Er war auf einem namenlosen Berg auf PELB-15, einem erdähnlichen, aber wüsten Planeten von der Größe des Mars.
Kurz unter dem Gipfel des Berges hatten sie eine Terasse aus dem Felsen gesprengt. Sie hatten mühsam einen Wohncontainer, ein Labor, ein Versorgungsmodul, Sonnenkollektoren und Sauerstoffkonzentratoren hier herauf geschafft.
Zwei Mann sollten auf dieser Außenstelle Beobachtungen und Messungen durchführen, Ablösung alle 10 Tage.
Doch dann war der Supercopter bei der Landung abgestürzt, und er war direkt zwischen die beiden kleinen Aufklärungsmaschinen gefallen, die auf dem improvisierten Flugfeld der Basis abgestellt waren.
Nun standen sie auf einen Schlag völlig ohne Flugzeuge da; die gesamte Mission war dadurch in Frage gestellt.
Der Absturz des Supercopters war nicht die erste Panne gewesen.
Schon die Landung der Rakete auf dem Planeten war nicht programmgemäß verlaufen.
Sie hatten den geplanten Landeplatz verfehlt und waren dreihundert Kilometer zu weit nördlich gelandet, an einer Stelle, die viel zu weit weg war von dem Gebiet, das sie untersuchen sollten. Nur deshalb musste diese Außenstelle der Basis errichtet werden, auf der er nun festsaß.
Pablo ärgerte sich, aber er hatte keine Angst. Er würde einsam sein hier oben, sehr einsam. Die Funkverbindung zur Basis war auch nicht die beste. Aber ansonsten war er in einer relativ komfortablen Situation, er hatte alles, was er brauchte, und der Proviant würde monatelang reichen.
Der Berg mit der Beobachtungsstation befand sich direkt an der Flanke des Tals, das der Grund für ihre Expedition war.
Dieses Tal wies einige Besonderheiten auf. Es zog sich einhundertdreiundvierzig Kilometer lang schnurgerade durchs Gebirge. Im Osten ging das Tal in eine weite Ebene über, im Westen verschwand es im grellgelben Ozean. Das Tal hatte gigantische Ausmaße: es war fünfhundert Meter tief und es war genau halbkreisförmig, die Seitenwände waren eintausend Meter voneinander entfernt.
Diese Abmessungen bestanden ziemlich exakt auf der ganzen Länge des Tals.
Obwohl das westliche Ende des Tals tiefer lag als der Ozean und direkt in diesen mündete, lief das Wasser des Meeres aus unerfindlichen Gründen nicht in das Tal.
Die Satellitenfotos von PELB-15 hatten die Wissenschaftler auf der Erde elektrisiert. Man war der Meinung, dass ein solches Tal keinen natürlichen Ursprung haben konnte und dass es sich also um ein Bauwerk einer technisch fortgeschrittenen Zivilisation handeln musste.
Man hatte Sonden hergeschickt und alle möglichen Landeroboter, um dieses Phänomen zu untersuchen, aber, seltsam, sobald diese Maschinen gelandet waren, waren alle Signale von ihnen nach kurzer Zeit verstummt. Für immer.
Es hatte natürlich große und erbitterte Debatten darüber gegeben, ob man unter diesen Umständen Menschen zu PELB-15 schicken durfte. Selbstverständlich durfte man es nicht, es war schlichtweg zu unsicher. Am Ende hatte man es trotzdem getan; die Expedition wurde als private Unternehmung eines Konzerns deklariert und alle Expeditionsteilnehmer waren Freiwillige.
Pablo hatte die ersten Tage auf seiner isolierten Außenstation ohne größere Schwierigkeiten hinter sich gebracht.
Das einzige Problem war tatsächlich die Einsamkeit. Er hätte vorher nicht geglaubt, dass ihm das zu schaffen machen würde. Aber es war ein Unterschied, ob man auf der Erde einige Tage allein im Simulator zubrachte, oder ob man Millionen Kilometer von der Erde entfernt ohne Mitmenschen, ohne Gespräche allein auf einem Berg saß.
Er hatte immer noch nur sporadischen Funkkontakt zur Basis, anscheinend gab es in der Atmosphäre dieses Planeten irgendwelche elektrischen Entladungen oder Metallbestandteile, die zu Störungen führten. Vielleicht hingen sogar die Pannen bei der Anflugnavigation und der Absturz des Supercopters damit zusammen - das wäre nicht unwahrscheinlich.
Pablo teilte seine Vermutungen der Basis mit, aber die waren auch schon auf diese Idee gekommen.
Eine Idee, wie sie ihn jemals wieder von diesem Berg herunterbekommen würden, hatten sie dagegen noch nicht entwickelt.
In der siebenten Nacht auf dem einsamen Berg wachte Pablo plötzlich vom Quäken der Alarmsirene auf, das Bett schwankte, die Digitalanzeigen der Kontrollinstrumente verschwammen vor seinen Augen, irgendetwas prallte mehrmals gegen den Container.
'Ein Erdbeben oder so was', dachte Pablo. Er schlüpfte kaltblütig in seinen Raumanzug, schloss den Helm, nahm den Handscheinwerfer und ging durch die Schleuse nach draußen. Das Beben war schon vorbei. Aber am fernen östlichen Horizont spielte sich eine Art Wetterleuchten ab. Der Himmel flammte dort auf, in einem kalten bläulichen Licht von erstaunlicher Intensität, und wurde wieder dunkler, bis Kaskaden neuer Lichtblitze das Spektakel von neuem begannen. Das alles geschah in tiefster Lautlosigkeit; die Entfernung war wohl einfach zu groß, um die Donnerschläge zu hören, die zusammen mit den Lichtblitzen auftreten mussten.
