß ich doch. Und doch hat es ein wenig gewirkt“, murmelte ich und erntete einen schüttelten Kopf von Clare.

„Du bist alt genug, um zu wissen, was richtig ist oder was du willst. Aber nach dieser Geschichte kannst du die Wodkaflasche mir überreichen. Ich muss das erst verdauen.“ Wortlos reichte ich ihr die Flasche und nach einer halben Stunde war sie halbleer. Außerdem war es schon acht Uhr und Pete klingelte an der Tür. Leicht angetrunken öffneten wir die Tür und stiegen in seinen schwarzen Toyota Yaris ein.

„Ihr hattet schon Spaß wie ich sehe“, begrüßte er uns. „Wenn du wüsstest. Schockierende Neuigkeiten sind wohl eher richtig“, gab Clarissa zurück und vergaß komplett, dass es Pete war mit dem sie sprach.

„Es war nicht meine beste Entscheidung, okay?! Ich werde aber nicht damit aufhören, es passt so wie es ist.“ Ich fuhr mir durch die Haare und sah aus dem Fenster. „Es sollte nicht angewidert klingen, Cheyenne. Es tut mir Leid.“ Sie saß vorne auf dem Beifahrersitz und drehte sich zu mir. Ich nickte nur kurz, damit sie wusste, dass ich nicht sauer auf sie war. Pete war so klug und blieb still, was ich ihm nur geraten hätte.

„Welche Richtung, Mädels?“, fragte er und Clare erklärte ihm den Weg, den wir eine halbe Stunde später erreichten, da er kurz falsch abgebogen war. Zu sehr, hatte er ihrer Stimme gelauscht, anstatt richtig zuzuhören. Pete stellte den Motor ab und wir stiegen aus. Laute Musik empfing uns und umhüllte uns. Ich hasste den Lärm und nur wegen Clare tat ich mir das Ganze an. Als ich Charlie an der Wand lehnen sah, wie er mich lächelnd ansah, wusste ich, dass der Abend gewiss noch nett werden würde. Und ich würde Recht behalten. 

5. Eine große Party und eine beschwipste Cheyenne

„Du bist gekommen“, begrüßte ich Charlie und ließ mich von ihm umarmen. „Klar, wie hätte ich diese Party versäumen können?“ Clarissa und Pete stellten sich neben mich her und begrüßten Charlie, der die beiden ebenfalls begrüßte. Pete kam sich ein wenig unbeholfen vor und ich flüsterte Clare zu, dass sie mit ihm tanzen gehen sollte. Das tat sie auch. Ob es der Alkohol war, der sie ein weniger mutiger machte oder ob sie ihre Schüchternheit abgelegt hatte, wusste ich nicht genau, aber ich tippte auf ersteres.

„Komm wir gehen tanzen“, sagte sie zu Pete und nahm seine Hand. Sein Strahlen ließ mich lächeln und für lange Zeit sollte ich sie nicht mehr sehen. Ich blieb vor Charlie stehen. „Steh nicht wie angewurzelt da stehen.“

Er zog an meinem Arm und ich fiel auf ihn, während er begann mich zu küssen. Es war eine gute Ablenkung und je mehr Charlie und ich uns küssten, desto weniger bereute ich meine Entscheidung. „Das könnte ich den ganzen Abend tun“, flüsterte ich, löste mich dennoch von ihm, „aber ich habe Durst und werde mir etwas zu trinken besorgen.“

„Du schmeckst nach Wodka, du hast schon getrunken“, raunte er mir zu und nahm wieder Besitz von meinen Lippen.

„Und dennoch habe ich Durst. Ich suche mir Orangensaft, einen Malibu Kokos und komme dann wieder.“ Ich ließ Charlie an der Wand stehen und suchte mir die Bar, die Joanna auf jede ihrer Party hatte.

Ich entdeckte sie schnell und der Barkeeper mixte mir einen Malibu Juice. Für Charlie nahm ich ein Bier mit und schon stand ich wieder bei Charlie, der immer noch lässig an der Wand lehnte. Neben ihm stand Katie, mit ihren perfekten blonden Haaren und den braunen Rehaugen.

„Endlich, ich habe Ewigkeiten auf dich gewartet.“ Er löste sich von der Wand, nahm das Bier in die Hand, das ich ihm reichte und legte einen Arm um mich. „Hab ich gern gemacht.“ Ich beugte mich zu ihm.

„Soll ich sie provozieren?“, hauchte ich in sein Ohr. Sein Lächeln verriet mir alles und ich zog ihn zu einem stürmischen Kuss zu mir. Katie sollte sehen, was sie an Charlie hatte und das er ihr nicht nachweinen würde. Hinter uns schnaubte eine Katie und wir hörten nur noch das Klack-Klack ihrer Schuhe.

„Danke.“ Ich grinste Charlie an. „Kein Problem. Dafür sind Freunde da!“ Ich hakte mich bei ihm unter und wir betraten das Haus. Schweißgerüche drangen in meine Nase und angewidert rümpfte ich die Nase. „Oh Gott, riecht das hier streng. Wann hat den die Party angefangen? Um drei Uhr nachmittags?“

„Nein, Cheyenne, erst um vier Uhr!“, begrüßte mich Joanna und drückte sich an mich. „Schön, dass du hier bist. Clare habe ich ja auch schon gesichtet.“ Mit diesen Worten verschwand sie und begrüßte die tanzende Clare, die sich widerwillig von Pete trennte. „Gehen wir auch tanzen?“, fragte ich Charlie und er führte mich zur Tanzfläche.

„Ich warne dich vor, tanzen liegt mir nicht sonderlich“, teilte er mir mit und ich lachte. „Ich bin auch nicht gut.“

Das stimmte, aber ich erwähnte lieber nicht, dass ich meinem letzten Tanzpartner, um die zwanzig Mal auf die Füße gehüpft war. Er war nicht sonderlich begeistert, aber hatte es nie erwähnt. Gemeinsam waren Charlie und ich … eine wandelte Tanzkatastrophe und nach dem Lied verließen wir eilig die Tanzfläche, da wir ausversehen ein Paar umgerannt hatten. Ich konnte mich kaum entschuldigen, weil ich einen kleinen Lachanfall bekommen hatte.

 Dafür hatte Charlie sich entschuldigt, war aber danach in mein Lachen eingestiegen. Wir ließen uns auf ein Sofa fallen und tranken unsere Getränke. Nach geschlagenen zwei Stunden hatten wir den ganzen Couchtisch voller leerer Gläser und ich spürte den Alkohol schon ziemlich gut.

Clare und Pete hatte ich nicht mehr gesehen, aber Charlies Anwesenheit genügte mir. Wir hatten echt viel Spaß zusammen. „Wann musst du heim?“, fragte Charlie, als wir einige Minuten schweigend nur da saßen.

„Um Mitternacht, sonst verwandelt sich die Kutsche in einen Kürbis“, kicherte ich. Ich sollte wohl besser mit dem Alkohol aufhören. Eine betrunkene Cheyenne war nie gut. Das letzte Mal hatte ich fast einen Striptease abgelegt. Nie wieder, wollte ich das machen. Aber Tabledance klang doch ganz toll.

So lange ich alleine tanzte, konnte ich es, also hinderte mich nichts mehr daran. Ich sprang auf den nächsten Tisch – nicht der Couchtisch, der war mit Gläsern übersät – und fing an locker und sexy zu tanzen.

Einige Jungs blieben stehen, feuerten mich an und ich traute mich noch einen Gang zuzulegen. Ich kreiste die Hüften, drehte mich und bewegte mich sexy auf den Tisch. Es machte Spaß, auf einem Tisch zu tanzen. Einige Mädchen sprangen nun auch auf den Tisch und da es ziemlich eng wurde, hüpfte ich hinunter und hielt mich an der ersten Person fest, da ich das Gleichgewicht verlor.

„Hey Charlie“, lachte ich und kuschelte mich an ihn. „Alleine tanzen kannst du gut“, sagte Charlie und ich kicherte. „Weiß ich doch. Hast du mich gesehen?“ Charlie legte den Arm um meine Taille und ich fühlte mich schon sicherer beim Gehen. „Hab ich. Du warst echt toll.“ Ich schloss meine Augen, da sich alles um mich drehte. „Geht es, Cheyenne?“ Sorge klang in seiner Stimme und ließ mich wieder die Augen öffnen. „Ähm … klar. Nur ein wenig schwindelig“, antwortete ich und hielt mich an Charlie fest.

„Ich brauche nur ein Glas Wasser, frische Luft und dann geht es mir gut.“ Charlie besorgte mir ein Glas Wasser, während ich draußen auf einer Holzbank saß. Weit weg von dem Schwimmbad, dass einige Meter entfernt stand. Ich vergaß immer wieder, dass Joanna ein Mitglied des Gemeinderates war und somit ebenfalls reich war. Nur ihre Eltern waren fast nie da, sie waren immer auf Reisen.

„Hier dein Wasser“, sagte Charlie und überreichte mir ein Glas. Neben ihm stand Clare, die mich sorgevoll ansah. „Alles okay bei dir?“

„Ja, nur ein wenig zu viel des Guten“, nuschelte ich und trank das Glas auf ex.

„Wo ist Pete?“

„Er kommt mit einem zweiten Glas Wasser für dich.“ Ich lächelte sie leicht an. „Dein Glas.“ Ich hatte kaum bemerkt, wie Pete zu uns kam. Clare nutzte meine Betrunkenheit aus und wandte sich an Charlie. „Du schläfst also mit Cheyenne?“, fragte sie. „Sie schläft auch mit ihr. Sie ist immer dabei, wenn wir miteinander schlafen.“

Bei seinen Worten musste ich kichern. Sie klangen so lustig. „Als Ablenkung. Du willst Cheyenne als Ablenkung?“, fuhr sie weiter und beachtete mein Gekicher gar nicht. Ich wollte anfangen zu protestieren, als sie einfach weiter fragte, aber ich ließ es. „Ich bin ihre und sie ist meine“, gab er schlicht zurück und verstärkte seinen Griff bei mir. „Ich mag dich, Charlie, aber findest du das in Ordnung? Cheyenne einfach so als Fußabtreter zu benutzen?!“

„Sie ist kein Fußabtreter, Clarissa. Ich mag Cheyenne. Wir sind gute Freunde und wir helfen uns gegenseitig. Das ist alles!“

„Ach komm schon, Clare. Charlie und ich schlafen miteinander, das ist was völlig normales. Was habt ihr zwei eigentlich so getrieben?“ Bei meinem letzten Wort fing ich wieder an zu kichern und Clare wurde rot. „Getanzt, uns ein bisschen geküsst?“ Schreiend umarmte ich sie. „Das ist … super. Wurde auch Zeit…“ Alles fing sich wieder an zu drehen, als ich sie losließ und ich krallte mich an ihren Arm fest. „Dein Glas, Cheyenne“, wies mich Pete auf und reichte mir das Glas, das er mir gebracht hatte. Nach diesem Glas war ich soweit wieder hier, dass ich Clare böse anstarren konnte.

„Das nächste Mal bitte keine Inquisition“, mahnte ich sie und sie lächelte mich schuldbewusst an. „Ich finde es nicht okay von ihm, aber wenn ihr euch gegenseitig als Ablenkung nimmt, nur zu, ich halte euch nicht auf.“

„Themawechsel, ich bin hier um zu feiern!“ Ich legte beide Arme um Charlie und kuschelte mich an ihn. „Beug dich ein wenig runter“, flüsterte ich ihm zu, was man wegen der Musik nicht so gut hören konnte. Charlie beugte sich runter und ich küsste ihn. Die restlichen Stunden vergingen rasend schnell, wobei ich ein bis drei Gläser Wodka zu mir nahm. Charlie, Clare und ich saßen in Petes Auto, der nichts getrunken hatte, damit er uns nachhause fahren konnte. Charlie wohnte nicht weit von Joanna entfernt, weshalb wir ihn mitgenommen hatten. Mich ließ er bei Clare aussteigen, damit ich mit dem Taxi heimfahren konnte.

Er wollte mich nachhause fahren, aber ich hatte ihm gleich gesagt, wenn Daddy ihn sehen würde, konnte er gleich eine Befragung mit der Polizei machen. Das war dasselbe. Nachdem ich mich herzlich von den beiden verabschiedet hatte, stieg ich in ein Taxi und nannte meine Adresse. Während der Taxifahrt schloss ich meine Augen und versuchte den Schwindel zu vertreiben, der mich seit einigen Stunden erbarmungslos verfolgte. „Wir sind hier, Miss Adams.“

Ich bezahlte und als mein Blick kurz die Uhr streifte, stockte ich. Es war nach halb drei. Ich war so was von erledigt. „Der Rest ist für Sie“, murmelte ich. „Danke, Miss.“ Es waren zwar fünfzig Euro Trinkgeld, aber ich hatte andere Probleme. Ich konnte auf dem Rosengitter hochklettern, das zu meinem Zimmer führte? Wenn ich Glück hatte, schaffte ich es. Wenn nicht, dann … ach ich schaffte das schon.

Ich stieg aus und ging die Einfahrt hoch. Ich sah mich nach Mums Auto um, sie war anscheinend noch nicht da, da das Auto nicht in der Einfahrt war. Dort parkte sie immer ihr Auto. Als ich unser Haus ansah, kam es mir auf einmal so klein vor. Keine drei Stocke, sondern nur zwei, aber ich schob das alles auf meine Betrunkenheit. Wie konnte auch ein dritter Stock in wenigen Stunden verschwinden? Das ich das auch nur eine Sekunde gedacht hatte, war lächerlich. Ich schlich hinters Haus, fragte mich kurz, warum ich überhaupt draußen herumschlich und entdeckte das Gitter, dass im Winter natürlich keine Rosen hatten. Aber Rosen hatten doch Dornen? Manche wahrscheinlich nicht, als ich den Stil der Kletterrose betrachtete.

Ich fing an zu klettern. Nur einmal rutschte ich kurz ab, aber konnte mich an einem anderen Rosenstil festklammern und führte meinen Weg fort. Der lange Weg nach oben, den ich einmal genommen hatte, kam mir nicht mehr so lange vor und ich kam bemerklich schnell voran. Das nächste das mich hätte stutzig machen sollen, war, dass mein Fenster offen stand. Ich war mir so sicher, dass ich es geschlossen hatte. Vielleicht hatte ich es doch offen gehabt? Auf jeden Fall, brauchte ich somit nicht, das Fenster knacken. Das konnte ich bei unseren Fenstern, war nicht so schwer, wie es sich anhörte.

Erleichtert ließ ich mich auf das Fensterbrett fallen und plumpste in mein Zimmer. Mit einem lauten Krach fiel ich auf den Boden, wo normalerweise mein Bett liegen sollte. Okay, etwas stimmte hier nicht. Hatte man uns ausgeraubt? Oder war ich in einem anderen Zimmer gelandet? Bevor ich weiter nachgrübeln konnte, wurde die Tür geöffnet und helles Licht blendete mich, als das Licht angeschaltet wurde.

„Miss Adams?“

Eine schläfrige Stimme wandte das Wort an mich. Aber es war nicht meine Mutter oder mein Vater. Als ich die Augen öffnete, erblicke ich Mr. Connors vor mir. Ich war nicht in unser Haus eingestiegen, wie mir auf einmal dämmerte. Oh nein, es war viel schlimmer, ich war in Mr. Connors Haus eingestiegen. Nicht eingestiegen, eingebrochen! 

6. falsches Haus

„Was machen Sie in meinem Arbeitszimmer?“ Ich konnte meinem Lehrer nicht zuhören, alles drehte sich um mich und meine Gedanken machten es der Welt nach: sich umherdrehen. Wie um in alles in der Welt hatte ich das falsche Haus wählen können? Ich hatte meine Wohnadresse genannt, da war ich mir sicher.

„Miss Adams?“

Ich blickte wieder hoch und rappelte mich endlich auf. Mein Hintern schmerzte, weil der Boden nicht so weich war, wie es mein Bett gewesen wäre. Ich hielt mich an der Mauer fest, da mich ein Schwindelgefühl wieder übermannte. Mr. Connors bemerkte es und ging einen Schritt auf mich zu.

„Sind sie etwa betrunken?“

 Noch blöder ging es wohl nicht? Ich griff mir auf die Stirn. „Nein, was für ein Blödsinn“, meldete ich mich endlich zu Wort. „Ihre Pupillen sind ganz groß. Haben Sie Drogen genommen?“

„Drogen? Echt, Mr. Connors? Da bleiben wir lieber bei ‚Sind Sie betrunken?‘.“ Mr. Connors beäugte mich immer noch skeptisch. „Und was machen Sie nun hier? Sie wissen schon, dass das Einbruch ist?“ Genervt stöhnte ich auf. „Haben Sie Kopfschmerztabletten hier?“, fragte ich. „Sie wollten Tabletten von mir?“

„Nein, eine wilde Knutscherei!“, fuhr ich ihn an und bereute meine Worte sofort. Er war mein Lehrer, verdammt! „Tabletten, bitte“, murmelte ich. „Sie bleiben schön hier stehen, Miss Adams“, und damit verließ er kurz das Zimmer. Ich war kurz versucht, wieder hinunterzusteigen, aber als ich hinuntersah, blieb ich doch lieber hier. Ich hatte so oder so schon Ärger am Hals. Noch mehr, wenn ich abhaute, brauchte ich nicht. Stattdessen ließ ich mich an der Wand hinuntergleiten und schloss müde meine Augen. Ich wollte nur ein wenig rasten, doch ich schlief sofort ein.

