Cover

Leseprobe

SALIM GÜLER

 

 

 

 

PETER WALSH

:FURCHT

Teil 3

Impressum

 

 

Autor:

Salim Güler

 

Kontaktmöglichkeit:

Salim.gueler@gmx.de

https://www.facebook.com/salimgueler.autor/

 

Lektorat:

Christian Albrecht

 

Korrektorat:

Textschmiede Officina Verbi

Katja Grüner

www.textschmiede-officinaverbi.de

 

Covergestaltung:

Casandra Krammer

 

Foto-/ Motivrechte:

© DeviantArt / Frame of Thoughts/ Lostandtaken.com 

 

 

Der Text aus diesem Buch darf nicht ohne Genehmigung vervielfältigt werden.

 

Copyright © 2016 by Salim Güler

 

  1. INHALTSVERZEICHNIS

 

 

  1. Das Buch

 

»Warte, Mami, ich hol sie dir ...", sagt die kleine Nina und rennt aus der Umkleidekabine, um ihrer Mutter die Jeans in einer anderen Größe zu besorgen.
Kurz darauf ist die Sechsjährige verschwunden, am helllichten Tag, inmitten eines gut besuchten Kaufhauses, ohne jegliche Spur.


Das Team um Manfred Wolke von der Kripo Köln geht von einem Sexualdelikt aus, den Täter vermutet man im Kreise der Familie. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt und jede Sekunde kann über Leben und Tod der kleinen Nina entscheiden.


Doch wie passt der medial veranlagte Ex-Topagent Peter Walsh in dieses Puzzle?
Ist Nina wirklich in den Händen eines kranken Pädophilen oder eines Kinderschänderrings? Oder steckt noch mehr dahinter?

 

Peter Walsh ist eine mehrteilige Thriller-Reihe, die keine Atempause und keinen Kompromiss zulässt!


 

 

  1. Hinweis

 

 

Die Thriller-Miniserie: Peter Walsh besteht aus vier Teilen und baut auf dem Prinzip von Fernseh Miniserien auf, das heißt, dass jeder Teil offen endet und der nächste direkt an diesen aufsetzt. Nur so kann eine Dramatik und Spannung erzeugt werden, die dann im vierten Teil im großen Finale aufgelöst wird.

 

Diese vier Teile sind:

 

Teil 1: ALBTRAUM

Teil 2: FALSCH

Teil 3: FURCHT

Teil 4: TRUG

 

Ich wünsche spannende Lesestunden!



 

 

  1. Der Autor

 

Salim Güler, aufgewachsen in Norddeutschland, studierte in Köln Wirtschaftswissenschaften und promovierte an der TU-Chemnitz. Er arbeitete lange Zeit in der freien Wirtschaft, zuletzt als Pressesprecher.

Schon als Schüler begann er mit dem Schreiben von selbsterfundenen Geschichten und diese Leidenschaft ließ ihn bis heute nicht los.

In seinen Romanen finden sich immer wieder gesellschaftlich aktuelle Themen, die er geschickt in eine fiktive und hoch spannende Geschichte einzubetten versteht.

Seine Bücher landen regelmäßig in den Bestsellerlisten der Verkaufs-Charts.

Salim Güler ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert und freut sich daher über jeden Kontakt, entweder über Facebook oder über seine Homepage.

www.salim-gueler.de

https://www.facebook.com/salim.gueler.autor

 

  1. Danksagung

 

Einen Mehrteiler zu schreiben, erfordert nicht nur viel Geduld, sondern auch jede Menge Recherche. Schließlich sollen die Annahmen durch Fakten und Hintergrundwissen belegt sein. Daher möchte ich an dieser Stelle einigen Menschen für ihre Hilfe und Unterstützung danken.

Dank gebührt der Polizei Köln für ihre wertvollen Tipps, damit die Polizeiarbeit in diesem Buch so realistisch wie möglich geschildert wird. Ebenso der Lebenshilfe e.V. Köln, die mir wertvolle Tipps über und Eindrücke von ihrer Arbeit gegeben hat. Herrn Jürgen Burkhart, Leiter der Stammzellenabteilung des Bayerischen Roten Kreuzes München sowie Dr. Roland Conradi, Ltd. Oberarzt der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Dr. Christof Jungbauer vom Österreichischen Roten Kreuz gebührt ebenfalls mein Dank.