Aber waren es überhaupt Blitze? Blitze wie auf der Erde? Gab es hier Gewitter? Pablo konnte sich nicht erinnern, während der Vorbereitung auf die Expedition davon gehört zu haben. Vielleicht hatte er es auch einfach vergessen. Die Basis würde es wissen. In der Basis waren ja die Datenspeicher mit den gesamten Erkenntnissen der bisherigen Fernerkundung des Planeten.
Aber Pablo versuchte gar nicht erst, die Basis zu erreichen. Das war jetzt aussichtslos.
Vielleicht waren es ja auch keine elektrischen Entladungen. Möglich, dass es ein Vulkanausbruch war. Oder irgendetwas brannte dort, vielleicht eine große Magnesium-Lagerstätte. Die Atmosphäre enthielt etwas Sauerstoff, da war ein Brand vorstellbar.
Wenige Augenblicke später verwarf er diesen Gedanken wieder. Das "Wetterleuchten" schien zu wandern, anscheinend bewegte es sich von ihm weg. Pablo war sich aber nicht sicher. Auf diese Entfernung war nicht zu unterscheiden, ob sich das Leuchten wirklich entfernte oder einfach nur schwächer wurde.
Kurze Zeit später war der Horizont wieder dunkel.
Erst jetzt nahm Pablo den leichten Dunst wahr, der über dem Tal hing. Nebel über dem Tal, das war noch nie der Fall gewesen, seit er auf dem Berg war. Er hatte fast jede Nacht einen kurzen Kontrollgang gemacht und nie etwas bemerkt. Nun gut, es konnte am Wetter liegen, an der Feuchtigkeit der Atmosphäre, die heute vielleicht etwas anders war als an den anderen Tagen. Aber Pablo hatte plötzlich eine Ahnung, dass dies nicht die Ursache sein würde.
Er schaltete die Handlampe an und schritt zu der Stelle, die er "den Aussichtspunkt" nannte. Der Fels ragte hier ein wenig hervor und sie hatten ihn gangbar gemacht. Von hier hatte man einen ausgezeichneten Blick ins Tal.
Das Tal war gefüllt mit dem Wasser des gelben Ozeans.
Am nächsten Morgen war die ganze Station in einen dicken gelben Nebel gehüllt.
Die Sauerstoffkonzentratoren hatten sich abgeschaltet.
Der Sauerstoff in den Tanks würde etwa 5 Tage reichen, das hatte Pablo bereits durchgerechnet. Größere Sorgen aber machten ihm die Energiereserven der Station. Die Solarkollektoren lieferten fast keinen Strom mehr. Das Licht der hiesigen Sonne war ohnehin etwas schwach und der Nebel hatte dieses Problem drastisch verschärft. Pablo schaltete alle Geräte ab, die er nicht unbedingt brauchte.
Es war ein verdammtes Pech, dass sie es nicht mehr geschafft hatten, die Kisten mit der Laborausstattung auf den Berg zu fliegen. Das Labor war da, aber fast alle Geräte fehlten. Pablo hätte den Nebel zu gerne analysiert, er hätte gerne gewusst, ob dieser Nebel wirklich aus Wasser bestand und was die gelbliche Färbung hervorrief. Aber ohne Messgeräte keine Chance, das herauszufinden.
Was, wenn es kein Wasser-Nebel wäre? Wenn es ein giftiges Gas wäre? Oder - und das fiel Pablo mit Erschrecken ein - wenn es ein explosiver Stoff wäre? Irgendwie tauchte in seinem Kopf der Begriff Azomethan aus fernen Erinnerungen seiner Studentenzeit auf. Ein explosiver Nebel wäre die perfekte Erklärung für die Leuchterscheinungen in der Nacht, das wurde ihm schnell klar.
Pablo rechnete ohnehin nicht damit, in dieser dicken Suppe den Funkkontakt zur Basis herstellen zu können, aber nun verzichtete er bewusst darauf, die Antenne in Betrieb zu nehmen. Man wusste nicht, ob die Funkerei mit der Antennenenergie Schaden anrichten könnte.
Es war doch verrückt. Da hatten sie sich monatelang auf diese Expedition vorbereitet, waren jahrelang im Kälteschlaf durch den Raum geflogen - und jetzt genügten zwei, drei nicht vorhergesehene Ereignisse, um alle Prognosen und Erwartungen zum Teufel gehen zu lassen. Wenn der Nebel sich in den nächsten paar Tagen nicht verzog, würde seine Mission hier enden. Und er auch.
Pablo setzte sich ans Fenster und schaute hinaus in den trüben gelblichen Nebel, der, von keinem Windhauch bewegt, wie eine Mauer um die Station stand.
Mitunter glaubte er diffuse Formen zu sehen, Schatten, die sich träge durch den Brodem bewegten, aber wenn er versuchte, genauer hinzuschauen, zerflossen die Gestalten und ballten sich zu anderen Formationen zusammen.