 

 

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Gähnend drehte ich mich auf die andere Seite meines Bettes und zog die Decke enger um mich. Sie roch frisch. So als wäre sie noch vor kurzer Zeit in der Waschmaschine gewesen. Wann hatte Mum gestern noch Zeit, meine Bettwäsche zu waschen und wie wurde sie so schnell trocken?

Wohlig seufzte ich auf, als ich den Duft erneut einatmete. „Lavendelduft. Frisch aus der Waschmaschine.“ Erschrocken riss ich meine Augen auf und richtete mich auf. Das war nicht mein Zimmer. „Was mache ich hier?“, fragte ich nach und sah Mr. Connors an,

„Haben wir uns auf der Party gesehen und sie haben mich mitgeschleppt?“ Ich rieb meine Augen. „Oh Gott, ich hatte aber nicht Sex mit Ihnen? Mit einem Lehrer?“ Erschrocken sah ich ihn an. „Nein! Wie kommen Sie nur darauf?!“

„Warum wohl? Ich liege in ihrem Bett, in Ihrem Zimmer, in ihrem Haus!“

„Sie sind in mein Haus eingebrochen“, gab er nur zurück.

„Ich – was?!“

„Mitten um drei Uhr in der Nacht, wenn ich das noch erwähnen darf.“ Ich stieg aus dem Bett, war froh, dass ich meine Kleidung anhatte. „Ich bin nicht eingebrochen! Ich breche doch nirgendwo ein!“ Das würde ich nie tun. Aber vielleicht war Mr. Connors ein Verrückter? Ein Psychopath? Diese Vorstellung gefiel mir ganz und gar nicht. „Sind Sie aber. Sie waren auf einer Party? Wieviel haben Sie da getrunken?“

„Sind Sie mein Vater?“ Scheiße! Mein Vater hatte mich um Mitternacht zuhause erwartet. Und ich war nicht aufgetaucht. Auf einmal wurde alles klar. Ich erinnerte mich an jede Minute von gestern und sah Mr. Connors erschrocken an.

„Ich bin tatsächlich bei ihnen eingebrochen. Verdammt, das hätte mein Zimmer sein sollen! In meinem Haus! Und nicht ihr Arbeitszimmer in ihrem Haus!“ Mr. Connors sah mich einfach nur an und ich fragte mich, ob er mich anzeigen würde.

„Werden Sie mich anzeigen?“, fragte ich leise und er schüttelte den Kopf. „Nein.“ Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte nicht gemerkt, wie ich die Luft angehalten hatte. „Wie spät ist es?“

„Sieben Uhr. Es nimmt mich ein Wunder, warum Sie so fit sind“, antwortete er. „Und warum habe ich ihn ihrem Bett geschlafen? Hätten Sie mich nicht am Boden liegen lassen können?“ Die Vorstellung, dass wir die ganze Nacht ein Bett geteilt hatten, erschreckte mich, doch gleichzeitig fragte ich mich, wie es wohl sein würde?

„Sie sind nicht in meinem Zimmer. Das würde ich Ihnen nie zeigen! Sie liegen in meinem Gästezimmer“, gab er zurück. „Dann wäre nur mehr die Frage zu klären, wie ich in Ihr Haus gekommen war?“

Dass ich hochgeklettert war, war mir schon klar. „Die Frage stelle ich mir auch, Miss Adams.“ Das konnte nicht sein, dass ich dem Taxifahrer die falsche Adresse gab und ich dann ausgerechnet bei Mr. Connors landete. Das konnte nicht sein und daran wollte ich auch nicht glauben. Ich war immer noch der festen Überzeugung, dass ich meine Adresse genannt hatte. „Wollen Sie etwas essen?“

Ich schreckte von meinen Gedanken und nickte. Ich hatte tierischen Hunger, aber das wollte ich nicht unbedingt erwähnen. Mr. Connors deckte den Tisch und ich setzte mich nieder. „Kaffee?“ Ich nickte heftig. „Bitte, bitte.“ Als der Tisch gedeckt, der Kaffee vor mir war, fingen wir an zu essen. Ich aß mehr als Mr. Connors, aber das wunderte mich nicht. Ich hatte gestern Abend nichts mehr zu mir genommen. Kein Wunder, dass ich so schnell in das Land der Betrunkenen fiel…

„Wie viele Tage haben Sie nichts mehr gegessen, Miss Adams?“ Ich blickte zu ihm hoch. „Ich habe gestern nicht mehr zu Abend gegessen. Tut mir leid, dass ich Ihnen alles wegfuttere.“ Mr. Connors winkte ab. „Es regnet. Wollen Sie wirklich in Minirock herumlaufen?“ Ich sah nach draußen und ließ das Brot in der Hand fallen. Ich sprang vom Stuhl und sah nach draußen.

Ein Schwimmbad sprang mir entgegen und ein Wohnzimmer, dass auf einer Seite nur aus Fenstern bestand und wo man von einer Glastür zum Garten gelangte.

Mein Haus.

Ich hatte die richtige Adresse genannt, nur hatte ich das falsche Haus genommen. „Bist du so begeistert von einem Schwimmbad?“, fragte er mich. Hatte er mich gerade mit ‚du‘ angesprochen? Er stand neben mir und sein Arm berührte leicht den meinen. „Haben Sie auch ein Schwimmbad?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich brauch kein Schwimmbad. Materielle Dinge sind nicht wichtig. Oder sind Sie da anderer Meinung?“ Hatte mich wohl mit dem ‚Du‘ getäuscht… „Das ist es nicht. Das Schwimmbad ist nicht so toll, wie es aussieht. Ich muss es wissen, ich wohne in diesem Haus.“ In dem Moment öffnete sich die Tür zum Garten und ein wütender Dad betrat den Garten.

Er telefonierte, wie es aussah und sah ziemlich sauer aus. „Öffne bitte das Fenster, ich will wissen, was er spricht!“, forderte ich ihn auf. Mr. Connors sah mich immer noch ziemlich perplex an, öffnete aber das Fenster. Ich konnte leider nicht alles verstehen, egal wie sehr ich mich anstrengte.

„Nein …. nicht aufgetaucht. Die ganze Nacht … irgendeine Party! Suchen …verdammt … Tochter!“ Ich wurde weiß im Gesicht und schloss die Augen. Es ging ausnahmslos um mich. Eine andere Tochter gab es nicht. „Ich habe wohl das falsche Haus als meines bezeichnet“, murmelte ich und setzte mich, ehe mich mein Vater entdecken konnte. Ich würde Ärger bekommen, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Unwillkürlich fing ich an zu zittern. Ich hasste es, wenn Daddy sauer auf mich war.

Er schlug mich nie, nein, das würde er nicht, aber er kam mit Strafen, die unnormal waren. „Cheyenne, hör auf zu zittern“, beruhigte mich mein Lehrer, aber ich schüttelte den Kopf. „Ich bekomme Ärger!“

Ich dachte nur daran, wie viele Affären er mir dieses Mal zutrauen würde. Und wie lange sein Du-bist-die-Tochter-von-einem-Bürgermeister-Gespräch heute dauern würde? „Oh Gott, ich bin erledigt. Mum wird mir nicht helfen“, murmelte ich vor mich hin. Wer konnte auch immer perfekt sein?

Ich musste es, musste die perfekte Bürgermeistertochter sein. Doch ich schaffte es nicht, ich konnte nicht die Perfekte spielen. Ich legte meine Hand auf die Stirn und hielt somit die Haare von meinem Gesicht fern. Ich spürte die Träne erst, als Mr. Connors sie mir wegwischte. Erschrocken zuckte ich zurück und sah ihn entgeistert an. Was tat er da? „Tut mir Leid“, flüsterte er und setzte sich wieder auf seinen Sessel.

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich muss jetzt gehen, bevor ich Daddy noch wütender mache.“ Ich stand auf, lief den Flur entlang und öffnete die Tür, bevor er mich aufhalten konnte. Die Angst verfolgte mich bis zu meinem Haus, wo ich die Tür öffnete und mein Dad auf mich zustürmte.

„Wo warst du?!“, schrie er mich gleich an und ich zuckte kurz zusammen. „Bei Clare“, murmelte ich.

„Du lügst deinen Vater einfach ganz frech ins Gesicht, oder? Ich habe Clares Mutter angerufen, dort war aber nur eine Clarissa und irgendein Typ!“ Oooh, sie hatten gemeinsam in einem Bett geschlafen. „Dad, es tut mir leid“, flüsterte ich, aber er hörte mir nicht zu. „Bei wem hast du geschlafen? Welcher Typ war es diesmal?“

 Ich sah ihn mit Tränen in den Augen an. „Stell mich nicht immer als ein Flittchen da.“

„Dann benimm dich anders, Cheyenne. Man erwartet von dir ein gewisses Benehmen, aber das scheinst du nicht zu kapieren. Vielleicht sollte ich dich in ein Internat schicken, dann muss ich mir nicht von irgendjemandem anhören, dass du mit deren Sohn geschlafen hast!“

„Kilians Mutter hat mich gehasst! Und ich habe mit ihm geschlafen, weil ich ihn geliebt hatte!“, schrie ich meinem Vater entgegen.

„Und der Junge von gestern? Welche Mutter kommt dieses Mal zu mir? Charlies?“ Erschrocken riss ich meine Augen an. „Warum Charlie?“

„Du warst also bei ihm? Charles Junior?“ Meine Mutter kam die Treppe hinunter und sah uns beide an. „Seid ein wenig leise. Die Nachbarn müssen nicht alles mitbekommen“, sagte sie ruhig und ließ uns alleine.

„Wie viel hast du getrunken? So viel, dass du mit einem fremden Jungen mitgehen würdest?“

„Warum denn? Auf der Party kann ich doch auch jeden durchvögeln! Warum also mit ihm mitgehen?!“, schrie ich und lief die Treppe hoch. Tränen rannten meine Wange hinunter und ich schloss mich in meinem Zimmer ein. Ich war jung, ich durfte Beziehungen führen. Jeder konnte Entscheidungen treffen, manche waren richtig, manche falsch. Aber das alles machte nun Mal ein Mensch.

Nur ich durfte das nicht. Keine Beziehungen mit durchschnittlichen Menschen, keine Beziehung mit Jungs, deren Eltern mit Dad befreundet waren. Am liebsten keine Beziehung, kein Sex, dann war Dad glücklich. In solchen Momenten fragte ich mich, ob mich mein Dad überhaupt ein wenig liebte.

Oder ob ihm der Ruf der Familie am Wichtigsten war? Ich schmiss mich auf mein Bett, ließ den Tränen freien Lauf. Ich wusste, dass ich heute zur Schule musste. wenn ich nicht ging, konnte ich mir das nächste von meinem Vater anhören. Aber ich blieb eine Viertelstunde im Bett liegen und weinte. Die erste Stunde hatte begonnen, als ich aufstand und mich für die Schule herrichtete.

Ich musste mit dem nächsten Bus zu Clare fahren, wo ich mein Auto abholte, damit ich es wieder hatte. Um Viertel nach Acht war ich fertig und ich schlich mich aus dem Haus, ohne das es meine Eltern mitbekamen. Nach drei Minuten war ich bei der Bushaltestelle, wo der Bus nach einer Minute kam.

Drei Stationen weiter stieg ich aus und ging zu Clares Haus. Clarissa war schon in der Schule. Normalerweise rief sie mich immer an, wenn ich nicht im Bus saß oder nicht in der Schule auftauchte. Ich suchte mein Handy, doch fand es nicht. Mist! Hatte ich es auf der Party vergessen? Zuhause? Oder bei Mr. Connors? Super. Mein Tag war gelaufen…

Ich klingelte bei Clare und ihre Mutter öffnete mir die Tür. Sie war eine freundliche Dame Ende Vierzig.

„Deine Autoschlüssel, habe ich recht?“, begrüßte sie mich und ich nickte nur. Sie gab mir den Schlüssel und nachdem ich mich bedankt hatte, fuhr ich sofort zur Schule, damit ich vor der zweiten Stunde ankam. Meine Lehrerin in Rechnungswesen – kurz RW – hasste es, wenn jemand nach dem Läuten kam und verteilte gerne Sonderaufgaben, auf die ich liebend gern verzichten konnte. 

7. überfürsorglicher Lehrer

„Wo hast du gesteckt, Cheyenne? Ich habe dich ungefähr zehntausend Mal angerufen!“

Die Vormittagsschule war vorbei, wir hatten eine Stunde Mittagspause, ehe der Nachmittagsunterricht anfängt. Schon nach Geographie wurde klar, dass ich zuhause hätte bleiben sollen. „Ich war zuhause“, antwortete ich, doch Clare schüttelte den Kopf.

„Lügst du mich jetzt echt an?“, fragte sie schockiert. „Tut mir leid“, gab ich zerknirscht zurück, „Ich bin in das falsche Haus gestiegen, der Nachbar war so nett und hat mich dort schlafen gelassen und in der Früh bin ich wieder nachhause gegangen.“ Sie runzelte die Stirn.

„Typisch Cheyenne.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Was kann ich dafür. Der Alkohol hat an allem Schuld!“

„Miss Adams kann ich Sie kurz sprechen?“ Clare und ich hatten heute ausnahmsweise die Mittagspause in der Schule verbracht. Dumme Entscheidung, wie ich fand.

„Klar, Mr. Connors“, murmelte ich und stand kurz auf, um mit ihm in ein leeres Klassenzimmer zu gehen. Er schloss hinter sich die Tür, während ich Mitten im Raum stehen blieb. Unschlüssig was er von mir wollte. Sich erkundigen?

„Wie geht es dir?“, fragte er mich und nun war ich mir sicher, dass er mich nicht mit per Sie angeredet hatte.

„Gut“, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln, „Alles tip top. Palletti. In Ordnung. Bestens“, schwafelte ich weiter und sah aus dem Fenster.

„Cheyenne?“

Ich sah zu ihm, sah in seinen Augen die Sorge und fing an zu weinen. Damit hatte er nicht gerechnet, aber er fing sich schnell wieder. Mit einem Schritt war er bei mir und drückte mich an sich. Ich wunderte mich nicht, warum er das tat und ließ einfach meine Tränen fließen. Es war mir egal, dass er mein Lehrer war. Er war der einzige, dem ich das von meinem Vater erzählt hatte, auch wenn ich das lieber gerne nicht preisgegeben hätte. „Was hat er getan?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Wie immer. Bei welchem Jungen ich war. Das ich ein Flittchen bin. Ob ich so viel getrunken habe, dass ich bei einem fremden Jungen schlafen würde. Das übliche“

Und warum erzählte ich das ausgerechnet meinem LEHRER? Ich hatte eine Freundin, mit er ich darüber reden könnte, doch diese Probleme hatte ich bisher einfach bei mir gehalten. Erzählte ich es Mr. Connors weil er dieses Redegefühl in mir weckte? Weil er einfach vertrauenswürdig aussah?

„Weißt du“, ich löste mich von ihm und sah mit einem verzogenen Gesicht auf sein nasses Hemd, „Er hat Recht. Ich habe so viel getrunken, dass ich bei einem fremden Menschen geschlafen habe. Ich bin bei ihm eingebrochen, weil ich mir gedacht habe, dass es mein Haus ist! Oh Gott, mein Vater hat so Recht!“

Meine Beine gaben unter mir nach und ich fiel zu Boden, während weitere Schluchzer meine Kehle verließen. Es tat gut, endlich meine Gefühle raus zu lassen. In Form von Tränen und Schluchzer, aber das war nebensächlich. Mr. Connors war sichtlich überfordert mit mir. Er ließ sich neben mich auf den Boden fallen und nahm mein Gesicht in seine Hände.

„Cheyenne, beruhige dich jetzt erst mal“, forderte er mich auf.

„Ich … es tut mir Leid.“ Ich stand auf, strich meine Hose und die Bluse glatt und wandte mich von Mr. Connors ab. Ich konnte ihm doch nicht meine Probleme erklären, er war erst ein Tag hier und sollte gewiss nicht meine Probleme anhören müssen.

„Ich … muss gehen.“ Ich öffnete die Tür und wieder einmal war ich schneller wie Mr. Connors. Ehe er mich erreichen konnte, war ich aus dem Klassenraum gesprungen und Richtung Schulcafeteria, wo ich mir Clare schnappte und mit ihr das Schulgelände verließ. Mir war egal wohin, ich musste nur weg von Mr. Connors.

Er hatte etwas an sich, was mich vertrauen ließ, etwas, das mich beflügelte.  Irgendetwas in mir mochte diesen Lehrer!