Zuletzt möchte ich auch all denen, die nicht namentlich erwähnt wurden, recht herzlich für ihre Hilfe und Unterstützung danken, vor allem aber meinem Lektor Christian Albrecht, der sich mal wieder selbst übertroffen hat, Tina Alexy, meiner kritischen und wunderbaren Testleserin, und Casandra Krammer, die ein wunderbares Cover gezaubert hat.

Zum Schluss möchte ich natürlich auch Ihnen danken, dass Sie sich für meine Bücher entschieden haben. Ohne Sie wäre das alles hier nicht möglich.

 

 

 

  1. Vorwort des Autors

 

Vor geraumer Zeit kursierte auf Facebook die Meldung, dass in einem Einkaufszentrum ein Kind von rumänischen Frauen entführt worden sei. Bei diesen Frauen habe es sich um internationale Organhändler gehandelt, die Meldung verbreitete sich in Windeseile. Zum Glück stellte sich heraus, dass es nur ein sogenannter Hoax, eine Falschmeldung war. Die Urheber dieser Meldung hatten dennoch etwas Kriminelles im Sinn: In ihrer Nachricht verbarg sich ein Trojaner, der die Computer unwissender Facebook-Nutzer infizieren sollte.

Dennoch ließ mich diese Nachricht nicht los. Wie konnten Menschen mit solch einer Nachricht ihre Spielchen treiben? Wie konnten Menschen so skrupellos sein?

Und so entstand die Idee zu diesem Buch.

 

Ihr
Salim Güler

 

  1. Was bisher geschah

 

Im ZWEITEN Teil :ALBTRAUM wird die sechsjährige Nina am helllichten Tag vor den Augen ihrer Mutter in einem Kaufhaus entführt. Die Polizei bildet eine Soko. Kriminalhauptkommissar Manfred Wolke und sein Team sind mit der Suche beauftragt. Sie vermuten den Täter im Bekanntenkreis der Familie. Bei einem Routinebesuch beim geistig behinderten Bruder der Mutter entdeckt die Polizei den Teddybären von Nina. Somit ist für sie der Bruder der Hauptverdächtige.

Gleichzeitig und einige tausend Kilometer weit weg hat der Ex-Top-Agent Peter Walsh seit drei Tagen, den immer gleichen Albtraum. Er glaubt jedoch nicht an Zufälle, da er über mediale Kräfte verfügt. Walsh ist überzeugt, dass ein Mädchen ihn in seinen Träumen um Hilfe bittet. Er beschließt, nach Deutschland zu reisen, um seinen besten Freund Joe um Hilfe zu bitten. Joe ist ein US-Geheimdienstmitarbeiter und hat Zugang zu PRISM. Dank PRISM erfährt Walsh, dass Nina Vogel entführt wurde und dass sie seine Tochter ist, von der er nichts wusste.

Walsh ist bereit über Leichen zu gehen, wenn er seine Tochter damit retten kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  1. :FALSCH

 

 


Furcht ist die Folge der Hoffnung!

– Lucius Annaeus Seneca –

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Tag 3 nach der Entführung, irgendwo, 09:35 Uhr

 

„Sei still“, versuchte das kleine Mädchen ihre Zimmergenossin zu beruhigen, doch das andere Mädchen ließ sich einfach nicht besänftigen. Sie schrie weiter.

„Bitte, Kathrin, sei still. Sonst kommen sie“, bettelte sie, doch die Worte schienen an Kathrin abzuprallen, zu groß war ihre Furcht und zu stark ihre Angst. So sehr Kathrin sich auch bemühte, nicht zu schreien, es gelang ihr nicht. Es war die Gewissheit, bald sterben zu müssen, die ihr Handeln bestimmte.

„Bitteee, Kathrin!“, flehte das andere Mädchen. Doch Kathrin schrie weiter.

Sie konnte sich nicht erklären, warum Kathrin so sehr schrie. Es schien in Wellen einfach über sie zu kommen. Über mehrere Stunden hinweg konnte sie komplett ruhig und still sein, vielleicht schlafen, aber dann, wie aus heiterem Himmel, fing sie an zu schreien. Obwohl das kleine Mädchen schon seit zwei Tagen in diesem Zimmer gefangen gehalten wurde, hatte sie bisher nur kurz mit Kathrin sprechen können. Die meiste Zeit schien die andere sie einfach zu ignorieren. Dabei war es gerade in diesem dunklen und kargen Raum wichtig, jemanden zu haben, mit dem man sich unterhalten, der einen ablenken konnte.

Da das kleine Mädchen nicht auf Kathrin zählen konnte, schuf sie sich ihre eigene Fantasie-Welt. Im Träumen war das kleine Mädchen schon immer gut gewesen. Und wenn die Realität sie mit aller Wucht zurück ins Hier und Jetzt holte, versuchte sie zu schlafen. Trotz ihres geringen Alters wusste sie, dass sie sich nicht von der Angst beherrschen lassen durfte, sonst würde sie enden wie Kathrin.

Sie hatte in den wenigen kurzen Gesprächen mit ihr erfahren, dass Kathrin schon seit geraumer Zeit in diesem Zimmer war und auch, dass sie keine Deutsche war. Sie kam aus Österreich und war 9 Jahre alt. Wie lange sie schon in diesem Zimmer lebte, konnte oder wollte Kathrin ihr nicht sagen. Auch nicht, wie sie entführt worden war oder woher genau sie kam. Auf keine ihrer anderen Fragen bekam das kleine Mädchen eine Antwort.

Was immer die Männer, die sie in dieses Zimmer gesperrt hatten, mit ihr getan taten, es war so schlimm, dass Kathrin keine Kraft hatte, mit dem neuen Mädchen darüber zu sprechen. So viel verstand sie. Seit sie in diesem Raum gefangen gehalten wurde, wurde Kathrin mehrmals am Tag aus dem Zimmer gezerrt. Sie hatte sich nie wirklich dagegen gewehrt.

Wenn sie dann wieder in das Zimmer zurückgebracht wurde, fiel Kathrin sofort auf die Matratze und hielt sich den Bauch. Das kleine Mädchen hatte Blutflecken auf ihrem Kleid gesehen, die mit jedem Mal ein bisschen mehr wurden. Einmal, als sie weinend auf der Matratze lag, wollte sie Kathrin trösten, doch die drehte sich nur um und stieß sie zurück. Ein anderes Mal wollte das kleine Mädchen den Mann, der Kathrin aus dem Zimmer zerrte, aufhalten, doch der schubste sie einfach zu Boden und verschwand mit Kathrin aus dem Zimmer.

Kathrin war älter und größer als sie, sie war schon da gewesen, als sie in dieses dunkle Zimmer gebracht worden war. Sie konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, wie sie hierher gekommen war. Nur daran, dass sie geschlafen hatte und in diesem Zimmer aufgewacht war. Seitdem war nichts mehr wie zuvor.

Zunächst dachte sie, sie wäre in ihrem Bett, in ihrem Zimmer, in ihren vertrauten vier Wänden. Sie rieb sich die Augen und streckte die Arme, als sie die Umgebung jedoch richtig wahrnahm, erkannte sie die schreckliche Wahrheit, denn sie war nicht in ihrem Bett, nicht in ihrem Zimmer. Sie lag in einem kleinen, karg eingerichteten Raum mit zwei Matratzen auf dem Boden, einem Eimer für die Notdurft und ganz merkwürdigen Wänden, die aussahen, als hätte sie jemand mit Gummimatratzen verkleidet. Dass diese Gummimatratzen dazu dienten, dass sich die Insassen nicht absichtlich wehtaten, indem sie vielleicht ihre Köpfe gegen die Wand schlugen, konnte das Mädchen nicht wissen. Genauso wenig, dass sie eine Lärmisolierung waren.

