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Prolog

Das laute Rauschen der Blätter, der umliegenden Bäume, wird vom ohrenbetäubenden Brausen der Autos über den High Way übertönt. An diesem Tag verurteile ich meinen guten Geruchssinn mal wieder dafür alles um mich herum wahrnehmen zu können. Der Geruch des Motoröls steigt mir in die Nase und sorgt dafür, dass ich diese rümpfe. Die staubige Abendluft füllt meine Lungen angenehm und das helle Licht des Halbmondes scheint auf unsere kleine Gruppe hinab. Der Weg vor uns wird von den großen, roten Leuchtröhren, die auf einer Tafel am Ortseingang angebracht wurden, erhellt. Ich lese nun schon zum gefühlt ein tausendsten Mal die Worte, die darauf geschrieben stehen. Ein großer Teil wird von den Worten "Seven-Eleven Bar" geschmückt. Die Buchstaben bestehen aus roten Leuchtröhren, abgesehen von dem "S", welches in einem dunklen Lila erstrahlt. Darunter steht in weißer Schrift auf blauem Grund "Garvin Lakes". Darauf folgt ein Pfeil, der anzeigt, wie lange es noch dauert, bis man in den Ort gelangt, zu dem die Bar gehört. Ich war so oft hier, dass ich genau weiß, wie viele Kilometer es noch sind. Zu meinem Leidwesen wissen die meisten Leute nicht mehr, dass es die Bar gibt, auf die wir gerade zu laufen. Als wir vor der Bar stehen bleiben, werfe ich einen Blick durch eine Fensterscheibe. Glücklicherweise ist sie nicht sonderlich voll. Mit einem Winken bedeute ich meinen Begleitern, dass sie mir folgen sollen, was sie auch auf der Stelle tun. Es erleichtert mich, dass sie immer noch auf meine Befehle hören, egal wie sehr ich sie schon enttäuscht habe. Sie sind mir immer treu und genau das schätze ich so an ihnen.

 

Als ich die Bar betrete und dem Kellner mit einer Handbewegung zu verstehen gebe, dass ich das übliche will, überkommt mich das beruhigende Gefühl endlich zu Hause angekommen zu sein. Dieser Ort war einfach schon immer sowas sie ein zweites Zuhause für mich und auch für meine Freunde. Wie gewohnt quetschen wir uns zusammen an den Tisch, den wir standardmäßig immer zu dieser Zeit im Monat belegen. Sobald wir uns gesetzt haben, kommt ein anderer Kellner zu uns und gibt uns das Essen, was ich soeben für alle bestellt habe. Glücklicherweise hat keiner meiner Begleiter irgendwelche besonderen Vorlieben, sondern bestellen immer das Gleiche, was so gut wie jeder hier angestellte weiß. Langsam ziehe ich meine Lederjacke aus und lege sie hinter mich, bevor ich nach dem ersten Zwiebelring greife. Als ich gerade die Sitzung eröffnen will, erklingt jedoch erneut die Glocke über der Tür und mein Kopf wendet sich zur Quelle des Geräusches. Sofort zucke ich geschockt zusammen und mache auch die anderen mit einigen Worten auf die neuen Gäste aufmerksam. Auch meine Freunde wirken geschockt vom Anblick der Menschen in der Tür. Ihre Waffen leuchten im schummerigen Licht. Mein Berater Andrew schafft es sich, als Erstes wieder zusammen zu reißen. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie seine sonst so dunkelblauen Augen aufleuchten und wende meinen Blick ihm zu. Wenige Sekunden später ist in den Augen der anderen genau dasselbe Phänomen zusammen und jeder von uns weiß genau, was gleich geschehen wird. Mit flinken Fingern ziehe ich mein Klappmesser aus der Seitentasche meiner schwarzen Lederjacke und lasse es mit einer Bewegung des Daumens aufschnappen. Das Geräusch klingt in meinen Ohren mehrfach und metallen wieder. Die Aufregung sorgt dafür, dass sich die Haare an meinen Armen aufstellen und sofort ein kalter Schauer darauf folgt. Das Surren des Pfeiles, der mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu rast, gibt mir den Adrenalinkick, den ich gebraucht habe und sorgt dafür, dass mein angeborener Schutzmechanismus aktiviert wird. Diese Momente sind einfach die Besten.

Kapitel 1

Wie die meisten anderen Teenager werde ich am Morgen anstelle von einem lauten Wecker, von der ohrenbetäubenden Stimme meiner Mutter aus dem Schlaf gerissen. Die erste Information, die sich in diesen frühen Morgenstunden in mein Gehirn schleicht, ist die, dass ich sofort aufstehen muss, um vor meinem Bruder ins Bad zu gelangen. Schließlich findet der Streit um das Badezimmer so gut wie jeden Morgen statt und es ist für mich fast zu einem richtigen Instinkt geworden, nachdem mich meine Mutter geweckt hat, so schnell es geht das Bett zu verlassen, durch den Flur zu rennen und mich im Bad einzuschließen. Langsam öffne ich die Augen und werfe meinen müden Blick an die weiße Decke. Innerlich habe ich das Gefühl, dass ich es heute schaffen werde, vor meinem Bruder Ryder ins sichere Badezimmer zu gelangen, obwohl er ein Footballspieler ist und dadurch eine ausgezeichnete Ausdauer hat. Energiegeladen schiebe ich die Decke zur Seite und blicke zu meinem Bruder, um zusehen, ob er auch schon wach ist. Zu meiner Enttäuschung ist er das leider schon. In diesem Moment fährt er sich mit der rechten Hand durch das schwarze Haar, welches sich so sehr von meinem eigenen braunen unterscheidet. Das einzige Merkmal, in dem wir uns wirklich ähnlich sind, sind unsere strahlend grünen Augen, die für unsere Familie so typisch sind und auf die ich ziemlich stolz bin, da grün ja die seltenste Augenfarbe auf der Welt ist. "Guten Morgen, Ryder!", grüßte ich ein wenig provokant und springt mit einem verspielten Grinsen auf den rosafarbenen Lippen aus dem Bett. Er nimmt sich gar nicht die Zeit mich zu grüßen, sondern springt stattdessen ebenfalls auf und läuft zu seinem Schrank, um sich Kleidung zu schnappen. Zu seinem Nachtteil nimmt er sich dabei aber viel mehr Zeit als ich, wodurch ich die weißen Schranktüren einige Sekunden früher zuschlage und mit einem Stapel Kleidung im Arm auf den Flur hinaus renne. Als ich fast in der Mitte des langen Flures im zweiten Stock unseres Hauses angekommen bin, vernehme ich die lauten Schritte von Ryder hinter mir und lege noch einen Zahn zu. Er darf nicht wieder eher da sein, denn wenn er schneller ist, verliere ich viel zu viel Zeit, weil er fast eine halbe Stunde im Bad braucht, während ich nach fünfzehn Minuten fertig bin. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es sogar in zehn.

 

Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht, werfe ich die Tür auf und schaue zu meinem Bruder, der gerade an der Tür ankommt, als ich schon hindurchgeschlüpft bin: "Vielleicht beim nächsten Mal, Kleiner!" Mit diesen Worten schlage ich die Tür zu und drehe den metallenen Schlüssel im Schloss herum. Von Ryder ist nur noch ein leises "Ich bin aber älter als du" zu hören. Das muss er mir leider immer wieder unter die Nase reiben, obwohl es nur elf Monate sind, die zwischen uns liegen. Sagen wir einfach meine Eltern waren ziemlich produktiv.

 

Schnell stelle ich mich vors Waschbecken und drehe mit mein der rechten Hand das Radio an. Schließlich hilft morgens nichts besser als ordentliche Musik und zwischendurch werden auch noch Nachrichten, was grundsätzlich nicht schlecht ist. Sofort ertönt der Beat von "Hypnotic" und automatisch beginne ich mich dazu zu bewegen, während ich mich Gesicht wasche und mir meine frische Kleidung anziehe. Gestern Abend habe ich zum Glück auf meine Wetterapp geschaut, weshalb ich nun genau weiß wie warm es heute werden soll. Leider bin ich ein Mensch, der nicht nach draußen geht, ohne zu wissen, wie warm es werden soll.

 

Da es heute relativ warm werden soll, habe ich mich für ein hellblaues T-Shirt entschieden, welches locker sitzt und etwas längere Ärmel hat. Es ist eines meiner Lieblinge. Dazu ziehe ich eine blaue Jeanshose an. Zum Glück habe ich momentan nicht meine Tage, sonst würde ich echt lieber eine Schwarze anziehen. Dann öffne ich eine kleine Schranktür und nehme eines meiner weißen Haargummis heraus und überlege erst meine langen braunen Haare zu einem Zopf zu binden, doch dann entscheide ich mich dagegen und schüttele mein Haar einmal locker durch. So wird es auch gehen. Mit dem Schminken halte ich mich ebenfalls nicht lange auf. So wichtig ist mir das nicht und ich weiß, dass Ryder wütend sein wird, wenn ich noch länger brauche, da es nun schon der zweite Song ist, was mir sagt, dass bereits sechs Minuten um sind. Ich zähle gerne in Songs. Schnell trage ich ein wenig Wimperntusche und pinkfarbenen Lipgloss auf. Ich hasse Mädchen, die komplett mit Schminke voll geklatscht in die Schule kommen. Das wirkt so billig. Zum Glück bin ich nicht die Einzige mit dieser Auffassung. Meine Freundin Morgan, mit der ich schon seit dem Kindergarten befreundet bin, stimmt mir in diesem und einigen anderen Punkten voll zu.

 

Als ich das moderne, aus schwarzen und weißen Steinen bestehende, Badezimmer wieder verlasse, steht Ryder immer noch vor der Tür und wirkt wütend: "Noch langsamer geht es echt nicht, oder?" Ich schaue auf die Uhr, die im Flur hängt: "Hey, das waren nur sieben Minuten. Du brauchst meistens fast viermal so lange." Er geht sich mit der rechten Hand erneut durch die Haare und sagt dann zwinkernd:"Ich muss ja auch gut aussehen, schließlich bin ich der einzige Beliebte in unser Familie." Ich verdrehe die Augen: "Jaja!" Zwar weiß ich, dass er es nicht ernst meint, aber trotzdem tut es weh. Damit wir nicht weiter darüber reden müssen, schiebe ich ihn ins Bad und schließe die Tür hinter ihm. Er weiß genau, dass ich mich freiwillig dazu entschieden habe nicht beliebt sein zu wollen. Das sorgt dafür, dass ich nicht nur auf mein Äußeres reduziert werde und mich auch auf die Schule konzentrieren kann. Schließlich ist das mein letztes Schuljahr und ich will einen guten Abschluss machen, um später meinen Traumjob machen zu können.

 

Schon seit ich fünf Jahre alt bin, ist es mein Traum Psychologin zu werden und habe bisher immer daran festgehalten. Leider muss ich dafür ein verdammt gutes Abitur machen und da habe ich keine Zeit habe mich ständig auf etwas anderes zu konzentrieren. Außerdem gefällt es mir so, wie ich mich anziehe und ich würde mich echt ungern für andere verändern.

 

Weiterhin etwas verletzt meinen Gedanken nachhängend, wandere ich zurück in mein Zimmer und packt meine Tasche für den heutigen Schultag. Heute habe ich einen ziemlich langen Schultag, weshalb der graue Rucksack ziemlich schwer ist, als ich ihn die Treppe hinuntertrage. Das gibt sicher eine ordentliche Verspannung! Am Treppenabsatz angekommen, schaue ich mich um. Dann laufe ich, mittlerweile wieder gut gelaunt, in die Küche, die genau ans Wohnzimmer angrenzt. Beide Räume wurden nicht mal von einer Wand getrennt. Stattdessen kann man vom Waschbecken in der Küche direkt auf den Fernseher schauen, was ziemlich praktisch sein kann.

 

Der wunderbare Geruch von frisch gebackenen Brötchen steigt mir in die Nase und ich folge dem Weg, den mir meine Nase vorgibt. Vor dem Ofen steht meine Mom und am Tisch sitzt meine kleine Schwester Alyssa. Und wenn ich kleiner sage, meine ich es auch so. Schließlich geht sie noch in die Grundschule, was wahrscheinlich auch besser ist, da ich garantiert nicht mit zwei Geschwistern auf eine Schule gehen will. Mit meinen Bruder auf eine Schule zu gehen ist schon anstrengend genug, obwohl er die meiste Zeit über ziemlich cool ist.

 

"Guten Morgen", grüße ich meine Familie und wuschele meiner Schwester durchs Haar, welche mich glücklich angrinst, wobei ihre große Zahnlücke zum Vorschein kommt. Sie hat zu mir genauso wenig Ähnlichkeit wie zu Ryder. Ihr schulterlanges blondes Haar fällt offen über ihre Schultern. Zwei Strähnen hat sie mit pinkfarbenen Haarklammern an ihrem Kopf festgeklemmt. Damit sieht sie echt süß aus. Eine Sache hat sie aber wenigstens von mir geerbt. Sie ist verdammt klug und macht unsere Eltern immer wieder total stolz. Auch Mom begrüßt mich fröhlich und reicht mir ein, mit Ei und Salat belegtes, Brötchen. Dankbar nehme ich es entgegen: "Danke Mom!" Es dauert sowieso noch ein bisschen länger, bis mein Bruder fertig ist, also habe ich sicher Zeit noch etwas zu essen, bevor wir losmüssen. Mein Handy ziehe ich unterdessen aus der Hosentasche und checke meine Nachrichten.

 

Als Ryder endlich die Treppe nach unten gesprintet kommt, ist es bereits ziemlich spät und wir müssen uns echt beeilen. Ich tippe nur auf meine Uhr, während meine Mutter ihn ermahnt: "Wir ja mal Zeit, Ryder. Mach beim nächsten Mal nicht so lange." Alyssa und ich springen gleichzeitig von unseren Stühlen auf, um sich unsere Schuhe und Jacken zu holen, während Mom sich die Autoschlüssel schnappt. Dann springen wir ins Auto und meine Mutter startet den Motor. Schließlich wollen wir nicht zu spät kommen.

 

Auf dem Weg lassen wir noch kurz Alyssa an ihrer Schule raus und fahren dann weiter unsere Schule der "Delaware High School", die jeder Teenager in unserer Kleinstadt besucht. Gerade als ich aussteigen will, hält meine Mom mich am Handgelenk fest: "Katy?" "Ja?", frage ich überrascht. Es sieht ihr nicht ähnlich mich aufzuhalten, wenn wir bereits spät dran sind. „Könntest du heute nach der Schule vielleicht Alyssa von Marissa abholen?", bittet sie mich: "Ich muss nämlich heute etwas länger arbeiten und dein Dad hat ja sowieso erst ganz spät Feierabend." "Natürlich", lächele ich. Ich hatte zwar nicht gewusst, dass meine Schwester sich wieder mit ihrer besten Freundin Marissa vertragen hat, nachdem sie einen riesigen Streit gehabt hatten, aber das ist wahrscheinlich auch nicht so wichtig. Sie vertragen sich sowieso immer wieder nach spätestens einer Woche und mittlerweile Blicke ich echt nicht mehr durch.

 

Nachdem meine Mom sich mit einer Umarmung von mir verabschiedet hat, schließe ich die Tür hinter mir und warte noch kurz, bis Mom das Auto wieder gestartet und sich auf zur Arbeit gemacht hat. Dann wandert mein Blick weiter zum riesigen Schulgebäude vor mir und ein beklemmendes Gefühl überkommt mich.

 

Kapitel 2

Als es zur Mittagspause klingelt, beende ich noch den Satz, den ich gerade geschrieben habe, und beginne dann langsam meine Sachen zusammen zu packen, während alle um mich herum beim Klang des Geräusches aufspringen und in die Cafeteria hetzen. Sobald ich all meine Sachen ordentlich eingesammelt habe, mache auch ich mich gemächlich auf in die Cafeteria. Auf dem Weg dorthin, mache ich aber noch einen kurzen Halt an meinem Spind, um meine Bücher zu verstauen und mein Geld zu holen. Erst als mir der Geruch des Essens in der Mensa in die Nase steigt, merke ich, wie hungrig ich bin. Schnell stelle ich mich in die Schlange an und fange an darauf zu warten, dass ich dran bin.

 

Nach kurzer Zeit stellt sich ein Mitschüler hinter mich und fragt dämlich: "Ist das hier das Ende der Schlange?" Was ist das denn für eine Frage? Sieht er etwas irgendwo anders noch eine Reihe von Menschen irgendwo warten: "Nein, wir alle verkehrt herum. Du bist dran!" Leider fällt er darauf rein, da er einer der Menschen ist, der alles glaubt, was man sagt, um selbst nicht denken zu müssen. Das weiß jeder hier in der Schule! "Okay, danke", erwidert er und läuft einfach an mir vorbei zur Theke, wo das Essen ausgeteilt wird. Ich schlage mir eine Hand vor die Stirn. War ja klar! Logisch denkende Menschen sind so selten. Trotzdem folge ich ihm in meinem Blick, um die Reaktionen der anderen gut sehen zu können. Diese folgen sofort. Einige der Leute in der Schlange beginnen ihn leicht zu boxen, während andere ihm wüste Beschimpfungen an den Kopf werfen, was ich ziemlich heftig finde. Nun fühle ich mich doch schuldig, weil ich ihn auf die falsche Spur gelenkt habe. Ich wusste ja, dass er nicht unbedingt der Klügste ist.

 

Nervös beginne ich auf meiner Lippe herumzukauen und will gerade einschreiten, da tippt mir jemand auf die Schulter, wodurch ich erschrocken herumfahre und die Person hinter mir überrascht anblicke. Dann ändert sich mein Blick jedoch, da ich erkenne, wer mich da angetippt hat. Es ist mein unorganisierter Bruder Ryder. Wieso unorganisiert? Na ja, ich wette, dass er schon wieder sein Geld vergessen hat, weil er so lange gebraucht hat, um sich fertig zu machen. Jedenfalls ist es schon manchmal so und dann fragt er mich in der Mittagspause immer, ob er sich von mir etwas leihen kann. Weit voraus ahnend, ziehe ich einen 5 Dollar Schein aus meiner Hosentasche und halte ihn vor Ryders Nase. Dieser will sofort danach greifen, doch ich ziehe ihn schnell weg und verlange: "Hey, du bekommst mein Geld nur, wenn du versprichst morgen früh darauf zu achten, dass du selbst welches mitnimmst. Ich kann dir nicht ständig was leihen." Er legt eine Hand an seine Brust und hebt die andere zum Schwur: "Ich verspreche, dass ich morgen darauf achten werde." Das bringt mich wieder zum Lachen und ich stecke ihm das Geld in die Tasche: "Gut, hier hast du es." "Danke, Sis", erwidert er fröhlich und stellt sich hinter mir an. Egal wie oft wir miteinander streiten, ist es schön einen Bruder zu haben und ich würde ihn niemals eintauschen.

 

Als ich endlich daran bin, lächele ich die schwarzhaarige, etwas dickliche Cafeteriafrau freundlich an, doch sie blafft nur:"Spaghetti oder Fischstäbchen?" Ich will sie grüßen, doch sie fragt erneut, woraufhin ich antworte:"Spaghetti!" Die Frau greift nach ihrer riesigen Suppenkelle und einer riesigen Zange. Mit der Zange greift sie mehrmals in einen Topf mit Nudeln und zieht einige Spaghetti heraus. Diese klatscht sie auf meinen Teller. Darauf folgt dann auch sofort die rote Soße, die irgendwie ziemlich merkwürdig und so gar nicht wie Tomatensoße aussieht. Ohne einen weiteren Kommentar nehme ich den Teller und lege das Geld genau passend auf den Tresen.

 

Mit meinem blauen Tablett in der Hand, steuere ich auf einen Getränkeautomaten zu und krame umständlich ein Zweieurostück aus meiner Tasche. Umständlich versuche ich mit einem angestrengten Blick im Gesicht mein Tablett irgendwie auf meinem Oberarm zu positionieren und mit beiden Händen die Knöpfe des Automaten zu drücken, was leider total schief geht. Zwar schaffe ich es die Münze hineinzuschieben, doch die Tasten kann ich nicht mehr drücken, bevor das Tablett vom meinem Arm fällt. Doch es landet nicht, wie erwartet, auf dem dreckigen Cafeteriaboden, sondern in den Händen einer anderen Person. Verwirrt hebe ich den Kopf und blicke zu meinem Retter: "Oh Gott, danke Kyle. Wie kann es sein, dass du mich immer wieder rettest?" Auf seinen Lippen entsteht ein freundliches Lächeln, welches in mir einen Schauer der Freude verursacht. Ich liebe dieses Lächeln. Es ist so typisch für meinen Freund und total ehrlich. Um ihm das Tablett möglichst schneller wieder abnehmen zu können, drücke ich auf den Knopf für grünen Tee, nachdem ich einen Becher unter die Düse, aus der das heiße Getränk strömt, gestellt habe. Dann nehme ich es ihm endlich ab und packe den, nun vollen, Becher darauf. "Kommst du mir nach draußen?", frage ich, dann ein wenig gestresst von all den Sachen, mit denen ich gerade balanciere und laufe, mit ihm im Schlepptau, über die Flure nach draußen, ohne seine Antwort überhaupt abzuwarten. Ich bin mehr als froh darüber, dass er mir einfach hinterherläuft, ohne dass ich ihn lange darum bitten muss. Mit dem Fuß stoße ich die großen Türen auf und nehme dann, sobald ich draußen bin, einen kräftigen Atemzug. Ich liebe den Sommer. Einige der grünen Blätter segeln von den Bäumen hinunter und landen auf den grauen Steinen. All das Grüne um mich herum erweckt die Energie in mir und sorgt dafür, dass ich sofort den Drang verspüre mich irgendwohin zu setzen und nicht mehr rein zu gehen. Selbstsicher laufe ich auf den Tisch zu, an dem wir in jeder Pause sitzen. Mittlerweile setzt sich kein anderer mehr dahin, weil er weiß, dass es unser Tisch und die meisten Leute wollen sich mit mir keinen Tisch teilen, also hat sich die Möglichkeit für so gut wie alle bereits erledigt. Die meisten wissen aber auch nicht, dass es mich überhaupt gibt, obwohl ich schon seit sechs Jahren mit ihnen in den gleichen Kurs gehe. Gleichzeitig stellen Kyle und ich das Tablett auf der blauen Tischplatte ab und setzen uns. Zwar sind es nur billige Tisch, aber sitzen kann man daran trotzdem. "Wie war die Spanischstunde?", fragt mich Kyle interessiert, als ich mir gerade einige Spaghetti in den Mund schieben will. "Ganz gut", erwidere ich kauend. Zum Glück kann ich das auch ohne, dass zu schmatzen und allen ganz deutlich zu zeigen, was ich esse. Das ist nämlich ziemlich widerlich und mir wird immer schlecht, wenn ich den Leuten dabei zusehen muss, wie sie ihr Essen außerhalb ihres Mundes laut schmatzend verspeisen.

 

Morgan höre ich schon von weitem, als sie, mit ihrem Rucksack über der Schulter, herbeigelaufen kommt. Als ich sie ansehe, weiß ich genau, wieso sie sich so sehr beeilt. "Hast du etwa die sechste Stunde geschwänzt?", frage ich vorwurfsvoll. Sie weicht meiner Frage einfach aus: "Solltest du nicht lieber deinen Tee trinken? Sonst dehydrierst du." Ich verdrehe die Augen, freue mich aber trotzdem darüber, dass sie mir wenigstens zuhört. Schließlich sage ich oft genug, dass ich süchtig nach grünem Tee bin und dass mein Körper zu sechzig Prozent aus Wasser und zu vierzig Prozent aus grünem Tee. Es ist fast schon sowas wie eine Sucht. Ich bleibe jedoch beharrlich: "Versuch nicht vom Thema abzulenken. Du hast geschwänzt, oder?"

 

Doch sie antwortet auch dieses Mal nicht, sondern deutet nur auf etwas am Eingang der Schule. Überrascht folgen Kyle und ich ihrem Blick. Sofort entflieht ein genervtes Stöhnen meiner Kehle, welches meine momentane Gefühlswelt perfekt beschreibt.

 

Dort steht niemand geringeres als Ashley Walsh. Ihr langes blondes Haar fällt ihr in Wellen über die Schultern und in ihren hautengen Sachen zieht sie die Blicke von fast allen auf sich. Glücklicherweise gehörte ich normalerweise zu den Wenigen, die ihren Blick abwenden und weiter essen können, doch heute ist es anders. Dieses Mal ist ihr Cameron Ross, ihr fester Freund, auf den Fersen, was auch nichts Ungewöhnliches ist. Das Einzige ungewöhnlich ist, dass Cameron mehrere Briefumschläge in der Hand hält, die er sofort an alle zu verteilen beginnt. Es wundert mich, dass er das tatsächlich tut. Er ist der beliebteste Junge an der Schule und nebenbei noch Footballspieler. Fast könnte er einer dieser typischen Bad Boys aus den Büchern sein, die alle Teenager so gerne lesen. Sein blondes, strubbliges Haar fällt ihm in die Stirn und sicher würde einige Leute verdammt viel dafür geben ihm hindurch zu fahren. Aus dem Augenwinkel sehe ich bereits die ganzen Mädchen, die sich nach ihm verzehren und ihren Blick von ihm nicht abwenden können. Langsam gehen Cameron und Ashley alle Tisch ab und reichen jedem, hier draußen sitzenden, Schüler einen Briefumschlag.

 

Bei unserem Tisch bleibt Ashley stehen und schaut uns argwöhnisch an. Ich fühle mich fast wie in einem Zoo, in dem ich das Tier und sie die Besucherin ist. Unsere Blicke treffen sich und ich beginne die Zähne aufeinander zu pressen. Kann sie bitte einfach woanders hingucken? "Ist was?", fragt Morgan an meiner Stelle und spricht damit genau das aus, was ich gerade gedacht habe. Als sie jedoch nicht antwortet, haben Kyle, Morgan und ich einfach nur unsere Augenbrauen. Meine Finger schließen sich um den, mit Tee gefüllten, Pappbecher und ich beginne weiter zu trinken. Das Schweigen geht einfach so weiter, bis Cameron ebenfalls an unseren Tisch kommt und seinen Arm um seine Freundin legt: "Komm schon Baby, gib ihnen die Einladungen!" Mit einem genervten Seufzen nimmt sie zwei Einladungen und schleudert sie vor Morgan und Kyle auf den Tisch. Diese schauen das Paar überrascht an. Dass ich keine Einladung bekomme, war zwar schon klar, aber trotzdem verletzt es mich zu ein wenig. Man konnte es aber voraussehen, wenn man die Vergangenheit von Cameron und mir kennt.

 

Schon seit unserer Geburt sind wir Nachbarn und haben uns in den ersten Jahren auch ziemlich gut verstanden, aber etwas im Alter von zehn Jahren, kam Ashley in unsere Klasse und von da an veränderte sich alles. Er begann nur noch mit ihr befreundet sein zu wollen und dafür zu tun, was immer sie wollte, egal wie sehr er mich damit verletzte. In der Middle School ging es dann mit dem wirklichen Mobbing los und in der High School hat er kein Wort mehr mit mir gewechselt, was mehr oder weniger schade ist.

 

Ermahnend stößt Cameron Ashley leicht in die Rippen, woraufhin sie zu meiner Überraschung, ebenfalls einen Umschlag vor mich hin legt, was sie aber nicht schafft, ohne ihre Nase zu rümpfen, als sie unsere Blicke treffen. Meine Augenbrauen wandern fragend in die Höhe und auf meiner Stirn entstehen Falten. Verwunderung macht sich in mir breit: "Was ist das?" "Das sind Einladungen zur Party, die ich zu meinem achtzehnten Geburtstag feiere. Die ganze Schule ist eingeladen", erklärt er sofort, als er meinen Blick bemerkt. Genervt verdrehe ich die Augen. Das wird er so oder so wieder als Chance nutzen, um mich vor allen bloß zu stellen, was ich echt nicht brauche, weshalb ich die Einladung in die Hand nehme und in den Müll, der sich nur wenige Meter von uns entfernt befindet, werfe. Gerade als ich jedoch zum Wurf ausholen will, greift Morgan nach meinem Arm und hält mich auf: "Warte kurz, Katy. Sicher, dass du nicht doch hingehen willst. Das würde sicher lustig werden." "Nein", erwidere ich einfach sofort. Mein Entschluss, der eigentlich total feststand, gerät jedoch ins Wanken, als ich Cameron enttäuschten und auch ein wenig betrübten Blick sehe. Er wirkt als würde ihn mit meiner Aktion aus irgendeinem Grund verletzt haben. "Überleg es dir doch wenigstens", bettelt Morgan: "Du weißt, dass ich nicht gerne allein auf Partys gehe." Nun doch grinsend, verdrehe ich die Augen: "Na gut, ich überlege es mir, aber ich kann nichts versprechen." Nicht nur Morgan, sondern auch Cameron, strahlt vor sich hin. Mein Magen zieht sich jedoch bei dem Gedanken an die Party unangenehm zusammen und am liebsten würde ich sofort weglaufen.

 

Kapitel 3

Als die Schule endlich zu Ende ist, werde ich von der Flut aus Schülern durch die Gänge der Schule zur Tür hinausgerissen. Die ganz vorne stoßen die Türen auf und führen den Strom weiter nach draußen. Von dort aus teilen sich alle auf und verschwinden in verschiedene Richtungen. Die meisten von ihnen betreten einfach den großen, gelben Bus, um, so schnell es geht, in eine der Vorstädte zu gelangen. Ich hingegen überquere den weißen Zebrastreifen und mache mich auf den Weg zu Marissa, Alyssas bester Freundin, weil ich meine Schwester dort abholen soll. Mein Blick wandert über die Straße hinweg und beobachte alle Details. Ich bin ein Mensch, der automatisch immer ganz genau auf seine Umgebung achtet und fast alle Details bemerkt. Das saftige grüne Gras zwischen den eng angelegten Steinen auf der Straße, bemerke ich sofort und auch die Kaugummireste auf dem grünen Stein fällt mir auf und erst recht die grünen, von den Bäumen segelnden, Blätter sehe ich sofort. Viele Menschen leben einfach schon zu lange hier, um zu sehen, wie schön unsere Kleinstadt ist. Bei mir war es nie so. Ich habe immer versucht den Blick für die schönen, kleinen Dinge im Leben zu behalten und bekomme es auch ziemlich gut hin, wenn ich gerade nicht im Stress bin, den mein Abi momentan verursacht. Vollkommen in Gedanken versuchen, höre ich erst beim zweiten Teil die Stimme der Person, die meinen Namen laut über die ganze Straße schreit: "Hey Katy, warte auf mich!" Ich fahre überrascht herum und suche mit dem Blick nach der Person, die mich gerade gerufen hat. Als sie auf mich zugelaufen kommt, erkenne ich, wer mich da gerufen hat. Es ist meine beste Freundin Morgan, die heute mit ziemlicher Sicherheit geschwänzt hat, es aber nicht zugeben will. Sofort bleibe ich stehen und warte auf sie. Neben mir angekommen fragt sie: "Wohin gehst du? Das ist nicht der Weg zu dir nach Hause." "Ja, ich weiß, aber Mom hat mich darum gebeten Alyssa von einer Freundin abzuholen." "Ach so, okay. Kann ich mitkommen?", fragt sie interessiert. Ich nicke glücklich. Immer wieder bin ich froh darüber, dass wir befreundet sind und es nie wirklich komisch zwischen uns wird. "Sicher", erwidere ich und krame in meinen Taschen nach etwas Essbarem, bis ich fündig werde:"Schokoriegel?" Sie nickt und nimmt den Riegel an, den ich ihr hingehalten habe: "Klar gerne. Bei welcher Freundin ist deine Schwester?" "Marissa", erwidere ich. Sofort verdreht die Schwarzhaarige ihre nussbraunen Augen und stöhnt genervt auf. "Was findet sie nur an der?", fragt Morgan genervt und öffnet das Papier des Riegels, bevor sie hineinbeißt. "Keine Ahnung. Frag sie doch." Sie bricht in Gelächter aus:"Ne, lieber nicht." Lachend öffne ich dann auch meine eigene Schokolade und beiße hinein. Langsam beginne ich auf der bitteren Masse herumzukauen und genieße den Geschmack, bis Morgan eher auf ein eher ungutes Thema zurückkommt: "Gehst du jetzt eigentlich zur Party, oder nicht?" "Ich werde es mir überlegen", antworte ich sofort und schaue auf den Boden, damit sie nicht weiter fragt, doch scheinbar versteht sie den Wink nicht. "Gehst du heute mir shoppen. Wir brauchen neue Kleider", erwidert sie deshalb gut gelaunt und legt mir einen Arm um die Schultern. "Ich habe nicht gesagt, dass ich auf die Party gehe", beteure ich erneut. "Ich weiß, aber mit zum Shoppen kommst du trotzdem, oder?" "Natürlich", erwidere ich grinsend und lege den Kopf zur Seite: "Das tue ich doch immer." Als ich die Worte jedoch ausspreche, verspüre ich ein unangenehmes Ziehen im Magen. Das was ich gesagt habe, habe ich nämlich nicht wirklich so gemeint und stattdessen keine große Lust habe shoppen zu gehen, schließlich weiß ich, dass Morgan nicht locker lassen wird, bis ich ja gesagt habe. In diesem Moment kommen wir an Marissas Haus an und Morgan lässt endlich locker, als ich mit meinem Finger sanft auf den Klingelknopf drücke. Innerlich ist mir jedoch bewusst, dass sie mich trotzdem nicht in Ruhe lassen wird, bis ich zustimme mit ihr zu kommen. Das hier ist nur die Ruhe vor dem Sturm! 

Kapitel 4

 

Als es am Samstagmorgen an unserer Haustür klingelt, stehe ich langsam auf und gehe zur Quelle des Geräusches, um die Tür öffnen zu können. Wer klingelt zu so einer frühen Stunde bei mir? Es ist ja nicht mal neun Uhr morgens und ich stehe echt ungern um diese Uhrzeit auf. Der einzige Grund warum ich jetzt wach bin, ist das Ryder mich am Morgen lautstark geweckt hat. Zum Glück bin ich angezogen, da es echt peinlich wäre in dem Giraffen Onesie, den ich bis vorhin noch getragen habe, zur Tür zu gehen. Stattdessen trage ich ein weißes Sommerkleid und habe meine Haare mit einem weißen Haargummi zu einem Pferdeschwanz gebunden, der mein Gesicht irgendwie schmaler wirken lässt. Unsicher drehe ich den Türgriff herum und reiße die Tür auf.

 

Dort, vor meiner Tür, steht Morgan mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen: "Guten Morgen, Katy." Ich reibe mir kurz die Augen, bis diese sich an das gleißende Sonnenlicht gewöhnt haben. "Was machst du hier?", frage ich leise und blinzele mehrmals. "Ich hole dich ab, um mit dir shoppen zu gehen. Was sonst?", fragt sie verwirrt. Ein ernüchtertes Stöhnen entflieht meiner Kehle: "Oh Gott, wieso willst du so früh am Morgen Kleidung kaufen gehen?" "Erstens kannst du neun Uhr nicht früh nennen und zweitens sind die Läden morgens viel leerer, wodurch die Schlangen nicht zu lang und die besten Sachen nicht vergriffen sind", ein begeisterter Gesichtsausdruck erscheint auf ihrem Gesicht. Da ich weiß, dass sie nicht locker lassen wird, greife ich nach meinem Haustürschlüssel, der rechts neben mir am Schlüsselbrett hängt und streife meine Jacke über, damit ich nicht friere. Dann husche ich für eine Sekunde wieder komplett ins Haus, um nach meinem Handy und meinem Portmonee zu suchen und es dann einzustecken. Als ich dann auch meine weißen Ballerinas angezogen habe, husche ich nach draußen und schließe die Tür hinter mir ab: "Also ich bin fertig!" Meine Freundin beginnt wie wild zu grinsen und mit ihrer Freude steckt sie auch mich an. Energiegeladen streckt sie ihre Hand nach mir aus und ich lege meine eigenen in ihre. Der Wind bläst sanft und wirbelt die losen Strähnen, die sich aus meinem Zopf gelöst haben, durcheinander. Gemeinsam steigen wir in Morgans Auto. Während sie den Motor startet, ziehe ich mein Handy wieder aus der Tasche und tippe eine schnelle Nachricht an meine Mutter, die erklärt, wo ich bin, da ich weiß, dass meine Eltern noch nicht aufgestanden sind, was ich durchaus verstehen kann. Wieso muss Morgan nur so eine Frühaufsteherin sein, wenn am Morgen eine Shoppingtour ansteht. Ich wünschte, sie wäre auch mal so pünktlich, wenn sie am Morgen zur Schule muss. Sonst ist sie nämlich weder pünktlich noch eine Frühaufsteherin.

 

In der riesigen, dreistöckigen Mall, die so gar nicht in die kleine Stadt passt, schaue ich mich um und checke nochmal meine Nachrichten, um nachzusehen, ob Mom schon gesehen hat, was ich geschrieben habe. "Was wollen wir uns zuerst schnappen?", fragt sie ehrgeizig und reibt die Hände aneinander. Wenn Shopping eine olympische Disziplin wäre, würde sie ganz klar den ersten Platz belegen. Das kann mir jeder bestätigen, der mit ihr wenigstens in den Supermarkt gegangen ist. Immer wenn sie einen Laden betritt, in dem man was kaufen kann, ist sie wie hypnotisiert und gar nicht mehr das Mädchen, welches man sonst kennt. "Ich denke, zuerst sollten wir für dich ein Kleid besorgen", rate ich ihr an, da ich genau weiß, dass es das ist, was sie hören will. Um das zu wissen, muss man mindestens dreimal mit ihr shoppen gewesen sein. Erst holt sie sich immer ein Kleid oder auch ein Oberteil mit einem Rock oder einer Hose. Dann geht es weiter zu den Schuhen, damit sie auch ja zu Kleid passen und das letzte, was sie will, ist dann vielleicht noch eine Tasche. Aber die kauft sie nur manchmal. "Stimmt, du kennst mich so gut", erkennt sie an und zieht mich mit sich in den ersten Kleidungsladen, den sie finden kann.

 

Dort angekommen sucht sie sich zahlreiche Kleider heraus, die sie mir alle reicht, damit ich sie für sie trage. Komplett beladen wandern wir dann weiter zu einer Umkleidekabine, woraufhin sie mir die Kleider abnimmt, nachdem wir angekommen sind, und sich hinter dem Vorhang versteckt. Einige Zentimeter entfernt setze ich mich auf einen Stuhl, der extra für die Kunden hingestellt wurde, und warte auf ihn. Mehrmals kommt sie nach draußen, um mir das Kleid zu zeigen und sich meine Meinung einzuholen. Als sie nach einer langen "Anprobier-Saison" wieder in ihrer normalen Kleidung aus der Umkleide hinaustritt und mich forschend ansieht:"Okay, ich glaube, dass ich jetzt vier und fünfzehn wirklich nehme." "Das ist eine gute Nachricht", erwidere ich augenzwinkernd und werfe einen Blick in die Kabine: "Welche denn?" Sie zeigt mir zwei schwarze, ein schwarz-weiß gestreiftes und ein weißes Kleid hervor. "Jetzt suchen wir was für dich raus", erwidert sie grinsend und schaut sich um: "In Schwarz siehst du sicher super aus." Ich verdrehe die Augen, da ich wenig Lust darauf habe ebenfalls etwas anzuprobieren. Mit Sicherheit werde ich sowieso nicht hingehen, aber das kann ich ihr nicht sagen, sonst wird sie nur mit mir diskutieren und jetzt habe ich darauf echt wenig Lust: "Muss das sein?" "Ja, muss es", sie geht zu einer Kleiderstange und zieht ein schwarzes Kleid hervor, welches sie mir reicht:"Probier das hier an!"Genervt schaue ich mich nach einer Ausrede um, um es nicht anprobieren zu müssen, doch der Versuch schlägt fehl. Als ich jedoch nichts finde, nehme ich dir das Kleidungsstück aus der Hand. Damit verschwinde ich dann in eine der freien Kabinen.

 

Langsam ziehe ich das Kleid, welches ich gerade noch getragen habe, über den Kopf und falte es auf dem kleinen Schemel, aus hellem Holz, zusammen. Für einen kurzen Moment mustere ich mich in einem der drei Spiegel. Eigentlich bin ich nicht hässlich, aber ich versuche nicht mich perfekt in Szene zu setzen und stehe nicht lange vor dem Spiegel, um andere glücklich zu machen. Lieber bin ich selbst glücklich und fühle mich wohl, was, wenn ich genauer darüber nachdenke, ein ziemlich selbstsüchtiger Gedanke ist, aber ich habe mich eben noch nie für andere verstellt. Nicht einmal für die Liebe wie viele es tun. Stattdessen setze ich mehr Wert auf Intelligenz und Wissen, als auf teure Kleidung und Beliebtheit. Trotzdem gehe ich hin öfters mit Morgan in die Mall, wenn sie mich darum bittet. Als Morgan mich bereits zu fragen beginnt, warum das alles so lange dauert, öffne ich den Reißverschluss des schwarzen Kleides und schlüpfe hinein. Fast wirkt es, als könnte Morgan in die Zukunft schauen, als sie genau im richtigen Moment den Vorhang zur Seite schiebt und mir ein Paar schwarze High Heels in die Hand drückt: "Die passen perfekt zu dem Kleid. Würdest du sie mal anprobieren? Für mich?" Ich komme ihrer Bitte nach und ersetze meine weißen Ballerinas durch die Heels, welche tatsächlich sehr gut zum Kleid passen. Mit einer sanften Handbewegung zieht sie dann, ohne meinen Protest zu beachten, das Haargummi aus meinen Haaren, woraufhin sich meine hellbraune Mähne über meine Schulter ergießt. "Wow, du siehst einfach perfekt aus", gibt sie nach einer kurzen Überlegung zu und verschwindet dann zurück in ihre Kabine. Über die Wand hinweg ruft sie: "Kauf es." "Was?" "Das Kleid! Kaufe es. Es passt dir wie angegossen."

 

Als wir nach einer gefühlten Stunde endlich unsere Einkäufe bezahlt haben, steigen wir zurück in ihr Auto und schaue auf mein Handy und hoffe, dass sie nicht wieder mit der Party anfängt. Meine Hoffnungen werden sofort enttäuscht. "Also gehst du jetzt hin?" "Wohin?", frage ich scheinheilig. Um zu wissen, dass sie gerade den Kopf schief legt und mich prüfend anblickt, weiß ich auch ohne sie ansehen zu müssen: "Du weißt genau wohin." "Stimmt", gebe ich zu: "Und ich habe meine Meinung nach wie vor nicht geändert. Ich werde es mir überlegen!" "Wenn du sagst, dass du es dir überlegst und so lange daran fest hältst, heißt das immer "Nein" und das wissen wir beide nur zu gut", sie wirkt beleidigt, als ich den Kopf hebe und sie anblicke. "Stimmt nicht", sage ich, denke dabei aber "Ja, stimmt, aber das würde ich nie zugeben". Sie verdreht nur die Augen. Um nicht weiter diskutieren zu müssen, was ich heute schon ausreichend getan habe, schaue ich konsequent aus dem Fenster und versuche meine Gedanken zu ordnen. Das war ein merkwürdiger Tag und er wird noch merkwürdiger werden, wenn ich mich doch dazu entscheiden sollte zur Party zu gehen. Leider ist dieser einer der Tage, an denen ich unentschlossener bin als sonst.

Kapitel 5

Unsicher betrachte ich mich im Spiegel. Das Schwarz passt ausgesprochen gut zu meinen hellbraunen Haaren, doch trotzdem fühle ich mich nicht sonderlich wohl hier. Es passt einfach nicht richtig zu mir, sondern ist eher etwas für Morgan. Meine Haare fallen offen über meine Schulter so wie Morgan es mir geraten hat und auch die hohen Schuhe, in denen ich gerade noch so laufen kann, habe ich angezogen, doch wirklich ich selbst bin ich darin nicht. Diese Unschlüssigkeit, die ich schon den ganzen Tag eine große Last für mich und hat mich noch nicht losgelassen. In meinem Zimmer ist es kalt. Ich habe wohl vergessen die Heizung aufzudrehen, was ich nun ziemlich bereue. Vielleicht sollte ich mich einfach im Schlafanzug aufs Sofa setzen und mir einen Film ansehen. So könnte ich all diese unangenehmen Sachen, die mich vielleicht erwarten, wenn ich zur Party gehe, einfach umgehen.

 

Mit einem lauten Geräusch fliegt die Tür auf und ich zucke zusammen. Mein Blick fliegt zur Tür und ich blicke den Eindringling unsicher an: "Kannst du beim nächsten Mal bitte klopfen, bevor du ins Zimmer stürmst?" "Nein, das ist schließlich auch mein Zimmer", erwidert er: "Ich kann rein kommen, wann ich will. Schließlich ist das auch mein Zimmer", merkt mein Bruder an und mustert mich dann kurz: "Du gehst also zur Party?" Ich verdrehe die Augen. Wieso denkt jeder das sofort? "Nein, wahrscheinlich nicht", erwidere ich und laufe, leicht wankend, weiter zu meinem Bett, wo ich mich einfach drauf fallen lasse. "Wahrscheinlich?", fragt er genauer nach und lässt sich neben mich aufs Bett fallen. "Ich habe mich noch nicht entschieden", gebe ich kleinlaut zu. Er legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich grinsend an sich: "Bitte komm mit. Morgan, Kyle und ich würden uns freuen und Cameron hätte dich sicher nicht eingeladen, wenn du unerwünscht wärst. Du hast doch eine Einladung, oder?" Vorwurfsvoll lege ich den Kopf schief: "Natürlich, habe ich eine." Um mir nicht noch die Füße zu brechen, ziehe ich schnell die Schuhe aus und laufe barfuß zu unserem hellen Schreibtisch, auf dem ich die Einladung abgelegt habe.

 

Ich reiche ihm das Papier und er beginnt es zu lesen: "Genau das habe ich auch bekommen." Da bin ich ja froh. Dann wurde ich wenigstens schonmal nicht verarscht. "Du gehst hin, oder?", fragt ich interessiert und lege den Kopf ein wenig schief. "Natürlich. Cameron und ich sind Freunde und Team Kollegen, als ich es sowas wie meine Pflicht hinzugehen, oder?", merkt er an und reicht mir die Einladung wieder. Nachdenklich nehme ich ihn entgegen: "Ja, wahrscheinlich schon. Schließlich würde ich das ja auch für Morgan oder Kyle tun." "Die beiden gehen auch hin, oder?", er lässt sich in mein Bett sinken. "Kyle hat mir vorhin eine Nachricht geschickt, in der er schreibt, dass er kommt, Morgan hat momentan kein anderes Thema", erkläre ich grinsend und setze mich wieder neben ihn. "Perfekt, dann lass uns eine Vereinbarung treffen", ich bin überrascht von der Energie, die in seinen Worten mitschwingt. Fragend lege ich den Kopf schief:"Was meinst du?" "Komm für eine Stunde mit nach drüben auf die Party", erklärt er. Ich überlege kurz. Wenn ich zustimme, hätte ich vielleicht eine schöne Zeit mit meinen Freunden oder alles läuft schief und ich werde total gedemütigt. Trotzdem ist die Vorstellung viel zu verlockend und ein ungewohnter Übermut steigt in meinem Innersten auf, den ich nicht abschütteln kann. "Einverstanden", ich verschränke die Arme nachdenklich vor der Brust: "Aber nach einer Stunde darf ich wieder gehen, wenn ich will." Er streckt mir seine Hand zum Schwur hin: "Einverstanden!"

 

Grinsend reicht er mir mein Paar Schuhe und ich zwänge schnell meine Füße hinein. Dann streckt er mir seinen Arm entgegen, in dem ich mich einharke und von ihm die Treppe hinuntergeführt werde, um nicht zu fallen. Unten angekommen legt er mir eine Jacke über die Schulter und geleitet mich dann durch die Kälte hindurch zum Haus meines Nachbarn Cameron. Doch obwohl ich diese Entscheidung getroffen habe, bin ich mir doch nicht sicher, ob es die Richtige war. Stattdessen hat sich in meinem Kopf eine leise Stimme eingenistet, die mir sagt, dass dieser Abend mich enttäuschen wird.

