Die harten, kalten Schritte zweier Männer hallen durch den dunklen, fast schwarzen, Flur, der nur von wenigen schwachen Lichtern erleuchtet wird. Keiner der Beiden wechselt ein Wort, mit dem jeweils anderen, was zur Folge hat, dass eine schneidende Stille zwischen ihnen herrscht und keiner von Beiden scheint den Willen zu haben diese zu durchbrechen. Alle fünf Schritte werden ihre Gesichter von den leicht flackernden Lichtern erhellt, sodass man einen Blick auf den zielstrebigen Ausdruck auf ihren Gesichtern erhaschen kann.
Nach einer Ewigkeit bleiben sie vor einer Tür stehen. An beiden Seiten der Türrahmen brennen nun hellere Lichter, die die Männer nun doch ganz erleuchten. Einer von ihnen hat langes, rabenschwarzes Haar und mit seinen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen wirkt er fast wie der Teufel höchstpersönlich, während der andere hellbraunes Haar hat, doch auch seine Augen sind so dunkel wie die seines Partners. Der Schwarzhaarige zieht aus der rechten Tasche seines schwarzen Anzuges eine Karte, die große Ähnlichkeit mit einer Kreditkarte hat, und zieht sie über einen kleinen, blauen Screen, woraufhin sich die schwere Tür mit einem lauten Zischen öffnet und dann zur Seite gleitet. Erst bei dieser Bewegung ist genau zu lesen, was in die Tür eingraviert wurde. Darauf steht in großen Lettern "Experiment A-O3" geschrieben.
Sofort schließt sich die Tür wieder, nachdem sie zusammen eingetreten sind. Die Wände sind nicht gestrichen, sondern einfach nur grau und lassen alles unfreundlich und kalt wirken, was durch die grellen Lichter im Raum noch verstärkt wird. In der Mitte befindet sich eine metallene Liege, die von allen Seiten beleuchtet wird. Darauf befindet sich ein junges Mädchen, dessen hellbraune Haare locker in ihr Gesicht fallen, während ihre Augen fest geschlossen sind. Ihre Arme sind mit harten Schlaufen fest an die Liege fixiert, doch das scheint das Mädchen nicht richtig zu spüren. Stattdessen wirkt sie nahezu leblos. Ihre sich hebende und senkende Brust ist das einzige Lebenszeichen. Schweißtropfen des Schmerzes perlen von ihrer Stirn hinunter.
Als die Männer den Raum betreten, richten sich alle Blicke auf sie und ein blonder Mann im weißen Kittel tritt an sie heran. "Mr Thompson, Mr Campbell", grüßt dieser förmlich, doch ein Hauch von Unsicherheit schwingt in seiner Stimme mit: "Ich bin froh, dass sie hier sind." "Wie schlimm ist es?", fragt der Schwarzhaarige. "Sehen sie selbst, Mr Thompson", bittet er und deutet auf das Mädchen, welches in dem Raum völlig fehl am Platz wirkt, und reicht dem schwarzhaarigen Mr Thompson eine dicke Akte, die mit dem Namen "Wanda Haywood" beschriftet ist. Schnell öffnet der Mann die braune Akte und beginnt zu lesen. Auch der andere wirft einen kurzen Blick hinein: "Ist es noch schlimmer als beim letzten Mal?" Der Wissenschaftler nickt nur kurz. Seine Körpersprache zeigt ganz eindeutig, dass er Angst vor der Reaktion der Männer hat, die gerade vollkommen kalt vor ihm stehen und keine Miene verziehen. Beide sind nicht die Art von Menschen, mit denen er sich gerne abgibt. "Was ist anders?", fragt nun der brünette Mann. "Ich bin nicht sicher. Es ist eine Bombe in der Nähe, während des Eingriffes eingeschlagen", erklärt der Mann nervös und versucht sich dann weiter zu rechtfertigen: "Außerdem waren die Formeln irgendwie fehlerhaft." Er schluckt aus Angst vor dem, was ihm blüht, und versucht noch irgendwas zu sagen, was seine Situation besser machen könnte, doch bevor er ein Wort sagen kann, schüttelt der Einschlag einer Bombe in der Nähe die ganze Erde durch und lässt die Wände erzittern. Einige Operierbestecke, die auf Tischen verstreut lagen, fallen klirrend zu Boden und einige der anderen Wissenschaftler beginnen durch den Raum zu stolpern, während die beiden Anzugträger einfach reglos stehen bleiben. Es scheint als wären beide am Boden festgeklebt worden. Die hellen, weißen Lichter beginnen gespenstisch zu flackern.