Das kleine Mädchen tat das, was wohl jedes kleine Mädchen tun würde. Sie fing an zu weinen und nach ihrer Mutter zu rufen. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür und ihr Weinen verstummte. Sie blickte voller Hoffnung zur Tür, denn sie nahm an, dass ihre Mutter hereinkommen und ihr erklären würde, warum sie in diesem schrecklichen Zimmer war, danach würde sie sie in die Arme nehmen und trösten. Ihre Mutter würde ihr sagen, dass dies alles hier nur ein schlimmer Albtraum war, dass sie noch immer in ihrem Bett lag und ihre Mutter für sie da war.

Doch statt ihrer Mutter trat ein Mann in das Zimmer und stellte ein Tablett auf den Boden.

„Da, das muss bis morgen reichen.“

Das kleine Mädchen war verwirrt und bekam Angst. Sie kannte diesen Mann nicht. Und da ihre Angst ein Ventil brauchte, schrie sie, obwohl sie verstand, dass es nicht klug sein würde zu schreien - sie schrie trotzdem.

„Halts Maul. Dich hört hier eh niemand“, schnauzte der Mann das Mädchen böse an.

Doch sie konnte nicht anders, sie schrie immer lauter und dann sah sie, dass sie nicht allein war. In der Ecke zusammengekauert saß Kathrin. Sie schien apathisch, ihr Blick war auf das Tablett gerichtet. Jetzt waren alle Dämme gebrochen, das kleine Mädchen schrie aus voller Kehle.

„Halt endlich das Maul!“, brüllte der Mann und ging drohend auf das kleine Mädchen zu.

Gerade in dem Moment, als er ihr mit der Faust ins Gesicht schlagen wollte, wurde seine Hand zurückgehalten.

„Was soll das?“, fauchte der Mann.

„Lass sie in Ruhe!“, ertönte die Stimme eines zweiten Mannes ruhig und dominant.

„Misch dich nicht ein! Vielleicht lass ich sie auch was anderes schmecken als meine Faust ...“, sagte der Mann höhnisch. Der andere verstand die Andeutung und sein Blick wurde aggressiv.

„Du weißt, nur wenn sie unberührt ist, werden wir sie verkaufen können. Deinen Spaß kannst du mit einer anderen haben.“

„Aber sie gefällt mir ...“

„Ich sage es dir nur noch ein einziges Mal: Ich lasse mir das Geschäft durch deinen Schwanz nicht kaputt machen. Wenn du sie berührst, berühre ich dich“, betonte der Mann mit aller Autorität, die seine Stimme zuließ. Der andere zuckte kurz zusammen und lachte.

„Ganz ruhig, Langer. Mach doch nur Spaß. Nehm ich halt sie hier ... hehe ...“, flachste der Mann und ging auf Kathrin zu. Er zog sie an den Haaren hoch und verließ mit ihr das Zimmer. Kathrin schien es widerstandslos hinzunehmen. Das kleine Mädchen schaute dem Mann hinterher und ihr kleiner Verstand konnte nicht wirklich begreifen, was für eine Tragödie gerade ihren Lauf nahm.

Der andere Mann ging auf das kleine Mädchen zu.

„Hab keine Angst, dir wird niemand wehtun“, sagte er freundlich.

Das kleine Mädchen schaute nicht zu ihm auf. Sie hatte viel zu viel Angst. Vielleicht wollte dieser Mann ihr doch wehtun wie der, der eben das Zimmer verlassen hatte.

„Iss. Es ist wichtig, dass du bei Kräften bleibst“, versuchte der Mann mit sanften Worten ihr Vertrauen zu gewinnen. Und dann machte es Klick bei dem kleinen Mädchen.

Die Stimme kam ihr bekannt vor. Vorsichtig wagte sie einen Blick. Sie schaute zu dem Mann auf und erkannte sein Gesicht. Sie hatte sich nicht geirrt! Sie kannte den Mann, der sie hier gefangen hielt. Und damit kam auch die Erinnerung daran zurück, wie sie entführt worden war. Und sie? Sie war Nina Vogel!

