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Prolog

Prolog

Fünf Gestalten kamen in den dunklen Raum. Er wurde nur durch die zahlreichen Kerzen etwas erhellt. Das schwache Licht warf angsteinflössende Schatten auf den, mit Marmor bedeckten Boden. In der Mitte des Raumes stand eine Truhe mit vier Riegeln. Eine Lampe hing genau darüber, dadurch leuchtete sie prunkvoll und majestätisch.

Weiße Linien verzierten den Boden und liefen zu einem Pentagramm zusammen. Die Gestalten positionierten sich. Sie standen jeweil auf den Zacken des Sternes, zogen ihre Kaputze tief ins Gesicht und fingen an ein lied zu summen.

Die Tür öffnete sich abermals und ein junges Mädchen kam herein. Ihre langen blonden Locken fielen ihr über ihren nackten Körper und bedeckten ihre kleinen Brüste. Ihr Gesicht war Geschminkt, die Augen mit schwarzem Kajal optisch vergrößert und lange Wimpern warfen feine Schatten auf ihre rosigen Wangen. Ihr ganzes Leben lang wurde sie auf diesen Tag vorbereitet. Vierzehn kurze Jahre musste das Mädchen warten und die Schriften der Offenbarung durch Johannes auswendig lernen.

Sie war perfekt für dieses Ritual. Jungfräulich, klug und wunderschön. Sie hatte gerade ihre Erste Monatsblutung gehabt, deswegen wurde genau dieser Tag, als DER Tag ausgewählt.

Die Zeit war reif. Es war ein Befehl von Oben. Direkt aus dem Himmel überliefert durch die Stimme Gottes.

Es war alles vorbereitet und es würde genau so ablaufen, wie es in der Offenbarung stand. Das Buch der Sieben Siegel würde geöffnet werden und die Menschheit würde gereinigt werden.

Das war zumindest das Ziel der Sekte. Sie waren dafür bekannt, dass sie nur volljährige, alleinstehende Männer aufnahmen. Nur der Anführer durfte sich eine Frau aussuchen und ein Kind mit ihr Zeugen, war es ein Junge wuchs er bei der Frau auf, ein Mädchen allerdings, wurde bis nach der Ersten Blutung aufgezogen. Ihr wurde all das wissen über das Neue Testament – expliziet die Offenbarung – gelehrt.

Jetzt war es soweit. Die Tür öffnete sich abermals und ein großer Mann mit rotem Mantel kam herein. Er nahm das Mädchen an der Hand und führte es direkt in die Mitte. Er umkreiste sie und strich ihr die Haare im Nacken zusammen.

„Ich bin stolz auf dich, meine Tochter“, flüsterte er ihr zu, küsste ihre nackte Schulter und legte ihre Hände behutsam auf das erste Siegel. Sie würde alle vier öffnen und die Apokalypse starten.

Kapitel 1

 

Erstes Siegel – Der Krieg

Kapitel 1

 

Los Angeles, Kalifornien, 16. Mai 2020, 07:32 AM

„Guten Morgen, hübscher Mann“, die sanfte Stimme weckte mich, doch ich wollte nicht aufstehen. Wir waren doch gerade erst ins Bett gegangen. Ich öffnete die Augen kurz und schloss sie gleich wieder. Das grelle Licht der Sonne kam durch den geöffneten Vorhang und schien mir direkt ins Gesicht.

Es war ein sonniger Morgen. In der Ferne hörte ich einen Rasenspringer, der das halb vertrocknete Gras bewässerte. Noch war kein Notstand in Kalifornien ausgerufen worden, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Regierung das Bewässern des Gartens verbot.

Die Tatsache, dass man sonst nichts hörte, war beängstigend. Kein Vogel zwitscherte, kein Hund bellte. Niemand war auf der Straße unterwegs. Mit einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr stöhnte ich innerlich. So früh stand ich sonst nie auf. Was hat sich diese Brünette nur dabei gedacht, mich zu wecken.

Ich lag auf dem Bauch und ein dünnes Lacken schützte meine Körper vor der eisigen Luft aus der Klimaanlage, die über dem Bett hing. Meine Eroberung von letzter Nacht stellte das volle Tablett auf das Nachtschränkchen, setzte sich neben mich auf die Matratze und streichelte mir mit ihren perfekt manikürten Fingernägeln über meinen, mit feinen Narben verzierten Rücken. Sie hatte mich in der letzten Nacht öfter gefragt, woher die Striemen kamen, doch ich gab ihr darauf keine Antwort. Sie war ein One Night Stand und ein gefundenes Fressen für mein Inneres Tier.