Plötzlich ertönt ein lauter, spitzer Schmerzensschrei und alle fahren zu dem gefesselten Mädchen herum. Plötzlich hält sie ihre rotleuchtenden Augen weit geöffnet und ihre Hände ballen sich in den Fesseln zu Fäusten. Den Mund hält sie aufgerissen und er wirkt, als würde ihr Schrei nie verklingen, doch als das Beben abebbt, wird das Mädchen wieder vor der Ohnmacht gepackt und ihre Muskeln entspannen sich.
Es dauert einige Sekunden bis alle im Raum sich wieder gefangen haben, doch dann erhebt der Brünette Mr Campbell wieder die Stimme und klingt vollkommen zufrieden mit sich selbst: "Das ist perfekt! Sie ist wonach wir gesucht haben." "Sie ist ein Fehler", wirft der blonde Wissenschaftler erschrocken ein. Er will nicht glauben, dass diese Männer, seine Chefs, wirklich meinen, was sie da sagen. "Sie ist die perfekte Nachfolgerin für '02' und ist zudem auch noch stabil. Genau das brauchen wir jetzt, um den Krieg zu gewinnen", führt Mr Campbell seinen Gedankengang fort. "Sie wollen also einfach das Mädchen, als Waffe einsetzen, ohne genau zu wissen, wozu sie imstande ist und später sein wird. Sie können sie doch nicht einfach von nun an als "Subject A-03" bezeichnen und irgendwo einsperren, wo Sie sie aufbewahren können, bis sie gebraucht wird", meldet sich der Wissenschaftler nun endlich entrüstet zu Wort: "Das haben Sie schon einmal getan und jeder in dieser Einrichtung weiß wie das beim letzten Mal ausgegangen ist."
Er weiß genau, dass das alles ihr Untergang sein wird.
Der harte Stein unter meinem Gesäß jagt eine scharfe Kälte durch jeden kleinsten Teil meines Körpers hindurch, während ich die Leute, die vor mir umherhetzen, gelangweilt mustere. Am liebsten würde ich das kalte, feste Glas zerschlage und mich unter die Leute mischen, doch die stoische Scheibe ist nicht gewillt mich gehen zu lassen. Keiner der Leute auf der anderen Seite der gläsernen Wand, schenkt mir wenigstens einen kurzen Blick, doch das bin ich ja schon gewohnt. Keiner dieser Leute schenkt mir einen Blick, doch wieso sollte es heute auch anders sein, als an den anderen 1424 Tagen zuvor. Wieso sollte sich heute etwas ändern? Lediglich zur Mittags- und zur Abendzeit wagt es einer der Neuen meiner Zelle näher zu kommen, um mir etwas zu essen zu bringen. Doch als wäre es in diesem Raum, in dem ich bereits so lange gefangen gehalten werde, nicht schon öde genug, passiert auch außerhalb nichts sonderlich Spannendes. Deshalb wende ich meinen Blick wieder ab und sehe mich in dem Raum aus Stein, den ich mein Zuhause nenne, um, obwohl ich ihn schon in- und auswendig kenne.
Mit meinen Fingern streife ich über den harten, porösen Stoff, den ich an meinem Leib trage. Der Pullover ist viel zu lang und meine Hose rutscht hin und wieder von meinen Hüften, doch es ist die Einzige, die ich habe und das ist immerhin besser als gar nichts, weshalb ich versuche sie gut in Schuss zu halten, was mir mehr oder weniger gut gelingt. Meine Finger sind ebenfalls nicht die Elegantesten. Die Langeweile hat mich zu einem überzeugten Nagelkauer gemacht und auch die Tatsache, dass ich nicht wirklich Handwaschseife habe, verbessert diesen Zustand nicht unbedingt. Langsam finden meine Finger die beiden, handtellergroßen, hölzernen Würfel, die neben mir auf dem Boden liegen. Unbeteiligte würden diesen braunen Klötzen keine große Bedeutung beimessen, doch ich tue es.
Sie sind sowas wie ein Schutz vor der total Zerstörung von allem um mich herum, denn seit ich mich vor genau vier Jahren für ein Experiment freiwillig zur Verfügung gestellt habe und etwas schiefgelaufen ist, sitze ich hier unter der Erde herum und biete eine Gefahr für jeden um mich herum, was nicht gerade lustig ist.