Kapitel 2

 

Tag 2 nach der Entführung, LKA Köln, 17:15 Uhr

 

Wolkes Gesichtsausdruck musste Bände gesprochen haben, als Marc andeutete, dass er noch ein zweites Geheimnis habe. Auch wenn er während des Verhörs immer wieder große Zweifel gehabt hatte, ob Melanie Vogels Bruder tatsächlich etwas mit der Entführung seiner Nichte zu tun hatte, war er jetzt gewillt, diese Bedenken beiseitezuschieben und sich komplett Bruhns’ Meinung anzuschließen.

Du hast ihn. Ganz behutsam, dann kann es vielleicht noch ein gutes Ende für Nina geben, warnte er sich selbst davor, bei der weiteren Vernehmung nicht zu viel Druck auf Marc auszuüben.

„Boah, bist du cool! Ein zweites Geheimnis. Ich wünschte, ich hätte auch zwei“, sagte Wolke und Marc grinste von einem Ohr zum anderen. Marc reichte ihm die Hand zum Abklatschen.

„Egal, du bist auch cool. Wir sind cool! Alle Menschen sind cool ... hehe ...“, lachte Marc und löste mit dem letzten Zusatz leichte Irritationen bei Wolke aus. Dachte Marc wirklich so? Fand er alle Menschen toll, auch die, die seiner Nichte vielleicht gerade wehtaten, oder war das einfach nur so dahergesagt? Egal, Wolke durfte sich nicht auf Floskeln und Wortinterpretationen einlassen. Marc hatte einen unterdurchschnittlichen IQ, sicherlich begriff er vieles von dem nicht, was er sagte. Dass sich Wolke irrte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

„Und, Marc, möchtest du mir dein zweites Geheimnis auch erzählen?“, fragte Wolke mit aller Vorsicht.

„Meinst du, Nina schläft noch? Sie war nämlich sehr müde ... richtig müde.“ Die letzten Worte waren nur so dahingenuschelt.

„Was?“, fragte Wolke überrascht.

„Als ich sie gesehen habe, hat sie ganz doll geschlafen. So doll, dass sie mein Kitzeln nicht bemerkt hat ... Dabei darf man ja niemanden kitzeln, der schläft, sagt Papa immer“, versuchte Marc zu erklären.

Der Kriminalhauptkommissar hatte wieder den leisen Verdacht, dass Marc vom Thema abkam. Das hatte er schon während des ganzen Verhörs getan. Immer wenn es spannend wurde und sich die Schlinge enger um Marc zog, wechselte er das Thema. Konnte das Zufall sein?

Wolke atmete tief durch. Er musste sich zur Besonnenheit ermahnen. Seine Mitarbeiter schimpften immer über Bruhns’ Unbeherrschtheit, aber Wolke konnte in Verhören tausendmal schlimmer sein als sie. Seine Wutausbrüche waren in ganz Köln gefürchtet. Mancher Verdächtige gestand nur, um nicht weiter von Wolke verhört zu werden.

Aber hier mit Marc war es anders. Wolke war regelrecht handzahm und gab sich jede Mühe, geduldig zu sein. Vielleicht mochte er Marc einfach.

„Wieso hast du denn Nina gekitzelt?“, fragte er nun und hoffte, so wieder den Bogen zurück zum zweiten Geheimnis spannen zu können.

„Hehe, weil wir das immer machen. Das ist ein Spiel.“

„Ein Spiel?“ Wolke verstand immer weniger.

„Wenn wir zusammen im Bett schlafen, versucht der, der zuerst aufwacht, den anderen mit Kitzeln zu wecken.“

„Tolles Spiel, Marc. Du und Nina schlafen in einem Bett? Das macht bestimmt viel Spaß, oder?“ Dieser auf den ersten Blick belanglose Nebensatz schien Bruhns’ Theorie zu untermauern, dass Marc sich sexuell zu seiner Nichte hingezogen fühlte.

Wolke reichte Marc die Hand zum Abklatschen, Marc schlug ein.

„Ja, immer wenn sie bei uns ist oder ich bei ihr. Es ist toll, mit ihr zu kuscheln und einzuschlafen. Ich liebe sie ganz doll und vermisse sie ... Ich hoffe, sie ist nicht mehr müde.“ Marcs Blick fiel auf den Boden, als wäre er wirklich traurig, dass Nina nicht bei ihm war.