Eigentlich war sie verheiratet, das hatte sie mir von Anfang an gesagt, doch es war mir egal. Den halben Abend hatte sie damit verbracht, mir von ihrem viel beschäftigten Mann und ihrem fünfzehnjährigen Sohn zu erzählen. Sie hatte ihn mit dreißig Jahren bekommen und war sehr stolz auf ihn. Sie hörte erst auf zu Reden, als ich sie mit meinen küssen unterbrach. Es schien so, als hätte sie nur darauf gewartet, denn ab diesem Zeitpunkt hatten sich die Worte aus ihrem Mund auf meinen Namen beschränkt.

„Wach auf. Ich habe Frühstück gemacht.“

„Es ist noch mitten in der Nacht“, klagte ich mich nuschelnd und drehte mich zu ihr um. „Weck mich wieder, wenn die Abendnachrichten kommen.“ Ich hätte sie beim Namen genannt, wenn ich ihn noch gewusst hätte. Irgendetwas wie Sandy, Cindy, Candy...

Trotz ihres reiferen Alters hatte sie eine außergewöhnliche Sexuelle Energie. Das war wahrscheinlich der Grund, weshalb ich sie ausgesucht hatte. Eigentlich war sie gar nicht mein Typ. Ich stand auf junge Mädchen. Die, die gerade Volljährig geworden sind und aus reiner Neugierde in die Bar meines Chefs kamen und schüchtern am Tresen stehen. Aus irgendeinem, mir unerklärlichen Grund zog mich diese Frau an wie ein Magnet. Ihre Energie war atemberaubend. Ich hatte oft von ihr gekostet, konnte es aber nicht wirklich speichern, da sie unersättlich war und die gewonnene Energie gleich wieder verbraucht war.

Ich bin ein Demica. Ein Dämon, der sich von der Lebensenergie der Menschen ernährt. Es gab zwei Möglichkeiten, an diese kostbare Energie zu kommen. Einmal durch das Aussaugen des Blutes, oder durch Sex. Ich bevorzugte die zweite Option. Es war mühsam immer einen Dolch bei sich zu tragen. Wir waren immerhin keine Vampire. Wir hatten nicht so etwas tolles wie Fangzähne. Nicht das es Vampire wirklich gab. Nein, das waren nur Hirngespinste irgendwelcher Autoren.

„Du musst aufstehen, ich fahre in einer Stunde zur Arbeit und kann dich mit in die Stadt nehmen. Die Busse fahren hier in der Ecke während den Ferien nur zweimal am Tag. Ich würde aber noch gerne das Frühstück mit dir genießen“, flüsterte sie kess und strich mir meine schwarzen Haare hinters Ohr. Der Zauber von letzter Nacht war vorbei. Ich fand sie nicht mehr so unwiderstehlich anziehen wie gestern. Sie hatte Falten im Gesicht und ich entdeckte ein paar graue Haare in ihrem schnell zusammengebunden Dutt.

„Na gut. Hast du Kaffee?“

„Klar, möchtest du Milch oder Zucker?“

„Nein. Schwarze. Wie meine Seele“, sagte ich und zwinkerte ihr zu, doch sie ignorierte mich. Während ich mich aufsetzte, mich streckte und es mir im Schneidersitz bequem machte, hatte sie die beiden Tassen befüllt und reichte mir meine mit der schwarze Brühe.

„So, wie mein Hals aussieht, glaube ich dir das mit der schwarze Seele auf Anhieb. Im Büro werden sie mich sicherlich fragen, welchen Vampir ich gestern Abend getroffen habe. Meine Antwort lautet dann wohl: Mein Vampir heißt Dylan.“ Sie klang nicht gerade begeistert, hatte sich aber gestern Nacht nicht beschwert, im Gegenteil, sie hatte mich dazu aufgefordert.

„Kein Vampir. Ich bin einfach nur dämonisch gut.“

Das oberste Gebot der Demica lautete: Sage niemanden, was du wirklich bist, wenn du nicht vorhast, ihn kurz darauf zu töten. Ich hatte nicht vor, diese Frau umzubringen. „Ist es immer so still in deiner Straße?“

„Nein, eigentlich nicht. Habe mich auch schon gewundert, aber es ist wohl noch keiner draußen. Es sind ja auch Ferien, vielleicht sind sie weggefahren. Oder die Sonne ist ihnen zu heiß“, antwortete sie schulterzuckend, setzte sich ihre Lesebrille auf die Nase und blätterte in dem Wirtschaftsteil der Tageszeitung.

Ich stand aus dem Bett auf, schlenderte mit meinem Kaffee zu den bodentiefen Fenstern und öffnete eines. Verdammt, sie hatte Recht. Draußen war es bereits jetzt extrem heiß. Irgendetwas war faul. Es roch nicht nur nach Sommer und Hitze, sondern nach Tod und Verwesung. Nur ganz leicht und kaum merklich. Müsste ich raten, würde ich auf einen Tierkadaver tippen, der ganz langsam in der Sonne brutzelte. „Steht etwas interessantes in der Zeitung?“

„Nein“, antwortete sie mir monoton, als hätte sie meine Frage gar nicht wirklich gehört.

Ich schnappte mir meine Jeans und kramte in den Taschen nach meinem Mobiltelefon. Über vierzig Anrufe in Abwesenheit und mehrere Nachrichten. Die letzte war von meinem einzigen wahren Freund. >Es geht los! S.< „Fuck...“, flüsterte ich, stellte die Tasse auf die Kommode neben mir und schlürfte in meine Jeans.

„Wann, sagtest du, fährst du in die Stadt?“ Ich zog mich weiter an und wartete. Sie konzentrierte sich allerdings nur auf die schwarzen Buchstaben auf dem Recycling-Papier und nippte an ihrem Kaffee. „HEY!“ Ich wusste, dass es nicht die feine Englische Art war, was ich da machte, trotzdem entriss ich ihr die Zeitung und blickte ihr tief in die Augen. „Wann GENAU fährst du in die Stadt?“, wiederholte ich mich und klang bei weitem nicht mehr so freundlich wie bis eben.

„In etwa einer Stunde. Kann ich jetzt meine Zeitung wieder haben?“

„Du solltest früher fahren. Es soll Stau geben.“ Ich verabschiedete mich nicht, schmiss den Wirtschaftsteil auf das Bett und kontrollierte noch einmal meine Taschen. Ich hatte alles eingesteckt und musste jetzt nur noch einen Weg finden, so schnell wie es ging in die Stadt zu kommen.

Ich musste in den Club, sonst würden mich meine Clan-Brüder hier zurück lassen. Abermals blickte ich auf mein Smartphone. >Es geht los! S.< mehr hatte mein Freund nicht zusagen? Nur diese drei Worte? 02:32 AM stand als Ankunftszeit neben der Kurznachricht. Sechs Stunden war er in Verzug. Das war eine lange Zeit.

Ich lief die weiße Marmortreppe hinunter, öffnete die Haustür und sah in die Einfahrt gegenüber. Gut, das Motorrad, dass ich aus dem Schlafzimmer gesehen hatte, stand noch da. Ich würde es einfach mitnehmen. Morgen würde es eh keinen mehr stören, denn wenn ES wirklich angefangen hatte, wäre alles egal. Dann würde es bald niemanden mehr geben, der seinen Anspruch auf die sportliche Maschine erheben könnte.

ES begann. Das Ende der Welt. Eingeleitet von den Godspell. Sie waren das krasse Gegenteil zu uns Demica. Sie waren Engel. Zumindest betitelten die Menschen sie so und das nur wegen ihrer Flügel. Schneeweiße, wunderschöne, riesige Flügel. Etwas das uns Dämonen vor vielen Jahrhunderten genommen wurde.

Sie hatten ein Abkommen mit den Hohen Tieren der Menschen geschlossen. Zusammen hatten sie ein paar Rettungsschiffe gebaut. Eine dieser Archen ankerte vor Los Angeles und mein gesamter Clan war auf dem Weg dorthin. Wir waren Vogelfreie. Ausgestoßene oder zum Sterben zurückgelassene. Ich war einer von wenigen, der als Geächteter geboren wurde. Meine Mutter war anders. Sie erzog mich mit viel Liebe. Mein Vater hingegen war sehr traditionell. Ich wusste nicht wirklich, wie die beiden zusammen passten, aber als ich meine Mutter gebraucht hätte, ließ sie mich im Stich. Ich würde mich immer an den Tag erinnern, an dem sie sich gegen mich wandte und zusah, wie mich mein Vater fast Tod prügelte.

