Cover

Leseprobe

 

 

 

 

 

 

SALIM GÜLER

 

 

 

 

PETER WALSH

:TRUG

(Band 4)

Impressum

 

 

Autor:

Salim Güler

 

Kontaktmöglichkeit:

Salim.gueler@gmx.de

http://www.salim-gueler.de/

https://www.facebook.com/salimgueler.autor/

 

 

Lektorat:

Christian Albrecht

 

Covergestaltung:

Casandra Krammer

 

Foto-/ Motivrechte:

© DeviantArt / Frame of Thoughts/ Lostandtaken.com 

 

Erstveröffentlichung:

2014 als E-Book

 

Der Text aus diesem Buch darf nicht ohne Genehmigung vervielfältigt werden.

 

Copyright © 2014 by Salim Güler

 

Das Buch

 

„Warte Mami, ich hol sie dir...", sagte die kleine Nina keck und rannte auch schon aus der Umkleidekabine, um ihrer Mutter die Jeans in einer anderen Größe zu besorgen.
Kurz darauf ist die Sechsjährige verschwunden, am helllichten Tag, inmitten eines gut besuchten Kaufhauses und ohne jegliche Spur.


Das Team um Manfred Wolke der Soko Köln geht von einem Sexualdelikt aus, den Täter vermutet man im Kreise der Familie. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt und jede Sekunde kann über Leben und Tod der kleinen Nina entscheiden.
Doch wie passen der medial veranlagte Ex-Topagent Peter Walsh und PRISM in dieses Puzzle?


Ist Nina wirklich in den Händen eines kranken Pädophilen, oder gar eines Kinderschänderrings? Oder steckt doch mehr dahinter?

Peter Walsh:

Die Thriller Miniserie in vier Teilen, die keine Atempause zulässt, und keinen Kompromiss!
 

Der Autor

 

Salim Güler, aufgewachsen in Norddeutschland, studierte in Köln Wirtschaftswissenschaften und promovierte an der TU-Chemnitz.

Schon als Schüler begann er mit dem Schreiben von selbsterfundenen Geschichten und diese Leidenschaft ließ ihn bis heute nicht los.

In seinen Romanen finden sich immer wieder gesellschaftlich aktuelle Themen, die er geschickt in eine fiktive und hoch spannende Geschichte einzubetten versteht.

Seine Bücher landen regelmäßig in den Bestsellerlisten der Verkaufs-Charts.

Salim Güler ist sehr am Austausch mit seinen Leserinnen und Lesern interessiert und freut sich daher über jeden Kontakt, entweder über Facebook oder über seine Homepage.

www.salim-gueler.de

https://www.facebook.com/salim.gueler.autor

Danksagung

 

Einen Mehrteiler zu schreiben erfordert nicht nur viel Geduld, sondern auch jede Menge Recherche. Schließlich wollen die Annahmen auch durch Fakten und Hintergrundwissen belegt sein. Daher möchte hier einigen für ihre Hilfe und Unterstützung danken.
Dank gebührt der Polizei Köln für ihre wertvollen Tipps, damit die Polizeiarbeit in diesem Buch auch Sinn und Verstand hat. Auch möchte ich der Lebenshilfe e.V. Köln Dank sagen, hat sie mir doch wertvolle Tipps und Eindrücke über ihre Arbeit gegeben. Herrn Jürgen Burkhart, Leiter der Stammzellenabteilung, des Bayerischen Roten Kreuzes München sowie Dr. Roland Conradi, Ltd. Oberarzt der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Dr. Christof Jungbauer vom Österreichischen Roten Kreuz gebührt ebenfalls mein Dank.

Zuletzt möchte ich auch all denen, die nicht namentlich erwähnt wurden recht herzlich für Ihre Hilfe und Unterstützung danken, vor allem aber meinem Lektor Christian Albrecht, der sich mal wieder selbst übertroffen hat, Tina Alexy, meiner kritischen und wunderbaren Testleserin und Casandra Krammer, die wieder ein wunderbares Cover gezaubert hat.

