Cover

Der Dank

„Zieh doch nicht so stark am Zügel!“

 

Johannes hatte Schulferien. Er stand auf dem Feld und schaute zu, wie die Landarbeiter den Erntewagen mit Heu beluden. Vor dem Wagen war Bruno, der braune Hengst von Bauer Zechka, angeschirrt. Auf dem Wagen aber saß Peter, Zechkas jüngster Sohn, und durfte Brunos Zügel halten.
Ach, wie Johannes Peter beneidete!

 

Es war Ende August und glühend heiß. Die Sommersonne brannte unbarmherzig herab und am Himmel war nicht eine einzige Wolke zu sehen. Die Luft flimmerte über den Feldern und das Heu gab beim Laden Kaskaden von Staub von sich. Die Arbeiter hatten Schweißperlen auf der Stirn, die, wenn sie über die Wangen nach unten liefen, helle Spuren in den Gesichtern hinterließen.
Dorf und Felder waren in bleierne Schwere versunken, der Tag schien sich unter der flirrenden Hitzeglocke zu ducken.

 

„Du sollst nicht so stark am Zügel ziehen! Das tut dem doch weh!“.
Bruno, das Pferd, stand in der prallen Hitze schon lange vor dem Wagen. Er hatte Durst, gewaltigen Durst, die Leute hatten bei der letzten Fahrt vergessen, ihn zu tränken.
Das Gras vor Brunos Hufen war zwar kurzgemäht und sah auch nicht besonders saftig aus, aber es würde trotzdem ein wenig Erfrischung bringen.
Und so neigte Bruno seinen langen Pferdehals, um an das Gras zu gelangen, aber immer dann riss Peter auf dem Kutschbock die Zügel zurück, sodass Bruno den Kopf wieder heben musste. Das ging nun schon den ganzen langen Tag so.

 

Ja, Peter war zwar der Sohn des Bauern. Aber von Pferden, von Pferden hatte er keine Ahnung. Da war Peter wie sein Vater: Pferde sind zum Arbeiten da, sagte der, und nicht zum Fressen. Und wenn sie nicht parieren, dann gibt’s was mit der Peitsche! So war er, der alte Zechka. Früher, so munkelte man im Dorf, hätte er im Suff mal eines seiner Pferde totgeschlagen. Mit dem Knüppel. Doch davon wusste Johannes nichts und Peter auch nicht. Vielleicht war es auch nur ein Gerücht.
Aber wie sein Vater kannte auch Peter nur eine Art des Umgangs mit Pferden: Härte.
Er hatte keinen Pferdeverstand.

 

Und so spielte sich schon den ganzen Tag der stille Kampf zwischen Peter auf dem Kutschbock und dem durstigen Bruno ab. Das Gras gehört in den Kuhstall, nicht in den Pferdebauch! Pferde sind nicht zum Fressen da!

Bruno war inzwischen hochgradig nervös. Die schlecht angepasste Trense schnitt ihm in die Maulwinkel. Er hatte Schaum vor’m Maul, in den sich schon etwas Blut mischte. Wenn Peter die Zügel zurückriss, tänzelte er, und manchmal ging er ein, zwei Schritte rückwärts. Dann bewegte sich der Wagen und die Arbeiter fluchten.

 

Wieder senkte er den Kopf, und wieder riss Peter an den Zügeln. Bruno warf den Kopf zurück. In seinen Augen glänzte der Schmerz des gequälten Wesens, ein Schmerz, den vielleicht nur Kinder richtig erkennen können.

 

Da fasste sich Johannes ein Herz.
Zwei, drei Schritte.
Ein Satz auf den Kutschbock.

 

Er stieß Peter zur Seite, entriss ihm die Zügel.
Sprang mit den Zügeln in der Hand vom Wagen.
Vor zu Bruno.

 

Er ließ die Zügel fallen, griff mit einer Hand nach Brunos Zaumzeug, zog den Pferdekopf leicht zu sich herunter und sprach beruhigend auf Bruno ein.

 

Das Pferd ließ es geschehen.
Es war ganz ruhig stehen geblieben.

 

Peter hatte sich inzwischen aufgerappelt, war ebenfalls vom Wagen gesprungen und wollte sich auf Johannes stürzen. Die Arbeiter hielten ihn zurück.

 

Johannes streichelte Bruno, verjagte auch die Fliegen, die über sein Fell krochen und - redete. Er redete mit dem Pferd.
Was er sagte, hörte niemand.
Das Pferd aber schien ihn zu verstehen.
Es versuchte nicht mehr, ans Gras zu gelangen, ruhig und wie ein guter alter Freund hörte es der hellen Stimme des kleinen Menschen zu.

 

Weit weg am Horizont schien das Grollen eines fernen Sommergewitters zu verklingen.

 

Jahre später.
Johannes war längst ein Mann geworden. Er war in die Stadt gezogen, hatte geheiratet und war vor kurzem Vater geworden. Mit seiner Frau und dem kleinen Martin war er ins Dorf gefahren, um die Eltern zu besuchen. Es war Ostern, die ersten warmen Tage kündigten sich an und so beschloss man, nach dem Essen einen Spaziergang durch’s Dorf zu machen.
Da hatte sich viel verändert. Nur die Dorfstraße, die bestand immer noch aus dem alten, grobem Kopfsteinpflaster und hatte immer noch keinen Bürgersteig. Und war immer noch so eng wie früher. Und so musste man wie immer mitten auf der Straße laufen, was aber nicht schlimm war, denn Autos waren auf den Dörfern durchaus noch selten anzutreffen.

 

Man traf alte Bekannte, grüßte nach hüben und drüben, das Kind im Kinderwagen wurde gebührend bewundert. Sonnig war die Stimmung, gemütlich. Friedlich.

 

Doch da, plötzlicher Lärm, näherkommendes Galoppieren von Pferdehufen.
Ein Schrei: „Zechkas Pferde gehen durch!“
Ein rasendes Gespann biegt um die Kurve an der Scheune. Ohne Kutscher.
Menschen, die zur Seite hetzen.
Der Kinderwagen - mitten auf der Straße.
Johannes wie erstarrt, unfähig, einen Schritt zu tun.
Dreißig Meter noch zwischen den durchgehenden Pferden und dem Kind, zwanzig Meter, fünfzehn.

 

Da bricht das rechte Gespannpferd, ein alter brauner Hengst, abrupt zur Seite aus. Zieht das andere Pferd gewaltsam mit sich. Der Wagen neigt sich, droht zu kippen, wird vorwärts gerissen, kommt wieder auf alle vier Räder. Verschwindet mit hohem Tempo in der engen Gasse, die zum Dorf hinausführt.

 

Der kleine Martin aber, der wusste am gleichen Abend noch ein neues Wort.
“Bu-no“, brabbelt er und lacht. “Bru-no“.

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.11.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /