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Flucht in die Leere

 

Da stehe ich inmitten des großen, leeren Hauses mit dem Pappkarton in der Hand und schwelge in Erinnerungen. Er hatte in einer Ecke des alten Kabuffs gestanden. In Vergessenheit geraten war er verstaubt, hatte aber dort überlebt. Dieses Haus mit seinen Generationen hatte viel gesehen, aber es war zu alt. Wir konnten uns die laufenden Kosten, Instandhaltungen und Renovierungen des geerbten alten Gebäudes nicht leisten. Wir hatten es samt Grundstück verkauft. Das hatte gereicht um uns ein neues Haus zu finanzieren.

Ein Potpourri schöner Bilder prasselt auf mich ein. Es ist, als würden die Wände Geschichten erzählen und die alten Obstbäume im Garten mir zum Abschied winken. Bis zum Kabuff war alles wunderschön, lauter positive Erinnerungsbilder fluteten meinen Kopf - dann fand ich den Karton. Darin lagen Dokumente von Opa und mit einem Lächeln dachte ich an den sanftmütigen Menschen zurück, der mir jemals im Leben begegnet ist. Meine Kindheit in seiner Obhut war voll schöner Erinnerungen. Ich setze mich auf den alten flauschigen Teppichboden inmitten unseres alten Wohnzimmers, das jetzt so riesig wirkt, weil es leer ist. Beim Blättern in den Papieren entdecke ich ein altes vergilbtes Foto....

„Opa? Opa, bist zu wach?“

Das Foto meines Großvaters fällt mir aus der Hand und Tränen füllen meine Augen. Ganz deutlich sehe ich meinen Großvater auf dem Bett liegen. Ich stehe auf und gehe auf die Tür zu, die in sein Zimmer führte. Als ich die Tür aufschiebe, ist es, als wenn ich auch die Zeit verschiebe, rückwärts, zurück in meine Kindheit.

 Damals war das Zimmer ziemlich dunkel. Auf dem Nachttisch standen der große Inhalator und einige Medikamente. Der dunkle Kleiderschrank aus Mooreiche beherrschte die rechte Seite, schluckte das letzte bleiche Licht des Mondes. Von hinten beleuchtete der schwache Hauch der Wohnzimmerlampe den Raum. Die schweren Brokatvorhänge waren noch nicht zugezogen, sonst wäre es im Schlafzimmer noch finsterer gewesen. Die Dunkelheit machte mir Angst. Mein Schatten, entstanden durch das fahle Licht der Stehlampe im Wohnzimmer, wirkte riesig durch das Licht von hinten. Unsicherheit machte sich in mir breit. Diese Angst schluckte ich runter. Ich war hier, weil ich zu meinem Großvater wollte und nun stand ich da und wartete. Ich würde weiter warten.

„Opa?“ So leise wie möglich schlich ich barfuß ans Bett meines Großvaters und lauschte in die Stille. Ich hörte seinen rasselnden, schweren Atem, spürte seine Unruhe und sah die Verkrampfung seines Körpers. Alles nur intuitiv, denn ich war zu klein. Ein Kind. Mein Herz, mein Bauch verstanden das da Etwas war, im Raum stand, aber noch konnte ich es nicht greifen. Alles was ich mit absoluten Sicherheit begriff, er war der liebste und wichtigste Mensch in meinem Leben. Die Anderen wollten nicht, dass ich zu Opa ging, wenn er krank war. Oma schickte mich dann jedes Mal weg.

„Es geht nicht mein Schatz“, sagte sie und nahm mein Gesicht in die Hände. „Wieso denn nicht? Mama oder du bleiben auch bei mir, wenn ich krank bin“, antwortete ich. „Der Winter, es ist der Winter. Die Kälte macht Opa sehr zu schaffen“, erklärte sie mir und meinte, die Erfrierungen an den Zehen würden ihn schmerzen, dazu seien es die Erinnerungen die ihn in Aufruhr versetzen. Aus diesem Grund sei er so melancholisch und das würde sich wohl nie mehr ändern. Damit müssten wir uns abfinden. Ich wollte aber nicht. Ich wollte zu Opa. Jetzt, wo er doch krank war. Ganz oft versuchte auch er mich weg zu schicken und wollte alleine sein. Er lag dann sogar tagsüber im Bett, weil es ihm nicht gut ging. Aber immer wenn ich zu ihm ging, dann lächelte er irgendwann ein kleines bisschen. Er machte die Arme auf, drückte mich und wir kuschelten. Ich streichelte dann jedes Mal seinen Kopf und das Gesicht. Genauso wie es alle bei mir machen, wenn ich krank bin. Reden brauchten wir nicht. Meine Vermutung war er hatte bestimmt Halsweh, wenn er so schwer atmete. Hauptsache wir kuschelten. Ich fand das schön und Opa auch. Das sah ich an seinem Gesicht und in seinen Augen. Alleine aus Trotz und weil ich wusste, dass er es mag, blieb ich in der Kälte stehen.

An diesem endenden Tag wollte ich den Winter auch nicht mehr. Mir war eisig kalt und ich fröstelte. Der alte rote Bettvorleger konnte die Kühle der Fliesen nicht abhalten. Winter ... Draußen mit Michi im Schnee toben und Schlitten fahren war wirklich klasse. Wir hatten jede Menge Spaß, aber ... Papa hat mir mal Bilder aus Russland gezeigt. Da gibt es sehr viel Schnee und Eis. Opa war dort, hat in einer großen Scheune gewohnt die Papa Arbeitslager nannte, aber Opa erzählt mir nichts davon. Auch wenn ich frage, sagte er nur Russland war nicht schön. Wenn wir keinen Winter hätten, würde Opa nicht krank. Dann wäre es vorbei mit der Melancholie. Ich wünschte mir für Opa nur
noch Sommer und für mich und meine Füße auch. Michi und ich gingen genauso gerne schwimmen und Opa würde wieder ganz gesund werden, auch wenn Onkel Heinrich zu Oma sagte, dass er nicht mehr der Alte werde. Das Trauma sei zu groß. Soll er doch Opa die richtige Medizin geben! Bei mir
geht es auch und wenn er mir diesen schrecklichen Saft gegen Fieber aufschreibt, dann werde ich jedes Mal wieder gesund. Hier ging es schließlich um meinen Opa und der war ganz wichtig! Bei uns zu Hause war ich fortwährend mit Opa zusammen. Wir spielten Karten, fuhren Rad, würfelten und sangen. Singen war sehr lustig, wenn wir diese lateinischen Lieder sangen. Ich weiß nicht was es heißt. Tantum ehergo, sakramehento, venerehmuhur cernuiiii, et antikwum dokomentum... Opa singt meistens völlig falsch und viel zu laut, aber so voller Hingabe! Wir hatten dabei gute Laune und das war sooooo gut, einfach wichtig. Und wie schön es war seiner Stimme zu lauschen, die mir beharrlich Märchen vorlas. Am liebsten hörte ich den dicken, fetten Pfannkuchen. Den konnte ich schon vorwärts und rückwärts auswendig! Abends im Bett, mit dem Kopf auf seiner Brust, hörte ich ihm am Liebsten zu. Mein Opa ist was ganz Besonderes!