Und zum Schluss möchte ich Ihnen danken, dass Sie sich für meine Bücher entschieden haben. Ohne Sie, wäre das hier alles nicht möglich.

 

 

 

 

Was bisher geschah

 

Die sechsjährige Nina wird am helllichten Tag vor den Augen ihrer Mutter in einem Kaufhaus entführt. Die Polizei bildet eine Soko und Kriminalhauptkommissar Manfred Wolke und sein Team sind mit der Suche beauftragt. Sie vermuten den Täter im Bekanntenkreis der Familie. Bei einem Routinebesuch beim geistig behinderten Bruder der Mutter entdeckt die Polizei den Teddybären von Nina. Für die Polizei ist der Bruder der Hauptverdächtige.

Gleichzeigt einige tausend Kilometer weit weg hat Peter Walsh (Ex-Top Agent) seit drei Tagen den immer gleichen Albtraum. Er glaubt jedoch nicht an Zufälle, da Walsh über mediale Kräfte verfügt. Er ist davon überzeugt, dass ein Mädchen ihn um Hilfe bittet. Also beschließt Walsh nach Deutschland zu reisen um seinen besten Freund Joe um Hilfe zu bitten. Joe ist ein US-Geheimdienstmitarbeiter und hat Zugang zu PRISM. Dank PRISM erfährt Walsh, dass Nina Vogel entführt wurde und dass sie seine Tochter ist, von der er nichts wusste.

Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

 

Nichts ist, wie es zu sein scheint!

 

 

 

 

Die Sinne trügen nicht, das Urteil trügt!

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Tag 4 nach der Entführung, irgendwo, 18:35 Uhr

 

„Wo fahren wir hin?“, fragte Nina den Mann, der das Auto steuerte.

„Irgendwohin“, antwortete der Mann gereizt. Es war der Clown, Andrej Pfeiffer. Für Nina war er aber nur der böse Clown.

„Wo ist irgendwo?“, wollte Nina wissen.

„Irgendwo ist irgendwo und jetzt sei still“, versuchte der Clown die lästige Fragerei zu beenden.

„Wieso sind Sie so gemein?“, schmollte Nina.

„Weil du mir auf den Keks gehst.“

„Dann lassen Sie mich gehen und ich werde auch brav sein.“

„Netter Versuch, Prinzessin“, antwortete Pfeiffer, er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ich muss aufs Klo.“

„Na und?“

„Halten Sie an. Ich muss aufs Klo. Bitte!“

„Lass einfach laufen.“

„Nein, das macht man nicht, das ist pfui.“

„Mir doch egal.“

„Dann halte ich es, bis ich platze!“

„Viel Spaß!“

Selbst Nina merkte, dass Pfeiffer angespannt war. So unfreundlich hatte sie ihn noch nie erlebt. Er hatte sie zwar entführt, aber er war immer freundlich zu ihr gewesen, im Gegensatz zu Ralle, vor dessen Blick sie sich noch immer fürchtete. Warum Pfeiffer und sie im Auto saßen, konnte sie sich noch nicht recht zusammenreimen. Sie hatte einen Verdacht, aber manchmal taten Erwachsene Dinge, die Kinder nicht verstanden.

Nina musste an Kathrin denken, die jetzt ganz alleine in dem Kellerraum war, dabei hatte sie gerade angefangen, sich Nina gegenüber ein wenig zu öffnen. Zumindest hatte sie es so empfunden. Seit dem Überraschungsei war Kathrin etwas zugänglicher geworden.

„Wird Ralle Kathrin weiter wehtun?“, fragte Nina.

„Was?“, fragte Pfeiffer überrascht.