Für Wolke waren das gerade mehr Informationen, als er verarbeiten konnte. Marc hatte gestanden, dass Nina und er regelmäßig in einem Bett schliefen, und vor allem, dass er gerne mit ihr kuschelte. Wolke bekam eine Gänsehaut.

Konnte es wirklich sein, dass Marc Zärtlichkeiten mit sexuellem Verlangen verwechselte? Und meinte er mit „lieben“ die Liebe, die ein Mann gegenüber einer Frau empfand? War dieses Verlangen irgendwann so groß geworden, dass er sich zu einer Dummheit hatte hinreißen lassen, ohne es zu ahnen? Für Wolke war es durchaus möglich, dass Marc dachte, Nina empfinde wie er, schließlich machte sie die ganzen Spielchen mit, und wie es den Anschein hatte, hatte sie angeblich große Freude daran. Marc konnte hingegen aufgrund seiner Behinderung vielleicht gar nicht wissen, dass sie nur mitmachte, weil sie glaubte, es sei ein „Spiel“.

Und Schlönz hatte vielleicht diese Naivität ausgenutzt, um Nina mit Marcs Hilfe zu entführen. Die Puzzleteile passten immer besser zusammen. Jetzt musste es Wolke nur noch gelingen, dass Marc Schlönz belastete.

„Kuscheln ist toll, Marc. Ich kuschel auch gerne mit meiner Frau. Ich darf sie dann auch überall berühren. Magst du das auch? Nina überall berühren?“, versuchte er sein Glück. Er wusste, die Frage war gewagt, aber er musste die Chance nutzen.

Marcs Wangen liefen rot an und er schaute verschüchtert zu Boden.

Bingo!, dachte Wolke.

„Das ist doch voll eklig. Mama und Papa machen das manchmal, hab ich mal gesehen. Das ist so eklig ...“, antwortete Marc zu Wolkes Überraschung und schüttelte sich sogar dabei.

Mist, darauf hat er nicht angebissen, dachte Wolke.

„Aber Erwachsene tun das“, versuchte er ihn wieder auf die Spur zu bringen.

„Nina ist aber ein Kind“, antwortete Marc trocken.

Halt dich zurück, Wolke, sonst verlierst du ihn, ermahnte er sich. Er musste sich eine neue Strategie ausdenken. Es war zum Haareausreißen. Marc machte Andeutungen und dann, wie aus dem Nichts, schien er sich plötzlich mit ganz anderen Themen zu beschäftigen. Wolke versuchte immer wieder, ihn auf Kurs zu halten, aber wenn er ehrlich war, war nicht er, sondern Marc der Gesprächsführer. Normalerweise dauerten seine Befragungen von Verdächtigen selten länger als eine Stunde, diese zog sich inzwischen aber schon über einige Stunden.

Nichtsdestotrotz: Wolke wusste, dass es das wert war, viel Geduld in dieses Verhör zu investieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Marc ihm alles erzählen würde, und Wolke hatte sehr viel Geduld. Sein Blick fiel auf den Becher, der auf dem Boden stand, und dann hatte er eine Idee.

Wie ein Kind, dachte er und hoffte, sein Plan möge aufgehen und das Verhör beschleunigen.

„Marc, möchtest du noch eine heiße Schokolade trinken?“

„Oh ja, das wäre super ... Hab mich nicht getraut zu fragen ...“, antwortete Marc und er strahlte über das ganze Gesicht.

Wie ein Kind, fühlte sich Wolke bestätigt.

„Tust du mir dafür einen Gefallen?“

„Warum nicht ... hehe ...“

Endlich!, Wolke hatte ihn wieder auf Kurs gebracht. Er reichte Marc die Hand zum Abklatschen. Marc erwiderte.

„Beste Freunde“, lachte Wolke und Marc antwortete: „Toll!“ Sein Grinsen reichte über beide Backen und er lachte, als wäre Weihnachten und Geburtstag auf einen Tag gefallen.

„Darf ich dein zweites Geheimnis wissen? Das wäre echt supertoll von dir“, versuchte Wolke sein Glück.