Wenn ich mich beeilte, könnte ich es rechtzeitig zum Hafen schaffen. Ich wusste genau, wo sich das Schiff befand. Der Clan hatte sich ein paar Plätze gekauft. Die Tickets waren extrem teuer, aber sie sicherten das Überleben. Die letzten Plätze würden vor Ort versteigert werden. Wer viel Geld hatte, sollte die Apokalypse ohne Schaden überleben. Zumindest soll es auf diesem Schiff so sein. Die Prototypen würden die weniger Reichen transportieren. Niemand wusste so genau, ob sie auch das halten konnten, was sie versprachen. Sie verfügten über keine Rettungskapseln und die Technologie war noch nicht ganz ausgereift. Dort würde man auch die wenige Auserwählten hinbringen. Einfache Menschen. Fischer, Landwirte und Handwerker, um das Wissen und das Überleben zu sichern. Das stand in dem Flyer, den

 

Es war ein Kinderspiel für mich, das Motorrad kurz zu schließen. Mit ein paar kleinen Handgriffen schnurrte der Motor und ich schwang mich auf den Sattel.

Ich raste über den Highway und umfuhr den Berufsverkehr geschickt. Wenn ich mich etwas beeilte, könnte ich es in einer Stunde zum Hafen schaffen. Glücklicherweise war die Maschine vollgetankt.

Der schnellste Weg zum Club war durch einen langen Tunnel, der eine direkte Ausfahrt zum Hafen hatte, aber davor staute es sich bereits. Ich konnte mich noch nicht einmal an den Autos vorbei drängeln, da alle Insassen auf der Straße standen und den Weg versperrte. Verdammt! Ich blickte auf meine Armbanduhr und stöhnte auf. Wenn ich jetzt laufen musste, musste ich mich wirklich beeilen. Es waren noch fast fünf Meilen bis zur Ausfahrt.

„Was ist denn passiert?“, fragte ich einen Mann in Aufzug. Er tippte auf seinem Handy herum und lief nervös auf und ab.

„Keine Ahnung, riecht nach Rauch und es geht schon seit fast einer Stunde nicht weiter. Dabei muss ich dringend z u einem Vorstellungsgespräch...“

Ich hätte jeden hier Fragen können und gerade ausgerechnet an eine Labertasche. Zwei Autos weiter stand ein Cabrio mit einer hübschen Blondine, die wäre auch eine Möglichkeit gewesen, allerdings ging ich so der Tatsache aus dem Weg, dass ich angefangen hätte zu flirten.

Die Stimmung um mich herum änderte sich schlagartig. Hinter mir ertönte ein lauter Knall, Frauen fingen an zu kreischen und um mich herum rannte jeder in den Tunnel. Als ich mich umdrehte sah ich mehrere Geschosse, die direkt auf mich zuflogen. Etwas weiter hinten brannte ein Auto lichterloh.

Ich drehte mich um und tat es dem jungen Anzugträger von gerade gleich, ich musste hier weg. Er rannte in den Tunnel und schrie wie ein kleines Mädchen. Ich stoppte ruckartig. Direkt vor uns stand ein Kerl mit einem weißen Pferd, der Reiter hatte die Hände erhoben und sein Mund war zu einem diabolischen Lachen verzogen, es kam jedoch kein Ton heraus.

Mr. Anzugträger schien ihn nicht zu bemerken. Obwohl das unmöglich war. Ich wollte ihm schon etwas zurufen, dass er aufpassen sollte, als er einfach durch das Gespann hindurch rannte und das Pferd mitsamt Reiter sich in Luft auflöste.

Kopfschüttelnd rannte ich weiter. Waren das die ersten Anzeichen dafür, dass ich wahnsinnig wurde? Halluzinationen? Oder war das gerade wirklich der Hüter des ersten Siegels? Der Krieg. Der erste der vier apokalyptischen Reiter, die das Ende der Welt einläuteten?

Direkt neben mir schlug etwas ein. Aus den Augenwinkeln konnte ich nicht viel erkennen. Es war eine Rakete mit einer alten sowjetischen Flagge darauf, doch ich konnte sie mir nicht genauer ansehen. Bei ihrem Aufprall explodierte sie und ich konnte gerade noch in den Tunnel hechten.

 

 

Kapitel 2

 

Kapitel 2

 

Die Blondine von vorhin stand neben mir und half mir hoch. Sie öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch, doch ich hörte nur ein beständiges Piepsen. Wir liefen weiter nach innen und sie lehnte mich gegen eine Wand direkt unter eine Leuchte.

Es klingelte immer noch in meinem, es wurde aber schon besser. Ich konnte ein paar Wortfetzen verstehen und nickte auf ihre Frage hin, ob es mir gut ginge.

„Das war der Wahnsinn. Du bist fast geflogen“, sagte sie und strich mir über meine Haare und meine Schulter.