„Na, jetzt wo Sie und ich nicht mehr da sind, kann doch Ralle der Kathrin noch mehr wehtun.“

„Du spinnst doch. Halte endlich die Klappe, sonst lernst du mich von einer anderen Seite kennen“, schimpfte Pfeiffer.

Es gab für Nina keinen Zweifel. Der Clown war sehr nervös.

„Darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen? Dann bin ich auch ganz leise. Bitte.“

Pfeiffer warf ihr einen Blick zu, stöhnte, nickte dann aber doch.

„Gut – eine Frage.“

„Wollen Sie mich verkaufen?“, fragte sie.

„Wie kommst du darauf?“

„Na, das haben Sie doch ganz am Anfang gesagt, als Ralle mir wehtun wollte und Sie mich beschützt haben. Als Sie noch nett waren …“

Pfeiffer schnaubte, atmete tief ein und aus und rieb sich mit der linken Hand die Stirn, während die rechte weiterhin das Lenkrad hielt.

„Und wenn?“

„Dann kann ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen.“

„Du? Mir einen Vorschlag?“

„Ja. Nur weil ich ein Kind bin, heißt das nicht, dass ich dumm bin. In der Marktwirtschaft funktioniert das doch so.“

„Was? Was weißt du über Marktwirtschaft?“, fragte Pfeiffer sichtlich verdutzt und musste laut loslachen.

„Mein Opa hat mir mal erzählt, dass der Preis für Sachen dadurch entsteht, wie viele Leute etwas von einem kaufen wollen. Und wenn ein Limonadenverkäufer seine Limonade an viele Kinder verkaufen kann, kann er auch mehr Geld verlangen.“

Pfeiffer lachte nun richtig laut. Er schlug sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel.

„Dein Großvater hat recht“, sagte er schließlich, als er sich wieder im Griff hatte.

„Gut, dann kaufe ich mich“, antwortete Nina trocken.

„Was?“

„Ja, ich bezahle Ihnen das Geld. Oder besser gesagt: mein Großvater.“

„Du verarschst mich gerade, oder?“

„Nein, dafür habe ich viel zu viel Angst vor Ihnen“, war Ninas aufrichtige Antwort.

Pfeiffer schaute sie verlegen an und versuchte sich ein Lächeln abzuringen. Nina war einfach nur Nina. Sie war ein Kind, das mit kindlichen Methoden versuchte, nach einer Lösung zu suchen, um freizukommen. Aber sie war für ihre sechs Jahre auch verdammt keck und nicht auf den Kopf gefallen.

Melanie, ihre Mutter, war immer wieder überrascht, wie rational Nina manche Dinge sah und wie klug sie war. Zudem war sie sehr lernfreudig. Mit sechs Jahren konnte sie schon besser rechnen und schreiben als manche Achtjährige. Und sie besaß die Gabe. Damit teilte sie etwas sehr Seltenes mit ganz wenigen Menschen auf dieser Welt. Einer dieser Menschen war ihr Vater, Peter Walsh, von dem sie nicht einmal wusste, dass er überhaupt existierte. Aber Menschen mit der Gabe besaßen bereits als Kind sehr ausgeprägte Fähigkeiten wie die des schnellen Lernens, aber auch des rationalen Denkens. Melanie konnte nicht wissen, dass Nina so ein besonderes Mädchen war.

Für sie war Nina einfach ihre Tochter, die sie über alles liebte und die sie für sehr begabt hielt. Aber nicht für ein Mädchen, das über Gabenkräfte verfügte, die es ihrem Geist ermöglichten, sich vom Körper zu lösen. Jedoch würde diese Gabe immer nur eine Art Eigenschaft bleiben, wenn nicht ein Gabenkundiger sie darin unterrichten würde, sie zu benutzen – wie es der Großvater und das US-Militär bei ihrem Vater getan hatten. Wenn niemand diese Gabe erkannte und förderte, würde sie verkümmern und nur ab und an unkontrolliert aufblitzen, jedoch nie ihre wirkliche Macht entfalten können. Es gab nur einen Menschen, der das riesige Talent, welches in ihr schlummerte, zutage fördern und formen könnte: ihr Vater!

Aber dafür musste sie leben, überleben! Und genau dieser Überlebenswille trieb sie an, ohne dass sie sich dessen wirklich bewusst war. Zu naiv, zu unausgebildet war ihr Verstand, dennoch klammerte sie sich an ihr junges Leben und an diesen kleinen Strohhalm, der Freiheit bedeuten könnte.

„Wie kommst du darauf, dass dein Großvater so viel Geld hat?“

„Sie waren doch bei uns.“

„Ja und?“

„Dann haben Sie doch das Haus gesehen. Das ist sehr groß und sehr wertvoll.“

„Das wird aber kaum reichen.“

„Ja, aber mein Großvater hat auch ein Haus in Amerika.“

„In Amerika?“

„Ja, da machen sie immer Urlaub. Das ist in Florida und auch ganz groß.“

„Das wird auch nicht reichen“, antwortete Pfeiffer leicht genervt. Hätte Nina seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet, hätte sie erkannt, dass Pfeiffer sein anfängliches Interesse an diesem Vorschlag abgelegt hatte und ihrem Vorschlag kaum mehr Beachtung schenkte.

„Das ist nicht alles. Er hat ganz viel Geld auf seinem Sparbuch.“

„Auf seinem Sparbuch?“, fragte Pfeiffer interessiert.

„Ja. Opa und Oma haben ein Sparbuch, wo gaaanz viel Geld drauf ist.“

„Wie viel ist denn da drauf?“

„Über zwanzig Millionen! Genauer gesagt: 21.700.000 Euro“, antwortete Nina mit einem Lächeln, da sie die funkelnden Augen des Clowns gesehen hatte.

„Du lügst doch?“

„Nein, tue ich nicht!“, beharrte Nina.

„Wie kann ein kleines Mädchen wie du sich so eine große Zahl merken?“

„Weil mir mein Opa das beigebracht hat.“

„Und warum sollte er das gemacht haben?“

„Damit ich auf mein Erbe aufpasse.“

„Dein Erbe? Hast du dir das nicht alles ausgedacht?“

„Nein! Opa zeigt mir immer unser Sparbuch und sagt mir, wie viel auf dem Sparbuch drauf ist. Und dann sagt er, dass ich sehr behutsam mit dem Geld umgehen muss, wenn es mal mir gehört. Aber wenn ich das Geld habe, sind sie leider schon tot. Deswegen will ich es nicht. Aber Sie können es haben“, antwortete sie, und zum Ende hin wurden ihre Worte immer leiser und Kummer schwang in ihrer Stimme mit.

„Wenn du mich anlügst, dann …“

„Ich lüge Sie nicht an, das schwöre ich – bei allem, was mir lieb ist.“

„Und du glaubst, dein Großvater würde mir das Geld einfach geben?“

„Ja! Wenn Sie mich heimfahren bestimmt.“

Pfeiffer antwortete nicht gleich. Er schien nachzudenken. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Irgendetwas ließ ihn zögern. Ob es das Misstrauen gegenüber Nina war oder etwas anderes, konnte sie nicht ausmachen. Aber sie spürte, dass sein Schweigen etwas damit zu tun hatte.

„Wenn du mich anlügst, bring ich dich um, das ist dir klar, oder?“

„Ja, leider. Aber ich lüge nicht. Wirklich“, antwortete Nina traurig und schaute aus dem Beifahrerfenster. Das Auto bog von der Frankfurter Straße in die Olpener Straße in Richtung Köln Kalk ab.

Wieder antwortete Pfeiffer nicht, sondern wippte mit den Händen am Lenkrad und strich mit der rechten Hand über seinen Unterkiefer.