Unbewegt stand ich mittlerweile zehn Minuten vor ihm, nicht wissend was ich tun soll. Die Kälte war längst durch die bloßen Füße an meinen Beinen empor geklettert. Ich zitterte wie Espenlaub. Es war November und der erste Schnee gefallen. Opa erinnere das an Russland, sagte die Oma. In dem Land sei es noch viel kälter als hier und dort liege Meterhoch Schnee. Ich mochte Russland nicht. Immer wieder Russland, wenn Opa krank war. Es musste dort schrecklich sein! Trotzig krallte ich die Zehen gegen die Kälte und Russland in den Bettvorleger. Unser altes Haus aus der Jahrhundertwende war nicht gut isoliert und der Großvater schlief gerne kühl. Es atme sich leichter, sagte er. Ich musste mich entscheiden wie jeden Abend. Ging ich zurück in mein Bett oder schlüpfte ich zu ihm. Warum ich mich das jedes Mal fragte? Keine Ahnung. Denn eigentlich war klar, ich würde irgendwann in sein Bett krabbeln. Neben ihm lag nämlich meine Decke und mein Kissen. Nicht die aus meinem Bett, sondern die, die er gekauft hatte. Er sagte, ich dürfe stets zu ihm kommen. Es wäre viel besser nicht auf nacktem Fußboden zu schlafen oder auf einem Strohsack. Er hatte in der Russlandscheune auf dem Fußboden geschlafen. Bestimmt hatte er davon Rückenschmerzen, so wie Mama, wenn sie nicht in ihrem Bett schlief. Ich hatte die freie Auswahl und noch besser war es, eine Bettdecke mehr zu haben. Sie war da und ich konnte immer unter ihr liegen! Was sollte ich sagen, ich schlüpfte kaum eine Nacht in mein Bett. Dafür gab es genau zwei Gründe. Einerseits liebte ich Opa und schlief sehr gerne in seinem Bett. Dort war es warm, gemütlich und ich hatte das Gefühl von Geborgenheit. Andererseits mochte ich auch nicht mit meinem großen Bruder in einem Zimmer schlafen. Er konnte mich nicht leiden. Peter war ständig gemein zu mir! Also hatte ich die Wahl. Entweder mein Bett und von meinem Bruder Horrorgeschichten hören, mich seiner Willkür aussetzen, oder zu Opa und hoffen er würde mir ein Märchen vorlesen, wenn seine Luft reichte. Wer würde nicht wie ich entscheiden?

Zurückblickend denke ich seine Luft hat oft nicht gereicht, aber er hat trotzdem vorgelesen. Einen tiefen Zug aus seiner Asthmapumpe, einen Moment warten und dann ertönte seine sonore, kräftige Stimme. Durch seine Schwerhörigkeit war er lauter, aber das störte mich nicht. Ich hörte ihm gerne zu, wenn er las und sang, oder einfach so. Einzig wenn seine Stimme belegt war, schwach, hüstelnd und er nach Atem ringen musste, dann wollte ich nicht mit ihm reden. Dann ging ich in mein Bett und war traurig.

 

Schon ganz früh hatte ich begriffen, ohne dass es mir Jemand erklärt hätte, das Hüsteln war kein gutes Zeichen und Großvater brauchte seine Ruhe. Am nächsten Tag ging es meist wieder besser und dann las er auch wieder Märchen vor. Diese Aussicht tröstete mich. Eingekuschelt in seiner Armbeuge lauschte ich den Gebrüder Grimm, sagte die Geschichte vom kleinen, dicken Pfannkuchen auf und horchte den Abenteuern der kleinen Hexe oder des Räuber Hotzenplotz. Für mich hätte es endlos so weiter gehen mögen.

Endlich! Das worauf ich gewartet hatte, kam wie immer unerwartet. Opa öffnete die Augen und sah mich an. Ich zitterte schrecklich vor Kälte, weil ich vor seinem Bett ausgeharrt hatte. Jetzt wusste ich weiter, denn in seinen Augen konnte ich die Antwort sehen. Wir brauchten einfach keine Worte. Ein Blick und er wusste, ich will zu ihm. Ein Blick und ich wusste, ich durfte kommen. Ich zögerte noch.

„Opa ....“ Ach egal. Ich krabbelte nicht über ihn, um zu meiner Decke zu kommen. Ich lupfte einfach seine Bettdecke und schob mich sanft in seine Arme. Er half mir dabei, erschrak kurz, weil ich so kalt war, und dann drückte er mich ganz fest an sich und rubbelte mich warm. In Russland würden wir wohl andauernd so schlafen. Das wäre schön. Ob wir da mal hin fahren können? Gerade setzte ich zu der Frage an, als ich die Stimme meiner Oma im Kopf hörte. „Da ist es noch kälter ... da liegt Meterhoch Schnee ... Er verträgt den Winter nicht wegen der Kälte .... auf dem Boden in der Scheune schlafen ohne Matratze ... ohne Decke ... sie haben auch ohne Schuhe im Schnee arbeiten müssen, der einzige Schutz gegen Kälte waren alte Lappen, die sie um die Füße wickelten ...“

Das alles wusste Oma von Onkel Heinrich, er hatte es ihr erzählt. NEIN!! Wir bleiben hier, Opa, hier im Warmen! Russland kriegt dich nicht! Mit dem Gedankenschlief ich in seinen Armen ein.

Sachte ziehe ich die Tür hinter mir zu. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer, setze mich im Schneidersitz wieder auf den Teppich und krame weiter in den Papieren. Warum habe ich heute den Karton gefunden? War es wegen der Tränen meines Sohnes? War es, weil ich die Ungerechtigkeit nicht ertrug? Sie hatten heute meinen Sohn einen Nazi genannt. Ist es nicht völlig absurd und unsinnig. Dabei waren wir niemals Nazis! Keiner von uns! Mein Opa Alfred, Onkel Heinrich, Oma, meine Eltern die im Krieg geboren wurden! Wir waren keine Nazis! Die Urkunde in meiner Hand bestätigte es ebenfalls. Seltsam so ein Papier in den Händen zu halten. Ein altes, ganz vergilbtes Stück Papier.

In der Entnazifizierungssache wurde der Büroangestellte Alfred Müller das Recht anerkannt, dass er ein Mitläufer war und in die Gruppe IV eingestuft wurde. Für dieses Papier, datiert vom 21. Juni 1949, hatte mein Opa 10 DM bezahlt. Es steckte direkt hinter dem Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen. Darin steht: Auf Anordnung des Herrn Reichsminister des Inneren vom 6. Juli 1940 werden Sie bis auf weiteres zur Dienstleistung bei der Gauselbstverwaltung des Reichsgaues Danzig – Westpreußen in Danzig abgeordnet. Als Reisetag wird der 12. Juli 1940 diesen Jahres bestimmt. Bei ihrem Eintreffen am neuen Dienstort wollen sie sich mit diesem Schreiben beim Reichsstatthalter in Danzig zum Dienstantritt melden …

Drei Tage nach Beschluss wurde mein Großvater angeschrieben und nochmals drei Tage weiter musste er fahren. Da war keine Zeit zu denken. Diese Zeit war überhaupt nicht zum Denken gedacht, sagte Onkel Heinrich alleweil. Wer nachgedacht hat, ist erstickt an dem was er sagen wollte, sich aber nicht traute.

 Ich werde meinem Sohn die Urkunde zeigen. Sein Urgroßvater wurde als Mitläufer der Zeit "entnazifiziert". Er war nie ein Nazi, ist auf Befehl mitgegangen, aber er hatte niemanden getötet! Entnazifizierung heißt, sie haben ihn vom Nazitum frei gesprochen!! Wir sind keine Nazis, waren es nie und werden es niemals sein. Dieser Krieg hatte so viele Opfer, aber kann keiner verstehen, dass sie auf beiden Seiten zu finden waren? Wie oft habe ich ihnen Geschichten von Uropa erzählt. Wie oft habe ich mich seiner Güte erinnert, wenn die Kinder über die Stränge schlugen. Ich habe geschimpft und war sicher manchmal zu weich, aber – seine Sanftheit ... seine Offenheit ... sie haben mich als Kind geprägt.

Weg mit den Papieren, den beiden Schreiben. Was ist noch alles in dem Karton? Ich krame weiter, schaue auf alte Fotos, Zeugnisse und da ein Gedicht zum Neujahrestag vom 1. Januar 1916. Das Papier ist von der Struktur so dünn wie Pergament und Gelb. Die Tinte hat einen Laufrand, so wie wenn wir heutzutage auf Löschpapier schreiben würden. Schade, dass ich die alte Schrift nicht richtig lesen kann. So bleibt mir die Hälfte seines Textes verborgen.

Ich stöbere weiter in den Unterlagen. Was ist das? Eine ärztliche Bescheinigung zur Vorlage beim Versorgungsamt. Betrübt überfliege ich die Zeilen und bleibe am untersten Absatz hängen. Der Patient klagt über dauernde Kopfschmerzen die sich bis zur Unerträglichkeit steigern, Schwerhörigkeit, Gedächtnisschwäche, Schwindelgefühl, vollständiges Fehlen des Geruchsinns und Probleme mit den Erfrierungen an den Zehen, dazu kommen asthmatische Beschwerden. Meines Erachtens. ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die aufgeführten Beschwerden eine Folge russischer Kriegsgefangenschaft sind, da Herr Müller vollkommen gesund (k.v.) als Soldat eingezogen wurde. Außerdem war er Funker bei der Panzereinheit, was ein gutes Hörvermögen voraussetzen muss...

Tränen kullern mir unaufhaltsam über die Wangen, tropfen auf das Schreiben in meiner Hand. Mein armer, liebenswerter Großvater. Bis zu dem Tag im Krankenhaus hatte ich alles gehört, seine Leiden verspürt und nichts begriffen. Ich war doch ein Kind!

Plötzlich tauchen die Bilder wieder auf und verscheuchen das hier und jetzt. Ich bin wieder 12 Jahre alt. Mein Großvater war nach wie vor der wichtigste Mensch in meinem Leben. Seine Liebe und sein sanftes Wesen waren das Schönste. Unsere Beziehung war mit mir gewachsen und änderte sich in der Art unserer Beschäftigungen und der Sprache, aber die Intensität blieb gleich. Er war mein Ratgeber, mein Vertrauter, mein Beichtvater. Er war alles in einer Person. Völlig unerwartet befand sich mein Geist wieder auf dem Krankenhausflur. Opa war aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes von Onkel Heinrich in die Klinik überwiesen worden. Jeden Tag besuchte ich ihn dort und wollte einfach nicht wahr haben, wie schwer krank er war. Auch mit zwölf Jahren konnte ich nicht begreifen was ich hörte, denn ich wollte es nicht hören. Es war für mich nicht zu begreifen, denn dann würde ich wissen, dass ein Ende nahte.

Es war an einem Freitag. Ich ging schnurstracks an der Anmeldung vorbei, rannte die Treppen hinauf und trat einfach in sein Krankenzimmer Nummer 204, weil ich ihn besuchen wollte. Doch mein Opa war nicht da. Eine ganze Weile starrte ich auf das leere Bett, suchte nach dem karierten Morgenmantel, der stets am Fußende auf der zerknüllten Bettdecke ruhte, suchte nach der Brille, die griffbereit auf dem Nachttisch lag ... nichts, ich fand nichts davon. Mein Opa war weg! Dann hörte ich die raue Stimme von Herrn Paschke, die mich aus den Gedanken riss. Opas Bettnachbar sagte mir, sie hätten ihn verlegt, weil es ihm in der vergangenen Nacht so schlecht gegangen war. Wohin wusste er nicht. Panisch stürzte ich auf den Flur und sprintete Richtung Schwesternzimmer, vorbei an der Wartenische, in der ich im Augenwinkel meinen Vater mit Onkel Heinrich sah. Onkel Heinrich – er war nicht nur der Bruder meines Großvaters, sondern auch sein Arzt,  bester Freund und
Stammtischpartner. Deswegen gab es wohl kein Frühschoppen ohne Heinrich und Alfred. Sie warenstadtbekannt, die beiden – mein Opa Alfred und mein Onkel Heinrich.

Augenblicklich bremste ich ab und wollte zu meinem Vater. Aber warum auch immer, ich hielt und zeigte mich nicht. Leise verstecke ich mich zwischen den zwei Schränken in denen Vasen und andere Gefäße für die Blumen der Besucher standen und lauschte.

„Hans, du musst einsehen, dass er in der Gefangenschaft viel erlitten hat. Viele seiner heutigen Krankheiten haben den Ursprung dort in dem kalten Arbeitslager. Sein Gehör hat bei den Panzereinsätzen gelitten, aber erst auf der Flucht vor den russischen Soldaten hat er es rechts vollends verloren. Der Krieg war aus, aber den russischen Trupp in den wir hinein liefen, hat es nicht interessiert. Dein Vater und ich spürten das drohende Unheil, dass diese Soldaten uns gefangen nehmen wollten. Diskutieren war zwecklos, dass konnte ein Blinder spüren. Die Luft war zum Schneiden. Alfred und ich wollten doch nur noch nach Hause. Du warst 43 im Mai geboren und meine Tochter Sefa kam im Oktober 43 zur Welt. Wir hatten euch noch nicht gesehen, nicht in den Arm nehmen können. Ihr, du und deine Geschwister, meine Sefa und ihre Schwester Gitta ward unser Halt. Euch zu sehen, für euch da zu sein hat uns am Leben gehalten, wenn wir wieder mal unter Beschuss standen. Wie oft hatten wir überlegt alles hin zu werfen und heimlich nach Hause zu gelangen, aber alle Ideen wurden im Keim erstickt und vereitelt. Die Offiziere kannten alle Überlegungen der Flucht von uns einfachen Soldaten. Es war erschreckend und nicht nachvollziehbar, wie sie von unseren Plänen erfuhren. Aber glaube mir, ihre Strafen waren furchtbar.“

„Dann hat mein Vater gewusst, dass ich geboren war? Und du wusstest, dass du eine weitere Tochter bekommen hattest?", hörte ich meinen Papa sagen. Und es klang nicht nach einer Frage, sondern eher wie eine Bestätigung. „Weißt du Heinrich, ich kann mir bis heute nicht vorstellen, wie die Post damals zu euch an die Front gelangt ist. Es überfordert meinen Horizont. Und dass mit den Kindern .... ich kann es so gut verstehen ... Wenn ich auf meine eigenen Kinder schaue und sehe wie sehr ich sie vermisse, sobald sie nur mal bei einer Freundin oder einem Freund schlafen ... Mein Vater und du ihr habt viel gelitten, nicht wahr?“