Er dachte lange darüber nach, ob er den Raumanzug anziehen sollte. Aber wozu? Wenn der Sauerstoff zu Ende gehen würde, würde ihm der Raumanzug auch nichts nützen. Bis zur Basis waren es etwa zweihundertfünfzig Kilometer, die ersten dreißig oder vierzig davon über schroffe, unpassierbare Gebirgszüge. Selbst wenn er einen Weg finden könnte, es war unmöglich, genug Proviant und Sauerstoff für einen solchen Fußmarsch mitzunehmen. Ohne Hilfe konnte er von hier nicht weg, und wenn er nicht wegkonnte, spielte es keine Rolle, ob er das Zuneigegehen der Sauerstoffreserven im Container oder im Raumanzug erlebte.
Zwei Tage waren vergangen und der Nebel hatte sich nicht verzogen.
Es war kalt und dämmrig, fast dunkel in seiner Bude, wie er den Wohncontainer nannte. Pablo konnte nicht viel tun. Alles würde Energie verbrauchen.
Er hatte nun doch den Raumanzug angezogen. Der Anzug war gut isoliert und schützte ihn vor zuviel Wärmeverlust, denn Pablo hatte inzwischen auch die Reste der Heizung abgeschaltet. Zum Glück waren die Temperaturen auf PELB-15 erträglich und sanken nur nachts unter den Nullpunkt.
Er hatte sich etwas zum Schreiben gesucht. Schreiben, mit der Hand schreiben, konnte auf der Erde fast niemand mehr. Es war Bestandteil der Raumfahrerausbildung, Abschnitt Überlebenstraining, geworden. Schreibutensilien gehörten nun zur Notfallfallausrüstung und sie hatten sie immer "die Testamentmappe" genannt. Schwarzer Humor.
Viel zu schreiben gab es nicht, aber er wollte wenigstens eine Nachricht hinterlassen, was passiert war. Schlimmstenfalls würde er hier ersticken, irgendwann würde sich der Nebel verziehen, die Sauerstoffanlage würde vielleicht wieder anlaufen und, falls man ihn jemals finden würde, würde sich niemand erklären können, was passiert war.
Nicht ohne Galgenhumor dachte er an die schönen Science-Fiktion-Hologramme, die er in seiner Jungend gesehen hatte. Da programmierte man in solchen Fällen die Memory-Kristalle, die dann noch tausend Jahre später genaues Zeugnis ablegen konnten. Die Realität war anders. Ohne Supercopter keine Geräte für eine sonnenunabhängige Energieerzeugung, ohne Energie kein Überdruck, ohne Überdruck würde irgendwann der Nebel durch Mikro-Undichtigkeiten eindringen und niemand wusste, ob er aggressive chemische Eigenschaften hatte und Metalle, Kunstoffe, Computer und den ganzen technischen Kram zersetzen würde. Und ohne technischen Kram keine elektronischen Nachrichten.
So einfach war das und so dünn war das Eis, auf dem die Menschheit sich auf fremden Planeten bewegte.
Aber Pablo dachte noch längst nicht daran aufzugeben.
Es war wahrscheinlich ein Fehler gewesen, dass er zwei Tage lang untätig herumgesessen und passiv darauf gewartet hatte, dass sich der Nebel zerstreuen würde.
Gegen Mittag verließ er den Wohncontainer. Es passierte - nichts. Nun gut, er hatte auch nicht damit gerechnet, dass der Nebel innerhalb von Sekunden seinen Anzug zersetzen würde. Pablo stapfte zum Versorgungsmodul. Dort klemmte er eine der Batterien ab und erzeugte mit einem Stück Kabel einen kurzen elektrischen Lichtbogen. Keine Explosion. Also kein explosives Gas. Darüber hatte er sich nun Gewissheit verschafft. Beruhigend.
Als nächstes ging er zu den Sauerstoffkonzentratoren. Es war nicht leicht, sie zu finden, denn sie waren in der trüben Brühe, die alles umgab, kaum zu entdecken. Er stellte mit Befriedigung fest, dass sie große und kleine Konzentratoren verbaut hatten. Zum Glück hatten sie sich hier an die Vorschrift gehalten, die besagte, dass eine Konzentratorenanlage immer auch transportable Sammler enthalten sollte.
Pablo montierte einen der kleinen Konzentratoren ab und schleppte ihn zum Labor.
Das Gerät war schwerer, als er gedacht hatte, und für kurze Zeit zweifelte er daran, ob er den Plan, den er sich ausgedacht hatte, wirklich umsetzen können würde. Aber er hatte seine Gelassenheit wiedergewonnen, wenigstens zum Teil, und so machte er sich daran, den Filter des Sammlers zu demontieren und zu reinigen.
Die feuchten gelblichen Brösel, die er aus dem Filter pulte, verwahrte er in einem Glasbehälter, den er sorgfältig verschloss. Er überlegte, ob der den Behälter aus Sicherheitsgründen besser draußen, im Freien, abstellen sollte, aber dann hielt er diese Idee doch für übertrieben. Das waren irgendwelche Rückstände aus dem Nebel, was sollten sie schon für Schaden anrichten?
Aus den Transportverpackungen der Konzentratoren, die überall herumlagen, machte er sich eine Art Schlitten, mehr schlecht als recht zwar, aber er würde seinen Zweck erfüllen. Ein paar Meter Seil hatte er auch gefunden und Kabel war mehr vorhanden als er wahrscheinlich brauchen würde.
Dieser Tag war anstrengend gewesen, er war das nicht mehr gewöhnt.