„Gut, ich glaube dir. Hast du die Nummer deiner Großeltern?“

„Ja“, antwortete Nina lächelnd und ihre Augen strahlten vor Freude auf ein baldiges Wiedersehen mit ihren Großeltern, ihrer Mutter und ihrem Onkel – und sie strahlten, weil sie wieder Hoffnung hatte, doch zu überleben.

 

Kapitel 2

 

Tag 5 nach der Entführung, Köln-Porz, 06:45 Uhr

 

Um 6:45 Uhr weckte Joe seinen besten Freund Walsh wie versprochen.

Die vergangenen Stunden waren sehr turbulent gewesen. Walsh hatte die Jägerhütte in Königsforst gefunden und er fest damit gerechnet, dort Nina in dem Keller anzutreffen. Doch statt nun gemeinsam mit ihr zu ihrer Mutter zu fahren, saß er alleine im Wagen. Er fühlte sich ausgebrannt und leer, aber die Sorge um seine Tochter trieb ihn weiter an. Immer wieder überlegte er, was Nina so wertvoll machte, dass Pädophile sie entführten, um sie zu verkaufen. Aber er fand keine Antwort darauf.

Jedoch hoffte er, dass jemand anderer ihm die Antworten liefern konnte: Joe!

Bevor er den Freund anrief, hatte er Melanie informiert, die verständlicherweise sehr niedergeschlagen war. Er hatte sie gefragt, ob er und Joe, den er als IT-Spezialisten vorstellte, sich bei Ihnen aufhalten könnten, bis er Nina gefunden hätte, oder ob er lieber in ein Hotel gehen sollte. Melanie hatte nichts gegen seinen Vorschlag einzuwenden.

Gleich danach rief er Joe an und bat ihn, so schnell wie möglich nach Köln-Porz zu kommen. Der musste sich nicht lange bitten lassen, er machte sich sofort auf den Weg zu Melanies Eltern, nachdem Walsh ihm die Adresse durchgegeben hatte. All seine Hoffnungen ruhten auf dem Laptop von Ralle, den er im Schlafzimmer in der Jägerhütte mitgenommen hatte. Er hoffte, dass Joe Informationen darin würde finden können, die ihnen sagten, an wen dieser Clown seine Tochter verkaufen wollte.

Während der Fahrt gab Joe ihm noch die wichtigsten Informationen aus der Polizeiakte durch. Nun wusste Walsh alles, was die Polizei in der Soko „Nina“ herausgefunden hatte. Auch die Kölner Polizei fahndete nach Andrej Pfeiffer, dem Clown, und überwachte seine Wohnung weiträumig. Walsh wusste nun aber auch, dass die Polizei zudem auf der Suche nach einem Unbekannten war. Einem Unbekannten, der auf bestialische Weise Carlos getötet hatte.

Noch wusste die Polizei nicht, dass dieser Unbekannte Walsh war. Er überlegte kurz, ob es nicht ein Fehler gewesen war, Carlos mit dem Nagel zu töten. Der Nagel war ein Spezialwerkzeug der amerikanischen Geheimdienste und nur Top-Agenten durften dieses Folterinstrument benutzen. Die Polizei würde sehr schnell feststellen, dass es sich um keinen normalen Nagel handelte. Aber würden sie Informationen darüber finden? Sicherlich nicht, denn solch spezielles Hightech-Folterwerkzeug war nirgends öffentlich zugänglich. Doch die Polizei war es nicht, die ihm Sorgen bereitete. Es war eher die NSA oder sein ehemaliger Geheimdienst.

Sie hatten vollen Zugriff auf die Polizeidatenbanken und suchten nach bestimmten Key-Wörtern, die ihnen bei der Terrorismusbekämpfung halfen. Wer sagte denn, dass die US-Geheimdienste nicht auch nach Schlagwörtern suchten, die zum Beispiel ihre eigenen Hightech-Folterinstrumente betrafen!? Was würde seine Behörde unternehmen, wenn sie durch diese illegalen Abhörmaßnahmen erfuhr, dass irgendjemand einen Pädophilen durch den Einsatz eines ihrer Folternägel getötet hatte?