„Ach Hans, wir haben alle gelitten. In den fünf Jahren, die wir zwangsweise Soldaten waren, habe ich keinen einfachen Mann getroffen, der gerne dort an der Front stand. Wir haben auf Feinde geschossen, aber nicht gezielt. Wir wollten nicht morden und auch nicht ermordet werden. Unsere Kompanie war so glücklich, dass der Krieg zu Ende war. Wir malten uns aus wie es sein würde. Wir stellten uns vor, wie unsere Kinder aussehen, wie groß sie waren. Wir hofften, dass es allen Familienmitgliedern, unseren Frauen gut ging und dass wir noch ein Dach über den Kopf haben würden. Wir waren nicht mehr aufmerksam. Selbst als wir in diese russische Truppe fast rein marschiert waren, kapierte keiner von uns, dass nicht alles geklärt werden konnte. Aber weißt du Hans, wir waren die Bösen, die Nazis. Sie hassten uns und wir sollten für den Krieg büßen. Dein Vater und ich standen am Rand der Kompanie als wir begriffen was vor sich geht. Wir schauten uns an, trafen den Blick des anderen und waren uns darüber im Klaren, wir hatten keine andere Wahl. Wir zwinkerten uns zu und rannten los, direkt in Richtung des Waldes. Es war eine riesige Aufruhr, sie schossen auf uns, aber keine Kugel traf ihr Ziel, bis wir im Wald verschwanden. Da schossen sie eine Granate auf uns ab und die hätte uns fast erwischt. Wir bekamen Granatsplitter ab, aber keine verletzte uns Lebensgefährlich. Das ausgeschüttete Adrenalin machte uns schmerzunempfindlich.“

„Da ist ihm das Trommelfell geplatzt! Ich erinnere mich, meine Mutter hatte mir als Kind davon erzählt. Die Narben im Gesicht sind auch von dieser Granate. Deine Narbe unter dem Auge, sie kommt ebenfalls daher, nicht wahr?“

In meinem Versteck hörte ich wie mein Papa Hans sich die Nase putzte. Wenn Jemand wie Opa war, dann am ehesten mein Papa. Ganz vorsichtig spähte ich um die Ecke, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er stand mit seinem Rücken zu mir. Mein Vater Hans war sehr groß, aber im Augenblick wirkte er nicht wie ein Hüne. Die Schultern hingen runter und der Rücken war gebeugt. Ich wollte gerade zu ihm gehen, als Onkel Heinrich weiter sprach.

„Ja, Hans, genau von diesem Angriff stammen die Verletzungen. Wir haben sie nicht wirklich wahr genommen, dachten bei Freddy an ein Knalltrauma, denn unsere Angst, der Wille zu überleben und nach Hause zu kommen, machte uns schmerzfrei. Zeit uns Gedanken zu machen hatten wir nicht! Wir liefen geschlagene zwei Stunden, konnten uns kaum noch auf den Beinen halten, als wir eine kleine Höhle entdeckten. Mit gezogener Waffe schlichen wir hinein, konnten weder etwas hören, geschweige denn weiter im Inneren was sehen. Schwer keuchend ließen wir uns auf den Boden fallen und dachten Beide, wir würden nie wieder aufstehen wollen, geschweige können.“

„Das ist absolut die einzige Geschichte, die mein Vater mir selbst erzählt hat! Ihr habt am Boden gelegen und nach Luft geschnappt. Vati sagte, es habe sehr lange gedauert bis ihr euch etwas regeneriert hattet, weil ihr vom Krieg so sehr geschwächt gewesen seid. Da tauchte Pierre auf, oder?“

Onkel Heinrich lachte auf! Das war ein so schönes Geräusch in meinen Ohren. Für mich bedeutete Lachen in dieser schweren Zeit Hoffnung. Niemand lachte, wenn im Moment von Opa die Sprache war.

„Pierre! Er hatte die gleiche Angst wie wir! Mein Gott dieser Franzose war eine Katastrophe auf zwei Beinen oder genial! Dieser arme Kerl hatte keinen Orientierungssinn und war in die falsche Richtung geflüchtet, direkt in die Arme von deutschen Soldaten. Du kannst dir nicht vorstellen wie bizarr diese Situation war. Ich spürte das Gewehr im Rücken, als Freddy erklärte was los ist und versuchte gleichzeitig mit Pierre zu reden. Er konnte kein Deutsch, da habe ich es mit den paar Brocken Englisch versucht, die ich konnte, aber es klappte nicht. Wir gingen zusammen vor die Höhle und ich glaube wir hatten alle panische Angst. Dein Vater war so genial! Als er merkte das Pierre uns nicht töten wollte, eigentlich genauso auf der Flucht war wie wir, setzte er sich auf den Boden, klopfte neben sich und zog sein Päckchen Zigaretten raus. Die Augen von dem Franzosen wurden kugelrund, aber die Angst hemmte ihn weiter. Freddy nahm darauf seinen Revolver, warf ihn hinter sich, klopfte noch einmal neben sich. Mit einem Lachen und der Geste wir teilen, streckte er Pierre die Zigaretten hin.“

„Oh ja, das ist mein Vater. Genau diese unkonventionellen Handlungen haben ihn sein Leben lang ausgemacht! Wie oft hat er mich oder seine Gegenüber mit schlichten Handlungen überrascht. Ich weiß nicht, woher er diese Sicherheit nahm. Ehrlich Heinrich, woher wusste er, dass Pierre euch nicht erschießt?“

„Genau diese Frage habe ich ihm auch gestellt und jetzt rate mal was er geantwortet hat.“ Mein Vater kicherte ... oder lachte er? … oder weinte er? Ich konnte es nicht zuordnen. Jetzt wollte ich zu ihm, trat einen Schritt vor, da drehte er sich und lächelte wirklich. Ich schob mich zurück in mein Abseits.

„Mein Vater kannte darauf nur eine Antwort.“ Papa verstellte die Stimme und ich dachte, mein Opa würde sprechen. „Ich habe es in seinem Gesicht und in den Augen gelesen.“

Onkel Heinrich fing ebenfalls an zu kichern. Ich musste es gar nicht erst sehen.

„Richtig Hans! Genau das war seine Antwort und weißt du was, er hatte recht. All die Jahre, die ich ihn kenne, hat er sich nicht getäuscht. Er war der Einzige dem ich glauben konnte, dass er in der Lage war, in Gesichtern und Augen zu lesen. Im Lager hat er uns auf diese Weise so oft geholfen. Seine Gabe und sein Bauchgefühl, seine Art hat uns später auch befreit.“

Ich war neugierig, vergessen war die Panik, denn endlich hörte ich mehr von meinem geliebten Opa. Ich war in der sechsten Klasse und begriff nur zum Teil, wovon die Erwachsenen redeten, aber ich musste – wollte es hören. Ich war mit all den Phrasen von Russland älter geworden, aber ich hatte Opas Grenze, nicht darüber zu reden, akzeptiert. Es war nicht wichtig. Für mich war wesentlich von Bedeutung, dass es ihn gab und wir eine besondere Beziehung zueinander hatten. Jetzt erfuhr ich, was er so sehr verschweigen wollte.