Marc schaute Wolke an und grinste.

„Klar, dann sind wir beide cool ...“, antwortete er und klatschte wieder ab.

„Oh ja, das sind wir. Was ist denn das Geheimnis?“, fragte Wolke in kindlich naivem Tonfall und ließ Marc abklatschen.

„Du darfst es aber niemandem verraten, okay? Ich habe nämlich dem Mann versprochen, dass ich es niemandem sage.“

„Versprochen! Indianerehrenwort“, bestätigte Wolke und kreuzte die Finger. Auch Marc versuchte die Finger zu kreuzen, was ihm aber nicht so recht gelang. Trotzdem lachte er.

„Cool! Der Mann hat mir versprochen, dass ich auch ein Zauberer werde, wenn ich das Geheimnis für mich behalte. Das werde ich doch noch immer, oder?“

„Na klar, best friends dürfen sich alles erzählen.“

„Cool.“

Wolke wollte nicht glauben, was er da eben gehört hatte. Was meinte Marc mit Zauberer und vor allem, wie passte das zu Schlönz? An sich konnte dieser Zauberer nur jemand sein, der einen sehr guten Zugang zu Marc hatte. Eine Menge Fragen drängten sich auf, allein über den Verlauf der Entführung und Marcs Reaktion auf das Geschehen. Aber er hielt sich zurück. Das einzig Entscheidende war, dass Marc endlich den Namen der Person nannte, die Nina betäubt und aus dem Bekleidungsgeschäft P&C entführt hatte. Wenn er den kannte, würden die anderen Fragen noch früh genug beantwortet werden.

„Das ist aber cool von diesem Mann ...“

„Ja, das habe ich ihm auch gesagt. Ich freue mich schon so darauf. Er hat mir zwei Euro aus den Ohren gezaubert. Der ist voll toll ...“, unterbrach Marc und wedelte mit den Händen durch die Luft.

„Hast du den Mann noch begleitet?“

„Nein, das durfte ich leider nicht ... Aber dafür, dass ich so brav war, hat er mir gleich den Teddy gegeben. Das fand ich voll nett von ihm. Glaubst du, Nina ist schon wach und vermisst jetzt ihren Teddy?“

„Ich glaube nicht. Sie weiß ja, dass er bei dir ist“, antwortete Wolke und fürchtete, der Kindergarten würde wieder von vorne losgehen.

Konzentrier dich doch bitte nur fünf Minuten, Marc, kannst du das für mich tun?, hätte Wolke ihn am liebsten angefleht.

„Also ich würde Teddy vermissen, wenn ich aufwache und er ist nicht bei mir. Weil, als sie schlief, dachte sie ja, er ist bei ihr. Nicht dass sie denkt, dass Teddy abgehauen ist.“

Wolke zwang sich, ruhig zu bleiben. Er musste weiter behutsam vorgehen. „Soll ich dir jetzt deine heiße Schokolade holen?“

„Oh ja. Lecker ... hehe ...“

Jetzt, oder nie, dachte Wolke.

„Sag mal, Marc, wer war eigentlich der Mann, der Nina nach Hause gebracht hat?“ Wolke hoffte, dass er nicht zu viel riskierte. Er wunderte sich, dass Marc keinen Verdacht geschöpft hatte, als Melanie nicht bei Nina gewesen war. Hätte nicht auch er begreifen müssen, dass ein kleines Mädchen nicht ohne seine Mutter aus dem Kaufhaus gehen sollte?

So naiv konnte Marc doch gar nicht sein! Es sei denn, Nina wurde von einem Familienmitglied entführt. Hat Bruhns nicht erzählt, dass sich Maria Vogel verdächtig verhalten hat? Dass ihre Hände gezittert haben, als sie ihnen den Zucker reichte? War der Entführer vielleicht doch der Großvater? Die Videoaufzeichnungen sprachen allerdings gegen diese Annahme.

Wolke brauchte Kaffee. Das Verhör zerrte an seinen Nerven.

Marc gab Wolke den Becher.