Würden sie es dabei belassen oder würden sie anfangen zu schnüffeln? Dann würden sie sehr schnell erfahren, dass dieser Mord in Zusammenhang mit der Entführung von Nina Vogel stand. Und die Behörde wusste, dass Nina die Tochter von Peter Walsh war.

Peter, du hast deine Tarnung riskiert, musste er sich eingestehen. Die vom Geheimdienst waren nicht dumm. Natürlich würden sie jetzt davon ausgehen, dass er noch lebte und inzwischen wusste, dass er eine Tochter hatte.

Was würde der Geheimdienst dann tun? Würden Sie sich auf die Suche nach ihm machen oder würden sie ihn sich selbst überlassen? Wahrscheinlich würden sie ihn suchen. Walsh wusste zu viel und war zwei Jahre untergetaucht – das warf einfach zu viele Fragen auf.

Joe! Ja, sie würden bestimmt Joe in die Mangel nehmen und vielleicht auch die Vogels. Es war gut, dass Walsh Joe zu sich gerufen hatte. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn die Behörde ihm etwas antat. Sie mussten alle zusammenbleiben. Nur so konnte er die Vogels und Joe vor der Willkür der Behörde beschützen. Aber die Behörde bereitete ihm nicht so starke Kopfschmerzen wie der Clown, der seine Tochter verschachern wollte. Sobald er Nina in den Armen halten würde, sollte die Behörde ruhig kommen. Er würde nicht davonrennen.

Als er bei den Vogels ankam, wartete bereits die ganze Familie. Walsh lernte nun auch Melanies Mutter von kennen, er fand sie auf Anhieb sympathisch. Sie waren alle in heller Aufregung und zutiefst erschüttert, dass Schmitt schwer verletzt und wahrscheinlich schon seinen Verletzungen erlegen war. Vogel wollte Schmitt gleich am nächsten Tag im Krankenhaus besuchen.

Walsh informierte sie nur über das Nötigste. Den brutalen Kampf zwischen Schmitt und Ralle erwähnte er vorsorglich nicht, ebenso die schlimmen Zustände im Keller. Er wusste aber, dass am nächsten Tag bundesweit alle Zeitungen darüber berichten würden.

Doch zu diesem Zeitpunkt wollte er die Vogels nicht noch mehr beunruhigen. Auch sie konnten die Lösegeld-Theorie nicht verstehen.

„Lösegeld und Pädophile: Wie passt das zusammen? Ich würde jeden Betrag zahlen, Herr Walsh, wenn dieser Clown mir meine Enkeltochter zurückbringt. Jeden Betrag!“

„Vielleicht wussten die nicht, wie reich Sie wirklich sind“, versuchte Walsh eine Erklärung zu geben, die für ihn plausibel klang.

Das Haus der Vogels war beeindruckend, aber sie machten nicht den Eindruck, als würden sie zig Millionen auf dem Konto haben. Und es musste bei dieser Entführung schon um Millionen gehen, alles andere würde keinen Sinn machen. Doch welcher Mensch, außer der eigenen Familie, zahlte für ein Kind Millionen? Wie sehr er auch darüber nachdachte, es wollte sich einfach keine Antwort finden lassen.

Um 0:45 Uhr klingelte es an der Tür und Joe trat ein. Frau Vogel und Melanie waren bereits im Bett. Nur Walsh und Herr Vogel waren noch wach.

Melanies Vater schien Walsh zu mögen, soweit er das beurteilen konnte. Er war sehr geübt darin, Mimik und Gestik seines Gegenübers zu interpretieren.

Nach einer kurzen Begrüßung bereitete Vogel einen Kaffee vor, Walsh händigte Joe den Laptop aus.

