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Was ist schon so, wie man denkt?

In den letzten Tagen wurde dieser dumpfe Schmerz in meinem Herzen mein ständiger Begleiter. Ich akzeptierte es, denn es gab so viel zu tun.

Es begann mit dem in die Ferne gerichteten Blick des Arztes. Im Krankenhaus sagten alle: „Frau Nolzen, geben Sie die Hoffnung nicht auf!“, und ich hoffte. Ein Gedanke half mir: Frank, ich liebe dich mehr als am ersten Tag.

Meine Hände strichen rhythmisch über den schwarzen Wollrock. Schwarz stand mir noch nie und Frank sagte: „Du bist wie eine bunte Sommerwiese. Duftig, lebendig, in den Farben des Lebens.“

Unruhe ließ mich von Sofa aufstehen und ich wanderte am Bücherregal entlang, blieb vor der Stereo-Anlage stehen. Auf dem Lautsprecher lag noch die The Best of Rolling Stones, deine Lieblings-CD.

Ich spürte Elkes Blick. Dieser besorgte Blick, den ich heute von den Gästen der Beerdigung spürte. Nur Franks Chef, Herr Jankowski murmelte etwas von Firmenunterlagen.

Einsamkeit stieg auf, die Leere des Hauses bedrängte mich. Mühsam holte ich tief Luft, versuchte es abzuschütteln.

Herr Jankowski sprach von Labor-Auswertungen. Vielleicht sollte ich sie suchen? In Elkes Richtung murmelte ich etwas und wanderte in Franks Keller-Büro.

Mein Herz klopfte heftig, da dieser Raum so unverkennbar nach seinem Rasierwasser roch. Kurz entschlossen öffnete ich das Fenster weit und ein Windstoß pustete in das Ablagekörbchen. Zettel stiegen wie Laub auf, flatterten zu Boden. Darunter lag eine CD-Box.

Ich setzte mich auf den Bürostuhl und drückte den Einschaltknopf des Notebooks. Als Desktop-Hintergrund erschien ein Strandbild der Dominikanischen Republik wie eine Bacardi-Werbung mit weißem Sand, Palmen, klarem Wasser. Wann waren wir dort, Zweitausendneun? Zwei romantische Wochen.

Das Fach des Players öffnete sich, dann drückte ich entsprechende Tasten. Ich erwartete Tabellen, aber ein Film startete.

Erschrocken hielte ich die Luft an, denn ich schaute in Franks Gesicht und er lächelte mich an. Dieses unverkennbare, etwas jungenhafte Lächeln.

„Christel, schön, dass du diesen Film gefunden hast. Mir wurde klar, dass wir einige sehr gute Jahre verlebten. Vielleicht etwas spießbürgerlich, aber angefüllt mit viel Freude. Du mochtest unsere Partys, ich genoss unsere Urlaube. Uns gelang es, auch als lang gedientes Ehepaar, dass dieser gewisse Kribbel blieb. Kurz, ich liebe dich.“

Er verschränkte seine Arme, grinste auf seine eigene linkische Art. „Tja! Etwas ist nicht so gelaufen, wie ich es mir dachte.“

Jetzt zwinkerte er mir zu. „Mein Plan war perfekt. Dachte ich. Ich träumte von einem Leben in der Dominikanische Republik. Ich war mir sicher, dass man dafür gutes Geld braucht, um dort unbeschwert zu leben.“

Er nickte mir zu. „Dieser Traum ließ sich realisieren. Entsinnst du dich wie Karsten und ich über industriell gefertigte Lebensmittel sprachen? Die laufenden Pannen wie Dioxin-Eier und so weiter? Da kam ich auf die Idee. Diese Discounter würden bestimmt gutes Geld bezahlen, wenn ich verkeimte Lebensmittel verhinderte. Glaubwürdig konnte ich nur mit echten Ergebnissen sein. Leider ging es schief. Peinlich, weil es mir als Lebensmittelchemiker passierte. Peinlich, weil ich erst am Anfang und im Versuchsstadium war. Peinlich, weil ich nach so vielen Jahren Ehe, immer noch nicht alles von dir wusste.“

Frank zuckte mit den Schultern. „Da in den letzten Jahren immer aggressivere EHEC-Viren auftraten, beschäftigte sich unser Labor damit, um Tests und Gegenmittel zu entwickeln. Dafür experimentierten wir mit Manipulationen. Ich zweigte mir ein paar infizierte Sojakeime ab. Du wolltest dich an dem Tag mit Elke in der Stadt treffen und ich platzierte das Döschen im Kühlschrank.“

Frank richtete sich auf. „Entschuldige, aber ich bin sofort wieder da.“

Im Hintergrund hörte ich die Toilettenspülung, erinnerte mich, damit begann alles. Frank kam nicht mehr von der Toilette herunter, dann musste er sich erbrechen, wurde ins Krankenhaus eingeliefert, die Nieren versagten und immer mehr Organe gaben die Funktion auf.

Er füllte wieder den Platz vor der Kamera. „Entschuldige, aber du weißt, was weiter passierte. Also, Elke sagte dir ab und ich mähte den Rasen, hörte nicht, dass du heimkamst. Als brave Ehefrau, machtest du mir ein Abendessen zurecht. Bratwurst, Bratkartoffeln und Salat.“

Frank verschränkte seine Arme. „Wie ich auf dem Teller auf die Sprossen stieß, war es zu spät. Ich hatte noch überlegt, wie ich sie unter dein Essen rühren kann, weil ich wissen wollte, was passierte. Dann sagtest du, dass dir Sprossen nicht bekommen, dir zu intensiv sind, du deshalb keinen Salat wolltest.“

Er zuckte wieder mit den Schultern. „Auch wenn ich dich liebe, mit Geld hätte ich die freie Wahl gehabt, denn die Schokoladen-Mädchen in der Dom Rep gefielen mir sehr viel besser. Leider ist es ein Traum geblieben und ich bin jetzt nur noch ein Häufchen Asche.“

Frank grinste sein typisches Grinsen. „Ich würde dir raten, diese CD niemanden zu zeigen. Verhindert nur dein Erbe, hetzt dir die Polizei auf den Hals.“

Seine Handbewegung deutete einen gezogenen Hut an. „Meine Liebe, damit verabschiede ich mich.“

Die Kamera blendete aus und ich blieb erstarrt sitzen. Ärger stieg auf. Das Chaos meiner Gefühle, die Angst und Verzweiflung der letzten Tage entsprang seiner wirren Idee, einen Konzern zu erpressen.

Ich drückte auf die Öffnungstaste des Players, riss die CD aus dem Fach, warf sie quer durch den Raum. Meine Wut wurde wild. Zwischen meinen Lippen spuckte ich: „Dieses Arschloch! Der scheibchenweise Tod geschieht dir recht. Schokoladen-Mädchen! Für das Haus habe ich geschuftet und geblutet. Dann diese weiten Flüge rund um den Erdball, weil du unbedingt nach Brasilien und sonst wo hin musstest. Zum Dank wolltest du mich als Versuchskaninchen benutzen? Es gibt Gerechtigkeit und dein Tod war noch nicht qualvoll genug.“

Mit beiden Händen rieb ich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Im Kühlschrank stand eine Flasche Champagner und ich musste noch eine Geschichte für Elke erfinden, warum ich jetzt auf meine neue Freiheit anstieß.

Impressum

Bildmaterialien: Ulla Augustin
Tag der Veröffentlichung: 19.03.2015

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