„Er konnte Gesichter lesen! Wir Kinder hatten keine Chance in an zu lügen. Glaube mir Heinrich es hat kurzfristig funktioniert, aber dann las er die Wahrheit in unseren Gesichtern oder den Augen. Ich weiß es nicht! In der Höhle haben die Russen euch nachher gefunden, oder? Vati sagte es passierte weil ihr alle Drei total erschöpft eingeschlafen seid." Heinrich sagte nichts so fragte mein Papa weiter. "Was willst du damit sagen, wieso hat euch diese Fähigkeit befreit?“ Onkel Heinrich seufzte, setzte sich auf einen dieser schäbigen Plastikschalensitze und stützte seinen Kopf in die Hände. Er klopfte auf den Sitz neben sich und sagte: „Komm Hans, setze dich hier hin, dann erzähle ich dir, wer dein Vater ist.“

Mein Vater setzte sich und ich rutschte ebenfalls mit dem Rücken an der Wand nach unten und setzte mich auf den Fußboden. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich voll und ganz auf die Stimmen um nichts zu verpassen.

„Alfred hat mir das Leben gerettet. Pierre und ich sollten ausgediente Kriegswaffen und technisches Gerät vom Lager zu einem Posten transportieren. Ein Fußmarsch von gut 100 Kilometer und ich war schwach. Seit Monaten bekamen wir pro Tag ein Stück Brot von zirka 500 Gramm, dazu morgens und abends eine Art Mehlsuppe. Die Konsistenz erinnerte an Meerwasser mit Sand. Aber mehr als ein Liter Flüssigkeit war nicht drin, eher weniger. Wir arbeiteten von Sonnenaufgang bis Untergang, tranken aus allen Pfützen und was irgendwie wie Wasser aussah. Wir schliefen mit beinah 900 Männern auf dem nackten Betonboden in einer Baracke, die für maximal 500 Leute gebaut war. Im Winter hielt uns das Gedränge wenigstens etwas warm. Im Sommer schliefen wir in Etappen. Als ich für diese Mission ausgewählt wurde, wollte ich sterben. Seit 14 Tagen litt ich an den Folgen einer Typhuserkrankung. Das Fleckenfieber hatte mich beinahe dahingerafft und mein Herz war kurz vor dem Aufgeben. Freddy übernahm die Aufgabe und ging für mich. Aus einem alten Laken machte er sich Lappen für die Füße, mit denen marschierte er hernach los.“ Ich hörte ein Schluchzen und musste nicht nachschauen. Es gehörte zu Onkel Heinrich. Als ich ein Knarzen vernahm, blickte ich um die Ecke. Mein weinender Papa hatte Heinrich in den Arm genommen. Unser Opa ... ja das passte. Nun rannen auch Tränen an meinen Wangen entlang und ich weinte mit. Mit Opa, Papa und Onkel Heinrich.

„Weißt du, da hat dein Vater sich die Erfrierungen an den Zehen zugezogen. Wegen mir. Weil er anstatt meiner gegangen war.“

„Du hättest das Gleiche für ihn getan!“, sagte mein Papa mit heiserer Stimme.
„Natürlich! Aber es macht es nicht ungeschehen. Alle Schmerzen an seinen Füßen hat er seit dem Tag wegen mir gehabt.“

„Heinrich, er würde nicht wollen, dass du dich mit diesen Schuldgefühlen plagst. Er hat es nicht und wird es dir nicht verübeln. Es war die Zeit und der Umstand der euer Handeln bestimmte.“

Eine ganze Zeit hörte ich nichts abgesehen von unterdrücktem Schluchzen und Seufzen. Es waren
zwei Menschen. Immer noch begriff ich nicht den vollen Umfang, konnte nicht erahnen wie schlimm dieser Bericht war, aber ich weinte weiter mit den beiden Männern, die Teil meines 12jährigen Lebens waren.

„Pierre war damals auch krank, aber Freddy konnte nicht für uns Beide gehen, also entschied er sich für mich. Der kleine Franzose hatte kein Glück, fand Niemanden, der für ihn ging. Dein Vater erzählte später, er hätte ihn auf dem Rückweg, 15 Kilometer vor dem Lager verloren. Pierre war einfach umgefallen und nicht mehr aufgestanden. Er starb am Wegesrand. Freddy bekam sogar einen Gewehrkolben an den Kopf, weil er ihn mitnehmen oder begraben wollte. Sie nötigten ihn, den Freund da liegen zu lassen. Er wäre ein Fressen für die Wölfe, hatten ihm die Soldaten erklärt. Seine Kopfschmerzen haben den Ursprung dort. Davon bin ich überzeugt Hans ... davon bin ich überzeugt ...“

„Pierre ist in Russland gestorben? Davon hat Vati nie gesprochen. Ich dachte er lebe noch in Frankreich unten bei Marseille.“

„Pierre starb am 18. November 1948!“

„Am Geburtstag von Vati?!?! Deshalb war ihm nie nach Feiern zumute! Ich dachte er hätte ein Problem mit dem älter werden, dabei –“

„Im Dezember erwischte uns die Diarrhoe. Freddy, ich und 23 weitere Gefangene wurden separiert. Wir schliefen in einer Baracke, die mit Strohsäcken ausgelegt war. Hans, das war schlafen in einem Himmelbett. Zwei Jahre Betonboden ließen die Strohsäcke wie ein Luxusgut erstrahlen! Andererseits half es uns nicht weiter, denn wir waren ausgehungert, krank, mehr tot als lebendig. Mitten in der Nacht begriffen wir zudem, dass es kein Luxus war. Das Stroh steckte voller Wanzen, die sich in uns verbissen. Morgens waren wir voller Bissflecken am ganzen Körper. Dennoch war es wärmer als der kahle Boden. Stroh hin Stroh her, es ging uns schlecht. In dieser Situation las dein Vater erneut in einem Gesicht. Eine Ärztin. Sie hatte Mitleid und irgendwie französische Wurzeln. Er fing an sie zu manipulieren. Pierre hatte sich mit dem einzigen Landsmann im Lager verbündet. Gaston sprach nichts außer seiner Muttersprache. Er war schmächtig, ängstlich und kaum älter als 25 Jahre. Mit Händen und Füßen redete Freddy auf die Ärztin ein, sie schüttelte immerzu den Kopf, schaute sich erschrocken um, heftete den Blick auf Gaston, drehte sich weg, aber sie blieb ... hörte oder sah ihm zu. Beinah drei Wochen aß dein Vater weniger als wir alle, handelte mit der unteren Soldatenschicht, erschwindelte sich etwas Obst für uns, damit wir auch dieses Mal überlebten. Die Ärztin kam erst nach vier Wochen zurück und da war dein Vater fast tot. Er hatte für uns alles gegeben und nun taten Gaston und ich das gleiche für ihn. Wir klagten und flehten die Frau an sie möge uns bessere Medikamente geben, bevor er stirbt. Wir krabbelten ihr hinterher, hielten sie an ihrem Kittel, flehten, weinten und tobten. Sie flüchtete vor uns, als sie sich losreißen konnte. Das war der Tag, an dem ich aufgab. Ich legte mich neben Freddy und wollte sterben. Gaston der schmächtige Junge nahm es als Aufforderung und tat es mir gleich.“

Verlegen kratzte sich Onkel Heinrich seine Stirnglatze, stütze die Ellenbogen auf die Knie und senkte den Kopf in seine Hände. Ich hatte Schwierigkeiten ihn zu verstehen, jetzt wo er zum Boden sprach. Also rutschte ich näher ran, nur soweit, bis ich besser hören könnte und spitzte die Ohren.

