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Verloren in der zeit

Die Familie wurde vorgewarnt und doch waren sie nicht bereit, als die Bomben kamen.
Vom Wickeltisch die Flucht in den Keller, ihr nacktes Kind im Arm. Ihr Vater hielt die Mutter, zusammengedrängt, ihre Köpfe abgesenkt für den Moment in dem die Zerstörung einschlägt in den Zement. Sie hatten vorgesorgt, vorher Wasser gesammelt, in Eimern, die Badewanne gefüllt damit bis zum Anschlag. Auf einmal der erste Einschlag, überall nur Sirenen und Erschütterungen, die dem Jungen in ihren Armen das Bewusstsein nehmen.
Sie wusste sie würde überleben, um zu sehen wie ihr Sohn erwachsen wird, harrt sie aus in dem Beben. Auf einmal ist alles ruhig, die Stille wabert wie Nebel. Sie hörte nur sich selber atmen beim raus auf die Straße treten, die Ohren vom Lärm gelähmt, so muss sie lernen ihren Augen zu trauen und das Bild, dass sich ihr erschließt, verschließt sie wieder in Trauer. Sie steht versteinert im Hauseingang und sieht den Tross von den tausenden Menschen, trauernd und still vorbeiziehen, am Haus entlang. Sie kann fast niemand erkennen, denn der Staub der zerbersteten Bauten liegt wie ein grauer Schleier auf ihnen. Familien sind getrennt und jeder fragt jeden ob er wen kennt, hinterlassen in den Überresten des alten Hauses Hinweise, denn es könnte sein dass ein Ehemann, Frau und Kinder sucht, so schreibt man: Wir sind bei meiner Tante jetzt und es geht uns gut.
Auch sie sucht nach dem Mann der ging und verschwand, irgendwann entstand diese Leere, kein Brief von ihm kam mehr an. Doch sie zweifelt nicht dass er lebt, das Gefühl, dass die zwei verbindet, verhindert, dass ihre Hoffnung auf das Wiedersehn mit ihm schwindet. Sie nimmt das Kind und fasst kurz den Entschluss, der für sie bestimmt ist. Sie begibt sich auf die Suche, im Wissen das sie ihn findet.
Es war kalt, da wo sie ihn hielten, die fremde Sprache verriet ihn. Verirrt in Feindesgebiet, in Gefangenschaft, die Hände Frierten ihm, es ging  ihm nicht mehr so schlecht wie zu anfangs, er kommt zurecht, studiert die Strukturen des Orts und machte mit Zigaretten Geschäfte. Er ist dankbar dafür,  dass er noch lebt, überzeugt dass er alles überlebt, überlegt sich, wie er es schaffen kann, die Zeit hier zu überstehen. Doch er arrangiert sich, mit dem was das Schicksal entschied ihm zu geben. Er entschied sich gegen die Resignation des Willens zu Leben, man flüstert einander zu, hin und wieder kommt dieser Zug, der das viel zu trockene Brot bringt und dann die Kranken abholt. Er nimmt seine Chance und versucht es, davonzukommen, auf dem Zug. Mit gefälschten Krankenpapieren, es war schwierig, doch sowas bekommt man schon. Die Fahrt ist ungewiss, wohin bringt man sie jetzt? Seine Hoffnungen im falschen Krankenbett kreisen in der leeren stille. Doch er weiß, es kann auch anders kommen, bei dem Schicksal, was weiß man schon. Doch sein Wille bleibt ungebrochen, und unter uns: Manchmal reicht das schon. Ihr ganzes Leben war geprägt von Gedanken an andere Menschen.
Sie hatte es geliebt zu helfen mit Lachen, Worten und ihren Händen in ihrer Geduld lagt Trost für die Familie und den Fremden. Sie hatte keine Reue für Hilfe, auch wenn sie sich selbst verdrängte. Auf ihrem Sterbebett, die Schmerzen verschlimmerten noch durch die Qualen, nicht nur selbst zu leiden, sondern auch den anderen zur Last zu fallen. Doch die Liebe, die sie einst anderen gab, kam zurück zu ihr jeden Tag und das Schicksal ist manchmal seltsam, denn als sie fortging im Schlaf, hat sie ein letztes Mal getan, was ihr so sehr am Herzen lag, ihre Familie, die sie so sehr liebte, vereint, wenn auch an ihrem Grabe.
Fast ein ganzes Jahrhundert Leben zu leben erscheint gigantisch und im Gesicht dieses Mannes ist Geschichte verankert. Die Falten, die Kaligraphie seiner Chronik, und wenn er lächelte, dann funkelten die Augen schelmisch unter Brauen, die fast weg sind. Seine Frau ist von ihm gegangen und er hoffte man sieht es ihm nicht an, denn als Oberhaupt der Familie zählt für ihn Würde als Mann. Doch allein und still mit sich selbst weiß er, dass sein Elan von ihm gegangen ist. Manchmal steht er gar nicht erst auf und wenn, dann zieht er sich nicht an und wenn die Familie ihn fragt, dann kaschiert er seine Schmerzen mit Scherzen, er lacht bis die Tränen kommen, wie ironisch, doch alles von Herzen. Sein immenser Erfahrungsschatz, er spricht weiser mit jedem Wort, doch um alles leichter zu machen beschränkt er sich auf kleinen Humor. 100 Jahre kommen ihm so vor wie verronnene Tränen beim Lachen,  denn er weiß, es ist Zeit zu gehen doch was kann man machen. Umringt von Fotografien seiner Kinder, Enkeln und deren Kinder weiß er, auf eine wunderschöne Weise bleibt auch er für immer.

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Tag der Veröffentlichung: 06.04.2014

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