„Ich war schon immer gut beim Weitsprung. Mir geht’s gut.“ Ich wischte ihre Hände weg und stand mühsam auf. Mein Schädel fühlte sich so an, als würde er platzen und etwas Warmes floss mir über meinen Hals. Ich wischte es weg und sah Blut. Der Aufschlag der Rakete hatte wohl mein Trommelfall platzen lassen. Aber es gab wichtigeres. Ich musste immer noch zum Hafen. Ich hatte keine Zeit für so ein Theater.

Bis auf die Notbeleuchtung war es Stockdunkel in dem Tunnel. Das gelbliche Licht warf hohe Schatten über den Boden und ich blickte mich um. Vom Eingang war nicht viel übrig. Der Einschlag hatte wohl mehr angerichtet, wie anfangs gedacht. Teile des Tunneleingangs waren heruntergebrochen und versperrten so den Weg nach draußen. Hier drinnen war der Geruch nach Tod und Rauch, den ich vorhin nur schwach wahrgenommen hatte, stärker. Kurzzeitig benebelte er meine Sinne und weckte meine Gier nach Blut. Bisher konnte ich meinen inneren Schweinehund jedoch immer bändigen. Ich hatte genug Energie in der letzten Zeit aus den Menschen gesogen und es war nicht unbedingt schwer, meinen Dämon zu besänftigen.

Ich ging weiter in den Tunnel hinein Es muss trotz des Unfalles einen Weg zum Hafen geben. Es waren nur zwei Ausfahrten. Fünf Meilen. Das war im sportlichen Dauerlauf schnell erreicht.

„Hey, wo gehst du hin?“ Die Blondine versuchte mit mir Schritt zu halten und hielt mich an meinem Arm zurück.

„Ich sehe mich da hinten einmal um. Bleib du hier und helfe den Verletzten. Ich bin bald zurück.“ Ich zwinkerte ihr zu und setzte meinen Weg alleine fort. Ich würde nicht zurückkommen. Niemals. Ich würde bald mein Ticket in der Hand halten und kurz darauf auf die moderne Arche Noah gehen. Das ist zumindest der Plan.

Je tiefer ich in den Tunnel ging, desto spärlicher wurde die Notbeleuchtung. Die Lampen erbrachten bei weitem nicht das Licht, das bei dem Rauch benötigt werden würde. Der Qualm brannte mir in den Augen und der Lunge. Hustend begann ich, zu rennen. Von weitem hörte man noch immer Einschläge und darauffolgende Explosionen.

Nach endlos scheinender Zeit sah ich endlich das gelb leuchtende Schild für die Ausfahrt. Es war trotz Rauch und Dunkelheit super zu erkennen, wenigstens hier hatten die Bauherren in den letzten drei Jahren, in denen der Tunnel entstand ist, gute Arbeit geleistet. Die Unfallvorkehrungen klappten ja auch gut. Der Tunnel hatte schnellstmöglich auf Rot geschaltet und leitete die Autos an der vorherigen Ausfahrt heraus. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich auch keinen Menschen gesehen, die die ich sah, schickte ich an den Eingang. Die meisten dachten wohl, ich sei ein Cop oder so etwas in der Art. Wer sonst würde sich ganz alleine tief in den Tunnel wagen.

Kurz nach der Ausfahrt war die Unfallstelle. Mehrere Autos waren in einander gefahren. Ausschlaggebend war wohl ein Tanklastwagen, der quer über alle drei Fahrstreifen stand und seine geladene Flüssigkeit verlor. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, doch es roch stark nach Benzin. Es war ein Wunder, dass das alles noch nicht in die Luft geflogen war.

Neugierig blickte ich in die Fahrzeuge. Alle waren Tod. Die meisten hatten komische Brandwunden an ihren Körpern und saßen verkrampft auf ihren Sitzen. Es war kein Feuer zusehen, woher kamen also die Wunden und der ganze Qualm. Ich musste meine natürliche Neugierde besiegen und mich dazu zwingen, zurück zur Ausfahrt zu laufen und dem ganzen nicht auf den Grund zu gehen.

        

Vorsichtig verließ ich den Tunnel und blickte mich um. Langsam ging ich weiter, in Richtung Container Hafen. Hier war nichts zu sehen von irgendwelchen Raketen. Ich entdeckte ein paar Gestalten vor einer Tür und ging dort hin. Ich befand mich bereits mitten im Hafen und betrachtete meine Umgebung genau.