„Es dauerte nur 12 Stunden, da war die Ärztin wieder da. Sie brachte uns heimlich ein paar Tabletten, die wir unter uns teilen sollten. Dazu brachte sie uns allen heißen Tee. Es war nicht mehr als heißes Wasser mit etwas Kamillengeschmack, die Blüten und Blätter dümpelten auf der Wasseroberfläche, aber er war heiß und tat gut. Junge, ein kühles Bier kann nicht besser schmecken als damals dieser Tee. Dieses Prozedere wiederholte sich am Tag darauf und am nächsten brachte sie uns Kranken Suppe. Richtige Suppe. Woher sie das Fleisch gehabt hatte, weiß ich nicht, aber auf der Brühe schwammen Fettaugen, wie sie nur durch Fleisch entstehen. Natürlich war davon in der Suppe nichts zu finden, aber etwas Gemüse wie Karotten, Zwiebeln, Porree und ein paar Kartoffeln. Wir schoben mit Löffeln die Brocken hin und her, bis wir alle was von der Einlage hatten. Die Ärztin rettete uns mit ihrem Mitleid und ihrer Menschlichkeit das Leben. Dein Vater hatte gewusst, dass wir es mit ihr schaffen könnten und recht behalten. Sie untersuchte Freddy genauer, als er mehrmals von Schwindel erfasst bewusstlos wurde. Durch sie erfuhren wir, anhand von Zeichnungen in ihren Büchern, dass sein Trommelfell durch die Granate irreparabel zerstört war. Und … sie besorgte uns die Zange für die Flucht.“

Eine Pause trat ein. Die Stille tat in meinen Ohren weh. Warum erzählt er denn nicht weiter? 

„Mein Vater hat nie etwas darüber erzählt. Warum kann er nicht über alles reden, so wie du? Ich meine, es würde seine innere Qual erleichtern oder nicht? Wir könnten ihm doch viel besser helfen.“ Der Ton meines Vaters stimmte mich traurig, weil er sich genauso anhörte ... unendlich traurig. “Deinem Vater hilft das Schweigen, mir das Reden. Nimm es so hin, denn du wirst es nicht ändern können. Wir alle sind unterschiedlich.”

“Wie ging es weiter mit euch? Was habt ihr mit der Zange angefangen?”, fragte mein Papa, der anscheinend diesen Teil der Geschichte nicht kannte. Genau wie ich. Onkel Heinrich räusperte sich und erzählte weiter. “Nun, eines Abends sorgte die Ärztin dafür, dass wir einige Laken und Strohsäcke austauschen konnten. So kamen wir aus der Baracke raus und an den Rand des Straflagers.” “Da habt ihr mit der Zange den Zaun gekappt? Seit ihr da geflüchtet?”

“Genau, da sind wir geflüchtet. Der Bruder der Ärztin, Mitja, stand mit einem Traktor auf der anderen Seite des Zaunes. Es fiel nicht auf, weil er fast jeden Abend dort Handel mit den Soldaten betrieb. Dieses Mal hatte er ein paar Schafe auf dem Anhänger, die laut genug blökten, sodass uns keiner hörte. Zu dritt, Gaston, Freddy und ich, kletterten wir zwischen die Schafe, drückten uns in die hinterste Ecke und warteten darauf, dass der Kerl los fuhr. Ich weiß es noch wie gestern. Uns lief der Schweiß und die Hände zitterten wie Espenlaub. Mein Herz schlug mir im Hals, drohte hinaus zu springen. Die Angst verzerrte die Wahrnehmung ungemein! Selbst das Atmen war schwer, weil wir befürchteten es sei zu laut. Oder die Dunstwölkchen, vom warmen Atem in eisiger Kälte, würden uns verraten.”

Es war Zeit. Ich krabbelte aus meinem Versteck und ging zu meinem Papa. Onkel Heinrich schaute mich fragend an. So viel hatte ich schon gehört und den Rest konnte er nun auch in meiner Gegenwart erzählen!

“Ja, ich habe gelauscht! Du kannst ruhig weiter reden.” Trotziger als gedacht kamen diese beiden Sätze aus mir heraus und ich guckte meinem Vater in die Augen. Ich schämte mich nicht. Das wird er verstanden haben, denn er nickte Onkel Heinrich zu. Dieser räusperte sich erneut und setzte mit seiner Erzählung fort.

“Wir hatten schreckliche Angst, je länger wir auf Mitja warten mussten. Kurz bevor ich dachte mich übergeben zu müssen, weil ich die Anspannung nicht mehr ertrug, hörte ich ihn kommen. Im Schlepptau einen Soldaten mit dem er redete. Wir Drei pressten uns auf den verdreckten Boden und hielten die Luft an. Es war eine Erlösung als wir endlich den Motor des Traktors hörten! Sicher, dass uns niemand hörte, schnappten wir nach Luft, blieben aber mit der Nase in der Schafskacke liegen. Es mag sich ekelig anhören, aber uns war es egal!”

Onkel Heinrich machte eine kurze Pause. Es sah aus, als erinnere er sich an den Tag, tauchte wirklich ein in die Vergangenheit. Dennoch hatte er recht, ich fand es ekelig. Ich versuchte die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu verscheuchen, in dem ich mich ganz fest an meinem Papa drückte. Da fing Onkel Heinrich wieder an zu reden und so vertrieb ich die Vorstellung, meine Nase in Schafskacke zu halten, indem ich zuhörte.

“Wir fuhren gefühlt einen ganzen Tag, aber es war nur etwas über eine Stunde, als wir an einem Bahnhof hielten. Mitja winkte uns vom Hänger herunter und redete wild gestikulierend in Richtung Bahnsteig. Dann zog er einen Zettel hervor ... da fällt mir gerade ein, den Zettel habe ich noch heute. Ich zeige ihn euch bei nächster Gelegenheit. Jedenfalls, der Zettel war eine Mischung aus Zeichnungen und ein paar französischen Worten. Gaston versuchte sie zu übersetzten, denn die krakelige Schrift war kaum zu entziffern. Gemeinsam kamen wir zum Schluss, dass es von einem Gefangenentransport über Polen in die DDR handelte. Die Russen ließen die ersten Gefangenen frei und wir beschlossen uns einzuschmuggeln. Wir konnten nicht zurück, selbst wenn wir wollten.”

“Wenn ihr gewusst hättet, dass es nur eine Frage der Zeit ist, Heinrich, wäret ihr dann nicht geflohen?”, wollte mein Papa wissen und runzelte die Stirn.

“Herrje, was für eine Frage. Ich weiß es nicht, Hans. Ich weiß es wirklich nicht. Aber wir hatten die Gelegenheit, wollten unbedingt nach Hause. Wenn uns Jemand erzählt hätte, es dauert nicht mehr lange bis wir gehen können, wir hätten es nicht geglaubt! So sehe ich das heute.”

“Wie ist es bei euch danach gelaufen? War am Bahnhof ein Zug?”