 

Kapitel 6

Die Tür wird aufgerissen und ein Mädchen mit schwarzem Haar, mehr als knapper Kleidung und roten Augen. Hat sie etwa gekifft? Wenn hier Drogen im Spiel sind, bin ich sofort wieder weg und verbringe meine Zeit lieber mit cleanen Leuten. "Hallo, können wir rein kommen?", frage ich und reiche ihr meine Einladung. Schalend lachend reißt sie die Tür auf und hält uns einen Stempel hin. Ich blicke stirnrunzelnd zu Ryder herüber, welcher dem Mädchen meine Hand hinhält, woraufhin sie den hölzernen Stempel feste auf meinen Handrücken aufdrückt. Ein schwarzer Abdruck in der Form eines Wolfskopfes bleibt zurück. Am liebsten hätte ich gefragt, warum man mir ausgerechnet den Kopf eines Wolfes auf die Hand druckt, aber vorher zieht mich Ryder mit sich ins Haus hinein. Als wir drinnen sind, nimmt er mir, fast wie ein richtiger Gentleman, meine Jacke ab. "Wehe du kiffst", zische ich meinem Bruder zu. Er sieht mich misstrauisch an: "Denkst du wirklich, dass ich das tun würde?" "Ja, wir beide wissen wie gerne du neue Sachen ausprobierst", stichele ich leicht. "Na gut, ich verspreche, dass ich keinerlei Drogen anrühren werde. Egal in welcher Form", verspricht er und macht zum Schwur eine besondere Geste. Er weiß zwar, dass es mir nur um seine Gesundheit geht, aber trotzdem hasst er es, wenn ich ihn dazu anstifte mir versprechen zu geben, da er sie dann auch hält. Mein Bruder kann nämlich oft sehr aufbrausend oder auch rücksichtslos sein, besonders am Morgen, und auch nerven kann er, aber trotzdem hält er seine Versprechen, egal wie schwer es ihm auch fällt. Er sagt immer, dass sein Wort für ihn das Wichtigste ist und dass er geistig verwirrt sein muss, wenn er es bricht. Anfangs habe ich ihm das nie geglaubt, aber mittlerweile glaube ich ihm, wenn er etwas verspricht, da er sein Wort über all die achtzehn Jahre, die er schon lebt, noch nie gebrochen hat.

 

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken herausgerissen: "Wollen wir uns etwas zu trinken besorgen?" "Sicher", erkläre ich und folge meinem Bruder, der sich hier perfekt auskennt, in die Küche. In der Küche angekommen treffen wir auch sofort auf den Grund dafür, dass mein Bruder sich hier auskennt. "Claire", ruft mein Bruder fröhlich und läuft seine Freundin zu. Sie hat ihr blondes Haar zu einem hohen Zopf gebunden, der ihr ausgezeichnet steht und ihre strahlend grünen Augen nur noch weiter hervorhebt. Zu meiner Freude ist auch sie, genau wie ich, eines der Mädchen, welche sich nicht stundenlang vor dem Spiegel fertig machen muss, um sich schön oder selbstbewusst zu fühlen. Aus diesem Grund war sie mir schon immer sympathisch, obwohl sie die Zwillingsschwester von Cameron ist, der so viel anders ist als das Mädchen. Als sie beginnen sich zu küssen, wende ich mich lieber der Bohle zu, weil sie sowieso nicht aufhöre werden, egal was sie tun. Mit einer großen Schöpfkelle befülle ich einen roten Becher und nehme einige Schlucke, bis ich bemerke, dass es voll von Alkohol ist, weshalb ich das Gesicht verziehe. Den Becher drücke ich der nächstbesten Person in die Hand, die an mir vorbeiläuft und mache mich dann auf den Weg ins Wohnzimmer, um nach meinen Freunden zu suchen. Ein wenig geschafft von all der lauten Musik und den Leuten um mich herum, lasse ich mich auf das große, schwarze Stoffsofa fallen.

 

Als ich bereits für einige Zeit dort sitze, sehe ich Morgan, die aus der Küche auf mich zukommt. Sie trägt ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen, welches zu ihren schwarzen Haaren sehr gut passt. Ihre blauen Augen kommen richtig gut zur Geltung und im Gegensatz zu mir weiß sie wie man perfekt auf ihren Schuhen läuft. Entspannt lässt sie sich neben mich fallen und grinst mich fröhlich an: "Du bist tatsächlich gekommen! Was ist geschehen? Hat dich jemand hypnotisiert?" Grinsend verdrehe ich, gespielt wütend, die Augen, sage dann aber ganz ernst die Wahrheit: "Ich habe eine Verabredung mit meinem Bruder. Nach mindestens einer Stunde darf ich wieder gehen, wenn ich will." "War ja klar, dass du nicht freiwillig hergekommen bist", gibt sie zu und reicht mir einen Becher, den ich zwar erst in die Hand nehme, dann aber lieber wieder auf dem Couchtisch abstelle: "Ich bin froh, dass du hier bist. Ganz allein wäre ich nicht gerne hier." "Kyle ist auch irgendwo hier, aber ich weiß nicht genau wo", sie schaut sich um und steht auf: "Ich werde mal nach ihm suchen gehen, okay?" "Sicher", ich lege den Kopf auf die Lehne und starre an die Decke. Das ist so viel langweiliger als gedacht. Was finden alle nur an solchen Partys? Wahrscheinlich ist es für die anderen lustiger als für mich, weil ich nicht oft auf Partys gehe und ehrlich gesagt auch keine Ahnung habe, was man auf einer richtigen Party so macht abgesehen vom Trinken oder Rummachen, da ich auf beides wenig Lust habe. Mittlerweile bin ich fest entschlossen hier zu verschwinden, wenn die Stunde vorbei ist.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich auf dem Sofa verbracht habe, blicke ich erneut durch die Runde. Überall machen irgendwelche rum und auf der Treppe befindet sich das Ende einer Schlange, die ihrem Beginn im Badezimmer hat. Für einige der Anstehenden scheint es jedoch schon zu spät zu sein, was ich daran sehe, dass gelber Schleim, der wohl Kotze zu sein scheint, langsam die Treppe hinunterfließt. Bei dem Anblick wird mir total schlecht, weshalb ich schnell wegblicke. Mein nächster Blick trifft jedoch nicht unbedingt ein besseres Ziel. Dort stehen Morgan und ihr Arbeitskollege aus dem Subway, den sie eigentlich total nervig findet, in einer Ecke und knutschen. Sofort erscheinen Falten der Überraschung auf meiner Stirn. Was ist denn da los? Gestern hat sie sich bei mir noch darüber ausgelassen, dass wie nervig er es findet, dass sie auf ihn steht und wie widerlich sie ihn findet und tauschen sie ihren Speichel miteinander aus.

 

Endlich zeigt mir die Uhr, auf die ich bis gerade noch gestarrt habe, dass die Stunde endlich zu Ende ist. Gerade als ich aufstehen will, beginnen alle laut zu grölen. Den Blicken der anderen folgend, sehe ich, dass Cameron und Ashley sich vor alle küssen. Ich verstehe nicht, was daran so besonders ist, wenn man bedenkt, dass das so gut wie alle hier tun. Augenrollen schnappe ich mir meine Jacke von der Garderobe. Dann reiße ich die Tür auf und werfe mir die Jacke über die Schultern, als ich merke, wie kalt es draußen mittlerweile geworden ist. Die Party war ein totaler Reinfall und mittlerweile frage ich mich echt, warum mein Nachbar mich eingeladen hat.

 

Kapitel 7

Umständlich beginne ich den Reißverschluss meines Kleides mit zwei Fingern zu öffnen. Nach kurzer Zeit und mehreren Verkrümmungen, habe ich es geschafft den Reißverschluss komplett aufzuziehen und steige dann aus dem Kleid heraus. Meine Schuhe folgen sofort. Mit nackten Füßen husche ich über den Holzboden in meinem Zimmer zu meinen Schubladen. Heraus ziehe ich ein paar dicke Socken und einen warmen Schlafanzug. Alles ziehe ich schnell an, da es in meinem Zimmer nach wie vor kalt ist. In diesen warmen Sachen eingekleidet, stapfe ich mit meiner warmen Decke im Arm die Treppe hinunter, bis ins Wohnzimmer. Jetzt werde ich mir noch einen schönen Abend machen ganz ohne die Leute auf der Party.

 

Unten angekommen, werfe ich die Decke schonmal aufs Sofa und gehe dann weiter zur Heizung, von der aus man auf das Haus der Familie Ross blicken kann. Scheinbar ist die Party noch in vollem Gang. Im Garten, nur wenige Meter von unserem Zaun entfernt, liegen überall verstreut mehrere Leute und schlafen auf dem Rasen oder trinken aus großen Vodkaflaschen. Augen verdrehend wende ich mich ab und gehe stattdessen lieber in die Küche, um mir etwas zu Essen zu holen. Schließlich bin ich noch im Wachstum und da ist es ganz wichtig viel zu essen. Jedenfalls ist das immer das, was ich meinen Eltern sage, wenn sie fragen, warum ich ständig so viel Hunger habe.

 

Meine Finger schließen sich um den Griff des Kühlschranks und ich öffne die Tür. Der Kühlschrank ist fast leer. Scheinbar waren Mom und Dad nicht einkaufen. Ich drehe mich zum Tisch um und greife nach einem kleinen, bunten Zettelblock und einem Stift. Darauf schreibe ich eine Erinnerung für jeden im Haushalt, das bald wieder eingekauft werden muss. Den blauen Post-It Zettel klebe ich an die Tür des Kühlschrankes. Dann öffne ich das Eisfach, um nachzuschauen, ob wir noch etwas Eis haben. Wenigstens haben wir davon noch ein bisschen. Langsam ziehe ich einen Hocker vor das Regal, in dem sich die Schüsseln für Eis befinden, und versuche dabei möglichst leise zu sein, weil meine Schwester und meine Eltern bereits schlafen. Schließlich ist es schon nach ein Uhr und eigentlich würde ich auch schon lange im Bett schlafen, wenn ich heute nicht zur Party gegangen wäre.

 

Das Schokoladeneis führe ich mit einem großen metallenen Löffel in die Schüssel und stelle dann die Packung wieder weg, doch etwas Kaltes reicht mir noch nicht. Deshalb mache ich mir noch einen Kakao mit Streuseln und lasse mich dann mit beiden Sachen in der Hand aus Sofa sinken. So lässt es sich doch leben. Endlich habe ich das Gefühl wirklich glücklich zu sein und mich einfach mal entspannen zu können. In letzter Zeit hat die Schule mich so gestresst, dass ein entspanntes Wochenende Gold wert ist. Ausnahmsweise muss ich am Wochenende mal keine Referate vorbereiten oder Hausaufgaben machen, sondern einfach ein ruhiges, entspanntes Wochenende verbringen. Bevor ich mich jedoch meinem Eis zuwende, gehe ich auf den DVD-Player zu und lege eine DVD ein. Darauf steht in silbernen Lettern "Sex and the City" und darunter "Staffel 1". Mit der Fernbedienung in der Hand starte ich die erste Folge und decke mich mit meiner grauen Decke zu. Immer wieder nehme ich abwechselnd einen Schluck Kakao und esse dann einen Löffel Eis, doch ich kann mich nicht richtig auf die Serie konzentrieren.

 

Stattdessen sind meine Gedanken fast ununterbrochen bei meinem Nachbarn Cameron Ross, den ich schon seit ich denken kann, kenne. Ich habe mich schon oft gefragt, wie unsere Beziehung so kippen konnte, wenn man bedenkt, dass wir früher sehr gut befreundet waren und so gut wie jede freie Minute miteinander verbracht haben. Als wir jedoch in die Middle School kamen, kamen wir mit Ashley zusammen. Bereits von Anfang an, hat er für das Mädchen geschwärmt, was mich anfangs nicht gestört hat, aber als er dann begonnen hat sich gegen mich zu wenden und sich immer weiter von mir zu entfernen, hat unsere Freundschaft immer mehr gelitten, bis er angefangen hat mich, auf Ashleys Wunsch hin, zu mobben und mit mir auf der High School kein einziges Wort mehr mit mir zu sprechen. Wahrscheinlich wusste er bis gestern gar nicht, dass es mich gibt. Die Erinnerung an unsere Vergangenheit macht mich total traurig. Wie konnte es nur so kommen? Schon so oft habe ich mich gefragt wie es wäre, wenn wir Ashley nie getroffen hätten. Wäre es dann anders gekommen oder hätte er mich trotzdem irgendwann so behandelt?

 

Mein Kakao und auch das Eis sind bereits leer, als es an der Tür klingelt. Verwundert runzele ich die Stirn. Wer kann das denn nur sein? Überrascht befreie ich mich und stehe vom Sofa auf. Langsam schlurfe ich zur Tür und öffne die Tür, um nachzusehen, wer davor steht. "Morgan? Was tust du hier?", frage ich total überrascht: "Wieso bist und nicht auf Camerons Party?" "Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst plötzlich weg", erklärt sie wehmütig und schaut mich besorgt an. Ich schaue mich draußen um, ob noch jemand vor der Tür steht. Als das nicht der Fall ist, ziehe ich sie zu mir ins Haus: "Komm erst mal rein." Morgan kommt meiner Bitte nach und setzt sich zu mir aufs Sofa. "Also? Wieso bist du gegangen?", fragt sie nachdenklich: "Ist irgendwas passiert? Wurdest du belästigt?" Schnell versuche ich sie zu beruhigen: "Nein, nein. Alles gut. Die Stunde war nur noch vorbei und ich hatte keine Lust mehr. Partys sind nichts für mich." Überraschenderweise nimmt sie mich in den Arm: "Ich hab mir richtige Sorgen gemacht. Geh nie wieder, ohne mir vorher Bescheid zu sagen." Meine Überraschung kann ich kaum verstecken. Ihr Verhalten ist einfach zu untypisch für sie, was wohl ein Zeichen dafür ist, dass sie wirkliche Angst um mich hatte. Um sie ein wenig zu beruhigen, verspreche ich es: "Ich verspreche es. Tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin. Mach ich nicht noch mal." "Danke", sie schmiegt zufrieden an mich. Mein Kopf fällt auf ihre Schulter und jetzt erst merke ich, wie müde ich eigentlich bin. Langsam wird mir schwarz vor Augen und ich schlafe, mit einer tiefen Befriedigung in meinem Inneren, ein.

 

Kapitel 8

Am nächsten Morgen laufe ich mit meinen Schulsachen im Arm über den Schulflur, bis ich an meinem Spind stehen bleibe, um mich auf das nächste Fach vorzubereiten. Eigentlich hatte ich erwartet, dass heute alle normal oder wenigstens gut drauf sind, schließlich wurde der Captain des Football Teams gestern achtzehn, aber weit gefehlt, denn genau das Gegenteil ist der Fall. Jeder, dem ich heute Morgen über den Weg gelaufen bin, war mies gelaunt und war noch unfreundlicher als sonst. Vielleicht hätte ich ja doch auf der Party bleiben sollen. Dann wüsste ich jetzt, welche Laus den Schüler hier über die Leber gelaufen ist. Ich selbst scheine die Einzige zu sein, die einigermaßen gut gelaunt ist. Schließlich ist das der Ort, an dem mein Gehirn neuen Stoff bekommt. Wieso sollte ich also schlecht gelaunt sein?

 

Als ich endlich meinen Spind neu sortiert habe - ich hasse es, wenn er unordentlich ist - nehme ich meine Thermoskanne, die mit grünem Tee befüllt ist - womit auch sonst -, heraus und laufe weiter zu in die Mensa, wo Morgan und Kyle wahrscheinlich schon auf mich warten. Beschwingt laufe ich über die Flure und schaue mich dann um. Zu meiner Überraschung sind meine beiden Freunde leider noch nicht zu sehen. Sind sie etwa noch im Unterricht? Vielleicht muss Morgan wieder nachsitzen. Möglichst ist es auf jeden Fall, wenn ich bedenke, dass es schon öfter mal vorkam. Ein wenig verwundert stelle ich mich an und suche mit dem Blick weiterhin die Menschenmenge ab, da sehe ich meinen Bruder, wie in so gut wie jeder Pause, erneut herannahen.

 

"Katy", bei mir angekommen, legt er seine Hände auf meine Schulter und flüstert: "Hast du Geld dabei?" Instinktiv verdrehe ich die Augen und fast will ich "Nein" sagen, aber dann kommt mir eine Idee: "Ja und du kannst auch welches haben, wenn du mir erzählst, was hier los ist." "Wie meinst du das? Hier ist nichts los", meint er scheinheilig, weicht meinem Blick aber aus, was für mich das Zeichen ist, dass er etwas weiß, was ich nicht weiß. "Ach komm schon, Ryder. Dann bekommst du auch mein Geld", bettle ich und halte ihm mein Portmonee hin, um ihn ein wenig zu beeinflussen. Er schnappt danach, doch ich ziehe es schnell weg: "Erst will ich antworten." Er seufzt nachdenklich: "Na gut, ich gebe dir antworten." Ein zufriedenes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Das läuft ja besser als gedacht: "Also, was haben alle?" Er beginnt mir alles, was ich wissen will, ins Ohr zu flüstern: "Gestern auf der Party haben sich Cameron und Ashley getrennt." "Echt?", frage ich ungläubig: "Wer hat sich von wem getrennt?" "Ich habe schon zu viel gesagt", erwidert er, nimmt sich fünf Dollar aus dem Portmonee und haut dann ab.

 

Weil ich gerne nach wie vor mehr Infos gehabt hätte, trete ich der Lunchlady missmutig gegenüber und kaufe ein Stück Pizza, welches sie mir einfach auf den Teller klatscht. Ich reiche ihr das Geld und sie gibt mir das Wechselgeld. Dann lasse ich mich auf irgendeinen Platz in der Mensa fallen. Hier habe ich keinen besonderen Platz, an dem ich immer sitze. Der leckere Geruch der Salamipizza steigt mir in die Nase und das Wasser läuft mir im Mund zusammen. Leider esse ich nicht oft Pizza, weshalb es mich immer total glücklich macht, wenn es wieder mal welche in der Schule gibt. Pizza ist für mich sowas wie Schokolade für andere Leute. Sie macht mich einfach glücklich. Genüsslich beiße ich in den fettigen Teig hinein und genieße den Geschmack.

 

Als ich mich jedoch weniger auf mein Essen und wieder mehr auf meine Umgebung konzentriere, fällt mir Cameron auf, der im Eingang des riesigen Raumes steht und unglücklich drein blickt, doch als sein Blick auf meinen trifft, verändert sich sein Gesichtsausdruck plötzlich. Ich hätte erwartet, dass er mich angewidert anblickt und dann weiter geht, aber stattdessen heben sich seine Mundwinkel und seine Augen scheinen regelrecht zu leuchten. Wie gebannt starrt er mich an, fast so als wäre ich ein leckerer Cookie, den er am liebsten vernaschen würde. Verwirrt blicke ich ihn an. Sehe ich beim Pizzaessen so komisch aus, dass man nicht wegsehen kann oder habe ich irgendwas an mir? Langsam blicke ich an mir herunter und schaue nach, ob ich komisch aussehe. Als ich jedoch nichts Merkwürdiges sehe, drehe ich mich um, da er möglicherweise auch an mir vorbeischaut und stattdessen Ashley so gruselig anstarrt, wie er es gerade tut. Irgendwann reicht es mir dann aber komplett und ich winke mit der rechten Hand vor meinem Gesicht herum, weil es so scheint, als würde er sich in einer Trance befinden, aus der man ihn erst wecken muss. Sofort schaut er weg und geht schnell an mir vorbei und stellt sich in die Schlange. Sein glückliches Lächeln bleibt aber auf seinen Lippen. Das war gerade echt merkwürdig!

 

So schnell es geht, esse ich weiter, um fertig zu sein, wenn Cameron sein Essen bekommen hat, damit es nicht nochmal so eine merkwürdige Begegnung gibt. Bevor ich jedoch halb fertig bin, lässt sich jemand neben mich auf den Stuhl fallen. Schon ahnend, wer es ist, drehe ich mich langsam zu der Person neben mir. Es ist - wie ich es erwartet hatte - mein Nachbar Cameron. Genervt verdrehe ich die Augen: "Was willst du, Cameron?" "Essen", erwidert er lächelnd: "Mit dir." Verwirrt nehme ich einen Schluck aus meiner Thermoskanne. Das ist das Einzige, was mir in dieser Situation helfen kann: "Wieso?" "Weil ich Hunger habe und mit dir reden möchte", erwidert er und beginnt entspannt seine Spaghetti mit Tomatensoße zu verspeisen: "Also, wie geht's dir?" Verwirrt blicke ich ihn an und verspüre das Gefühl mich zu kneifen. Schließlich könnte das hier auch ein Traum sein, aus dem ich jeden Moment aufwachen werde. Als ich das jedoch getan habe und nichts geschieht, antworte ich ihm kurz:"Gut!" Dann nehme ich jedoch meine Chance: "Ich habe gehört, dass Ashley sich von dir getrennt hat, stimmt das?" Zwar hat Ryder nicht gesagt, wer von beiden sich vom jeweils anderen getrennt hat, aber wenn es hilft, kann ich die Wahrheit auch ein wenig verdrehen. Sofort wirkt er total entrüstet: "Was? Nein, garantiert nicht. Ich habe mich von ihr getrennt." "Das würde ich jetzt auch sagen", stichele ich weiter. "Nein, wirklich", sagt er und versucht dabei überzeugend zu klingen: "Es hat einfach nicht mehr gepasst." "Jaja", grinse ich, verspüre aber innerlich eine tiefe Befriedigung, weil ich ihn heute endlich mal in Verlegenheit bringt und er nicht mich. Schnell versucht er sich aber raus zu reden: "Du warst nicht auf der Party, oder?" "Doch, war ich schon", erkläre ich. "Ich habe dich aber gar nicht gesehen", er wirkt misstrauisch. Ich beiße mir unsicher auf die Lippe: "Ich weiß. Ich ...bin nach einer Stunde wieder verschwunden." "Wieso?", er klingt total enttäuscht. "Ich bin einfach kein Partymensch", gebe ich zu und fühle mich fast so, als wären wir befreundet, doch dann erinnere ich mich wieder an das, was passiert ist: "Ich muss dann jetzt auch gehen." "Warte", er hält mich sanft am Handgelenk fest. Fest, aber nicht so fest, dass er mir weh tut: "Hast du Lust mit mir essen zu gehen?" Sofort erstarre ich und weiche seinem sanften, freundlichen Blick aus.

 

Hat er etwa vergessen, was er getan hat? Das kann ich ihm doch nicht einfach so verzeihen. Was man einmal erlebt hat, kann man nicht einfach so wieder vergessen. Ich will nicht mit ihm ausgehen, aber das kann ich ihm doch auch nicht einfach so sagen. Das hier ist gerade eine total miese Situation. Ich bin kein Mensch, der jemandem gerne einen Korb gibt.

 

Plötzlich vernehme ich jedoch die Stimme von Kyle und Morgan und hebe den Kopf. Erleichtert sehe ich zu wie sie bei mir ankommen und mich fragend ansehen. "Hey, wir haben dich schon gesucht", erwidert Morgan. Dann nehme ich wahr, wie Kyle seinen Arm um meine Schultern legt. Camerons Augen verengen sich und er lässt mich los. Hilfe suchend schaue ich Morgan an. Diese scheint genau zu verstehen, dass ich ihre Hilfe brauche: "Katy? Ich brauche unbedingt deine Hilfe. Komm schnell!" Dankbar atme ich auf und folge meiner Freundin ins Schulgebäude, nachdem ich meinem Nachbarn ein leises "Entschuldigung, aber ich muss jetzt los!" zurufe. Da hat, mich meine Freundin noch gerade so davor gerettet dem beliebtesten Jungen der Schule einen Korb geben zu müssen.

 

Kapitel 9

Entspannt laufe ich die Straße entlang. Zwar ist die Wärme ein wenig erdrückend, wodurch das Atmen mir ein wenig erschwert wird, doch sobald ich durch die Tür des Subway laufe, umfängt mich eine erleichternde Kälte. Die Last meines Rucksacks ist schwer, weshalb ich schnell auf eine Sitzbank fallen lasse und meinen Rucksack neben mir abstelle. Mein Blick wandert durch das laute Restaurant. Überall leuchten helle Tafeln auf und ich habe das Gefühl, dass mein Gehirn von allen Seiten bestrahlt wird, was mehr als anstrengend ist. Auch die Lärmkulisse ist nicht sonderlich erholsam. Mein Blick geht weiter zur Theke, wo Morgan steht und die Gäste bedient. Höflich winke ich meiner Freundin zu und sie winkt zurück, bedeutet mir dann aber, dass ich noch kurz warten muss, weil sie noch keine Pause machen kann. Dazu braucht sie nur eine Bewegung, die sie jedes Mal macht. Deshalb nehme ich mir aus meinem Rucksack meine Bücher und einen Zettel und beginne Hausaufgaben zu machen.

 

Als endlich Morgans Pause anfängt, quetscht sich meine Freundin neben mich auf die Bank und schaut auf meine Hausaufgaben: "Das lässt du mich doch später abschreiben, oder?" Spielerisch verdrehe ich die Augen: "Natürlich!" Schnell packe ich meine Sachen weg und schaue in die Speisekarte: "Kann ich bei dir auch noch was bestellen, wenn du gerade Pause machst? Als Freundschaftsbonus oder so?" "Wenn meine Pause zu Ende ist, bist du die Erste, die ich bediene", erwidert sie grinsend und nimmt mir die Karte aus der Hand: "Jetzt aber mal ein anderes Thema." "Welches denn?", frage ich ganz scheinheilig, obwohl ich ziemlich sicher weiß welches sie meint. "Dein Essen mit Cameron heute Mittag", erwidert sie zwinkernd. Mir entweicht ein leises, ungeplantes: "Oh Gott, nein bitte nicht." Verwundert blickt sie mich an und bricht dann in schallendes Gelächter aus, welches dafür sorgt, dass sich einige Leute an den benachbarten Tisch zu und umdrehen. Halb erstickend japst sie:"Was war das denn?" Schnell halte ich ihr den Mund zu, muss mir aber mein eigenes Lachen ebenfalls stark verkneifen:"Kurzschlussreaktion! Sorry!" Allmählich beruhigt sie sich wieder und ich nehme meine Hand von ihren Lippen: "Also, was war das da in der Mensa?" "Da bin ich mir selbst nicht sicher. Ich habe mich einfach nur hingesetzt und Pizza gegessen", meine Gedanken wandern zu der Pizza und ihr leckerer Geruch steigt mir wieder in die Nase. "Du liebst Pizza", sagt sie ganz beiläufig. Sie kennt mich einfach zu gut, denke ich nur. "Ja, das tue ich", pflichte ich ihr bei und erzähle dann weiter: "Auf jeden Fall ist mir dann irgendwann Cameron aufgefallen, der am Eingang der Cafeteria stand. Erst war er richtig schlecht drauf, aber als er mich gesehen hat, hat er merkwürdig zu grinsen begonnen. Das war richtig cringy." "Sag nicht 'cringy'", mahnt sie: "Allein das Wort ist schon Cringe pur." Erneut muss ich mich zusammenreißen, um durch plötzliches Gelächter nicht auch noch den letzten Menschen in diesem Restaurant auf uns aufmerksam zu machen. Schnell spreche ich weiter: "Dann ist er an mir vorbeigegangen und hat sich etwas zu essen gekauft. Ich hatte aber irgendwie schon so eine Vermutung, dass er heute irgendwas will, also habe ich mich beeilt, um fertig zu werden, damit er gar nicht erst die Chance bekommt, mir fiese Bemerkungen gegen den Kopf zu werfen." Bei dem Gedanken daran, was er schon alles zu mir gesagt hat, wird mein Magen schwer und ich verspüre das Bedürfnis mich bei der Erinnerung daran sofort unter meiner Bettdecke zu verstecken. "Wieso saßt du dann mit ihm noch am Tisch, als wir gekommen sind?" "Er war zu schnell und hat sich einfach neben mich gesetzt. Dann hat er mit Small Talk angefangen und mich kurz bevor ihr gekommen seid noch gefragt, ob...", ich verstumme schnell. "Was hat er dich gefragt?", fragt sie neugierig und misstrauisch zugleich. "Er wollte mit mir etwas essen gehen", murmele ich leise. Sie scheint es jedoch ganz klar verstanden zu haben: "Ein Date?" Sofort hat sie es erfasst: "Ja, ein Date." "Was hast du gesagt?" "Noch gar nichts. Glücklicherweise habt ihr mich gerettet, also musste ich nichts sagen!" "Und was hättest du gesagt, wenn wir nicht gekommen wären?", fragt sie neugierig weiter. "Ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich 'Nein', wenn man bedenkt, was er alles getan hat", erwidert sie nachdenklich, wendet sich aber nicht von mi ab. "Das heißt, du hättest ihm einen Korb gegeben", stellt sie, laut denkend, fest: "Aber was wäre gewesen, wenn das, was zwischen euch passt ist, nie geschehen wäre?" "Ich bin mir nicht sicher", gebe ich ehrlich zu, versuche dann aber lieber vom Thema abzulenken: "Aber jetzt mal ein anderes Thema. Was war das auf der Party mit deinem Kollegen?" Ich deute mit einem Finger auf einen Jungen hinter der Theke, der gerade Bestellungen aufnimmt. "Dan?", fragt sie überrascht: "Was soll da gewesen sein?" "Versuch meiner Frage nicht auszuweichen. Ich habe euch doch gesehen." Betreten blickt meine Freundin weg und weicht mir aus, doch, entgegen meiner Erwartungen, antwortet sie dann doch: "Ich mag ihn, Katy." Glücklich überrascht schaue ich sie grinsend an: "Das ist super. Wieso hast du es mir nicht sofort erzählt?" "Das ist ganz und gar nicht super. Alle denken, dass ich ihn hasse, aber so ist es nicht", erklärt sie grinsend. "Ach das wird schon. Ihr seid perfekt für einander", erwidere ich glücklich und schlinge meine Arme um sie.

 

Kapitel 10

Als ich am Nachmittag zurück nach Hause komme, laufe ich kurz in die Küche, um den anderen mitzuteilen, dass ich wieder da bin: "Mom. Dad. Ich bin wieder da." Keiner antwortet mir! Stirnrunzelnd werfe ich einen verwunderten Blick auf die Uhr neben dem Kühlschrank. Sofort fällt mir wieder ein, dass meine Eltern ja gar nicht da sind, weil sie noch arbeiten müssen. Prüfungsweise frage ich laut, ob jemand da ist, erhalte jedoch keine Antwort. Dann bin ich also allein. Gut zu wissen.

Nachdem ich fast den ganzen Tag mit Morgan verbracht habe, bin ich ziemlich kaputt und lasse mich auf mein Bett fallen, nachdem ich meinen Rucksack in eine Ecke geworfen und meine Jacke, sowie wie meine Schuhe, ausgezogen habe. Mein Handy hatte ich heute Morgen zu Hause vergessen, weshalb ich jetzt zum ersten Mal darauf blicke, um nachzusehen, ob ich neue Nachrichten bekommen habe. Als ich sehe, dass Kyle mich angeschrieben hat, macht mein Herz einen kurzen Satz. Schnell werfe ich einen Blick auf den Text und automatisch wandert eine meiner Augenbrauen in die Höhe. In der Nachricht fragt er mich, ob ich Lust habe mit ihm auf den Schulball zu gehen.

 

Der Schulball! Ein lautes, genervtes Seufzen entflieht meiner Kehle. Daran hatte ich ja gar nicht mehr gedacht. Schon am Samstag, also in fünf Tagen, wird der all jährige Homecoming Ball stattfinden, der jedes Mal dafür sorgt, dass ich einen mehr als miesen Tag habe. Jedes Jahr habe ich entweder kein Date oder eines mit einem Kerl, der mich gar nicht wirklich mag. Zum Glück wird dieses Homecoming mein Letztes sein, wenn man bedenkt, dass ich am Ende dieses Schuljahres hoffentlich mein Abitur in der Tasche habe.

 

Ein Bild des letzten Balles bildet sich in meinem Kopf. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es dieses Mal wahrscheinlich wieder so laufen, wenn ich nicht mit Kyle hingehe. Ich sehe Mädchen in glamourösen, funkelnden Kleider und aufgebauschtem Haar. Jedes von ihnen trägt hohe Schuhe, die ich mit Sicherheit schon nach wenigen Sekunden wieder ausziehen würde, weil sie mir einfach zu hoch und schmerzhaft sind. Mich selbst sehe ich an der Snackbar mit einem roten Becher, der mit Bohle gefüllt ist, in der Hand und nehme hin und wieder einen Schluck.

 

Wenn ich jedoch mit Kyle hingehen würde, wäre ich selbst endlich mal in einer anderen Situation. Dann würde ich anstatt zu Hause zu sitzen und Eis zu essen, etwas Spaß mit meinen Freunden haben können und einfach einen schönen Ball haben, ohne mir irgendwelche Gedanken darüber machen zu müssen, was die anderen denken. Es wäre einfach eine schöne Zeit. Bei dem Gedanken breitet sie eine Welle von Glück sich in mir aus, die nicht abflauen zu scheint.

 

Ohne lange zu überlegen, antworte ich meinem besten Freund mit flinken Fingern und stimme seiner Einladung zu. Wir werden einfach gemeinsam als Freunde hingehen! Ganz ungezwungen! So muss ich mir keine Gedanken darüber machen, ob mich ein Junge nun fragt oder nicht und ich muss mir auch nicht die ganzen Lästereien und Gerüchte nicht antun. Für einen kurzen Moment versinke ich in meinen Fantasien davon, was wohl geschehen wird.

 

Von einem lauten Scheppern werde ich aber wieder in die Realität zurückgeholt. Erschrocken blicke ich auf die Uhr und genau in diesem Moment fällt mir auf, dass es wohl Ryder sein muss, der gerade von seiner Sauftour früher zurückgekommen ist. Schnell und mit einem stark klopfenden Herzen hechte ich, in der Hoffnung, dass meinem Bruder nichts geschehen ist, aus meinem Zimmer und die Treppenstufen hinab.

 

Am Treppenabsatz angekommen, erstarre ich sofort. Mein Bruder liegt auf dem Boden. Ein wenig Speichel läuft aus seinem Mund und er hält seine Augen fest geschlossen. Sofort sehe ich, dass er ohnmächtig ist, weshalb ich auf ihn zu stürze und meine Finger an seine Halsschlagader presse. Ein Schauer überkommt mich, also ich merke, dass sein Puls viel zu schnell ist. Was ist mit ihm nur geschehen? Meine Finger wandern weiter zu seinen Schultern und ich beginne in, erst sanft und dann etwas kräftiger, zu schütteln. Doch leider wirkt auch das nicht, weshalb ich zu härteren Methoden greifen muss. Ich hole schnell aus und verpasse ihm, dann feste eine Ohrfeige ins Gesicht. Sobald meine Hand sich von seiner Wange wieder gelöst hat, erwacht er laut atmend wieder auf und erhebt sich mit seinen starken, vom Football gut trainierten, Armen vom Boden. Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Das funktioniert eben immer. Sein Blick wirkt jedoch nach wie vor vernebelt und es wirkt, als würde er mich gar nicht richtig ansehen, als ich frage: "Hast du wieder zu viel getrunken?" "Kann sein", erwidert er mit einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen, welches dazu führt, dass ich ihm am liebsten noch eine Ohrfeige verpasst hätte. Als sein Ton jedoch weich wird und er mich freundlich ansieht, werde ich jedoch wieder weich: "Katy? Ich fühl mich nicht so gut." Wieso hat er diesen Welpenblick nur so gut drauf? Vorsichtig lege ich meine Hände an sein Gesicht: "Was ist passiert?" "Ich habe ein bisschen was getrunken", lallt er. Wenn ich ihn so ansehe, ist das die Untertreibung des Jahrhunderts. Als ich ihm jedoch gerade hoch helfen will, wirkt es, als wäre er für einen kurzen Moment klar. Es wirkt so, als würde ihn der Alkohol kurz aus seinen Fängen befreien und dann fügt er etwas hinzu: "Und dann war da noch etwas. Etwas großes schwarzes. Es hat mich angegriffen." Erschrocken halte ich den Atem an und blicke ihn verwirrt an. "Was hat dich angegriffen?", harke ich nach, doch er scheint wieder in seinen früheren Rausch zurückgefallen zu sein, was ihn dazu verleitet erneut nur sinnloses Zeug von sich zu geben. Nach wie vor wissbegierig, lege ich seinen Arm um meine Schultern und umfasse seine Taille mit meiner rechten Hand, um ihn zu stützen. Vorsichtig helfe ich meinem Bruder auf diesem Weg die Treppe hinauf, bis wir oben kommen. Dort bleibe ich stehen und schnappe für einen kurzen Moment nach Luft. Er hat echt zugelegt. Dann führe ich ihn weiter in unser Zimmer, wo ich ihn erleichtert aufs Bett fallen lasse. Dafür schuldet Ryder mir eine Rückenmassage.

 

Mit flinken Fingern decke ich Ryder zu und lass mich dann auf mein eigenes Bett fallen. Verkrampft versuche ich mich zu entspannen, schlage jedoch fehl, denn da ist ein Gedanke, der mich nicht loslässt. Wurde Ryder wirklich von etwas angegriffen oder hat der Alkohol einfach nur seine Vorstellungskraft angeheizt? Und wenn mehr als die Getränke, die er innerhalb von wenigen Stunden in sich hinein gekippt hat, dahinter stecken und er wirklich angegriffen wurde, sind meine Familie und vielleicht auch die ganze Kleinstadt in Gefahr. Bei dem Gedanken beschleunigt sich mein Atem und es wirkt fast so, als würde mir das Herz aus der Brust herausspringen.

Kapitel 11

Als die Haustür ins Schloss fällt und meine Mom mich kurz darauf nach unten ruft, schiebe ich meine schwarzen Kopfhörer von den Ohren. Glücklicherweise habe ich so gute Ohren, dass ich meine Eltern auch hören kann, wenn ich dabei Musik höre. Andernfalls hätte ich jetzt ein ziemliches Problem, das sie sicher nach oben kommen und nach mir sehen würden. Dann würden sie sehen, dass Ryder schläft und sie würden sofort eins und zwei zusammenzählen, was für ihn zu Hausarrest führen würde, da meine Eltern etwas dagegen haben, dass er so lange trinkt, bis er nicht mehr alleine in sein Zimmer gehen kann. Die Regel ist, dass er wenigstens alleine hoch in sein eigenes Zimmer gehen können muss, was schon eine ziemlich entspannte Regel ist. Schnell lege ich mein Handy neben mich und stehe auf, damit meine Eltern nicht hoch kommen. Mit einem letzten Blick auf meinen ruhig schlafenden Bruder, verlasse ich das Zimmer und läuft langsam die Treppe hinunter.

 

In der Küche steht meine Mutter, die aus einer Tüte mehrere kleine Packungen herausholt und auf den Tisch stellt. Alyssa, die am Esstisch sitzt, hält ihren weißen Stoffhasen mit den bunten Punkten in der Hand, den sie schon hat, seit sie ein Baby ist. Als sie ihren Hasen, Schnuffel - meiner Meinung nach ziemlich unkreativ -, einmal nicht rechtzeitig zum Schlafen gefunden hat, hat sie uns alle so lange wach gehalten, bis unsere Eltern Schnuffel endlich in einem Wäschekorb gefunden haben. Damals war sie zwar vier, aber ihren Hasen liebt sie immer noch.

 

Mein Dad sitzt neben meiner Schwester und liest Zeitung. Das tut er eigentlich nur am Sonntag, weshalb wohl irgendwas besonderes sein muss. Sonntags liest er nämlich auch nur, um sich vor den endlos langen Gesprächen am Frühstückstisch zu drücken, was ich nur zu gut verstehen kann.

 

"Ihr wart wohl beim Chinesen", stelle ich fest: "Was habt ihr mir mitgebracht?" "Gebratenen Nudel", erwidert meine Mom und schiebt mir einen, noch geschlossene, Verpackung herüber. Ich nehme sie grinsend entgegen und schnappe mir eine weiße Plastikgabel vom Tisch. Dann lasse ich mich entspannt auf einen Stuhl fallen und blicke zu meiner Mom, die sich nun auch gesetzt hat und zu essen beginnt. "Wie war es auf der Arbeit?", frage ich, um die Stille zu brechen und eine Unterhaltung zu beginnen. "Gut", antwortet mein Vater abwesend, woraufhin meine Mutter nur nickt. Dann lenkt sie jedoch plötzlich das Thema ganz konkret auf etwas anderes, was bei mir für ziemliches Misstrauen sorgt: "Wie war es eigentlich auf der Party von Cameron?" "Nicht so der Hammer. Ich bin nach einer Stunde wieder verschwunden, weil mir einfach irgendwann langweilig wurde", meine Eltern waren früher sehr gut mit der Familie Ross befreundet, doch mit der Zeit ist der Kontakt verloren. Trotzdem weiß ich aber, dass meine Eltern gerne mehr Zeit mit den Eltern von Cameron verbringen würden. Das betonen sie oft genug. "Wie kann sowas langweilig sein?", fragt Alyssa überrascht und blickt mich mit großen Augen an: "Eine Party ist doch sicher das Größte. Ich freue mich schon auf meine Erste." Ihre Stimme klingt fast ein wenig verträumt und ich weiß, dass sie mich am liebsten begleitet hätte. Ihre Begeisterung ist wahrscheinlich der Ursprung von Ryders spektakulären Erzählungen, bei denen er jedes Mal die Wahrheit und seine eigene Fantasie kräftig vermischt. "Da waren einfach zu viele Leute und die Treppe war voller Kotze", erkläre ich Alyssa grinsend, um sie auf den Boden der Realität zurückzuholen. Daraufhin verzieht meine Schwester ihr Gesicht und widmet sich wieder ihrem Reis. "War Claire auch da?", säuselt meine Mom. "Ja, sie hat aber die meiste Zeit mit Ryder verbracht", teilnahmslos zucke ich mit den Schultern. Wieso sind sie heute so neugierig? Als meine Mutter meinem Vater einen auffordernden Blick zuwirft, versteckt er sich noch tiefer hinter der Zeitung und fragt leise: "Und wie ist Claire zu dir so?" Nun werde ich doch wieder aufmerksam. Ihr heutiges Verhalten ist echt merkwürdig, wenn man bedenkt, dass die beidem Claire viel länger kennen, als ich und auch mehr Zeit mit ihr verbringen. Zwar reden Claire und ich hin und wieder miteinander, doch wirklich befreundet waren wir nie. "Nett", antworte ich knapp und schiebe meine Gabel erneut in den Mund:"Sie ist das freundliche Rosskind." Geschockt starrt meine Mutter mich an: "Katy! Sag sowas nicht. Beide Kinder sind gleich nett." Ich verdrehe die Augen:"Mom, du weißt, was Cameron mir angetan hat. Ich kenne deine Definition von 'nett' nicht, aber das was Cameron gemacht hat, war definitiv etwas nicht 'nett'." Meine Stimme bebt und ich versuche mich zu beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.

 

Daraufhin ist meine Mutter sofort still, doch dann berichtet sie mir etwas mehr als schreckliches: "Claire?" "Ja?", frage ich leise. Ich registriere, dass meine Mutter schon wieder Hilfe suchend zu meinem Vater schaut, doch dieser schüttelt nur kurzen den Kopf und schaut dann wieder auf das Papier in seinen Händen zurück. "Dein Dad und ich haben...", beginnt sie, doch mein Vater unterbricht sie nun doch schnell: "Nein, eure Mom hat." Daraufhin verdreht meine Mutter ihre Augen und schaut woanders hin:"Ja gut, ich habe ...die ganze Familie Ross am Freitag zu uns eingeladen, damit wir einen gemeinsamen Spieleabend verbringen können."

 

Geschockt blicke ich sie an. Mein Herz schlägt schnell und meine Kehle fühlt sich wie ausgetrocknet an. Wie können meine Eltern mir das nur antun? Innerlich blute ich bei dem Gedanken an das, was der Nachbarsjunge mir zugefügt hat. Hätte ich gewusst, was später aus unsere Freundschaft wird, hätte ich niemals mit ihm ein einziges Wort gewechselt. Mein Blick trieft vor Vorwürfen, als sich meine Augen mit Tränen füllen, die wenige Sekunden später ungebremst meine Wangen hinunterlaufen. Eigentlich bin ich kein Mensch, der schnell aus der Fassung gerät oder sogar losweint, aber das ist einfach mein wunder Punkt und das sollen meine Eltern besser als jeder andere wissen. Schließlich haben sie fast alles miterlebt. Wie kommen sie also auf die Idee diese Familie einfach einzuladen.

 

Als meine Trauer sich endlich in erlösende Wut verwandelt, springe ich vom Stuhl auf und pfeffere die, mittlerweile leere, Nudelverpackung in den Mülleimer, der nur wenige Zentimeter von mir entfernt steht. Es fühlt sich an, als würde mein ganzer Kopf brennen. Mit festen Schritten und einem gereckten Kinn stampfe ich die Treppe hinauf. Es wirkt, als würden tausende von Feuerameisen über meine Haut laufen und diese in Brand setzen, während meine Gliedmaßen unsicher zittern. Mit einem festen Schwang schlage ich die Tür hinter mir zu, als ich in mein Zimmer verschwinde. In meinem Kopf hat sich ein Gedanke wie Feuer in den Boden eingebrannt. Ich werde nicht zulassen, dass Cameron so viel Macht über mich bekommt. Er soll nicht die Chance bekommen mich durch seine Worte zu Boden zu bringen.

 

Kapitel 12

Als ich am Morgen aufwache, ist ein lautes Würgen zu hören. Überrascht stehe ich auf und bemerkte, dass mein Bruder nicht in seinem Bett liegt. Meine Decke schlinge ich um meine Schultern und starre auf meinen Wecker. Es ist gerade einmal sechs Uhr morgens. In den warmen Stoff eingewickelt, husche ich in meine weichen, grauen Hundehausschuhe und blicke in den Flur hinein. Leicht fröstelnd folge ich dem Geräusch, welches mich direkt ins Badezimmer führt.

 

Die hell brennende Lampe schickt sein Licht durch den ganzen Raum und ermöglicht mir den Blick auf meinen Bruder, der über der Toilettenschüssel hängt und sich erbricht. Der stechende Geruch steigt mir in die Nase und fast muss ich selbst mich ebenfalls übergeben.

 

Besorgt blicke ich auf meinen Bruder hinunter, der schrecklich aussieht. Sein Gesicht ist kreidebleich und seine Wangenknochen treten stark hervor, während sein schwarzes Haar ihm in die Augen fällt. Er klammert sich so feste an die Toilettenschüssel, dass seine Fingerknöchel bereits weiß hervortreten. Mein Bruder zittert stark und es wirkt, als würde erfrieren, doch gleichzeitig läuft ihm auch der Schweiß von der Stirn. Der Anblick erschüttert mich und sofort reagiere ich, in dem ich die Decke von meinen eigenen Schultern befreie und über die meines Bruders lege. Überrascht wendet er seinen Kopf mir zu und versucht mich dankbar anzusehen, wirkt dabei aber eher müde und gebrochen. Schnell knie ich mich neben ihm und streichle ihm sanft über den Rücken. Wie lange sitzt er hier im Badezimmer schon auf dem kalten Boden und bricht seinen Mageninhalt aus? "Du sollst doch nicht so viel trinken, Ry", ich klinge besorgter als erwartet, was ihn dazu verleitet seinen Kopf zu senken. "Ich weiß", murmelt er, schaffe es aber die Toilette loszulassen und seine Finger stattdessen um meine Arme zu schließen. "Schon gut", sanft ziehe ich ihn näher an mich, um ihm ein wenig Schutz zu geben, den er in diesen Situationen so dringend braucht: "Hast du wieder Migräne?" Er nickt niedergeschlagen. "Komm ich bringe dich ins Bett zurück", biete ich an und helfe ihm auf die Füße, als er nicht protestiert. Mit ihm an meiner Seite laufe ich langsam zurück in unser gemeinsames Zimmer.

 

Mein Bruder hat schon, seit er ein kleines Kind ist, mit starker Migräne zu kämpfen. Nachdem er sich jedoch im letzten Jahr hat brutal einrenken lassen, ging es ihm eigentlich besser. Wenn er jedoch trinkt, wird alles wieder auf null gesetzt und nichts steht der Migräne tatsächlich im weg, da er nicht mehr bei klarem Bewusstsein ist und sich nicht mehr darauf konzentrieren kann, was er so viele Jahre trainiert hat. Wenn er sich nämlich stark genug konzentriert, kann er der Migräne entgehen, doch mit Alkohol intus, ist das ziemlich schwierig.

 

Als ich ihn sanft aufs Bett fallen lassen, wird mir klar, dass ich heute alleine in die Schule gehen muss, weil Ryder auf keinem Fall in der Verfassung ist. Sein Blick wirkt trüb, als ich ihm meine Decke abnehme und mit seiner eigenen Decke zudecke. Sein Anblick ist kläglich. Glücklicherweise weiß ich, was nun zu tun ist, wenn ich bedenke, wie oft ich ihm bei Migräne schon seine Sachen geben musste.