Nun noch in der Schleuse den Raumanzug wechseln - zum Glück hatte er ja zwei und auch der andere passte einigermaßen - und dann schlafen. Morgen würde er Kraft brauchen.
Dass das Fenster seines Containers mitten in der Nacht für kurze Zeit hell wurde, sehr hell, sah Pablo nicht mehr.
Pablo hatte tief und traumlos geschlafen. Zum Frühstück gönnte er sich etwas Energie, um sich ein heißes Getränk zuzubereiten - er musste sich für diesen Tag stärken und durfte nichts dem Zufall überlassen.
Er hatte immer noch keine Lösung für das Problem, das ihn seit seinen ersten Gedanken an seinen Plan beschäftigte.
Er wollte auf den Gipfel des Berges steigen in der Hoffnung, dass dort, dreißig oder vierzig Meter über dem Niveau seiner Station, der Nebel weniger dicht sein könnte. Er wollte, wenn das der Fall wäre, dort oben den transportablen Sauerstoffsammler aufstellen. So weit, so gut. Er verschwendete keine Gedanken mehr daran, was geschehen würde, wenn sich seine Hoffnung nicht erfüllte. Erst mal auf den Berg kommen, dann weitersehen. Aber er konnte sich nicht schlüssig darüber werden, wie er vorgehen sollte. Sollte er den Sauerstoffkonzentrator gleich mitnehmen oder sollte er zuerst ohne Gepäck losgehen? Ohne die Last des sperrigen Sammlers würde er einfacher und schneller auf den Gipfel gelangen. Aber er müsste dann, falls dort oben tatsächlich bessere Verhältnisse herrschten, den ganzen Weg wieder zurückklettern und anschließend noch einmal mit dem Sammler die gleiche Kletterei veranstalten. Er konnte nicht einschätzen, ob er das schaffen würde und ob er es an einem Tag schaffen könnte. Andererseits könnte er sich den zweiten Aufstieg sparen, wenn am Gipfel die Nebelschwaden genauso dicht wären wie hier unten an seiner Station.
Würde er den Sammler gleich mitnehmen, wäre nur ein Gang nötig. Aber würde er mit dem Sammler im Schlepptau überhaupt einen Weg nach oben finden? Und was, wenn er ihn oben am Gipfel überhaupt nicht brauchen konnte? Dann wäre die ganze Quälerei umsonst gewesen.
Pablo musste sich entscheiden und er entschied sich dafür, den Sauerstoffkonzentrator sofort mitzunehmen. Wenn am Gipfel weniger Nebel sein würde: gut. Wenn nicht, würde es auch keine Rolle mehr spielen, ob er sich völlig verausgabt hatte oder nicht.
Seine Uhr zeigte etwas nach neun Uhr an, als er losstiefelte, und der einzige Unterschied zur Nacht war, dass der Dunst, in dem er sich befand, gelblich war und nicht schwarz. Seine Umgebung erkennen konnte er nicht. Er sah seine Fußspitzen, aber auch das nicht immer.
Er hatte keine Ahnung, wie weit es bis zum Gipfel sein würde. Er hatte den Höhenunterschied noch im Kopf, weil sie diesen gemessen hatten, um den Supercopter einzuweisen. Aber die Entfernung von seiner Station bis zum Gipfel des Berges hatte er vergessen. Oder er hatte sie nie gewusst.
Zum Glück kannte er die ungefähre Richtung, in der sich der Gipfel befinden musste. Und er hatte den Minicomputer an seinem linken Arm so programmiert, dass dieser alle paar Minuten eine Höhenmessung vornehmen und Alarm geben würde, wenn drei Messungen hintereinander geringere Werte als vorher ergeben würden.
Viel mehr hatte Pablo nicht tun können.
Pablos Sorge war nicht, den Gipfel zu verfehlen. Schlimmer war, dass er nicht wusste, ob er die höchste Stelle des Berges überhaupt erreichen könnte. Er hatte keine Ahnung, ob er einen gangbaren Weg finden würde oder ob unüberwindbare Felsen auf ihn warten würden.
Die ersten vierzig oder fünfzig Meter waren leicht. Die Steigung war relativ gering und der Sammler, den er hinter sich her zerrte, ließ sich einigermaßen bewegen. Später wurde es steiler und steiler. Manchmal kletterte er voraus und hievte den Sammler mittels einer kleinen Rolle, die er in den Fels geschlagen hatte, nach oben. Ja, er hatte sogar an die verdammte Rolle gedacht! Das musste doch klappen, es durfte einfach nicht vergebens sein, dass er sich hier abmühte! Er wollte sein Leben nicht hier, auf diesem namenlosen Berg verlieren!
Nach zwei Stunden, als das Keuchen in seinem Helm überhand nahm, machte er die erste längere Pause. Eigentlich war es bis hierher ziemlich gutgegangen. Der Höhenmesser zeigte dreiundzwanzig Meter Höhendifferenz an. Der Sauerstoffverbrauch war einigermaßen im berechneten Rahmen. Der Nebel allerdings, der war so dicht wie zuvor, da hatte sich nichts geändert. Gar nichts.
In einem Anfall von Mutlosigkeit wurden Pablo für einen Moment die Knie weich, aber dann zwang er sich, aufzustehenen und weiterzumachen. 'Wenn schon sterben', dachte er, 'dann als Held, wenigstens als Mini-Held, aber nicht einfach so, im Innern der Station. Das - wäre - eine - Schande.' Und dieser Satz wiederholte sich in seinem Kopf bei jedem seiner Atemzüge, während er sich weiter und höher quälte, den verfluchten Sammler hinter sich herschleifend.