“Das war die Überraschung. Auf den Gleisen standen Viehwaggons aus Holz, aber sonst war nichts zu sehen. Wir diskutierten darüber, uns zu verstecken und zu warten oder gemeinsam zu flüchten, es auf eigene Faust zu versuchen. Allerdings brauchten wir nicht lange reden, ich meine, ohne Schuhe ... Essen ... Trinken ... Zur Not hätten wir Schnee gehabt, doch alles andere hatten wir nicht. Wir besaßen einen ausgeprägten Kampfgeist, aber die Logik und der unbedingte Wunsch zu leben, nach Hause zu kommen waren ebenfalls da! Also versteckten wir uns zwischen alten Fässern und Holzstapeln die etwas abseits rumstanden. Mit Händen und Füssen bauten wir uns eine Höhle aus Schnee und legten den Boden mit ein paar Zweigen aus dem benachbarten Tannenwäldchen aus. So schützten wir uns so gut es ging vor dem Erfrieren und schliefen in Etappen bis zum nächsten Morgen!”

Vor Aufregung hatte ich angefangen Nägel zu kauen. Lange war mir das nicht mehr passiert, aber allmählich waren meine Teenagernerven zum zerreißen gespannt. Es fühlte sich an, als würde mich eine Welle davon tragen. Ich war Zeuge der Geschichte meines Großvaters, die Zeit meines Lebens verschwiegen wurde. Ich zappelte ein wenig, damit ich weiterhin genau zuhören konnte und kein Wort verpasste.

 

“Lange Rede, kurzer Sinn“, sagte Onkel Heinrich und hielt für einen Moment inne. Ich dachte schon, er würde jetzt einfach aufhören zu erzählen. Dann spitzte er den Mund und leckte sich über die Lippen. „Wir waren alle eingeschlafen als wir morgens von Schreien und Rufen wach wurden. Dein Vater war als Erster draußen und sondierte die Lage. Wir hörten, dass dort deutsche Soldaten waren. Sie wurden teilweise mit Gewalt in die bereitgestellten Viehwagen geschoben. Mancher russische Soldat strahlte schrecklich viel Gewalt aus, aber es schien so zu sein, wie wir es uns nach dem Zettel zusammen gereimt hatten. Es war ein Transport über Polen in die DDR. Das bekamen wir über die deutschen Wortfetzen mit, die der Wind zu uns hinüber wehte. Wir beobachteten wie sie einen Waggon nach dem nächsten mit Menschen füllten und robbten uns langsam vorwärts. Es waren nicht viele russische Soldaten zur Überwachung dabei. Ein Dutzend stand völlig desinteressiert auf dem Bahnsteig rum, während sechs unserer Landsleute die Gefangenen zu den Wagen führten. Wir erkannten niemanden. So konnten wir davon ausgehen, dass unser Lager, in dem wir waren, nicht das einzige gewesen sein musste! Es standen 15 Waggons bereit und gut die Hälfte davon war voll.“ In diesem Augenblick zeigte Onkel Heinrich auf meinen Papa. „Dein Vater machte unser Weiterkommen möglich! Er schaffte es, einen Landsmann an der Tür zu fixieren, der dann nach einer Weile tatsächlich in unsere Richtung schaute. Ganz vorsichtig tauschten sie ein paar Gesten aus. Zum Glück begriff der Mann sehr schnell. Er beugte sich vor und es begann eine stille Post. Mehr und mehr Augen richteten sich auf uns. In der Zwischenzeit waren die Soldaten mit den Gefangenen am vorletzten Wagen. Geduckt rannten wir um die Waggons, pirschten uns an die Rückseite und robbten vorsichtig unter den Rädern hindurch. Günter, so hieß der clevere Landsmann, ließ einen Fuß aus dem Waggon hängen, damit wir wussten wo das Schiebetor war. Er hatte mit der stillen Post dafür gesorgt, dass die Soldaten im letzten Wagen länger für den Einstieg brauchten, auch wenn sie sich den Unmut der russischen Armee zuzogen. Freddy zupfte an Günters Fuß und schnell erschien sein Kopf und eine Hand. Eine zweite Gestalt tauchte neben ihm auf und hielt ebenfalls seine Hand in unsere Richtung. So schnell es ging krabbelten wir unter den Rädern hervor und wurden von Günter und dem Kompagnon hoch gehievt. Kaum im Waggon wurden wir von umstehenden Soldaten in die hinterste Ecke geschoben. Dort setzten wir uns hin.“ Wieder machte Onkel Heinrich eine Pause und wischte sich mit einem Taschentuch die feuchte Stirn.

„Ihr könnt euch nicht vorstellen wie froh wir waren, als die Türen des Waggons verschlossen und mit einer Kette gesichert wurden. Wir verbrachten Stunden in dem Ding, zusammen gepfercht wie das liebe Vieh, kaum Platz für alle, aber die Hoffnung verlieh uns Kraft. Das Einzige was wir hatten, war ein Kanister mit Wasser. Und den teilten wir so gut es ging. Wir redeten über Erlebnisse und sprachen uns gegenseitig Mut zu. Wir wollten nicht aufgeben. Viele erzählten von Familien, von Kindern, die sie nicht kannten und Frauen, für die es sich lohnte am Leben zu bleiben. So schafften wir es, die Strapazen zu verdrängen und uns auf das Überleben zu konzentrieren. Es hat lange gedauert, aber schlussendlich kamen wir wieder in Danzig, dem Ursprung allen Übels an.”

“Ja, da hat meine Mutter das erste Mal von euch gehört und gleich einen Bittbrief an den alten Arbeitgeber meines Vaters geschrieben. Sie bat ihn Vati wieder einzustellen, jetzt wo er aus der Gefangenschaft zurück war. Er müsse seine Familie mit drei kleinen Kindern durchbringen. Irgendwo habe ich die Kopie in den Unterlagen gesehen. Das ist heute unvorstellbar, Heinrich!”
“So ist es Hans, so ist es.”

Als wäre alles gesagt und ausgesprochen gingen die Männer einträchtig den Flur entlang, um sich am Teewagen ein Glas Wasser zu holen. Etwas verwirrt und ganz leise schlich ich hinter ihnen her. Eigentlich war ich schon groß und fühlte mich ziemlich erwachsen, hatte ich mit meinen 12 Jahren geglaubt. Doch ich verstand die Zusammenhänge nicht, begriff damals immer noch nicht die Tragweite des Gehörten.

Kurze Zeit später kam eine Krankenschwester. Sie bat meinen Papa ins Zimmer von Großvater zu kommen, wo der behandelnde Arzt mit ihm sprechen wollte. Ich sehe meinen Vater deutlich vor mir, wie ihm vor Schreck die Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Die Hand von Onkel Heinrich auf seinem Arm. Selbst mit zwölf war ich in der Lage, in diesen Gesichtern, den Augen, der Mimik und Gestik zu lesen. Es war dringend. Sie schickten mich in die Wartenische, aber ich ging nur zum Schein in diese Richtung. Sobald ich sicher war, dass ihre Beachtung nicht mehr mir galt, folgte ich auf Zehenspitzen. Nun wusste ich wo mein Opa lag. Es war das allerletzte Zimmer auf der linken Seite des Flurs. Und dort lag er ganz alleine. Leise hatte ich mich vorgearbeitet, presste mein Ohr an die Tür und lauschte.

“Die Lunge ihres Vaters macht nicht mit. Er hat sich lange Zeit mit einem Lungenemphysem gequält, was zu Cor pulmonale geführt hat.“

„Und was soll das heißen, Herr Doktor?“, fragte mein Papa etwas gereizt.