 

 

#

„Was ist denn mit dir los?“

Clare hatte sich dazu überreden lassen, einen kleinen Spaziergang zu machen. Egal ob wir einige Minuten zu spät zum Englischunterricht kamen. Ich ging nun schon seit einer halben Stunde wahllos hin und her und fragte mich, wie ich ihm ausgerechnet das hatte erzählen konnte? Er musste es nur einer Person wissen lassen und mein Vater würde mich für immer hassen.

Ich musste einfach die perfekte Tochter hinbekommen. Für meinen Vater, selbst für meine Mutter und für mich. Wenn ich es schaffte, würde Dad stolz auf mich sein, alles wäre in Ordnung. Das einzige was ich mir nicht leisten konnte, war etwas, das nicht zu der perfekten Tochter passte. So wie ein Lehrer, der die richtigen Familienverhältnisse kannte.

„Nichts. Ich brauchte nur frische Luft. Wie war die Nacht mit Pete?“, wechselte ich das Thema und zog eine Augenbraue hoch.

„Es war nichts Sexuelles zwischen uns. Wir haben nur in einem Bett gelegen, haben stundenlang geredet und sind dann eingeschlafen“ Clare seufzte verliebt auf und strahlte mich an. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann. Hättest du ihn nicht eingeladen, dann wäre das alles nicht passiert.“

Wieder verließ ein Seufzen ihre Lippen. Ich freute mich für sie. Sie hatte es sich nach den anderen Vollidioten verdient, jemanden wie Pete zu haben. Er war ihr vollkommen ergeben, er betete sie förmlich an. Pete würde sie glücklich machen und das ließ mich lächeln, obwohl ich völlig fertig war wegen meinem Vater. „Du würdest mir alles erzählen, oder Cheyenne?“

Ich sah zu Clare, wollte ihr nicht etwas vorlügen, aber das was mein Vater sagte, ging nur mich etwas an.

„Ich würde dir alles erzählen, was du wissen solltest“, sagte ich und Clare sah mich kurze Zeit an.

„Das ist aber nicht dasselbe wie ‚Ich würde dir alles erzählen‘.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Du weißt bisher sehr viel über mich, Clare. Können wir bitte das Thema wechseln?“, fragte ich unsicher. Tatsächlich fing sie an über unseren bevorstehenden Englischtest zu sprechen, denn wir Ende dieser Woche hatten. Ich musste mich noch gut darauf vorbereiten, damit ich die entsprechende Note bekam, die sich mein Vater wünschte.

„Hast du schon angefangen zu lernen?“, fragte sie mich. „Nein, ich werde heute am Abend anfangen. Hast du schon angefangen?“

Auch sie verneinte und sah dann auf die Uhr. „Wir müssen zurück, wenn wir den Englischunterricht nicht verpassen wollen.“ Also traten wir den Rückzug an und kamen pünktlich zum Unterricht. Die restlichen Stunden gingen nur an mir vorbei, ich beteiligte mich fleißig am Unterricht und bekam hier und dort eine gute Note. Nach der Schule kroch ich fast schon zum Auto. Ich war fix und fertig vom Unterricht und dem ganzen Teilnehmen am Unterricht. Clare musterte mich und schüttelte den Kopf.

„Ich werde wohl nie erfahren, was in deinem Kopf vor sich geht.“

Ich grinste sie an.

„Steig ein, ich fahr dich heim!“

In dem Moment, wo Clare einstieg, kam Mr. Connors und blieb kurz unschlüssig stehen. Als ich schnell einstieg und den Motor aufheulen ließ, setzte er seinen Weg fort zu seinem Auto. Mein Pech war es, dass er gleich neben mir wohnte. Ich fuhr weg und nahm extra einen kleinen Umweg, damit ich meiner Mutter noch Blumen mitbringen konnte. Gelbe Tulpen waren ihre Lieblingsblume und nachdem ich mir das heute geleistet hatte, wollte ich es wieder gut machen. Wie es eine perfekte Tochter tun würde… Ich kaufte meinem Vater auch noch seine geliebte Lindt-Schokolade und fuhr dann Clare nachhause. Mit einer kurzen Umarmung verabschiedeten wir uns und ich versprach ihr, sie morgen in der Früh abzuholen. Es war ein kleiner Umweg, aber für Clare tat ich es gerne.

Ohne Umschweife – und die wollte ich machen – fuhr ich nachhause und parkte mein Auto in der Einfahrt neben das Auto meiner Mutter. Mein Vater stellte es immer in die Garage, aber das tat ich nie, weil ich es immer wieder vergaß.

Mr. Connors Auto stand schon bei seiner kleinen Einfahrt, aber von ihm war weit und breit nichts zu sehen, was ich mit einem erleichternden Ausatmen feststellte. Ich nahm die Blumen und die Schokolade in die Hand und stieg aus. Mit dem automatischen Knopf-Verriegler schloss ich das Auto ab und ging hinein.

„Bin zuhause!“, schrie ich und ging ins Wohnzimmer, wo um diese Uhrzeit meine Eltern ihre Filmzeit hatten, ehe Dad weiterarbeitete und Mum anfing zu kochen.

Es war auch schon fast halb Sechs. Die Arbeit würde gleich rufen.

„Ich habe dir Blumen mitgebracht“, begrüßte ich meine Mum und küsste ihre Wange, „Und für dich deine Schokolade.“

Auch seine Wange wurde von mir geküsst.

„So und nun hört mir kurz zu. Ich war heute bei keinem Jungen, ich hatte auf der Party keinen Sex und ich habe nicht so viel getrunken, dass ich mich an einem hängen würde. Ich habe die Nacht bei unserem Nachbarn verbracht, der mich großzügiger Weise dort schlafen ließ, weil ich meine Haustürschlüssel vergessen hatte und er mir auf den Weg begegnet ist“, fing ich an und mein Dad nickte.

„Danke für deine Ehrlichkeit, Cheyenne. Und danke für die Schokolade“, bedankte sich mein Vater und ich lächelte beide an.

„Ich werde jetzt meine Hausaufgaben machen. Ruft mich zum Abendessen.“

Ich verschwand mit meiner Tasche und ging in mein Zimmer. Wie immer war es perfekt geputzt. So langsam ging mir dieses Wort gehörig auf den Wecker. Ich machte jede Hausaufgabe exakt und war eine Stunde später fertig. Ausgelaugt ging ich hinunter und half meiner Mutter. Ich wusch den Salat, marinierte ihn und stellte ihn in das Esszimmer, wo Mum das Essen servierte.

 

 

#

„Ich bin im Garten und lerne dort ein wenig“, schrie ich und ging zum Garten. Im Wintermantel und in meiner Liege, konnte ich mich besser konzentrieren. Ich packte mein Englischbuch raus und fing an, sämtliche Sätze und Verkabeln zu lernen. Obwohl ich völlig erledigt war, lernte ich.

Eine Stunde musste sein und wenn ich nicht davor einschlief, wollte ich eine weitere dranhängen. Nach dem Essen war mein Dad weggefahren.

Er traf sich mit den Ratsmitgliedern und würde erst spät wieder kommen. Mum war in der Bibliothek und las ein Buch, wie ich sie eben kannte.

Die Konzentration, die ich immer hier empfand, kam heute nicht.

„Ach Mist!“, schrie ich aufgebracht und wollte das Buch ins Schwimmbad schmeißen. Aber wie sollte ich das meinen Eltern erklären

Hey, sorry, das war der Wind.

Ich glaubte kaum, dass sie mir das abkauften.

Heute würde das nichts mehr bringen mit dem Lernen, weswegen ich mein Handy in die Hand nahm – das ich auf meinem Bett wiederfand - und ein wenig im Internet surfte. Eine Nachricht war vor einer halben Stunde eingegangen und ich fragte mich wer das war. Als ich sie öffnete, wusste ich sofort, dass es Charlie war. Den hatte ich heute nicht ein einziges Mal gesehen, obwohl ich eine gute Ablenkung nötig gehabt hätte.

 

Kann ich später vorbei kommen?

Charlie

 

Ich drückte auf ‚Antworten‘ und schrieb hastig eine Nachricht an Charlie.

 

Mum ist zuhause, aber wenn du trotzdem Lust hast, kannst du kommen. ich muss sowieso mit dir reden!

Cheyenne

 

Er schrieb nicht zurück. Es war mir egal, so konnte ich ins Bett gehen. Ich stand von der Liege auf, nahm mein Buch in die Hand und ging ins Haus, als ich mich beobachtet fühlte. Ich drehte mich um, doch da war niemand. Ich war definitiv müde. Rasch schlüpfte ich ins Haus und schloss die Tür hinter mir. Nach einer angehnehmen Dusche, machte ich mich bettgehfertig und kuschelte mich ins Bett. In dem Moment wurde die Tür geöffnet und meine Mutter streckte den Kopf hinein.

„Charles Junior ist hier, Cheyenne. Schläfst du schon?“ Ich unterdrückte ein Seufzen. Warum nannten ihn meine Eltern immer Charles Junior.

Er hasste das, er wollte nicht so genannt werden.

„Er hat mir nicht mehr geschrieben, dass er kommt. Aber lass ihn rein, ich habe meinen Pyjama an“, sagte ich und sie ließ ihn rein. Danach schloss sie die Tür und ließ Charlie und mich alleine.

„Setzt dich zu mir“, forderte ich ihn auf und er setzte sich neben mich.

„Ich habe dich heute gar nicht in der Schule gesehen“, gab Charlie zurück.

„Ich dich auch nicht.“

Er beugte sich kurz zu mir um mich zu küssen.

„Oh ja, das hätte ich heute gebraucht“, nuschelte ich und zog ihn zu mir, „Wir reden nachher weiter. Jetzt brauche ich deine Lippen!“

Ich zog ihn zu mir, küsste ihn immer heftiger. Der Tag war heute echt beschissen gewesen und diese kleine Ablenkung fand ich klasse. „Vergiss nicht, dass du mit mir reden wolltest“, sagte Charlie mit einem Lächeln und ich nickte.

„Das hat noch Zeit. Komm her!“ Ich schlang meine Arme um seinen Hals, während Charlie seine Arme neben mich legte, um sich ein wenig abzustützen. Erst das Öffnen einer Tür ließ uns voneinander lösen und er legte sich neben mich. Wie ich, rang er nach Luft.

„Was gibt es, Cheyenne?“ Ich ließ mir mit dem Reden Zeit. Wie sollte ich das Thema auch ansprechen?

„Es gibt ein kleines Problem“, fing ich deshalb an.

Charlies Aufmerksamkeit lag nun völlig bei mir.

„Das klingt wie das Ende einer Beziehung, die wir gar nicht führen“, sagte er und brachte mich kurz zum Schmunzeln. „Ich habe lange über unser Arrangement nachgedacht. In der Öffentlichkeit sollte ich besser nicht mit jemanden rumknutschen, der nicht mein Freund ist“, fuhr ich fort und redete gleich weiter: „Ich will keine Beziehung mit dir Charlie. Wir fühlen keine Liebe, wir haben nur gelegentlich Sex miteinander. Das ist auch in Ordnung, wenn ich nicht die Tochter des Bürgermeisters wäre und du der Sohn bekannter Ratsmitglieder.“

„Auf was willst du hinaus, Cheyenne?“

„Ich will dir etwas vorschlagen“, antwortete ich, „Wir können – wann immer uns nach Ablenkung ist – miteinander rummachen, auch in der Öffentlichkeit, aber nur, wenn wir eine Beziehung führen“, teilte ich ihm mit.

„Hast du nicht gerade gesagt, dass du keine Beziehung willst?“

„Das ist richtig. Ich dachte auch nicht an eine richtige Beziehung. Eine Scheinbeziehung. Wir tun einfach so als wären wir zusammen. So können wir uns küssen wann wir wollen, ohne einen falschen Eindruck zu hinterlassen.“

Charlie grinste mich an.

„Das ist gut. Tun wir einfach so, als wären wir ein Paar.“ Charlies Lippen nahmen wieder Besitz von meinen und seine Zunge bat um Einlass, die ich ihm sofort gewährte. Charlie war ein unkomplizierter Typ, ich wusste, dass er nicht ‚Nein‘ gesagt hätte.

„Wann sagen wir unseren Eltern, dass wir zusammen sind?“, fragte Charlie „Morgen?“, stellte ich eine Gegenfrage und Charlie nickte.

„Passt gut. Zuerst meine, dann deine.“ „Cheyenne?“ Ich schmiss schnell Charlie von mir runter. Ich wollte nicht jetzt schon erklären, was wir beide da trieben.

„Ja, Dad?“, schrie ich zurück und öffnete meine Zimmertür.

„Ist Charles Junior bei dir?“ Mei  Dad war  bei meiner Tür angekommen.

„Ja, wir reden ein wenig. Aber er wird in einer halben Stunde gehen, ich muss morgen ausgeschlafen sein.“

„Gute Nacht, Cheyenne.“

„Gute Nacht, Daddy.“

Ich gab ihm einen Kuss und schloss wieder die Tür. „In einer halben Stunde musst du leider gehen und in der Zwischenzeit kannst du mich gerne ablenken“, sagte ich kokett und Charlie zog mich zu sich.

8. schrecklicher Matheunterricht und ein schrecklich neugieriger Lehrer

Eigentlich war Mittwoch ein Schultag den ich liebte. Wir hatten zwei Stunden Italienisch, gefolgt von Deutsch und Mathe. Nur vier Stunden Schule, dass war dass, das ich immer an diesem Tag geliebt hatte. Langsam aber schien es mir so, als würde mich dieser Tag hassen.

Es fing an, dass meine leckeren Cornflakes leer waren, sodass ich notgedrungen ein Brot essen musste. Danach war ich so tollpatschig und bekam ein wenig Kajal in das Auge.

Nicht sehr empfehlenswert übrigens.

Und wäre das Ganze nicht genug, war kein Benzin in meinem Auto, weshalb ich mit dem Bus fahren musste. Mein Handy lag auf meinem Bett und würde dort ganze vier Stunden auf mich warten müssen. Clare hatte ich vorher noch geschrieben, dass sie mit dem Bus fahren konnte, da ich kein bisschen Benzin mehr hatte. Sie lachte sich halb kaputt, weil ich es doch gestern schon gemerkt hätte müssen. Ich ließ sie einfach lachen.

Nach einer anstrengenden Busfahrt, wo wir uns neben schweißige Männer kleben mussten, stiegen wir aus und schon erwartete mich das nächste Unheil. Irgendwie war meine Tasche noch im Bus und ich schaffte es gerade noch einzusteigen. Leider konnte ich erst bei der nächsten Station wieder aussteigen und kam somit zehn Minuten zu spät zum Unterricht, was die Lehrerin mit einem kurzen bösen Blick und den Worten ‚Ein nächstes Mal zu spät und es gibt eine Sonderaufgabe für Sie‘ wahrnahm.

Clare warf mir einen mitleidigen Blick zu.

Die Lehrerin nahm wir wohl übel, dass ich zu spät gekommen war und bestellte mich zur Tafel, wo ich ein paar Sätze übersetzen musste. Zu meinem Glück, war ich in Italienisch gut und bestand die kleine Prüfung mit Bravour. In Deutsch schrieben wir überraschend einen kleinen Test und nachher wurde uns ein uraltes Buch in die Hand gedrückt, das wir bis nächsten Mittwoch lesen mussten.

„Ich werde fünf Schüler auserwählen, die das Buch vorstellen werden. Ohne PowerPoint oder Plakat. Einfach nur reden“, teilte sie uns mit. Die restliche Stunde konnten wir nutzen, um das Buch zu lesen. Am liebsten hätte ich mich erstochen, so langweilig war das Buch. Ich liebte normalerweise Bücher, aber dieses Buch hier verdiente nicht mal den Namen ‚Buch‘.

Während ich also dieses Buch las, versuchte ich nicht einzuschlafen, das gar nicht so einfach war. Dennoch schaffte ich es und endlich klingelte es zur großen Pause. Eine Zigarette musste her, ich hatte schon seit Montag keine mehr. Clare begleitete mich nach draußen, rauchte jedoch keine, da sie strikt gegen Zigaretten war. Ich zündete mir eine an und zog daran. Das hatte ich einfach gebraucht. Ich merkte, wie ich innerlich ruhiger wurde.