Zwar bin ich mir nicht sicher, weil keiner nach dem Versuch zu mir kam und mich informierte, aber in den Blicken der Leute sehe ich entweder Angst oder Ekel, anstelle von Freude oder Respekt, wenn sie mich sehen und das ist Auskunft genug. Sie verabscheuen mich für etwas, was ich nicht absichtlich getan habe, doch ich kann es verstehen. Auch ich habe Angst. Angst davor Leute zu verletzen, die nichts getan haben und nur hier sind, weil sie das Geld brauchen oder denken etwas Gutes für die Nation, für die Vereinigten Staaten von Amerika, zu tun, obwohl sie genau das Gegenteil tun. Und nebenbei gesagt ich bin ein totaler Freak.
Ein Beben reißt mich aus meinen Gedanken und ich zucke ängstlich zusammen. Meine Finger klammern sich um die beiden Holzklötze und ich versuche mich zu konzentrieren, darauf wartend, dass die Nachbeben der, gerade eingeschlagenen, Bombe endlich nachlassen. Darauf warte ich immer, egal wie lange es dauert, während meine Kräfte die Würfel, meine Versicherungen dafür, dass ich mich und alle anderen nicht in die Luft sprenge, in der Luft vor mir tanzen lassen.
Der kalte Stein im Badezimmer lässt mich frieren als meine Fußsohlen darauf treffen. Auf Zehenspitzen tapse ich weiter durch das eiskalte Badezimmer, um zu dem Kleidungsstapel zu gelangen, den ich vorm Duschen irgendwo auf den Boden gelegt hatte und nun am liebsten so schnell wie möglich wieder über meine nackte, vom Duschen noch platschnasse, Haut streifen würde.
Nachdem ich mich wieder voll bekleidet habe, stelle ich mich vor den Spiegel und mustere mich selbst in dem halb zerbrochenen Glas, dass bereits zerstört war, als ich hier vor einigen Jahren ankam. Gekommen, um den Spiegel zu ersetzen, ist aber in der Vergangenheit auch niemand. Das habe ich aber auch nicht erwartet!
Eine hagere Brünette blickt mir aus ihren braunen Augen entgegen. Ihre Knochen treten bereits hervor, so dünn ist sie. Unter ihren Augen zeichnen sich dunkle Augenringe ab, die ein Ergebnis vieler schlafloser Nächte sind, die sie wachliegend auf der Pritsche, die sie als Bett ansieht, verbracht hat, während sie gelangweilt an die Decke starrte und den Einschlägen der Bomben in der Nähe lauschte. Das tut sie meistens und immer ist es das Gleiche.
Irgendwann wird mir der Anblick zu traurig, weshalb ich mich von meinem eigenen Spiegelbild abwende und mein nasses, hellbraunes Haar über meine Schultern werfe, damit nicht meine ganze Kleidung, sondern nur mein Rücken mit dem eiskalten Wasser bedeckt wird.
Ein normaler Mensch würde sich wahrscheinlich mit einhundert prozentiger Wahrscheinlichkeit eine dicke Grippe einfangen, doch glücklicherweise schützen meine Kräfte mich vor nahezu allen Krankheiten. Das ist aber auch der einzige Vorteil, der, wenn man ihn gegen die Nachteile abwiegt, untergeht.
Mit nach wie vor splitternackten Füßen, schlurfe ich zurück in mein angrenzendes Zimmer. Dort angekommen lasse ich mich auf das harte, kalte Feldblatt fallen und starre gegen die Wand. Wenn die Angestellten mal pünktlich sind, sollte ich mein Mittagsessen in wenigen Sekunden bekommen.
Tatsächlich sind die Trottel ausnahmsweise mal rechtzeitig da und ich merke, dass ich total hungrig bin, was nicht selten vorkommt, doch meinen großen Hunger kann man meinem fast abgemagerten Körper kaum ablesen. Trotzdem wirke ich eher gelangweilt, als ein junger Mann sich von der Gruppe löst und langsam, unter den Blick der anderen, an die Glastür vor mir tritt.
Heute ist er also der arme Tropf, der entweder so weit unter den Anderen steht, dass er die Dienste übernehmen muss, die sonst keiner machen will, oder irgendwas so schlimmes getan hat, dass das nun seine Strafe ist. Seinem Altern ach zu urteilen, ist Möglichkeit eins aber wahrscheinlicher.
Er hat strubbliges, blondes Haare und grüne Augen, die ängstlich flackern. Seine Kleidung unterscheidet sich nicht von den weißen Laborartenkitteln, die fast alle hier tragen, weshalb ich ihm sonst eigentlich keine Aufmerksamkeit schenken würde, aber sein Verhalten holt mein kaltes Herz kurz aus seiner Eiszeit heraus und schickt einen Hauch wohliger Wärme durch meinen Körper.