 

Da ich weiß wie schlecht es ihm gerade geht, husche ich so schnell und so leise es geht die Treppe hinunter, um einen Eimer aus der Abstellkammer zu holen, damit er sich darein übergeben kann und nicht wieder ins Bad laufen muss. Als ich die Tür zur Kammer öffne, versuche ich, ohne das Licht anzumachen, nach dem Eimer zu tasten, doch das ist mein mehr als großer Fehler. Nach wenigen kleinen Schritten stoße ich mir den großen Zeh an einem kleinen Holzregal und stoße einen leisen Schmerzensschrei aus. Schnell schnappe ich mir den Eimer und verlasse die Kammer sofort wieder. Damit meine Eltern nicht wach werden, wenn ich hier noch weiter im Dunklen herum tappe.

 

Mit speziellen Tropfen und dem Eimer in den Händen renne ich wieder die Treppe hinauf, bis ich in meinem Zimmer ankomme. Heute entgeht mir echt zu viel Schlaf. Den Eimer stelle ich neben das Bett meines Bruders und reiche ihm dann die Tropfen, falls er sie schon nehmen will. Müde blinzelnd, streckt er seine Hand nach mir aus und flüstert schmerz verzehrt: "Kannst du das Licht ausmachen?" "Natürlich, du Vampir", erwidere ich, weiß aber wie ernst es ihm damit ist, da das Licht, laut seiner Aussage, dazu beträgt, dass seine Kopfschmerzen noch schlimmer werden. Nachdem ich mir schnell meine Kleidung aus dem Schrank geholt habe, betätige ich den Lichtschalter also und husche mit meinem Handy in der Hand aus dem Zimmer, um meinem Mitbewohner ein wenig Ruhe zu gönnen. Dann husche ich weiter ins Badezimmer, um mich dort zuzuziehen. Mittlerweile ist schon eine dreiviertel Stunde vergangen und langsam wird es Zeit, dass ich mich fertig mache, sonst komme ich noch zu spät.

 

Ein Blick auf die digitale Zeitanzeige auf meinem Handy, zeigt mir, dass es bereits viertel nach sieben ist, als ich mein Frühstück beende. Heute habe ich endlich mal eine Chance darauf nicht zu spät zu kommen. Auch meine restliche Familie ist nun wach, was mir erst auffällt, als Mom mit einem verwunderten Blick die Treppe hinunter geschlurft kommt: "Schläft Ryder etwa noch?" "Ja, ich habe ihm heute Morgen etwa gegen sechs Uhr brechend im Bad gefunden. Scheinbar hat er mal wieder Migräne!", das Detail mit dem Alkohol habe ich aus meiner Erklärung lieber erst mal herausgelassen. "Echt? Hat er seine Tropfen?" "Ja, ich habe sie ihm gebracht", sie legt ihre Hände auf meine Schultern: "Tut mir leid, dass wir...äh, dass ich dich gestern so überrumpelt habe." Scheinbar hat sie mit meinem Dad darüber geredet, dass das alles ihre Schuld ist und dass er damit nichts zu tun hat, was sie scheinbar akzeptiert zu haben scheint. "Schon gut", erwidere ich und nehme noch einen Bissen von meinem grünen Apfel. "Kannst du bitte versuchen wenigstens zu Claire und ihren Eltern nett zu sein, wenn sie hier sind?" Nett ist die kleine Schwester von Scheiße, denke ich mir, nicke aber trotzdem.

 

Als ich endlich aufgegessen habe - es ist etwa halb acht - klingelt es an der Tür. Überrascht stehe ich von meinem Stuhl auf und schlurfe zum Eingang. Wer kann das nur sein? Morgan läuft dienstags nie mit mir, weil ihre Kurse heute später anfangen und andere Freunde habe ich eigentlich nicht. Verwundert reiße ich die Tür auf, schlage sie aber sofort wieder zu, als ich sehe, wer auf der anderen Seite wartet. Dort, vor meiner Haustür, steht Cameron Ross. Zwar konnte ich nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen, doch das reicht mir, da ich ein sehr gutes, fast fotografisches, Gedächtnis habe. Mein Nachbar trägt seinen blau-schwarzen Rucksack, den er schon seit der Middle School hat, auf dem Rücken und trägt darunter die weiß-blaue Jacke, die jeder Junge bekommt, der in einem Schulteam ist. Da wir nicht viele Teams haben - wir sind eine ziemliche Loserschule -, haben nur die Mitglieder des Football- und des Schachteams solche Jacke. Wenn man dann auch noch bedenkt, dass die Mitglieder des Schachteams zu stolz sind, um die gleichen Jacken zu tragen wie die Footballspieler - das Football und das Schachteam verachten einander - sind diese Jacken zu so etwas wie das Markenzeichen aller Footballer.

 

"Du solltest losgehen, Schatz. Sonst kommst du noch zu spät", ruft meine Mutter aus der Küche. Ich verdrehe die Augen. Wieso muss sie immer die Fragen stellen, die gerade am unpassendsten sind? Von meiner Mutter gedrängt, greife ich nach meinem bereits gepackten Rucksack und streife mir dann meine Jacke, sowie meine Schuhe, über. Dann wandert meine Hand zum Türgriff und ich atme noch einmal tief durch. Der Gedanke daran, was ich mir vorgenommen habe, tritt in mein Gehirn zurück. Langsam lasse ich meine Schultern zurückfallen, um ein wenig selbstsicherer und entspannter zu wirken. Ehrlich gesagt tue ich das aber, um mich selbst anstelle von jemand anderem zu beruhigen. Kurz nehme ich noch einen kurzen Atemzug und nehme dann all meinen Mut zusammen. Angespannt öffne ich die Tür vor mir und schaue in Camerons verwirrtes Gesicht. "Hey", grüßt er sofort. "Hey", erwidere, um nicht unhöflich zu sein. Trotzdem laufe ich schnell an ihm vorbei und verlasse unser Grundstück. "Warte doch auf mich", ruft mein Nachbar mir hinter und wenige Sekunden später sind seine Schritte auf dem Beton der Einfahrt zu hören: "Ich will mit dir zur Schule gehen." Was will er? Nein, das kann er vergessen. Auf keinen Fall halte ich den ganzen Schulweg aus, ohne ihm mindestens eine Beleidigung an den Kopf zu werfen oder schreiend wegzulaufen.

 

Kapitel 13

"Warte auf mich", ruft Cameron mir hinterher und wenig später läuft er im Gleichschritt neben mir her. Leise knirsche ich mit den Zähnen und versuche mich zu beherrschen. "Wieso läufst du mir hinterher?" "Hab ich doch schon gesagt. Ich will mit dir zusammen zur Schule gehen", erklärt er fröhlich. Seine Freude überrascht und verwirrt mich. Ist er vielleicht immer noch betrunken oder steht unter Drogeneinfluss? "Und wieso?", frage ich beharrlich weiter. "Weil wir Nachbarn sind und weil ich gerne Zeit mit dir verbringen", er blickt zu Boden. Verwundert runzle ich die Stirn: "Seit wann das denn?" Auf diese Frage scheint er keine Antwort zu wissen, weshalb er schweigt. War ja klar! Wahrscheinlich will er nicht zugeben, dass er sich augenscheinlich erst seit gestern für mich zu interessieren scheint und mich davor wie Dreck behandelt hat.

 

Lange laufen wir nur still nebeneinander her und ich versuche mein ganzes Unbehagen zu überspielen."Haben deine Eltern dir schon erzählt, dass sie uns am Freitag zu euch eingeladen haben?", fragt er dann leise, versucht dabei aber selbstsicher zu klingen. "Ja", ich weiche seinem eindringlichen Blick aus, den er ununterbrochen auf mich gerichtet hält. "Du wirkst nicht sehr begeistert", er klingt niedergeschlagen. Ich bleibe jedoch trotzdem knall hart: "Bin ich auch nicht". Mein Mitleid hat er nicht verdient. Trotzdem baut sich aber ein mieses Gefühl in mir auf. Hoffentlich schaffe ich es zur Schule, bevor ich einknicke. "Katy? Du hast meine Frage gestern in der Mittagspause gar nicht beantwortet", murmelt er niedergeschlagen. Nun treffen sich unsere Blicke doch wieder, als ich zu ihm herüberblicke: "Äh, ja stimmt. Das habe ich nicht getan. Was war die Frage nochmal?" Zwar erinnere ich mich genau an seine Worte, doch ich will hören, dass er seine Meinung nicht geändert hat. "Ich habe gefragt, ob du mit mir essen gehen willst. Am Donnerstag!", erklärt er, obwohl die Information über das Datum neu ist: "Also, willst du?" Mit einem schlechten Gefühl in der Brust schüttle ich langsam den Kopf und versuche es möglichst schonend zu sagen: "Ich ...äh ...muss mich am Donnerstag auf den Ball vorbereiten." Bei der Erwähnung des Tanzes wandelt sich sein Gesichtsausdruck plötzlich sofort. Hat er etwa vergessen, dass er Ball am Samstag stattfindet? Geschockt blicke ich ihn an: "Du hast es vergessen?" "Ja", erwidert er sofort: "Mit wem gehst du hin?" "Das geht dich nichts an", erwidere ich lauter als gewollt. "Ah okay, du hast gar kein Date oder du gehst mit deiner besten Freundin zusammen hin, Kat", stichelt er grinsend. Entweder macht er das, um mich zu ärgern oder er glaubt das wirklich, aber der Spitzname "Kat" macht es eindeutig. In unseren Kindertag hat er mich immer so genannt und später hat er ihn genutzt, um mich wütend zu machen. So sehr ich auch versuche nicht wütend zu werden und ihm zu sagen, dass ich mit Kyle hingehe, da mir klar ist, dass er mich dafür auslachen wird, so sehr ärgert es mich auch ihm nichts entgegnen zu können. So gut es geht, versuche ich mich zu beruhigen, doch mein Herz schlägt wütend gegen meine Brust und meine Hände ballen sich zu Fäusten zusammen. Es scheint, als würden sowohl er als auch ich in alte Muster zurückfallen. Mein Atem geht flacher und ich beschleunige meinen Schritt: "Du wirst am Samstag ja sehen, für wen ich dich abserviert habe."

 

Mit diesen Worten laufe ich vor ihm weg und versuche mein kleines, naives Herz zu beruhigen. Wenigstens für eine Sekunde hatte ich ihm geglaubt, dass er sich geändert hat und schon wieder wurde ich enttäuscht. Das wird nicht noch einmal geschehen. Wäre unsere Vergangenheit nicht gewesen, hatte ich ihm vielleicht nicht mal einen Korb gegeben, aber seine Reaktion auf meine Absage hat sein altes selbst wieder hervorgetan, mit dem ich nichts zu tun haben möchte.

 

Kapitel 14

Als es zur dritten Stunde klingelt, sitze ich bereits auf meinem Platz in Raum 203, in dem der Matheunterricht stattfindet. Vorher hatte ich zwei Stunden Geschichte und bin mittlerweile ziemlich gelangweilt. Unsere Geschichtslehrerin ist so langweilig, dass ich jedes Mal fast einschlafe. Glücklicherweise bin ich nicht die Einzige, die der Meinung ist. Es gibt sogar Schüler, die in ihrem Unterricht wirklich einschlafen und deshalb den ganzen Unterrichtsstoff verpassen. Unser Mathelehrer gestaltet die Stunden bei ihm viel interessanter und seit ich diesen Lehrer habe, ist Mathe für viele fast sowas wie ein Lieblingsfach. Ich selbst würde Mathe nicht sofort als mein Lieblingsfach bezeichnen, aber gerne mache ich es schon.

 

Der Klassenraum ist abgesehen von mir und dem Lehrer komplett leer. So mache ich es immer. Ich hasse es zu spät kommen und bin deshalb immer überpünktlich. Daran haben sich auch die Lehrer mittlerweile gewöhnt und lassen mich schon direkt nach dem Klingeln rein, obwohl ich die Einzige bin. Heute habe ich mich aber nach hinten gesetzt, um nicht aufzufallen.

 

Mittlerweile habe ich mich wieder beruhigt und es geschafft meine Gedanken weg von meinem Nachbarn zu lenken, doch als auch er in die Klasse kommt, spüre ich seine Anwesenheit, ohne ihn überhaupt ansehen zu müssen. Es wirkt ein wenig so, als würde von ihm eine strahlende Wärme ausgehen und auf meiner Haut wie Feuer brennen. Ich spüre genau, wie er langsam durch den Klassenraum läuft und sich dann langsam neben mich auf den einzigen Stuhl fallen lässt.

 

Vorsichtig blicke zu ihm, durch meine braunen Haare hindurch, herüber. Er hat nur einen Collegeblock und sein Etui dabei. Schon früher ist mir aufgefallen, dass er immer nur diese beiden Sachen mit hat, während ich selbst immer mehrere Bücher mitschleppen muss. Wie kann er damit durchkommen? "Hey", grüßt er mich freundlich. Diesen Ton kann er sich gerne auch sparen. "Hey", erwidere ich. Nachdem ich geantwortet habe, bereite ich mich auf eine seiner Sticheleien vor, doch das geschieht nicht. Stattdessen überrascht er mich: "Tut mir leid, dass ich vorhin so gemein zu dir war. Ich bin in ein altes Muster zurückgefallen." Mir fällt die Kinnlade hinunter und ich kann nicht anders, als zu fragen: "Alles gut bei dir? Hast du irgendwas genommen?" "Nein, ich bin bei klarem Verstand", meine Frage scheint ihn beleidigt zu haben: "Nimmst du meine Entschuldigung denn an?"

 

Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich sollte ich so nicht fühlen, aber seine Entschuldigung berührt mich. Es wirkt, als hätte er seine schlechten Angewohnheiten abgelegt und wäre nun eine neue Person. Seit seinem achtzehnten Geburtstag scheint es, als hätte er einen Neuanfang begonnen und würde nun versuchen unsere alte Freundschaft wieder zu beleben. Sollte ich ihm vielleicht eine Chance geben? Schließlich verdient jeder eine zweite Chance!

 

Aus dem Augenwinkel bemerke ich wie sich einige von Camerons Freunden und Footballkollegen zu uns umdrehen und mit den Augenbrauen zu wackeln oder zu pfeifen beginnen.

 

So gut es geht, versuche ich sie jedoch zu ignorieren und einfach auszublenden, da ich gerade eine wichtige Entscheidung treffen muss. Cameron scheint seine Freunde, aber nicht ignorieren zu können und wirft jedem von ihnen deshalb böse Blicke zu, woraufhin sie sich sofort wieder nach vorne drehen.

 

Fast habe ich die Entscheidung getroffen ihm zu vertrauen und zu verzeihen, aber als ich ihm in die Augen sehe, fällt mir wieder alles ein, was er die Jahre über getan hat. Ich erinnere mich an all die Stunden, die ich weinend in meinem Bett verbracht habe und in denen ich keine Person sehen wollte. Will ich das wirklich nochmal?

 

Ich will gerade antworten, da beginnt der Lehrer zu sprechen: "Bitte schlagt das Buch auf Seite einhundert zwei auf und löst die Aufgaben fünfzehn bis dreiundzwanzig mit eurem Sitznachbarn." Dann wendet der Erwachsene sich wieder dem Buch zu und beginnt die Aufgaben selbst zu lösen.

 

"Sieht so aus als wären wir Partner", erwidert er und fragt: "Können wir uns dein Buch teilen?" Still reiche ich ihm mein Buch und schaue weg. Hoffentlich schaffe ich es meine Antwort noch länger heraus zu zögern. "Wie lautet deine Antwort jetzt? Verzeihst du mir oder nicht?", fragt er vorsichtig und hebt seinen Blick dabei konsequent nicht vom Buch. Da ich selbst noch keine Entscheidung getroffen habe, antworte ich: "Ich weiß es nicht. Gib mir etwas Bedenkzeit?" Sein Gesichtsausdruck zeigt mir, dass es nicht die Antwort ist, die er sich gewünscht hatte, aber trotzdem akzeptiert er, was ich einfordere: "Du bekommst natürlich so viel Zeit, wie du willst."

 

Als wir mit den Aufgaben fast fertig sind, stellt er mir eine weitere Frage: "Sagst du mir nun mit wem du zum Ball gehst. Wenn nicht, ist das aber nicht schlimm. Schließlich geht mich das nichts an." "Stimmt es geht dich nichts an", mein Ton ist knall hart. Er schaut mich verletzt an, scheint aber zu akzeptieren, was ich gesagt habe, bis ich noch etwas hinzufüge: "Aber trotzdem werde ich es dir sagen." Sofort hellt sich seine Miene auf und bei dem Anblick, breche ich fast in Gelächter aus. Es wirkt, als hätte er gerade die beste Nachricht auf den ganzen Planeten erhalten. "Ich gehe mit Kyle Davenport hin!" "Wer ist das denn?", fragt er verwundert.

 

Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass ich Kyle erst kennen gelernt habe, als ich auf die Middle School gekommen bin. Zu dem Zeitpunkt waren Cameron und ich nicht mehr befreundet, also kann es sein, dass er und Kyle noch nie ein Wort gewechselt haben. Gesehen haben sie einander wahrscheinlich schon, aber mit Sicherheit wusste Cameron nicht, dass er gerade mit Kyle reden. Früher hat ihm ja schon der kleinste Kontakt mit meinen Freunden oder mir gereicht.

 

"Mein bester Freund", murmele ich, an der Rückseite meines Stiftes kauend. "Echt?", fragt er verwundert: "Wer geht mit seinem besten Freund auf einen Ball?" "Es war seine Idee", rechtfertige ich: "Und mit Kyle hinzugehen ist meilenweit besser als am Samstag allein zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und Eis in mich hinein zu stopfen." "Wärst du nicht lieber mit mir auf den Ball gegangen? Das wäre doch sicher viel besser für uns beide", bietet er an. Verwundert blicke ich ihn an und schüttele hysterisch den Kopf: "Vergiss es! Ich möchte nicht mit dir, sondern mit Kyle hingehen." Schnell öffne ich mein Heft und blicke auf die Aufgaben im Buch: "Und mit dir in einem Team arbeiten möchte ich auch nicht länger. Du machst einfach die ersten und ich die letzten vier Aufgaben."

 

Wieso muss er immer wieder alles zerstören? Wir hätten einfach still hier sitzen und gemeinsam die Aufgaben machen können, aber er musste ja wieder mit dem Ball anfangen und ich war so dumm darauf einzugehen.

 

Kapitel 15

Immer wieder versucht Cameron sich in dieser Woche mit mir zu unterhalten und mehr über mich herauszufinden, aber ich habe wenig Lust darauf mit ihm zu reden. Trotzdem lässt mein Nachbar nicht locker, sondern versucht sich immer wieder bei mir zu entschuldigen.

 

Als dann endlich das Wochenende beginnt, bin ich mehr als erleichtert darüber mich ausruhen zu können und ein bisschen Zeit ohne Cameron zu haben, der mich in den letzten Tagen echt nicht mehr in Ruhe lässt.

 

Über Mittag hat sich die Temperatur drastisch erhöht, weshalb ich die Schalosien in meinem Zimmer hinuntergelassen habe und mich umziehen musste. Nun trage ich ein weißes Kleid, welches schön luftig ist. Es gibt ja viele Leute, die nicht gerne Kleider tragen, aber ich gehöre auf keinen Fall dazu. Das Licht der Sonne fällt genau in mein Gesicht und ich muss mein Gesicht von den Strahlen abschirmen.

 

Mein Bruder liegt auf seinem Bett und schreibt schon seit etwa einer halben Stunde mit Claire. Ich frage mich echt, ob die beiden nichts Besseres zu tun haben. Als mein Handy jedoch meldet, dass ich eine Nachricht bekommen habe, fällt mir auf, dass ich auch nicht besser bin. Schließlich schreibe ich schon ziemlich lange am Stück mit Morgan, mit der ich heute leider keinen einzigen Kurs hatte.

 

Heute ist ihr Hauptthema der Ball! Nachdem ich ihr erzählt habe, dass ich mit Kyle hingehe, ist Morgan vor Freude fast ausgerastet und hat mich den ganzen Tag voll gequatscht. Nun weiß ich genau, was ich am auf dem Ball tun sollte und was nicht, obwohl das meiste davon ziemlicher Mist ist. Sie scheint vergessen zu haben, dass auch ich schonmal auf einem Ball war und keine Balljungfrau bin. Scheinbar hat sie aber in der letzten Stunde wirklich Angst bekommen, dass ich morgen kneifen und Kyle doch noch absagen werde. Zwar verspüre ich bei dem Gedanken gleichzeitig Panik und Aufregung, doch absagen und meinen besten Freund enttäuschen würde ich nie. Er vertraut mir und ich vertraue ihm. Außerdem gehen wir ja auch nur als Freunde zum Ball, also verstehe ich nicht, warum ich mir Sorgen machen sollte.

 

Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinem Gedanken: "Katy! Ryder! Kommt ihr nach unten? Gleich kommen die Nachbarn."

 

Mein Bruder springt sofort aus dem Bett und will das Zimmer verlassen, doch dann dreht er sich zum mir um und schaut mich vorwurfsvoll an, als er weiß, dass ich nicht runter kommen werde, wenn er mich jetzt nicht antreibt: "Komm schon, Katy. Das wird schon nicht so schlimm." Ich beiße mir auf die Lippe: "Woher willst du das wissen. Kannst du etwa in die Zukunft schauen?" "Nein", gibt er zerknirscht zu: "Wir sind aber doch alle bei dir, falls etwas sein sollte." "Jaja, ich weiß", murre ich und steht seufzend aus meinem Bett auf, als er mir die Hand hinhält, um mir aufzuhelfen. Schnell schalte ich mein Handy auf stumm und gehe dann zusammen mit Ryder nach unten.

 

Zwar fühle ich mich nach wie vor unbehaglich, versuche aber trotzdem für meine Eltern - besonders für meine Mutter- gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, was Ryder gesagt hat und glaube sogar kurz, dass es möglicherweise doch nicht so schlimm wird wie ich gedacht habe.

 

Als es jedoch an der Tür klingelt und kurz darauf Familie Ross in unser Haus, in mein Gebiet, eintritt, werfe ich diese Einstellung über den Haufen und bekomme doch Panik. Auch Ryder scheint das zu merken und legt deshalb seinen Arm sanft um mich. Damit versucht er mich zu beschützen und mir etwas Sicherheit zu geben. Sofort durchströmt mich eine angenehme Wärme und das Gefühl von Schutz, ja fast von Unverwundbarkeit. Dann fällt mir Cameron auf, der mich aus seinen braunen Augen sanft, fast liebevoll, anblickt und mein Herz damit dazu bringt schneller zu schlagen.

 

Kapitel 16

Nachdem wir alle uns begrüßt haben, geleiten meine Eltern alle Mitglieder der beiden Familien zum Esstisch, wo wir spielen werden. Mein Vater beobachtet Cameron ununterbrochen und misstrauisch. Dabei wirkt er fast wie ein Raubtier, welches seine Beute erst studiert, bevor es ihr die Kehle zerfetzt. Ob er das meinetwegen tut? Schließlich hat er, noch stärker als Mom, miterlebt, was dieser Junge in den letzten Jahren für eine Wirkung auf mich hatte.

 

Bedächtig lässt mein Vater sich gegen über von meinem blonden Nachbarn auf seinen Stuhl sinken und stütze sich mit beiden Ellenbogen auf der Glasplatte ab. Schnell setze ich mich neben meinen Vater, damit er keine Dummheiten macht. Neben Cameron lässt Claire sich nieder und daneben meine kleine Schwester Alyssa, die sowas wie ein Fan von Ryders Freundin ist. Sie verbringen viel Zeit miteinander und meine Schwester scheint unsere Nachbarin wirklich zu bewundern, was mich mindestens ein wenig verletzt, wenn ich darüber nachdenke, dass sie Claire ihrer eigenen Schwester vorzieht. Nachvollziehen kann ich es aber schon. Schließlich ist Claire eine echt freundliche, herzensgute Person. Wäre ich an Alyssas Stelle, wäre Claire wahrscheinlich auch mein Vorbild. Außerdem ist es besser, wenn sie einer verantwortungsbewussten Person vertraut, als einer total leichtsinnigen. Sie könnte zum Beispiel auch Ryders Spaß am Alkohol trinken übernehmen und das wäre auf jeden Fall schlimmer.

 

"Also? Was wollen wir spielen", fragt meine Mutter ungewöhnlich hoher Stimme. Als mein Vater und mein Bruder gleichzeitig ihre Augenbrauen neben, als sie die Veränderung bemerken, muss ich mir echt auf die Zunge beißen, um nicht sofort in wildes Gelächter auszubrechen. "Monopoly", ruft Alyssa und schaut begeistert in die Runde. Ihre Augen glitzern verspielt.

 

Manchmal wünsche ich mir die gleiche Lebensfreude, wie meine Schwester empfinden zu können. Sie sieht in allem das Gute und versucht Situationen, die eigentlich ausweglos zu sein scheinen, in etwas Positives zu verwandeln. Hin und wieder erinnert sie mich an mein sechsjähriges Selbst, bevor ich in die Schule gekommen bin.

 

"Ja, Monopoly klingt doch gut", pflichte ich meiner kleinen Schwester bei. Dankbar wirft sie mir ein freudiges Lächeln zu und flüstert lautlos:"Danke, Katy." Auf den Wunsch hin, steht meine Mutter auf und geht zu dem Schrank, in dem wir die Spiele aufbewahren und wirft einen Blick in den Karton des Spieles:"Wir müssten, dann aber zweier Teams bilden, weil die Kinder fast alle Figuren verloren haben." Bei der Erwähnung der Figuren blicken Alyssa, Ryder, Claire und ich einander geschockt an und als dann noch das Wort 'verloren' fällt, entflieht Ryders Kehle ein leises Lachen, welches Alyssa und ich mit einem Husten zu kaschieren versuchen. Claire hingegen schafft es sich zu beherrschen und wirft uns nur einen warnenden Blick zu, während Cameron, der keine Ahnung hat, was mit den Figuren geschehen ist, nur verwirrt in die Runde blickt. Wir hingegen wissen genau, was passiert ist.

 

Im letzten Jahr haben wir vier nämlich zum ersten und auch zum letzten Mal gemeinsam Monopoly gespielt. Wir hatten bereits eine Stunde gespielt, da haben Ryder und Alyssa angefangen sich zu streiten, weil er, mal wieder, geschummelt hatte. Er wollte es aber nicht eingeben und hat versucht seine Schwester zu verarschen, aber das hat sie nicht mit gemacht. Deshalb hat sie einfach seine Spielfigur genommen und irgendwo hingeworfen. Das wollte er nicht mit sich machen lassen, weshalb er ihre Figur genommen und diese ebenfalls weggeworfen hat. Daraufhin haben sie angefangen sich gegenseitig mit den übrigen Figuren abzuwerfen, bis nur noch vier übrig waren. Diese vier haben den Krieg, aber auch nur überlebt, weil Claire und ich uns entschieden haben dazwischen zu gehen. Nach einigen Stunden haben sie sich dann auch wieder vertragen, aber die Figuren haben wir bis heute nicht wieder gefunden. Meine persönliche Vermutung ist, aber dass die Hundefigur an der Wand hinter dem Kühlschrank liegt. Da wir aber einfach gehofft haben das Spiel nie wieder spielen zu müssen, haben wir uns nie die Mühe gemacht den Kühlschrank, während unsere Eltern bei der Arbeit sind, wegzuschieben. Wieso Alyssa heute ausgerechnet dieses Spiel spielen möchte, ist mir nicht klar.

 

Meine Mutter kommt mit dem Spiel in der Hand zu unserer bunten Runde zurück und zeigt uns die vier kleinen, schimmernden Figuren in ihrer Hand: "Wir müssen also vier zweiter Teams gründen, damit jeder mitspielen kann." "Ich glaube, du hast dich da verrechnet, Mom", merkt Ryder an: "Wir sind neun Leute und keine acht." Verwundert beginnt meine Mutter erneut durchzuzählen und stimmt meinem Bruder dann zu: "Oh stimmt, dann können wir das Spiel nicht spielen." Ryder hingegen scheint das partout nicht zu wollen und erhebt deshalb Einwand: "Nein, schon gut. Ich setze einfach dieses Spiel aus. Ich mag das Spiel sowieso nicht." "Was? Nein, du kannst doch nicht einfach aussetzen", erwidere ich ein wenig geschockt und starre meinen Bruder verwundert an. Ich weiß genau, dass er dieses Spiel liebt. Wieso lügt er also? Der Boden wird mir ruckartig unter dem Boden weggerissen. Er hatte mir doch versprochen, dass er für mich da ist.

 

Mein Bruder scheint meine Angst zu bemerken und verschränkt deshalb seine Finger in meinen. Fast habe ich mich wieder beruhigt, als meine Mom verkündet: "Perfekt, dann machen wir mal die Gruppen. Also ich würde sagen, dass die Erwachsenen mit ihren verheirateten Partner arbeiten." Alle anderen Erwachsenen stimmen ihr zu. "Dann mache ich mit Claire", erklärt nun auch meine kleine Schwester und schlingt ihre Arme um die Blondine. Als mir klar wird mit wem ich selbst dann eine Gruppe bilden muss, schießt der Schock wie ein Pfeil in mich hinein und bohrt sich durch meine Adern bis in mein Herz hinein. "Dann sind wir wohl ein Team", Cameron zwinkert mir grinsend zu. Mom klatscht in die Hände: "Perfekt! Dann können wir ja anfangen."

 

Schleichend langsam verstreicht die Zeit, während wir spielen. Für mich ist es die reinste Qual. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte mich in meinem Zimmer verkrochen. Immer wieder blicke ich zu meinem Bruder herüber, der mir einen aufmunternden Blick zurückwirft. Meiner Familie zuliebe spiele ich weiter und wenn ich ehrlich bin, wäre es gar nicht so schlimm, wenn da nicht diese ständigen Fragen wären. Gerade eben wurde mir von Mrs. Ross schon wieder eine gestellt: "An welchen außerschulischen Aktivitäten nehmt ihr eigentlich teil, Ryder und Katy?" Natürlich entgeht es mir nicht wie ihr Ehemann, der mit solchen Fragen viel vorsichtiger ist, sie sanft in die Rippen knufft und ihr einen warnen Blick zuwirft, was Claires Mom jedoch nicht aus der Fassung bringen kann. Schon immer war sie eine sehr selbstbewusste Frau und das scheint sich über die Jahre nicht geändert zu haben. "Ich spiele Football", erklärt mein Bruder schnell: "Cameron und ich sind zusammen in einer Mannschaft." "Ach stimmt ja", sie lächelt glücklich: "Und du Katherine?"

 

Als Mrs. Ross meinen richtigen Namen ausspricht, zucke ich überrascht zusammen. Nicht sonderlich oft höre ich meinen richtigen Namen. Meine Eltern nutzen ihn nur, wenn sie wütend sind, und sonst höre ich ihn nur bei fremden Leuten, die mich nicht gut genug kennen, um mich bei meinem Spitznamen zu nennen, oder bei meinen Großeltern, die generell etwas gegen die Verkürzung von Namen haben, weshalb sie auch die Namen meiner Geschwister nicht mögen. Sie sind ihnen so modern, obwohl ich nicht verstehe, was daran modern sein soll. Haben sie etwa gedacht, dass meine Eltern ihre Kinder Ingeborg, Hildegard und Reiner-Gustav nennen, oder was?

 

So gut es geht, versuche ich meine Stimme sicher klingen zu lassen: "Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht gehe ich ja zur Schülerzeitung!" "Wie wäre es denn mit Cheerleading? Du bist doch sehr beweglich?", fragt Claire sofort und erinnert mich daran, dass es diese Möglichkeit auch noch gibt: "Du hast mir mal erzählt, dass du das mal versuchen willst."

 

Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle. Sie hat Recht! Das habe ich schon oft gesagt und wenn ich ehrlich bin, würde ich es immer noch gerne versuchen, aber da gibt es ein mehr oder weniger großes Problem. Ashley ist Captain des Cheerleaderteams. Wenn man genau darüber nachdenkt, ist das ein totales Klischee. Ich weiß! Zwar teilt sie sich den Posten mit Claire, aber trotzdem würde Ashley niemals zulassen, dass ich einen Platz in ihrer Liga der Zicken einnehme. Das hat sie mir schon in der achten Klasse klar gemacht, als ich es zum ersten Mal versucht habe. Damals war sie noch alleiniger Captain an der Middle School, aber heute wird es sicher nicht anders laufen.

 

Die Blondine scheint noch weitere Argumente zu haben: "Ach komm schon, Katy. Versuchen kannst du es doch und in Collegebewerbungen kommt es immer gut. Das ist deine letzte Chance!" Ich beiße mir nachdenklich auf die Lippe. Recht hat sie ja schon. Das ist mein letztes Jahr an der High School und auf dem College gibt es keine Schulclubs mehr. Die Idee von mir in der Cheerleaderuniform unserer Schule wächst in jeder Sekunde weiter. "Vielleicht", beginne ich: "Könnte ich es ja mal versuchen." Claire, Ryder und zu meiner Überraschung auch Cameron blicken mich fröhlich an. "Perfekt!", erwidert Claire zufrieden: "Frag doch Morgan, ob sie auch mitmachen will. Dann bist du nicht so allein in unserem Team." "Vorausgesetzt wird schaffen es überhaupt rein", lenke ich ein. "Sicher schafft ihr das. Ich habe eure Konkurrenten schon gesehen und die sind wirklich nicht der Hammer", gibt sie grinsend zu. Es freut mich, dass sie mir Mut macht und gut zu spricht. Sicher werde ich meine Entscheidung nicht bereuen und wen Morgan an meiner Seite ist, schaffe ich das Vortanzen sicher.

 

Der restliche Abend verläuft entspannt und es wundert mich echt, dass Cameron es schafft den ganzen Abend keinen unangebrachten Kommentar auf uns loszulassen. Es wirkt fast, als wäre er tatsächlich ein neuer Mensch und als wir dann auch noch gemeinsam gewinnen, frage ich mich echt, ob er doch eine zweite Chance verdient hat. Den ganzen Abend blickt er mich ununterbrochen an und lächelt freundlich. Also entweder hat er sich verändert oder er steht doch unter Drogen! Jedenfalls wirkt er seit seinem achtzehnten Geburtstag ein wenig berauscht, wenn er in meiner Nähe ist.

 

Kapitel 17

 

Erneut stehe ich in einem Kleid vor dem Spiegel und betrachte mich selbst unsicher. Dieses Mal ist mein Kleid komplett schwarz und reicht bis zum Boden. Meine Schuhe sind an diesem Abend um einiges tiefer, was mehr als praktisch ist, wenn man nicht sonderlich gut darin ist auf hohen Schuhen zu laufen. Nervös zuppele ich immer wieder an meinem Kleid herum und versuche alle Falten glatt zu streichen. "Hör auf ständig am Kleid herumzuziehen, das wird sonst zur Angewohnheit", ermahnt Morgan, die auf meinem Bett sitzt und immer wieder von ihrem Handy hoch schaut, um mir zu sagen, dass ich mein Kleid nicht immer anfassen soll. Ich weiß eigentlich selbst, dass ich das nicht ständig machen sollte, aber ich fühle mich in diesem Kleid nicht einfach richtig wohl. "Meine Haare sind zu fest zusammen gebunden, mein Kleid ist so lang, dass ich bei fast jedem Schritt hinfalle und ich sehe total albern aus", erkläre ich ehrlich. Entrüstet springt Morgan von meinem weichen Bett auf und legt ihren Arm um meine Schultern: "Quatsch! Du siehst wie eine Prinzessin aus." "Ach ja und wo ist dann meine Krone?", frage ich sarkastisch. "Werde Ballkönigin und du bekommst eine", erinnert sie mich. Stimmt, das hatte ich schon fast wieder vergessen. Es gibt ja diese Tradition, dass es immer einen Ballkönig und eine Ballkönigin geben muss. Das ist zwar eine total oberflächliche Angewohnheit, da immer nur nach der Schönheit und weder nach der Intelligenz noch nach der Persönlichkeit bewertet wird. "Die Wahl gewinnt Ashley doch immer", gebe ich kleinlaut zu bedenken. Morgan nickt zustimmend. Das kann selbst sei nicht leugnen. "Kann ich Kyle nicht doch absagen?", frage ich nachdenklich: "Er würde es sicher verstehen." "Ja, das würde er", gibt sie zu und lässt mich aber nicht los: "Aber das wirst du nicht absagen. Du wirst auf diesen Ball gehen, Katy. Abzusagen passt nicht zu dir." Verdammt, sie hat Recht. Aus mir spricht in diesem Moment lediglich die Panik und ich werde Kyle schon nicht enttäuscht. "Ja, stimmt. Außerdem ist das ja sowieso kein Date", erkläre ich und versuche total selbstsicher zu klingen und schaffe es auch recht passabel. Als ihrem Mund jedoch ein leises "Wer's glaubt" entflieht, schafft sie es mich aus der Fassung zu bringen. Überrascht schaue ich sie an: "Wie meinst du das?" Sie muss grinsen:"Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass er mit dir nur als Freundin hingehen will, oder?" "Äh ...doch! Was hätte ich denn sonst denken sollen?" "Also er denkt, dass es ein Date ist", erklärt sie lachend. Geschockt starre ich meine beste Freundin an. Das kann doch nicht ihr ernst sein. "Du verarschst mich doch!", ich spreche genau das aus, was ich in diesem Moment denke. "Nö, was hätte ich denn davon?", fragt sie schulterzuckend und ich erkenne, dass das, was sie da von sich gibt, total logisch ist: "Ich habe auch schon einen Shippingnamen für euch. Was findest du besser? Kylety oder Kaly?" Kläglich versuche ich meine Stimme möglichst normal klingen zu lassen und mich nicht aufzuregen, als ich antworte: "Du hast Shippingnamen für Kyle und mich? Denkst du nicht, dass das ein wenig merkwürdig ist?" "Nein, für Cameron und dich habe ich auch einen. Ihr heißt zusammen Rossmann!" Meine erste Reaktion ist Schock darüber, dass sie denkt, dass ich jemals etwas mit Cameron haben würde. Dann ich nochmal über den Namen und frage: "Ist Rossmann nicht so ein Drogeriemarkt?" Morgan zieht belustigt eine Augenbraue hoch und entscheidet sich dann, mich nicht zu fragen, wieso genau das, das ist, was mich stört: "Keine Ahnung! Kann sein." Nun muss ich doch grinsen. Es gibt auf der Welt keine besser Freundin als Morgan, auch wenn ich sie dafür, dass sie einen gemeinsamen Namen für Cameron und mich hat, mindestens einen Tag ignorieren sollte. "Ach komm schon. Als ob du nicht gerne mit Cameron hingegangen wärst, wenn eure gemeinsame Vergangenheit nicht wäre und wenn Kyle dich nicht vorher gefragt hätte", kritisch blickt sie mich an. Sofort beginne ich alles zu leugnen, doch in meinem Gehirn schreit eine nervige Stimme ganz laut "Ja".

 

"Katy! Morgan! Kommt runter oder wir fahren ohne euch", ruft Ryder in diesem Moment von unter und rettet mich davor weiter mit Morgan über Cameron zu reden. "Ja, wir kommen sofort", brülle ich zurück. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Morgan kurz zusammen zuckt. Das ist komisch, weil sie eigentlich schon daran gewöhnt sein müsste, dass weder Ryder noch ich selbst zum jeweils anderen gehen, um ihm die Antwort mitzuteilen. Stattdessen brüllen wir einfach so laut es geht durchs ganze Haus und hoffen, dass der andere uns irgendwie verstanden hat. Manchmal kommen da echt merkwürdige Sachen bei raus, aber meistens funktioniert dieser Kommunikationsweg tadellos.

 

"Komm schnell, sonst macht Ryder noch erst", grinse ich und öffne Morgan die Tür, welche daraufhin sofort hindurch schlüpft. Ich selbst schalte noch kurz das Licht aus und folge ihr dann nach unten. Das wird, wie Morgan es nenne würde, „eine unvergessliche Nacht"! Sie neigt aber auch dazu alles zu dramatisieren.

Kapitel 18

Bereits von weitem kann ich die laute Musik der Schule hören. Freudige Erregung brodelt in mir auf und ein leichtes Flattern entsteht in meinem Magen. Nun bin ich, entgegen meiner Erwartungen, doch ziemlich aufgeregt und auch ein wenig Vorfreude ist zu spüren. Wenigen Meter später lenkt meine Mutter das Auto auf den kleinen Parkplatz neben dem riesigen High School Gebäude. Mit der Hilfe meiner Mutter und meines Bruders steigen Morgan und ich aus dem Auto aus, was sich mit einem engen, langen Kleid ziemlich schwer gestaltet, weshalb ich über die Hilfe ziemlich froh bin. Nachdem meine Mutter mich mehrmals in den Arm genommen hat und mir gesagt hat, wie sehr sie sich für mich freut und sich wünscht, dass ich glücklich bin, bittet sie Ryder, Morgan und mich uns aufzustellen, damit sie uns fotografieren kann.

 

Als das Blitzgewitter endet, erblicke ich Kyle, der unsicher an der Straße vor der Schule wartet. Er sieht ein wenig verloren aus, aber trotzdem sehr gut. Seine schwarzen Haare hat er ordentlich gekämmt, weshalb sie im Licht der Straßenlaternen ein wenig glänzen und der schwarze Anzug steht ihm mehr als gut. Sein Anblick erzeugt in mir ein leichtes Kribbeln und ich fühle mich, als würden eine Milliarde von Feuerarmeisen auf meiner Haut herumlaufen und alles in Brand setzen. "Das waren jetzt aber mal genug Fotos, Mom", erinnert Ryder meine Mom: "Claire vermisst uns sicher schon." "Ja, da hast du recht, Schatz", erwidert meine Mutter leise schniefend. Ihr scheint das alles ziemlich nahezugehen, obwohl es gar nicht ihr Ball ist. Mein Mom drückt meinen Bruder und mich noch kurz und steigt dann zurück ins Auto. Langsam lässt sie den Motor an und lenkt das Auto dann mit einem Blick auf uns zurück vom Parkplatz herunter. Wir alle winken wie wild hinter ihr her.

 

Schnell greife ich nach den Händen meiner Partner und ziehe sie mit mir über den Parkplatz bis hin zum Eingang der Schule. Auf dem Weg dorthin löst Ryder sich als erster aus unserer Kette und stößt zu Claire, die mit Cameron zusammen auf meinen Bruder gewartet hat. Cameron sehe ich nur aus dem Augenwinkel und schaue mit Absicht nicht genauer hin. Dann würde er sich nur wieder einbilden, dass ich doch lieber mit ihm hingehen oder sogar mit mir reden will, was ich mir lieber echt spare.

 

Wenige Schritte später trennt sich auch Morgan von mir und geht zu ihrem Date herüber. Es ist ihr Kollege aus der Bar, zu dem sie nun doch stehen will, was ihr aber schon in den ersten Tag nach der Party nicht sonderlich gut gelungen ist. Trotzdem habe ich ihr immer wieder gut zugeredet und ich glaube, dass sie mittlerweile ziemlich glücklich mit ihrer Entscheidung ist.

 

Dann wende ich mich mit meinen Gedanken jedoch wieder Kyle zu und gehe weiter zu meinem besten Freund. In seinen Augen liegt etwas Niedergeschlagenes und Ängstliches, doch als er mich erblickt, hellt sich meine Miene auf und ein breites Lächeln erscheint auf seinen schmalen Lippen. "Hey, Katy", grüßt er und kommt auf mich zu: "Ich dachte schon, du kommst nicht mehr." Als er vor mir stehen bleibt, werde ich rot: "Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Meine Mom hat ein wenig geklammert." Er grinst fröhlich: "Meine Mom konnte ich glücklicherweise schon früh abschütteln." "Ich weiß gar nicht, was alle Eltern haben. Es ist ja schließlich nicht einmal unser Abschlussball." Er seufzt: "Aber der letzte Homecoming Ball unserem Leben, also ist es schon sowas wie ein Abschied von einer gewohnten Veranstaltung, die wir bereits oft erlebt haben." Ich erkenne, dass er recht hat und erst jetzt wird mir klar, dass das hier wirklich mein letzter Homecoming Ball ist. Dann folgt nur noch der Abiball und darauf folgt die Zeugnisvergabe. Angst vor meiner Zukunft habe ich auf jeden Fall. Schließlich habe ich mich noch für kein College und auch keine Fachrichtung entschieden. Es gibt so viele Colleges, auf die ich gerne gehen würde und was genau ich studieren will. "Ja, da hast du wohl recht", erwidere ich nachdenklich und schaue Kyle dann dabei zu wie er in seiner Anzugtasche herumkramt, bis er eine schwarze Schatulle findet und herauszieht. "Ich habe dir etwas mitgebracht", verkündet er stolz und öffnet das Kästchen.

 

Darin befindet sich ein kleines Blumengesteck, bestehend aus pink-weißen Rosen und kleinen, grünen Farnen, welches man sich um die Hand binden kann. Traditionell bringen viele Jungen ihren Dates solche Gestecke mit und stecken sie ihren Partnerinnen dann an. Ich selbst finde, die Idee wunderschön, aber leider tut das nicht jeder und das hier ist mein erstes Mal, dass ich so etwas bekomme. Aufregung macht sich in mir breit und ich bekomme zum ersten Mal das Gefühl, dass dieser Ball vielleicht doch anders ablaufen wird. Gespannt sehe ich meinem besten Freund zu, als er das Geschenk aus der Verpackung, die er wieder in seiner Tasche verstaut, nimmt und sanft nach meiner Hand greift. Willig reiche ich sie ihm und sehe dabei zu, wie er das Band, mit dem man die Dekoration befestigen kann, an meinem Handgelenk befestigt.

 

Glücklich lächelnd schaue ich wieder zu Kyle auf: "Wow, danke. Das ist wunderschön." "Echt?", fragt er freudig überrascht. Bestätigend nicke ich: "Klar, ich habe sowas noch nie bekommen." "Wirklich? Das wusste ich gar nicht", erwidert er überrascht: "Du warst aber doch schon auf einem Ball, oder?" "Schon ein paar Mal, aber noch nie habe ich so ein Geschenk bekommen", gebe ich zu und werde rot: "Das ist der erste Ball, auf dem ich mit jemandem bin, den ich gerne mag und der mit mir auch wirklich hingehen wollte. Die anderen wollten nur nicht allein gehen oder jemand anderen eifersüchtig machen."

 

Um mich von dem Thema abzulenken, reicht er mir seine Hand: "Die anderen Typen waren eben Idioten, wenn sie so zu dir waren. Vielleicht sollten wir jetzt aber rein gehen, sonst ist der Ball vorbei bevor wir mindestens einmal getanzt haben." Die Hand ergreifend, nicke ich und steige mit Kyle, Hand in Hand, die Treppen hinauf: "Das halte ich für eine sehr gute Idee. Ich sollte einfach nicht mehr an die vergangenen Bälle, sondern an den Gegenwärtigen denken." Kyles Augen strahlen regelrecht, als er mich im Licht der Kerzen, die auf der Treppe aufgestellt wurden, anblickt. Der Anblick bringt mich zwar zu einem sanften Lächeln, doch meiner Gefühle bin ich mir in diesem Moment nicht sicher. Kein leichtes Kribbeln ist zu spüren und auch mein Herz schlägt nur ein wenig schneller. Meine Gedanken spucken total durcheinander in meinem Kopf umher und ich frage mich, was dieses Treffen, welches Kyle scheinbar als Date sieht, zu bedeuten hat, als wir durch die hohen Türen treten.

 

Unsicher drehe ich mich ein letztes Mal um. Mein Blick, der mich scheinbar ziemlich verloren erscheinen lässt, fällt auf Cameron, der ebenfalls einen Anzug trägt und mich sanft anblickt. Das flackernde Licht der Laternen und das weiße Mondlicht spiegeln sich in Camerons braunen Augen wider.

 

Als er meinen Blick bemerkt, wird sein eigener plötzlich weich und überrascht. Für einen kurzen Moment blickt er zu Kyle und in seine Augen tritt für wenige Sekunden ein dunkler Ausdruck, den ich nicht deuten kann, doch trotzdem jagt es mir einen Schauer über den Rücken.

 

Schnell drehe ich mich wieder zu Kyle und gemeinsam schreiten wir durch die Schule, doch die Gänsehaut, die sich auf meiner Haut ausgebreitet hat, will mich nicht loslassen und Camerons Blick hat sie wie ein Brandzeichen in mein Gehirn eingebrannt.