Er machte dann keine Pause mehr. Er verschnaufte immer nur kurz, denn er wusste nicht, ob er noch einmal aufstehen würde, wenn er sich zum Ausruhen auf die Felsen setzen würde. Er hatte längst einige der Energietabletten geschluckt, die der Raumanzug enthielt.
Er schaute immer nur die Felswand an, die er vor sich hatte. Manchmal glaubte er eine Veränderung wahrzunehmen. Glaubte, die Wand deutlicher, weniger gelb sehen zu können, aber er gönnte sich nicht den Luxus, tatsächlich auf das Ende des Nebels zu hoffen.
Stunden vergingen so. Seine Beine und Arme schmerzten, die Luft blieb ihm manchmal weg, er spürte seinen Puls in den Ohren und er hatte das Gefühl, in einem quälenden Alptraum gefangen zu sein. Aber er war Raumfahrer! Raumfahrer, verdammt, und kein elender irdischer Bürokrat. Er würde weitermachen, weitermachen bis zum letzten Atemzug, egal wie nah der wäre.
Als es deutlich heller um ihn herum wurde, wurde sein Herzschlag schneller. Noch schneller, als er ohnehin schon war, und Pablo zwang sich zu Gelassenheit. 'Nicht glauben', befahl er sich, 'das nicht glauben! Jetzt noch nicht!'
Er richtet den Blick weiter nur auf die Felsen vor sich, die allmählich flacher zu werden schienen. Er musste kurz vor dem Gipfel sein, aber wollte sich nicht umdrehen, er wollte nicht enttäuscht werden. Das würde er nicht verkraften.
Der Höhenmesser zeigte dreiundsechzig Meter Differenz zu seiner Station an, als ihn Sonnenstrahlen trafen. Sein Herz machte einen wilden Freudensprung, aber Pablo ging stur weiter geradeaus und schaute sich nicht um.
Das würde er von ganz oben genießen, diesen Anblick wollte er sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Es wurden dann noch sechszehn Höhenmeter bis zum obersten Punkt des Berges, und sie waren leicht zu gehen. Der Anstieg lief in einer flachen Steigung aus.
Pablo erklomm den Felsen, der mitten auf dem Gipfel lag.
Dann drehte er sich um.
PELB-15 lag unter ihm, von Horizont zu Horizont.
Die Sicht war klar, so bestechend klar, wie er sie noch nie erlebt hatte, seit sie hier gelandet waren.
Im Osten leuchtete der gelbe Ozean, im Westen - sehr weit im Westen - sah er kurz vor dem Horizont einen Gebirgszug, den er bisher noch nicht kannte.
Kein Nebel weit und breit - nur an seiner Station. Der orangefarbene Nebel umhüllte tatsächlich ausschließlich seine Bergstation und er umhüllte sie so genau, dass Pablo in der Form des Nebels sein Lager ziemlich genau abgebildet sah. Nur die Abstände zwischen den einzelnen Containern, die waren nicht leer, sondern ebenfalls mit dem gelblichen Dunst ausgefüllt.
‚Das ist Absicht!‘, durchfuhr es Pablo. ‚Das kann kein Zufall sein!‘ Sein Gehirn suchte fieberhaft nach einer Erklärung für dieses Phänomen und er war plötzlich ziemlich beunruhigt. Der Med-Assistent in seinem Raumanzug meldete erhöhten Herzschlag und Schweißausbruch ohne entsprechende körperliche Aktivität, aber Pablo achtete nicht darauf. Ein leichter Wind strich über den Berg - aber wenn es Wind gab, wieso verharrte der Nebel dann völlig unbeweglich?
‚Das muss eine natürliche Erklärung haben!‘. Die Gedanken überschlugen sich in Pablos Kopf.
Elektrostatische Anziehung? Die Station war vielleicht irgendwie positiv geladen, der Nebel negativ?
‚Unsinn!,‘ schalt er sich, alle Container waren geerdet, darauf hatten sie extra geachtet für den Fall, dass es auf PELB-15 Gewitter geben würde. Geänderte thermische Eigenschaften des Bodens, den sie ja immerhin bearbeitet hatten, den sie begangen hatten, auf dem sie mit dem Supercopter gelandet waren? Vielleicht gab es hier irgendwelche winzigen Pflanzen, Moose, Flechten, so etwas, die auf irgendeine unbekannte Weise mit der Feuchtigkeit der Atmosphäre interagierten und die sie unwissentlich zerstört hatten? Konnte so etwas sein? Aber würde der Nebel dann auch die Höhe der Container in einer Exaktheit abbilden, die etwas geradezu Mathematisches an sich hatte? Sogar die Parabolantennen auf den Dächern waren nachgeformt. ‚Nein‘, entschied sich Pablo, ‚ am Untergrund kann es nicht liegen. Unwahrscheinlich, sehr unwahrscheinlich!‘
In Pablos Helm meldete sich der Computer und mahnte an die Rückkehr. Der Sauerstoffvorrat hatte die Menge erreicht, die er für den Rückweg brauchen würde. Pablo wusste, dass noch eine zusätzliche Reserve in den Flaschen war, schließlich hatte er den Computer selber programmiert, aber er wusste auch, dass er irgendwann doch den Weg zurück in den Nebel antreten musste. Etwas in ihm sträubte sich, diesen Weg anzutreten, er hatte nun, da er den seltsamen Nebel von außen gesehen hatte, ein eigenartiges Gefühl. Ein Gefühl, als ob er in etwas Lebendiges eindringen sollte. Das war natürlich Quatsch, vollkommen hirnloser, sinnloser Quatsch, sagte er sich, aber er wurde das Gefühl des Widerstrebens nicht los.