„Nur noch eine Stunde, dann haben wir aus, Cheyenne“, freute sich Clare. Wahrscheinlich freute sie sich eher auf die Busfahrt und darauf, dass Pete wieder fuhr. „Hast du gestern noch gelernt?“ Ich schüttelte den Kopf. „

War total unkonzentriert“, gab ich zurück. „Dann lerne auf deiner Liege. Da bist du immer konzentriert.“ „Da war ich und es gelang mir nicht. Aber heute werde ich lernen. Zuerst werden Charlie und ich zu ihm gehen, um unsere Beziehung publik zu machen, dann gehen wir zu mir, um es schonend meinen Eltern beizubringen. Anschließend werde ich Charlie wieder rauswerfen und lernen“, sagte ich und Clare sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Beziehung?“

„Keine richtige“, flüsterte ich, „Wir wollen keine unangenehme Fragen.“ „Wieso lasst ihr dann nicht einfach diese Abmachung?“

„Warum sollten wir? Charlie ist eine tolle Ablenkung und wie es aussieht, ich auch für ihn.“ Ich inhalierte wieder die Zigarette und suchte den Hof nach Charlie ab. Wie zu erwarten, fand ich ihn nicht. Warum auch? Er war kein Raucher, also warum sollte er sich bei diesem windigen Wetter draußen herumtreiben? „Gehst du eigentlich nachher zu einem Bewerbungsgespräch oder mit deinem Vater zu einem Meeting?“, fragte sie mich. „Warum sollte ich ein Bewerbungsgespräch haben?“

„Dein Outfit? Schwarze Hose und Bluse?“ „Hellgelbe Bluse, nur zur Info. Was ist an diesem Outfit so komisch? Sehe ich darin fett aus? Oder hat es irgendwo einen Fleck?“ Ich suchte die Hose und die Bluse nach Flecken ab, fand zum Glück keine. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Zog ich mich einmal Businessmäßig an, dann sollte ich auch keine Flecken darauf haben.

„Es sieht einfach so geschäftsmäßig aus“, murmelte Clare, „und nicht wie sich ein Teenager kleidet.“

Ich wollte sie darauf hinweisen, dass ich die Tochter des Bürgermeisters war und ich leider Gottes nicht wie jeder andere Teenager sein konnte. Ich musste mich angemessen kleiden und das schien mir passend. Außer ein Minirock und ein enges Top entsprachen dem Wort ‚Angemessen‘.

„Das werde ich öfters tragen. Oh hier ist ja Charlie“, sagte ich entzückt, um von meinem Outfit wegzukommen. „Charlie!“, schrie ich und etliche Schüler und Lehrer drehten sich zu mir. Ich beachtete sie nicht, sondern winkte Charlie zu mir. Charlie kam auf mich zu.

„Gehen wir schnell irgendwohin wo wir alleine sind?“ Ich sah kurz zu Clare, die sofort verstand. „Ich warte in der Klasse auf dich.“ Ich schmiss die Zigarette weg und zog Charlie hinter mir her.

„Mein Tag war beschissen“, sagte ich und küsste ihn, „Zuerst keine Cornflakes, mein Handy vergessen, kein Benzin mehr, zu spät im Unterricht erschienen, Überraschungstest.“

„Habe eine Fünf in der Deutscharbeit“, gab Charlie zurück. „Das schreit schon förmlich nach einer Ablenkung“, nuschelte ich.

„Wie wahr“, pflichtete mir Charlie bei und wir gingen in eine Jungentoilette, die selten benutzt wurde. Charlie setzte mich auf das Waschbecken ab und küsste meinen Hals, ging weiter hinunter und öffnete meine Bluse.

„Nettes Outfit“, sagte er und ich lächelte nur kurz, ehe ich mich zu ihm beugte und ihn küsste. Charlie streifte meine Bluse ab, berührte meinen Oberkörper mit seiner Hand. In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und erschrocken fuhren Charlie und ich auseinander. Ich halb nackt, er noch ganz angezogen. Mr. Connors sah uns einige Momente verblüfft an, dann fing er sich wieder. „Das ist eine Toilette, dass wissen Sie beide schon?“

Ich sprang vom Waschbecken, zog meine Bluse an, die am Boden lag und knüpfte meine Bluse zu.

„Ja, das wissen wir. Wir fanden den Konferenzraum nicht sehr passend, also entschieden wir uns für das hier“, sagte ich gereizt.

Er hatte meine Ablenkung zerstört!

„Mr. Harrington gehen Sie in Ihr Klassenzimmer. Miss Adams? Sie werden mich zum Unterricht begleiten.“ „Was? Ich habe selbst Unterricht!“, nörgelte ich und Mr. Connors sah mich strafend an. „Ja und zwar Mathematik mit mir.“

Oh, wie peinlich.

„Wir sehen uns um zwei Uhr bei dir, Charlie. Und warte, bevor du es deinen Eltern erzählst!“ Charlie nickte nur und verschwand rasch aus dem Raum. „Was machen Sie eigentlich hier?!“, fragte ich nach. „Ich wollte auf die Toilette und das Lehrer-WC war leider besetzt.“

Das Glück war heute einfach nicht auf meiner Seite… „Finden Sie das okay, einfach mit Mr. Harrington auf der Toilette rumzumachen?“

„Mr. Harrington, äh Charlie ist mein Freund, also ja, das finde ich vollkommen in Ordnung“, gab ich zurück. „Er ist ihr Freund?“ Ungläubigkeit lag in seiner Stimme.

„Ähm … ja.“

„Ich hoffe, Sie können den Stoff, der letzten Stunden“, wechselte er das Thema und ich sah ihn fragend an. „Es wird heute ein Überraschungstest stattfinden.“ Ich stöhnte auf.

„Nein!“

Mr. Connors sah mich prüfend an. „Wieso ‚‘Nein‘? Haben Sie nicht gelernt?“

„Nein, Sie werden den Test heute nicht machen. Ich wurde in Italienisch schon drangenommen, dann kam ein Überraschungstest in Deutsch und jetzt kommen auch noch Sie?! Nein, nein, nein!“

Mr. Connors berührte kurz meinen Arm.

„Ich kann ihn ja verschieben“, sagte er und ich stieß erleichtert die Luft aus. „Ich würde Ihnen sehr dankbar sein. Nächste Woche am Montag können Sie ihn machen.“ Es klingelte und in dem Moment betraten wir die Klasse. „Nach der Stunde würde ich gerne mit Ihnen sprechen, Miss Adams.“

Verwirrt drehte ich mich zu meinem Lehrer um.

„Aber … natürlich“, sagte ich zuckersüß, damit niemand auf dem Gedanken kam, dass ich keineswegs mit ihm sprechen wollte. Das einzige das ich wollte, war nachhause zu fahren und diesen beschissenen Tag zu vergessen. Der Matheunterricht zog sich in die Länge und neben neuen Formeln, standen andere entsetzliche Dinge auf dem Plan.

Es war ein schrecklicher Matheunterricht und ich kapierte rein gar nichts von dem Geschwafel, das Mr. Connors uns da beibringen wollte. Fünf Minuten bevor die Stunde endete, ließ uns Mr. Connors gehen, mit Ausnahme von mir. Langsam bereute ich es, dass ich mich ihm anvertraut hatte. Jetzt hatte ich die Sorge in ihm geweckt, dass war so klar wie Kloßbrühe … oder irgendwie so ähnlich. Ich schrie Clare nach, das sie schon mit dem Bus fahren sollte.

„Mein Bus wird gleich kommen“, wollte ich mich aus dem Gespräch rausziehen. „Sie können mit mir auch mitfahren“, ließ er sich nicht abzuschütteln. „Ich muss vorher Benzin für mein Auto kaufen“, versuchte ich es weiter, was nicht einmal gelogen war. Ich wollte tatsächlich Benzin kaufen.

„Setzen Sie sich, Miss Adams“, wies er mich auf und widerwillig setzte ich mich auf das Pult, anstatt auf einen Stuhl. „Dann spucken Sie es raus? Was gibt es? Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“ Ich beugte mich ein wenig vor. Wenn er mich schon hier festhalten wollte, dann wollte ich zumindest ein klein wenig Spaß haben. „Soll ich Ihnen bei Ihrem kleinen Freund helfen?“, fragte ich.

Mein Mathelehrer wurde aschfahl im Gesicht und legte seine Hand auf meinen Mund. „Kannst du bitte diese unanständigen Sätze sein lassen? Ich bin dein Lehrer und nicht einer deiner Klassenkameraden.“ Ich nickte entschuldigend und er nahm seine Hand von meinem Mund.

„Tut mir Leid. Bin ein wenig gereizt. Kann ich jetzt gehen?“

„Geht es dir auch gut?“

Er musterte mich von oben bis unten und ich sah an mir herab. Fand er meine Kleidung auch katastrophal? „Mir geht es gut. Ich muss nur die perfekte Tochter sein, dann bekomme ich keinen Ärger.“ Und wieder rutschte mir etwas heraus. Was hatte dieser Lehrer nur an sich, dass ich ihm alles erzählte? Das war weder für mich noch für ihn gut.

„Findest du nicht, dass du dein Leben leben sollst? So wie du bist?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Sie wissen doch gar nicht, ob das nicht die wahre Cheyenne ist?“

„Ich habe das Gefühl dass sie das nicht ist“, teilte er mir mit und verwirrte mich noch mehr. Was war mit diesem Lehrer nur los?

„Stecken Sie Ihr Gefühl sonst wohin. Ich bin dann weg!“, sagte ich, ehe ich noch etwas unüberlegtes sagte. Dieses Mal war ich nicht schnell genug, denn er hielt mich fest. „Wenn du so weitermachst, ruinierst du dich. Sich selbst verleugnen tut keinem gut.“

Seine Worte machten mir Angst. Höllische Angst. Würde ich mich selbst ruinieren? Mr. Connors bemerkte, dass mich seine Worte trafen.

„Sei du selbst, Cheyenne, denn andere gibt es schon.“ Ich schüttelte lachend den Kopf. „Wo haben Sie denn diesen Spruch her? Aus Facebook geklaut, oder wie?“

Mein Lehrer lachte. „So ähnlich, aber es ist was Wahres dran, findest du nicht?“ Ich grinste Mr. Connors an. „Fahren Sie mich jetzt bitte nachhause? Aber machen Sie einen Umweg zu einer Tankstelle, ich brauche wirklich Benzin.“

Mr. Connors öffnete die Tür und wir verließen das Klassenzimmer und gingen Richtung Schulhof, wo sein Auto bei einem der Parkplätze stand. Aus reinem Reflex berührte ich das Auto und sah Mr. Connors augenklimpernd an. „Würden Sie mich mal fahren lassen? Ich habe den Führerschein, ich schwöre es!“ Mr. Connor schüttelte lachend den Kopf.

„Steigen Sie ein, Cheyenne!“, befahl er mir und ich machte einen Schmollmund. „Ach kommen Sie“, versuchte ich nochmals mein Glück. „Warum wollen Sie mit einem Audi A3 fahren, wenn sie einen Jaguar haben?“

„Der ist doch nichts im Gegensatz zu einem Audi.“ Mein Lehrer sah mich musternd an. „Wie kommen Sie darauf? Ihr Auto ist um einiges besser wie mein Auto.“

„Das schon, aber ich wollte schon immer einen Audi A3. Mein Dad fand das nur nicht meinem Stand gemäß und kaufte ihn mir nicht.“ Ich seufzte kurz.

„Haben Sie in ihrem Leben etwas selbst entscheiden können?“, fragte er mich.

„Meine Freundin. Solange sie ein Haus unter dem Dach hatte.“

„Und finden Sie das in Ordnung?“

„Es spielt keine Rolle, was ich in Ordnung finde oder nicht! Es ist ihnen auch egal, wie ich mich dabei fühle!“, schrie ich aufgebracht. „Was fühlst du, Cheyenne. Sag es endlich!“

„Ich fühle mich wie eine Marionette! Eine Figur in ihrem Spiel und ich hasse es! Aber ich will meinen Dad nicht enttäuschen, Tyler. Ich will nicht, dass er wütend auf mich ist.“ Dass ich ihn Tyler genannt hatte, bekam ich kaum mit, aber Mr. Connors tat es. „Hast du mich gerade Tyler genannt?“

Ich sah ihn verwirrt an. „Natürlich nicht“, schritt ich es ab und er ließ es auf sich beruhen.

Bei der Tankstelle blieb Mr. Connors stehen und überreichte mir einen Benzinkanister. Wie ich ohne einen Kanister hätte Benzin nachfüllen können, war mir schleierhaft, aber wahrscheinlich konnte ich so einen Behälter ansonsten in der Tankstelle auch kaufen. Ich lächelte Mr. Connors an und stieg aus.

Seine Blicke konnte ich förmlich auf mir spüren.

9. Charlies Eltern

„Vielen Dank nochmals“, bedankte ich mich nun schon zum zehnten Mal. Ich stand vor seiner Einfahrt bei seinem Auto. Er lehnte lässig daneben.

Von dem Lehrer in der Schule war nichts mehr zu sehen. Ich nahm den Kanister in die Hand, der für meine zärtlichen Mädchenarme einfach zu schwer war. „Soll ich helfen?“

„Nein, nein. Ich kann das schon alleine“, antwortete ich und trug ihn mehr oder weniger davon. Nach zehn Schritten, drehte ich mich jedoch zu meinem Lehrer und sah ihn lächelnd an.

„Okay, starke Hände wären doch recht hilfreich.“ Mr. Connors lachte kurz. „Gut, dass Sie das auch einsehen“, gab er zurück und nahm den Kanister. Mit nur einer Hand! Ich hatte alle beide gebraucht, um ihn ein klitzekleines bisschen zu bewegen! Ich ging neben Mr. Connors und musterte ihn kurz von der Seite. Clare hatte Recht. Ein Unterwäschemodel hätte er werden sollen und nicht Lehrer.

Er sah dafür zu unverschämt gut aus, was ein immenses Problem darstellte. Ich nahm alles wahr, was ich finden konnte. Von seinen langen Beinen, bis hin zu seinen Muskeln, die man trotz Hemd sehen konnte. Seine Arme waren ebenfalls trainiert und ich hatte den Wunsch, einmal seinen Bizeps zu berühren. „Checken Sie mich gerade ab?“ Ertappt sah ich hoch.

„Warum sollte ich?“, stellte ich eine Gegenfrage. Darauf wusste er nicht was sagen und blieb still. Erst vor meinem Haus verschwand das Schweigen. „Wo soll ich ihn hinstellen?“

„Sie könnten auch so lieb sein und mein Auto füllen?“ Der Kanister war so schwer, ich würde ihn kein bisschen heben können, um nachzufüllen. Mein Lehrer tat es. Er füllte Benzin nach und ich blieb hinten, damit ich ihn weitermustern konnte. Wäre er kein Lehrer, ich hätte mich doch glatt verlieben können. Es war nicht sein Körper, es war sein Charakter, der so toll war. Ich biss mir auf die Lippe und fragte mich, wie ich so was denken konnte? Verlieben? Toller Charakter?

„Cheyenne!“

Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Mein Vater stand vor mir und sah mich an. „Hey Daddy“, begrüßte ich ihn und gab ihm einen Kuss, „Wie war dein Tag?“

„Wie immer stressig.“ Er wandte sich von mir ab, fragte nicht, wie mein Tag war… „Wer sind Sie?“ Mr. Connors stellte den Kanister ab, schloss die Öffnung und hielt meinem Vater die Hand hin. „Tyler Connors, neuer Mathelehrer von Cheyenne und Ihr neuer Nachbar.“

„Manuel Adams, Bürgermeister und Vater von Cheyenne.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Dass er mein Vater war, war wohl klar, oder? „Was machen Sie hier bei uns?“ „Er hat mich nachhause gefahren, weil mein Auto zuhause war. Und er hat Benzin nachgefüllt, dass ich gekauft habe“, antwortete ich und nahm meine Tasche wieder in die Hand.

„Ist Mutter schon zuhause?“

„Nein, wir treffen uns in einer Viertelstunde im ‚Gruber‘.“

Das ‚Gruber‘ war ein Café im Stadtpark. Das Lieblingscafé meiner Eltern. „Vergiss deine Hausaufgaben nicht, Cheyenne und lerne fleißig.“ Ein Kuss folgte danach und schon drehte er sich um und wollte im Haus verschwinden. „Charlie wird zum Abendessen kommen!“, schrie ich ihm nach, was ihn sofort stehen blieben ließ.

„Warum kommt Charlie zum Abendessen?“

Das Interesse meines Vaters war geweckt. „Weil ich ihn eingeladen habe.“ Ich drehte mich zu Mr. Connors um. Den armen Kerl hatten wir völlig ignoriert.

„Bis zum nächsten Matheunterricht, Mr. Connors. Und vielen Dank fürs Nachfüllen.“ Ich ging an meinem Vater vorbei, öffnete die Haustür und drehte mich nochmals kurz um. Mr. Connors sah mir hinterher und auch mein Dad starrte mich an.

„Mum wartet gewiss schon, lasse sie nicht so lange warten!“ Ich schloss die Tür und ging auf mein Zimmer, wo ich meine Tasche abstellte. Dass mein Vater noch mit Mr. Connors sprach, bekam ich nicht mit. Stattdessen aß ich mein Mittagessen und schrieb Charlie eine Nachricht.

 

Wann soll ich kommen?

Cheyenne

 

Ich schickte sie ab und machte mich daran meine Hausaufgaben zu machen. Ich hatte zwar Schwierigkeiten mit Mathematik, aber das hielt mich nicht weiter auf. Ich versuchte es, fand die Lösung, aber ob sie richtig war, wusste ich nicht. Es war Mathe. Das lag mir einfach nicht. Als ich mit den Hausaufgaben fertig war, fing ich an zu lernen. Warum schrieb Charlie nicht zurück? Ich hatte doch nicht ewig Zeit, auf seine Antwort zu warten, ich musste noch lernen. Viel lernen… Charlie ließ sich ganze zwei Stunden Zeit. Es war drei, ich war immer noch am Lernen, als eine Nachricht von ihm kam.