Die Häuser sahen altbacken aus und hätten einen neuen Anstrich gut vertragen. Die beiden Männer standen vor einer Tür unter einem kaum noch lesbaren Schild. Es sah aus wie ein altes Firmenlogo. Die Scheiben des Gebäudes waren teilweise eingeschlagen worden oder fehlten komplett. Da soll die Arche des 21. Jahrhunderts drin sein?

„Gehen Sie nach Hause, Sir. Es ist gefährlich in den Straßen“, sprach mich einer der beiden an, sobald ich in Hörreichweite war.

„Ich habe ein Ticket. Meine Familie ist bereits drin, ich stand im Stau. Bitte.“ Ich setzte alles darauf, hinein zu kommen und wenn ich den beiden dafür etwas in den Arsch kriechen musste, dann war das wohl so. Wenn ich das Micael erzählen würde, wäre ich sicherlich das Gespött des Clans. Er war ein fairer Anführer, aber auch sehr Nachtragend. Egal ob es nun um etwas ging, das man angestellt hatte oder es einem einfach nur peinlich war, er liebte es, die Vorkommnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Die beiden verrieten sich mit den Blicken, die sie Austauschten. Die Arche war wirklich hier. Als ich näher bei ihnen war, konnte ich ihnen endlich in die Augen sehen. Doch es war nichts Außergewöhnliches an ihnen. Sie waren nicht sonderlich hübsch oder strahlte diese gewisse Göttlichkeit aus, die man Engeln hinterher sagte. Nein. Sie sahen ganz gewöhnlich aus.

Nach kurzer Zeit gaben sie die Tür wortlos frei und ließen mich eintreten. Ich hatte es geschafft. Ich war hier und die Apokalypse konnte kommen.

Erleichternd aufatmend ging ich in das überfüllte Gebäude. Es war stickig und heiß. Es mussten wohl mehrere Tausend Menschen hier sein und darauf warten, bis sie auf das Schiff durften. Ich sah nicht viel von der Rettungsarche, doch was ich sah, war beeindruckend.

Es sah mehr aus wie ein U-Boot und gleichzeitig wieder wie eine Miniaturausgabe eines Flugzeugträgers. Es war gigantisch. Das Gebäude war in Richtung Meer komplett offen. Es bestand also nur aus drei Wänden. Ein Großteil des Schiffes verschwand hinter der einen Wand und ließ nur erahnen, wie groß dieses Schiff wirklich war.

Als ich durch die Reihen ging und Micael und die anderen suchte, erkannte ich ein paar Berühmtheiten. Schauspieler mit ihren Familien, hohe Politiker, der Polizeichef mit seiner Frau und Superreiche, die ich von den Zahlreichen Plakaten kannte, die in der Stadt herumhingen.

Vor ein paar Jahren gab es einen Börsencrash. Aktien waren günstig und wer Glück hatte, war ein halbes Jahr später – als sich der Börsenmarkt wieder beruhigt hatte – Millionär.

Ich erwischte mich selbst dabei, dass ich nervös auf meiner Lippe herumkaute und erst damit aufhörte, als ich etwas weiter vorne Stanley entdeckte. Er war ein Riese und stach überall heraus. Er war ein Tier. Fast so breit wie hoch und alles mit Muskelmasse ausgestopft. Er lebte für das Training und war der Bodyguard für unseren Clanführer.

Ich bahnte mir einen Weg zu ihnen und grüßte ihn.

„Dylan. Du kommst spät. Ich glaube, Micael hat alle Tickets hergegeben“, antwortete er und blickte mich mit traurigen Augen an. Wir verstanden uns schon immer gut und wir trainierten ab und an miteinander. Ich verlor zwar immer, aber es gab sonst niemanden, der sich die Zeit nahm und mit dem Riesen etwas spielte.

„Wie meinst du das – alle sind vergeben?“

Stan antwortete nicht, er deutete lediglich ein paar Reihen vor ihn und hob entschuldigend die Hände.

Seufzend kämpfte ich mich weiter zu Micael vor. Ich konnte Stanley nicht böse sein. Er war so etwas wie mein großer kleiner Bruder. Ich tippte Micael auf die Schulter und begrüßte ihn mit dem typischen Handschlag – zuerst einschlagen, danach die Fäuste aneinander.

Seit ein paar Jahren hatte sich diese Begrüßungsform eingebürgert und hartnäckig gehalten. Zuerst fand ich sie bescheuert, doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Ich war noch nie ein Trendsetter gewesen und hatte es auch nicht vor, einer zu werden. Ich war beliebt so wie ich war, und das genügte mir.