„Durch die ungenügende Ausatmung war die Lunge ihres Vaters überbläht und so wurde das rechte Herz geschwächt. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass Gliedmaßen ihres Vaters absterben. Dies ist auf die Herzschwäche und mangelnde Blutversorgung zurückzuführen. Die Gliedmaßen erleiden Not. Neben den Füßen die schon durch die Erfrierungen geschädigt sind, kommt nun hinzu, dass die rechte Hand abstirbt.”

Der Arzt hatte Papa und Onkel Heinrich zur Tür dirigiert und wollte mit ihnen auf den Flur gehen. So schnell mich meine Füße auf leisen Sohlen tragen konnten, lief ich ein Stück den Flur entlang, huschte in den Eingang zu den Duschen, wo sich Gott sei Dank niemand befand. Aus dieser Position zu lauschen war schwer, aber ich konzentrierte mich mit aller Macht auf die Männer.

“Herr Müller, ich kann ihnen keine große Hoffnung machen, dass ihr Vater noch lange überleben wird. Sie sollten ihre Familie zusammen rufen und sich von ihm verabschieden. Momentan hat er Morphium gegen die Schmerzen bekommen und ein Schlafmittel, aber wir wissen nicht mal, ob er wieder aufwacht. Beeilen sie sich und nehmen sie Abschied.”

Die Wucht der Trauer, die in mir während der Erinnerung aufgestiegen ist, holt mich zurück ins hier und jetzt. Ich weine und weine, habe keine Chance vernünftig zu sein, weil die Emotionen und das Gefühl des Verlustes tief in mir verborgen sind. Noch einmal gehe ich an die Schiebetür, die ins Schlafzimmer der Großeltern geführt hatte. Meine Oma ließ das Zimmer unverändert zurück, nachdem Opa gestorben war. Ich schaue auf die alte verschlissene Bettumrandung, die nicht mehr rot scheint, durchquere langsam den Raum und streiche über die dicken Brokatvorhänge, bevor ich einen umarme und mich in der Trauer daran festklammere. Auch jetzt, viele Jahre nach seinem Tod, ist die Narbe im Herzen nicht kleiner, das Vermissen seiner geliebten, sanften Persönlichkeit nicht geringer geworden. Ich konnte zwar damit gut leben, aber in diesem besonderen Moment des Abschieds vom Haus, holt mich die Erinnerung ein und zerrt an mir.

Nach einer Ewigkeit in der Stille stehle ich mich aus dem Zimmer. An der Tür drehe ich mich um und gehe zurück zum Bett, sehe meinen Opa und warte darauf, dass er die Augen aufschlägt. In meiner Seele möchte ich mir einen anderen Abschied bewahren, als in der Realität. Gleichwohl driften meine Gedanken zurück in die Klinik.

Geschockt und ohnmächtig stand ich in der Duschtür. Als ich die Stimmen näher kommen hörte, ging ich hinter den Vorhang und setzte mich auf einen Schemel. Kein Gefühl stellte sich in mir ein, auch wenn ich gehört und verstanden hatte, was gesprochen worden war, so weigerte sich der Verstand beharrlich, zu begreifen. Ich wartete bis die Stimmen leiser und dünner wurden und schließlich verschwanden. Wie hypnotisiert steuerte ich auf das Zimmer meines Opas zu. Ich ging erst nicht hinein, blieb davor stehen und wartete auf ein Zeichen. Auf welches Zeichen, wusste ich nicht genau. Vielleicht wartete ich darauf, dass er die Augen aufmachte und nach mir rief? Dann öffnete ich die Tür, schlich ganz behutsam ans Bett, so wie es immer gewesen war.

“Opa? Bist du wach?”

Ich hätte sicher länger gewartet, denn ich hatte Übung darin, aber der Geruch im Zimmer vertrieb mich. Diese Ausdünstungen des Todes machten mir Angst. Sachte streichelte ich über seine Wangen, wartete auf eine Reaktion. Nichts. Da begriff ich, drehte auf dem Absatz um und rannte so schnell mich meine Füße trugen durch die Flure mit dem Ziel zum Ausgang zu gelangen. Ich erntete
böse Blicke, die ich nur am Rande meines Bewusstseins wahrnahm. Ich wollte weg, einfach bloß weg. Schlussendlich spurtete ich aus der Klinik, rannte tränenüberströmt durch den kleinen Park in Richtung Straße, als zwei Hände meinen Lauf stoppten! Michi! Mein Freund Michi! Es bedurfte keiner Worte. Er zog mich in seine Arme und ich konnte weinen, endlos weinen, solange wie ich brauchte, um Worte zu finden, die er nicht einmal benötigte. Mein Opa starb an diesem Tag, abends um 22.06 Uhr.

Ich berühre die Tapete oberhalb des Kopfendes vom Bett, wie ich vermute. Heute als Erwachsene kann ich all seine Leiden erst richtig nachvollziehen. Sein Trauma, seine Schmerzen. Ich frage mich, warum er so ein sanfter Mensch geworden ist? Vielleicht hat ihn gerade das Schreckliche, das Unfassbare was er gesehen und erlebt hatte zu dem gemacht, der er war. Und auf einmal ist der Text wieder da. Laut und deutlich singe ich ein ahhhhhhhhhhhh. Es klingt hohl in dem ausgeräumten Gebäude, aber irgendwie gut, fast schon befreiend. Ich setze mich auf die schäbig rote Bettumrandung, mache die Augen zu und stehe vor dem Bett von Großvater. Er lächelt sein sanftes Lachen. Wir holen zusammen Luft und dann singe ich sehr laut und weniger schön mit ihm zusammen.

Tantum ergo sacramentum veneremur cernui, et antiquum documentumnovo cedat ritui. Praestet fides supplementumsensuum defectui….Kommt und lasst uns tief verehren ein so großes Sakrament, dieser Bund wird ewig währen, und deralte hat ein End. Unser Glaube soll uns lehren, was das Auge nicht erkennt.

Ich schaue noch einmal durch das Zimmer, sehe meinen verstorbenen Großvater im Bett liegen und verabschiede mich. Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer, schnappe mir den Pappkarton und laufe zur Wohnungstür, schließe ab, laufe weiter durch die Haustür und lande direkt in zwei langen Armen mit breiten Schultern.

“Michi?” Wie damals nimmt er mich in den Arm. Doch heute redet er.

“Hallo, meine Kleine. Ich dachte, du könntest mich auf deinem letzten Gang durch dieses wunderbare Haus aus alten Tagen gebrauchen. Sorry, dass ich zu spät bin, aber ich wurde bei der Arbeit aufgehalten. Ist alles gut mit dir?”

“Ja, es ist alles gut“, sage ich und drücke die Tränen weg. „Aber weißt du, ich bin kein Nazi und meine Kinder auch nicht und mein Opa ist es nie gewesen!”

Michi fragt nicht, denn er versteht! Er alleine kennt alle meine Geheimnisse und er alleine war all die Jahre durchgehend für mich da. Ich schmiege mich in seine Arme und lasse sämtliche Emotionen durch mich hindurch wandern. Mein lieber Opa, ich verspreche dir, dich niemals zu vergessen, weil ich dich bewunderte, so wie du warst. Leb wohl! Unsere Augen haben viel gesehen und viel erkannt! Danke für die Liebe!

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.11.2015

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