 

Jetzt? Meine Eltern sind gerade gekommen.

Charlie

 

Ich nahm meine Tasche, mein Handy und die Autoschlüssel in die Hand und lief hinunter. Ich öffnete die Tür und schrie Elise zu, dass ich weg war. Ich hatte sie nirgendwo gesehen, aber irgendwo in dem Haus war sie schon. Mit einem Knopf war mein Auto aufgesperrt und ich stieg ein. In einer Viertelstunde war ich schon da. Ein Vorteil, wenn man in einer Kleinstadt mit nur fünftausend Einwohnern lebte… Ich stieg aus, strich mir die Bluse glatt und nahm meine Tasche in die Hand.

Mich überkam Panik.

Tat ich das richtige? Oder sollte ich einfach so mein Leben leben, wie es mir Mr. Connors gesagt hatte? Ach, ich sollte auf einen Lehrer nicht hören. Ich musste das tun. Es war das, was jeder von mir erwartete. Es war eine Lüge ja, aber ich benahm mich somit in der Öffentlichkeit normal. Ich konnte mit Charlie rummachen wann ich wollte.

Sie würden wissen, dass ich mit ihm zusammen war. Dass ich diese Entscheidung bald bereuen würde, wurde mir nicht klar… Ich brauchte gar nicht zu klingeln, Charlie stand bereits vor der Haustür und wartete auf mich. „Hey“, begrüßte ich ihn.

„Hey.“

Ich nahm seine ausgestreckte Hand und zerdrückte sie fast. „Cheyenne, lass ein wenig locker, wenn ich mir nicht die Hand amputieren soll.“

„Entschuldigung“, murmelte ich und trat ein. Seine Eltern saßen im Wohnzimmer und bei meinem Eintreten standen sie beide auf, um mich zu begrüßen.

„Cheyenne, komm her!“, grüßte mich Lucy, Charlies Mutter. Sie war immerzu freundlich zu mir, ich mochte sie. „Guten Tag, Lucy.“ Sie drückte sich an mich und auch Charles, Charlies Vater, nahm mich kurz in eine Umarmung. Wir kannten uns auch schon so gut wie mein ganzes Leben lang. Früher hatte ich mit Charlie oft gespielt, wenn wir hier waren. Ich musste an diese Erinnerung schmunzeln. Ja, Charlie hatte es nicht leicht mit mir, weil ich dauernd im Wald spielen wollte und so lange nervte, bis er mitkam. „Willst du etwas trinken, Liebes?“

„Ein Glas Wasser, bitte“, antwortete ich und Charles schrie nach Zara, die Haushälterin und Köchin der Familie Harrington. Sie brachte mir ein Glas Wasser, das ich dankend annahm und auf Ex hinunterkippte. „Wir … Charlie und ich wollten euch etwas sagen“, fing ich an. „Ihr seid ein Paar?“

„Wie … hast du es ihnen gesagt, Charlie?“

Ich sah ihn tadelnd an, aber als er ebenfalls fragend seine Eltern ansah, wusste ich, dass er nichts ausgeplaudert hatte. „Es spricht sich schon herum, ob ihr mehr als Freundschaft habt. Man hat euch auf einer Party gesehen, in der Schule. Es ist eine kleine Stadt, man bekommt alles mit.“

Ich seufzte kurz.

„Das hätte ich mir denken können. Und trotzdem habe ich gehofft, dass ihr die ersten seid.“ Lucy drückte ich erneut an sich. „Dann Willkommen in der Familie, Cheyenne“, sagte sie und wandte sich zu Charlie um, „Pass gut auf sie auf!“

Charlie und ich grinsten uns an, ein wenig zaghaft aber es war ein Lächeln. Mir war immer noch mulmig zumute. War meine Entscheidung wirklich richtig? Bevor ich noch darüber nachdenken konnte, wurde ich von Charles in Beschlag genommen. Er bat mich kurz mit ihm mitzukommen. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht, das nicht ansatzweise echt war, ging ich mit ihm mit. Er führte mich nach draußen in den Garten. Weil mir das Schweigen nicht gefiel, fing ich an, das grüne Gras zu betrachten. Es war Winter, Ende November, und kein bisschen Schnee lag auf dem Boden.

„Du weißt, dass Charles Junior erst eine Beziehung hinter sich hat?“

Ich nickte. „Ich weiß. Ich habe ihn aufgemuntert und dann haben wir gemerkt, dass wir doch ein wenig mehr als Freundschaft empfinden. Wir wollen es probieren und wenn es nicht hält, haben wir es zumindest probiert.“

„Bei dir ist er in guten Händen, Cheyenne. Du bist nett, freundlich, hast dein Herz am rechten Fleck und weißt, wie man sich in der Öffentlichkeit benehmen muss. Wie der Vater so die Tochter!“ Mein Lächeln verrutschte und ich sah weg. Ich war nicht wie mein Dad. Er lebte für die Öffentlichkeit und wenn ich könnte, würde ich mich davor verstecken. Also nein, ich war nicht so wie mein Daddy. Kein bisschen… Aber ich sagte nichts, ich blieb still, verursachte keinen Streit.

„Da könntest du Recht haben, Charles“, lachte ich, „Ich werde wieder zu Charlie gehen, ich vermisse ihn.“ Ich drehte mich auf den Absatz um und kehrte zurück.

Im Wohnzimmer zog ich Charlie zu mir und küsste ihn. „Wir können zu mir. Meine Eltern kommen erst in zwei Stunden“, hauchte ich in sein Ohr und er grinste.

„Wir werden gehen, Mum. Cheyenne Eltern müssen die Neuigkeit auch noch erfahren“, verabschiedete er sich von seinen Eltern. Charles war auch wieder da. „Wir sehen und gewiss. Spätestens zum Tennis. Mach dich warm, Charles.“

Ich zwinkerte ihm zu, reichte den beiden die Hand und verließ mit Charlie das Haus. Wir fuhren mit meinem Auto zu mir. Anders wäre es auch ein wenig umständlich gewesen. Ich brauchte mein Auto morgen, wenn ich zur Schule fuhr.

Da fiel mir ein, dass ich Clare anrufen sollte, damit sie bescheid wusste, dass ich sie morgen abholte. „Sie werden es nie herausfinden, dass wir nur eine Scheinbeziehung haben, oder?“ Ich warf einen kurzen Blick zu Charlie, bevor ich antwortete.

„Ich werde schweigen wie ein Grab. Wenn wir meinen, wir brauchen keine Ablenkung mehr, dann hören wir auf. Von mir aus, machst du auch Schluss mit mir.“

Ich musste kichern und Charlie schüttelte den Kopf. „Gut, dass du noch etwas witziges daran findest. Ich finde daran nichts zum Lachen!“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Weil du Angst vor der Reaktion deiner Eltern hast. Hab ich auch, aber wenn ich die ganze Zeit an die Folgen denken würde, dann sehen sie gleich, dass etwas nicht an dieser Beziehung stimmt.“

Ich bog in meine Einfahrt ein und stellte das Auto ab. Wir beide stiegen aus und Charlie kam zu mir. „Ich habe gehört, dass deine Eltern nicht da sind“, raunte er mir zu.

„Ich weiß.“ Ich zog ihn zu mir, küsste ihn und genoss seine Anwesenheit.

„Wir … auf dein Zimmer“, sagte er zwischen zwei Küssen.

„Gute Idee“, pflichtete ich ihm bei und ging zurück Richtung Tür.

Ich kannte mich hier gut aus, ich könnte mit verschlossenen Augen den Weg finden. Also konnte ich auch Rückwärts den Weg finden. Nur leider störte uns jemand daran.

„Sollten wir es so erfahren?!“

Ich schreckte zusammen und sprang einen Schritt zurück und drehte mich zu meinen Eltern. Was taten die denn hier? „Scheiße“, flüsterte ich und sah meine Eltern an.

„Meint ihr mit ‚so‘ von anderen oder dass ihr sehen musstest, wie wir uns küssten?“

„Beides! Charles Junior wir sehen uns zum Tennisspiel. Auf Wiedersehen!“ Mein Dad hatte kein Erbarmen.  Mir blieb der Mund offen und ich hielt Charlies Hand fest.

„Und wie soll er deiner Meinung nach nachhause kommen? Soll er fliegen?“

„Ist schon gut. Ich gehe einfach zu Fuß“, sagte er.

„Was? Nein!“

Ich sah zwischen Charlie und meinen Eltern hin und her.

„Wir sind zusammen. Was ist daran so schlimm?“, fragte ich aufgebracht.

„Charlie, auf Wiedersehen“, betonte mein Vater nochmals und dieses Mal ging Charlie. Ich sah ihm hinterher und konnte nicht glauben, dass er den Schwanz eingezogen hatte!

„Gratulation!“, schrie ich und drehte mich um. „Ich hau ab! Habe echt die Nase voll!“ Das Fass war übergelaufen, ich war nicht nur enttäuscht sondern auch wütend.

Ich stampfte davon, die Einfahrt entlang und bog dann rechts ab. Vor mir stand mein Lehrer. „Hoffentlich hat Ihnen die Show gefallen!“, fuhr ich ihn an und ging weiter.

Konnten sie nicht einmal mein Privatleben respektieren? Nein! Konnten sie nicht, sie mussten überall herumpfuschen!

„Willst du einen Kakao?“

Ich blieb stehen.

„Einen Kakao? Mr. Connors ich bin keine sechs mehr. Ich bin siebzehn, dass müssten Sie doch sehen?“

„Ja oder nein? Ich würde dich ein wenig beeilen, deine Eltern werden bald um die Ecke kommen.“ Da könnte er Recht haben und so schnell konnte ich die Straße nicht entlang laufen. Aber bis in Tylers Haus würde gehen.

„Okay, ich gehe mit. Aber ich will keinen Kakao!“ 

10. Von allen guten Geistern verlassen

„Du willst wirklich keinen Kakao?“ Ich funkelte ihn wütend an. „Nein, außer du kippst eine ganze Flasche Wodka hinein!“

Mr. Connors sah mich besorgt an.

„Findest du, dass Alkohol die Lösung ist?“

„Nein, dass nicht. Aber es lässt mich für einige Stunden vergessen, dass ich Rabeneltern habe!“, fuhr ich ihn an. Sie hatten uns nicht eine einzige Chance gegeben. Sie hatten Charlie einfach wegegeschickt! In solchen Momenten könnte ich die ganze ‚perfekte‘ Masche wegschmeißen und meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Hier bei Mr. Connors konnte ich es. Er wusste, dass ich keine Wahl hatte und er wusste, dass ich nicht so war. Ich hatte ihm Dinge anvertraut, die sonst niemand wusste.

Ich war bei ihm … ich selbst und das gefiel mir. „Du hast die halbe Straße auf dich Aufmerksam gemacht“, sagte er und setzte sich zu mir. „Mir doch egal! Ich habe keine Lust mehr. Ich bin nicht mehr ich, diese Klamotten sind so…“

Ich suchte nach dem richtigen Wort. „…so scheußlich? Für ältere Frauen gedacht und nicht für siebzehnjährige Schüler?“

„Ja, genau. Ich komme mir nicht ich selbst vor. Ich bin zwar in diesem Körper, aber ansonsten bin nichts davon ich!“ Ich legte meine Hand auf die Stirn. „Ich weiß keinen Ausweg, weil es gar keinen gibt.“ „Rede mit deinen Eltern darüber, Cheyenne.“ I

ch musste laut auflachen. „Gute Idee, wirklich! Die erwarten das von mir. Was anderes interessiert sie nicht!“

„Hast du es schon probiert?“, fragte er.

„Früher oft, ja. Aber mit der Zeit kapiert man, dass es sie nicht interessiert. Sie hören einem nur mit einem Ohr zu. Sogar mit Ihnen kann man besser reden!“ Mein Lehrer lachte. „Das hört sich so an, als wärst du überrascht?“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Bekomme ich jetzt Wodka oder muss ich ihn mir selbst holen?“

„Ich bin dein Lehrer. Ich werde dir keinen Wodka anbieten.“

Ich stand vom Stuhl auf. „Dann biete ich ihn mir selbst an. Ich bin nicht gut drauf, reizen Sie mich nicht.“ Und damit öffnete ich einen Schrank nach dem anderen und als ich auf meine Cornflakes stieß, vergaß ich den Wodka und nahm die Packung an mich.

„Darf ich ein paar essen? Meine sind leer.“

Seine Mundwinkel fuhren nach oben. „Bediene dich, aber das tust du ja schon.“

„Entschuldigung. Manchmal vergesse ich, dass Sie mein Lehrer sind.“ Ich nahm mir eine Schüssel und holte die Milch aus dem Kühlschrank, dann setzte ich mich. Ich füllte die Schüssel, goss großzügig Milch hinein und nahm den Löffel in die Hand, um meine geliebten Cornflakes zu essen. „Jetzt sind wir quitt. Ich habe Ihnen Schokolade gegeben und sie haben mir Cornflakes gegeben“, murmelte ich und stopfte mir noch einen Löffel in den Mund. Ich konnte von diesen Cornflakes nie genug bekommen. Vor allem weil sie mit Nougat gefüllt waren. Für einen Nougatfanatiker, wie ich einer war, der Himmel auf Erden.

„Wollen Sie auch?“, fragte ich und hielt ihm den Löffel hin. Er sah mich einige Sekunden an, ehe er mit dem Kopf schüttelte. „Nein danke.“

„Ach kommen Sie!“, forderte ich ihn auf und flog mit dem Löffel umher. „Ein Biss für Cheyenne. Kommen Sie schon.“ Nach langem Fordern, aß er schließlich einen Löffel voll. Irgendwie war das ganze eine komische Situation. War ich von allen guten Geistern verlassen? Denn ganz offensichtlich hatte ich mit ihm geflirtet. Ich hatte ihn gefüttert. Meinen Lehrer!

„Es … oh Gott, es tut mir Leid“, sagte ich peinlich berührt und blickte ihn entschuldigend an. „Hören Sie auf sich zu entschuldigen, Cheyenne.“

„Aber ich-“

„-Nein!“ Ich unterzog ihm eine Musterung. „Das war nicht in Ordnung.“ Und doch hätte ich es wieder getan…

„Was mache ich überhaupt hier?“

Ich stand auf. Dieser Lehrer zog mich immer wieder in seinen Bann, das war ganz und gar nicht gut. Er war Lehrer. Ich musste mir nur immer einreden, dass er Lehrer war. Aber es schien nicht zu funktionieren. „Ich gehe.“ Bevor ich noch etwas tat, was ich bereute. Doch würde ich es bereuen, wenn ich ihn küsste? „Cheyenne, es ist nichts.“

Und doch lag in seiner Stimme ein wenig Angst. Hatte er die, weil er Angst hatte, dass ich alles verriet? Das könnte ich nicht. Er wusste Dinge über mich, die nur er wusste und hatte es keinem erzählt. Das gleiche würde ich tun. Ich musste gehen. Ablenkung. Ich brauchte Charlie. Ich nahm meine Tasche, stieß ausversehen einen Stuhl um und hob ihn wieder auf. Als ich mich umdrehte, stand mein Lehrer vor mir. „Ich werde nicht sagen, dass ich sie gefüttert habe.“

„Du kannst bleiben. Es ist alles in Ordnung.“

„Nicht mehr. Ich bin verwirrt, ich will sie doch nicht küssen!“, rutschte es mir raus und Tyler sah mich mit geweiteten Augen an.

„Das solltest du nicht denken, Cheyenne.“

Na, dass wusste ich auch, Schlaumeier. Ich wollte es auch gar nicht denken. Ich wollte denken, dass er ein langweiliger Lehrer war, aber alles was ich über ihn dachte, war keinesfalls langweilig. Ich wollte ihm alles erzählen, ich wollte, dass er mich an sich drückte und er mich für einige Sekunden alles vergessen ließ. „Das weiß ich, Tyler!“

Und doch ließ es sich nicht vermeiden. Ich dachte an seine Lippen, wie sie wohl schmecken würden… Es war wie ein Impuls, dem ich nachgehen musste. Und genau das tat ich. Egal wie gefährlich nur ein Kuss sein konnte, es war so, als hätte ich keine Kontrolle mehr über mein Handeln. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Es war ein kurzer Kuss und doch explodierte alles in mir. Ein Feuer, ein Kribbeln. Ein kurzer Kuss, so kurz, dass er fast nicht als Kuss gelten konnte. Tyler hatte keine Chance, den Kuss nicht zu erwidern, denn ich ließ ihm keine Zeit. Ich verschwand, ehe er etwas dazu sagen konnte. Ich lief aus dem Haus, meine Einfahrt hoch und stieg in mein Auto.

Ich brauchte Ablenkung. Nicht Charlies Ablenkung sondern meine beste Freundin. Ich würde ihr nichts von dem Kuss erzählen oder sonst etwas von meinen verwirrten Gedanken, aber sie würde mich auf andere Dinge bringen.