 

Kapitel 19

Das bunte Licht der Scheinwerfer, welches den ganzen Raum erleuchtet, bringt mich zum Blinzeln und ich brauche erst einen kurzen Moment, um mich an die lauten Stimmen der Schüler um mich herum und das blitzartige Licht zu gewöhnen. Unter dem warmen Licht beginne ich leicht zu schwitzen, was irgendwie peinlich ist, weshalb ich meine Hände schnell an meiner Jacke abwische, die Kyle mir einen Moment später, wie ein richtiger Gentleman, abnimmt und mit seiner eigenen an der Garderobe abgibt.

 

Während er weg ist, nehme ich mir Zeit, um die Leute um mich herum zu betrachten. Tatsächlich ist so gut wie alles hier so wie in meiner Vorstellung. Alle Leute in der Aula haben sich herausgeputzt und versuchen sich perfekt zu benehmen. Keiner will sich etwas Peinliches leisten und somit den Leuten als die Person, die den Homecoming Ball 2018 zerstört hat, in Erinnerung bleiben.

 

Dann fällt mein Blick auf Morgan, die schon vor uns rein gegangen ist und nun am Buffet steht, weshalb ich Kyle schnell sage, dass ich eben ans Buffet gehe, um mich kurz mit Morgan zu unterhalten. Ich muss ihr unbedingt erzählen, dass Cameron mich vorhin so merkwürdig angesehen hat. Sicher weiß sie, was das zu bedeuten hat. Schließlich ist sie sowas um einiges besser als ich selbst. Er ist damit einverstanden und begibt sich dann zu DJ-Pult, um sich wahrscheinlich einen Song zu wünschen.

 

Morgan schenkt sich gerade etwas Erdbeerbohle ein, als ich zu ihr stoße und ihr meinen Becher hinhalte. Sofort versteht sie, was ich von ihr will und gießt mir ebenfalls ein bisschen der roten Flüssigkeit ein. "Danke", erwidere ich. "Gerne", gemeinsam drehen wir uns dann wieder zur Tanzfläche herum und betrachten die Leute: "Und? Hatte ich Recht? Denkt er, dass es ein Date ist?" Unsicher zucke ich mit den Schultern und trinke einen Schluck: "Ja, glaub schon. Jedenfalls hat er mir etwas geschenkt." "Oh, was denn?", fragt sie sofort interessiert. Ihre Augen leuchten ein wenig. Ich hebe meinen Arm soweit nach oben, dass sie genau auf das wunderschöne Blumengesteck schauen kann: "Blumen!" Interessiert dreht sie meine Hände immer wieder von der eine zur anderen Seite: "Schick! Er hat Sinn für das schön." Sofort stimme ich zu: "Ja, stimmt. Er ist der Erste, der mir sowas geschenkt hat." "Das ist schon ziemlich süß", erwidert Morgan grinsend: "Ich hatte also recht mit dem Date." "Ja, hattest du, aber deshalb bin ich nicht zu dir gekommen", gebe ich zu: "Ich muss dir etwas ganz anderes erzählen." Überrascht sieht sie mich an: "Du machst mir Angst, Katy. Ist was Schlimmes passiert?" Mit einem nervösen Blick durch den Raum antworte ich: "Nein, alles gut. Ich wollte nur fragen, ob dir auch schon aufgefallen ist, dass Cameron sich heute echt komisch benimmt." "Ne, wieso? Was ist mit ihm?" "Als ich vorhin mit Kyle in die Schule hereingegangen bin, habe ich gesehen wie Cameron mich ganz komisch angeguckt hat und als der dann Kyle angesehen hat, schien es plötzlich so, als würde er im nächsten Moment auf ihn losgehen", schildere ich. Morgan bricht in Gelächter aus: "Was ist nur los mit dir? Sonst kannst du sowas doch viel besser deuten als ich. Man, Katy, Cameron hat dich gefragt, ob du mit ihm zum Ball gehst und du hast ihm wegen Kyle abgesagt." "Na und?", frage ich unsicher. "Er ist eifersüchtig", erklärt Morgan und endlich fällt auch bei mir der Groschen.

 

Tatsächlich könnte es sein, dass mein Nachbar eifersüchtig auf meinen besten Freund ist. Aber wieso? Schließlich ist es ja nicht so, dass er auf mich steht. Dann hätte er mich all die Jahre nicht so behandelt.

 

"Denkst du wirklich?", frage ich mit leicht zitternder Stimme, doch bevor sie antworten kann, gesellt sich Morgans Date, Dan, zu uns hinzu. "Willst du tanzen, Morgan?", fragt er die Schwarzhaarige und sie willigt ein, ohne auf meine Frage zu antworten, doch bevor er sie mit sich zieht, ruft sie mir noch zu: "Vergiss Cameron und habe einfach einen schönen Abend mit Kyle."

Ihre Worte machen mir Mut, weshalb ich kurze tief Luft hole und meinen Becher irgendwo abstelle. Dann gehe ich langsam auf Kyle zu, der ganz verloren am Rand steht und suchend durch die Menge blickt.

 

Als unsere Blicke sich treffen, heben sich seine Mundwinkel und wir gehen langsam aufeinander zu. Plötzlich wird ein neues Lied gespielt, welches das Tanzfieber in mir weckt. Zwar bin ich keine perfekte Tänzerin, aber es sieht auch nicht total peinlich aus, wenn ich die Hüften schwinge und langsam tanzen kann ich auf jeden Fall. Die weichen Klänge des langsamen Songs animieren mich dazu meine Hände auf die Schultern meines besten Freundes zu legen. Er lässt seine Hände zu meiner Taille gleiten und langsam beginnen wir uns, im Takt mit den anderen Leuten um uns herum, zu bewegen. Für einen Moment vergesse ich die Zeit, lausche nur der Musik und spüre Kyle, doch dann werde ich wieder aus dem Moment herausgerissen.

 

Das Lied geht zu Ende und eine Hand legt sich auf meine Schulter. Überrascht zucke ich zusammen und winde mich aus Kyles Griff, um mich umzudrehen und der Person hinter mir in die Augen zu blicken, doch sobald ich diese erblicke, will ich mich sofort wieder umdrehen.

 

Dort steht Cameron. Auf seinen Lippen ist ein breites Grinsen zusehen, welches sich bis in seine Augen ausbreitet und erleuchtet. In seinen Armen liegt ein anderes Mädchen mit roten Haaren und grünen Augen, welches ich noch nie mit ihm gesehen habe."Guten Abend, Kat", grüßt Cameron freundlich, bringt mich mit dem Namen aber fast wieder zur Weißglut.

 

Gerade als ich antworten will, werde ich vom DJ unterbrochen: "Los Leute! Jetzt werden die Partner getauscht." Dann startet er einen neuen Song und fordert die Leute mit einigen Handbewegungen dazu auf zu tauschen.

 

Überrascht löse ich mich von Kyle und sehe Cameron an, der dem DJ verschmitzt zu zwinkert und sich dann ebenfalls mir zu wendet: "Also es scheint so, als wären wir nun Tanzpartner, Kat." "Hör auf mich so zu nennen", ermahne ich und drehe mich dann wieder zu Kyle um.

 

Sanft greife ich nach seiner Hand und ziehe ich ein wenig von Cameron weg um ihm etwas in Ohr zu flüstern: "Was hältst du davon?" Er sieht zwar nicht begeistert aus, streicht mit dann jedoch einen meiner braunen Strähnen aus dem Gesicht und antwortet: "Ich denke, du solltest Cameron diesen Tanz schenken. Den restlichen Abend gehörst du ja mir." Als er sagt, dass ich ihm gehöre, zucke ich kurz unsicher zusammen. Scheinbar empfindet er viel mehr für mich als ich für ihn. Zwar hat es mir gefallen mit ihm zu tanzen, aber mein Blut bringt er wieder in Wallungen, noch habe ich das Gefühl, dass mein Herzschlag sich stark verändert. Unsicher nicke ich und vertraue Kyle einfach mal, obwohl ich wenig Lust darauf habe mit Cameron zu tanzen, aber ist ja nur ein Tanz. Was soll da schon passieren:"Okay, dann sehen wir uns nach dem Tanz wieder." Sanft lächelt er und begibt sich dann zu der Rothaarigen.

 

Nun sind Cameron und ich ganz alleine. Wir beide blicken einander tief in die Augen, bis er mir eine Hand reicht, welche ich, mit einem unbehaglichen Gefühl in der Brust, ergreife. Sanft zieht er mich zu sich und positioniert seine Hände an genau den richtigen Stellen. Seine Berührungen bringen mich dazu, dass meine Konzentration ein wenig schwindet. Meine Hände lege ich auf seine Schultern und vergesse für einen Moment alles um mich herum. Mein Atem geht schneller und plötzlich fühlt sich meine Brust viel zu klein für mein stark schlagendes Herz an. Meine ganze Haut prickelt und als Cameron mich ein wenig näher an sich zieht, wehre ich mich nicht. Es fühlt sich so an, als wäre ich hypnotisiert und könnte niemals etwas anderes tun als mit meinem Nachbarn, der mir so viel angetan hat, zu tanzen. In diesen Sekunden wirkt es fast so, als hätte ich alles vergessen, was er getan hat. "Und mit wem tanzt du jetzt lieber?", Camerons Stimme ist tief und jagt mir erneut einen Schauer über den Rücken. Am liebsten würde ich ihn bitten weiter zu sprechen, um weiterhin dieser Stimme lauschen zu können, doch er ist ganz einfach still und sieht mich einfach nur, auf meine Antwort wartend, an. Kurz versuche ich den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, herunterzuschlucken, antworte aber nicht, weil ich selbst die Antwort auf seine Frage nicht weiß. Zwar habe ich gerne mit Kyle getanzt, aber mit Cameron zu tanzen ist ganz anders.

 

Ich will ihn bitten mich loszulassen, doch mein Mund ist wie ausgetrocknet und die Worte weigern meine Kehle zu verlassen. Mit aller Kraft versuche ich mich wieder zu konzentrieren und in die Realität zurückzukehren, doch stattdessen spüre ich nichts als Cameron. Seine Wärme wird auf mich projiziert und ich spüre seine Präsenz ganz klar. Leise beginne ich zu stottern und versuche ein klares Wort hinzubekommen und fast bekomme ich es hin, da ertönt ein lauter Knall und ich innerhalb von wenigen Sekunden zurück in die harte Realität gebracht.

 

Geschockt drehen Cameron und ich uns dorthin, wo das Geräusch herkam, doch nichts ist zu sehen. Geschockt starre ich Cameron an: "Was war das?" "Ich habe da so einen Vermutung", ruft Cameron mir über den entstandenen Lärm hinweg zu. Er hat eine Vermutung? Was soll das heißen? "Komm schnell", schnell greift Cameron nach meiner Hand und will mich dann mit sich ziehen, doch ich verspüre sofort das Bedürfnis nachzusehen, ob es Kyle und Morgan gut geht. Nervös blicke ich umher, doch mein Nachbar zieht mich schnell an sich und dreht mich Gesicht zu sich: "Jetzt hör mir mal zu, Katy. Ich will dich in Sicherheit bringen, aber dafür musst du mir vertrauen." Zwar höre ich, was er sagt, doch es ist mir egal. Stattdessen schaue ich weiter durch die, mittlerweile in Panik geratenen, Menge. Erneut schlägt mein Herz wieder schneller, doch dieses Mal liebt es an keiner anderen Person, sondern an diesem Knall.

 

Gerade als ich Morgan in dem Gewirr entdeckt habe, explodiert plötzlich die Tür und die riesigen Flügeltüren fliegen auseinander. Eine leichte Druckwelle wirft uns nach hinten und ich lande mit dem Kopf auf dem Boden. Für wenige Sekunden wird alles um mich herum schwarz und die Realität schwindet. Das Einzige, was ich fühle, sind Camerons Arme, die sich um mich schließen, als ich auf dem Boden aufschlage. 

 

Kapitel 20

Kurz nachdem die Welle mich erwischt hat, komme ich auf dem Fußboden wieder zu mir. Camerons Arme spüre ich nicht mehr um mich, weshalb ich langsam den Kopf hebe und mich umsehe. Einige Tische, hinter denen sich die meisten Schüler verstecken, wurden umgeworfen und fast das ganze Essen liegt auf dem Boden verstreut. Ängstlich schaue ich mich nach Cameron um. Hoffentlich ist ihm nichts passiert! Hast du das gerade wirklich gedacht, Schätzchen, fragt mich eine leise in meinem Kopf, die ich jedoch einfach ignoriere.

 

Dann entdecke ich meinen Nachbarn endlich. Er steht ganz heroisch neben seiner Schwester, die kurz einige Worte mit Ryder wechselt. Mein Blick geht weiter in Camerons Hand, in der er eine Whiskyflasche hält, die er irgendwie dazu gebracht hat zu brennen. Sowas habe ich schonmal in einem Film gesehen. Scheinbar hat er die Flasche zu einer Art Bombe umfunktioniert, wenn man es wirklich so nennen kann. Der Raum, in dem wir alle uns befinden, sieht miserabel aus und langsam beginne ich mich echt zu fragen, was hier passiert ist. Schließlich war ich ja nur wenige Sekunden abwesend. Wie ist das hier so schnell eskaliert.

 

Langsam erhebe ich mich vom Boden und setze mich auf. Die neue Position erleichtert mir dann auch den Blick auf die vier Leute, die in der Tür stehen. Ich runzele die Stirn und erschaudere beim Anblick der Waffen in ihren Händen. Sie halten Jagdmesser in den Händen und tragen dicke Jacken, die man von Jägern kennt. Ein Schock durchzuckt mich und ich versuche über den Boden nach hinten zu rutschen, bis ich mit dem Rücken gegen einen anderen Tisch stoße. Das Geräusch sorgt dafür, dass Cameron auf mich aufmerksam wird und Ryder anstößt. Dieser dreht sich ebenfalls zu mir um, während Claire und Cameron sich in eine Kampfposition begeben. Wieso tauchen diese Leute hier auf und was haben Cameron und Claire damit zu tun? Schließlich sind die Beiden, die einzigen, die sich nicht irgendwie in Sicherheit bringen.

 

Ryder kniet sich vor mich und flüstert: "Geht es dir gut, Sis?" "Ja, mein Kopf tut nur ein bisschen weh", gebe ich zu und halte mir den Kopf leicht: "Was ist hier los?" "Bitte vertrau mir jetzt einfach nur", bittet er mich und nimmt meine Hand, um mich nach oben zu ziehen: "Ich verspreche, dass ich es dir später erklären werde, okay?" Zustimmend nicke ich, da ich weiß, dass er immer sein Wort hält. Schnell streckt er mir seine Hand hin, die ich dann schnell ergreife, damit er mich auf die Füße ziehen kann.

 

Gerade als ich wieder einigermaßen auf meinen Füßen stehe, bohren sich einige Pfeile nur wenige Zentimeter von mir entfernt in das Holz des Tisches hinter mir. Meiner Kehle entfährt ein leiser Schrei, den ich nicht zu unterdrücken vermag. Erneut beschleunigt sich mein Herzschlag und mein ganzer Körper beginnt wie wild zu zittern. Oh, man. Wärst du nur nicht zum Ball gegangen, Schätzchen. "Jetzt komm", bittet er etwas lauter, als er es wahrscheinlich beabsichtigt hat: "Du musst hier weg." "Wieso?", frage ich mit zitternder Stimme. "Weil es wichtig ist, Katy", ruft er nun: "Wir müssen hier sofort weg!" In seinen Augen sehe ich, wie ernst es ihm damit ist. Sein Griff hat sich so fest um meinen Arm geschlossen, dass sicher in wenigen Tagen vielleicht blaue Flecken bilden werden, doch das interessiert mich nicht. Ich muss endlich wissen, was hier los ist. "Aber ...aber was ist mit Cameron und Claire und all den anderen?", frage ich verwirrt und beginne mich nun auch nach Morgan und Kyle umzusehen, was ich eigentlich schon viel eher hätte tun sollen. Schließlich sind sie meine besten Freunde und ich frage mich, wieso ich überhaupt zuerst an Cameron gedacht habe, als ich wieder zu mir gekommen bin. Mein Bruder legt seine Hände an meine Wangen und schaut mich eindringlich an: "Es geht ihnen gut, Katy! Das Wichtigste ist gerade, dass ich dich hier wegbringe. Cameron will es so und ich bin seiner Meinung, also los jetzt!" Ein paar Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich versuche mich darauf zu konzentrieren hier nicht auf der Stelle zusammen zu brechen. Mein Widerstand bricht in sich zusammen und ich gebe meinem Bruder nach, der mich mit sich zu einer Tür zieht, die tiefer in das Schulgebäude hinein führt. Auf dem durch die Gänge komme ich mir vor wie ein nasser Sack, den mein Bruder hinter sich her schleifen muss, weil er sich von allein nicht bewegen kann. Das alles hier geht für mein, noch ziemlich benebeltes, Gehirn viel zu schnell und ich versuche einen klaren Kopf zu bekommen, doch das ist viel schwerer als gedacht, wenn schwere Schritte hinter einem zu hören sind, die zu einer schwerbewaffneten, erwachsenen Person mit dicker Kleidung gehören. Eigentlich sollte ich mich nicht umdrehen, um nicht weiter in Panik zu geraten, doch trotzdem tue ich es und sehe einen großen bewaffneten Mann, der hinter uns her hetzt. Sein Blick ist dunkel und blutrünstig. Es ist der eines Mörders!

 

Kapitel 21

Hektisch zehrt mich Ryder weiter durch die Gänge der Schule, bis ich bereits ganz außer Atem bin. Ich weiß nicht, wann wir stehen bleiben, aber das ist in diesem Moment gar nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass ich genau weiß, wo wir sind, als wir stehen bleiben.

 

Ryder stoppt seinen Sprint durch das Schulgebäude zwischen dem Mathe- und dem Biologieraum. Genau dort, wo sich sein Spind befindet. Gerade als ich wieder ein bisschen zu Atem gekommen bin, höre ich wieder die Schritte, die mit jeder Sekunde lauter werden. "Beeil dich bitte, damit, was auch immer du vorhast, liebster Bruder", bettele ich leise und schaue nervös durch den Gang. Nach wie vor habe ich keine Ahnung, was hier los ist und Ryder weigert sich immer noch mir irgendwelche Informationen zuzuspielen, was momentan aber auch nicht das Wichtigste ist. Für mich ist es gerade nur wichtig, dass alle Leute, die auf diesem Ball waren, wieder unbeschadet aus dieser verzwickten Situation herauskommen und dass am Montag wieder alles so ist, wie es vorher war, aber das ist sicher nur Wunschdenken. Wahrscheinlich wird nichts mehr so sein, wie es war. Besonders nicht dann, wenn jemandem etwas passieren sollte.

 

Von einem leisen Zischen, welches ich nur dank meines guten Gehörs wahrnehme, werde ich aus meinen Gedanken gerissen und sehe im nächsten Moment etwas silbrig schimmerndes auf mich zu fliegen. Innerhalb von wenigen Millisekunden bewegt sich die Information weiter in mein Gehirn und ich erkenne endlich den Gegenstand und schaffe es gerade noch aus dem Weg zu springen, bevor das Messer sich in einen der Spinde hinter mir bohrt. Überrascht und geschockt blicke ich zu Ryder, der begonnen hat an seinem Zahlencode herumzudrehen und mich nun besorgt anblickt: "Ja, geht es dir gut?" "Ja, geht schon", erwidere ich, schaue dann aber ein wenig niedergeschlagen auf mein Kleid: "Mein Kleid kann ich danach aber wegwerfen." Es ist halb zerrissen, was total schade ist, weil das Kleid total schön war. Endlich reißt Ryder sein Schließfach auf und kramt darin herum, während die Schritte immer lauter werden: "Hauptsache dir geht es gut. Jetzt müssen wir hier aber weg, bevor diese Arschlöcher uns noch erwischen." Arschlöcher? Was ist mit meinem Bruder los? So redet er doch sonst nie. Vielleicht erwecken besondere Situationen bei ihm, aber auch einfach nur ein besonderes Verhalten. Das Geräusch der Stiefel unseres Verfolgers klingen immer wieder in meinen Ohren wieder und sind bald fast das Einzige, was ich höre, während ich zusehe wie Ryder etwas Großes aus dem Spind herauszieht. Ich muss zweimal hinsehen, bis ich realisiere, dass er da gerade eine Armbrust aus seinem Schrank geholt hat. "Wieso hast du hier in der Schule eine Waffe, Ryder? Hast du etwa damit gerechnet?", spreche ich laut das aus, was ich denke. Anstatt zu antworten, schiebt er sich einfach einen Köcher, der mit mehreren Pfeilen gespickt ist, über die Schulter und schlägt die metallene Spindtür zu. "Ich werde dir später alles erklären, Katy, aber jetzt gerade hast du dir echt einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um Fragen zu stellen. Du weißt, dass ich niemals etwas tun würde, was nicht gut für dich ist, also vertrau mir und mach was ich sage", einerseits klingt er sanft und verständnisvoll, doch andererseits ist seine Stimme laut und auch ermahnend. Sofort nicke ich: "Du hast ja Recht. Ich werde meine Fragen später stellen. Also los. Bring uns hier raus!"

 

Schnell spannt er einen Pfeil in die Waffe ein und zieht mich um eine Ecke, sodass unser Angreifer nicht sehen kann, wo wir uns verstecken, während wir ihn ganz deutlich sehen können.

 

Er trägt dunkelgrün-braune Kleidung und eine lange, weiße Narbe zieht sich quer über sein Gesicht. Ein langer Waffengürtel, in dem mehrere glitzernde Jagdmesser stecken, spannt sich quer über seinen Körper. Sein Anblick bringt meinen ganzen Körper zum Zittern und ich frage mich, was das für ein Mensch ist. Seine Aufmachung erinnert mich stark an einen Jäger, der auf der Jagd nach seiner Beute ist. Wahrscheinlich ist es für ihn aber auch genau das. Eine Jagd, auf der er alle Opfer in Kauf nimmt, egal wie viele es sind.

 

Mit der Befürchtung, dass ich etwas sagen oder irgendwelche anderen Geräusche von mir geben würde, hält Ryder mir den Mund zu. Ich mache mit meinen Fingern ein "Okay" – Zeichen und bedeute ihm damit, dass ich nichts tun werde, was uns in Schwierigkeiten bringt. Deshalb nimmt er seine Hand von meinem Mund und richtet stattdessen seine Waffe auf den Mann. Tief in mir hoffe, ich, dass er weiß wie man sowas bedient, obwohl es falsch ist, sich zu wünschen, dass mein Bruder weiß, wie man jemanden konkret anschießt. Er schließt sein rechtes Auge, um zu zielen, und schaut lässt seine Hand dann weiter zum Abzug gleiten. Gerade als der Gegner stehen bleibt, drückt er ab und der Pfeil saust zischend auf den riesenhaften Mann zu. Dieser merkt es zu spät, weshalb er keine Zeit mehr hat in Deckung zu gehen wird. Als ein lauter Schrei und ein leises Knacken ertönen, weiß ich ohne überhaupt hinzusehen, dass sich der Pfeil in sein Knie gebohrt hat. Dann überwinde ich mich doch hinzusehen und starre auf den Mann, der am Boden kniet. Blut schießt aus seiner Wunde und bereitet sich in Sekundenschnelle auf dem Boden aus.

 

Mit der Situation komplett überfordert, folge ich Ryder einfach wortlos ohne irgendetwas von mir zu geben oder mich zu wehren. Ich will dem Mann helfen, obwohl ich weiß, dass er böse ist und es vielleicht auch nicht verdient hat, aber Ryder zieht mich so schnell mit sich, dass ich mich nicht einmal mehr umdrehen will.

 

Erneut weiß ich nicht wie lange wir durch die Gänge hetzen, doch irgendwann kommen wir an eine Tür, über der ein grünes Schild hängt, welches darauf hindeutet, dass dies ein Notausgang ist. Ohne lange zu überlegen, drückt mein Bruder die Klinke hinunter und stößt die Tür auf. Zu meiner Überraschung befindet sich dahinter kein neuer Raum, sondern ein Weg zum Wald, welcher sich in hinter unsere Schule befindet und die ganze Stadt umschließt. "Woher weißt du, dass wir hierher mussten?", frage ich in der Hoffnung wenigstens dieses Mal eine Antwort zu erhalten, obwohl ich mich bereits für eine neue Ablehnung wappne. Entgegen meiner Erwartungen, antwortet er überraschenderweise, als er mich über den Weg zum Waldrand führt: "Ich nehme diesen Weg manchmal, wenn ich in den Wald will." "Und warum willst du in den Wald?", nun hat er mich neugierig gemacht. "Entspann dich, Katy! Deine restlichen Fragen beantworte ich dir später. Das hier war nur eine Ausnahme!"

 

Verspielt verdrehe ich die Augen, als wir am Rand des Waldes ankommen, doch er wird wieder ernst und legt eine Hand auf meine Schulter: "Ich muss mich jetzt von dir verabschieden, Schwesterherz." Es fühlt sich an, als hätte mir jemand seine Faust in die Magengrube gerammt: "Was? Wie meinst du das?" "Ich werde hier am Waldrand bleiben und dich von hier aus beschützen, während du weiter gehst", erklärt er sanft und lächelt mich aufmunternd an. Ich selbst will davon jedoch rein gar nichts hören: "Vergiss es! Ich gehe hier ohne dich nicht weg." Ein wenig genervt seufzt er:"Du musst es tun. Später, wenn Cameron, Claire und ich dir alles erklärt haben, wirst du es verstehen, aber jetzt musst du mir einfach ..." "... Vertrauen", beende ich schnell seinen Satz: "Weißt du eigentlich wie oft du das heute schon gesagt hat. Irgendwann reicht es auch mal. Sag mir einfach, was los ist." "Nein, das kann ich nicht. Dann nur Cameron tun", erwidert er und klingt nun ein leicht verzweifelt. Na toll, wieso hat ausgerechnet Cameron die Antworten auf meine Fragen? Das ist unfair! Tja, Karma is a Bitch, Schätzchen!

 

Als er mich jedoch flehend anblickt und mir zeigt, wie ernst es ihm ist, akzeptiere ich, dass es für meinen Bruder sehr wichtig ist und dass es scheinbar sein muss, obwohl ich nicht sicher weiß wieso. Deshalb seufze ich ein wenig lauter als gewollt und ziehe den Jungen dann in eine kurze, liebevolle Umarmung, um ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn liebe und wie viel er mir bedeutet, egal wie oft wir uns streiten. Leise flüstere ich in sein Ohr: "Pass auf dich auf, ja?" "Ich verspreche es", flüstert er zurück: "Und du weißt ja, dass ich meine Versprechen nie breche." Seine Worte lösen in mir eine tiefe Befriedigung aus und sorgen dafür, dass ich mich gleich viel sicherer fühle, als wir uns voneinander lösen: "Na gut, was soll ich also tun?" "Lauf einfach immer weiter nach Norden in den Wald hinein und bleib dann irgendwann stehen, wenn du denkst, dass du weit genug drinnen bist. Wir werden dich schon finden. Mach dir da keine Sorgen", erklärt er mir und versucht dabei sachlich zu wirken, doch seine Stimme zittert kaum merklich. "In Ordnung", erwidere ich, um es ihm ein wenig leichter zu machen: "Wir sehen uns dann später." Doch insgeheim denke ich mir nur:"Wehe ich verhungere im Wald, weil ihr mich nicht abholt!", sage es aber nicht, um den Moment nicht zu zerstören. Dann drehe ich mich um, nachdem ich noch einmal tief Luft geholt habe und laufe, bestärkt durch meinen Bruder, in den Wald hinein ohne mich nochmal umzudrehen, weil ich dann wahrscheinlich stehen geblieben und bei meinem Bruder geblieben wäre. Es fühlt sich falsch an ihn hier alleine zu lassen, aber ich hoffe einfach tief in mir, dass er recht hat und dass es das Beste für mich ist, obwohl ich nicht sicher bin, ob es das wirklich ist. Hoffentlich wird Cameron mich wirklich finden und nach Hause bringen, sonst spreche ich kein Wort mehr mit ihm.

 

Kapitel 22

Das Leuchten der Sterne erhellt meine Umgebung. Der Baumstumpf, auf dem ich sitze, fühlt sich unter meinem Po hart und nass an. Am liebsten würde ich mich irgendwo anders hinsetzen, aber sonst bleibt mir nur der Boden und da ist ein Baumstumpf doch irgendwie besser. Je mehr Zeit vergangen ist, desto kälter ist es geworden und nun zittere ich regelrecht. Hoffentlich kommen mich Cameron oder mein Bruder bald holen, sonst erfriere ich hier noch. Außerdem hat es leicht zu nieseln begonnen, weshalb meine Kleidung bereits ein wenig feucht ist. Meine Arme und Beine zittern vor Kälte leicht und Zähne klappern.

 

Wenn ich im Nachhinein genauer über die ganze Situation nachdenke, hätte ich auf jeden Fall zu Hause bleiben sollen. Zwar hätte ich dann nicht mit Cameron tanzen können, was zugegebenermaßen schön war, aber ich würde hier jetzt auch nicht sitzen und mir Sorgen um all die Leute machen, die ich so sehr liebe und auf keinen Fall verlieren will. Bei dem Gedanken daran wie es Morgan, Kyle und all den anderen gerade gehen muss und in welcher Situation sie sich befinden, wird mir total schlecht und ich fühle mich mies, weil ich sie im Stich gelassen habe.

 

Eine meiner Hände halte ich auf meinen Oberarm gepresst, der seit dem Angriff unerträglich stark schmerzt. Wenn ich die Schmerzen mal einschätze, könnte er geprellt oder verstaucht sein. Einen blauen Fleck wird es aber auf jeden Fall geben. Auch mein Kopf tut weh, nachdem ich auf dem Boden gelandet bin, doch all diese Schmerzen sind mir erst aufgefallen, als das Adrenalin meinen Körper nicht mehr durchströmte und meine Atmung sich verlangsamte.

 

Am liebsten würde ich einfach aufstehen und irgendwie durch den Wald nach Hause gehen, aber ich habe es meinem Bruder versprochen und er wird sich nur noch mehr Sorgen machen, wenn ich plötzlich verschwunden bin. Zwar habe ich keine Ahnung wie sie mich hier, tief im Wald, finden wollen – schließlich hat ja keiner von ihnen irgendeinen besonders starken Geruchssinn -, aber ich vertraue darauf, dass sie das schon irgendwie schaffen werden. Sonst hätte Ryder mich auch sicher nicht hierhergeschickt, wenn er Angst haben müsste mich zu verlieren.

 

Plötzlich höre ich ein leises Knacken vor mir und hebe ruckartig meinen Kopf. Was war das? Unsicher blicke ich umher und suche nach der Quelle des Geräusches, doch es ist nichts zu sehen. Ängstlich stehe ich auf, um gegebenenfalls abhauen zu können.

 

Auf das Knacken folgt dann auf einmal ein lautes Knurren und schneller als ich gucken kann, springt etwas Schwarzes, wie vom Blitz getroffen, auf mich zu. Schreiend taumele ich nach hinten, bis ich mit den Füßen gegen den Stumpf stoße und zitternd stehen bleibe. Ängstlich schaue ich auf das Dingen vor mir, welche ich nun besser erkennen kann.

 

Vor mir steht auf allen vieren ein riesiger, bedrohlich knurrender Wolf. Seine braunen Augen leuchten gefährlich und seine Pfoten hat er nur wenige Zentimeter vor mir in den Boden gestemmt. Die weißen Zähne hat er gefletscht und ein wenig Spucke läuft ihm aus dem Mond.

 

So gut ich kann, versuche ich mein, viel zu schnell schlagendes, Herz zu beruhigen und leiser zu atmen, damit meine Angst nicht allzu offensichtlich ist. Langsam beginne ich mich wirklich wie die verängstigte Beute zu fühlen und würde am liebsten reiß ausnehmen.

 

Gerade als ich mir einen Plan zu machen beginne, um zu flüchten, verwandelt sich innerhalb von einer Sekunde in etwas ganz anderes. Mir stockt der Atem, als ich erkenne, dass der Wolf, der gerade noch vor mir stand, sich in einen Menschen verwandelt hat.

 

Ein lauter Schreckensschrei entflieht meiner Kehle und ich taumele nach hinten, als ich realisiere, dass sich dieser Wolf gerade in einen tatsächlichen Menschen verwandelt hat, und falle über den Baumstumpf hinter mir.

 

Mit dem Rücken zuerst schlage ich auf dem Boden auf. Durch den Aufprall wird all die Luft, die sich gerade in meiner Lunge befunden hat, aus meiner Brust herausgepresst und ich beginne wie wild nach Luft zu ringen. Wahrscheinlich sehe ich gerade total bescheuert aus, aber das ist mir in diesem Moment egal. Wahrscheinlich liege ich noch ohnmächtig auf dem Boden in der Schule und träume all das hier nur. Es muss ein Traum sein! Meine Augen halte ich fest zusammen gekniffen und wage mich nicht sie zu öffnen. Auf keinen Fall will ich der Person, die dort vor mir steht, in die Augen blicken.

 

"Beruhig dich bitte, Kat", ertönt eine sanfte Stimme, die mir mehr als gut bekannt ist. Langsam öffne ich nun doch ein Auge nach dem anderen und blicke geradewegs in Camerons Gesicht, welcher sich besorgt über mich gebeugt hat. Seine Haare sind zerzaust und seine Anzugjacke ist an einer Stelle zerrissen und mit Blut beschmiert. Ist das etwa sein Blut? Vorsichtig streckt er seine Hand aus, um mir vom Boden aufzuhelfen, doch ich zucke zurück und versuche ohne seine Hilfe aufzustehen, doch meine Knochen sind erschöpft und ich kann nicht genug Kraft aufbauen, um mich selbst zu erheben. "Ach komm schon, Kat. Lass dir von mir helfen", er hält mir seine Hand weiterhin hilfsbereit hin. Da ich selbst weiß, dass ich Hilfe brauche, lege ich meine eigenen, zitternde Hand in seine, woraufhin er mich zu sich hoch zieht.

 

Als ich endlich wieder auf meinen Füßen stehe, finde ich endlich auch meine Stimme wieder: "Bitte, sag mir, dass ich träume." Er muss grinsen: "Ich zweifle zwar nicht daran, dass du von mir träumst, aber das hier ist die Realität, Kat." Erneut stehe ich kurz vor einer Panikattacke: "Das heißt ...das heißt, dass da gerade wirklich ein Wolf war?" Vorsichtig nickt der Junge vor mir: "Ja, aber das war nicht irgendein Wolf. Ich war es, Kat." Mein Atem stockt. Also war er es wirklich? "Wie kann das möglich sein?", frage ich fast flüsternd. "Bitte, beruhig dich, Katy", sanft legt er eine Hand an mein Gesicht und streicht mir mit der Anderen eine Strähne aus dem Gesicht: "Ich werde dir alles erklären, aber jetzt müssen wir erst mal hier weg."

 

Seine Bitte ignorierend, drehe ich mich um und will durch den Wald vor ihm weglaufen, aber so schnell er kann, stoppt er meine Flucht. Sanft packt er mein Handgelenk und zieht mich, schneller als ich gucken kann, an sich. Ich beginne ihn, so fest ich kann, mit meinen Fäusten zu boxen, doch er lacht nur, was mich noch verzweifelter macht. Seine Brust drückt sich gegen meine und ich kann sein laut schlagendes Herz hören. Das Geräusch beruhigt mich und sorgt wenigstens dafür, dass mein Fluchtinstinkt, der in diesem Moment sehr stark ist, ein wenig nachlässt. Auch meine Verzweiflung wird mit der Zeit immer kleiner. "Bitte bleib hier, Kat", er klingt fast bettelnd: "Ich werde dir nichts tun. Vertrau mir!"

 

Nachdenklich lehne ich mich ein wenig gegen den Arm, den er um meine Taille gelegt hat, um mich an sich zu ziehen: "Na gut, ich höre dir zu, aber du musst versprechen, dass du ehrlich zu mir bist." "In Ordnung, kann ich dich jetzt loslassen oder rennst du sofort wieder weg?" Ein wenig beleidigt sehe ich ihn an: "Nein, werde ich nicht. Ich bleibe hier." Einige Sekunden blickt er mich nachdenklich und sanft zugleich an, lässt mich dann aber doch los.

 

Tief atmend lasse ich mich zurück auf den Baumstamm fallen und stütze meinen Kopf auf die Hände: "Dann fang mal an."

 

Kapitel 23

Cameron lässt sich vor mir auf die Knie fallen und legt seine Hände auf meine eigenen Knie. Mit seinen tiefgründigen braunen Augen, mustert er mich: "Okay, wo fange ich an?" "Am besten am Anfang", schlage ich sarkastisch vor. Ein wenig beleidigt verdreht er grinsend die Augen: "Das habe ich mir wohl gedacht." "Okay, dann fang damit an, dass du gerade noch ein Wolf und jetzt plötzlich ein Mensch bist", schlage ich erneut vor und meine es dieses Mal ganz ehrlich. "Was denkst du denn, was ich bin?", fragt er interessiert und lässt sich dann schwerfällig auf den Boden fallen. "Keine Ahnung! Ein Werwolf?", spaße ich grinsend, doch als er nicht zu lachen beginnt, sondern ernst drein blickt, schaue ich fragend: "Ist was?" "Na ja, du scheinst sehr gut im Raten zu sein", setzt er an. "Du bist ein Werwolf?", frage ich ein wenig geschockt. Still nickt er. Eigentlich hätte ich mir das schon denken können, aber wahrscheinlich wollte ich das einfach nicht wahr haben. "Genau", erwidert er und sieht mich fragend an: "Das muss für dich jetzt ein wenig viel auf einmal sein, aber bitte hör mir erst zu Ende zu."

 

Er hat Recht. Das ist gerade schon ein bisschen viel, aber ich habe mir vorgenommen bis zum Ende zuzuhören und mit dem, was ich mir vorgenommen habe, werde ich jetzt nicht brechen. "In Ordnung. Weiter", bitte ich. So schnell es geht, will ich alles erfahren. Fast wie ein Pflaster, welches viel weniger weh tut, wenn man es schnell abzieht, als wenn man lange wartet: "Ich will alles wissen!"

 

Für einen kurzen Moment scheint er ein wenig überrascht zu sein, da er wahrscheinlich nicht damit gerechnet hat, aber dann lächelt er mich dankbar an: "Claire, meine Zwillingsschwester, ist auch ein Werwolf."

 

Ich schlucke. Sie ist also auch halb Mensch und halb Wolf. In den ersten Sekunden will die Information erst gar nicht in meinen Kopf hinein. Schon mein ganzes Leben lang, sind meine Nachbarn Werwölfe und ich habe es nie mitbekommen. Wie konnte ich das nicht merken? Schließlich waren Cameron und ich ja früher ziemlich gut befreundet. "Weiß Ryder, dass seine Freundin ein halber Wolf ist?", frage ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken kann. "Ja, Claire hat es ihm sofort gesagt, als sie zusammen gekommen sind. Seitdem hilft er uns schon lange bei Sachen, die das Rudel betreffen und ist mittlerweile sowas wie ein Freund des Rudels geworden", erklärt er langsam, damit ich auch alles höre, was er sagt. Damit hatte ich schon gerechnet, denn es erklärt auch, weshalb Ryder mich aus der Schule gebracht hat und rechtfertigt wenigstens ein Stück weit, dass er eine Armbrust in seinem Spind hat, obwohl ich mir nicht sicher bin, wie ich das finden soll. "Wieso hast du mich nie eingeweiht?", frage ich ein wenig atemlos. Er hätte so viele Jahre Zeit gehabt, um mir all das zu erzählen. Dann hätte auch ich ihnen helfen können und vielleicht wären wir nie in die Situation geraten, in der wir jetzt sind: "Weiß Ashley es auch?" Fast entfährt ihm ein lautes Lachen: "Ja, aber es war nicht nötig es ihr zu erzählen." "Wie meinst du das?", ich verstehe nur Bahnhof. "Auch Ashley ist ein Werwolf, aber darum geht es nicht. Sie ist Geschichte", seine Worte erschrecken mich. Wie kann er so schnell sowas sagen? Schließlich ist es noch nicht lange her, dass sie noch ein glückliches, wenn auch fieses, Paar waren. "Wieso? Was ist geschehen, dass ihr nicht mehr zusammen seid?", stelle ich die Frage, die mir auf der Zunge brennt.

 

Er lässt seinen Kopf seufzend in den Nacken fallen: "Weißt du, Katy, für jeden Werwolf gibt es nur einen Menschen, der ihn glücklich machen kann. Wir nennen sowas Mate! Ein Werwolf kann seine Mate finden, sobald er achtzehn ist." Als er aufhört zu sprechen, fällt bei mir der Groschen. Deshalb hat er diese Party veranstaltet. Er hat einfach alle Leute auf der Schule eingeladen in der Hoffnung, dass seine Mate unter den Gästen ist. Mit Ashley hat er dann Schluss gemacht, weil er gemerkt hat, dass sie nicht seine Mate ist. "Das heißt, Ashley war es nicht, sonst wärst du jetzt noch mit ihr zusammen", theoretisiere ich: "Aber wer ist dann deine Mate?"

 

Grinsend verdreht er seine Augen: "Denk nach, Kat. Es ist doch mehr als offensichtlich!" Unsicher schaue ich ihn an: "Nein, ist es nicht. Raus mit der Sprache!" "Oh man, Katy! Du bist meine Mate", lacht er ohne seinen Blick von mir abzuwenden: "Wir sind für einander bestimmt und ich liebe dich!" Ich kann mich nicht zurückhalten und breche sofort in schallendes Gelächter aus: "Das glaube ich dir nicht." Geschockt starrt er mich an: "Was? Wieso nicht." "Du hast mich so lange so mies behandelt und jetzt meinst du, dass du mich liebst? Niemand kann sich so schnell verlieben."

 

Zwar ergibt es Sinn, wenn man bedenkt, wie komisch er sich immer benommen hat, aber trotzdem glaube ich nicht, dass er sich plötzlich in mich verliebt haben kann.

 

"Doch, Kat", bestätigt er: "Deshalb sind heute auch diese Sachen auf dem Ball passiert." Geschockt starre ich ihn an: "Was? Wie kann ich daran schuld sein?" "Also, du bist nicht direkt schuld", versucht er mich zu beruhigen: "Sagen wir einfach, dass diese Leute hinter dir her sind, weil du eben meine Mate bist, aber den Rest werde ich die erklären, wenn du wieder in Sicherheit bist. Erst mal müssen wir hier weg, sonst war alles um sonst."

 

Trotzig verschränke ich meine Arme vor der Brust: "Nein, ich will erst alles wissen. Und zwar sofort, Cameron!"Ohne etwas zu erwidern, verdreht er einfach nur die Augen und geht auf mich zu. Bevor ich mich wehren kann, schließen sich seine starken Arme um mich. Sanft drückt er mich an seine Brust und hebt mich dann langsam hoch. Sofort protestiere ich: "Hey, lass mich runter. Wir sind hier noch nicht fertig!" "Wir können ja später auch noch weiter reden, aber jetzt bringe ich dich erst in Sicherheit", erklärt er, während ich so fest ich kann mit den Beinen wackle, um mich von ihm zu befreien: "Ich will nicht, dass du verletzt wirst." Seine Worte sorgen dafür, dass ich mich ein wenig beruhige und aufhöre mich gegen ihn zu wehren. Er scheint sich wirklich um mich zu sorgen, was mich echt wundert. Zwar ist es mir unangenehm, dass er mich im Brautstile herumträgt, aber meine Vernunft trägt zu und überschattet die Fragen, die sich in meinem Kopf gesammelt habe.

 

Unsicher lehne ich meinen Kopf an seine Brust und lege meinen Arm um ihn: "Wieso bin ich dir auf einmal so wichtig?" Sanft lächelt er mich an: "Du bist meine Mate. Ich liebe dich!" Seine Worte bringen mein Herz dazu schneller zu schlagen. "Wie kannst du mich so plötzlich lieben?", frage ich verwirrt, weil diese Info einfach nicht in meinen Kopf hinein will, dass er, wie er denkt, plötzlich so viel für mich empfindet. "Schon als wir klein waren, hatte ich für dich mehr Gefühle, als für eine normale Freundin, aber dann bin ich mit Ashley zusammen gekommen, weil alle davon ausgegangen sind, dass sie meine Mate ist." "Oh, also hast du sie nicht geliebt?", frage ich vorsichtig. "Am Anfang nicht, aber irgendwann dann schon und sie hat mich beeinflusst, weil sie wusste, dass ich dich noch mag", gibt er zu. "Es fällt mir schwer das zu glauben. Keiner fängt an jemand anderen so zu mobben, wie du es getan hast, nur weil er beeinflusst wurde", zweifle ich. Er nickt: "Ja, da hast du Recht. Irgendwann habe ich tatsächlich geglaubt, dass du all das bist, was Ashley und ich über dich gesagt haben." "Wieso glaubst du das jetzt nicht mehr?", ich klinge skeptischer als gewollt. "Du bist meine ganz persönliche Droge, Kat. Nur mit dir kann ich glücklich sein", sagt er verträumt: "Und ich liebe dich!"

 

Kapitel 24

Sanft lässt mein Nachbar mich, gegen meinen Willen, auf das moosgrüne Sofa im Wohnzimmer seines Hauses fallen. Zwar hatte ich ihn darum gebeten mich einfach nur nach Hause zu bringen, aber er hat nicht auf mich gehört, sondern darauf bestanden, dass ich mit zu ihm komme, damit ich mich bei ihm ausruhe, bis ich nachgeben habe. Er musste mir aber versprechen, dass ich wenigstens meine Eltern anrufen kann. Zwar weiß ich, dass er recht damit hat, dass ich lieber mit zu ihm kommen sollte, da meine Eltern sicher unangenehme Fragen stellen würde, aber trotzdem möchte ich nicht, dass meine Eltern und mein besonderes mein Bruder sich Sorgen machen.

 

Auf dem weichen Sofa zu liegen, ist viel besser als auf im Wald auf irgendwelchen Baumstämmen zu sitzen. Cameron lässt mich los und hockt sich vor mich: "Hast du hunger?" Kurz überlege ich und merke, dass ich tatsächlich hungrig bin. Erschöpft lasse ich meinen Kopf in eines der schwarzen Kissen fallen und seufze laut: "Ja, einen Bärenhunger." "Gut, dann mache ich dir eben etwas zu essen. Bitte bleib liegen", schnell verschwindet er in die Küche, die direkt an das Wohnzimmer anschließt. "Wo ist das Telefon?", frage ich laut, doch er antwortet nicht. Genervt verdrehe ich die Augen und mache mich mit den Augen selbst auf die Suche nach dem Telefon, da ich mein Handy zu Hause gelassen habe, was im Nachhinein eine echt blöde Idee war.

 

Fast will ich aufgeben, da sehe ich das Telefon auf einem kleinen Tisch, der etwa eine Armlänge von dem Sofa, auf dem ich mich gerade befinde, entfernt ist. Ehrgeizig strecke ich meine Hand aus, um an das Telefon zu gelangen und schaffe es auch fast geschafft, da stelle ich fest, dass mein Arm zu kurz ist. Verzweifelt versuche ich mich zu strecken, um auch die letzten paar Millimeter zu überwinden, doch ich bin einfach zu klein. Oh man, mein Leben hasst mich echt. "Was machst du da?", fragt Cameron. Erschrocken fahre ich herum und blicke ihn überrascht an. "Wow, du guckst gerade wie ein Auto", stellt er grinsend fest und stößt sich vom Türrahmen ab, an den er sich bis gerade gelehnt hat. In der Hand hält er einen Teller mit einem Sandwich, welches zugegebenermaßen ziemlich lecker aussieht, darauf. Schnell versuche ich mein Gesicht irgendwie wieder normal zu machen und setze mich wieder normal hin: "Ist das für mich?" "Nein", sagt er knapp und kommt dann auf mich zu. Ich schmolle ein bisschen, weil ich dachte, dass er mir etwas machen wollte. Er stellt den Teller auf dem Couchtisch vor uns und hebt dann meine Beine hoch, um sich auch hinzusetzen. Dann lässt er meine Beine wieder fallen und nimmt sich denn Teller. Doch anstatt sich das Brot wirklich in den Mund zu schieben, gibt er den Teller an mich weiter: "Das war nur ein Scherz. Natürlich habe ich das für dich gemacht, Kat." Ich kann nicht anders, als zu grinsen. Wie schafft er es immer wieder mich aus der Fassung zu bringen? Beim ihm ist bald echt schon ein Talent!

 

"Kannst du eigentlich nur Sandwiches oder auch richtige Sachen?", frage ich, um ihn ein bisschen zu necken. Beleidigt blickt er mich an und tut mir sogar fast leid. Sein schmollender Blick bringt mich erneut zum Lachen, weshalb ich schnell zu essen beginne, um mein Lachen zu unterdrücken und meinen Hunger zu stillen. "War nur ein Scherz", nuschele ich aber dann: "Sandwiches sind klasse." Er beginne aus seiner vollen Unterlippe herumzukauen und ich wende schnell den Blick ab, damit es nicht so aussieht, als würde ich seine Lippen anstarren. Schließlich weiß ich echt nicht, was er darein interpretieren würde.