„Dylan, du kommst zu spät.“

„Sorry, es ging nicht schneller. Wo ist mein Ticket?“, fragte ich und sah mich um. Jeder aus dem Clan hatte eines in der Hand. Sogar diejenige, die bis gestern noch im Clinch mit Micael waren.

„Du hast nicht richtig zugehört, Kleiner. Du bist zu spät. Ich habe alle verteilt. Du musst dir ein anderes Schiff suchen. In ein paar Tagen, werden sie eine Liste mit den anderen Häfen bekannt geben.“ Micael scherzte nie. Niemals! Aber, das konnte doch nur einer sein. Ein sehr mieser.

„Du hast was? Ich hab dir das Geld dafür doch schon gegeben... Ich habe mein Handy nicht gehört... aber ich habe dir meinen Anteil schon gegeben.“ Ich wusste, dass ich mich wie ein kleiner trotziges Kind benahm, das den Schokoriegel nicht haben durfte. Aber es ging ums Prinzip. Ich hatte mehrere Monate Sonderschichten eingelegt und sie mir nicht auszahlen lassen. Sie gingen fair aufgeschrieben direkt an Micael weiter. Das hatten alle Angestellten so gemacht. Zumindest alle Demica. Er fiel mir in den Rücken. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich muss noch schlafen.

„Ich kann nichts mehr für dich tun, Dylan. Geh und besorge dir einen Platz auf einem anderen Schiff, wir sehen uns wieder wenn alles vorbei ist und diese selbsternannten Götter die Erde neu geformt haben. Wir werden an unserem Plan weiter festhalten“, zischte Micael, drehte sich um und ging mit all seinen Gefolgsleuten weg. Ich blieb alleine zurück und blickte ihnen fassungslos hinterher. Mein Mentor war ein Arschloch.

Man hatte begonnen, diejenigen mit Tickets auf das Schiff zu lassen. Die meisten hatten kein Gepäck bei sich. Diejenigen die doch Koffer mit sich schleppten mussten sie zurück lassen. Jedes weitere Gewicht auf dem Schiff konnte den Untergang bedeuten. Natürlich übertrieben die Godspell nur. Sie wollte eine neue Welt formen und nicht die Lasten der Alten mitnehmen.

Die meisten Passagiere waren Erwachsene. Vereinzelt konnte ich ein paar Kinder sehen, die allerdings auch schon im Teenager alter waren. Was brachte es den Godspell, wenn die, die sie mitnahmen nicht einmal in der Lage waren, die Erde neu zu besiedeln? Menschen starben irgendwann. Demica und Godspell nicht. Unser Körper starb, aber die Seele lebte weiter. Sie wurde Wiedergeboren und man lebte mit demselben Wissen weiter. Bis auf das Aussehen änderte sich nichts. Wollte man eine Seele töten, brauchte man ein bestimmtes Material. Ein bläulich schimmerndes Metall. Micael hatte so eines vor mehreren Jahren gekauft und die Klinge eines gebogenen Dolches ausgetauscht.

Ich war wie paralysiert. Das war doch ein schlechter Traum. Es gab nur einen Hacken bei meiner Vermutung. Demica träumten nicht.

Als meine Glieder mir wieder gehorchten, ging ich zu einem der Männer, die die Tickets kontrollierten und sprach ihn an: „Hey, Sir. Bitte, sagen Sie mir, wo die anderen Landestellen sind.“

„Gehen Sie nach Hause. Wir sind voll, es gibt keine anderen.“ Der Typ packte mich an den Oberarmen und schob mich in Richtung Eingang.

„Ach kommen Sie. Es muss noch weitere geben. Die Regierung ist mich so dumm und sorgt nicht für ein weiterbestehen der Menschheit. Die, die jetzt auf dem Schiff sind, sind alles Snobs und alte Säcke. Mister, bitte. Geben Sie mir einen Tipp. Ich habe Frau und Kind. Sie haben kein Herz aus Stein, so sehen Sie nicht aus.“ Ich log, dass sich die Balken bogen. Es gab weder eine Frau und erst recht kein Kind. Ich musste einfach hoffen, dass dieser Kerl so leicht zu überzeugen war, wie die beiden vom Eingang.

„Du hast eine ganz schön große Klappe. Ich merke genau, wann man mich anlügt. Du hast nie im Leben eine Frau und ein Kind. Verschwinde von hier, bevor ich dich rausschmeißen lasse“, antwortete er mir und schubste mich die letzten paar Meter Richtung Tür.