Aber er wollte auch leben.
‚Auch?‘, dachte er gleich darauf. ‚Wieso eigentlich „auch“?‘
Als die ersten Nebelschwaden seinen Helm umspülten, hatte er das Empfinden, als ob ihn tausende mikroskopisch kleiner Augen beobachten würden. Er schob es darauf, dass seine Nerven in den letzten Tagen nachgelassen hatten. ‚Wenn ich mit jemanden über diese Sachen reden könnte, würde mich das nicht halb so stark beeindrucken!‘, dachte er sich. Er setzte mechanisch einen Schritt vor den anderen, und da er auf dem Aufstieg kleine Radarreflektoren auf dem Fels verstreut hatte, ging der Rückweg recht schnell vonstatten.
Am nächsten Tag brachte Pablo noch einige Sonnenkollektoren auf den Gipfel, die er mit dem Sauerstoffsammler verkabelte. Er hatte beim Aufstieg ein jener ultradünnes Seile hinter sich hergezogen, die nicht viel dicker als Spinnenweben, aber enorm fest waren. Damit hievte er nun einen langen, flexiblen Schlauch auf den Gipfel, was erstaunlich leicht und schnell gelang. Als er den Schlauch an den Sammler angeschlossen und das Ventil geöffnet hatte, wurde das kleine grüne Display am Sammler hell und meldete, dass der Druck im Vorratsbehälter des Sammlers fiel. Das bedeutete nichts anderes, als dass Sauerstoff durch den Schlauch in Richtung seiner Station abfloss. Pablo lehnte den Helm an den kalten Kunststoff des Sammlers. Die Anspannung der letzten Tage ließ etwas nach. Dieser kleine Sammler würde ihn nicht in Sauerstofforgien leben lassen - aber er würde ihn leben lassen. Und nur darauf kam es an.
Das Display blinkte wieder auf und meldete, dass der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre am neuen Standort höher als am bisherigen Standort sei. Es folgten Zahlen über die voraussichtliche Erzeugung pro Stunde, pro Tag, pro Woche, die vermutliche Zeitdauer bis zum nächsten Filterwechsel und und und, all die Meldungen, die irgendwo irgendwann irgendjemand vielleicht brauchen konnte. Pablo interessierten sie nicht. Der Sammler hatte offensichtlich keinen Schaden genommen, das war die einzige wichtige Information an diesen Zahlenkolonnen.
In den nächsten Tagen schleppte Pablo noch zwei andere Sammler und weitere Sonnenkollektoren auf den Berggipfel. Er stellte die Geräte etwas verteilt auf, so gut das eben möglich war. Das Gipfelplateau war nicht sehr groß.
Die lange Sauerstoffleitung, die zu seiner Station führte, versuchte er in Felsspalten zu verlegen oder wenigstens mit Gesteinsbrocken zu bedecken.
Er dachte noch darüber nach, ob er zur Sicherheit eine zweite Leitung verlegen sollte - schließlich gab es hier Beben - aber dazu konnte er sich dann doch nicht aufraffen.
Pablo hatte inzwischen mehrere Male versucht, mit der Basisstation Kontakt aufzunehmen. Aber das war ihm nicht gelungen. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass seine Einsamkeit hier auf der Außenstation vielleicht gar nicht das große Problem sein könnte, für das er es bisher gehalten hatte.
Was, wenn die Basisstation selbst in ernsten Schwierigkeiten steckte? Vielleicht gar nicht mehr existierte? Hier auf PELB-15 war vieles möglich, und die bisherigen Ereignisse waren nicht gerade eine Erfolgsgeschichte. Der Gedanke an die Basisstation fing an, ihn beunruhigen.
Dafür jedoch verließ ihn eine andere Sorge. Der ominöse Nebel, über dessen Natur er sich nach wie vor völlig im Unklaren war, mochte zwar die Station auf eine seltsam exakte Art und Weise umhüllen - aber er war nicht intelligent oder von intelligenten Wesen gesteuert. Das war klar. Denn wenn es anders wäre, wäre der Nebel längst bis auf den Gipfel vorgerückt und hätte seine dort aufgebauten fragilen Lebenserhaltungssysteme genauso unbrauchbar gemacht, wie es hier auf dem Gelände geschehen war.
Hier wollte ihm nichts oder niemand etwas Böses. Es war wohl einfach nur die Natur dieses Planeten, die hier wirkte, ohne Zweck und ohne böse Absichten.
Tage vergingen. Die Sauerstofftanks füllten sich, Energie stand zur Verfügung, nicht im Übermaß, aber ausreichend. Es war ein gutes Gefühl, wieder warm essen zu können und Pablo hatte die erste richtige Mahlzeit nach Tagen sogar ein wenig zelebriert. Der Mensch und seine Feuerstelle - es war die alte, die tausende Jahre alte Geschichte, auf die er sich zurückgeworfen fühlte. Dass seine Feuerstelle ein Hochtechnologie-Gerät war und kein Lagerfeuer, änderte daran nicht viel.
Pablo hatte am Weg zum Gipfel gearbeitet. Er hatte versucht, die schwierigen Passagen gangbarer zu machen und sogar ein paar Trittstufen und Leitern installiert. Er konnte jetzt relativ schnell und gefahrlos zu seinen Sauerstoffsammlern und Sonnenkollektoren gelangen und so hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, fast jeden Tag auf den Gipfel zu gehen. Es konnte nicht schaden, nach der Technik zu sehen. Aber das war nicht der einzige Grund. Nein, er wollte auch raus aus dieser trüben Nebelsuppe, die immer noch seine Container umschloss und das Tageslicht trübte und seine Gedanken schwer machte. Auf dem Gipfel fühlte er sich freier.
In einer der noch ungeöffneten Kisten hatte er ein elektronisches Visier mit Zoomfunktion für seinen Helm gefunden und es sogleich montiert. Und so kam es, dass er manchmal auf dem Gipfel saß, den Rücken an ein paar Steine gelehnt, und die weitere Umgebung betrachtete. Er schaltete dann die Isolation seines Raumanzugs ab und wärmte sich in der Sonne. ‚Wie eine alte, einsame Echse mit gepanzertem Kopf.‘, dachte er und musste trotz der Umstände grinsen. Die Sonne tat ihm einfach gut.
Viel zu sehen gab es allerdings auch mit dem neuen Visier nicht, der Planet war öd, eine Geröll- und Steinwüste. Einige Male schien ihm zwar, als würde sich nahe am Horizont irgendetwas bewegen - wenn es so war, musste es etwas sehr Großes sein - aber letztlich handelte es sich nur um ein vages Flimmern am Rande der Auflösung des Visiers. Er glaubte nicht, dass er wirklich etwas gesehen hatte, die vollkommene Leblosigkeit des einsehbaren Teils der Oberfläche des Planeten sprach deutlich dagegen.
Wie anders wäre diese Expedition, dachte Pablo, wenn es hier Wälder gäbe, Wälder mit fremdartigen Tieren und Pflanzen. Wenn es Leben gäbe. Wie auf der Erde. Und er richtete den Blick auf den Himmel, dahin, wo er die Erde vermutete, und er spürte, wie ihn Verzweiflung anbrandete, und er zwang sich schnell, an etwas anderes zu denken. Er war so verdammt einsam hier. Das machte ihm zu schaffen. Das machte ihm schon nach so kurzer Zeit so zu schaffen. Das hätte er nicht gedacht.
Einige Tage später, Pablo arbeitete gerade im Freien in der Nähe des Tals, hörte er ein Geräusch.
Das erste Geräusch seit langem, das er nicht selbst verursacht hatte.
Es war ein Brummen, ein ziemlich tiefes Brummen, und es schien nicht aus der Nähe seiner Station zu kommen.
Pablo richtete sich auf und versuchte das Geräusch zu orten. Da er wegen des Raumanzugs den Kopf nicht besonders gut bewegen konnte, drehte er sich mit dem ganzen Körper hin und her, bemüht, die Richtung festzustellen, aus der das Brummen kam.
Es gelang ihm nicht. Er fluchte in Gedanken. Hunderte Jahre Raumforschung, beinahe Lichtgeschwindigkeit konnten sie erreichen, Kälteschlaf war kein Problem, aber Helme mit brauchbaren Außenmikrofonen hatten sie in all den Jahren nicht zustande gebracht!
Das Geräusch schien näher zu kommen. Es wurde jedenfalls lauter. Pablo versuchte eine Frequenzanalyse, aber der Computer gab nur unverständliche technische Details von sich und konnte den Ton keiner ihm bekannten Quelle zuordnen.
Unversehens ging das Brummen in ein Pfeifen über. Es schien sich jetzt schneller zu bewegen und Pablo hatte den Eindruck, als ob es direkt auf ihn zukommen würde. Das konnte auch täuschen, er konnte es nicht genau feststellen. Für Sekundenbruchteile hatte Pablo ein Bild im Kopf, das den Endanflug einer ballistischen Kampfrakete auf ein Ziel darstellte und das Ziel würde seine Station sein. ‚Blödsinn‘, schrie er in Gedanken, und es war ohnehin keine Zeit mehr und keine Gelegenheit, noch irgendwo in Deckung zu gehen.
Das Pfeifen kam rasend schnell näher und wurde zu einem brüllenden Kreischen, einem Crescendo an Misstönen an diesem Ort, der noch vor einigen Sekunden völlig lautlos gewesen war.
In einer Geste primitiver Menschlichkeit ging Pablo in die Hocke und presste die behandschuhten Hände an den Kopf, dahin, wo der Helm die Ohren verbarg, aber genau in diesem Moment hatte der Computer die Außenmikrofone abgeschaltet. Der Helm dröhnte wie ein Resonanzkörper, Pablo fühlte sich wie im Innern einer riesigen, wahnsinnig gewordenen Glocke, die bei den nächsten Schlägen des Klöppels zerbersten musste.
Plötzlich erfasste ihn eine Druckwelle. Sie warf ihn um. Er krümmte sich zusammen, soweit es der Anzug zuließ und durch das beschlagene Helmvisier sah er Steine durch die Luft wirbeln und zerrissene Nebelfetzen. Etwas Helles blitzte auf, kurz nur, sehr kurz, es schoss auf ihn zu, mit atemberaubender Geschwindigkeit. Schneller, als er denken konnte. Für Angst bleib keine Zeit, geschweige denn für irgendeine Reaktion.
Der helle Blitz, der kein Blitz war, sondern irgendetwas Körperliches - das hatte Pablo gespürt - raste an ihm vorbei. Er ließ ein brüllendes Donnern zurück, das schnell an Intensität verlor.
Pablo lag noch in Schockstarre auf dem Boden, als er fühlte, wie der Fels zitterte. ‚Der Einschlag‘, dachte er, ‚das Ding ist irgendwo eingeschlagen. Oder explodiert.‘ Die Mikrofone hatten sich wieder aktiviert und so vernahm Pablo Minuten später erneut ein Donnern, ein Donnern, das gewaltiger, mächtiger, anhaltender war als vorher und das offenbar von weit her kam.
Pablo erhob sich mühsam. ‚Der Gipfel.‘, dachte er. ‚Ich muss hoch auf den Gipfel! Vielleicht kann ich von dort etwas sehen!‘
Er eilte zu seiner Treppe, wie er den gangbar gemachten Aufstieg inzwischen nannte, und während er die Station durchquerte, registrierte er, dass hier trotz der immensen Druckwelle, die zweifellos auch bis zwischen die Container gereicht haben musste, alles seinem Platz zu sein schien. Er registrierte es und er hatte ein diffuses Gefühl, dass dies etwas Bestimmtes bedeuten müsste, aber er war zu stark von dem Wunsch durchdrungen, so schnell wie möglich auf den Berggipfel zu gelangen, als dass er diesem Gefühl Raum für Gedanken gelassen hätte.
Der Aufstieg zum Gipfel ging, nachdem er den braunen Nebel hinter sich gelassen hatte, relativ schnell vonstatten. Schon auf halber Höhe sah er, dass in Richtung des Ozeans eine gewaltige Wolke am Horizont stand. Eine Wolke, die wuchs, die sich nach allen Seiten auszudehnen schien, die aber vor allen nach oben strebte. Die Bewegungen der Wolke schienen in Zeitlupe abzulaufen, aber Pablo wusste, dass dies nur ein optischer Effekt auf Grund der großen Entfernung war. Er sah sich nicht in der Lage, die Höhe dieser Wolke abzuschätzen, aber er vermutete, dass die höchsten Ausläufer bereits in die Stratosphäre hineinreichen.
‚Das ist keine Wolke!‘, durchzuckte es ihn plötzlich. ‚Das ist Wasser, das ist das Wasser des Ozeans, das da hochgeschleudert wird! Das ist ein gewaltiger Berg aus Wasser!‘
In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was bedeutete das? Hatte das natürliche Ursachen? Künstliche? War das Zufall? Absicht? Wer oder was sollte auf diesem unbelebten Planeten in der Lage sein, solche gewaltigen Energiemengen freizusetzen? Diese Masseverlagerung des Wassers musste die Rotation des Planeten beeinflussen, wie würde sich das auswirken? Und vor allem: mussten diese Abermillionen Tonnen an Flüssigkeit nicht am Ende wieder auf den Planeten herabstürzen?
Pablo schauderte es, aber mit einer Mischung aus Furcht und Faszination blickte er weiter wie gebannt auf das Drama, das sich weit entfernt, und doch vor seinen Augen, abspielte.
Er hatte so etwas noch nicht gesehen. Wahrscheinlich hatte so etwas niemand vor ihm je gesehen. ‚Zumindest kein Mensch‘, korrigierte er sich.
Pablo war klar, dass er sterben würde, wenn diese Wassermengen auf den Planeten zurückstürzen würden. Das würde kein lokal begrenztes Ereignis sein. Wahrscheinlich würde mehr oder weniger der gesamte Planet betroffen sein. ‚Der Berg ist hoch‘, dachte er, ‚der Berg wird nicht überschwemmt werden. Aber was dann von oben ‘runterkommt, wird alles erschlagen und wegspülen! Das wird kein Platzregen!‘
Er müsste eine Höhle haben, eine Höhle ziemlich weit oben am Berg, die trotzdem noch genug Fels über sich hätte, um dem Druck der stürzenden Wassermassen zu überstehen.
Aber das war aussichtslos - Pablo war in all den Tagen, an denen er am Berg herumgeklettert war, auf keine einzige Höhle gestoßen, und ihm würde keine Zeit bleiben, jetzt noch danach zu suchen.
So unsinnig das war, aber am meisten ärgerte ihn, dass er hier Zeuge von etwas Großem wurde - und es niemanden berichten konnte.
Pablo blickte auf die Wolke in der Ferne, dann auf seine Station, und er war seltsam ruhig.
Aber irgendetwas war da noch, irgendein Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht.
Ja, jetzt hatte es wieder: Warum eigentlich stand sein zusammengewürfeltes Containerdorf überhaupt noch, und zwar in vollster Ordnung? Diese Druckwelle beim Vorbeiflug des unbekannten Etwas, die hatte ihn nicht vollständig erwischt, aber sie hätte seine Container hinwegfegen müssen - was jedoch nicht geschehen war.
Das war seltsam. Es würde wohl ein ungelöstes Problem bleiben.
Fortsetzung folgt
Wer eine Info möchte, wenn es weitergeht, kann das in den Kommentaren kundtun.
Ich werde dann eine kurze Nachricht schicken.
Tag der Veröffentlichung: 18.09.2016
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