Liebe Leserin und lieber Leser,
Als Autor arbeitet man oft sehr intensiv an seiner Geschichte und seine Protagonisten, manchmal so intensiv,
dass einem die Figuren fast real vorkommen und richtig ans Herz wachsen.
Und wir Autoren arbeiten stetig daran, das Euch Lesern unsere Protagonisten genauso ans Herz wachsen
wie uns.
Ich habe mir schon sehr oft ausgemalt, wie es denn wäre, wenn mich meine Protagonisten tatsächlich mal
besuchen würden und dieses Jahr haben sie sich endlich nicht mehr geziert (die können manchmal ganz schön
dickköpfig sein ...) und sind doch mal vorbeigekommen ...
... zumindest in meiner Fantasie ;).
Viel Spaß mit meiner Interpretation eines Protagonisten-Besuches!
Karin Kaiser
Der Durst lässt mich unwillig die Augen öffnen und mein Hals ist völlig trocken. Kein Wunder, wenn man kurz zuvor geträumt hat, dass man sich in der Wüste ohne Wasser verirrt hat und in einen Sandsturm geraten ist. Seltsamer Traum! Muss daran liegen, dass ich gestern noch Fieber, Husten und Schnupfen hatte. Und meine Familie musste ohne mich den Vorweihnachtsbesuch bei der Verwandtschaft antreten. So habe ich traurig den Gatten und die Kinder verabschiedet und Kamillentee statt Rotwein zum Rinderbraten zu mir genommen. Am Abend hatten sie mich mit einer Skype-Sitzung mit meiner kleinen Nichte und meinem kleinen Neffen überrascht und versprochen, dass sie heute nach dem Mittagessen wieder kommen würden.
Gähnend richte ich mich auf und mein Kopf fühlt sich leicht und kühl an und das Krankheitsgefühl ist völlig verschwunden. Ich schnappe mir die Wasserflasche neben meinem Bett und trinke sie in einem Zug leer. Dann hüpfe ich aus dem Bett, gehe ans Schlafzimmerfenster und öffne es. Eiskalte Luft ohrfeigt mich und ich traue meinen Augen nicht: In den letzten acht Stunden hat es jede Menge Schnee auf die Landschaft geschmissen. Leichtes Muffensausen überkommt mich. Wenn es hier schon so viel weiße Pracht gibt, wie sieht es dann erst im Schwarzwald aus? Das Klingeln meines Handys auf meinem Nachttisch enthebt mich jeglichen weiteren Überlegungen. Ich hechte bäuchlings quer über das Doppelbett und werfe mein Handy fast aufs Parkett, bevor ich das Gespräch annehmen kann. Am Apparat ist mein schmerzlich vermisster Göttergatte, der mich fragt, ob ich noch lebe.
»Irgendwie schon«, krächze ich doch noch etwas heiser in den Lautsprecher. »Hat es bei euch auch so viel geschneit?«
»Deswegen rufe ich an. Wir sind hier unten total eingeschneit! Heute ist Sonntag und weit und breit kein Schneepflug zu sehen. Wir müssen noch bei meinem heiß geliebten Bruder bleiben.«
»Das meinst du jetzt nicht ernst?«, keuche ich ins Telefon.
»Ich meine alles ernst, was ich sage«, werde ich gespielt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Karin Kaiser
Bildmaterialien: Can Stock / d3images und Pixabay/Elisa Riva
Cover: Karin Kaiser
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2020
ISBN: 978-3-7487-6717-6
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