Ich dachte gar nicht daran, ohne eine Information zu gehen. Es konnte doch nicht so schwer sein, von irgendjemanden zu erfahren, wo die anderen Schiffe ankerten. Es waren nicht viele, das wusste er, aber es musste eine Möglichkeit geben zu überleben. Doch noch ehe ich etwas erwidern konnte, war ich umzingelt von Männern. Zwei von ihnen legten je links und rechts ihre Hand auf meine Schulter und gaben mir zu verstehen, dass es Zeit war zu gehen.

„Ich könnt mich nicht einfach rausschmeißen, Ich will auf dieses verdammte Boot und...“

„Nichts UND! Du verschwindest jetzt von hier, sonst ziehen wir andere Seiten auf. Spürst du das an deinem Rücken? Das ist eine Waffe, geführt von unserem besten Schützen. Er trifft bis auf 600 Meter genau ins Schwarze, was glaubst du also, macht er mit dir, aus zwei Metern Entfernung? Du hast genau zwei Möglichkeiten, Kleiner. Nummer eins: Du gehst freiwillig, ohne ein weiteres Wort durch diese Tür. Paul und Andy begleiten dich und gehen auf Nummer sicher, dass du auch ohne Vorkommnisse den Weg findest. Oder Nummer zwei:..“

         „Lass mich raten“, knurrte ich leise. Die Waffe des hochgelobten Schützen drückte unangenehm gegen mein Kreuz und schürte meinen Unmut. Am liebsten würde ich diese verfluchten Godspell einfach umbringen. Ich war mir sicher, dass alle fünf um mich herum aus dem Engelsvolk kamen. Sie hatten alle die gleiche Tätowierung an der Halsseite. Eine Feder die in der Luft zu gleiten schien. „Nummer zwei ist, dass ich in einem Leichensack hier raus getragen werde.“ Ich wartete auf ein Nicken seinerseits, ehe ich meinen Satz vorfuhr. „Dann entscheide ich mich wohl lieber für Nummer eins.“

Nickend sog der Kerl die Luft durch eine Zahnlücke und seine Augen begannen böse zu funkeln. Diese Gemütswandlung war komisch für einen Engel. Wenn ich an einen Godspell dachte, sah ich immer ein dauerhaft gutes Wesen, dass niemals etwas Böses tat. Dieses Grinsen, das er auf seinen Lippen hatte, als er seinen Männern ein Zeichen gab, war jenseits von Gut.

Ohne ein weiteres Wort ließ ich mich durch den Raum führen und schließlich durch die Tür schubsen. Die beiden Türsteher, die sich davor noch die Beine in den Bauch gestanden hatten, waren verschwunden.

Ich drehte mich um und sah den Fuß des einen noch kommen, konnte aber nicht mehr ausweichen. Ohne ein Geräusch verursacht zu haben, hatte er nach vorne getreten und traf mich direkt in der Mitte des Brustkorbes. Ich stolperte nach hinten und landete unsanft auf meinem Hosenboden. Kurze Zeit blieb mir die Luft weg und meine Lunge brannte, als sie endlich wieder Sauerstoff bekam. So schnell es ging, stand ich wieder auf, hielt mir mit einer Hand die stelle, auf die er mich getroffen hatte und die andere ballte ich zu Fäusten.

Ich hatte wahrscheinlich gar keine Chance gegen ihn, er war schnell und ich durfte ihnen nicht zeigen, was ich war. Sonst wäre ich sofort tot.

„Verschwinde, Kleiner. Geh nach Hause und stirb einfach.“ Ich wusste nicht genau, ob das Paul oder Andy war, doch derjenige, der mir den Tod an den Hals wünschte, blockte meinen kläglichen Angriffsversuch und drückte mich mit atemberaubender Kraft gegen die Mauer. Er würgte mich und funkelte mich mindestens genauso böse an, wie zuvor dieser andere Kerl.

„Lass ihn los. Wir müssen wieder rein“, mischte sich der andere ein. Sie sahen sich sehr ähnlich. Sie hatten beide dieselbe Frisur und dieselbe Haarfarbe. Mein Samariter war jedoch nicht so muskulös.

Ruckartig wurde ich losgelassen und der Kerl dampfte davon. Mein Retter beugte sich zu mir und flüsterte mir zwei Worte zu: „Omaha, Nebraska.“ Das war alles. Danach war er genauso schnell verschwunden wie sein Kollege.

 

Impressum

Bildmaterialien: JYA Design - Selia Ascrala
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2015

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