Es waren nur Gedanken, Cheyenne, noch hast du keinerlei Gefühle.

Auch wenn es nur das war, es machte mir Angst, dass er so etwas bei mir hervorrufen konnte. Das sollte er nicht. Das einzige, das ich bei ihm denken sollte, war, dass er ein spießiger Lehrer war. Ich fuhr wie eine wahnsinnige zu Clare und klingelte bei ihr sturm.

„Was ist mit dir los?“, fragte sie mich, als sie die Tür öffnete. „Ich drehe durch“ rief ich und stürmte in das Haus. „Ich werde verrückt. Stell bitte keine Fragen, Clare. Sei einfach für mich da“, sagte ich verzweifelt und sah sie mit großen Augen an.

„Ich bin immer für dich da, Cheyenne. Wir gehen in mein Zimmer.“

Wir gingen hoch und setzten uns in ihr Bett. „Wie ich gehört habe, bist du von zuhause abgehauen?“ Ich nickte und hakte gar nicht nach, woher sie das wusste. Meine Eltern hatten sofort bei ihr angerufen, dass taten sie immer. Nur dieses Mal sagte sie einmal die Wahrheit. Ich war nicht da. Bis jetzt jedenfalls.

„Das solltest du nicht denken, Cheyenne.“

Tylers Stimme schien mich bis hier her zu verfolgen. Hallte in meinem Ohr, hörte nicht auf.

„Weißt du, Cheyenne, ich finde es nicht in Ordnung was deine Eltern mit dir machen. Dir geht es beschissen und ich glaube einer deiner Probleme sind deine Eltern. Eines vielleicht die blöde Abmachung mit Charlie. Dich plagen die Gewissensbisse, weil du alle belügst. Du trägst zu viel mit dir rum, du hast so viel auf deiner Schulter geladen und das kannst du nicht alles tragen. Niemand schafft das.“

Ich sah sie sprachlos an.

Dass sie das – obwohl ich nie etwas darüber verloren hatte – erahnen konnte, war faszinierend. Sie kannte mich schon so gut und vielleicht war es an der Zeit ihr reinen Wein einzuschenken? Aber konnte ich ihr all meine Probleme erzählen? Meine Eltern waren ein großes Problem, dass mit Charlie belastete mich und von Tyler wollte ich gar nicht anfangen. Ich kam zu dem Entschluss, dass ich ihn nur deshalb geküsst hatte, weil ich am Ende war. Der Streit mit meinen Eltern hatte mich aufgewühlt und da kam es eben zu diesen einen Kuss. Ich wollte es ihr erzählen … und trotzdem schwieg ich wie ein Grab.

Es würde nichts besser machen. Das brachte meine Probleme nicht weg. Ich kuschelte mich an sie, legte meinen Kopf auf ihre Brust. „Danke, dass du für mich da bist, Clare. Ich danke dir so sehr“, flüsterte ich und schloss meine Augen. In meinem Inneren tauchte immer das Wort ‚perfekt‘ auf. Wenn ich es nicht bald hinbekommen würde, dann konnte ich mir sicher sein, dass er die Drohung vor ein paar Tagen wahrmachen ließ. Ein Internat, wo niemand mein unangebrachtes Benehmen sehen konnte…

 

 

#

Ich war eingeschlafen. Ich lag in Clares Bett, mein Kopf war auf ihrer Brust gebettet. Sie sah fern, irgendein Film, der gerade lief. Neben ihr lag ein Teller voll mit Obst.

„Wie spät ist es denn?“, fragte ich müde und sie lachte kurz. „Es ist viertel nach elf. Hast du gut geschlafen?“ Ich rieb mir die Augen und gähnte kurz. „Ja, das habe ich gebraucht.“ Ich sah zum Teller Obst. „Ist das etwa eine Erdbeere?“

Entzückt richtete ich mich auf und sah sie mit großen, fragenden Augen an. „Hau rein, gehört alles dir.“ Sie reichte mir den Teller und ich nahm die Erdbeere sofort an mich.

„Magst du nicht?“

„Hab schon. Schläfst du heute hier?“ Ich nahm die Beere in den Mund, genoss den Geschmack. „Wenn ich darf? Ich will heute nicht mehr nachhause“, gab ich zurück und Clare nickte. „In Ordnung. Du kannst Kleidung von mir. Du siehst übrigens schon viel besser aus.“ Ich lächelte Clare an. „Ich fühle mich auch so.“ Ich streckte mich und nahm eine geschälte Orange in die Hand. Ich schmiss sie auf meinen Händen hin und her. „Wissen meine Eltern dass ich hier bin?“

„Nein, ich habe nichts gesagt und meiner Mutter habe ich verboten etwas zu sagen. Ich habe ihr mit meinem Auszug gedroht. Nicht gerade die feine Art, aber es hat gewirkt.“ Ich schlug Clare auf den Arm. „Du weißt wie viel Angst deine Mutter deswegen hat!“

„Und du weißt, dass ich alles tun würde, damit es dir gut geht. Meine Mutter überlebt es. Du aber, Cheyenne, ich weiß nicht, wie lange du diese Strapazen deiner Eltern ertragen kannst.“

„Strapazen?“, fragte ich.

„Deine geschäftsartigen Klamotten? Deine Wachsamkeit? Dein Benehmen? Das alles sollte eine erwachsene Frau haben, aber du? Du solltest, kurze Kleider tragen, du solltest ohne Angst laut lachen können und du solltest dich manchmal auch nicht immer so richtig benehmen. Rumknutschen, ohne dass du eine Beziehung vorlügst. Du bist siebzehn Jahre.

Du solltest das Leben einer Schülerin leben und kein anderes.“

„Clare, dass alles ist nicht so einfach. Mein Vater hat einen gewissen Stand und ich muss mich dementsprechend verhalten. Das heißt, keine kurzen Outfits, kein übermäßiges Trinken von Alkohol und kein Rummachen mit Typen, die nicht mit mir zusammen sind. Bald ich die Schule abgeschlossen habe, suche ich mir einen Job, der nicht hier in Oberndorf ist. Bis dahin, muss ich mich meinem Vater fügen.“ Sie verstand mich nicht. Sie konnte es nicht verstehen.

Ihre Mutter tat auch nicht das was mein Dad tat. Sie wusste nicht, wie sehr mein Vater darauf bestand, dass ich mich normal verhielt. Ich aß die Orange auf und widmete mich dem nächsten: der Mango, dessen Geruch mir in die Nase stieg.

Clarissa sagte nichts mehr dazu sondern sah sich den Film an. Ich versuchte es auch, aber da ich von dem Film rein gar nicht mehr mitbekam, ließ ich es und legte mich wieder hin. Nacheinander aß ich verschieden Arten von Obst und starrte durch die Gegend. Irgendwann hatte ich genug vom Essen und bat Clare um einen warmen Pyjama.

Sie überreichte mir einen und ich zog ihn mir an. „Willst du einen anderen Film ansehen?“, fragte Clare, als ich wieder neben ihr lag. „Nein, nein. Ich gehe jetzt schlafen. Schau den Film fertig, ich kann immer einschlafen.“ Und das war mein Ernst.

Ich hatte auf dem Boden von Mr. Connors Büro geschlafen. Ich konnte auch während sie Film sah, einschlafen. Es dauerte nicht lang, dann war ich in dem Land der Träume. 

11. Kein Gespräch unter vier Augen, oder doch?

Ich hasste Donnerstage. Es war ein sinnloser Schultag, wie ich fand. Neben zwei Stunden Wirtschaftsinformatik und zwei Stunden Sport am Vormittag, war der Nachmittag mit zwei Stunden Office Management und einer Stunde Religion wirklich bedeutungslos. Ich hatte nur bis zehn vor drei Schule. Mitten am Nachmittag hatte ich aus, super oder?

Am liebsten wäre ich erst gar nicht in die Schule gekommen. Einerseits weil eben diese Fächer nicht von großer Bedeutung waren und ich in allen eine Eins Plus hatte und andererseits weil ich Mr. Connors nicht begegnen wollte.

Wie sollte ich ihm auch erklären, weshalb ich ihn geküsst hatte? Es hatte keine Bedeutung. Der Kuss war kurz gewesen. Er konnte nicht als Kuss gelten, hatte ich mir immer wieder eingeredet. Es half ein wenig. Clarissa lief gerade neben mir her, als wir in den Sportunterricht liefen. Da wir Sport immer in der dritten und vierten Stunden hatten, verlegte unsere Klasse, die große Pause vor. Also machte uns keine Klingel darauf Aufmerksam, dass wir jetzt Unterricht hatten. Wie immer kamen wir zu spät an, was unsere Lehrerin – wie immer – nicht bemerkte, da sie sich gerade umzog.

Und genau das machten wir auch. Britta, einer unserer Klassenkameradinnen, ließ uns in die Umkleidekabine rein und mahnte uns, dass wir nächstes Mal pünktlich sein sollten. Ich bezweifelte das. Wir würden nie zur rechten Zeit kommen, irgendwas hinderte uns immer daran. War es nicht die Jause in der Schulcafeteria, war es der Kaffee im Automaten oder unser nicht vorhandenes Zeitgefühl. So oder so, wir kamen selten frühzeitig an. Ich zog mich rasch um, damit ich gleichzeitig mit den anderen Mädchen fertig war und sprach unterdessen auch mit Clare im Flüsterton.

„Ich glaube meine Eltern werden auf Hundertachtzig sein, weil ich einfach abgehauen bin.“

„Du wirst heute Mittag zu mir kommen, wir essen dort und dann gehen wir wieder zum Unterricht. So ziehen wir das Gespräch ein wenig in die Länge.“

Dankbar sah ich sie an und wollte in meine Turnschuhe schlüpfen, aber die lagen noch in unserer Klasse. „Ich muss meine Schuhe holen. Wartest du im Umkleideraum, damit du mir die Tür öffnen kannst?“

„Ja, aber beeile dich, Cheyenne. Du weißt, dass Mrs. Iwana nicht sehr geduldig ist!“ Ich ließ sie kaum ausreden, als ich die Tür schon aufriss und durch die Flure zu meinem Klassenzimmer rannte. Die Treppe hoch, durch eine Tür, dann rechts und schon riss ich unser Klassenzimmer auf. Mitten in den Unterricht. „Tut mir Leid, ich dachte, dass wäre mein Klassenzimmer.“

Ich wollte gerade wieder hinausrennen, als mir die vertraute Stimme meines Mathelehrers innehalten ließ. „Dass ist Ihr Klassenzimmer, Miss Adams. Wir haben nur gerade Unterricht.“

„Oh“, entfuhr es mir, während ich meinen Blick durch die Klasse schweifen ließ. Einen kurzen Moment blieb er bei meinem Lehrer hängen, dann suchte ich weiter meine Schuhe. „Ich bin gleich weg, Mr. Connors. Ich suche nur …“, meine Miene hellte sich auf, „…gefunden!“

Ich ging in die hintere Ecke und nahm meine Schuhe triumphierend in die Hand. „Vielen Dank. Auf Wiedersehen!“ Ich war schon wieder bei der Tür angekommen, als Mr. Connors wieder sprach. „Könnte ich Sie kurz sprechen, Miss Adams?“

„Haben Sie denn etwas mit mir zu besprechen? Oder kann das auch bis zum nächsten Matheunterricht warten?“ Ich wusste, dass er keine Chance hatte, als mich gehen zu lassen. Was wollte er auch – inmitten der ganzen Schülerschar – sagen?

‚Ich will über den Kuss reden‘ wohl kaum. Mr. Connors Miene nach zu urteilen, hatte ich richtig gelegen und er lächelte mich an.

„Es kann natürlich bis zum nächsten Unterricht warten. Auf Wiedersehen!“ Ich verließ die Klasse mit einem mulmigen Gefühl. Hätte ich doch zusagen sollen? Nein! Ich hatte mir immer wieder gesagt, dass dieser Kuss nicht war und auf ein weiteres Problem wollte ich verzichten.

 

 

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Vielleicht war es wirklich eine dumme Idee gewesen. Den restlichen Unterricht, konnte ich kaum mitarbeiten. Immer wieder war da diese Szene mit dem Kuss vor meinen Augen. Und Mr. Connors, der mich um ein Gespräch bat. Ich hatte es ihm verwiegen, obwohl er darauf Anspruch hatte. Ich hatte ihn geküsst! Klar, wollte er mit mir darüber sprechen und mir klar machen, dass ich mir keinesfalls Hoffnungen machen sollte oder dass ich mich in jüngere verlieben sollte.

Aber weder machte ich mir Hoffnungen, noch war ich in ihn verliebt. Ich hatte ihn geküsst, ja das stimmte, aber doch nur, weil ich aufgewühlt war. Wegen nichts anderem… Ich sah Mr. Connors heute kein weiteres Mal mehr in der Schule.

Ich wusste nicht, ob ich darüber froh oder traurig sein sollte. Ich hatte gerne mit ihm geredet, vor allem, da er der einzige war dem ich das erzählen konnte. Clare wusste jetzt einiges, aber ich konnte mich ihr nicht anvertrauen. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um mich machte, dass hatte sie nicht verdient. Mr. Connors hingegen kannte ich kaum, weshalb ich mit ihm sprechen konnte. Ich hatte Clare nach dem Nachmittagsunterricht bei sich abgesetzt und war auf den Weg nachhause.

Mich würde eine Menge Ärger erwarten, aber nicht mal das brachte mich aus diesem tranceähnlichen Zustand, in dem ich mich seit dem Gespräch mit Mr. Connors befand. Er hatte ein Recht darauf mit mir zu reden. Ich parkte ausnahmsweise in der Garage, schloss mein Auto ab und ging in das Haus. In der Küche blieb ich stehen und sah den Zettel auf dem Kühlschrank befestigt.

 

Dein Vater musste dringend ins Ausland. Ich bin mitgefahren.

Elise wird für dich kochen. Sei artig und benehme dich. Kommen am Dienstag wieder.

Bussi Mum

 

Unser Gespräch würde sich also noch um weitere Tage verlängern. Froh darüber, dass ich nicht schon heute den Anschiss bekam, ging ich gut gelaunt in mein Zimmer. Ich machte meine Hausaufgaben, lernte ein wenig für den Test. Ich hörte Elise das Haus saugen, doch das nahm ich nicht wirklich wahr. Ich konzentrierte mich darauf, alles zu erlernen, damit ich morgen den Test bestand. Er war ein wichtiger Test für das Wintersemester und wenn ich eine gute Note hatte, musste ich nur noch die Schularbeit hinbekommen und alles war gut. Ich lernte zwei Stunden lang. Es war sechs Uhr, als ich das Buch zuschlug und mir überlegte, ob ich schwimmen gehen sollte.

Unser Swimmingpool konnte im Winter geheizt werden und das hieß, dass ich auch im Winter schwimmen gehen konnte. Das Wasser erreichte eine Temperatur von fast 40° Celsius, was das Schwimmen im Winter angenehmer machte. Also zog ich mir einen schwarzen Badeanzug an und nahm ein extra großes Badetuch in die Hand. Ich stellte die Beheizung für das Schwimmbad an und wartete eine halbe Stunde, ehe das Wasser die Temperatur erreichte und mich hineinglitten ließ.

Ich seufzte auf und schwamm einige Runden, um mich warm zu machen. Immer schneller schwamm ich umher, es war so, als schwamm ich vor all meinen Problemen weg. Ich konnte ihnen nicht entfliehen, aber es war so als könnte ich ihnen ‚entschwimmen‘.

Außer Puste stieg ich aus dem Schwimmbad und blieb mitten in meiner Bewegung stehen. „Erschrecke mich doch nicht so, Elise!“, schrie ich auf und griff mir ans Herz. Es schlug heftig gegen meinen Brustkorb. „Ich wollte Sie zum Essen holen, Miss Adams.“

„Was gibt es denn?“

„Ich habe einen Fisch mit Kartoffeln zubereitet, Miss.“ Ich biss mir genüsslich auf die Lippe. Mein Dad hasste Fisch und es kam selten einer auf den Tisch.

„Würdest du mit mir speisen, Elise? Ich will nicht alleine zu Abend essen.“ Nach einem kurzen Zögern, nickte Elise und wir aßen das Abendessen. Elise ließ es sich dann aber nicht nehmen, dass ich den Tisch abräumte oder dass ich etwas anderes half. Sie verbat es mir regelrecht und schickte mich auf mein Zimmer, damit ich mich ausruhen konnte.

Ich entschied mich eine Runde duschen zu gehen und mich mental auf das Gespräch mit Mr. Connors vorzubereiten. Morgen hatte ich noch eine weitere Stunde Mathe. Ich verfluchte meinen Stundenplan. Vier Stunden Mathematik, aufgeteilt auf dreimal in der Woche. Wer hatte so sehr die Schüler gehasst, damit er uns dies antun konnte?

Nach der Dusche zog ich mir eine lange Pyjamahose an und ein pinkes T-Shirt mit einem Hasen oben drauf. Ich schritt zum Fenster, öffnete es und ließ die frische Luft hinein. Ich schmiss mich aufs Bett, nahm mein Handy in die Hand und hoffte, dass sich Charlie gemeldet hatte. Seit gestern, hatten wir weder gesprochen noch uns gesehen.