 

"Willst du Milch?", fragt er. Als ich ihn wieder aufsehe, fällt mir sein verschmitztes Grinsen aus. "Wenn du dir dieses gruselige Grinsen aus dem Gesicht wischst, nehme ich gerne welche", sage ich deshalb und grinse ihn frech an, weil ich weiß, dass ihn das zur Weißglut bringen wird. Diese kleinen Neckereien sind einfach wunderbar und erinnern mich an unsere Vergangenheit. Schließlich tun wir das schon seit wir Kinder sind.

 

Ich erinnere mich sogar an ein Video von uns als Kleinkinder, da lagen wir auf unserer Spieldecke und ich ihn mit seiner eigenen Rassel auf den Kopf haue. Das schauen Ryder und ich uns sogar manchmal immer noch an - spätestens an Weihnachten - und mit sechzehn haben Morgan und ich daraus zusammen ein Gif gemacht, welches wir uns immer schicken, wenn der jeweils andere traurig ist, weil man einfach lachen muss, wenn man das sieht. Traurig sein ist nicht mehr möglich, wenn man sich das angesehen hat.

 

Sofort hört er auf zu grinsen: "Okay, die Milch ist im Kühlschrank und die Gläser stehen in dem Schrank über dem Herd." Sprachlos sehe ich ihn an: "Du hast mir doch Milch angeboten. Wieso muss ich dann losgehen?" "Guck, ich weiß auch wie man ärgert", grinst er und steht dann auf, um in der Küche zu verschwinden. Grinsend drehe ich die Augen. Auch ohne seine kleine Demonstration hätte ich gewusst, dass er perfekt weiß, wie man andere Leute ärgert. Das habe ich ja lange genug zu spüre bekommen.

 

Nachdem ich den Geräuschen, die mein Nachbar verursacht hat, gelauscht habe, kommt er mit einem Glas Milch zurück zu mir. Er reicht es mir und setzt sich dann wieder hin: "Wie geht's dir eigentlich, nachdem du all das erfahren hast?" Kurz überlege ich: "Ehrlich gesagt habe ich das alles noch gar nicht realisiert. Wahrscheinlich werde ich morgen eine Panikattacke bekommen." "Wahrscheinlich", erwidert er nickend: "Willst du deine Eltern jetzt anrufen oder noch ein bisschen warten." "Kann ich ihnen mit meinem Handy schreiben? Ich habe wenig Lust darauf, dass meine Mom mich anschreit, weil ich nicht rechtzeitig zu Hause war", gebe ich zu und schaue ihn flehend an. "Klar", er zückt sein Handy und reicht es mir dann.

 

Mit flinken Fingern tippe ich die Nummer und dann die Nachricht ein. Ich überlege nicht lange, weil ich dann wahrscheinlich irgendwas Dummes schreiben und mich dann in die Situation verstricken würde.

 

Als ich fertig bin, gebe ich es ihm zurück: "Kann ich wenigstens kurz zu mir rüber gehen und mir neue Sachen holen gehen, wenn du unbedingt darauf bestehst, dass ich hier bleibe." "Nein, du kannst meine oder die meiner Schwester haben", sagt er stattdessen und sieht mich mahnend an. Ich verdrehe die Augen, willige dann aber ein, um keinen Streit vom Zaun zu brechen: "Willst du dann auch, dass ich hier schlafe?" "Ja, auf jeden Fall", erklärt er: "Das ist sicherer für dich, während das Rudel unsere Feinde bekämpft. Ich will einfach kein Risiko eingehen, wenn es um dich geht." Von seinen Worten überrascht, fange ich keinen Streit an, sondern stehe vom Sofa auf:"Okay, dann gib mir mal die Sachen, die ich anziehen kann." Zufrieden lächelnd steht er auf und verschwindet die Treppe hinauf. Kopfschüttelnd folge ich ihm. Was hat mir das Schicksal da nur für eine schwierige Aufgabe gegeben?

 

Kapitel 25

Mit einem schwarzen T-Shirt, welches Cameron gehört und mir viel zu lang ist, und einer kurzen Schlafhose in der gleichen Farbe, die eigentlich Claire gehört. Meine Füße habe ich nur mit Socken bekleidet, die gar nicht dazu passen. Die Sachen, die ich auf dem Ball getragen habe, habe ich in Camerons Zimmer gelassen, obwohl ich mein Kleid sowieso sofort in die Tonne kloppen konnte.

 

Unsicher komme ich die Treppe hinunter und entdecke Cameron, der auf dem Sofa sitzt und an seinem Handy herum hantiert. Interessiert steige ich langsam weiter die Treppe hinunter, um ihn nicht zu stören und bleibe dann am Treppenabsatz stehen. Mit meinem Ellenbogen stütze ich mich auf das Geländer und betrachte den Wolfsjungen.

 

Verbissen tippt er auf dem Display herum und flucht hin und wieder laut, was mich zum Lachen bringt, weil manche der Flüche einfach lächerlich klingen. Irgendwie süß ist er aber schon. Nein, Schätzchen. Diese Gedanken sind falsch!

 

Langsam und so leise ich kann, gehe ich auf ihn zu und stütze mich rechts und links von seinen Schultern ab. Als er nichts merkt, weil er so sehr auf sein Handy konzentrier ist, lehne ich mich mit dem Kopf über seine Schulter bis zu seinem Ohr und erschrecke ihn: "Buh!" Er erschreckt sich so sehr, dass er fast sein Handy fallen lässt und schaut mich dann verärgert an: "Oh man, Kat. Was sollte das denn?" Ich grinse belustigt über seine Reaktion und erwidere nichts. Sanft spüre ich seinen Atem auf meinem Gesicht und erst jetzt fällt mir auf, wie nah unsere Gesichter in diesem Moment aneinander sind. Auch Cameron scheint es gemerkt zu haben, denn er bewegt sein Gehirn immer weiter zu meinem. Genau in dem Moment, in dem seine Stirn fast meine berührt, zucke ich zurück und gehe ums Sofa herum, um mich dann, genau neben Cameron darauf fallen lassen. Entspannt lege ich meine Beine wieder um seinen Schoß und lasse den Kopf in den Nacken fallen:"Und? Wie steht mir dein Shirt?" "Gut", sagt er und legt sein Handy auf den Tisch. Für einen kurzen Moment betrachtet er mich nachdenklich und zieht dann sanft an meinen Socken:"Wehe du stinkst meine Socken voll, Kat." "Ach, wenn du die getragen hast, sind die ja schon einiges gewöhnt", necke ich amüsiert.

 

Kaum merke ich, wie mein Ärmel nach oben rutscht, doch Cameron bemerkt es sofort und schaut mich verwundert an: "Was hast du da an der Schulter, Kat?" Nun bemerke ich es auch und schiebe den Ärmel schnell nach unten: "Was meinst du? Da ist nichts?" Natürlich habe auch ich den großen lilafarbenen Fleck, der sich auf meiner Schulter ausbreitet, gesehen als ich vorhin in den Spiegel geschaut habe, aber ich hatte trotzdem gehofft, dass Cameron es nicht sieht, sodass ich mich, wenn ich wieder zu Hause bin, selbst darum kümmern kann. Wenn er mich, wie er sagt, nämlich wirklich liebt, wird er mich nicht einfach abwarten lassen, bis alles wieder verheilt ist, sondern total durchdrehen. Zwar schmerzt meine Schulter fürchterlich, aber eine Schmerztablette wird mir wenigstens für heute die Schmerzen nehmen, bis ich dann morgen zum Arzt gehe. Doch Cameron scheint das nicht einfach hinnehmen zu wollen.

 

Sanft zieht er mich auf seinen Schoß und sieht mir tief in die Augen:"Ich erkenne es, wenn du lügst, Kat." Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich versuche mich von ihm runter zu bewegen, doch er legt seine Hände an meine Hüften, um mich auf sich zu halten. Wegen all des Körperkontaktes beginne ich leicht zu schwitzen. Merkt er nicht, wie unangenehm mir das ist? Ohne seinen Blick von meinem Gesicht abzuwenden, legt er eine Hand an mein Handgelenk und lässt seine Finger dann meinen Arm hinauf gleiten. Sofort bekomme ich eine Gänsehaut. Dann ist er bei meinem Ärmel angekommen und schiebt ihn nach oben, bis meine ganze Schulter frei liegt. Vorsichtig bewegt er seine Finger auf die große lilane Stelle und wartet meine Reaktion ab. Ich zucke vor Schmerzen zusammen und stoße einen leisen Fluch aus. Nun wendet er seinen Blick doch von meinem Gesicht ab und widmet sich nun meiner Schulter. Bei dem Anblick verengen sich seine Augen und ich sehe genau, dass er gerade am liebsten ausrasten würde. "Das sieht gar nicht gut aus, Kat", stellt er fest und versucht dabei so neutral wie möglich zu klingen, doch ich sehe, wie sehr ihm, das zu schaffen macht. "Ich weiß", gebe ich zu: "Ich wollte heute eine Tablette nehmen und morgen dann zum Arzt gehen." Kurz überlegt er: "Ich glaube, ich habe da eine viel schnellere Lösung. Geh mal von mir runter!" Erleichtert darüber, dass ich endlich wieder auf dem normalen Sofa sitzen darf, lasse ich mich auf den grünen Stoff zurückfallen und folge mit meinen Blicken Cameron, der schon wieder in die Küche verschwindet. Heute scheint das echt sein Liebling Ort zu sein!

 

Automatisch runzele ich die Stirn, als ich mit welchen Gegenständen in den Händen er zurückkommt, sage aber nichts, weil ich zu neugierig darauf bin, was er vorhat. Ich sehe zu wie er sich vor mir auf die Knie fallen lässt und den Ärmel erneut nach oben rollt, um wieder eine gute Sicht auf meine Schulter zu erhalten. Seine Hilfsmittelchen hat er auf dem Tisch abgestellt und wirkt fast wie ein Arzt, als er meine Haut nun ganz fachmännisch beäugt. Ohne seinen Blick zu heben und mir ins Gesicht zu schauen, nimmt er ein Glas mit einem widerlich riechenden, grünen Gemisch vom Tisch und recht es mir:"Trink das bitte." Skeptisch rieche ich einmal daran, bereue es aber sofort und würde meine Tat am liebsten rückgängig machen. So etwas Schreckliches habe ich noch nie zuvor gerochen. "Ich will das nicht trinken", murre ich und halte mir die Nase zu. Genervt starrt er mich an: "Los jetzt, runter damit!" Hin- und hergerissen kaue ich auf meiner Lippe herum und überlege, was ich jetzt tun soll. Letztendlich komme ich zu dem Entschluss, dass Cameron mich, wahrscheinlich, nicht vergiften, sondern mir nur helfen will - was ich stark hoffe -, weshalb ich mir die Nase zuhalte und das Gesöff in mich hinein kippe. Im ersten Moment schmeckt es gar nicht so schlecht, doch als ich gerade denke, dass es doch ganz erträglich ist, beginnt es scheußlich zu schmecken und mir fällt fast das Glas aus der Hand, weshalb ich es schnell absetze. Cameron blickt mich vorwurfsvoll an: "Hab dich nicht so. So schlecht schmeckt es schon nicht." Er hat ja gut reden. Wahrscheinlich hat er selbst das noch nie getrunken, sondern irgendwelche besonderen Werwolfheilungskräfte, die ihm das hier ersparen. Doch als der Schmerz in meiner Schulter plötzlich nach lässt, bin ich dankbar darüber, dass ich das Getränk getrunken habe. Überrascht werfe ich einen Blick auf meine Schulter und bemerke, dass der schreckliche lila Farbton durch ein weniger leuchtendes gelb-grün ersetzt wurde. Es wirkt, als wäre eine Woche vergangen in der ein blauer Fleck einfach nur Scheiße aussieht und durch das Endstadium eines Blutergusses ersetzt worden. Zum Test drücke ich vorsichtig auf meine Schulter. Schmerzen tut es zwar trotzdem noch, doch viel abgeschwächter als noch einige Sekunden zuvor. Wie verzaubert starre ich Cameron an und wahrscheinlich steht mein Mund sperrangelweit offen, doch das ist in diesem Moment das, was mich am wenigsten interessiert. Der Junge hat bereits begonnen sanft etwas Salbe aufzutragen und einen Verband um die, ein Stück weit verheilte, Verletzung herumzuwickeln. "Wow, ich will mehr haben", bettele ich, doch Cameron sieht mich ernst an: "Vergiss es. Trink noch ein Glas mehr und du musst automatisch kotzen. Frag deinen Bruder!" Betreten blicke ich ihn an: "Na gut, dann halt nicht. Aber danke trotzdem." Urplötzlich und total unbewusst beginne ich laut zu gähnen. "Müde, Kat?", fragt er und streichelt meine Wange sanft, was mir irgendwie unangenehm ist. "Ja", gähne ich erneut und stehe von der Couch auf. "Willst du heute in meinem Bett schlafen?", fragt er und fügt dann noch hinzu: "Ich schlafe auch hier auf dem Sofa, wenn du das willst." Kurz denke ich über sein Angebot nach, bis ich dann erkenne, dass es vernünftig und dass ich mich darauf einlassen sollte: "Das klingt tatsächlich gut." "Gut, dann bringe ich dich eben nach oben", er reicht mir seine Hand, welche ich grinsend ergreife. Macht er jetzt etwa einen auf Gentleman?

Kapitel 26

Am Montag geht die Schule einfach ganz normal weiter und es gibt kein anderes Thema als die Geschehnisse der Ballnacht. Jeder hat seine eigenen Theorien und scheint das Bedürfnis zu verspüren sie mit jedem in seiner Umgebung zu teilen, was mich schrecklich nervt, weil ich ja weiß, was das wirklich für Leute waren. Hätte ich es nicht gewusst, wäre ich wahrscheinlich auch so aufgeregt, aber jetzt wo ich die Wahrheit kenne, ist es eher schwierig mich nicht zu verplappern.

 

Es scheint fast so, als würde Zeit mir einen Streich spielen und langsamer laufen als sonst. Jedenfalls fühle es sich so an, als würde der Schultag heute viel langsamer vonstattengehen, weshalb ich besonders glücklich bin, als endlich die Mittagspause anfängt.

 

Morgan habe ich schon den ganzen Tag nicht gesehen, weshalb ich froh bin, als sie sich neben mich auf den Stuhl in der Cafeteria fallen lässt. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem ordentlichen Zopf gebunden und sie blickt mich wach an: "Hey, Katy. Wie war dein Schultag bisher?" Leider haben wir nicht besonders viele Kurse zusammen, weshalb es immer wieder schön ist wenigstens die Mittagspause mit ihr zu verbringen: "Ganz gut, wenn man davon absieht, dass alle nur noch vom Ball reden. Das ist total nervig!" "Was ist denn deine Theorie?", fragt sie mich interessiert und beginnt ihr Essen aus ihrer Tasche zu kramen. "Ich denke, dass es Vampire waren, die uns das Blut aussaugen wollten", grinse ich verspielt und knabbere an meinem Brokkoli herum, der viel zu hart ist. Sie legt den Kopf schief: "Okay, du hast also keine Theorie." "Nein", bestätige ich und komme dann gleich zum Punkt, weil ich will, dass es sie etwas für mich tut: "Wir sind doch Freundinnen, oder?" Sie stöhnt: "Wenn du schon so anfängst, sollte ich lieber schnell abhauen, richtig?" "Ja, eigentlich schon", grinse ich, doch anstatt wirklich zu gehen, schaut meine beste Freundin mich fragend an: "Also? Was willst du?" "Tanz mit mir bitte bei den Cheerleadern vor", bettele ich regelrecht. Überrascht schaut Morgan mich an. Für einen Moment denke ich, dass ich es endlich geschafft habe das schlagfertigste Mädchen, das ich kenne, sprachlos zu machen, doch dann beginnt sie zu stottern: "Was? Ich ...dachte, dass du bei der Schülerzeitung mich machen wolltest." "Ich weiß, aber zu den Cheerleadern wollte ich schon immer und in Bewerbungen für ein College macht sich das auch super", erkläre ich und werfe ihr meinen Welpenblick zu. "Wieso willst du denn unbedingt meine Hilfe?", fragt sie leise und weicht meinem Blick aus. Wieso hat sie damit so ein Problem? "Weil du meine beste Freundin bist und außerdem ausgezeichnet tanzen kannst. Sicher würde es meine Chancen erhöhen, wenn du mir mit den Schritten hilfst und neben mir tanzt", argumentiere ich hartnäckig und lasse meine Freundin damit nicht einfach so durchkommen: "Alleine traue ich mich das nicht." Morgan seufzt: "Ich hasse es aber vor anderen zu tanzen, Katy." "Du tanzt doch auch vor mir", ich schwelge in den Erinnerungen an ihre kleinen Vorführungen, die sie mir gelegentlich da bietet. Sie verdreht die Augen: "Bei dir ist das ja auch was anderes. Wir sind befreundet!" Leider hat sie da Recht: "Dann stell dir eben vor, dass nur wir beide da sind und blende alles um uns herum aus." Ich sehe in ihren Augen, dass ein Denkprozess in ihrem Gehirn beginnt und blicke sie erwartungsvoll an, als sie den Mund aufklappt und dann leise flüstert: "Na gut, ich helfe dir bei den Schritten, aber ob ich dann auch mit dir vortanze, muss ich mir noch überlegen. Deal?" Obwohl ich mir bei meiner Antwort bereits sicher bin, tue ich so, als wüsste ich noch nicht, ob ich ja sagen soll, doch dann höre ich auf ihr etwas vorzumachen und schlage in die Hand ein, die sie mir hingehalten hat: "Deal! Wir treffen uns vor dem Vortanzen und machen dann zusammen einen Tanz, der uns automatisch ins Team katapultiert." Nun muss sie grinsen: "Ich wünschte, das wäre so einfach, aber okay. So machen wir es." Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich lege meine Arme um meine beste Freundin: "Du bist einfach die Beste, Morgan!" "Ich weiß", antwortet sie amüsiert. Gemeinsam brechen wir in herzliches Gelächter aus. Ein Leben ohne meine beste Freundin kann ich mir einfach nicht vorstellen und nicht einmal gegen meine große Liebe würde ich sie eintauschen!

 

Kapitel 27

Unsicher trete ich von einem Fuß auf den anderen und starre immer wieder durch den langen Gang, um die Leute, die vor mir dran sind, zu zählen. Nur noch drei Leute sind vor mir dran und Morgan ist noch nicht da. Zwar hatte sie mir vor einer Stunde noch versichert, dass sie kommen würde, aber nun ist sie echt spät und ich habe Angst, dass sie nicht mehr zu mir stößt. Wir haben die Schritte zwar lange genug zusammen geübt, aber wahrscheinlich werde ich vor Aufregung wieder alles vergessen, wenn sie nicht da ist, um mich zu unterstützen.

 

Die Cheerleaderuniform unserer Schule musste ich schon anziehen, als das Vortanzen begonnen hat, und ehrlich gesagt fühle ich mich in der Kleidung nicht gerade sicherer. Die Kleidung besteht aus einem kurzen, blauen Rock, der am unteren Ende einen weißen Streifen hat, und einem, ebenfalls blauen Oberteil mit der Aufschrift "Legals", dem Namen unsere Schulteams. Während die anderen Teams irgendwelche coolen Tiernamen haben, wie zum Beispiel "Tigers" oder "Bulldogs", ist unser Name irgendwie total lahm und nichts sagend. Meine Haare musste ich oben mit einem Band in den Schulfarben, weiß und blaue, zusammenbinden. In jeder Hand halte ich einen weiß-blauen Pompon, der so gar nicht zu mir passt. Am liebsten würde ich einfach weglaufen und nicht wiederkommen, doch ich weiß leider auch wie wichtig das hier ist, also muss ich es wenigstens versuchen.

 

Die Leute vor mir werden immer weniger und irgendwann stehe nur noch ich da. Meine Angst steigt immer weiter, während meine letzte Konkurrentin sich gerade in der Turnhalle befindet.

 

"Katherine Freeman und Morgan King", als mein Name ertönt, zucke ich überrascht zusammen und verspüre ein festes Ziehen in der Magengrube, als mir bewusst wird, dass Morgan nicht mehr kommen wird. Einerseits bin ich enttäuscht darüber, dass sie mich im Stich gelassen hat, aber andererseits kann ich auch verstehen, dass sie echte Panik davor hat, vor fremden Menschen zu tanzen. Wahrscheinlich hätte ich in ihrer Situation nicht anders gehandelt.

 

Mit schlotternden Knien bewege ich mich langsam in die Halle und starre in den riesigen Raum. Sofort fällt mein Blick auf das weinende Mädchen, welches noch vor wenigen Minuten vor mir in der Schlange war. Ihre Wimperntusche, die sie viel zu dick aufgetragen hat, ist verschmiert und so schnell sie kann huscht sie an mir vorbei.

 

Ashley, die in der Mitte einer Bank sitzt und ein Klemmbrett auf ihr Knie gelegt hat, muss sie schrecklich fertig gemacht haben. Ihre Kolleginnen tragen genau die gleiche Kleidung wie Ashley und auch ich selbst. Sofort erkenne ich Claire, die links neben meiner langjährigen Feindin sitzt und ebenfalls ein Klemmbrett bei sich hat. Sie beurteilen also beide. Meine Chancen erhöhen sich aber wahrscheinlich trotzdem nicht. Langsam bewege ich mich auf die Gruppe zu und stelle mich davor, während das fremde Mädchen die Tür laut hinter sich zu knallt. Am liebsten würde ich es ihr gleich tun und einfach wegrennen, doch jetzt geht das nicht mehr. Jetzt muss ich das, was ich angefangen habe, auch beenden, sonst bin ich ein Angsthase und werde mir immer vorwerfen, dass ich es nicht versucht habe. Das nennt man Ehrgeiz, Schätzchen! Schon wieder verfluche ich diese leise Stimme in meinem Kopf innerlich, versuche mir aber äußerlich nichts anmerken zu lassen.

 

"Katy? Wo ist Morgan?", fragt Claire freundlich, da sie bemerkt zu haben scheint, wie unsicher ich bin, weil Morgan nicht da ist. Gerade als ich den Mund öffnen und sagen will, dass sie nicht gekommen ist, wird die Tür aufgerissen und jemand stolpert unbeholfen in die Halle. Überrascht blicke ich zu dem Mädchen, welches gerade hineingekommen ist und muss zweimal hinschauen, bis ich Morgan erkenne, weil sie in der Uniform so anders aussieht. Ihre schwarzen Haare hat sie in zu einem hohen Zopf gebunden und das weiß-blaue Band darum gebunden, was sie freiwillig sonst nie tut. Schon seit sie klein ist, hat sie einen schrecklichen Hass auf Zöpfe. Sie findet, dass ihr Gehirn dann immer zusammengequetscht wird, was natürlich totaler Quatsch ist.

 

"Ich bin hier", ruft Morgan und kommt zu mir gesprintet. Ein Schauer der Freude überkommt mich und am liebsten würde ich meine Arme um sie schlingen und meine beste Freundin einfach nur abknutschen, weil sie doch gekommen ist, aber das geht nicht, weil wir gerade in sowas wie einer Prüfungssituation sind, obwohl das hier wohl die Unangenehmste seit langem ist. Anstatt sie also in meine Arme zu schließen, lächele ich nur erleichtert und sehe zu wie sie es, nach Luft schnappend, erwidert.

 

"Perfekt, dann können wir ja anfangen", lächelt Claire zufrieden und gibt einer Freundin ein Zeichen, die daraufhin das Lied, welches ich vorher auf einer Liste eingetragen habe, anschaltet. "New Rules", das Lied zu dem wir geübt haben, beginnt sofort.

 

One, one, one, one ...
Talkin' in my sleep at night. Makin' myself crazy

 

Morgan beginnt mit ihrem Teil und kann alles perfekt ohne irgendeinen Fehler zu machen.

 

Wrote it down and read it out. Hopin' it would save me

 

Ich spüre, wie auch mich die Lust einfach darauf loszutanzen überkommt, als mein Part beginnt, und wie sich ein zufriedenes Grinsen auf meine Lippen schleicht, welches Ashley dazu bringt, ihr Gesicht zu verziehen.

 

My love, he makes me feel like nobody else, nobody else. But my love, he doens't love me so I tell myself, I tell myself

 

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich die Tür einen Spalt breit öffnet und jemand wenige Sekunden später hindurchschlüpft. Sofort erkenne ich Cameron, der sich gegen den Türrahmen lehnt und mich interessiert beobachtet.

 

One, don't pick up the phone. You know he's only calling' cause he's drunk and alone. Two don't let him in. You'll have to kick him out again

 

Seine Anwesenheit macht mich nervös, doch ich versuche mich mit aller Kraft nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, was sich ziemlich schwer gestaltet, doch irgendwie bekomme ich es doch hin, bis auch Ashley ihn bemerkt und ihren Blick von uns abwendet, um Cameron zu beobachten.

 

Three, don't be his friend. You know you're gonna wake up in his bed in the morning and if you're under him, you ain't getting over him

 

Zwar versuche ich dagegen anzukämpfen, doch ein wenig Eifersucht macht sich schon in mir breit, als Ashley Cameron mit einem, ziemlich falschen, Lächeln zu winkt und ihm zu zwinkert, doch ich versuche ernst zu bleiben. Sicher ist das ihre Taktik um mich aus der Ruhe zu bringen und nicht mehr. Außerdem empfindet er ja sowieso nichts mehr für die Blondine. Er hat schließlich gestern noch gesagt, dass er mich liebt und, wenn er nicht total sprunghaft ist, wird das wohl auch noch heute so sein.

 

I got new rules, I count' em. I got new rules, I count' em. I gotta tell them to myself. I got new rules, I count' em. I gotta tell them to myself

 

Da jeder nur etwas eine Minute und zwanzig Sekunden Zeit hat, schaltet Claires kleine Helferin das Lied wieder aus, nachdem wir unseren Tanz beendet haben. Mit aller Kraft versuche ich nicht Ashley einzugehen, die all ihre Kraft darauf verwendet meinen Nachbarn auf sich aufmerksam zu machen, was überraschend schlecht klappt, weil er sich ohne Unterbrechung auf unseren Tanz konzentriert hat und sofort zu klatschen beginnt, als wir fertig sind. Zu meiner Überraschung steigen auch alle anderen Cheerleader, abgesehen von Ashley, mit ein. Meine Feindin starrt nur stur geradeaus und trommelt mit ihrem Stift auf dem Papier herum. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass die Vorstellung so gut ankommt, aber ein bisschen stolz bin ich schon, doch mein Stolz gilt nicht mir, sondern Morgan. Schließlich hat sie fast die ganze Arbeit gemacht.

 

Ich schaffe es nicht mich zurückzuhalten und falle meiner besten Freundin, nach wie vor energiegeladen, um den Hals. Leise flüstere ich ihr, sodass nur sie es hören kann, etwas ins Ohr: "Danke, dass du gekommen bist." Sie erwidert in der gleichen Lautstärke: "Natürlich, bin ich gekommen. Ich kann dich bei sowas doch nicht im Stich lassen." Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Dieses Mädchen ist einfach unglaublich.

 

Ashley räuspert sich laut und sofort lösen Morgan und ich uns grinsend voneinander. "Also, was denkt ihr?", fragt sich Claire an ihre Teamkolleginnen gewandt. "Das war grottenschlecht", platzt Ashley heraus und steht von ihrem Platz auf: "Ich selbst konnte sowas schon im Alter von drei Jahren. Da waren ja alle anderen, die wir bisher gesehen haben, um Längen besser." "Also ich fand es sehr gut", gibt Claire freundlich zu bedenken. "Ach rede doch keinen Unsinn. Das war einfach nur schlecht", widerspricht Ashley hartnäckig, was Morgan, mich und fast dem ganzen Cheerleaderteam hinter ihr dazu bringt mit den Augen zu rollen. Scheinbar sind wir also nicht die Einzigen, die nicht viel von Ashley halten.

 

Nun schaltet sich auch Cameron ein: "Du machst du gerade einen Witz, richtig, Ash?" Ruckartig dreht Ashley ihren Kopf soweit merkwürdig zu Cameron um, dass ich sie fast für eine Eule gehalten hätte: "Nein, ganz und gar nicht, Cameron! Deine Meinung ist hier aber auch gar nicht gefragt." Er muss lachen: "Seit wann das denn? Also vor etwa einer Woche hat meine Meinung dich noch brennend interessiert, besonders wenn es darum ging, in welchem Kleid dein Hintern fett aussieht." Sofort brechen alle Anwesenden, abgesehen von Ashley selbst, in Gelächter aus. Claire ist die Einzige, die sich wenigstens zu beherrschen versucht, aber dabei ziemlich scheitert.

 

Um das Thema schnell wieder von Ashleys Arsch weg zu lenken, schlägt Claire:"Na gut, dann ziehen wir eben die Demokratie zur Rate und stimmen ab. Wer ist dafür, dass Morgan und Katherine bei den Cheerleadern aufgenommen werden?" Viele heben die Hände, aber vereinzelt bleiben auch Hände unten. Wie zu erwarten, ist Ashleys Hand hartnäckig nach unten gerichtet, während Claire und ihr Zwillingsbruder ihre Hand in die Luft recken. "Gut, dann steht der Entschluss fest", Claire erhebt sich ihrem Platz: "Morgan! Katherine! Ihr gehört von heute an und so lange ihr euch das wünscht zu den Legales, dem Cheerleaderteam der Delaware High School."

 

Grinsend blicken und Morgan und ich uns im selben Moment an und schließen uns erneut in die Arme. Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass mir das ganze so wichtig ist, doch jetzt spüre ich, wie glücklich mich dieses Ergebnis eigentlich macht.

 

Über Morgans Schulter blicke ich zu Cameron, der immer noch am Türrahmen steht, und sehe gerade noch, wie er mir verschmitzt zu zwinkert, bevor die Tür öffne und wieder auf den Flur hinaus huscht. Ich sage es ungern, aber diesen Triumph heute habe ich ein Stück weit auch ihm zu verdanken und dafür Schuld ich ihm etwas.

 

Kapitel 28

Gemeinsam trete ich mit Morgan aus der Umkleide heraus. Das Gefühl endlich wieder meine normalen Sachen zu tragen ist wundervoll. In der Kabine haben wir, gefühlte zehn Minuten lang, einen Freudentanz aufgeführt und fast scheint es so, als würde Morgan sich noch mehr freuen als ich. Scheinbar musste sie einfach nur einmal über ihren Schatten springen, um glücklich zu werden. Ich bin ihr mehr als dankbar, dass sie extra für mich noch gekommen ist. Sie hat mir erzählt, dass sie erst überlegt hatte nicht zu kommen, aber dann hat sie daran gedacht, was ich schon alles für sie getan habe und sich entschieden doch zu kommen.

 

Arm in Arm verlassen wir, die Umkleide lachend und wollen gemeinsam nach Hause gehen, da erblicke ich Cameron, der einige Schritte von uns entfernt, an der Wand lehnt und mich betrachtet. Schnell will ich einfach mit Morgan an ihm vorbeigehen und ihm vielleicht später danken, wenn meine Freundin weg ist, aber Morgan kann es ja wieder mal nicht lassen und zieht mich mit sich zu meinem Nachbarn herüber. Genervt verdrehe ich die Augen, als Morgan ihn grüßt: "Hey Cameron." Dafür kassierte ich sofort einen sanften Stoß in die Rippen und muss mir ein leises Keuchen stark verkneifen. Cameron hat es zwar gesehen, sagt aber nichts dazu: "Hallo ...äh ...Morgan." War ja klar, dass er den Namen meiner besten Freundin nicht mal kennt, aber denkt, dass er mich liebt. "Katy wollte sich für deine Hilfe persönlich bedanken", lügt Morgan und stupst mich aufmunternd an. Erneut verdrehe ich die Augen und grinse amüsiert: "Danke für deine Hilfe, Cameron." "Immer wieder gerne, Kat", erwidert er zwinkernd. Morgan schaut verwirrt zwischen uns hin- und her: "Hab ich was verpasst?" Cameron und ich schauen uns kurz still an und dann antworte ich: "Äh ...nein. Alles ist ganz normal." Meine beste Freundin kann sich ein leises Lachen nicht verkneifen: "Wer's glaubt!" Schnell versucht Cameron vom Thema abzulenken: "Ähm, Katy. Wollten wir uns heute nicht treffen, um Mathe zu machen?" Zwar kann ich mich an keine Abmachung dieser Art erinnern, aber sicher würde er das nicht sagen, wenn es nicht wichtig ist, also tue ich so, als wüsste, ich wovon er redet: "Ja, stimmt. Wann hast du Zeit?" "Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir jetzt nach der Schule zu mir gehen und die Aufgaben schnell beenden könnten", sagt er eindringlich und versucht mir damit zu sagen, dass er unbedingt ein 'Ja' von mir braucht. Doch seine gewünschte Antworte kann ich ihm nicht geben: "Ich wollte mit Morgan gleich eigentlich ins Kino gehen." Überrascht schaut er mich an, doch selbst damit kann er meine Antwort nicht verändert. Irgendwie fühle ich mich in letzter Zeit nämlich ein bisschen so, als würde ich Morgan ständig vernachlässigen und eine miserable Freundin sein.

 

Morgan schüttelt jedoch den Kopf und legt mir eine Hand auf die Schulter: "Schon gut, Katy. Triff dich ruhig mit Cameron. Ins Kino können wir auch an einem anderen Tag gehen. So dringend ist es nicht." Verwundert blicke ich sie an. Meint sie das etwa gerade ernst? "Ist das wirklich okay für dich?", frage ich nochmal unsicher, weil ich ihr nicht glaube, dass sie wirklich das meint, was sie sagt. Grinsend nickt sie: "Ich meine immer das, was ich sage. Es ist für mich okay, verstanden?" Sie hat recht. Jedes Mal, wenn sie etwas sagt, meint sie es auch so, außer wenn Ironie in ihrer Stimme liegt. Wenn das der Fall ist, ist sie gerade dabei mich zu verarschen. "Danke", sage ich und nehme sie in den Arm. Obwohl ich versuche glücklich zu lächeln, hat sich mein Magen zusammen gezogen und ich beginne mich zu fragen, ob ich nicht doch mit ihr ins Kino gehen sollte. Sie sollte mir wichtiger sein, als Cameron, obwohl ich seine Mate bin. Schließlich habe ich mir den Posten als Mate nicht ausgesucht.

 

Nachdem wir uns voneinander gelöst haben, verabschiedet sich Morgan von mir und lässt mich mit Cameron alleine zurück. Wütend schaue ich ihn an: "Musste das sein?" "Was denn? Für deine Freundin war es doch okay!", er zuckt mit den Schultern. "Nein, war es nicht. Sie hat nur so getan, weil sie meine Freundin ist und mir kein schlechtes Gewissen machen wollte", trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust. "Tut mir leid. Beim nächsten Mal stelle ich eine Woche vorher einen Antrag auf ein Gespräch mit dir", neckt er, was mich aber in diesem Moment nur noch wütender macht. "Was willst du eigentlich? Für Matheaufgaben wartest du sicher nicht auf mich", bemerke ich ein wenig genervt. "Doch, natürlich und jetzt komm mit mir. Ich muss dich etwas fragen und dir etwas erzählen. Reicht das als Grund?", fragt er ungeduldig. "Na gut, aber wir gehen zu mir und wenn das nicht wichtig genug war, um meiner Freundin abzusagen, verschwindest du sofort wieder", ich gehe voraus, weil ich genau weiß, dass er mir folgen wird. "Okay", murrt er und läuft schnell hinter mir her: "Aber bitte warte wenigstens auf mich." Ich verdrehe die Augen. Gerade konnte er nicht schnell genug von hier weg kommen und jetzt soll ich warten. Jungs!

 

Kapitel 29

Als ich, mit Cameron im Schlepptau, die Tür aufstoße, bemerke ich sofort, dass nur Ryder zu Hause ist. Lediglich sein Schlüssel liegt in der Schale, in der jeder von uns seinen eigenen immer ablegt. Ich erinnere mich daran, dass meine Schwester bei ihrer Freundin ist und dass meine Eltern wie immer arbeiten. Zwar arbeiten sie oft, aber dann sind die Wochenenden, die wir gemeinsam verbringen, noch schöner.

 

Gähnend streife ich meine Jacke ab und hängt sie an den Harken, weil ich langsam wirklich schwitze. Dann schaue ich zu Cameron, der mich interessiert ansieht, und verschränke die Arme vor der Brust: "Jetzt sag gefälligst, was du wolltest, damit ich entscheiden kann, ob ich dich dafür ignorieren werde, dass du mich meines Tages mit Morgan beraubt hast." Er verdreht die Augen und geht dann weiter zum Sofa, ohne zu antworten. Fast benimmt er sich so, als würde er hier wohnen, was mich eigentlich nicht gestört hätte, aber in diesem Moment will ich einfach nur, dass er mir in die Augen sieht und sagt, was er von mir will. Genervt folge ich ihm und setze mich neben ihn: "Antworte mir gefälligst, Cameron."

 

Gerade als er seufzend antworten will, ist erst ein leises Piepsen und dann Ryders laute Schritte auf den Holztreppen zu hören und innerhalb von wenigen Sekunden ist er bei uns angelangt. Schon immer hatte ich ihn dafür beneidet, dass er die Treppe so schnell hinuntersteigen konnte, ohne zu stolpern und auf dem Boden aufzuschlagen. Ich könnte das niemals.

 

Bei uns angekommen, schaut er uns überrascht an: "Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du wieder da bist, Katy? Hi, Cam." Warum muss mein Bruder genau im falschen Moment dazwischen funken? "Weil ich dachte, dass du schläfst", lüge ich und lenke dann vom Thema ab, während Cameron meinen Bruder ebenfalls begrüßt: "Was ist das für ein Piepen?" Interessiert sehe ich zu, wie er sich auf den Weg in die Küche macht, während er antwortet: "Das ist die Mikrowelle. Willst du auch Nudeln?" Ach stimmt ja, daher kenne ich das Geräusch. Ich selbst nutze die Mikrowelle ungern, weil ich mein Essen immer vergesse und mich dann erst wieder erinnere, wenn alles kalt ist. Deshalb stelle ich mich lieber vor den Herd und koche mir selbst etwas oder esse etwas Kaltes wie zum Beispiel ein Brot, bis meine Eltern zurückkommen. "Ja, gerne", grinse ich und schaue zu Cameron:"willst du auch was?" "Ja, dich", grinst er ebenfalls. "Schleimer", erwidere ich nur und schaue zu, wie mein Bruder sich pinke Topfhandschuhe überstreift und das Essen aus der Mikrowelle holt. Feste pustend, bringt er die heißen Teller schnell zum Tisch, der sich vor uns befindet und stellt diese dort ab. Dann geht er zu einer Schublade zurück und holt Besteck für sich selbst und mich, während er Cameron einige Fragen stellt und eine kurze Konversation mit ihm startet. Nachdem er es mir in die Hand gedrückt hat, verschwindet er wieder, mit den Augenbrauen wackelnd, die Treppe hinauf, nachdem er sich von uns verabschiedet hat.

 

Kopfschüttelnd blicke ich ihm hinterher und beginne dann zu essen: "Also, was wolltest du jetzt eigentlich?" "Nichts Besonderes. Ich wollte nur Zeit mit dir verbringen, Kat", erwidert er unschuldig. Sofort verdunkelt sich meine Miene: "Das ist jetzt gerade nicht wirklich dein Ernst, oder?" "Was meinst du?", fragt er und wirkt so, als wüsste, er wirklich nicht wovon ich rede. "Du hast mir gesagt, dass du mir etwas total Wichtiges erzählen musst, weshalb ich meiner besten Freundin abgesagt habe", wütend verschränke meine Arme vor der Brust und hätte dabei fast einige Nudeln auf den Boden fallen lassen. "Okay, ich wollte dich auch noch fragen, ob du, als meine Mate, mit mir auf ein Date gehen würdest. Ganz offiziell", fast bettelnd blickt er mich an, doch ich nehme mir innerhalb von wenigen Sekunden vor nicht weich zu werden, sondern hart zu bleiben bis er ein gutes Argument nennt, das mich davon überzeugt, dass ich mitgehen sollte. Eingeschnappt stopfe ich meine Nudeln weiterhin in mich hinein. "Bekomme ich eine Antwort auf meine Frage?". Ich zucke mit den Schultern:"Ja!" Er verdreht die Augen, wozu er meiner Meinung nach gar kein Recht hat: "Ach komm schon, Kat. Muss ich dir alle Antworten aus der Nase ziehen?" Nach wie vor beleidigt und auch ein bisschen enttäuscht von ihm, was viel schlimmer ist als wütend zu sein, antworte ich kühl: "Okay, meine Antwort lautet 'Nein'." "Was? Aber du bist doch meine Mate!", seine Stimme klingt schwach und leise. Fast so als hätte ich ihn mit meinen Worten aus der Bahn geworfen. "Das ist mir klar", ich kann ihn nicht ansehen, weil er mir dann leidtun würde, wodurch ich weich werde: "Aber das wir für einander bestimmt sind, heißt nicht, dass auch ich dich ganz plötzlich liebe, Cameron. Du warst ein Arschloch und das kann ich nicht einfach so wieder vergessen. Wenn du willst, dass ich dir verzeihe, musst du mir schon zeigen, dass du nicht mehr der Alte bist." Sanft legt er seine rechte Hand auf meinen Arm und mit der anderen legt er eine Hand an mein Kinn, um mein Kinn zu sehen: "Dann gib mir die Chance auch, Kat. Wenn du mir nicht erlaubst dich zu Daten, kann ich dir nicht zeigen wer ich bin."

 

In diesem Moment wird mir schmerzlich bewusst, dass er recht hat. Ich muss ihm leider schon eine Chance geben, wenn ich von ihm verlange, dass er sich ändert. Das wäre nur fair. Ernüchtert seufze ich auf. Mir ist klar, dass ich aus der Situation nicht mehr heraus komme.

 

Augen verdrehend, schaue ich ihm tief in die Augen, um ihm zu zeigen, wie ernst es mir damit ist, worüber wir hier diskutieren. Er kann mich nicht einfach haben, nur weil er das plötzlich möchte. So ein Mädchen war ich nie und werde ich auch nie sein. "In Ordnung, ich gehe mit dir auf ein Date und du bekommst eine Chance, aber wenn du es auch dieses Mal vermasselst, ist es endgültig vorbei. Dann musst du selbst sehen, wie du glücklich wirst. Mir ist das dann egal." Mit diesen Worten wende ich mich wieder meinem Essen zu, sehe jedoch aus dem Augenwinkel, wie mein Nachbar schwer schluckt und registriere, wie er seine Hand von meinem Arm hinunternimmt. Zwar tut er mir nun tatsächlich ein wenig leid, aber meine Worte waren zu einhundert Prozent ernst gemeint. Wenn er seine zweite Chance nicht nutzt, ist er für mich endgültig Vergangenheit und ich werde nie wieder freiwillig Zeit mit ihm verbringen. Darauf kann er Gift nehmen.

 

Kapitel 30

Einen Tag nachdem ich Cameron die Ansage gemacht habe, hat er kein Wort mehr mit mir gewechselt und wirkte total in Gedanken versunken, wenn ich ihn im Unterricht oder auf den Fluren gesehen habe. Fast wirkte es so, als würde er alles um sich herum ausblenden. Kurz vor der Pause habe ich sogar gesehen wie erst fast gegen eine Tür im Flur gelaufen wäre. Zum Glück hat mein Bruder ihn gerade noch davor gerettet sich vor der ganzen Schule zu blamieren, obwohl er es wahrscheinlich schon irgendwie verdient hätte. Dann wäre ich wenigstens nicht die Einzige, die gegen irgendwelche Gegenstände läuft. Ich erinnere mich nur zu gut an die Laterne, dich ich mit dreizehn Jahren übersehen haben und an die Glastür, die mir ebenfalls irgendwie entgangen sein muss. 

 

In meine Gedanken versunken, bemerke ich Morgan erst, als sie mir auf die Schulter tippt. Erschrocken zucke ich zusammen und schaue überrascht zu ihr auf. Sie streckt mir mit einer Hand die Kinokarten hin, die sie gerade gekauft hat, bis ich eine nehme. Während der Mittagspause in der Schule haben wir verabredet, dass wir noch am selben Tag nach dem Unterricht um sechs Uhr ins Kino gehen, weil ich mich total schuldig gefühlt habe, weil ich noch am vorigen Tag absagen musste. "Hey", grüße ich und werfe dann einen Blick auf die Karte, um sehen welchen Film sie ausgesucht hat. Den Titel kenne ich nicht, weshalb ich sie fragend ansehe: "Worum geht's in dem Film?" "Das ist ein Fantasyfilm. Ich weiß ja wie sehr du Fantasyzeugs liebst", grinst sie. Ich grinse sie dankbar an. Tatsächlich stimmt es, dass ich Fantasy liebe und das weiß sie auch. Auf meiner Seite des Zimmers, das ich mir mit meinem Bruder teile, liegen, überall auf dem Boden verstreut, Fantasybücher. "Wie lange bist du schon hier?", fragt Morgan interessiert und fummelt an dem Verschluss ihrer Tasche herum. "Seit etwa zehn Minuten", erwidere ich: "Also, noch nicht so lange. Ich hatte Angst, dass du denkst, dass ich nicht komme, wenn ich nach dir komme." Vorher hatte ich mir stundenlang überlegt, dass sie vielleicht denken könnte, dass ich sie schon wieder versetze, wenn ich zu spät komme. Ich hasse es meine Freundin zu enttäuschen und will echt nicht, dass sie wütend auf mich ist. Schließlich ist sie auch immer für mich da. Deshalb sollte ich auch immer für sie da sein und ihr wegen Cameron nicht absagen. Ich habe ein eigenes Leben, über das er gar nicht zu entscheiden hat und es macht mich verrückt, wenn er das versucht. Sie muss grinsen:"Nein, keine Angst. Ich verstehe es doch, wenn du einmal wegen etwas Wichtigem absagst." "Das ist ja der springende Punkt", erkläre ich: "Er wollte mit mir über nichts wirklich Wichtiges reden." Sie zieht fragend eine Augenbraue hoch: "Was dann?" Ich antworte nicht sofort, sondern weiche ihrem Blick aus. 

 

Von der "Mate" – Sache kann ihr schließlich nicht erzählen und wie soll ich ihr, da erklären, warum er mich plötzlich Daten möchte, doch als sie mich nach wie vor eindringlich ansieht, antworte ich leise: "Er hat mich um ein Date gebeten." Grinsend sieht Morgan mich an, anstatt wütend zu wirken, weil ich ihr deshalb abgesagt habe, damit er mich fragen kann: "Wow, das hätte ich nicht erwartet. Was hast, du sagt?" Da muss ich ihr zustimmen. Wüsste ich nicht, dass ich seine Mate bin, was mich mittlerweile total nervt, könnte ich es auch nicht nachvollziehen, dass er plötzlich etwas von mir will. Zwar bin ich nicht total hässlich, aber Camerons und meine merkwürdige Vergangenheit hätte mich früher immer davon abgehalten einem Date zuzustimmen oder überhaupt länger als eine Minute mit ihm zu reden. Seit ich weiß, dass er mich, wie er meint, liebt, sehe ich ihn irgendwie mit anderen Augen. Ein wenig verändert hat er sich schon, wenn ich bedenke, wie er sich um meine Schulter gekümmert oder wie er mich in der Mensa nach seinem Geburtstag angesehen hat. 

 

"Ich habe unter einer Bedingung zugestimmt", erkläre ich leise. Meine Stimme zittert ein wenig, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich es ihr erzählen soll oder nicht. In meinem Bauch flattert etwas unsicher und ich beginne mich zu fragen, ob das hier ein Fehler ist. Kann ich Morgan wirklich alles erzählen oder bringe ich sie damit in Gefahr? Vielleicht könnte jemand ja auch versuchen sie zu entführen, wenn sie zu viel weiß. Schließlich waren diese Werwolfjäger, die unseren Homecomingball unterbrochen haben, hinter den Werwölfen aus Garvin Lakes her, also wollen sie mich, als Camerons Mate, vielleicht auch in die Finger bekommen. "Welche Bedingung?", fragt sie interessiert und hört auf an ihren Sachen herumzuspielen. "Ich habe ihm gesagt, dass er mir beweisen muss, dass er sich verändert hat, damit ich mich von ihm nicht abwende", erkläre ich. "Das heißt, dass du ihm eine letzte Chance gegeben hast?!", schlussfolgert sie. Ich nicke widerwillig: "Genauso ist es!" Sie grinst: "Ihr habt also ein Date?" Zustimmend brumme ich ein leises "Ja". Gerade als sie noch mehr Fragen stellen will, sehe ich, dass wir nun in unser Kino hinein können, weil der Film gleich anfängt. Das kommt mir gelegen, weil sie nun beginnt gezieltere Fragen zu stellen, die ich lieber nicht beantworten sollte. Meine Angst mich zu verraten wird immer größer: "Oh, guck mal. Wir können jetzt ins Kino. Komm schnell!" Erst wirkt sie überrascht, doch dann folgt sie mir, als ich von dem Stuhl, auf dem ich gesessen habe, aufspringe und zu einem Mann laufe, der meine Karte abreißen soll. Aus dem Augenwinkel sehe ich Morgans verwirrten Blick. Zwar habe ich sie für einen Moment von dem Thema abbringen können, aber später wird sie sicher weiterhin Fragen stellen.