„Passwortgeschützt“, bemerkte Joe.

„Und, kannst du es hacken?“

„Na klar, Bro. Das ist der Standard-Windows-Passwortschutz. Gib mir fünf Minuten“, antwortete Joe und holte sein Equipment aus der Tasche.

Er baute seinen Laptop inklusive zusätzlicher Hardware auf und verband ihn über ein USB-Kabel mit dem Laptop des Clowns.

In der Zwischenzeit kam Vogel mit drei Tassen Kaffee aus der Küche und reichte jedem eine, dann setzte er sich auf den Sessel und sah interessiert zu.

„Und schon bin ich drin“, lachte Joe.

„Sehr gut. Ich muss wissen, an wen Nina verkauft werden soll“, antwortete Walsh angespannt und musste dennoch gähnen. Seine Augen waren von dunkelroten Äderchen durchzogen.

„Hast du überhaupt geschlafen?“, fragte Joe besorgt.

„Das muss warten“, antwortete dieser trocken. Das letzte Mal, dass er geschlafen hatte, war während des Fluges von China nach Frankfurt gewesen.

„Listen, man! Du kannst mir jetzt eh nicht helfen. Leg dich hin – sobald ich was habe, wecke ich dich sofort.“

„Wie kann ich schlafen, wenn Nina in Gefahr ist?“, versuchte sich Walsh zu verteidigen.

„Mann, Peter. Indem du den Helden spielst, kannst du ihr auch nicht helfen. Ich habe keine Ahnung, wie lange das dauert. Es kann dreißig Minuten dauern, aber auch fünf Stunden. Du stehst mir mit deiner Nervosität und Abgespanntheit eh nur im Weg. Also, mach schon!“

„Herr Walsh, Ihr Freund hat recht. Sie sollten sich ein bisschen Ruhe gönnen. Allein Nina wegen. Wir haben Ihr Zimmer schon fertig. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin.“

„Aber …“

„Nix aber, geh, Bro, und versuch zu schlafen.“

„Du meldest dich aber sofort, sobald du was hast“, antwortete Walsh sichtlich nervös und unsicher, ob er den Vorschlag annehmen sollte.

„Ja, Indianerehrenwort.“

Trotz seiner emotionalen Bindung zum Fall wusste Walsh, dass Joe recht hatte. Er hatte keine weiteren Anhaltspunkte, er konnte nur auf die Ergebnisse von Joe warten. Und diese Zeit sollte er nutzen, um seinem Körper Ruhe zu gönnen, denn schon sehr bald würde er diese Ruhe nicht mehr haben. Tabletten gegen den Schlaf hin oder her, nur ein starker Körper konnte einen starken Verstand hervorbringen. Und er brauchte beides, um Nina zu finden.

Vogel brachte Walsh zu seinem Zimmer. Er legte sich hin und versuchte die Augen zu schließen. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf und er fürchtete bereits, dass es ihm unmöglich wäre, einzuschlafen. Viel zu sehr waren seine Ängste und seine Sorgen bei Nina und seine Wut und sein Hass bei dem Clown, den er töten würde – daran bestand kein Zweifel.

Doch ehe er es richtig merkte, war er auch schon eingeschlafen und wurde erst um 6:45 Uhr von Joe geweckt. Er hatte also tatsächlich einige Stunden geschlafen. Die körperliche und seelische Anstrengung, der Kampf mit Carlos, der Gabenflug, all dies hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er sich selbst hätte eingestehen wollen. Noch bis zum letzten Augenblick hatte Walsh gedacht, er könne nicht einschlafen, weil ihn zu viele Sorgen und Gedanken quälten, doch im nächsten Moment war er unbewusst eingeschlummert.

„Bro, ich hab was“, flüsterte Joe und berührte ihn vorsichtig an der Schulter. Walsh lag komplett angezogen, bis auf die Schuhe, im Bett.