Kein Anruf und keine Nachricht.

Es war so, als würde mir Charlie aus dem Weg gehen. Das Klopfen an meiner Tür, ließ meine Gedanken verschwinden. „Ja, bitte?“, fragte ich und Elise steckte den Kopf hinein.

„Ich habe alles erledigt, Miss. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne nachhause gehen.“

„Sie können gehen. Wir sehen uns morgen erst zu Mittag, Elise. Und vergesse bitte nicht, den wöchentlichen Einkauf. Und meine Cornflakes“, entließ ich sie.

„Vielen Dank, Miss Adams. Sind Sie sicher, dass ich erst zum Mittag auftauchen soll?“ Ich nickte und sie wünschte mir eine gute Nacht. Ich hasste es alleine in diesem Haus zu sein. Vor allem, wenn es dunkel war. Ich verkroch mich unter meiner Bettdecke und kniff die Augen zusammen.

 

 

#

Ein lautes Geräusch weckte mich auf. Etwas fiel auf den Boden. Ich schreckte auf und sprang aus dem Bett. Was zur Hölle war das? Licht brannte in meinem Zimmer. Hatte ich es nicht ausgeschaltet? Mit klopfenden Herzen sah ich zum Fenster. Ich hatte es vergessen zu schließen. Die Vase mit den Blumen stand nicht mehr auf der Fensterbank.

Ich nahm eine Taschenlampe in die Hand, leuchtete damit nach draußen. Unten auf dem Boden lag die Vase. Das war das Geräusch gewesen, das mich aufgeweckt hatte. Kein Einbrecher, was mich aufatmen ließ. Ich wollte die Taschenlampe ausschalten und wieder ins Bett gehen, als ich eine Bewegung im Dunkeln sah. War doch ein Einbrecher hier und war aus dem Fenster geklettert? Die Taschenlampe leuchtete zu unserem geschwungenen Holzzaun, der auf einer kleinen Mauer stand.

Dort stand Mr. Connors und sah mich an. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück, hielt aber immer noch Blickkontakt mit ihm. „Erschrecken Sie gerne Leute mitten in der Nacht, Mr. Connors?“, fragte ich.

„Nein, ich bin durch ein Geräusch erwacht und habe nachgeschaut, was Sie um drei Uhr morgens denn bitteschön anstellen.“

Empört sah ich ihn an.

„Ich? Ich habe geschlafen!“, verteidigte ich mich.

„Also sind Sie nicht wieder hochgeklettert?“

„Nein, bin ich nicht.“

Auf einmal flog ein Vogel von einem Baum und krähte herum. Voller Panik schrie ich auf und wich einen erneuten Schritt zurück. Habe ich schon jemals erwähnt, dass ich die Dunkelheit hasste? „Das war nur ein Vogel“, beschwichtigte mich Mr. Connors und ich ging wieder einen Schritt vor. Gerne hätte ich Clare angerufen, damit sie zu mir kam, aber sie würde gewiss schon schlafen. „Die Vase“, sagte ich plötzlich, „Das Geräusch. Es war meine Vase. Der Wind hat sie hinuntergeschmissen.“

Ich deutete hinunter zu dem Scherbenhaufen. Tyler folgte meinen Blick, doch wahrscheinlich konnte er außer der Dunkelheit nichts sehen.

„Das Fenster sollte man immer schließen. Doch Scherben bringen bekanntlich Glück“, belehrte mich Mr. Connors.

„Habe es vergessen. Ich werde wieder ins Bett gehen.“ Dennoch blieb ich dort stehen. Liebend gerne hätte ich die ganze Nacht mit Mr. Connors geredet, doch wusste ich, dass das nicht möglich war.

„Gute Nacht, Cheyenne.“

„Gute Nacht, Tyler“, wünschte ich ihm und wollte das Fenster schließen, doch ich hielt inne. „Es tut mir Leid.“ Verwirrt sah mich Mr. Connors an. „

Wegen heute. Wegen gestern“, sagte ich knapp, „Ich wollte Sie nicht küssen. Sowieso war der Kuss so kurz, man könnte es so sehen, dass er gar nie passiert ist. Und wegen heute … es war nicht fair von mir.“

„Einsicht ist der erste Weg zur Besserung.“

Ich runzelte meine Stirn.

„Typisch Lehrer“, murmelte ich und schüttelte den Kopf.

„Wollen Sie mir Gesellschaft leisten? Ich … meine Eltern sind nicht zuhause und ich hasse es alleine zu sein.“ Mein Lehrer lachte.

„Werden Sie nicht Achtzehn?“

„Ja und? Ich meckere doch auch nicht rum, wenn sie mir Lebensweisheiten an den Kopf werfen.“

Mr. Connors stieg über den 50 Zentimeter Zaun, ich schloss das Fenster und ging nach unten, um die Tür zu öffnen.

„Treten Sie ein, Mr. Connors. Willkommen bei Familie Adams. Leider ist zurzeit nur die Tochter anwesend, der Rest hat sich verpisst.“

„Wo sind deine Eltern?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Irgendwo im Ausland. Keine weiteren Informationen vorhanden.“, ich sah Mr. Connors belustigt an, „Aber ich kann Ihnen einen Kakao anbieten?“ 

12. Scherbenmeer

 

„Hier der Kaffee.“

Wir saßen in der Küche auf dem Hocker der Kücheninsel. Mr. Connors sah sich aufmerksam um und nahm dem Kaffee kaum war. „So toll ist es nicht, stimmt’s?“ Mein Lehrer sah mich an, nahm das braune Getränk in die Hand und zuckte mit den Schultern. „Es hat etwas. Schön eingerichtet.“

„Ähm … ich werde es dem Innenausstatter ausrichten.“ Ich nahm mein Glas Wasser in die Hand und trank einen Schluck.

„Cheyenne, das wegen gestern“, fing mein Lehrer an. „Es wird nicht wieder vorkommen. Ich weiß nicht, was mich da geritten hat, aber es war das erste und letzte Mal!“, sagte ich sofort und sah ihn an.

„Ich bin dein Lehrer“, setzte er trotz meiner Worte fort. „Das weiß ich doch alles! Ich will ja nichts von Ihnen. Sie sind mein Lehrer, ich rede nur gerne mit Ihnen.“

„Das kostet es meinen Job. Egal ob du diejenige warst, die angefangen hat“, schwafelte er unbeirrt weiter. „Ich weiß“, sagte ich wieder, doch er schien mich nicht zu hören.

„Du hast Charles Junior.“

„Das weiß ich alles!“, rief ich aus und mein Lehrer zuckte zusammen. „Tut mir Leid. Wollte nicht schreien, aber Sie hören mir gar nicht zu!“

Ich warf einen verärgerten Blick zu Mr. Connors. „Weißt du auch, dass ich ins Gefängnis wandern könnte?“ Ich schüttelte den Kopf. Es war verboten, das auf jeden Fall. Also sollte es mich nicht wundern, dass eine Haftstrafe auf einen warten konnte. Wie viele Jahre waren es wohl? Wegen einem kleinen Kuss. „Ich werde keiner Menschenseele etwas erzählen, Mr. Connors. Ich nehme es mit ins Grab!“, flüsterte ich.

Keineswegs wollte ich, dass er wegen mir dorthin kam.

In eine graue, kleine Zelle.

Mr. Connors erwiderte darauf nichts, er blieb still und trank seinen Kaffee. Auf einmal war ich mir nicht mal mehr sicher, ob er hier sein sollte, ob ich noch mit ihm reden sollte. Wenn ich wieder so komisch drauf war, küsste ich ihn da auch? Ich sollte ihn vor mir schützen.

„Man könnte uns jetzt auch schon was vorwerfen“, teilte ich ihm mit, „Es muss Sie nur jemand sehen und dann sind Sie dran. Ich glaube kaum, dass die Wahrheit Ihnen helfen wird.“

Mein Lehrer sah mich an.

„Und was willst du damit sagen?“

„Sie sollten gehen. Reden Sie mit mir nur im Unterricht und ansonsten nie wieder“, sagte ich. Auf keinen Fall wollte ich, dass er nie wieder mit mir sprach, aber es musste so sein. Es war gefährlich und er sollte nicht den Job wegen mir verlieren. Nur weil ich gerne mit ihm sprach…

Nein, das war nicht in Ordnung.

„Cheyenne wir reden bloß“, beschwichtigte er mich, aber mich hielt es nicht zurück. Andere in ihr Unglück stoßen? Nein, das war ich nicht. Es reichte, wenn ich in meinem eigenen Unglück gefangen war. „Gehen Sie! SOFORT!“

Ich sprang von der Theke, sah ihn wie eine Wilde an. Wortlos verschwand er und ließ mich zurück.

Alleine.

Wütend.

Traurig.

Ich schmiss die Tasse Kaffee von der Theke, fegte mein Glas gleich dazu. Ich hatte ihn verstoßen. Jemand, der mir half, nicht zu verzweifeln. Jemand, mit dem ich reden konnte. Jemand, der mir ein kleines bisschen etwas bedeutet hatte. Er war zu einem Freund geworden, doch das ging doch schon über die Schüler-Lehrer-Beziehung überaus? In meiner Wut lief ich direkt in eine Scherbe hinein. Scherben bringen Glück? Das war doch so ein Blödsinn! Ich betrachtete den Boden. Das braune Gesöff lag verteilt auf den Boden, Scherben übersäten den Boden.

Es sah aus wie mein Leben. In Scherben.

Ich ließ alles dort liegen, Elise konnte das morgen putzen. Ich musste erst meinen Fuß verarzten, denn Blut mischte sich mit dem Kaffee auf den Boden und ließ es noch ekliger aussehen. Ich zupfte die Scherbe aus meinem Fuß, schmiss sie zu dem Scherbenhaufen und reinigte meinen Fuß. Desinfizierte ihn und verband ihn mit einer Bandage. Ich humpelte auf mein Zimmer, legte mich ins Bett und schrie einfach.

All meine aufgestauten Gefühle gegenüber meinem Vater schrie ich heraus. Ich schrie in mein Kissen und hörte erst auf, als ich keine Luft mehr bekam.

Dann blieb es ganz ruhig.

Nur mein Atmen war zu hören. Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war schon nach vier Uhr. Mr. Connors war eine geschlagene Stunde bei mir gewesen. Ich schloss meine Augen, versuchte verzweifelt, dass ich dieses komische Gefühl in meinem Magen vertrieb. Das Gefühl, dass ich Mr. Connors verscheucht hatte und er nie wieder mit mir sprach. Außer im Unterricht. Eine Träne lief meine Wange hinunter und ich wischte sie mir weg. Es hieß jetzt aufstehen, ein falsches Lächeln aufsetzen und weitergehen. Denn das war das, das ich schon immer gut konnte…

 

 

#

Der Morgen begann recht hektisch. Ich stand eine Viertelstunde zu spät auf und hatte gerade noch Zeit, mich anzuziehen, mich frisch zu machen und mir eine Thermoskanne mit Kaffee zu füllen, damit ich den in der Schule trinken konnte. Den Rest des Kaffees füllte ich in eine riesen Tasse und trank es sofort aus. Ich war müde, dass sah man auch an meine Augenringe, die ich geschickt kaschiert hatte. Ich sah aus wie immer.

Die perfekte Tochter.

Nur fühlte ich mich keineswegs so. Heute hatte ich mir eine hellgraue Jeans angezogen und dazu einen feinen, warmen Kaschmirpullover. Draußen schneite es, aber ich konnte mich nicht daran erfreuen. Ansonsten war ich immer diejenige die am Begeisterten war, doch heute konnte ich nichts dergleichen fühlen. Alles in mir schien leer zu sein. Da ich zu spät dran war, fuhr Clare mit dem Bus und stieg bei meiner Haltestelle aus. Sie würde dort warten, bis ich kam. Ich nahm die Thermoskanne in die eine Hand, den Autoschlüssel in die andere. Mit einer zu schnellen Geschwindigkeit kam ich bei der Haltestelle an und ließ Clare einsteigen. „Du siehst irgendwie gehetzt aus“, begrüßte sie mich.

„Verschlafen“ murmelte ich, zündete eine Zigarette an und fuhr weiter. „Bist du schon aufgeregt wegen dem Test?“, fragte sie mich und ich stöhnte. Ich war die Müdigkeit in Person. Wie sollte ich diesen Test nur meistern?

„Nein. Du?“

„Total. Ich habe wie eine wahnsinnige gelernt. Hey! Achtung! Rote Ampel, Cheyenne!“, schrie Clare, aber ich ignorierte die Ampel. Zu meinem Glück war weder eine Polizei in der Nähe, noch ein Auto, in das ich gefahren wäre. „Bist du irre?“, fuhr sie mich an und strich sich durch die Haare.

„Ich will noch länger leben, also bitte fahre angemessen.“ Wie ich dieses Wort hasste.

Angemessen.

„Tut mir Leid, Clare“, entschuldigte ich mich. Sie hatte es nicht verdient, dass ich den Zorn auf sie projizierte. Ich fuhr zur Schule, parkte und schaltete den Motor ab. Der Unterricht würde in einigen Minuten beginnen und wir liefen zur Klasse. Deutschunterricht erwartete uns und während dieser Stunde trank ich die ganze Thermoskanne aus. Nach dem Unterricht kaufte ich mir in der Schulcafeteria drei Becher Latte Macchiato von dem Emmi Caffe Latte, den ich so gerne mochte.

„Glaubst du nicht, dass du genug getrunken hast?“, fragte sie mich und musterte die Becher kritisch. „Sonst bekommst du noch einen Koffeinrausch und das ist nicht gut.“

Ich winkte ab.

„Unsinn.“

Ich betrat unsere Klasse, wo unsere Englischlehrerin schon stand. „Der Kaffee wird aber nicht während des Testes getrunken, Cheyenne. Stelle ihn bitte auf den Lehrerpult und nach der Stunde kannst du ihn wieder haben.“ Ich öffnete den ersten Becher, trank ihn schnell auf und die anderen zwei folgten. „Schon fertig“, sagte ich. Meine Lehrerin sah mich entgeistert an.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“

„Mit mir? Ja klar, ich freue mich schon richtig auf den Test.“

Ich ging zu meinem Platz, setzte mich nieder und ab da fing es an bergab zu gehen. Koffeinrausch. Mir wurde schwindelig vor den Augen und als wir den Test nach dem Läuten bekamen, konnte ich kaum schreiben, weil meine Hände zitterten. Mein Herz raste und ich konnte mich nicht konzentrieren.

Wie ich den Test bestehen konnte, war mir schleierhaft. Ich stürmte nach dem Abgegeben aus der Klasse, obwohl noch Unterricht war und fiel auf den Boden.

Übelkeit stieg in mir hoch und ich ergab mich Mitten in dem Flur. Die Tür wurde aufgerissen und meine Lehrerin stand vor mir. „Um Gottes Willen“, rief sie aus und hielt sich die Hand vor den Mund. Clare stürmte ebenfalls hinaus und ließ sich neben mich fallen.

„Cheyenne, sieh mich an.“

Immer noch zitterte mein ganzer Körper, aber mein Magen hatte sich beruhigt. „Holen Sie den Hausmeister, Mrs. Harris!“, wies Clarissa an, „Und ich werde die Rettung anrufen.“ Ich stand mit wackeligen Beinen auf. „Mir war nur schlecht, Clare. Alles in Ordnung.“

Ich sah sie an und bemerkte wie jemand am anderen Ende des Flures stand. Mr. Connors. Ich beachtete ihn nicht, schon schlimm genug, dass ich hier den Flur angekotzt hatte.

„Bist du dir sicher?“, fragte sie und ich nickte.

„Ja, du hattest mit dem Koffeinrausch Recht.“ Angewidert sah ich mein Erbrochenes an, war kurz davor wieder zu würgen. „Ich werde nachhause fahren.“ Ich hob meine Tasche auf, die von meinem Mageninhalt verschont geblieben war.

„Was? Oh nein, du wirst nicht nachhause fahren!“

Ihre Worte hielten mich nicht auf.

„Ich bin auch vorsichtig.“

„NEIN, Cheyenne, verdammt! Dir geht es ganz und gar nicht gut und du wirst nicht fahren!“ Ich zuckte zusammen. Clare bekam selten einen Wutausbruch, aber dieser glich fast einem. Ich blieb stehen und sah sie an, ehe ich zu ihr lief und sie in meine Arme nahm.

„Ich habe dich echt nicht verdient, Clare. Du bist immer so fürsorglich.“ Und das war ich einfach nicht gewöhnt. Meine Eltern hätten mich fahren gelassen, ihnen wären die Konsequenzen nicht klar gewesen. „Du wartest jetzt auf mich. Ich werde dich nachhause bringen. Mit dem Bus leider.“

Ich nickte ihr zu. Ich hatte sie nicht verdient. Nicht nachdem ich ihr so viel verschwieg. „Sie könnte auch mit mir fahren. Sie wohnt nicht weit entfernt von mir und nach dieser Stunde habe ich eine Freistunde“, schaltete sich Mr. Connors ein.