 

Kapitel 31

 

Gelangweilt sitze ich am Wohnzimmertisch und zeichne ein – echt hässliches – Einhorn auf meinen Collegeblock, obwohl ich eigentlich Hausaufgaben machen und ein Referat vorbereiten sollte. Leider ist das Problem nur, dass ich so gar keine Lust auf Matheaufgaben oder ein Biologiereferat habe. Nicht nur, dass die Schule war heute total langweilig, auch sonst ist heute nichts Erwähnenswertes geschehen.

 

Mit Morgan hatte ich nur einen Kurs, während Kyle fast den ganzen Tag an mir geklebt hat. Es war das zweite Mal seit dem Ball, dass wir wieder miteinander gesprochen haben. Er hat zwar versucht mich anzurufen, aber ich habe immer auf die rote "Ablehnen"-Tasche gedrückt, weil ich keine Lust hatte ihm erklären zu müssen, was das auf dem Ball war und wohin ich verschwunden bin. Bei ihm ist die Angst, dass ich mich verplappere noch größer, weshalb ich auch versuche auszuweichen, wenn er das Thema anschneidet. Auch mit Cameron habe ich wenig geredet. Lediglich in der Mensa haben wir wenige Worte gewechselt. Fast wundert es mich, dass er kein Bedürfnis hatte mit mir zu sprechen, wenn man daran denkt, dass er wie er vorher hinter mir her war. Langsam beginne ich mich zu fragen, ob die ganze "Mate"-Sache nur eine Lüge war, die er mir vorgegaukelt hat, um zu schauen, wie ich reagiere und nun wo er von mir gehört hat, dass er es dieses Mal nicht vergeigen darf, hat er kalte Füße bekommen.

 

Immer wieder nehme ich nachdenklich einen Schluck von meiner, bereits warmen, Cola und beginne die Mähne meines magischen Pferdes bunt anzumalen, da klingelt es an der Tür. Sofort springe ich auf und sprinte zur Tür. Juhu, eine Ablenkung!

 

Nun ziemlich fröhlich, reiße ich die Tür auf, um zu sehen, wer geklingelt hat. Als ich jedoch erkenne, dass es Cameron ist der dort steht, bekommt meine Freude einen Dämpfer und ich schaue ihn fragend an: "Was machst du hier?" "Hi, schön dich zu sehen", grüßt er mich freundlich, klingt dabei aber auch ein wenig sarkastisch und reicht mir dann seine Hand: "Und ich bin hier, um dich abzuholen. Wir haben ein Date!" Ich bin total überrascht. Habe ich etwa nicht richtig zugehört, als er es mir gesagt hat oder hat er es mir gar nicht erst gesagt: "Haben wir?" "Ja, haben wir", nun nimmt er meine Hand einfach selbst und will mich mit sich ziehen, doch ich halte mich am Türrahmen fest. "Warte, Cameron. Wieso hast du es denn so eilig?", frage ich verwundert. "Ich will keine Zeit vertrödeln, die wir auch zusammen verbringen könnten", gibt er zu, lässt meine Hand dann aber los. Ich bin zwar darüber verwundert, dass es so ein vernünftiger Grund ist, wenn man bedenkt, dass er auch alles andere hätte sagen können. Irgendwie finde ich es ja schon süß, dass er viel Zeit mit mir zu verbringen versucht. "Na gut, aber ich hole erst noch meine Jacke und meinen Schlüssel", erwidere ich und gehe kurz nochmal ins Haus, wo ich meine Jacke überstreife und meinen Schlüssel in eine der Taschen stecke, damit ich wieder rein komme, wenn noch kein anderes Familienmitglied zu Hause ist. Ich will ja schließlich nicht draußen warten, bis meine Geschwister oder meine Eltern wieder kommen. Als ich all diese Sachen eingesteckt habe, gehe ich wieder zu ihm nach draußen und ziehe die Tür hinter mir zu: "Okay, ich hab alles." "Dann mal los", erwidert er und zieht mich mit sich zu seinem Auto. Er macht so große Schritte, dass ich doppelt so viele Schritte wie er machen muss, um Schritt halten zu können. Am Auto angekommen, steigt er auf der Fahrerseite ein, während ich mich auf den Beifahrersitz fallen lasse und ihn interessiert ansehe. Wo er mich nur hinbringt?

Kapitel 32

Unsicher blicke ich immer wieder zu meinem Nachbarn herüber und hoffe dabei einfach, dass er es nicht bemerkt. Natürlich wäre das nicht nötig, wenn ich, statt ihn anzustarren, einfach auf die Straße sehen würde, aber das kann ich nicht. Fast fühlt es sich so an, als würde er meinen Blick anziehen wie ein Magnet, dessen Kraft man nicht durchbrechen kann. In meinem Inneren hoffe ich, dass auch er mich ansieht, doch stattdessen liegt sein Blick starr auf der Straße vor ihm, während das Auto über die Straße lenkt, die aus dem der Stadt heraus und auf den High Way führt.

 

Wo bringt dieser Junge mich nur hin? Wehe er entführt mich. Zutrauen würde ich es ihm jedenfalls. Unsicher beginne ich mit dem Reißverschluss meiner Jacke zu spielen und ziehe sanft am Ausschnitt meines Shirts, weil es sich plötzlich so anfühlt, als würde mir der Stoff die Luft abschnüren. Vorsichtig blicke ich zu Cameron zurück und versuche herauszufinden, was er wohl vorhat.

 

Seine Finger wickeln sich feste um das schwarze Material des Lenkrades, welches der starr in eine Richtung gedreht hält. Das Auto macht nicht den kleinsten Schlenker, sondern bleibt stur auf seiner geraden Linie genau wie der Blick des Fahrers. Sein blondes Haar leuchtet im gelben Licht der späten Nachmittagssonne und ich muss dem Versuch widerstehen meine Hände in seinen Haaren zu vergraben und ihn an mich zu ziehen, doch die Distanz, die erst gerade, ob bewusst oder unbewusst zu mir aufbaut, verwirrt mich und hält mich von dem ab, was ich gerade so gerne tun würde.

 

Mein Herz beginnt jedoch kurz zu flattern, als er seine Stimme erhebt, die in diesem Moment sowohl warm und weich, als auch erotisch und rau klingt: "Fühlst du dich nicht wohl?" Sofort erwache ich erschrocken aus meinen Gedanken und schaue ihn überrascht an, bevor ich ehrlich zugebe: "Na ja, geht so. Du bist heute irgendwie so still." Als ich die Worte meinem Mund entflohen sind, höre ich erst, dass meine Stimme ein wenig zittert und leiser klingt als beabsichtigt, weshalb ich mich, in der Hoffnung meine Stimme dadurch fester klingen zu lassen, schnell räuspere. "Tut mir leid", er senkt den Blick ein wenig und es wirkt fast so, als wäre ihm klar gewesen, dass er sich gerade nicht so verhält wie sonst. "Was ist los?", frage ich und lasse meinen Reißverschluss endlich los, weil das Geräusch mich mittlerweile doch genervt hat, um meine linke Hand auf sein Bein zu legen. Sanft erwidert er die Bewegung und fährt mit den Fingerspitzen sanft über meine Hand, bevor er seine Finger mit meinen verschränkt: "Ich habe Angst etwas falsch zu machen oder zu sagen, weil du gesagt hast, dass das hier meine letzte Chance ist und ich will es euch nicht vergeigen." Nun klingt er fast sehnsüchtig!

 

Seine Berührung lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch erwachen und einen Freudentanz in meiner Bauchhöhle aufführen, während seine Worte meinen Herzschlag beschleunigen, bis ich fast denke, dass mein Herz nahezu zum Explodieren bringen. Ich weiß, dass ich eigentlich hart belieben und mich ihm nicht einfach so an den Hals werfen sollte, aber er schafft es mich immer wieder zu überraschen, wenn ich es gar nicht erwartet habe.

 

Sanft versuche ich ihm gut zuzusprechen: "Du wirst es nicht vergeigen. Heute versuche ich ganz und gar unvoreingenommen zu sein und will einfach nur schön Zeit mit dir verbringen. Entspann dich einfach und alles wird gut!" Ich nehme wahr, wie er tief Luft holt und dann nickt: "Danke, ich hatte Angst, dass du mir nicht mal eine reale Chance gibst, sondern schon am Anfang schlecht gelaunt bist und keine Lust hast." "Das würde ich nicht tun", gebe ich zu, obwohl es doch etwas sein könnte, was ich tun würde, wenn ich mit irgendwem verabredet wäre, den ich nicht ausstehen kann: "Ich habe gesagt, dass ich dir eine Chance gebe und daran halte ich mich jetzt auch." "Danke", lächelt er sanft und streichelt mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Am liebsten würde ich ihn bitten nicht aufzuhören, aber leider nimmt er kurz darauf seine Hand weg, um das Auto auf einen Parkplatz zu lenken und als ich den Kopf endlich wieder hebe, sehe ich wieso er das Tempo nun verlangsamt und beide Hände wieder zurück ans Steuer legt. Ich selbst lasse mich in den Sitz zurückfallen und ziehe mit einer Hand meine Jacke enger um mich, während ich mit der anderen meine Haare über meine rechte Schulter lege, damit ich sie im Reißverschluss meiner Jacke nicht einklemme, weil ich es hasse, wenn sich meine braunen Strähnen zwischen den Metallzähnen des Verschlusses verfangen.

 

Mein Blick fällt auf das Gebäude vor mir und das Interesse packt mich. Endlich sind wir da!

 

Kapitel 33

Das rote Licht der Leuchtröhren erleuchtet den Platz um das große Gebäude um uns herum. Es ist eine kleine Bar oder eher ein Diner, mitten im Nirgendwo. Auf einem großen Schild steht der Namen "Seven-Eleven Bar". Interessiert beobachte ich alles. An der linken Seite des Steinbaus stehen mehrere protzige Motorräder, die vielleicht zu einer Motorradgang gehören könnten. Zwar war mir die Bar schon vorher aufgefallen, da sie das einzige Gebäude ist, was man sieht, wenn man die Stadt verlässt, weshalb ich mich tatsächlich zu fragen beginne, was wir hier sollen. In der Stadt gibt es schließlich auch genug Bars, wo wir etwas trinken oder essen gehen können. Vielleicht hat Cameron sich ja auch einfach nur verfahren oder der Tank ist leer. Ich starre auf die Anzeige. Nein, das Auto ist fast komplett vollgetankt. "Sind wir hier richtig?", frage ich verwundert. Der Fahrer schnallt sich mit flinken Fingern ab und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss: "Ja, goldrichtig." Er klingt enthusiastisch und wenn sein Tonfall ein Gesichtsausdruck wäre, wäre es ganz sicher ein fröhliches Lächeln. Von seiner plötzlichen Freude überrascht, befreie ich mich auch von meinem Gurt und steige, genau wie Cameron, aus dem Auto. Ich schlage die Tür fest zu und drehe mich dann zu meinem Nachbarn um, der sich neben mir ans Auto gelehnt hat und mich grinsend ansieht: "Bist du bereit, Kat?" Verspielt verdrehe ich die Augen: "Ja, mehr als bereit, Cam!" Bei der Erwähnung des Spitznamens beginnt er zu lachen: "Der Spitzname ist gut, Kat." "Ich weiß", gebe ich zurück und schaukele auf meinen Fußballen unsicher immer ein wenig vor und wieder zurück. Er kommt auf mich zu und legt seine Hand in meine, um mich mit sich zu ziehen. Ein wenig überrumpelt laufe ich ihm hinter. Ich muss besonders große Schritte machen, damit es mir überhaupt möglich ist ihm zu folgen.

 

Mit einer Hand stößt mein Nachbar die gläserne Tür zum Diner auf und bleibt dann stehen, um durch das Großraumgebäude zu blicken. Langsam beugt er sich zu meinem Ohr hinunter oder flüstert mit samtig weicher Stimme: "Hast du hunger?" Sein Tonfall lässt meine Nackenhaare zu Berge stehen und raubt mir fast den Atem. Wieso hat er mich plötzlich so sehr in der Hand? Kurz räuspere ich mich erneut und antworte dann mit fester Stimme: "Ja, komm wir setzen uns." Als ich ihn mit mir zu einem Tisch ziehe, versuche ich mich so selbstsicher wie möglich zu wirken. Locker lasse ich mich auf die Sitzfläche fallen und ziehe ihn mit mir.

 

Sofort versenke ich meine Nase in einer der Speisekarten, deren weiß-rote Farbe perfekt zu dem Laden passt, in dem wir uns gerade befinden, und beginne nach etwas zu suchen, was gesund ist und satt macht, bis ich feststelle, dass ich da lange suchen muss und mich deshalb einfach für Pommes mit Ketchup und einen Erdbeermilchshake entscheide. Was habe ich auch erwartet? Ich muss aber auch zugeben, dass Pommes mir viel besser schmecken, als Gartensalat.

 

Als ich meinen Blick wieder hebe und die Karte weiter an Cameron gebe, hätte ich sie mir am liebsten wieder geschnappt, um mich vor den Blicken der Leute um mich herum, die mich anstarren als würde, ich irgendwie komisch aussehen, zu schützen. "Wieso starre die alle mich so an?", frage ich den blonden Jungen neben mir. Verwundert blickt er mich an und runzelt die Stirn, bevor er es auch bemerkt und zu lachen beginnt. "Was ist so witzig?", frage ich überrascht. Er beißt sich fest auf die Lippe: "Du wirst es wahrscheinlich nicht so lustig finden, aber du wirst so angestarrt, weil du meine Mate bist." Ich starre ihn total verwirrt an und verstehe nur Bahnhof: "Wie meinst du das? Sind die Leute um mich herum etwa auch Werwölfe, genau wie du?" "Exakt", erwidert er und legt die Tasche zur Seite, um mich sanft an sich zu ziehen, was mich in diesem Moment am wenigsten stört: "Das ist die Bar, in der unser Rudel sich meistens trifft. Sowas wie unser Hauptquartier, wenn wir Menschen sind." Nun macht das alles doch Sinn. Das erklärt, weshalb er mich hierher gebracht hat. Will er mich etwa meinem Rudel vorstellen? "Woher wissen die, dass ich deine Mate bin?", frage ich verwundert: "Können sie das spüre, oder so?" "Nein, das kann nur ich", grinst er verspielt: "Ich habe ihnen von dir erzählt." "Hast du mich deshalb hierher gebracht? Damit ich dein Rudel kennenlerne?", harke ich nach. Betreten blickt er zur Seite: "Ja, schon, aber ich wollte auch einfach eine schöne Zeit mit dir haben und dir zeigen wie ich als Werwolf lebe und wie wir zusammen leben könnten." Die Vorstellung mit ihm richtig zusammen zu leben ist zwar ein bisschen viel, aber irgendwie süß ist es ja auch. Sein Leben hat sich in den Jahren, in denen wir keine Zeit miteinander verbracht haben, stark verändert und nun will er mir alles zeigen und mich sogar seinem Rudel, welches für ihn sicher sowas wie eine Familie ist, vorstellen. Langsam habe ich das Gefühl, dass er sich wirklich verändert hat und dass ihm wichtig ist, wie ich mich fühle und dass ich glücklich bin: "Wen willst du mir zuerst vorstellen?" Kurz ist er still und es scheint so, als würde er tatsächlich stark darüber nachdenken. Nach wenigen Sekunden antwortet er: "Ich denke, dass du als Erstes auf Tony treffen solltest." "Wer ist das?", frage ich interessiert. "Ich bin das", schaltet sich plötzlich eine tiefe Männerstimme neben unserem Tisch ein. Ein wenig überrumpelt zucke ich erschrocken zusammen und starre zu der Quelle herüber.

 

Dort steht ein großer Mann, der etwa in seinen Dreißigern zu sein scheint. Aus seinem Kiefer sprießen viele dunkelbraune Haare, die einen Drei-Tage-Bart bilden, während ihm seine etwas längeren Haare, die die gleiche Farbe haben, in die Augen hängen, weshalb er sie sich alle drei Minuten mit einer Hand hindurchfährt, um richtig sehen zu können. Seine Augen haben eine wunderschöne Bernscheinfarbe mit hellbraunen Sprenkeln im Inneren. Solch eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Die Schultern des Mannes, die um einiges breiter als Camerons sind, stecken in einem engen schwarzen T-Shirt, während seine langen Beine in einer dunkelblauen Röhrenjeans stecken. Seine tiefe Stimme lässt mich erschaudern und ich spüre Camerons argwöhnischen Blick auf mir: "Hey, ich bin Tony Cortez. Mir gehört die Bar!" Freundlich streckt er mir seine Hand entgegen, während seine dünnen rosafarbenen Lippen zu einem Lächeln formen und einen Blick auf seine strahlend weißen Zähne ermöglichen. Erfreut ergreife ich die Hand und schüttele diese, währen dich mich selbst auch vorstelle: "Schön dich kennen zu lernen, Tony. Ich bin Katy Freeman, Camerons ..." Tony unterbricht mich lachend: "Ich weiß, wer du bist, Katy. Jeder kennt die Werwolfprinzessin!" Werwolfprinzessin? Geschockt schaue ich zu Cameron. Nennen mich etwa alle hier so? Dieser zuckt jedoch nur mit den Schultern, grinst Tony dann aber verschmitzt an, was mir Zeit, dass dieser Titel wohl auf seinen Mist gewachsen ist. Verzweifelt verdrehe ich die Augen, stupse ihn dann aber verspielt und sanft in die Seite: "Wag es nicht mir noch mal hinter meinem Rücken so einen Spitznamen zu geben." "Tut mir leid, aber es passt doch", rechtfertigt er: "Schließlich bin ich bald ein Alpha und dann wirst du die Königin meines Rudels sein, Kat." Mit seinen Worten überrumpelt er mich total und ich kann meine Kinnlade davon nicht abhalten hinunterzuklappen. Als er meine Überraschung zu bemerken scheint, fügt er schnell hinzu: "Natürlich nur wenn du das willst. Ich kann und will dich schließlich nicht zwingen!" Erleichtert lache ich auf und lege meinen Kopf wie automatisch auf seine Schulter, bevor ich ehrlich antworte: "Ich bin mir noch nicht sicher, was ich will, aber ich habe gesehen, wie sehr du dich bemühst." "Also habe ich meine zweite Chance genutzt?", fragt er unsicher, während er mir ununterbrochen in die Augen sieht. Ich nicke grinsend: "Ja, du hast mich heute richtig überrascht!" Zufrieden grinsend wendet er sich an Tony: "Das müssen wir feiern. Bring mir bitte einen Cappuccino und einen Teller Pommes." Dann fragt er mich: "Was willst du?" Auch ich bestelle grinsend. Mein ganzer Körper prickelt vor Euphorie und mein Herz klopft so laut, dass ich Angst habe jemand könnte es hören.

 

Kapitel 34

Gelangweilt spiele ich mit dem pinken Radiergummi am Ende meines Bleistiftes, während unsere Deutschlehrerin gerade ein Gedicht vorträgt. Am liebsten würde ich gerade einfach meinen Kopf auf den Tisch legen. Sogar eine schlechte Ausrede hätte ich bereit, wenn man mich erwischen würde. Ich hasse Gedichte und besonders diese, die kein Schwein versteht. Wie kann ein Mensch nur auf so eine Idee kommen? Ich meine, kann man nicht einfach mal alles so formulieren, dass man das Geschriebene auch versteht.


Laut seufzend wende ich meinen Blick ab und starre ich aus dem Fenster und versuche irgendwas anderes zu finden, was meine Aufmerksam verdient. Scheinbar habe ich meiner Langeweile jedoch zu laut Luft gemacht, was mir klar wird, also meine Lehrerin sich mit einer säuerlichen Miene an mich wendet: “Langweile ich sie, Miss Freeman?“ Sofort wende ich meinen Blick wieder der Frau zu und stottere: “Äh, nein. Ich habe nur …“ Wie wild suche ich nach einer Ausrede. “Die wunderschöne Architektur des Fensters betrachtet“, erkläre ich wie in Zeitlupe und schaue die Lehrerin dann unschuldig an. Still bete ich, dass ich den Unschuldsblick noch so gut drauf habe wie früher. Kopfschüttelnd wendet die Pädagogin sich wieder ihrem Gedicht zu und liest weiter. Erleichtert atme ich durch und beginne mit meinem Bleistift auf dem Karopapier meine Collegeblockes herum zu kritzeln und fast schaffe ich es mit meinen Gedanken der Realität zu entfliehen, doch dann trifft mich plötzlich ein Zettel am Kopf und holt mich zurück ins hier und jetzt.


Verwirrt drehe ich mich zur Bankreihe hinter mir um und erblicke Morgan, die hinter mir sitzt und genauso gelangweilt zu sein scheint wie ich selbst. Fragend sehe ich sie an. Mit ihren Lippen formt sie einige Worte und scheint zu denken, dass ich es verstehe, doch mit einem Kopfschütteln bedeute ich ihr, dass sie da falsch liegt. Ich war noch nie gut im Lippenlesen. Genervt verdreht sie die Augen und deutet dann auf ein kleines, zusammengeknülltes Papier, welches einige Meter von meinem Stuhl entfernt auf dem Boden liegt.


Nun verstehe ich endlich, was sie von mir will und zeige beide Daumen nach oben, bevor ich überlege wie ich wohl, möglich unauffällig zu dem kleinen Zettelchen gelangen kann. Wieso kann meine Freundin nicht einfach bis zur Pause warten und dann sagen, was sie zu sagen hat? Noch nie war ich ein Fan diesem komischen Zettelsystem, welches in der ganzen Schule verbreitet zu sein scheint.


Obwohl ich weiß, dass es eine schlechte Idee ist, nehme ich meinen Bleistift in die Hand und wende eine Taktik an, die ich schon oft bei anderen gesehen habe. Schnell werfe ich den Stift neben den Zettel und setze dann eine total überraschte Miene auf. Dann klettere ich von meinem Stuhl runter, krabbele über den Boden, bis ich am Zettel angekommen bin und stecke diesen so schnell in meine Hosentasche, dass es keiner sehen kann, weil ich keine Lust darauf habe, verraten zu werden. Dann nehme ich auch den Stift und husche geduckt zurück zu meinem Stuhl, um mich wieder darauf fallen zu lassen.


Erneut drehe ich mich zu meiner Freundin zu, die mir grinsend zugesehen hat, und zeige ihr erneut einen Daumen nach oben. Sie nickt mir dankbar zu, was mich dazu verleitet mich wieder nach vorne zu drehen und das Papier aus meiner Tasche zu ziehen.
Interessiert falte ich das kleine Papier auseinander und lese, was darin steht. Meine Augen fliegen über die Wörter und spüre dabei, wie mir plötzlich heiß wird und die Röte mir in den Kopf steigt. Innerhalb von wenigen Sekunden muss ich mich in eine Tomate verwandelt haben und traue mich nicht meinen Blick zu heben. Am liebsten würde ich den Zettel in tausende kleine Stücke reißen, damit nichts geschieht. Auf dem Zettel macht sie lauter Andeutungen darauf, dass Cameron etwas von mir will und weist mich darauf hin, dass Cameron mich die ganze Stunde lang anblickt.


Schell hebe ich, mit roten Wangen, den Kopf und blicke zu Cameron, der neben mir sitzt. Unsere Blicke treffen sich und ich betrachte seine schönen braunen Augen, die plötzlich, fast magisch, zu leuchten beginnen. “Cameron, was ist mit deinen Augen los?“, frage ich leise flüsternd. Schnell beginnt er mehrmals hintereinander zu blinzeln, weil er wahrscheinlich hofft, dass das Leuchten verschwindet, aber das tut es nicht. “Wovon kommt das?“, flüstere ich eindringlich. Unsicher blickt Cameron um sich, bevor er näher an mich heranrückt und mir dann ins Ohr flüstert: “Bald ist wieder Vollmond und einige Tage vorher zeigt mein Körper schon wenige Anzeichen zum Beispiel leuchten meine Augen dann, die dies sonst nur tun, wenn ich mich verwandle oder kurz davor bin.“ “Das bleibt also den ganzen Tag so?“, frage ich geschockt und hoffe, dass seine Antwort meine These widerlegt. Glücklicherweise werde ich nicht enttäuscht: “Nein, nur hin und wieder. Besonders kurz vor der Verwandlung ist es schlimm.“ “Wann ist das? Etwa eine Woche. Mach dir keine Sorgen“, erklärt er und schaut wieder nach vorne, ist aber scheinbar noch nicht fertig: “Kann ich nachher mit dir essen?“


Verwundert blicke ich ihn an. Im Gegensatz zu mir, scheint er das Thema für fertig besprochen zu halten. “Ich esse eigentlich immer mit Kyle und Morgan“, enttäusche ich ihn. Traurig sieht er mich an und ich sehe, wie ein wenig Hoffnung in seinen Augen schimmert, als er vorschlägt:“Ich kann mich doch zu euch setzen. Dann kannst du mit deinen Freunden und mit mir essen und später komme ich dann mit zu dir und wir verbringen gemeinsam Zeit.“


Mir geht das alles viel zu schnell und ich fühle mich total überfordert, als ich zu stottern beginne: “Äh, ich muss erst Morgan fragen, ob es okay für sie ist. Wenn sie ja sagt, kannst du mit mir essen. Wenn nicht, dann nicht, in Ordnung?“ Er seufzt: “Na gut, kann ich denn danach mit zu dir kommen?“ “Wieso musst du mir etwas total Wichtiges sagen“, necke ich grinsend. Einen gespielt beleidigenden Gesichtsausdruck aufsetzend, kontert er: “Es ist für mich immer wichtig Zeit mit dir verbringen und ich würde am liebsten vierundzwanzig Stunden an deiner Seite sind, Kat.“ Unsicher beginne ich mit dem Bleistift auf meinem Tisch herum zu kritzeln, bis ich nachgebe: “Okay, du kannst mit zu mir kommen, aber ich muss wirklich erst Morgan fragen, ob sie noch etwas mit mir machen will. Meine Freunde sind für mich, genauso wichtig, wenn nicht noch, wichtiger also du. Zwar sehe ich, dass er schmollt, aber trotzdem akzeptiert er meine Antwort und dafür bin ich ihm unglaublich dankbar. 

Kapitel 35

Gelangweilt stochere ich in meiner Lasagne herum und versuche so gut es geht an den Gesprächen meiner Freunde teilzunehmen, obwohl mir das sichtlich schwerfällt. Meine Gedanken kreisen schon seit Beginn der Mittagspause um nichts anderes als meinen Nachbarn Cameron und seine Verwandlung zum Werwolf. Seit er mir gesagt hat, dass er sich bald verwandeln wird, frage ich mich, wie sowas abläuft und ob es weh tut. Ich habe mir vorgenommen ihn bei einer passenden Gelegenheit einmal zu fragen. Schließlich bin ich seine Mate und habe das Recht so etwas zu erfahren. Wenn er dieses Argument immer nutzen darf, kann ich das schließlich sicher auch einmal tun. Das ist doch nur fair!


Als sich plötzlich jemand neben mir räuspert, werde ich sofort zurück in die Realität gezogen und zucke fast augenblicklich zusammen. Erschrocken blicke ich zu der Person, die sich rechts neben mir postiert hat, hinauf. Aus seinen, nachwievor leuchtenden, Augen blickt er mich freundlich an und sofort fällt mir das Lächeln auf, das auf seinen Lippen immer breiter wird. Aus dem Augenwinkel sehe ich die verwirrten Blicke meiner Freunde, die ihre Unterhaltung unterbrochen zu haben scheinen, um uns zuzuhören. Natürlich weiß ich genau, was er will, aber für einen kurzen Moment werde ich ihn noch zappeln lassen. Deshalb wende ich mich wieder an Morgan und frage: “Wie war der Matheunterricht gerade eigentlich?“ “Katy“, sagt sie warnend und schaut vielsagend zu Cameron herüber, um mir indirekt zu sagen, dass ich benehmen und Cameron fragen soll, was er will, doch ich habe weiterhin vor sie zu ignorieren, aber plötzlich stellt mir jemand etwas vor die Nase.


Ich brauche einige Sekunden, um zu verstehen, dass es Camerons Hand war, die sich in mein Sichtfeld geschoben hat. Einige weitere Sekunden dauert es, dann bis ich den weißen Becher bemerke, der vor mir auf der schweren Tischplatte steht. Sofort sehe ich durch die weiße Pape, die eine grüne Flüssigkeit in sich festhält, dass sich mein Lieblings Tee im Inneren befindet. Weiß er etwa, dass ich nahezu süchtig nach grünem Tee bin. Überrascht hebe ich den Kopf und starre Cameron an: “Was ist das?“ Sein Grinsen kann er nicht unterdrücken: “Ein Tee, Kat!“ “Ich weiß“, sage ich kopfschüttelnd, um klarzustellen, dass ich nicht komplett dumm bin: “Eher wollte ich wissen, warum du mir einen Milchshake vor die Nase stellst.“ “Weil ich dir einfach etwas Gutes tun wollte, Kat“, der Spitzname klingt aus seinem Mund fast wie ein Gebet, was mein Herz auf eine wunderbare Weise erwärmt. “Danke“, grinse ich und höre, wie Morgan fragt, ob er sich zu uns setzen will, was er mehr als gerne zu hören scheint, wenn man bedenkt, wie schnell er sich neben mich auf die Bank quetscht. Sein Arm schlingt sich um mich herum und zieht mich sanft an Cameron heran, was bei meinem besten Freund Kyle ein genervtes Schnauben auslöst. Für einen Moment frage ich mich, was er hat, doch dann hallen Morgans Worte in meinem Kopf wieder und erinnern mich daran, dass Kyle, ihrer Meinung nach, auf mich steht, was ich aber immer noch nicht wirklich glaube. Um allen am Tisch einen Gefallen zu tun, antworte ich lieber nicht, sondern wende mich an Cameron. Dann reicht mir Cameron noch eine Tüte und zieht im Gegenzug meine Lasagne zu sich herüber. Fragend sehe ich ihn an: “Was wird das?“ “Ich esse deine Lasagne“, erklärt er und krallt sich dann auch noch meine Gabel vom Tablett. Perplex sehe ich ihn an, doch dann schiebt er mir die Papiertüte hin: “Hab dir im Gegenzug noch was mitgebracht.“ Mit einem mehr als fragenden Blick öffne ich die Tüte, muss dann aber grinsen, als ich sehe, was sich darin befindet: “Woher weißt du, dass ich Donuts mag?“ “Ich habe da so meine Quellen“, murmelt er ordentlich kauend. “Wieso kaufst du mir ausgerechnet heute etwas zu essen?“, frage ich verwundert. Er zuckt mit den Schultern: “Heute habe ich eben meine Spendierhosen an!“
Sofort ertappe ich mich, wie mein Blick zu seiner Hose wandert, was meinem Nachbarn selbst wohl aufzufallen scheint. Schnell versuche ich meinen Blick von dem Schoß abzuwenden – nicht so, dass ich den Anblick nicht genieße- und ihm wieder ins Gesicht zu schauen.
Lieber achte ich auf den Geruch des Gebäcks in der Tüte, ziehe ich den pinken Donut mit einer Handbewegung heraus und betrachte ihn gierig. Ich spüre, wie sich mein Nachbar sich zu meinem Ohr hinunterbeugt: “Ich wünschte, du würdest mich mal ansehen, wie du diesen Donut ansiehst.“ Seine Worte lassen mich angenehm erschaudern, sorgen gleichzeitig aber auch dafür, dass meine Wangen einen rosa Farbton annehmen.


Morgans Blick verrät mir, dass sie gehört hat, was er gesagt hat, weshalb meine Augen sich plötzlich weiten. Das Lächeln, welches sich auf ihren Lippen schlichen hat, ist selbst in ihrer Stimme wieder zu finden: “Ich finde es so merkwürdig, dass du zu jeder Tageszeit Donuts essen kannst, Katy.“ Grinsend beiße ich in die Süßigkeit: “Donuts sind auch nur schwule Bagels.“ (War kein Angriff auf Homosexuelle! Ich habe nichts gegen Homosexuelle!) Lachend wischt Cameron einen kleinen Rest Zuckerguss, der an meinem Mundwinkel klebengeblieben ist, weg: “Du kommst nach der Schule doch mit zu mir, oder?“ Seine Finger betäuben meinen Mund und ich bekomme das Gefühl, dass ich unfähig bin zu antworten, weshalb ich lieber nur nicke, ohne darüber nachzudenken, wo ich gerade zugestimmt habe. Ach, dieser Junge bringt mich einfach um den Verstand und entfacht in mir die merkwürdigsten Gefühle! 

Kapitel 36

Mit schnellen Fingern tippe ich auf dem Display meines Smarthphones herum, um meiner Mutter eine Nachricht zu schreiben, denn meine Eltern sollten wenigstens wissen, dass ich mit zu Cameron gehe, auch wenn nur unsere Gärten das Haus unseres Nachbarn von unserem eigenen trennen. Zwar könnte ich auch einfach durch den Garten rüber zu uns gehen, aber ich sage es ihr lieber jetzt, damit ich es nicht vergesse, weil sie sich viel zu schnell Sorgen macht.


Als meine Finger den grünen Sendeknopf verlassen haben, schalte ich das Handy aus und stecke es in meine Jackentasche, der Jacke, die ich nach dem Cheerleadertraining, welches heute sogar, selbst mit Ashley, erträglich war, angezogen habe. Es fühlt sich beruhigend an ein Kleidungsstück an den Beinen zu tragen, welches länger ist als der Rock meiner Cheerleaderuniform, der mir nicht mal bis zu den Knien reicht. Mit einem leichten Ziehen in den Knochen, welches wohl meiner sonstigen Faulheit zu verdanken ist, erhebe ich mich von der hölzernen Bank, auf der ich gesessen habe und schnappe mir meine moosgrüne Tasche, die ich auf den grauen Fliesen unter mir abgestellt hatte. Absichtlich habe ich darauf gewartet, dass die anderen fertig sind, bevor ich selbst mich umziehe, da ich keinen Bock auf irgendwelche Kommentare von Ashley habe, obwohl ich nicht dick oder total hässlich bin, aber sie hasst mich seit Cameron mit ihr, meinetwegen, Schluss, gemacht hat, noch mehr. Typisch Ashley eben! Immer scheint sie einen Grund zu haben, um mich zu nerven und Cameron hat ihr mit der Trennung einen perfekten geliefert.


Mit bereits müden Knochen öffne ich die Tür langsam und trete aus der Umkleide heraus, um nach Cameron zu suchen, der irgendwo in der Nähe warten wollte, bis ich fertig bin.


Als ich ihn nicht sofort erblicke, schaue ich verwundert durch die Gegend. Wo hat er sich versteckt? Wenn er denkt, dass das lustig ist, muss ich ihn leider enttäuschen, denn richtig witzig ist das nicht. Ich will einfach hier weg und nach Hause, um meinen Knochen wenigstens eine kurze Pause zu gönnen.


Ziellos schlendere ich durch den Flur, um nach ihm zu suchen, bis ich plötzlich einige laute Geräusche nur wenige Meter von mir entfernt wahrnehme. Etwas schneller laufe ich weiter um die Ecke und erstarre, als ich Cam erblicke, der lautstark mit einem Snackautomaten streitet. Für wenige Sekunden betrachte ich das äußerst merkwürdige Szenario. Sowas sieht man echt nicht jeden Tag! Das Bild erinnert mich an eine Statistik, die ich vor kurzer Zeit gelesen habe. Darin war deutlich zu sehen, dass zehn Menschen jährlich an der Nutzung eines Snackautomaten sterben. Wie man daran sterben kann, weiß ich echt nicht, aber es ist schon eine komische Vorstellung und dieses Bild erinnert mich einfach so sehr an diese Todeszahl, weshalb ich lieber dazu wischen gehe.


Sanft lege ich meine Arme von hinten um den Körper meines Nachbarn und stelle mich auf die Zehnspitzen, um meinem Nachbarn etwas ins Ohr flüstern zu können: “Was hat dir dieser arme Automat getan, Cam?“ Bei meiner Berührung zuckt er zusammen, beginnt aber dann wie ein kleines Kind zu grinsen, als er merkt, dass ich es bin: “Dieses blöde Gerät weigert sich meinen Snickers auszuspucken. Ich will mein Geld zurück!“ Seine Stimme erinnert mich an die meines Bruders im Alter von zehn Jahren, welche durch das leichte Zittern seiner Lippe nur noch verstärkt wird. Mir ist zwar klar, dass er das absichtlich macht, aber witzig ist es trotzdem. Auch auf meinen Lippen erscheint das gleiche Grinsen wie auf Camerons und ich löse mich von ihm, um feste gegen den Automaten zu hauen. Sofort fällt der braune Riegel aus der Halterung und landet so, dass Cameron ihn sich, mit einem beleidigen Blick im Gesicht, schnappen kann. “War ja klar! Ich habe ihn erst vorgelockert“, verteidigt er seine Ehre. Ich verdrehe nur die Augen und gehe mit meiner Tasche in der Hand den Flur entlang: “Komm jetzt, meine Beine tun weh!“ Als ich das letzte Wort ausgesprochen habe, weiß ich, was ich angerichtet habe. Sofort spüre ich Cams Arme, die meine Taille sanft umfangen. Wenige Sekunden später lösen sich meine Beine vom Boden und ich schwebe in der Luft. Ein entsetzter Schrei entflieht meiner Kehle und ich finde mich in den Armen von Cameron wieder, der mich im Brautstile durch die Gänge der Schule trägt. Sofort sehe ich, wie sich ein zufriedenes Grinsen auf seinen Lippen ausbreitet und dann sind seine weichen Lippen auf meinem Hals. Ein sanfter Schauer überkommt mich und ich spüre, wie mich ein Gefühl überkommt, das ich vorher bei nur wenigen Menschen gespürt habe. Angenehm überrascht schließe ich meine Augen und genieße einfach nur die Situation, anstatt mich zu wehren oder ihn anzulügen und zu sagen, dass ich rein gar nichts für ihn empfinde, denn so fühle ich mich schon lange nicht mehr. Zwar habe ich noch lange nicht vergessen, was in der Vergangenheit geschehen ist, doch in jeder Sekunde, die ich mit ihm verbringe, verblassen diese Erinnerungen immer weiter und werden durch glücklich mit ihm ersetzt und ich will einfach nur grinsen und jedem um mich herum zeigen wie glücklich ich bin. Ist das Liebe? 

Kapitel 37

Sobald wir im Wohnzimmer angekommen sind, lasse ich meine Tasche auf den Boden fallen und schaue mich nach Cameron um, der gerade die Tür abschließt. “Gibt es einen besonderen Grund dafür, dass ich mit zu dir kommen sollte?“, frage ich, um irgendwie eine Konversation zu beginnen, damit es nicht peinlich wird. Unsere Konversation ist, nach dem wir gemeinsam aus dem Auto ausgestiegen sind, nämlich irgendwie abgebrochen, sodass wir still, nebeneinander her, zum Haus gelaufen sind.


Plötzlich legen sich zwei starke Arme um meine Hüften: “Nein, ich liebe es einfach mit dir Zeit zu verbringen und dich um mich zu haben.“ Für einen kurzen Moment zucke ich zusammen, weil ich ernst nicht verstehe, was los ist, doch dann breitet sich ein Grinsen auf meinen Lippen aus. Seine Worte machen mich mehr als glücklich und sorgen dafür, dass mein ganzer Körper sich von innen nach außen erwärmt. Ich drehe mich in seinem Arm so um, dass ich ihm nun genau in die Augen sehen kann. Sanft lehne ich meine Stirn gegen seine und sehe auf seine wunderschönen Lippen. Das scheint auch ihm aufzufallen, weshalb er sich leicht nach vorne lehnt und seine weichen Lippen auf meine legt. In meinem Bauch beginnt es leicht zu kribbeln und ich lege meine rechte Hand an seine Wange, während er mich, mit den Armen, die er um mich geschlungen hat, näher an sich heranzieht. Am liebsten würde ich für immer so bleiben und mich nie wieder von ihm lösen, doch einige Sekunden später lösen wir beide uns wieder japsend voneinander. Grinsen sieht er mich an, löst seine Arme von mir und legt seine Hände an meine Wangen, um mir einen sanften, liebevollen Kuss auf die Stirn zu drücken.


Dann lässt er jedoch eine seiner Hände wieder von meiner Wange, meinen und Hals und meine Schulter hinunter, bis zu der Stelle wandern, an der sich, bevor ich diesen komischen grünen Saft von Cameron getrunken habe, meine Verletzung befunden hat. Nach wie vor ist dort ein leichter Schmerz zu spüren, wenn man darauf drückt. Bei einer Berührung fühlt es sich meistens so an, als würde man mir das Blut abschnüren. Auch ein kurzes Schwindelgefühl umkommt mich. Scheinbar bemerkt mein Nachbar diese Reaktion, weshalb er mich wieder fester an sich zieht. Wahrscheinlich vermutet er, dass ich jede Sekunde umkippen würde. “Tut es noch sehr weh?“, frage er sanft, doch ich schüttele langsam dem Kopf, damit er sich keine Sorgen macht. Er scheint mir jedoch nicht zu glauben: “Lüg mich nicht an, Kat.“ “Tue ich nicht“, feste beiße ich mir auf die Lippe und weiche seinem Blick aus. Seine Hand findet mein Kinn und er versucht mein Gesicht zu sich zu drehen, damit ich ihn ansehe, sagt dieses Mal aber nichts.


Stattdessen schließen sich seine Finger um mein Handgelenk und zieht mich, ein wenig forscher als vermutlich beabsichtigt, mit sich in die Küche. Total überrumpelt davon, wie zielstrebig er vorgeht, sehe ich ihm verwirrt dabei zu, wie er die Küchenschränke zu durchsuchen beginnt: “Was wird das?“ “Ich werde dir helfen“, das Klirren von Geschirr kommt aus seiner Richtung: “Setz dich auf die Anrichte!“
Sein Befehlston gefällt mir gar nicht, weshalb ich stattdessen einfach die Arme vor der Brust fest verschränke und dort stehen bleibe, wo ich bin. Schließlich hat er nicht das Recht mich einfach herumzukommandieren und wenn er wieder das “Mate“- Argument bringt, werde ich wirklich sauer.


Nach wenigen Sekunden drehe sich wieder herum und sieht mich mit einem vorwurfsvollen Blick an: “Ach komm schon, Kat. Du musst mir schon entgegenkommen, wenn ich dir zu helfen versuche.“ “Ich habe dich ja nicht einmal darum gebeten“, gebe ich trotzig zurück. Er legt den Kopf schief: “Du bist ein ganz schöner Dickkopf, weißt du das?“ Ab und zu bin ich tatsächlich ein Dickkopf, aber nur dann, wenn jemand versucht mir zu sagen, was ich tun soll.


Trotzig schauend, sehe ich zu wie Cameron eine kleine Dose, die aussieht wie ein Behältnis für Creme, neben mir abstellt. Sanft legt er seine Hände an meine Hüften, was dafür sorgt, dass ich mich wieder so fühle, als wäre ich in Trance. Der ist für mich sowas wie mein privater Hypnotiseur, der mich nur mit einer einzigen Berührung dazu bringt, ihm zu vertrauen. Eigentlich sollte ich das nicht unbedingt positiv finden, aber er sorgt dafür, dass ich mich wie etwas Besonderes fühle, obwohl ich das keines Falls bin.
Sanft schiebt mein Mate einen Arm unter meinen Po und hebt mich auf die Theke. Obwohl ich es will, kann ich mich nicht wehren, sondern nur den Anblick dieses Jungen genießen. Als ich die harte Oberfläche der Anrichte unter meinem Gesäß spüre, sehe ich ihn fragend an: “Was wird das?“ “Ich verarzte dich“, erklärt er und wendet sich nun der kleinen Dose neben mir zu.
Mit flinken Fingern schraubt er den Deckel ab und lässt seine Finger dann in der weißen Masse, die sich darin befindet, verschwinden. Es riecht nach einer Mischung aus Zitronen und Vanille, was gar nicht schlecht riecht, wenn ich an die widerlichen Kräutersalben denke, die meine Mutter im Bad neben den Globulis, die nebenbei gesagt auch nichts bringen, aufbewahrt. Nachdem er mit den Fingern durch das Gemisch gefahren ist, zieht er diese wieder heraus und hält sie mir so hin, dass ich sie sehen kann. Es ist sowas wie eine Aufforderung ihn ein wenig zu unterstützen, weshalb ich meinen Ärmel nach oben schiebe, damit er meine Kleidung nicht dreckig macht. Dankbar sieht er mich an und führt seine Finger zu meinem Arm und verteilt die klebrige Masse dann auf meiner weichen Haut. Als die kalte Creme auf meinen Körper trifft, zucke ich für einen kurzen Moment zusammen, entspanne mich dann aber wieder schnell und lässt es über mich ergehen.


Als er fertig ist, bittet er mich noch kurz den Arm nicht sofort wieder zu bedecken und ich entscheide mich seiner Bitte einfach nachzukommen. Er sieht mir in die Augen und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht: “Darf ich dich etwas fragen?“ Für einen kurzen Moment überlege ich, was er mich wohl fragen wollten, könnte und als mir nichts einfällt, zucke ich erst kurz mit den Schultern und nicke dann zustimmend: “Klar, frage einfach!“ “Hast du mir verziehen?“, fragt er gerade heraus und überrumpelt mich damit.


Sofort stütze ich mich ein wenig hinter mir ab, um ein wenig Platz zwischen uns zu bringen. Über diese Frage habe ich mir nur wenig Gedanken gemacht. Besonders dann, wenn ich alleine im Bett lag und eigentlich schlafen sollte, aber zu einem tatsächlichen Ergebnis zu gelangen, war mir bisher viel zu schwer und am liebsten würde ich auch diese Antwort auf später verschieben, aber das würde er sicher nicht zulassen.


Zwar hat er mir sehr viel angetan und mir mein Leben auch Jahre lang zu Hölle gemacht, aber trotzdem habe ich in letzter Zeit immer wieder gesehen, dass er sich um mich sorgt und dass ich ihm wichtig bin. Besonders an dem Tag, an dem er mich mit in diese Bar genommen hat, hatte ich das Gefühl ihm wichtig zu sein, schließlich hat er mir einige Leute aus seinem Rudel vorgestellt, was für einen Werwolf sicher so etwas ist wie eine Familie und auf dem Ball hat er sich alle Mühe gegeben mir zu helfen. Und sollte ich wirklich für immer an der Vergangenheit festhalten? Schließlich macht doch jeder Mensch Fehler und auch ich habe sicher auch schon einmal etwas verbockt. Außerdem unterstützt er mich, zum Beispiel beim Vortanzen für die Cheerleader, und er ist auch das erste männlich Geschöpf, bei dem ich das Gefühl habe wirklich geliebt zu sein, wenn man meinen Bruder und meinen Vater außen vorlässt, und in manchen kurzen Momenten habe ich das Gefühl, dass die Zeit still steht, wenn wir zusammen sind.


Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie er den Kopf schief legt und mich fragend ansieht. Er wartet auf seine Antwort! Deshalb treffe ich eine Entscheidung und beuge mich wieder nach vorne. Meine Arme lege ich auf seine Schultern und vergrabe meine Hände in seinem blonden Haare. Ich liebe es einfach ihm hindurch zu fahren. Vorsichtig ziehe ich ihn mit meinen Beinen ein wenig näher an mich heran und flüstere, seinen überraschten Blick registrierend: “Ich verzeihe dir.“ Ich spüre sein breites selbstzufriedenes Lächeln durch den Kontakt unserer Wangen, als er meine Worte zu realisieren beginnt.


Fest schlingen sich seine Arme um mich und ich betrachte den von Kopf bis Fuß energiegeladenen Cameron freudig. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Worte ihn sofort so fröhlich machen würden.