„Aber mit ganz viel heißer Milch bitte“, antwortete Marc, als Wolke bereits aufgestanden war. Wolke war enttäuscht. Marc war wieder vollkommen vom Thema abgekommen. Das wird nichts, dachte er.

„Möchtest du Honig in deiner heißen Schokolade?“, fragte er, bevor er das Zimmer verließ.

„Oh ja, Honig wäre toll ... hehe ...“, bestätigte Marc und schenkte Wolke ein breites Grinsen.

Gerade als er die Tür öffnen wollte, hörte er: „Das war der Clown.“

 

Kapitel 3

 

Tag 3 nach der Entführung, irgendwo, 08:40 Uhr

 

Schmitt hatte sehr schlecht geschlafen. Oder hatte er nur geträumt, schlecht geschlafen zu haben? Irgendetwas stimmte nicht. Er war noch sehr benommen, ganz so, als hätte er viel zu viel Alkohol getrunken.

Sein Schädel brummte. Alkohol? Er konnte sich nicht daran erinnern, gestern viel getrunken zu haben. Außerdem war dieses Gefühl anders als er es von einem echten Kater am nächsten Morgen kannte. Sein Körper fühlte sich schlapp an, als könnte er nicht aufstehen, als wollte er gar nicht aufstehen, sondern einfach weiterschlafen. Aber warum fühlte sich die Matratze so hart und kalt an?

Er schluckte. Verdammt, er konnte nicht schlucken! Wieso konnte er nicht schlucken? Bekam er gerade eine Panikattacke? Er wollte instinktiv durch den Mund atmen, aber es klappte nicht. Er konnte nicht durch den Mund atmen. Jetzt machte sich Panik breit. Warum konnte er nicht durch den Mund atmen? Sein Körper war noch immer sehr schwerfällig und sein Verstand noch viel schwerfälliger. Er öffnete seine Augen, aber das Zimmer war dunkel. War er wirklich zu Hause?

Wenn er in seinem Bett lag, warum fühlte sich die Matratze dann so kalt und hart an? Und wieso war er nicht fähig, aufzustehen? Er wollte, aber sein Körper verweigerte ihm den Dienst. Nur die Panik war allgegenwärtig. Die Panik, die er schon mit neun Jahren bei der Froschwanderung kennengelernt hatte und die ihn immer wieder heimsuchte.

Ich träume, versuchte er sich zu beruhigen. Dass er seine Lippen nicht bewegen konnte, fühlte sich allerdings verdammt real an – ebenso wie die Kälte und Härte des Bodens.

Irgendetwas stimmte hier nicht. Er träumte nicht! Er war wach, aber noch nicht in der Lage, die Situation richtig zu erfassen. Es fühlte sich an, als hätte man ihn betäubt und er würde gerade aufwachen, als würde er nur allmählich die Realität, die Wahrheit begreifen.

Lass mich weiterschlafen, flehte seine Angst seinen Verstand an. Aber die Wirkung der Betäubung schien immer mehr nachzulassen und der Verstand übernahm wieder seine Aufgaben. Doch das, was sein Verstand ihm allmählich klarmachte, war alles andere als erfreulich. Langsam begriff Schmitt, dass er nicht zu Hause war und schon gar nicht in seinem Bett.

Er wollte mit der Hand nach seinem Gesicht fassen, aber er konnte sie nicht bewegen. Weder die linke noch die rechte. Und jetzt merkte er auch warum. Er lag seitlich auf dem Boden und seine Hände waren hinter seinem Rücken gefesselt.

„Scheiße!“, schrie Schmitt in Panik. Und seine Erinnerungen kehrten zurück.

Jetzt wusste er auch, warum er seine Lippen nicht bewegen konnte. Man hatte ihn geknebelt und gefesselt. Man? Nein, Carlos!

Nun erinnerte er sich auch wieder an den Schlag auf den Kopf, nachdem er unbeabsichtigt den Chat von Carlos und Ralle geöffnet und gelesen hatte.

„Scheiße, Carlos!“, fluchte Schmitt. Er hatte ihm zwar misstraut, aber tief in seinem Herzen war er davon

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2017
ISBN: 978-3-7438-2731-8

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