Erschrocken darüber, dass er noch da war, zuckte ich erneut zusammen.

Nicht weit entfernt?

Das war echt eine grobe Umschreibung von Nachbarn.

„Macht Ihnen das keine Umwege, wenn sie extra nachhause fahren müssen?“

„Nein, dann müssen Sie nicht Ihren Unterricht verpassen.“ Ich sah zwischen den beiden hin und her und hoffte, dass Clare mich nachhause bringen würde. „Cheyenne, entscheide du. Mir ist es egal.“ Ich sah beide mit großen Augen an. Hinter uns fing der Hausmeister an zu putzen und murmelte immer wieder Wörter wie ‚Die hatte aber viel im Magen‘ oder ‚Ich hasse diesen Job‘.

Mein Körper zitterte immer noch. Das hatte ich davon, wenn ich über zwei Liter Kaffee trank. „Mir auch. Ich will nur nachhause“, quengelte ich wie ein kleines Kind und Clare nickte unserem Lehrer zu. „Mr. Connors fährt dich, dann bist du schneller zuhause.“

„Ich werde auf Ihre Klasse aufpassen, Herr Kollege. Es ist gleich Pause, welche Klasse haben Sie danach?“, fragte meine Englischlehrerin.

„Keine. Vielen Dank!“

Er stützte mich und brachte mich zu seinem Auto. Ich hatte Clare nur kurz zugenickt, schon saßen wir im Auto und Mr. Connors fuhr mich nachhause. „Was hast du, Cheyenne?“

„Zu viel Kaffee.“

Ich betrachtete meine Hände, die immer noch zitterten.

„Was machst du nur für Sachen?“, fragte er und schüttelte den Kopf. „Was machen Sie für Sachen?!“, empörte ich mich, „Ich wollte sie nicht in Schwierigkeiten bringen, wenn ich mit Ihnen rede und habe Ihnen gesagt, dass … ach verdammt!“, fluchte ich und fuhr mir durch die Haare. „Warum konnten sie nicht zurück in Ihre Klasse gehen?“ Wir hielten vor seinem Haus. Mr. Connors sagte nichts.

„Warum. Konnten. Sie. Nicht. Zurück. In. Ihre. Klasse. Gehen?!“

„Weil ich mir Sorgen gemacht habe. Deinen Eltern ist es vielleicht egal, wie es dir geht, aber mir ist es nicht egal!“

Mein Kopf schnellte zu ihm. „Sie sollten sich keine Sorgen machen.“

„Warum nicht? Sie sind einer meiner Schüler. Eine meiner Schutzbefohlenen. Ich werde mir immer Sorgen machen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ Ich musterte meinen Lehrer noch eine Minute lang, ehe ich die Tür öffnete. „Danke fürs Fahren. Ich gehe in mein Haus.“

Mr. Connors stieg ebenfalls aus.

Er ignorierte meine Einwände, dass ich ganz gut alleine mein Haus fand, schwafelte etwas von ‚Das letzte Mal hast du unsere Häuser auch verwechselt‘ und brachte mich zu mir. Ich sperrte auf, ging in die Küche, wo ich mir einen Tee machen wollte. Dass Elise nicht hier war und somit der ganze Scherbenhaufen noch da war, hatte ich vergessen. Mr. Connors war mir gefolgt und sah erschrocken den Boden an, wo die Scherben, der Kaffee und mein Blut noch auf dem Boden waren…

13. Arme herzeigen, bitte

 

„Was ist da denn passiert?“, war die erste Frage die er aussprach. „In Filmen werfen die doch auch immer mit Glas. Ich dachte, dass würde Spaß machen“, versuchte ich daraus einen Witz zu machen, aber Mr. Connors sah weiterhin ernst drein.

„Cheyenne, was hast du gemacht?“

Ich stöhnte auf.

„Sieht man das nicht? Ich bin ausgetickt und habe mein Glas und die Tasse samt Inhalt auf den Boden geschleudert!“ Der Tee war mir ehrlich gesagt vergangen. Ich wollte meine Ruhe haben und doch schickte ich meinen Lehrer nicht raus. Ich hätte es tun sollen, aber ich wollte seine Nähe, wollte ihn bei mir haben. Es war völlig verkehrt, aber so war es.

„Aber warum?“ War das heute unser Lieblingsworte?

Warum, warum, warum.

„War wütend.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Cheyenne“, fing mein Lehrer an, aber ich unterbrach ihn sofort. „Wehe du kommst mit irgendwelchem dummen Satz in dem die Wörter ‚Hilfe‘ oder Psychiater‘ und ‚nicht normal‘ vorkommen.“ Aber das tat er nicht, er nahm mich in die Arme und strich mir über den Rücken.

„Es wir alles gut“, flüsterte er und ließ mich los. Erst da schien er zu merken, dass rote Flüssigkeit neben dem Kaffee lag und nahm meine Arme.

Sofort zog er den Pullover hoch und atmete erleichtert aus.

„Was wird das?“, fragte ich ein wenig belustigt. „Das ist doch Blut?“

„Ja? Und was hat das mit meinem Arm zu tun?“

„Vielleicht ritzt du dich ja“, murmelte er.

„Nein! Ich bin nur in eine Scherbe hinein.“ Ich zog meinen Schuh aus und streckte den verletzten Fuß in die Höhe. „Nichts Schlimmes. Ich spüre es gar nicht mehr“, beruhigte ich ihn sofort. „Du machst andere echt gerne Sorgen.“ „Nein, niemand hat sich bisher Sorgen gemacht. Mit Ausnahme Clare.“ Unwillkürlich lächelte ich Mr. Connors an.

„Cheyenne, du wirst mich jetzt nicht-“

Ich unterbrach ihn wieder.

„-werde ich nicht. Ich werde gar nichts tun.“ Ich wandte den Blick von Mr. Connors. Es hatte keinen Zweck. Die Wahrheit war ganz klar und deutlich vor mir zu sehen. Mr. Connors war kein Lehrer für mich. Er war auch kein Freund. Er war der, den ich liebend gern näher kennengelernt hätte. Derjenige, der etwas in mir zum Brennen brachte. Ich hatte gedacht, dass alle Bücher wegen der Liebe lügen würden. Zu viel hineininterpretierten, aber das erste Mal konnte ich die Protagonisten nachvollziehen. Sie verstehen, weshalb sie so hormongesteuerte Nichtsnutze wurden.

„Cheyenne, sei bitte nicht traurig.“

Mein Lehrer hatte mein Abwenden falsch verstanden. Er berührte leicht meinen Arm. „Ich bin nicht traurig. Weshalb sollte ich?“

Er antwortete nicht.

„Ich gehe ins Bett“, sagte ich und verschwand aus der Küche. Ich begleitete Mr. Connors noch nach draußen. „Ich komme nach dem Unterricht vorbei und sehe nach dir“, verabschiedete er sich. „Müssen Sie nicht. Clare wird gewiss auftauchen und wenn Sie hier erscheinen, wird sie sich ihren Teil denken.“ Ich schloss die Tür und hörte wie Mr. Connors ging.

Erst dann machte ich mich auf den Weg in mein geliebtes Bett, doch wegen dem ganzen Koffein, den ich intus hatte, konnte ich nicht einschlafen. Zumindest hatten die Symptome aufgehört, das war schon etwas. Ich blieb also die ganze Zeit wach, grübelte darüber nach, was das mit Mr. Connors war. Ich war gerne in seiner Nähe, ich hatte auch schon daran gedacht ihn zu küssen. Verdammt, ich hatte ihn schon sogar geküsst.

Und warum dachte ich über ihn nach, er war mein Lehrer und er hatte mir ja gesagt, dass er nicht in ein Gefängnis gehen wollte. Und ich wollte ebenso wenig, dass er dorthin kam. Ich musste mich ein wenig von ihm distanzieren, sonst würde mein Herz nicht nur für ihn schwärmen.

Nein, wenn es weiter so ging, konnte ich nicht versichern, ob ich mich nicht verlieben würde…

 

 

#

Es war ein Wunder, dass ich doch noch eingeschlafen war. Wann genau, das wusste ich nicht, aber es musste vor Mittag gewesen sein, da Elise noch nicht hier war. Jetzt aber konnte ich sie wieder saugen hören. Ich blinzelte gegen die Sonne, die in mein Zimmer schien. Das Schneetreiben war vorüber, die Sonne kam hervor. Ich gähnte kurz und streckte mich.

„Hast du gut geschlafen?“

Ich drehte mich zu meiner Couch um und erblickte Clare. Ich grinste sie an. „Oh ja und wie.“

Ich krabbelte aus dem Bett und setzte mich zu Clare. Dort kuschelte ich mich an sie und sah sie entschuldigend an. „Es tut mir leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe“, flüsterte ich.

„Nächstes Mal hörst du auf mich, okay?“

Ich nickte.

„Ich werde jetzt für eine Weile, die Finger von Kaffee lassen. Da nehme ich doch lieber Kakao!“ Clare strich mir durch die Haare. Wir hatten schon immer so eine enge Beziehung. Wir schämten uns nicht und zogen uns auch voreinander um. Ich liebte Clare. Wie eine Schwester.

„Elise hat dir eine Suppe gekocht“, teilte sie mir mit und ich stand auf.

„Mmmh eine Suppe.“

Ich zog Clare mit.

„Ich hoffe, du hast noch nichts gegessen.“ Clare schüttelte den Kopf und so schöpften wir uns etwas von der Suppe. „Guten Appetit!“. wünschte uns Elise, die gerade in die Küche kam, um dort ein wenig zu putzen. Wir bedankten uns und fingen an auf der Kücheninsel unsere Suppe zu löffeln. Sie schmeckte gut, was auch daran lag, dass ich verliebt in Tomatensuppe war. Es gab nichts Besseres.

Naja vielleicht Pfannkuchen.

Von denen konnte ich auch nicht genug bekommen.

Und von Schokolade brauchte ich erst gar nicht anzufangen. Das war schon regelrecht eine Sucht.

Danach spazierten wir ein wenig in der Gegend herum, gingen zum Park, um uns ein wenig auszuruhen. Wir sprachen nicht miteinander, wir genossen einfach die Stille. „Ich habe heute nach der Schule Charlie gesehen. Mit einem Mädchen.“

Empört sah ich sie an.

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Ich war nicht wütend, weil er eine andere hatte. Nein, ich war sauer, weil er es mir hätte sagen müssen, damit wir unsere ‚Beziehung‘ auflösten. Wenn das wahr war, dann würden bald alle davon erfahren, dass Charlie nicht treu bleiben konnte. Was hatte er also davon? Außer, dass er als Schwein abgestempelt wurde und jeder mich mit mitleidigen Blicken bedachte? Und schon entdeckte ich die ersten mitfühlenden Blicke. „Ich bringe ihn um! Wahrscheinlich kann ich ihm den Arsch retten!“, gab ich aufgebracht von mir und stand auf. „Wir gehen wieder. Ich hasse es, wenn ich das Gesprächsthema bin!“

Das hasste ich an dieser Stadt. Mit fünftausend Einwohnern war man schnell Nummer 1 der Gesprächsthemen. Mann wusste alles sofort, es war selten, etwas zu verbergen. Wem das gelingen würde, dem würde ich stundenlang damit nerven zu fragen wie das möglich war. Aber das würde bei mir nie gehen. Mein Vater war hier bekannt. Er war der Bürgermeister der Stadt.

Jeder hier kannte ihn.

Liebte oder hasste ihn.

Und das gleiche taten sie bei mir. Lieben oder hassen. Zu meiner Überraschend wartete Charlie bei mir zuhause auf mich. Clare ging auf mein Zimmer, während ich mit Charlie nach draußen ging.

„Du hättest mir sagen können, dass du dich mit einem Mädchen triffst! Mensch, jeder denkt jetzt, dass du mir fremd gehst und ich so ein dummes Mädchen bin, dass es nicht mitbekommt!“, kam ich gleich auf den Punkt. „Es war ja nichts. Ich habe mich nur mit ihr getroffen. Sie ist langweilig und kindisch und herrje, die Aussage ‚Blond macht dumm‘ passt perfekt zu ihr!“ Ich schlug ihn auf den Arm.

„Ich werde nicht so weitertun, wenn du dich weiterhin mit Mädchen triffst. Ich will nicht am Ende da stehen und jeder denkt sich, du hast mich nur verarscht!“ Charlie antwortete nicht, er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Und das war der Moment, wo ich merkte, dass Mr. Connors mehr in mir geweckt hatte, als anfangs vermutet. Plötzlich fühlte sich der Kuss mit Charlie falsch an und nur mit Mühe stieß ich ihn nicht weg. Ich beendete den Kuss rasch und strich mir lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht.

„Ich muss zu Clare. Wir sehen uns, ja?“

„Ich komme heute am Abend vorbei. Deine Eltern sind nicht zuhause, wie ich mitbekommen habe.“

„Rufe mich davor an. Vielleicht schläft Clare hier!“

Dass ich in Wahrheit Charlie nicht bei mir wollte, verschwieg ich. Charlie nickte mir zu und verschwand aus meiner Reichweite. Ich sah ihm nach, bis er weg war, dann schlenderte ich zu Clare. Sie saß auf meinem Bett, Schokolade neben sich und den Fernseher an. „Ich habe mir deine Schokolade geklaut. Sie hat mich angelächelt und gesagt, ich solle sie auffressen“, kicherte sie und ich stimmte in ihr Lachen mit ein.

„Blödmann. Rücke ein Stück raus.“

Ich schmiss mich auf mein Bett, klaute mir eine Rippe und aß sie genüsslich auf. „Was wollte Charlie?“ „Mir sagen, dass das mit dem Mädchen nichts war. Er will heute nochmal kommen.“ Meine Stimme musste nicht allzu fröhlich geklungen habe, denn Clare sah mich an.

„Willst du denn nicht, dass er kommt?“

„Weiß nicht. irgendwie fühlt sich das ganze nicht mehr so an, wie vorher.“

„Du hast dich in ihn verliebt?“, fragte sie erschrocken.

„Nein, oh, nein. Clare, Charlie ist und bleibt ein Freund. Ich habe mich nicht in ihn verliebt.“ Aber vielleicht in Mr. Connors… Sofort schüttelte ich den Gedanken ab.

Das durfte nicht sein.

Es war verboten, er könnte in den Knast wandern. Wenn ich mir das nur immer wieder sagte, würde ich vielleicht die Finger von ihm lassen. „Was ist dann los? Du warst Feuer und Flamme mit diesem Ablenkung-Ding.“ Nur war das Problem, dass ich an Kilian keine Sekunde mehr dachte. Jetzt war es Mr. Connors der meine Gedanken auf Trapp hielt. „Aber ich denke nicht mehr an Kilian. Die Gedanken über ihn … sie sind wie weggefegt.“ „Also hat es funktioniert? Der Sex hat deine Kilian-Gedanken vernichtet?“

Ich lachte.

„Nein! Das wäre nur Einbildung. Sex ist keine Lösung und das habe ich eingesehen. Ich habe Kilian endlich losgelassen, weil es Zeit wurde. Er ist weg, wir hatten eine kurze Beziehung und es war schön.“ Clare knuffte mich in die Seite. „Ich habe zuhause eine DVD. Die könnte dir gefallen“, lachte sie, „‘Kein Sex ist auch keine Lösung‘. Ich habe ihn zwar noch nicht angesehen, aber das können wir ja nachholen?“

„Oh ja. Der klingt doch gut“, kicherte ich.

Ich nahm noch eine Rippe Schokolade und ließ sie im Mund zergehen. Clare machte es mir nach und seufzte genüsslich.

„Schokolade ist echt das Beste das es gibt.“

Da konnte ich ihr nur zustimmen. Ich war ein richtiger Schokoladenfanatiker. Ich war süchtig danach. Clare blieb lange bei mir. ich konnte sie sogar überreden hier zu übernachten, weil ich keine Lust auf Charlie hatte. Ich hatte ihm benachrichtigt, dass Clare hier schlafen würde und wir uns ein anderes Mal sehen würden. Kurz nach zehn Uhr kam er jedoch und so sahen wir irgendeine Komödie zu dritt an. Charlie schlief nicht in meinem Bett. Die andere Bettseite war für Clare gedacht.

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, hatte er mich gefragt, aber ich hatte ihm sofort klar gemacht, dass er gar nicht hätte kommen müssen.

Beleidigt schlief er im Gästezimmer. „Das hätte mir nichts ausgemacht, dass ich im Gästezimmer schlafe.“

„Aber mir. Ich habe dich zum Übernachten eingeladen und nicht ihn. Jetzt soll er auch dort schlafen und du bleibst schön bei mir“, sagte ich zu Clare. Charlie konnte jetzt ruhig sauer auf mich sein. Es war mir irgendwie egal. Ich schmiss ihr einen Pyjama hin und wir zogen uns um. „Gute Nacht, Cheyenne.“

„Gute Nacht, Clare.“

14. Wochenende und eine freie Bude

 --demnächst--

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Tag der Veröffentlichung: 02.06.2014

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