Stürmisch und vollkommen leidenschaftlich beginnt er mich zu küssen. Erst bin ich ein wenig überrascht, doch dann lasse ich es zu und erwidere mit der gleichen Intensität. Mein ganzer Körper beginnt zu kribbeln und plötzlich fühlt es sich so an, als wäre da eine Spannung zwischen uns, die dafür sorgt, dass wir uns wie Magneten gegenseitig anziehen. Mit meinen Beinen ziehe ich ihn noch näher an ihn, während seine Arme sich fester um mich schlingen. Am liebsten würde ich mich nie wieder von ihm lösen und für immer in seinen Armen liegen bleiben. Dass ich jemals so fühlen würde, hätte ich nie gedacht! 

Kapitel 38

Die Stimmen von Vanessa Hudgens und Zac Efron dringt an meine Ohren, während ich einige Nudeln auf meine Gabel aufrolle und in meinen Mund stopfe.


Vor wenigen Stunden stand Cameron, mit chinesischem Essen unterm Arm, vor meiner Tür und wollte Zeit mit mir verbringen. Seit ich ihm vor zwei Tagen sagt habe, dass ich ihm all das verzeihe, was er getan hat, ist ihm tatsächlich anzusehen, wie froh er darüber ist. Fast würde ich sagen, dass er ein wenig anhänglich geworden ist, was aber bisher noch nicht allzu anstrengend ist. Jedenfalls haben wir uns dann dazu entschieden einen Filmabend zu machen, weshalb wir momentan die “High School Musical“ – Reihe schauen, weil ich ziemlich geschockt war, als er mir mitteilte, dass er noch nie einen der Filme gesehen hatte.


Nun sitzen wir nebeneinander auf dem Teppich zwischen Wohnzimmertisch und Sofa und essen gemeinsam heiße, chinesische Nudeln, die einfach nur göttlich schmecken. Cameron muss mir auf jeden Fall sagen, wo er die gekauft hat. Einen Arm hat er sanft um mich gelegt und zieht mich damit an sich. Mein Kopf ruht in der Kuhle zwischen seiner Schulter und seinem Kopf, was ehrlich gesagt gemütlicher ist als gedacht. Mit seinen Augen verfolgt mein Nachbar den Film und sieht dabei tatsächlich ziemlich begeistert aus. “Gefällt dir der Film?“, frage ich schmunzelnd und knuffe ihn sanft in die Seite. Für einige Sekunden wendet er den Blick vom Schauspiel vor ihm ab und sieht mich an, doch den begeisterten Gesichtsausdruck wird er nicht los: “Ja, der ist besser als gedacht. Wenn ich ehrlich bin sogar richtig gut. Die DVD musst du mir unbedingt mal ausleihen!“ Nun muss ich auch grinsen, während ich zusehe, wie er Nudeln auf seine Gabel aufspießt und dann in seinen Mund schiebt: “Kannst du gerne haben. Ich habe den Film ja im Gegensatz zu dir schon tausendmal gesehen.“ Er strahlt mich zufrieden an und nimmt einen Schluck Wasser aus seinem Glas. Sanft führe ich meine Finger zu seinem Mundwinkel, als er das Glas wieder abgestellt hat, und wische die Soße, die dort klebt, weg. Mit der Zunge fährt er ebenfalls zu der Stelle, an der sich gerade noch die Soße befunden hat, um wahrscheinlich sicher zu sein, dass sein Mund wieder sauber ist. Diese Geste bringt mich zum Lachen und ich küsse ihn.
Seine Lippen sind warm auf meinen und ich spüre seine Zunge in meinem Mund, als der den Kuss erwidert. Schnell stelle ich das Essen weg und vergrabe meine Hände dann in seinen Haaren. Auch er stellt das weg, was er gerade noch in den Händen hatte und lässt sie stattdessen zu meinen Hüften wandern. Sogar durch den Stoff hindurch kann ich die Wärme spüren, die von ihm ausgeht und fast fühlt es sich an wie eine leichte Spannung, die zwischen uns besteht. Nach wenigen Augenblicken streckt er seine Beine aus und zieht mich auf seinen Schoß. Für mich kommt das ziemlich unerwartet, weshalb ich mich kurz von ihm lösen muss, um Luft zu holen. Grinsend sieht er mich an: “Wir sollten öfter Filmabende machen.“ “Wenn du wieder chinesisches Essen mitbringst“, stelle ich, ebenfalls grinsend, als Bedingung. Als Antwort beugt er sich wieder zu mir vor und legt seine Lippen erneut auf meine. Ein leichtes Kribbeln entsteht in meinem Bauch, wandert weiter zu meinem Unterleib und verwandelt sich in ein leichtes, angenehmes Ziehen. Erneut beginne ich mich zu fragen, wie er es schafft solche Reaktionen und Gefühle in mir auszulösen. Das konnte noch nie irgendjemand sonst.


Wenige Stunden später haben wir alle Filme durch gesehen, unser Essen aufgegessen und mehr als oft unsere Lippen vereint. Nach wie vor sitze ich auf seinem Schoß, doch langsam spüre ich, wie die Müdigkeit in mir die Zügel in die Hand nimmt und mir sagt, dass es Zeit fürs Bett ist. Ein lautes Gähnen entflieht meiner Kehle, woraufhin ich einen beleidigten Blick von Cameron ernte. Scheinbar denkt er, dass ich mich langweile, was ganz und gar nicht der Fall ist. Wie kann man sich bei diesem Jungen nur langweilen? Schnell rechtfertige ich mich: “Bist du auch so müde wie ich?“ “Nein, du bist da nicht allein“, seufzt er und will mich von sich hinter schieben: “Ich geh dann mal besser nach Hause.“ Ich mache mich aber schwer, halte mich an ihm fest und mache, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, ein Angebot: “Oder du bleibst hier und schläfst in meinem Bett.“ “Ich soll mit dir schlafen?“ Ich verdrehe die Augen und boxe ihn leicht gegen die Brust: “Nein, du sollst in meinem Bett schlafen. Mehr nicht!“ Er tut so, als würde er schmollen, doch ich erkenne an dem leichten Zucken seines rechten Mundwinkels, dass er das Ganze eher lustig findet. Als er zu sprechen beginnt, klingt er fast wie ein kleiner Junge, der nach einem Lutscher fragt: “Na gut, dann ab ins Bett.“ Sanft schubse ich ihn gegen das Sofa, sodass er sich nicht weh tut, und stehe von seinem Schoß auf. So schnell ich kann, räume ich die Essensreste in eine Plastiktüte und spurte beinahe in die Küche, um die Sachen in den Müll zu werfen, damit ich möglichst schnell ins Bett verschwinden kann.


Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, steht er bereits neben der Treppe und sieht mich erwartungsvoll an. Es scheint so, als würde er etwas von mir wollen, doch als ich ihn fragend ansehe, zuckt er nur mit den Schultern. Also mache ich mich auf den Weg zur Treppe und will mich gerade an ihm vorbeischieben, doch bevor ich meinen Fuß auf die erste Holzstufe stellen kann, packt Cameron mich sanft und wirft mich über seine Schulter. Alles geht so schnell, dass ich erst nicht richtig verstehe, was er tut und nur einen lauten Schrei von mir geben kann, doch dann realisiere ich, was da gerade abgeht und fühle mich ein wenig verarscht. Ist ja nicht so, dass ich auch weiß wie man läuft, also bleibe ich einfach in der Position, in die er mich gebracht hat und warte, wie ein nasser Sack über seiner Schulter hängend, darauf, dass wir oben am Treppenabsatz ankommen, doch selbst dann lässt er mich nicht los. Stattdessen läuft er über den Flur und öffnet meine Zimmertür mit seiner freien Hand.


Erst frage ich mich woher er weiß, wo mein Zimmer ist, doch dann fällt mir wieder ein, dass mein Zimmer ja schon als kleines Kind hier war, als wir noch befreundet waren und dass er schon oft genug wegen meines Bruders Ryders darin war, mit dem er sehr gut befreundet ist. Warum es so eine gute Freundschaft ist, kann ich mir nun endlich denken. Abgesehen davon, dass Ryder und Camerons Schwester ein Paar sind und dass mein Nachbar und mein Bruder zusammen in einer Footballmannschaft sind, scheint die Tatsache, dass mein Bruder eine der einzigen menschlichen Personen zu sein scheint, die weiß, dass Cameron und Claire Werwölfe sind, ihrer Freundschaft ebenfalls sehr gut zu tun.


Endlich lässt er mich auf mein weiches Bett fallen und setzt sich dann neben mich. Ich bleibe einfach auf dem Bett liegen und schließe die Augen: “Gute Nacht, Cam!“ “Willst du dich nicht umziehen?“ “Nein“, murmele ich, öffne dann aber doch die Augen und gehe zu meinen Schrank, als ich merke, dass er recht hat. Auf meinem Rücken spüre ich seine Blicke und werfe ihm über die Schulter einen wartenden Blick zu. Er versteht, worauf ich warte, und dreht sich um. So schnell ich kann, ziehe ich mich um, weil ich Angst habe, dass er sich doch wieder umdreht, bevor ich fertig bin. Dann lasse ich mich zurück aufs Bett fallen und schlinge meine Arme um seinen Bauch. “Was machst du da?“, fragt er lachend. “Ich umarme deinen Bauch“, erkläre ich: “Sieht man doch!“ “Magst du meinen Bauch etwa?“ Ich nicke grinsend: “Ja, ich liebe alles an dir!“ 

Kapitel 39

Am frühen Sonntagmorgen nehme ich plötzlich wie aus weiter Ferne die leisen Stimmen einiger Menschen in meiner Nähe, die mich aus dem Schlaf reißen. Erst will ich versuchen mich einfach umzudrehen, die Stimmen zu ignorieren und weiter zu schlafen, doch das erweist sich als unmöglich, als ich mit meinem Bein auf einmal gegen etwas Hartes neben mir stoße. Verwundert runzele ich die Stirn und öffne dann ganz langsam die Augen. Um mich an das grelle Licht in meinem Zimmer gewöhnen zu können, blinzele ich mehrmals nacheinander, woraufhin sich auf mein Blick schärft.

 

Sofort erkenne ich Camerons Bein, gegen das ich gestoßen bin. Im Schlaf scheint mein Nachbar seine Beine um meine Hüften geschlungen zu haben, während ich meinen Kopf auf seine Brust gelegt habe. Nachdem ich mehrmals in meinen Erinnerungen gegraben habe, kann ich mir auch endlich erklären, warum er kein Oberteil trägt.

 

"Katherine Freeman", als die laute Stimme meiner Mutter plötzlich links von meinem Ohr zu hören ist, erschrecke ich total und zucke zusammen: "Was hat das zu bedeuten, Fräulein!" Oh Gott, sie benutzt meinen vollen Namen. Das tun Mütter sonst nur, wenn sie richtig, richtig wütend sind, was scheinbar auch in diesem Moment der Fall ist.

 

Geschockt versuche ich sofort mich aufzusetzen und Cameron von mir weg zu schieben, doch er klammert sich, noch im Halbschlaf, fester an meine Taille und hindert mich daran. Seinen Kopf lenkt er gegen meinen eigenen und seufzt leise, was eigentlich ziemlich süß wäre, wenn meine Mutter nicht daneben stehen würde.

 

Der wütende Blick auf meiner Mutter ist unverkennbar und am liebsten würde ich im Boden versinken. Glücklicherweise ist mein Mate noch nicht richtig wach, sonst würde er wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen. Darauf wette ich, schließlich schafft er das sonst auch immer wie ein richtiges Naturtalent.

 

Als ich endlich wieder alles richtig sehen kann und wirklich wach bin, erblicke ich nun auch meinen großen Bruder Ryder, der sich entspannt gegen den Türrahmen gelehnt halb im Zimmer steht und das ganze Geschehen amüsiert beobachtet. Wenn er will, kann er richtig schadenfroh sein. Nachvollziehen kann ich es jedoch, dass er die ganze Situation lustig findet, schließlich würde ich nicht wirklich anders reagieren, wenn nicht gerade ich in dieser Situation wäre.

 

"Es ist nicht so, wie es aussieht, Mom", versuche ich ihr stotternd klar zu machen. Irgendwie fühle ich mich verdammt ertappt: "Gestern Abend war es doch so spät und wir waren beide so müde, also habe ich Cameron gefragt, ob er hier schlafen will. Das ist alles!" Ein verächtliches Schnaufen entfernt meiner, sonst so entspannten Mutter, doch, wie so oft, wird sie unberechenbar, wenn sie einmal ihren Beschützerinstink aktiviert hat.

 

Aus dem Augenwinkel bemerke ich in diesem Moment, dass nun auch Cameron aus seinem Halbschlaf erwacht ist und sich müde blinzelnd umsieht. "Was ist denn hier los?", fragt er mit einer kratzigen Stimme, was wohl daran liegen muss, dass er die ganze Nacht mit offenem Mund geschlafen zu haben scheint. Das kenne ich selbst, nämlich nur zu gut. "Cameron Elliot Ross", beginnt meine Mutter mit ihrer nachwievor wütenden und skeptischen Stimme, doch dieses Mal geht mein Bruder dazwischen, während ich versuche mit der Tatsache klar zu kommen, dass meine Mutter gerade meinem Freund eine Ansage machen wollte. Wieso erinnert sie sich überhaupt noch an seinen Zweitnamen? Daran konnte ich mich ja selbst, bis grade, nicht mehr erinnern.

 

"Entspann dich, Mom. Wenn Katherine sagt, dass nichts geschehen ist, dann kannst du ihr das glauben oder denkst du, dass sie dich deshalb anlügen würde?", fragt meinen Bruder nun schnell und klingt dabei ziemlich vorwurfsvoll. Genervt verdreht sie die Augen: "Nein, ich vertraue Katherine, aber diesem Jungen nicht." Sie deutet auf Cameron, der daraufhin zusammen zuckt, weshalb ich meiner Mutter einen wütenden Blick zu werfe: "Ich bin fast achtzehn Jahre alt und ich weiß genau mit wem ich mich abgebe, Mom. Lass mich doch einfach selbst entscheiden. Ich bin verantwortungsbewusst genug." Scheinbar erinnert sich meine Mutter nun doch wieder, dass ich mich nicht mehr die kleine, zehn-jährige Kitty, sondern die siebzehn-jährige Katy bin. "Na gut, ich vertraue darauf, dass du weißt, was du da tust, Schatz", sind ihre letzten Worte, bevor sie sich an meinem Bruder vorbeischiebt und den Flur entlang, bis in die Küche, rauscht.

 

Erleichtert lasse ich mich wieder tiefer in die Kissen sinken und starre für wenige Sekunden auf die weiße Decke über mir. Dann drehe ich meinen Kopf in Richtung Ryder, der gerade dabei ist, aus dem Zimmer zu verschwinden, doch ich halte ihn auf: "Hey, Ry." Er bleibt kurz vor der Tür stehen und dreht sich zum mir herum: "Ja, Katy?" Ein breites Lächeln hat sich auf seinem Gesicht ausgebreitet und sein Blick huscht immer wieder zwischen Cameron und mir hin und her. Fast wie automatisch färben sich meine Wangen knallrot und ich winke abwehrend mit den Händen: "Das ist nicht so, wie es aussieht." "Wirklich?", fragt er nochmal nach, während das Lächeln noch breiter wird. Ich sehe ihm dabei zu, wie er seine Sachen faltet und beteure erneut: "Ja, wirklich, Ry." Er scheint zwar noch lange nicht beruhigt zu sein, was mir sein skeptischer Blick verrät, lässt mich aber in Ruhe und verlässt den Raum, nachdem er seinem Teamcollegen und Nachbarn eine scharfe Warnung entgegengezischt hat: "Wehe du bringst sie in Gefahr, Cam. Dann breche ich dir jeden deiner armseligen Knochen einzeln." Mit diesen Worten ist er dann endgültig verschwunden.

 

Dann sind wir wieder endlich allein, doch anstatt ein Gespräch zu beginnen, herrscht eine bedrückende, kalte Stille zwischen uns, der ich am liebsten sofort entfliehen würde.

 

Nach einiger Weile fragt er: "Das hat er nicht ernst gemeint, oder?" Natürlich lache ich laut und schmiege mich an den Jungen, der mich mit einer gewissen Unsicherheit in seinem Blick mustert. Sofort beginne ich mich zu fragen, warum er mich das fragt. Schließlich ist er ein Werwolf, während mein Bruder nur ein normaler Mensch ist, und könnte ihm wahrscheinlich mit einem einzigen, leichten Schlag das Genick brechen. "Nein, das war natürlich ein Witz", beruhige ich ihn und verschränkte sanft meine Finger in seinen. Als unsere Fingerspitzen sich berühren, durchfährt mich plötzlich etwas, was sich wie Starkstrom anfühlt, doch anstatt sich unangenehm anzufühlen, sorgt diese Energie zwischen uns für ein unglaubliches Glücksgefühl in meinem Inneren, das mich fast zum Explodieren bringt und ein angenehmer Schauer breitet sich über meinem ganzen Rücken aus. Unsere Blicke treffen sich und mit seiner freien Hand führt mein Mate seine Finger zu meinem Kinn und führt mein Gesicht ein Stück näher an seines. Seinen warmen Atem spüre ich auf meiner rechten Wange und kaum scheint er seinen Blick von meinen Lippen abwenden zu können. Küss mich, flehe ich innerlich und atme den süßen Duft ein, den er versprüht. Wie von Gotteshand werden meine Gebete erhöht und unsere Lippen berühren einander. Seine Zunge findet den Weg in meinen Mund und vergrabe eine Hand in seinen Haaren. Ein leises Stöhnen entflieht meiner Kehle, als er den Kuss intensiviert und seine Beine feste um mich schlingt.

 

Nach einer kleinen Ewigkeit lösen wir uns voneinander und während ich nach Luft schnappe, bahnen seine Lippen sich den Weg zu meinem Ohr. Erneut erzeugt sein Atem an meinem Hals, einen Schauer auf meinem Rücken, bringt aber auch ein leichtes Ziehen im Unterleib mit sich und am liebsten würde ich ihn erneut an mich ziehen.

 

Als er spricht, ist seine Stimme tief und leidenschaftlich, was dieses ungewohnte Ziehen nur noch mehr verstärkt: "Katy?" Unfähig zu sprechen, ohne die Kontrolle über meinen Geist zu verlieren, nicke ich deshalb nur still und warte auf das was, als Nächstes kommen wird. "Ich habe heute große Pläne und du bist eine große Komponente darin", erklärt er und ich spüre sein Lächeln an meiner Haut, ohne es zu sehen: "Also, hast du Zeit?" "Ich gehöre ganz dir", flüstere ich nun ziemlich interessiert. Was er wohl mit mir vorhat!

 

Kapitel 40

Als ich checke, dass wir tatsächlich vor einem Dojo stehen und uns nicht verfahren haben, fällt mir die Kinnlade herunter.
Nach der Lappalie am frühen Morgen, dachte ich eigentlich, dass der Tag nicht mehr viel merkwürdiger werden kann, doch da habe ich mich scheinbar geirrt. Nach dem Mittagessen hat Cameron mich gebeten in sein Auto zu steigen und ist dann zielstrebig losgefahren und in die nächste größere Stadt in der Nähe gefahren.


Und nun stehen wir hier gemeinsam, während ich fassungslos auf das Schild vor mir starre, welches mit den schwarzen “Dojo“-Buchstaben geschmückt ist. Ich hatte eher mit einem romantischen Ort gerechnet zum Beispiel einem Park oder einem Kino, aber stattdessen bringt mich mein Nachbar in ein Zentrum für Kampfkunst. Was soll ich hier? Ich hasse Sport, wenn es nicht ums Reiten, Schwimmen oder Schulcheerleading geht!


“Sicher, dass wir hier richtig sind?“, frage ich ein wenig dümmlich und hoffe einfach, dass er sich nur getäuscht habe, weil ich wirklich keine Ahnung von Kampfsport habe und auch nicht unbedingt Lust habe mir dabei den Hals zu brechen. “Ja, ich bin mir sicher“, antwortet er freundlich und legt einen Arm um meine Schultern: “Oder willst du lieber woanders hin.“ Am liebsten hätte ich gerne mit einem lauten “Ja“ geantwortet, doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich bei der Aktion schon etwas gedacht haben muss, denn heute Morgen erwähnte er irgendwelche Pläne, die er zu haben schien.


Also atme ich einmal tief durch und fasse mir mein Herz. Für die Liebe muss ich wohl mal etwas opfern: “Nein, alles gut. Ich hatte heute sowieso Lust auf … Kampfsport.“ Sogar ein ehrliches Lächeln kann ich zustande bringen. Schließlich ist es doch egal wo wir Zeit verbringen, solange wir zusammen sind, oder? “Perfekt“, er schenkt mir, von Freude gepackt, ein kindliches Lächeln und ich bereue nichts. Es ist das wahrhaftigste, ehrlichste Lächeln, das ich je gesehen habe und am liebsten würde ich es zu jeder Tageszeit auf seinen Lippen sehen. Cameron ist eben einfach nur einzigartig.


Sobald ich mich umgezogen habe, schaue ich mich interessiert im Studio um. Cameron hat versucht mir zu sagen, wo ich hingehen soll, wenn ich fertig bin, doch irgendwie habe ich es mittlerweile wieder vergessen. Deshalb irre ich ein wenig durch das Gebäude, bis ich in einem großen Saal ankomme.


Die Wände sind aus dunkelbraunem Stein gebaut und auch der Boden besteht aus diesem Material. Mehrere hohe, große Fenster lassen viel Licht in das Gebäude hinein und projizieren weißes Licht auf den Boden und in der Mitte sind mehrere blaue Matten nebeneinander ausgebreitet. Auf einer der großen Matten erkenne ich jetzt auch Cameron, der scheinbar auf mich wartet.


Laut räuspere ich mich und gehe langsam auf ihn zu. Kurz zuckt er zusammen und fährt dann schnell herum. Seine Arme und Beine hat er wie automatisch in eine typische Kampfposition gebracht. Der Schreck fällt mir in die Glieder und ich zucke erschrocken zusammen. Damit hätte ich jetzt nie gerechnet. Wieso reagiert er plötzlich so, als hätte er damit gerechnet, dass hinter ihm ein Feind stehen könnte. “Ist alles gut?“, frage ich ihn überrascht und laufe langsam auf ihn zu, während ich beschwichtigend die Hände vor meinen Körper halte. “Ja, tut mir leid“, erlässt seine Hände sinken und stellt sich dann normal wieder hin:“Ich war gerade nicht ganz bei der Sache.“ Auf meiner Stirn bilden sich Sorgenfalten. Seine Reaktion ist für mich total unverständlich und ich beginne mich zu fragen, ob er ein wenig paranoid wird, was ich zuvor eigentlich nie vermutet habe. Möglicherweise hängt es aber auch mit den Problemen des Rudels zusammen, die Ryder mal angedeutet hat. Cameron danach zu fragen traue ich mich jedoch auch nicht, weil ich nicht sicher bin, ob Ryder es mir überhaupt erzählen durfte oder nicht, da ich ihm keine Probleme machen will, weshalb ich stattdessen einfach auf ich zukommen und sage: “Na gut, aber du weißt doch, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du Hilfe brauchst, oder?“ Er nickt und ein zaghaftes Lächeln ist auf seinen Lippen zu erkennen, als er mich in seine Arme schließt und einen sanften Kuss auf meine Stirn drückt: “Wie könnte ich das vergessen, Kat?“ Ich muss bei dem Gedanken daran wie sehr er sich verändert hat, grinsen, weil ich das früher nicht erwartet hätte. Wir beide sind wohl reifer geworden und gehen dementsprechend auch miteinander um: “Also, was wolltest du mir beibringen?“ Seine Reaktion auf meine Frage trifft mich total unerwartet. Seine ganzen Muskeln spannen sich bei meiner Frage an und sein kompletter Körper verkrampft sich. An meiner Wange spüre ich seine Kieferknochen, die er angespannt mahlen lässt. Habe ich etwas Falsches gesagt? “Ich will, dass du dich im Notfall selbst verteidigen kannst, Kat“, erklärt er und löst sich von mir: “Es geht mir um deine Sicherheit!“ Seine Worte beunruhigen mich. “Was ist los, Cameron?“, meine Stimme klingt alles andere als sicher und zittert kaum hörbar. Er nimmt mein Gesicht liebevoll in seine Hände: “Nichts, aber ich will einfach nur sicher sein können, dass du auf dich aufpassen kannst.“ Ist ja nicht so, als wüsste ich, wie das geht, denke ich mir, nicke aber nur, anstatt etwas dazu zu sagen. “Also bist du bereit zu lernen?“, fragt er mich weiter und nun muss ich mich doch wieder konzentrieren, um einen sinnvollen Satz herausbringen zu können: “Ja, wenn dir das so wichtig ist.“ Glücklicherweise gelingt es mir recht passabel meine Verwunderung über sein Verhalten und die leichte Angst, die daraus resultiert, zu verstecken und in meiner Stimme nicht mitwirken zu lassen. Nun entspannt sich sein Körper wieder, doch wenn ich ihn ansehe, spüre ich eine komische Aura, die mir sagt, dass irgendwas mit ihm gar nicht stimmt. 

Kapitel 41

Das kalte Eis zwischen meinen Zähnen lässt Gehirnfrost in meinem Kopf entstehen und sorgt dafür, dass ich die Hände gegen den Kopf schlage. Vielleicht war es doch keine gute Idee nach dem Kampftrainig mit Cameron Eis essen zu gehen, doch ich dachte, dass das leckere Eis meinem geschundenen Körper guttun würde. Sonst klappt das schließlich auch immer bestens.


Niedergeschlagen stecke ich meinen Löffel zurück in den großen Spaghettieisbecher, um zu warten, bis die Kopfschmerzen nachlassen, was bei mir merkwürdiger immer ziemlich lange dauert. Mein Blick wandert hinüber zu Cameron, der mir gegenüber sitzt und sein eigenes Eis mit großen Happen nahezu verschlingt. Ob dieser starke Hunger wohl darin seine Ursache hat, dass er ein halber Wolf ist? Bei Gelegenheit werde ich ihn das mal fragen müssen.


Als er meinen Blick entdeckt, lässt er ebenfalls seinen Löffel sinken und fragt mich verwundert: “Ist alles okay, Kat?“ Seine Fürsorge rührt mich: “Ja, alles gut. Ich habe nur Hirnfrost!“ “Hast du das oft?“, fragt er lachend. Ich steige in das Gelächter ein und nicke: “Du nicht?“ “Nein, noch nie“, lacht er und hält mir seinen Löffel, der mit seinem Eis bedeckt ist, vor den Mund. Grinsend öffne ich den Mund und schmecke die kalte, süße Masse. Sein Eis schmeckt ehrlich gesagt noch besser als mein eigenes, weshalb ich schnell meinen Löffel nehme, als die kleine Portion Eis von seinem Löffel gegessen habe, und sein eigenes Eis zu vernaschen beginne. “Hey, das ist meins“, mault er grinsend und drückt seinen Löffel daraufhin in mein Eis, was mich aber eher weniger stört.


Am liebsten würde ich mit ihm für immer hier sitzen, Eis essen und Spaß haben, denn jedes Mal, wenn wir gemeinsam Zeit verbringen, fühle ich diese wunderbare Unbeschwertheit, die ich, als ich Cameron und ich uns noch hassten, nie gespürt und mir immer herbeigewünscht habe. Ich atme tief durch, schließe die Augen und genieße die Situation, doch gerade als mir fast ein leiser Seufzer entflieht, klingelt ein Handy neben mir und ich öffne überrascht die Augen.


Automatisch taste ich mit meiner rechten Hand an meinen Taschen herum, um mein Handy herauszuziehen, doch als mir das endlich gelingt, stelle ich fest, dass es gar nicht mein Handy war, was geklingelt hat. Verwundert ziehe ich eine Augenbraue hoch und sehe zu Cameron, der mit einem wütenden Blick auf sein klingelndes Handy starrt, aber keine Anstalten macht dran zu gehen. “Wieso gehst du nicht ran?“, frage ich ein wenig verwirrt. Schließlich verstehe ich nicht, warum er sich weigert ans Handy zu gehen und warum er wütend ist. Daran, dass man uns unterbricht, kann es nicht liegen, denn weitermachen können wir ja auch später noch. “Keine Lust“, sagt er und legt das Smartphone zurück auf den Tisch. Daraufhin hört es kurz auf zu klingeln, doch dann beginnt es wieder, doch Cameron scheint das nicht zu interessieren, weshalb ich selbst nach dem Handy greife und auf den grünen “Annehmen“ – Knopf drücke. Mit einer Hand führe ich das Smartphone ans Ohr und versuche den Anrufer zu identifizieren, in dem ich frage: “Handy von Cameron Ross. Wer ist da?“ “Katy? Bist du das?“, sofort kann ich die Stimme am anderen Ende als Tonys, die eines anderen Wolfes aus Camerons Rudel, identifizieren. “Tony? Ja, ich bin, Katy“, erkläre ich, während mein Blick zu Cameron wandert, der mich, mit leichter Wut in seinem Blick, ansieht. “Ist Cameron bei dir?“ fragt der Wolf, mit den besonderen Augen, am anderen Ende. “Ja, soll ich ihn dir geben?“, frage ich weiter und sehe Cameron zu, der abwehrend den Kopf schüttelt, doch als Tony meine Frage bejaht, reiche ich ihm das Handy, ohne auf seine Bitten einfach aufzulegen, zu hören.


Entnervt verdreht er die Augen, als ich es ihm reiche, legt aber nicht auf, sondern beginnt mit Tony zu reden. Interessiert sehe ich zu, weil ich echt keine Ahnung habe, was der andere Wolf wollen könnte. Schließlich ist Cameron ja nicht in seinem Alter, als wird es wohl kaum um ein freundschaftliches Treffen gehen.


Mit einer Handbewegung bedeutet er mir, dass er kurz nach draußen gehen wird, woraufhin meine Augenbrauen automatisch fragend nach oben wandern, doch um zu fragen, was los ist, habe ich keine Zeit mehr, denn bevor ich überhaupt den Mund öffnen kann, ist er aufgestanden und hat das Café verlassen.


Erstaunt blicke ich ihm hinterher und lasse mich gegen meine Stuhllehne sinken. Jetzt wurde ich einfach stehen gelassen. Danke dafür, denke ich nur, das war ein richtiger Korb, und esse gedankenverloren mein schmackhaftes Eis weiter, während ich auf die Rückkehr meines Freundes warte, die sich länger hinzieht als gedacht.


Nachdem ich fast zu beginnen denke, dass mein Mate gar nicht mehr zu mir zurückkehren wird, sondern nur seine Chance genutzt hat, um von diesem Ort abzuhauen, eilt er durch die Glastür zurück zu mir und greift seine Jacke vom Stuhl.


Aus meinen Gedanken gerissen, lehne ich mich wieder zu ihm nach vorne und frage: “Was ist los?“ Doch er zieht nur sein Portmonee aus der Jackentasche und wirft einige Geldscheine auf den Tisch: “Erkläre ich dir später. Jetzt komm! Wir müssen los. Sofort!“ Sein plötzlicher Befehlston erschreckt mich und sagt mir, dass er es ernst meint. Auf einmal beschleicht mich das ungute Gefühl, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss, welches durch sein kreidebleiches Gesicht nur noch verstärkt wird, weshalb ich mir ebenfalls schnell die Jacke überwerfe und die Hand ergreife, die er mir hinstreckt, nachdem er bezahlt hat.


Wie auf einer Hetzjagd zieht mich Cameron zum Ausgang und als ich unterbewusst das Zittern seiner Hand, die er in meiner verschränkt hält, wahr nehme, breitet sich das beunruhigende Gefühl, dass irgendwas geschehen sein muss, in meinem Inneren noch weiter aus und lässt das Adrenalin wild durch meine Adern pulsieren. Mein Gehirn ist beinahe wie betäubt und lässt nur den Gedanken zu, dass gerade eben irgendetwas Bedrohliches geschehen sein muss und als wir gemeinsam nach draußen auf die Straße taumeln, scheint es, als würde der unheimliche Nebel des Todes über der ganzen Stadt wabern. 

Kapitel 42

Zehn Minuten vor Beginn der Mathestunde, durch die ich jeden Montag durch muss, schneit unser Lehrer in den Klassenraum und lässt seine Tasche geräuschvoll aufs Pult fallen, doch diesem Schauspiel schenke ich eher weniger Beachtung. Stattdessen unterbreche ich meine Unterhaltung mit Morgan und Kyle, die an meiner rechten und linken Seite sitzen, um mich im Raum nach meinem Nachbarn umzusehen.

 

Nachdem er mit mir überstürzt die Eisdiele verlassen hat und mich nach Hause gefahren hat, hat er sich den ganzen Sonntag lang nicht mehr gemeldet und auch heute habe ich noch kein Wort von ihm gehört. Langsam beginne ich mir sogar tatsächlich Sorgen zu machen, weil er am Sonntag so panisch und ängstlich wirkte, was für ihn mehr als komisch ist, da er selbst beim Footballspielen immer einen kühlen Kopf behält. Irgendwas beunruhigendes muss passiert sein, doch er hat kein Wort darüber verloren, was genau los ist. Den ganzen Sonntag über habe ich immer wieder auf mein Handy geblickt und darauf gewartet, dass er mich anschreibt oder anruft, aber da wurde ich leider enttäuscht, weshalb ich nun ein überwältigendes Glücksgefühl verspüre, als mein Mate den Raum betritt. Es ist fast so, als würde eine starke, elektrische Spannung zwischen uns knistern.


Mit den Augen folge ich ihm aufmerksam und komme mir fast vor wie ein Stalker, als ich ihn dabei beobachte wie er den Raum durchquert und sich auf einen Platz am Tisch hinter mir fallen lässt. Auf meinen Stuhl drehe ich mich um und versuche seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, in dem ich ihn freudig begrüße, doch er antwortet mir nicht, sondern reißt einen Zettel aus seinem Collegeblock. Dann zieht er einen Füller aus seinem Etui und beginnt etwas auf den Zettel zu schreiben.


Enttäuschung macht sich in mir breit, weil ich keine Ahnung habe, was los ist, und bevor ich etwas Weiteres sagen kann, beginnt unser Lehrer mit dem Unterricht, weshalb ich mich wieder nach vorne drehe und versuche dem Geschehen an der Tafel vor mir zu folgen.


Der Unterricht ist heute leider ziemlich langweilig, weshalb ich beginne mit einem Bleistift in meinem Heft herum zu kritzeln und mit Morgan und Kyle zu reden. Am Rande registriere ich, dass mein bester Freund versucht sie meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch ich bin in meinem Gedanken bei Cameron und gehe immer wieder den vergangenen Tag innerlich durch, um heraus zu finden, was mit ihm los sein könnte. Dass es mit dem Rudel zu tun hat, weiß ich auf jeden Fall ganz sicher, aber was genau ist passiert?


So in meinen Gedanken gefangen, falle ich fast vor Schreck von meinem Stuhl, als mich auf einmal etwas Weiches am Rücken trifft. Überrascht lasse ich meinen Stift los und drehe mich auf meinem Stuhl um, um meinen Blick über den Boden wandern zu lassen, bis ich das weiße Papierknäuel erblicke, dass mich scheinbar so erschreckt hat. Mit flinken Fingern greife ich danach und setze mich wieder richtig hin, komme aber nicht drum herum Cameron einen fragenden Blick zuwerfen. Er schaut mich eindringlich an und sofort sagt mir sein Blick, dass auf dem Zettel eine wichtige Nachricht geschrieben steht.


Mit einer nach oben gezogenen Augenbraue drehe ich mich wieder nach vorne und falte den Zettel unter dem Tisch auseinander. Sofort versuchen Morgan und Kyle ebenfalls zu lesen, was auf dem Zettel steht, doch ich drücke ihn gegen meine Brust und sehe beide warnend an. Morgan hebt sofort abwehrend die Hände und wendet sich wieder ihrer Laugenstange zu, die sie heimlich unter dem Tisch zu essen versucht.


Kyle hingegen sieht mich grimmig an und dreht sich kurz zu Cameron um. Beinahe scheint es so, als würde er gleich auf den Jungen hinter ihm losgehen, obwohl ich nicht verstehe, was los ist. Zwar weiß er, was Cameron und ich früher für eine Beziehung hatten, aber trotzdem verstehe ich seine Reaktion gerade nicht, denn er muss ja mitbekommen haben, dass wir uns wieder besser verstehen und nun gerne Zeit miteinander verbringen. Morgan meinte zwar schonmal, dass Kyle in mich verliebt ist, aber das habe ich ihr nie geglaubt und tue es auch jetzt nicht, denn für mich ist das der abwegigste Grund für das Verhalten meines besten Freundes.


Doch anstatt mich weiter dem Jungen zuzuwenden, beginne ich zu lesen, was auf dem Zettel steht, der zu meiner Überraschung eine Entschuldigung mit einer anschließenden Erklärung enthält.


Hey Kat,
tut mir leid, dass ich mich gestern nicht mehr bei dir gemeldet habe, aber es gab da einiges mit dem Rudel zu klären. Ich verspreche, dass ich es wieder gut machen werde. Nun aber erst mal dazu, was passiert ist, auch wenn das hier sicher nicht der beste Weg ist alles zu erklären. Also, …wie fange ich an? Am Sonntag haben wir einige Werwölfe aus dem Rudel auf eine Patrolie an der Stadtgrenze geschickt, weil wir dort merkwürdige Aktivitäten festgestellt hatten. Eigentlich sollte es kein großes Ding sein, aber als Tony angerufen hat, habe ich erfahren, dass sie alle ermordet wurden. Deshalb musste ich auch so schnell nach Hause, weil mein Vater mit dem Rudel sprechen wollte. Ich wollte echt nicht, dass du dir Sorgen machst und ignorieren wollte ich dich auch nicht. Beim nächsten Mal sage ich dir, was los ist und dich mehr in die Angelegenheiten des Rudels mit einbinden, wenn du das willst. Versprochen! Schließlich bist du meine Mate, obwohl ich weiß, dass du es hasst, wenn ich das sage. Damit fangen wir gleich morgen an.
Hab dich lieb,
dein Traumboy


Als ich lese, dass er mit “Traumboy“ unterschrieben hat, und das Papier in meine Tasche gestopft habe, verdrehe ich automatisch ein wenig genervt die Augen, kann ein liebevolles Lächeln aber nicht verstecken, als ich mich zu ihm umdrehe und ihm ein leises “In Ordnung“ zuflüstere. Sofort beginnt er zu strahlen und zwinkert mir amüsiert zu.


Morgans Blick reißt mich jedoch wieder aus der Trance, in die Cameron mich versetzt hat. Sie hat eine Augenbraue nach oben gezogen und ihr Mund steht einen Spalt breit offen. Zwar hatte auch sie mitbekommen, dass es zwischen Cameron und mir besser läuft, doch nicht immer ist sie bei uns und jetzt gerade war es wohl mehr als eindeutig, was wir füreinander fühlen. Ihren Zeigefinger richtet sie überrascht und sogar ein wenig anklagend auf mein Lächeln, welches mittlerweile zu einem breiten Grinsen geworden ist, und fragt leise flüsternd “Wann ist das denn passiert?“, während ihr Blick immer zwischen Cameron und mir hin und her huscht. “Was meinst du?“, frage ich scheinheilig und versuche so zu tun, als wüsste ich nicht, was sie meint. Morgan hingegen legt ihren Kopf jedoch vorwurfsvoll schief und ohne dass sie etwas sagen muss, weiß ich genau, dass sie die Wahrheit und nicht irgendwelche ausreden hören will. Gleichzeitig weiß ich aber, dass ich ihr wahrscheinlich niemals sagen können werde, was es mit Cameron und mir auf sich hat, denn davon, dass mein Nachbar und seine Schwester Werwölfe sind, darf sie niemals etwas erfahren. 

Kapitel 43

Die silbernen Sterne blinken über mir und liefern mir bei jedem Blick in den Nachthimmel ein wunderschönes Bild. Auf der Treppe sitzend, habe ich den Kopf in meine Hände gestützt und genieße die kühle, sommerliche Abendluft. Entspannt betrachte ich die Sonne, die hinter den Häusern in unserer Nachbarschaft untergeht. Mit meinen Gedanken bin ich ganz bei den Neuigkeiten die Cameron mir heute hat zukommen lassen, weshalb ich kaum bemerke, dass ich gedankenverloren den kleinen Zettel, den er mir heute zugeworfen hat, aus meiner Tasche krame. Nun bereue ich es ziemlich, dass ich ein wenig wütend auf ihn war, weil er sich nicht gemeldet hat. Schließlich hatte er sicher einiges zu tun, nachdem die Werwölfe aus seinem Rudel angegriffen wurden.


Manchmal habe ich schon oft darüber nachgedacht, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich auch eine Werwölfin wäre. Dann könnte würde ich alles mitbekommen, was im Rudel passiert und könnte Camerons Probleme viel besser verstehen, als ich es als normaler Mensch kann, aber andererseits müsste ich mich auch irgendwie verwandeln lassen. Zwar weiß ich nicht wirklich wie das geht, da ich mit Cameron nie darüber geredet habe, aber sicher ist das nicht so leicht wie man es vielleicht denkt. Außerdem müsste ich dann für immer als Werwölfin leben und könnte es nicht mehr rückgängig machen. Kurz gesagt, ich stecke in einer richtigen Zwickmühle, über die ich mit niemandem reden kann.


Cameron würde meine Probleme nicht verstehen, weil er nicht in meiner Situation, sondern ein Wolf, ist und Morgan oder Kyle kann ich sowieso nicht von den übernatürlichen Wesen erzählen. Auch Ryder wäre dafür sicher völlig unzugänglich und würde versuchen mir das auszureden. Also muss ich wohl selbst irgendwie eine Entscheidung treffen.


Wie aus weiter Ferne nehme ich wahr, wie nur wenige Meter von mir entfernt ein Auto laut quietschend bremst und dann brutal vom Fahrer abgewürgt wird. Überrascht hebe ich blinzelnd den Kopf und mustere das Auto.

 

Es ist matt schwarz lackiert und trägt ein mir bekanntes Nummernschild. Verwundert über die Ankunft dieses Autos stehe ich auf und versuche herauszufinden, was Kyles ältere Schwester Mia hier will. Langsam laufe ich durch den Garten und versuche den Fahrer zu erkennen. Gespannt sehe ich zu, wie sich die Tür auf der Fahrerseite des Autos öffnet und wie dann Kyle aussteigt. Automatisch wandern meine Augenbrauen in die Höhe und zeigen meine Verwunderung, denn ihn hätte ich heute am wenigsten hier erwartet.


Schließlich war er in der Mathestunde heute Morgen ziemlich schlecht gelaunt und hat sich auch wenig Mühe gegeben das zu verstecken. Deshalb bin ich nun auch so überrascht von seinem erscheinen. “Kyle? Was tust du denn hier?“, platzt es mir unbeholfen heraus und am liebsten hätte ich mich dafür einen festen Klaps gegeben. Das war echt nicht sonderlich einfühlsam.


Kyle antwortet jedoch nicht, sondern läuft einfach weiter auf mich zu. Sein Verhalten bereitet mir ziemliche Sorgen, weshalb ich weiter spreche: “Willst du rein kommen?“ Kurz vor mir bleibt er stehen: “Nein, ich will nicht rein kommen, Katy.“ “Warum bist du dann hier?“, frage ich verwirrt weiter. “Ich will dir etwas sagen“, antwortet er und sieht mir tief in die Augen, während er seine Arme sanft auf meine Schultern legt. Misstrauen macht sich auf meinem Gesicht breit und am liebsten würde ich ihn bitten mich loszulassen, da er auf mich heute ganz und gar nicht so klingt wie sonst, doch ich lasse es, weil ich wenig Lust auf einen handfesten Streit mit ihm habe: “Na gut, dann frag mich.“


Für einen kurzen Moment scheint es so, als würde er überlegen wie er fragen sollte, bevor er seine Frage stellt: “Bist du mit Cameron zusammen?“ Sein Ton ist kalt und lässt mich bei seinen Worten zusammen. Nachdem ich einmal unsicher geschluckt habe und versuche das ungute Gefühl, was mich beschleicht zu verstecken, antworte ich mit, glücklicherweise, fester Stimme: “Ich bin mir nicht sicher, ob dich das etwas angeht, Kyle.“ Das plötzlich Blinzeln seinerseits zeigt mir, dass er nicht auf diese Antwort vorbereitet war: “Ach komm schon, Katy. Wir sind doch Freunde und können über alles reden, also antworte mir einfach auf die Frage, ja?“ Die Kälte, die zuvor noch in seiner Stimme lang, hat sich nun mit Verzweiflung und Unsicherheit abgewechselt, und sorgt dafür, dass ich ihm nun doch antworte: “Ja, ich bin mit ihm zusammen, aber wenn du nochmal so unfreundlich fragst, werde ich beim nächsten Mal nicht mehr antworten.“


Während ich immer weiter spreche, scheint es fast so, als würden sich Tränen in seinen Augen sammeln, was für ihn total untypisch ist. Zwar würde ich ihn niemals als Heulsuse oder ähnliches bezeichnen, doch trotzdem verstehe ich in diesem Moment nicht, warum er so reagiert. “Kyle? Geht es dir gut?“, frage ich unsicher und will ihn in den Arm nehmen, um ihn zu trösten, doch stattdessen schiebt er mich weg und dreht mir den Rücken zu, sodass ich sein Gesicht nicht mehr sehen kann. Es tut weh ihn so zu sehen.


Mit urplötzlicher Wut in seiner Stimme beginnt er zu sprechen: “Du machst einen riesigen Fehler.“ Erschrocken taumele ich einige Schritte rückwärts: “Wie meinst du das?“ “Cameron ist ein totales Arschloch und nutzt dich nur aus“, spuckt er wütend aus. Nun kann ich auch nicht anders, als wütend zu werden, da Kyle keine Ahnung hat, was er sagt, denn er weiß nicht das über meinen Freund, was ich weiß. Doch innerlich weiß ich genau, dass die meisten Leute das von Cameron denken, denn früher war er genau das. Ein, jeden ausnutzendes, Arschloch, das sich um die Gefühle von niemandem gekümmert hat. “Hör auf Kyle. Du hast nicht das Recht so etwas zu sagen“, sage ich und versuche dabei ruhig zu bleiben, obwohl ich spüre wie die Wut in mir immer höher brodelt. “Nein, ich werde nicht aufhören, denn wir sind Freunde und ich will nur das Beste für dich, Katy. Erinnere dich doch mal daran, was er dir früher angetan hat und was für einen Hass du noch vor wenigen Wochen für ihn verspürt hast“, versucht mir mich verzweifelt zu erinnern und greift nach meinen Oberarmen, doch ich versuche mich von ihm zu befreien, was er nicht zu lässt. Heute sind seine Stimmungsschwankungen echt ziemlich schlimm. “Cameron hat sich verändert und ich habe ihm verziehen“, murmele ich und versuche mich von ihm zu befreien, um ins Haus zu gelangen. Ich muss unbedingt Abstand zwischen uns bringen, sonst bin ich nicht sicher, was er tun wird. Sein Verhalten macht mir Angst. “Man, Katy. Er ist nicht der Richtige für dich. Sieh das doch ein! Ich liebe dich und du liebst mich doch auch“, beginnt er zu sprechen: “Wenn ich dich sehe, will ich dich nur packen und küssen. Und du empfindest doch auch so, oder?“


Seine Worte lassen mich erstarren und ich sehe ihn überrascht an. Zwar hatte Morgan mir immer wieder so etwas gesagt, doch ich habe ihr nie geglaubt. Schließlich habe ich ihn immer nur als Freund gesehen und tue das immer noch, doch ihm scheint das anders zu gehen, was ich nie bemerkt habe. Und nun bin ich in dieser miesen Situation, aus der ich am liebsten sofort flüchten würde. Innerlich hoffe ich, dass Cameron in der nächsten Sekunde dazu kommt, um mich rettet.


Wie aus einem Neben heraus nehme, ich war, wie Kyle mir immer näher kommt und dann seine Lippen auf meine zu bewegt. Seine Finger schließen sich fest um mein Schultern, während seine Nägel sich tief in mein Fleisch graben. Erneut bin ich von seinem Verhaltet erschrocken und überrascht. Noch nie zuvor habe ich ihn so gesehen. Mich, mit ängstlich schlagendem Herzen, zu befreien versuchend, bitte ich mich erstickter Stimme: “Hör auf! Du tust mir weh, Kyle.“ Doch er hört nicht auf mich, sondern bewegt sich immer weiter auf mich zu.


Aus einer panischen Reaktion heraus, ramme ich ihm mein Knie in die Magengrube, sodass er mich keuchend loslässt und sich den Bauch hält. Endlich sind meine Arme wieder frei und ich schubse ihn von mir weg.


Überrascht starrt Kyle mich mit funkelnden Augen an, wendet seinen Blick aber nicht ab.