„Wie ... Was ... Ach du, Joe .... Wie spät ist es?“, fragte Walsh, der sich die Augen rieb und gähnte.

„6:45 Uhr“, antwortete Joe mit einem Lachen.

„Echt?“ Ungläubigkeit schwang in seiner Stimme mit.

„Ja, echt“, bestätigte der Freund.

„Okay, was hast du gefunden?“, fragte Walsh und ging mit Joe ins Wohnzimmer.

„Schläft Vogel?“

„Ja, ich habe den netten alten Mann gleich nach dir ins Bett geschickt. Der wollte wie du warten, was aber völliger Quatsch ist. Wir Hacker arbeiten lieber alleine“, erklärte Joe.

Walsh nickte nur und setzte sich neben ihn auf die Couch.

„Willst du Kaffee?“, fragte Joe.

„Hast du denn welchen?“

„Na, Bro, sonst würde ich nicht fragen“, antwortete er und kniff Walsh in die Seite.

„Na, dann her damit.“

„Einfach aufstehen. Hinten in der Küche steht die Kanne. Und wenn du schon mal dort bist, bring mir bitte auch einen mit“, antwortete Joe und grinste breit.

Walsh grinste zurück. „Du Fuchs“, sagte er, stand auf, holte zwei Tassen samt Kanne und schenkte beiden ein.

Sie nahmen einen Schluck.

„So, und jetzt erzähl, was du herausgefunden hast.“

„Sehr krasse Sachen, Mann. Sehr krasse Sachen. Diese Pädophilen sind verdammt gut vernetzt. Es gibt regelrechte Tauschbörsen, in denen dieser Clown und seine kranken Freunde tätig sind. Sie nennen sich die ‚Community Kalk‘. Wenn ich das richtig recherchiert habe, sind dort allein dreißig Männer aus Köln Mitglied und alle stehen auf Kinder“, erzählte Joe und hielt kurz inne.

Walsh konnte seinen Ekel nicht unterdrücken. Er stellte die Tasse kurz ab, weil er wusste, dass er jetzt Dinge hören würde, die die Wut in ihm nur noch mehr zum Kochen bringen würden.

„Kannst du die Namen der Polizei weiterleiten?“

„Klar. Jemand Speziellen?“

„Ja, an Wolke, den Chefermittler von der Soko ‚Nina‘. Die sollen sich um diese Wichser kümmern“, antwortete Walsh und ballte die Hand zur Faust.

„Okay, Bro. Mach ich. Wie gesagt, die sind verdammt gut vernetzt und organisiert und schieben sich allen möglichen dreckigen Kram zu. Der Clown und dieser Ralle haben in dem Keller Kinder aus aller Herren Länder gefangen gehalten und missbraucht. Aber nicht nur das, sie haben die Videos im Darknet ihrer Com und anderen Coms gegen Geld zum Download zur Verfügung gestellt.“

„Gegen Geld?“

„Ja, gegen Bitcoins. Das ist die Hacker- und Darknet-Währung.“

„Wie krank ist das denn!? Wie sind sie an diese Kinder gekommen?“

„Das war ein Kinderspiel. Sie haben sie aus Thailand, Haiti, Brasilien oder Afrika geholt. Sie wurden von ihren Eltern gekauft oder auf der Straße mitgenommen. In diesen Ländern wimmelt es leider nur so von Straßenkindern, die für ein Dach überm Kopf alles machen würden“, erklärte Joe, wobei er beim Wort „kaufen“ Gänsefüßchen in der Luft machte.

„Welche Eltern verkaufen denn ihre Kinder?“, fragte sich Walsh angewidert.

„Eltern, die bitterarm sind. Du und ich wissen nicht, was es heißt, so arm zu sein, dass man seine Familie nicht ernähren kann. Aber diese Eltern schon. Und glaub mir, Bro, Armut kann Menschen zu Entscheidungen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2017
ISBN: 978-3-7438-2730-1

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