Nun packt mich die Wut und ich erwache aus meinem kurzen Zustand des Schocks über das, was gerade geschehen ist. Mit vor Wut bebender Stimme, schreie ich beinahe unkontrolliert: “Ich fasse es nicht, was du das gerade versucht hast, Kyle. Cameron und ich sind zusammen und das musst du akzeptieren. Du musst es nicht verstehen und auch nicht gutheißen, aber du kannst es auch nicht ändern, also komm damit klar. Bis du dich wieder abgeregt hast, hältst du dich von mir fern, verstanden?“ “Aber Katy …“, stottert er von meiner Reaktion überrascht, worauf ich aber nicht eingehe, sondern einfach weiter spreche: “Verschwinde jetzt oder ich hole mir Verstärkung!“


Erst bleibt er regungslos stehen und starrt mich weiterhin an, doch dreht er sich einfach um und läuft zu seinem Auto weiter. Mit zitternden Händen öffnet er die Tür und steigt ein. Glücklicherweise steigt er schnell ein und startet den Motor.


Als er weit genug weg ist, lasse ich mich einfach kraftlos auf den Rasen fallen und lege meine Hände an den Kopf. Was war das gerade? So habe ich Kyle ja noch nie erlebt. 

Kapitel 44

Der knallrote Soßenfleck auf meinem weißen Shirt sieht einfach nur scheiße aus. Hätte ich wenigstens auf meine Hose gekleckert, würde man es jetzt nicht offensichtlich sehen wie auf meinem Oberteil. Nicht mehr sonderlich hungrig, nehme ich den Teller mit Spaghetti von meinem Schoß und versuche ich ihn auf den weißen Holztisch zustellen, was von dem Platz auf dem Boden, den ich eingenommen habe, nicht sonderlich leicht. Zu meinem Leidwesen fallen einige der roten Nudeln auf den Teppichboden, als ich es fast geschafft habe. Schnell schiebe ich den Teller noch ein wenig weiter, damit nicht noch mehr herunterfallen kann und hebe dann die Nudeln auf, um sie in den schwarzen Mülleimer zu werfen, der nur wenige Zentimeter von mir entfernt steht.


Schnell wische ich mir mit einer weißen Serviette, die ich aus der Mensa mitgenommen habe, weg, was sich ziemlich schwer gestaltet, weil die Soße sehr hartnäckig ist. Daraufhin werfe ich auch das Papier weg und lehne meinen Kopf gegen die weiße Wand, an der ich sitze, seit die Pause begonnen hat. Ein wenig schläfrig schließe ich die Augen und versuche zu vergessen, dass ich gerade in der Schule bin.
Ich wollte es einfach darauf ankommen lassen, dass ich neben Kyle sitzen muss, denn das wäre momentan das Unangenehmste, was mir im Augenblick passieren könnte und wenn ich ihn bitten würde sich nicht zu uns zu setzen, würde Morgan nicht mehr aufhören mich mit Fragen zu bombardieren. Genau das ist der Grund, warum ich jetzt mit meinem Essen auf dem Boden der Bibliothek sitze und mich vor allen verstecke.


Wie von weit weg nehme ich Schritte wahr, die immer näher kommen und plötzlich in meiner Nähe halt machen. Überrascht öffne ich die Augen, weil es total untypisch ist, dass sich in der großen Pause jemand hierher verirrt.


Vor mir steht ein blonder Junge, der in mit einem grauen T-Shirt, über dem er eine schwarze Jacke trägt, und einer schwarzen Jeans bekleidet ist. Beide Augenbrauen hat er fragend in die Höhe gezogen, während sein rechter Mundwinkel ebenfalls weiter oben sitzt als sonst anders und die Belustigung dieser Geste ist kaum zu übersehen.


“Was tust du hier, Kat?“, Cameron kommt langsam auf mich zu und hockt sich vor mich. “Ich esse“, antworte ich sofort, versuche aber gleichzeitig, aus Angst, dass er mir ansieht, was los ist, seinem Blick auszuweichen. Ein belustigtes Lachen entfährt ihm: “Nein, ich sehe doch, was los ist?“ Sofort meine ich zu spüren, wie meine Wangen sich genauso rot färben wie die Tomatensoße, die ich vorher gegessen habe: “Oh Gott, echt?“ “Ja, du versteckst dich hier vor irgendwem“, sagt er ruhig und legt seine Hand auf meine. Erleichtert seufze ich. Glücklicherweise weiß er nicht, was wirklich los ist. Zwar merkt er, dass etwas los ist, aber nicht was los ist und wenn es nach mir ginge, soll er das auch nie erfahren, obwohl ich weiß, dass Lügen in einer Beziehung eigentlich gar nicht gehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es besser ist, wenn er das nicht weiß. Wahrscheinlich würde Cameron Kyle wortwörtlich umbringen, wenn er davon wüsste und das kann ich nicht zulassen, denn obwohl ich momentan wenig Lust auf meinen früheren besten Freund habe, will ich nicht, dass er Krach mit meinem Freund hat.


“Also, wovor versteckst du dich?“, bohrt er weiter und streichelt gleichzeitig sanft meine Hand. “Ich verstecke mich nicht“, lüge ich hartnäckig: “Ich bin nur hier, weil ich noch ein paar Informationen für mein Geschichtsreferat brauche, dass ich in ein paar Tagen halten muss.“ “Wieso benutzt du nicht einfach das Internet?“, fragt er verwundert, was mich dazu bringt amüsiert die Augen zu verdrehen: “Weil Bücher oft viel bessere Quellen sind. Außerdem gibt unsere Geschichtslehrerin Extrapunkte für die Recherche in Büchern.“ “Echt jetzt? Wieso hast du das nicht eher gesagt?“, fragt er ehrlich überrascht: “Da muss ich mir ja vielleicht mal einen Büchereiausweis zulegen.“ “Ernsthaft? Du hattest doch noch nie ein richtiges Buch in der Hand, außer vielleicht ein Malbuch!“ “Hey, ich hatte als kleines Kind auch mal so ein Buch aus der Sesamstraße“, scherzt er gut gelaunt. Seine positive Stimmung reißt mich mit und lässt mich die Probleme mit Kyle für einen kurzen Moment vergessen, doch dieser Zustand hält nur an, bis Cameron weiter spricht: “Kann ich dich um etwas bitten, Katy?“ Verwundert sehe ich ihn an und Spannung darauf, was er wohl von mir wissen kann, baut sich in mir auf: “Klar, immer raus damit!“ Kurz räuspert er sich und sieht mir dann tief in die Augen: “Es ist mir unangenehm dich das zu fragen, aber heute ist die Beerdigung der Wölfe aus unserem Rudel, die vor wenigen Tagen gestorben sind, weshalb ich dich fragen wollte, ob du meine Begleitung sein willst.“ Unbewusst klappt mir mein Kiefer nach unten und ich sehe ihn überrascht an. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Cameron mich genau darum bittet, doch irgendwie finde ich den Gedanken anziehend, dass er mich in ein wichtiges Ereignis seiner Gemeinschaft einbinden will, weshalb ich wie von Sinnen nicke: “Natürlich, komme ich mit, wenn du dir das wünscht, aber dann musst du mir unbedingt sagen, was man zu einer Werwolfbeerdigung anzieht.“ Meine Worte haben ein schallendes Lachen zur Folge, woraufhin er sich grinsend den Bauch hält: “Ist das dein Ernst? Das ist das Erste, was du im Bezug darauf wissen willst?“ “Ja, ist es. Ich will mich halt anpassen und nicht total fehl am Platz wirken, wenn ich da aufkreuze. Außerdem wäre ein Danke deinerseits nicht schlimm.“ “Tut mir leid, du hast natürlich recht. Danke, dass du mit mir kommst und natürlich werde ich dir alles erklären, wenn du das willst.“ Zufrieden drücke ich seine Hand sanft und liebevoll: “Natürlich, möchte ich das wissen. Schließlich bin ich deine Mate und es kommt nicht gut rüber, wenn ich nicht richtig informiert bin, oder?“ Erst scheint es, als würde er überlegen, was er sagen soll, doch dann dreht er mein Gesicht zu sich und drückt seine Lippen sanft auf meine.


Wie immer bereitet sie ein mehr als gewohntes Kribbeln in mir breit und sorgt dafür, dass es für mich so anfühlt, als würde die Zeit still stehen.


Als er sich nach wenigen Sekunden, die für mich viel zu schnell voran schreiten, löst er sich wieder von mir. “Wieso grinst du so?“, frage ich als Reaktion auf das breite Grinsen, dass er gerade aufgesetzt hat. “Ich bin echt super im Überzeugen“, sagt er selbstsicher, doch ich verpasse seinem Ego einen kleinen Dämpfer: “Nein, hast du nicht. Ich habe mich selbst dazu entschlossen mit dir dahin zu gehen. Das hat nichts mit deinen Überzeugungskräften zu tun, Cam.“ Sein Grinsen erstirbt sofort und wird zu einem traurigen Schmollen, dessen Zweck es wohl ist, mich weich zu machen, doch so leicht gebe ich mich nicht geschlagen.


Stattdessen stehe ich vom Boden auf, greife nach meinem noch ziemlich vollen Teller und strecke ihm die Hand entgegen, um ihm hoch zu helfen: “Jetzt komm, ich bringe meinen Teller weg und dann erzählst du mir alles, was ich wissen muss.“ Widerwillig blickt er mich erst an, greift dann aber doch nach meiner Hand und lässt sich von mir auf die Füße helfen: “Du bist der Boss, Kat!“ 

Kapitel 45

 Der Wind fährt durch die Blätter der Bäume des Waldes und lässt alles um mich herum rascheln. Ich atme entspannt durch und spüre wie sich meine Lungen mit frischer Luft füllen. Der weiße Stoff meines Kleides wirbelt durch die Luft und legt meine Knöchel und Füße in den weißen Ballerinas, die ich angezogen habe, frei. In der Nähe heult eine Eule laut vor sich hin. Ich atme ein letztes Mal tief durch und setze meinen Weg dann fort.

 

Cameron hat mir gesagt, dass wir uns im städtischen Wald treffen werden, durch den der Fluss fließt, der unserem Ort seinen Namen verleiht, doch wo genau ich ihn finden werde, hat er mir nicht mitgeteilt. Schnell husche ich weiter über den steinigen Weg und schaue mich immer wieder zu allen Seiten um.

 

Der Wald war mir schon immer nicht wirklich geheuer, weshalb die Aussicht auf diesen kleinen Trip nicht gerade große Freude in mir hervorgerufen hat. Dann habe ich mir allerdings Camerons Worte in den Kopf gerufen und mir selbst klar gemacht wie wichtig es für ihn sein muss, mich hierbei an seiner Seite zu haben.

 

Also habe ich mich in Schale geworfen und meinen Dad gebeten mich herzufahren. Zwar hat er einige Fragen gestellt, doch die konnte ich glücklicherweise abschütteln, sodass ich mich nun völlig verloren mitten im Wald befinde.

 

“Cameron?“, frage ich prüfend und hoffe auf eine Antwort, doch nichts geschieht. Immer wieder rufe ich vor mich hin, da legen sich plötzlich Hände auf meine Augen und versperren mir die Sicht. Ein Anflug von Angst macht sich in mir bereits, weil das hier auch eine völlig fremde Person sein könnte.

 

Sanft legen sich Lippen auf meinen Hals und wandern, meinen Hals küssend, zu meinem Ohrläppchen: “Da bist du ja endlich, Kat.“ Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen: “Cameron? Kannst du deine Hände von meinen Augen nehmen? Ich lege zufällig Wert auf mein Augenlicht.“

 

Auf meine Bitte hin nimmt er seine Hände weg und lässt sie stattdessen zu meinen Hüften gleiten. “Du siehst wunderschön aus, Kat“, er muss sich ein wenig Bücken, um seinen Kopf auf meiner Schulter ablegen zu können.

 

Sofort spüre ich wie meine Wangen warm werden und ich kann mir bereits denken, dass ich gerade rot wie eine Tomate sein muss: “Danke.“ Mein Blick wandert an ihm auf und ab und ein zufriedenes Grinsen macht sich auf meinen Lippen breit: “Du auch.“

 

Anstelle eines schwarzen Anzuges, der für eine Beerdigung eigentlich typisch ist, trägt er ein weißes Shirt und eine normale Jeans. Zwar hätte ich so ein Outfit nicht zu so einem Anlass erwartet, aber ich war auch noch nie auf einer Werwolfbeerdigung. Vielleicht ist das ja so Tradition.

 

“Wir sollten uns aber jetzt ein wenig beeilen, sonst kommen wir zu spät“, er zieht mich mit einem Arm fester an mich und zieht mich sanft, aber bestimmt mit sich. So von ihm umarmt, laufe ich etwas schneller als anfangs durch den Wald. Dieses Mal fühle ich mich allerdings nicht unwohl, sondern viel eher beschützt.

 

Nach wenigen weiteren Minuten bleiben wir in der Nähe einer Menschentraube stehen. Die Männer in der Traube tragen das Gleiche wie mein Mate, während die Kleidung der Frauen meiner eigenen sehr stark ähnelt. “Wir sind da“, flüstert mir mein Freund zu und lässt mich los, damit er auf einen andere Mann zu sehen kann.

 

Sofort erkenne ich ihn als seinen Vater. Die beiden flüstern kurz miteinander, bevor mein Nachbar mich zu sich heranwinkt. Mit einem leichten Kribbeln im Magen laufe ich auf ihn zu. Die Blicke der anderen folgen mir bei jedem Schritt und ich meine Aufregung mischt sich mit Unbehagen. Warum sehen mich alle an?

 

“Liebes Rudel“, auf Camerons Lippen macht sich ein breites Lächeln bemerkbar: “Ich möchte euch meine Mate vorstellen. Katy Freeman! Ich hoffe, dass ihr sie gebührend willkommen heißt und euch gut um sie kümmert.“ Fast jeder beginnt zu klatschen, was mich erneut rot werden lässt. Ich wusste gar nicht, dass der Posten als Cams Mate so wichtig ist.

 

Als ich allerdings eine der Personen, die nicht klatscht, genauer mustere, erkenne ich Ashley unter ihnen. Ihr blondes Haar hat sich elegant hoch gesteckt, während ihr restlicher Körper in einem bodenlangen Kleid, mit einem tiefen Schlitz an der Seite, steckt. Der Blick meiner Mitschülerin ist grimmig und ähnelt meinem eigenen Todesblick.

 

Auch mein Mate scheint es bemerkt zu haben und zieht mich sanft an sich, bevor er mir seinen sanften Kuss auf die Stirn drückt: “Mach dir nichts draus. Sie ist nur eifersüchtig.“ Ich seufze nur still, während der Alpha, der gleichzeitig auch mein Nachbar und Camerons Vater ist, sich an das Rudel zu wenden beginnt.

 

Es scheint, als würde er eine Rede halte, doch ich höre gar nicht richtig hin. Stattdessen versuche ich mich vor Ashleys Blick zu verbergen und hoffe, dass es keiner bemerkt. “Hiermit möchte ich mich von meinen treuen Gefährten und Freunden Alessandro und Fynn verabschieden. Sie haben dem Rudel einen großen Dienst erwiesen und dafür ihr Leben geopfert. Nun ist es untere Aufgabe sie auf ihrem Weg in den Frieden zu begleiten und sie gebührten zu verabschieden.“

 

Sobald er seinen Mund wieder geschlossen hat, treten zwei Frauen vor. Jede von ihnen hält eine Fackel in der Hand. Zu ihnen treten vier Männer, die sich zu den Damen gesellen. Camerons Vater, der gerade noch auf einem Baumstamm gestanden hat, springt hinunter und zieht ein kleines Feuerzeug aus seiner Tasche. Mit dem Werkzeug in der Hand, wandert er zu einer kleinen, schwarzen Schale hinüber, die genau zwischen den beiden Frauen steht und sich etwa auf Brusthöhe eines Erwachsenen befindet, und zündet die Kohle darin an.

Innerhalb von wenigen Sekunden lodern mehrere orange-rote Flammen aus dem Behältnis hervor. Die beiden Frauen halten ihre Fackeln in das Feuer und bringen sie innerhalb von wenigen Sekunden zu brennen.

 

Cameron zieht mich mit sich, damit ich besser sehen kann und bleibt mit mir am Ufer stehen. Ich lehne meinen Kopf gegen seine Schultern und sehe zu wie die Frauen samt Schuhe knietief ins Wasser steigen und die Fackeln auf dem kleinen Floß, auf das die beiden Toten gebetet wurden, ablegen. Sofort schlagen die Flammen aus, bäumen sich auf und greifen dann auf ihre Körper über, bis sie sich auf dem kleinen Schiffchen völlig ausgebreitet haben.

 

Das Zischen des Feuers, wenn es auf Wasser stößt, lässt mich anfangs zusammen zucken, doch als ich mich daran gewöhnt habe, ist es einfach nur wunderschön.

 

Nun folgen ihnen die Männer. Sie steigen tiefer hinein als ihre Vorgängerinnen und beginnen das Floß an Seilen, die vorher daran befestigt wurden, durch den Fluss zu ziehen. An den Händen tragen sie scheinbar feuerfeste Handschuhe.

 

“Was machen sie jetzt?“, frage ich leise. “Sie ziehen das Floß bis zur Stadtgrenze“, er streicht mit dem Daumen sanft über meinen Handrücken: “Wir gehen aber nur noch ein Stück mit, bevor sie alleine weiter gehen.“ Sanft drückt er mir einen Kuss auf die Wange: “Kann ich dich etwas fragen?“

 

Interessiert hebe ich den Kopf und sehe ihn interessiert an: “Klar, du kannst jeder Zeit mit mir reden, wenn du etwas auf dem Herzen hast.“ “Ich möchte am Wochenende mit dir zur Farm meiner Familie fahren“, unterbreitet er mir seinen Vorschlag: “Dann hätten wir endlich mal Zeit für uns und müssten keine Angst haben, dass irgendwer uns angreift.“

 

Zwar kommt sein Vorschlag völlig unerwartet und erst fühle ich mich erschlagen, doch dann ist da dieser Gedanke von ihm und mir alleine in der Natur. Der Gedanke an Erholung vom Alltag und an die Geborgenheit, die er mir schenken wird. “Das ist eine wunderbare Idee“, lächele ich sanft.

 

Ja, ich melde mich auch mal wieder zurück. Tut mir leid, dass du lange nichts kam. Ab jetzt werde ich versuchen in diesem Buch wieder aktiver zu sein. 

 

Kapitel 46

“Pack das ein“, ich drehe mich zu meiner Freundin um.
Mein Blick fällt auf das Stück Stoff in den Händen des Jungen.
“Warum sollte ich ein Cocktail Kleid mit auf eine Farm nehmen?“, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
“Weil er es an dir sicher heiß findet“, lächelt Morgan.
Sofort verdrehe ich die Augen und wende mich wieder meinem Schrank zu: “Vergiss es! Ich pack sicher kein Kleid ein.“
“Schade“, ich brauche sie nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie ein, mit Sicherheit gespieltes, Schmollen aufgesetzt hat.
“Keine Diskussion. Ich brauche Kleidung, die für einen Aufhalten auf dem Land praktisch ist und für keine Nacht im Club“, ich muss mir einen vorwurfsvollen Blick verkneifen.
“Na gut, was ist dann damit?“, fragt sie.

In den Händen hält sie einen hellbraunen Cowboyhut: “Den habe ich in einer Schublade gefunden. Willst du ihn mitnehmen?“ Langsam komme ich auf sie zu. Auf meinen Lippen macht sich ein zufriedenes Grinsen breit: “Ja, der kann vielleicht mit kommen.“

Vorsichtig nehme ich ihr den Hut aus der Hand und setze ihn mir auf. Mein Lächeln wird noch breiter. Irgendwie sorgt das Accessoire in mir für ein Gefühl von Freiheit und das Gefühl den Alltag endlich loslassen zu können.
“Der kommt sogar mit Sicherheit mit“, ich nehme ihn ab und werde ihn in meine Tasche.

Nach einer Weile vernehme ich das laute Hupen eines Autos. Schnell laufe ich zu meinem Zimmerfenster und starre auf die Straße vor unserem Haus, die Straße in der ich wohne.

 

Dort steht ein schwarzer Pick Up, der vor unserem Haus geparkt hat. Darin befindet sich ein Junge. Durch die Scheibe des Autos erblicke ich sein hellbraunes Haar, das von der warmen Sonne beschienen wird. Sofort erkenne ich meinen Mate, der sowohl mein Freund und mein Nachbar, aber auch derjenige ist, der mich in der Vergangenheit nicht gerade gut behandelt hat.
“Ich denke, dass ich dann wohl mal runtergehen sollte“, erkläre ich der Schwarzhaarigen.
“Pass auf mich dich auf“, sagt sie und zieht mich in ihre Arme. Von der Geste bin ich völlig überrumpelt: “Das klingt ja, als würde ich auf eine Selbstmordmission gehen.“
“Früher war ein Wochenende mit Cameron für dich auch sowas ähnliches“, erinnert Morgan mich, bevor sie sich wieder von mir löst.
“Aber das hat sich mittlerweile doch geändert. Jetzt verbringe ich mit ihm gerne Zeit. Es fühlt sich ein wenig so an, wie früher“, gebe ich nachdenklich zu.

Man könnte jetzt zwar denken, dass ich das nur sage, um eine Erklärung für unsere plötzliche Beziehung zu finden, doch ehrlich gesagt ist alles wahr, was ich ihr gesagt habe. Wenn ich mit ihm zusammen bin, fühlt es sich wirklich an manchen Stellen so an, als wären wir wieder Freunde wie wir es als Kinder waren.

“Soll ich dir tragen helfen?“, fragt sie und nimmt die Henkel meiner Tragetasche. Dankbar nicke ich und setze den Rucksack auf, den ich gepackt habe.

Gemeinsam steigen wir die Treppe hinunter. Mit jeder Stufe steigt meine Vorfreude auf das Wochenende auf der Farm nur noch weiter und bald ist ein angenehmes Flattern in meiner Magengrube zu verspüren.

Mit meinen Eltern habe ich den Ausflug bereits abgesprochen, weshalb ich mir jetzt nicht die Mühe machen und sie anrufen muss. Denn beide sind noch bei der Arbeit. Nur Ryder und Alyssa sind da.

“Ryder?“, ich winke vor den Augen meines Bruders, der auf dem Sofa sitzt und wie gebannt auf den Fernseher starrt, hin und her.
“Boah, Katy! Nimm deine Hand weg. Ich muss das sehen“, beschwert er sich und bewegt sich von rechts nach links, um mir auf den Fernseher schauen zu können.


“Seit wann schaust du dir den Sportkanal an?“, frage ich verächtlich grinsend.
“Na gut, was willst du?“, er dreht sich kurz zu mir um und sieht mich fragend an. Wahrscheinlich hofft er mich so möglichst schnell abschütteln zu können. Leider klappt diese Taktik viel zu oft.
“Cameron ist gerade gekommen, um mich abzuholen“, erkläre ich: “Ich wollte mich nur von dir verabschieden.“ Sanft lege ich meine Arme um seinen Hals und umarme ihn so, auf eine mehr als merkwürdige Art und Weise.
“Okay, ich erinnere Mom und Dad dann auch nachher nochmal dran. Sonst bekommen sie sicher Panik, wenn sie dich nicht finden können“, erklärt er und legt seine Hände auf meine Ellenbogen, um meine Umarmung sozusagen zu erwidern.
“Aww“, kommentiert Morgan diese Geste, woraufhin sie von uns beiden einen wütenden Blick kassiert und sofort den Mund hält. Aber sie hat recht. Unsere Bruder-Schwester Beziehung ist wirklich schön, wenn man sie mit der von vielen anderen Geschwistern vergleicht. Allerdings kann Morgan aber auch nicht wissen, dass was uns verbindet. Schließlich gehören wir zu dem kleinen Teil von Menschen, die das Geheimnis der Ross Zwillinge kennen.

 

Erneut ist von draußen ein Hupen zu vernehmen, weshalb ich mich wieder von meinem Bruder löse und mich dieses Mal wirklich auf den Weg zur Haustür mache.

 

Nachdem ich sowohl Jacke als auch meine Schuhe angezogen und meinen Schlüssel eingepackt habe, bin ich endlich fertig und verlasse zusammen mit meiner besten Freundin das Haus. Bevor sie sich auf den Weg zu ihrem eigenen Haus zurückmachen kann, ziehe ich meine Freundin erneut in eine Umarmung und flüstere: “Mach dir bitte auch ein schönes Wochenende und unternimmt gefälligst mal was mit Dan.“
“Dan? Welchen meinst du?“, ihre Stimme trieft vor Sarkasmus.
“Hm, keine Ahnung. Vielleicht deinen Arbeitskollegen, der schon seit geraumer Zeit in dich verschossen ist“, erkläre ich grinsend, nachdem ich sie losgelassen habe, obwohl mir klar ist, dass sie es nicht ernst meint.
“Jetzt geh endlich zu deinem Angetrauten“, sie nickt in die Richtung des Pick Ups.
Ich schenke ihr einen beleidigten Blick: “So weit ist es noch nicht, also denk dir einen anderen Spitznamen aus.“
Zwar heißt das nicht, dass ich es mir nicht vorstellen könnte ihn irgendwann zu heiraten, aber momentan finde ich mich einfach immer noch viel zu jung für sowas. Außerdem gefällt es mir einfach nicht, wenn man solche Witze macht
“Tut mir leid“, grinst sie und schaut auf die Uhr: “Jetzt muss ich aber los und du auch. Cameron scheint übrigens ebenfalls ziemlich ungeduldig auf dich zu warten.“ Erneut deutet sie auf Cameron.

 

Dieses Mal drehe ich mich ebenfalls herum und erblicke meinen Freund, der das Fenster hinunter gelassen hat und seinen Kopf hindurchgestreckt hat: “Soll ich wieder kommen, wenn ihr fertig damit seit euch zu verabschieden.“
Es scheint so, als würde er überlegen: “Vielleicht in einer halben Stunde?“

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen: “Nein, ich komm ja sofort.“

Dann drehe ich mich zu Morgan zurück: “Gut, dann sehen wir uns wohl erst am Montag in der Schule wieder.“
“Ja, scheint so. Wir können ja telefonieren“, schlägt sie vor und lässt mich zustimmend nicken: “Klar, ich versuch dich anzurufen, wenn wir da sind.“
“Okay, tschüss“, Morgan schenkt mir ein letztes, freundliches Lächeln und macht bewegt sich dann in die entgegengesetzte Richtung von mir.

 

Nun mache ich selbst mich auf den Weg zum Wagen meines Mates. Vorsichtig werfe ich meine Tasche auf die Ladefläche des Autos und öffne dann die rechte Autotür, um auf meinen Sitz zu klettern.

“Hey, Cam“, grinse ich und widme ihm meine ganze Aufmerksamkeit: “Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“
“Schon gut“, er schenkt mir ein weiches Lächeln und greift dann nach meinem Gurt, um mich anzuschnallen. Seine Hand, die von meiner Schulter über meinen Bauch bis hin zu meiner Hüfte wandert, lässt meinen ganzen Körper prickeln.

Als er sich gerade wieder richtig hinsetzen will, drücke ich meine Lippen sanft auf seine, um ihm zu zeigen, dass ich mich freue ihn zu sehen.

“Ich glaube, das Wochenende wir wunderbar“, lasse ich meinen Gedanken freien Lauf: “Schließlich tut ein wenig Abwechslung wirklich gut und drei Tage ohne meine Familie können auch nicht schaden.“
Cameron nickt zustimmend: “Außerdem habe ich dich dann endlich mal für mich alleine.“
“Das kann ich nur zurückgeben“, bestätige ich ihm grinsend und setze den Rucksack ab.
“Dann mal los“, er dreht den Schlüssel im Zündschloss herum, woraufhin der Motor augenblicklich zum Leben erwacht. Seine rechte Hand findet das Rädchen, mit dem man das Radio anstellen kann, und innerhalb von wenigen Sekunden jault die Stimme von Jason Derulo durch den ganzen Wagen.

Die Vorfreude, die sich in mir aufgestaut hat, wächst immer weiter und ich beginne mir auszumalen, wie es auf der Farm wohl sein wird.

 

Kapitel 47

Die Sonne taucht gerade hinter den Baumkronen unter, da stoppt Cameron den Wagen und lässt das Brummen des Motors verstummen. "Sind wir da?", frage ich interessiert und kuschele mich enger in die graue Strickjacke, die er mir vor einigen Stunden gegeben hat, als die Klimaanlage ausgefallen ist. Zwar ist gerade Sommer, doch wenn es spät wird, sinkt auch die Temperatur. "Ja, wir sind da", grinst er und legt seine Hand auf meine.

 

Vorsichtig streicht er mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Für diese kleinen Momente der Zärtlichkeit lebe ich und wenn er mich so berührt, würde ich am liebsten die Zeit anhalten. "Und? Auf wen werde ich gleich treffen, wenn wir reingehen?", frage ich interessiert.

 

Dass hier Leute angestellt sind, weiß ich genau. Schließlich war ich in meiner Kindheit oft genug mit Cameron und unseren Eltern hier.

"Gar keinen", sagt er und zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss, bevor er meine Hand loslässt und aussteigt. Verdutzt starre ich ihm nach, bevor ich die Tür recht von mir ebenfalls öffne und aussteige. "Was soll das heißen? Früher haben hier doch auch noch Leute gearbeitet. Hat sich das geändert?", frage ich, neugierig wie ich bin, weiter. "Nein, natürlich nicht", er sieht mich grinsend an und zieht mich dann an ihn heran: "Ich habe ihnen freigegeben. Schließlich ist das unser Wochenende und das will ich nur mit dir verbringen, Kat."

 

Breit grinsend schmiege ich mich an ihn: "Wann bist du so ein süßer Freund geworden? Das habe ich gar nicht mitbekommen." "Haha, sehr lustig", er nimmt ihre Tasche und seine eigene von der Ladefläche des Pick Ups. Ich breche in Gelächter aus: "Tut mir leid, aber im Moment bist du euch süß zu mir, Cam. Das ist ungewohnt. Du nimmst mich sogar alleine mit hierher." "Wäre auch schlecht, wenn ich nicht nett zu dir wäre. Schließlich bin ich dein Mate und kann deshalb ohne dich nicht glücklich sein", liebevoll drückt er mir einen sanften Kuss auf die Stirn.

 

"Und warum sind wir genau hier hin, zur Farm, gefahren?", bohre ich nach, obwohl mich seine liebevollen Gesten nahezu verzaubern. "Ich musste mal raus aus der Stadt. Gerade erst sind einige Werwölfe aus dem Rudel gestorben und da mache ich mir langsam wirklich Sorgen um dich. Deshalb wollte ich mit dir einfach mal weg von dem ganzen Stress und mit dir zusammen unbeschwert sein", erklärt er träumerisch.

 

Seine Worte verschlagen mir kurz die Sprache. "Jetzt komm, wir sollten die Sachen wegbringen, damit wir den Tag noch zusammen nutzen können", schlägt er vor und ich nicke zustimmend.

 

Nachdem wir zusammen durch die Küche und die Treppe hoch, gegangen sind, treten wir in ein Schlafzimmer hinein. Bereits auf der Fahr hierher hat Cameron mir gebeichtet, dass er sich wünscht mit mir in einem Bett zu schlafen, und nachdem einer langen Diskussion habe ich dann auch zugestimmt.

 

Nun blicke ich also auf ein breites Doppelbett im Landhausstil. "Ist was?", fragt der Werwolf mich. "Nein, alles okay", erwidere ich schnell und setze mich auf die Matratze. Zu meiner Überraschung ist sie butterweich. "Wollen wir die Sachen vielleicht später auspacken und uns jetzt erst was unternehmen?", schlägt mein Mate grinsend vor und hält mir seine Hand hin. Bevor ich seine Hand ergreife, sehe ich ihn forschend an: "Was kann man hier denn generell so machen?" "Man kann hier reiten, einen Spaziergang in der Natur machen oder im See schwimmen", erklärt er mir.

 

"Oh, ihr habt Pferde?", frage ich verwundert und kann mir bereits lebhaft vorstellen wie meine Augen zu leuchten beginnen. Zwar war ich nie ein Pferdemädchen, doch reiten kann ich und habe es früher auch hin und wieder gemacht. "Ja, zwei Pferde und ein Fohlen", erklärt er und streichelt meine Wange sanft: "Kannst du denn reiten?" "Weiß ich nicht. Ich bin ein- bis zweimal geritten, ob ich aber wirklich viel weiß ich nicht mehr", unsicher beiße ich mir auf die Lippe, schließe die Augen bei seiner Berührung aber. "Hey, nicht an der Lippe kauen", sanft zieht er an meiner Lippe: "Ich kann dir gerne zeigen, wie das geht, aber vielleicht wäre der nächste Tag dafür besser geeignet. Dann haben wir mehr Zeit, okay?"

 

Kurz überlege ich, sehe ihn dann aber frech an: "In Ordnung, aber was wollen wir dann jetzt machen?" "Wir könnten zum See gehen", schlägt er vor: "Und keine Angst, da gibt es keine Fische." "Wow, das Argument überzeugt mich jetzt aber völlig", antworte ich ironisch und lege den Kopf prüfend schief. Dann ergreife ich allerdings die Hand, die er mir hingehalten hat:"Aber okay, schwimmen klingt gut." Sein breites Lächeln, was auf meine Worte folgt, sorgt in meinem Bauch für ein leichtes Kribbeln. Dieses Wochenende ist jetzt schon großartig.

 

Kapitel 48

Das Wasser des Sees schlägt seichte Wellen, doch der Wind ist alles andere als frisch. Grinsend schließe ich die Augen und genieße die warme Sommerbriese, die an den Ärmeln meines T-Shirts zehrt und meine Haare umherwirbelt. Zwar war mir während der Anreise so kalt, dass ich eine Strickjacke anziehen musste, doch hier auf der Farm scheint das Wetter völlig anders zu sein. Es ist weder zu warm, noch zu kalt. Einfach nur angenehm.

 

"Also, bist du bereit schwimmen zu gehen?", fragt Cameron grinsend. Irgendwann auf dem Weg hierher hat er meine Hand genommen und sie bisher noch nicht wieder losgelassen. "Wir haben gar keine Badesachen", merke ich gerade erst jetzt. Cameron hat mich viel zu sehr beschäftigt, um daran zu denken. "Ist das schlimm? Wir könnten auch einfach unsere Sachen ausziehen", harkt er vorsichtig nach, doch der Gedanke, dass wir im Notfall nackt schwimmen könnten, scheint ihm gar nicht so sehr zu missfallen. "Nein, das war nur eine Feststellung. Sonst nichts", als er grinst, wächst meine Vermutung, dass er mich extra nicht daran erinnert hat Schwimmzeug mitzunehmen, immer weiter. Den Triumph werde ich ihm aber mich Sicherheit nicht gönnen. "Denkst du, dass das Wasser kalt ist?", lenke ich deshalb ab. "Eiskalt wahrscheinlich", grinst er.

 

Ohne lange zu überlegen, ziehe ich meine Schuhe aus, kicke sie mit einem Fuß zur Seite und laufe, über die braune Erde hinweg, auf den See zu. Kurz bevor Wasser und Festland aufeinander treffen, stoße ich mich vom Boden ab. Für wenige Sekunden fühlt es sich so an, als würde ich fliegen und ein überwältigendes Gefühl der Freiheit macht sich in mir breit. Als ich, mit den Füßen zuerst sammt Kleidung in das Wasser eintauche, bekomme ich allerdings fast einen Schock. Es ist, wie mein Freund es mir prophezeit hat, wirklich eisig. Sobald mein Kopf die Wasseroberfläche durchstoßen hat und wieder aufgetaucht ist, wische ich mir die braunen Haare, die nun überall an meiner Stirn kleben, und sehe meinen Mate auffordernd an: "Kommst du auch, du Memme?"

 

Diese Worte reichen, um seinen Kampfgeist zu wecken. "Ich bin keine Memme", widerspricht er und folgt mir mit einer Arschbombe ins Wasser. Grinsend schwimme ich langsam auf die Stelle zu, an der er eingetaucht ist.

 

Dort taucht er allerdings, zu meiner Überraschung, nicht mehr auf. Ein wenig verwundert sehe ich mich nach seinem blonden, aus dem Wasser ragenden, Haarschopf um, kann ihn allerdings nirgends entdecken. "Cameron?", rufe ich ein wenig verwirrt. Mit jeder Sekunde, in der er nicht auftaucht, mache ich mir mehr Sorgen um ihn.

 

Plötzlich schieben sich Hände um meine Augen und verbauen mir die Sicht. Kurz darauf spüre ich warmen Atem an meinem Hals: "Du warst ja richtig panisch, als du mich nicht gefunden hast." Diese 'Augen zu halten'-Nummer also wieder! Irgendwie scheint es ihm wirklich zu gefallen, wenn ich nicht sehen kann, was er macht. "Tut mir leid, dass ich mir nun mal Sorgen mache, wenn du auf einmal nicht mehr da bist", mein Tonfall ist bissiger als gewollt, denn scheinbar hat er sich absichtlich vor mir versteckt: "Und jetzt nimm deine Hände weg."

 

Von meiner plötzlich aufkommenden, schlechten Laune überrumpelt, nimmt er die Hände tatsächlich weg und dreht mich herum. Dass er das so einfach machen kann, obwohl ich gar nicht so gleich bin, verwundert mir. Werwolfbonus wahrscheinlich.

 

"Tut mir leid, aber ich wollte nur sehen, dass ich dir wichtig bin", mit dem Daumen fährt er sanft über meinen Mundwinkel. Dieses Mal zieht diese Zärtlichkeit bei mir aber nicht, dafür tun seine Worte einfach viel zu weh. "Du musst wirklich einen Test machen, um zu wissen, dass du mir wichtig bist, du Arschloch?", meine Stimme klingt schrill und bebt leicht: "Wärst du mir nicht wichtig, wäre ich wohl kaum mit dir hierhergefahren oder hätte an der Beerdigung von zwei Toten teilgenommen, deren Namen ich vorher nicht mal kannte? Warum können Jungs niemals erst denken, bevor sie handeln."

 

Überrascht von meiner Enttäuschung über sein Verhalten, sieht er mich stumm an. Das Licht des Mondes, der zu meiner Rechten bereits aufgeht, spiegelt sich in seinen Augen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er die Stimme hebt und somit die Stille zum Zerreißen bringt: "Tut mir leid, Kat. Ich dachte nur, dass ich dir nicht so viel bedeute, wie du mir, weil du es noch nie gesagt hast." "Dass ich dir etwas bedeute?", forschend kneife ich die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. "Nein, das andere", erst ist mir nicht klar, was er meint, doch dann wird mir klar, was er mir damit sagen will. Und da wird es mir klar! Ich habe die drei magischen Worte wirklich noch nie erzählt. Diese Erkenntnis trifft mich fester als jeder Schlag, den ich je eingesteckt habe, und bevor ich nur lange genug darüber nachdenken kann, öffne ich den Mund und beginne zu sprechen: "Ich liebe dich."

 

Kapitel 49

Die Sonnenstrahlen dringen durch das große Fenster ins Innere des Zimmers und wecken mich sanft. Langsam beginne ich meine Glieder zu bewegen und schlage die Augen blinzelnd auf. Es dauert einige Sekunden bis das Bild, was sich mir bietet, scharf wird. Instinktiv lasse ich meine Hand zu der Stelle neben mir gleiten, an der Cameron gestern eingeschlafen ist. Zu meiner Verwunderung befindet sich allerdings nicht der warme Körper meines Freundes, sondern nur die weiche, kalte Matratze. Nun bewege ich auch die Füße und nehme wahr, dass die Decke auf seiner Seite unordentlich zurückgeschlagen wurde.

 

Verwirrt setze ich mich auf und schaue mich im Raum um. Tatsächlich ist Cameron nirgends im Raum zu finden. “Cameron?“, frage ich, erwarte aber keine Antwort. Wahrscheinlich ist er nur irgendwo unten in der Küche, doch irgendwie ist es doch komisch, dass es verschwunden ist. Ich hatte irgendwie gehofft in seinem Arm aufzuwachen.

 

Immer noch ziemlich verschlafen schiebe ich die Decke zur Seite und strecke die Füße aus dem Bett. Gerade als ich zur Tür gehen will, um ihn im unteren Stockwerk zu suchen, vernehme ich das Plätschern von Wasser aus der anderen Richtung. Kurz schaue ich aus dem Fenster. Die Sonne scheint, also kann es nicht von draußen kommen.

 

Interessiert tapse ich über das Parkett und bleibe vor einer geschlossenen Tür stehen. Vorsichtig drücke ich die Türklinke hinunter und schaue durch den Spalt.

 

Scheinbar eröffnet sich mich hier gerade der Blick auf das Badezimmer. Ich öffne die Tür ein Stück weiter und weiß plötzlich, woher das Geräusch kommt. Cameron steht in einer Badewanne, die zur Dusche umfunktioniert wurde. Leider verwehrt mir ein hellblauer Duschvorgang die Sicht auf ihn, doch seine Silhouette ist trotzdem zu erkennen.

 

Nachdem ich ihn einige Sekunden betrachtet und seinem Summen gelauscht habe, fasse ich einen Entschluss. Eigentlich ist sowas für mich nicht normal, doch was kann man momentan schon normal nennen. Schließlich habe ich herausgefunden, dass meine Nachbarn Werwölfe sind.

 

Ich weiß, dass ich ihn nicht beobachten sollte, aber ich tue es und dann ziehe ich mein T-Shirt und meine Schlafanzughose an. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlurfe ich nur noch mit Unterwäsche bekleidet, über durch das kleine Zimmer und bleibe vor dem Vorhang stehen. Er scheint mich noch nicht bemerkt zu haben.

 

Langsam lege ich meine Hand an das Stoffstück und ziehe es vorsichtig zur Seite. Dies scheint mein Freund allerdings bemerkt zu haben.

Sein verwunderter Gesichtsausdruck bringt mich zum Grinsen. Ich würde erwarten, dass er versucht sich zu verdecken, doch das tut er nicht. Zu meiner Verwunderung beginnt er nun auch zu grinsen und streckt mir überraschenderweise seine Hand hin. “Wollen Sie sich zu mir gesellen, My Lady?“, aus seiner Stimme ist herauszuhören, dass ihm diese Situation irgendwie zu gefallen scheint. “Gerne“, ich ergreife seine glitschige Hand und steigt zu ihm in die Wanne.

 

Sofort spüre ich das prasselnde Wasser auf meiner Hand und kneife die Augen lachend zusammen. Zwar ist es warm, doch trotzdem ist es merkwürdig plötzlich nass zu werden. Meine restliche Kleidung ist innerhalb von Sekunden durchnässt, doch das macht mir nichts aus. Nach kurzer Zeit kleben auch meine Haare in nassen Strähnen an meinem Kopf.

 

“Das ist aber eine schöne Überraschung“, er schiebt mir eine Haarsträhne hinter die Ohren. Ich versuche ihm ins Gesicht zu gucken und meinen Blick nicht weiter nach unten wandern zu lassen, was irgendwann ziemlich anstrengend wird. “Finde ich auch“, gebe ich zurück: “Warum warst du nicht im Bett, als ich aufgewacht bin?“ “Ich wollte mich schon mal fertig machen, weil ich dachte, dass du noch ein bisschen schläfst. Wenn du aufwachst, wollte ich das Frühstück eigentlich fertig haben“, erklärt er, mich musternd. “Das ist süß, danke“, antworte ich, obwohl mir klar ist, dass ich seine Pläne mit meiner Action gerade unterbrochen habe. “Ich weiß“, er streicht mir sanft über die Wange.

 

Diese zärtliche Geste sorgt in meinem Inneren für ein angenehmes Ziehen, das, wenn er weiter machen würde, wohl in Erregung münden würde. Von meinen Gefühlen geleitet, stelle ich mich ein wenig auf die Zehenspitzen, beuge mich leicht nach vorne und drücke meine weichen Lippen auf seine. Er lässt seine Hand von meinen Hüften zu meinem Rücken wandern und zieht mich so an seinen nackten Körper. Er lächelt in den Kuss hinein, als sich unsere Körper wie für einander gemacht, aneinander schmiegen.

 

Kapitel 50

Während des Frühstücks macht Cameron der Vorschlag, dass wir mal einen Fuß in den Stall setzen sollten. Zwar bin ich noch ziemlich müde, doch als er einräumt, dass er etwas für mich vorbereitet hat, stimme ich seinem Vorschlag zu.

 

Nachdem wir uns angezogen und das Geschirr abgespült haben, greift er vorsichtig nach meiner Hand und drückt mir einen Kuss auf die Stirn: “Bist du bereit für deine Überraschung, Kat?“ “Ja, ziemlich“, grinse ich, als mich mit sich die Treppe hinunter und aus dem Haus zieht.

Gemeinsam schlendern wir Hand in Hand über einen Feldweg, der von Haus weg führt. Der Weg ist links und rechts von hohem Gras gesäumt, über das der Wind unerbittlich hinweg fegt. Allerdings ist mir nicht kalt. Stattdessen hat er genau die richtige Temperatur. Sofort beginne ich mich frei zu fühlen.

 

Von weitem ist bereits eine kleine Hütte, mit einem hellen Zaun davor, zu erkennen. Das ist wahrscheinlich der Stall, doch mit Sicherheit kann ich es aus dieser Entfernung noch nicht sagen. Schließlich sind auf dem Geländer bisher keine Tiere zu erkennen.

 

“Bist du aufgeregt?“, den Blick hat er auf das Gebäude gerichtet, doch meine Hand umklammert er gerade fest genug, um mir zu zeigen, dass seine Aufmerksamkeit eigentlich bei mir ist.

 

Ehrlich gesagt bin ich sogar mehr als nur aufgeregt, aber das muss ich ja nicht wirklich offen vor ihm zu geben. Sein Ego würde das einfach viel zu sehr puschen. Deshalb zucke ich nur mit den Schultern und betrachte seinen wunderschönen Wangenknochen: “Ein bisschen.“ “Das klingt ja enthusiastisch“, mit einem leichten Schmunzel auf den Lippen, dreht er mir nun sein Gesicht zu, während wir weiter schlendern. “Ich weiß ja schon, dass es etwas mit Pferden zu tun hat“, ich versuche nicht allzu interessiert zu klingen, während die Aufregung bereits in meinem Bauch vor sich hin kribbelt. “Wir können es auch lassen, wenn du gar nicht willst“, nun lässt er meine Hand los.

 

Auch ich bleibe stehen und sehe ihn ein wenig verwirrt an. Das ist das Letzte, was ich will. Schließlich scheint er sich wirklich Gedanken gemacht zu haben: “Nein, ich will die Überraschung.“ Um ihm zu zeigen, dass mir das doch wichtig ist und dass ich mich wirklich freue, nehme ich seine Hand und will ihn mit mir ziehen. Allerdings bleibt er auf der Stelle stehen: “Warum klingt es dann nicht so?“ Sein Ton ist vorwurfsvoll. Ich beiße mir auf die Unterlippe, schaue ihn aber nicht an, als ich nuschele: “Weil ich dein Ego nicht puschen will?“ “Was? Ich kann dich nicht verstehen“, weiterhin bleibt er stehen, doch wie amüsant das Ganze für ihn ist, ist unverkennbar.

 

Instinktiv verdrehe ich meine Augen. Er hat mich genau verstanden, will die Worte aber zum zweiten Mal aus meinem Mund hören. “Ich will dein Ego nicht noch weiter puschen“, sage ich nun etwas lauter und hoffe, dass wir endlich weiter gehen können. Zwar klingt das jetzt sicher doof, aber ich will meine Überraschung sehen. Warum muss Cameron es auch so spannend machen?

 

“Ego? Welches Ego?“, fragt er zu meinem Leidwesen allerdings weiter. “Das, was mich gerade aufhält“, nun drehe ich mich doch wieder interessiert zu ihm um: “Warum willst du sonst meine Bestätigung dafür hören, dass ich mich freue?“ “Ich will dich ja zu nichts zwingen“, versucht er sich eher unbeholfen zu rechtfertigen: “Du sollst dich nur auf meine Überraschung einlassen, wenn du das wirklich willst.“ “Will ich ja“, sanft legt er seinen Arm um mich, um endlich weiter zu gehen: “Ich kann mir nur nicht vorstellen, was deine Überraschung beinhaltet.“ “Darum geht es ja bei der einer Überraschung“, grinsend streicht er mir eine Strähne aus der Stirn: “Du sollst nicht wissen, was es sein könnte. Sonst wäre es ja nicht mehr spannend.“ Nun muss auch ich grinsen. Er ist echt unverbesserlich: “Ich liebe dich.“ “Ich weiß!“

 

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Tag der Veröffentlichung: 25.05.2018

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