Nun doch interessiert, beobachte ich ihn dabei, wie er mit seiner zitternden Hand eine Schlüsselkarte in einen dafür vorgesehenen Schlitz steckt, woraufhin sich die Tür vor mir mit einem lauten Klicken entriegelt. Mit seiner oberen Zahnreihe kaut er nervös auf seiner Unterlippe, während er die Karte einer Frau hinter ihm reicht und dann das, spärlich mit meinem Essen bestückte, Tablett in den Raum trägt. Seine Schritte sind langsam und verlieren immer mehr an Fokus und Tempo, je näher er mir kommt.
Normalerweise würde mich dieses Verhalten belustigen, doch bei ihm ist es anders. Sein vorsichtiges, rehähnliches Verhalten erinnert mich so sehr an das kleine blonde Mädchen mit den ozeanblauen Augen, dass ich verlassen habe, als es gerade einmal dreizehn Jahre alt war und dass ich so lange meine Schwester genannt habe. Das ist der Grund, warum ich ihn einfach still beobachte und in meinem Gedanken an Thalia, meine kleine Schwester, versinke, anstatt den Mann wütend anzufahren und ihm zu sagen, dass er schneller machen soll.
Dieses Mal verlasse ich sogar so lange die Realität, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass der Blonde mein “Zimmer“ – ein ziemlich nettes Wort, um meine Zelle zu beschreiben – wieder verlassen hat und auf den Flur hinaus getreten ist.
Mit einem lauten Räuspern holt mich plötzlich ein anderer Mann mit rabenschwarzen Haaren und Teufelsaugen, der mit einem strengen, schwarzen Anzug bekleidet ist, in die harte, kalte Realität zurück. Mehrmals muss ich blinzeln und meine Gedanken neu sortieren, bis ich mir endlich ganz sicher bin, dass ich diese Person bereits getroffen habe. Zwar weiß ich genau, dass ich ihn in einem Moment ganz bewusst wahrgenommen habe, doch wenn ich ihn betrachte, spüre ich sofort einen schrecklichen Schmerz gepaart mit einer Nebeldecke, die sich über mein Gehirn legt und alles um mich herum verschleiert, doch ich weiß es ganz sicher. Diesem Mann bin ich bereits irgendwann irgendwo in dieser Einrichtung in der Vergangenheit begegnet.
“Wir haben Neuigkeiten für Sie, Subject A-03“, verkündet er nun und macht einen in den Raum hinein. Seine Stimme schneidet tief in mein Fleisch und beinahe kann ich hören wie meine Knochen zerspringen. Instinktiv zucke ich zurück, als er näher kommt, auch wenn es nur wenige Zentimeter sind, und schließe meine Finger feste um das metallene Gestell der Liege. Dieser Mann macht mir schreckliche Angst und ich kann diese plötzliche Panik, die mich mit ihren eisigen Händen packt, nicht abschütteln.
Ohne mich über den falschen Namen zu ärgern, mit dem ich hier immer angesprochen werde, stottere ich mit leiser, zitternder Stimme: “Okay, und welche?“ “Sie werden in wenigen Tagen in eine andere Einrichtung überführt werden, wo es sicherer ist, da der Beschuss in dieser Gegen in letzter Zeit stark zugenommen hat“, erklärt er sachlich, während seine Stimme für mich eine einzige Qual ist, die mein Blut in Wallungen versetzt und Adrenalin durch meine Adern jagt. Am liebsten würde ich mir die Hände so feste auf die Ohren pressen, bis ich ihn nicht mehr hören kann. Leicht schwitzend sehe ich zu den Umstehenden herüber, doch die scheinen nichts mitzubekommen. In meinem Inneren hoffe ich einfach, dass ich schnell wieder in Ruhe gelassen werde, damit der unerträgliche Schmerz in meinem Kopf nachlässt. Das Gefühl des Todes soll mich endlich verlassen.
Wahrscheinlich würden die meisten Menschen mit Freude und einem Funken Hoffnung in ihrem Herzen auf diese Verkündigung reagieren, doch ich weiß es besser, weshalb ich einfach nur, mit weiterhin ängstlich aufgerissenen Augen, nicke.
Einerseits ist es vielleicht wirklich besser von hier weg zu kommen und möglicherweise bietet mir dieser Umzug wirklich eine Chance auf ein besseres Leben, doch schon früh habe ich den Glauben daran verloren und zudem fühlt es sich auch merkwürdig an, dass ich diesen gewohnten Ort, egal was für ein kühles Drecksloch er auch sein mag, verlassen werde.
Ein unangenehmer Kloß bildet sich in meinem Hals, anstelle von Erleichterung, als ich zusehe wie sich die kleine Menschentraube von der Zelle wegbewegt. Erneut fühle ich mich meine, Recht auf Selbstbestimmung beraubt und habe nur Angst, doch diese Gedanken schiebe ich zur Seite, um zu versuchen, an die Erinnerung zu gelangen, die mich mit diesem Anzugträger verbindet, doch sie liegt im Schleier der vergangenen Benommenheit verborgen, die mich damals beherrschte, als wir aufeinander trafen.
Von mir unbekannten, lauter werdenden Stimmen um mich herum aus meinen Gedanken gerissen, öffne ich die Augen und lasse meinen Blick wie automatisch zu einer Gruppe von Menschen, die vor der Glasscheibe, die mich hier festhält, stehen bleibt, wandern. Sofort richtet sich mein Fokus auf die, wahrscheinlich tonnenschweren, Waffen in den Händen dieser Männer und Frauen und von dort aus weiter auf ihre dicke Panzerkleidung, die jedoch nicht viel bringen dürfte, wenn etwas außer Kontrolle geraten sollte, was ich um jeden Preis zu vermeiden versuchen werde. Sofort schätze ich, dass Unaufgeklärtheit über die Mission dieser Leute die Ursache für ihre Ruhe ist, denn ich denke nicht, dass sie weiterhin so ruhig wären, wenn sie wüssten, dass ihr Leben jederzeit ein Ende finden könnte, wenn sie mich aus dieser Zelle holen, doch sicher ist es besser so. Jedenfalls für ihre Auftraggeber! Anstelle von den Leuten bin ich sofort die Nervös, als ich die Waffen entdecke und habe große Mühe den harten Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken, der sich gerade gebildet hat.
Mich von meiner Pritsche erhebend, sehe ich zu, wie die Tür entriegelt wird und warte dann darauf, was weiter passiert. “Wo sind deine Sachen?“, fragt mich ein Mann, der sich in den Rahmen der Tür gestellt hat mit harter, rauer Stimme und ist mir sofort unsympathisch. Er stinkt nach zu viel Deo und in seine Haare triefen fast vor Gel, weshalb ich nicht drum herum komme mein Gesicht kurz zu verziehen und zu hoffen, dass er das nicht bemerkt. “Hier“, ich halte ihm einen schwarzen Beutel entgegen, den ich von gestern bekommen habe, um darin ein paar Sachen zu verstauen, die ich für wichtig halte, was mich für einen kurzen Moment mit Freude erfüllt hat, denn bevor mich diese Nachricht erreichte, hatte ich schon Angst, dass ich alles, was mir gehört, zurücklassen muss. “Aufsetzen“, bellt er in einem Befehlston, den man typischerweise vom Militär kennt, doch wie ein Soldat sieht er nicht aus, weshalb ich ihn kurz stutzig ansehe, dann aber die, schon teilweise zerschlissenen, Träger des Beutels über meine Schultern schiebe und den Rucksack aufsetze. Es ist nicht so, dass er besonders schwer ist, doch schon lange hatte ich kein Gepäck mehr auf dem Rücken, weshalb ich bei dem plötzlichen Gewicht fast nach hinten taumele und mich beherrschen muss es nicht zu tun, doch glücklicherweise habe ich mich nach nur wenigen Sekunden ein wenig daran gewöhnt und finde das Gefühl sogar angenehm etwas mit mir herumzutragen, auf das ich aufpassen soll. “Arme ausstrecken“, geht es sofort mit den Befehlen weiter und ich muss mich stark beherrschen nicht die Augen zu verdrehen. Scheinbar wurde der Mann nämlich echt nicht darüber aufgeklärt, was mit mir passiert ist und denkt, dass ich Angst vor ihm habe. Doch ich tue, was er gesagt hat, um keinen Streit zu provozieren, und strecke ihm meine, an den Handgelenken vernarbten, Arme entgegen. Das Klicken von aufschnappenden Handschellen ertönt und wenige Sekunden später spüre ich hartes, kaltes Metall auf meiner Haut, mit dem meine Hände nun aneinander gekettet sind. Ich versuche es gar nicht erst mich heraus zu winden, denn mit jeder Bewegung wird nur es schmerzvoller für mich und die Fesseln schneiden in mein Fleisch.
Auf den Befehl hin, folge ich der Truppe aus meiner Zelle heraus und versuche mich umzusehen, doch sofort wird mir die Sicht von einem großen, dicken Mann versperrt, der ebenfalls zu dem stinkenden Schmierlappen gehört. Ein wenig enttäuscht, seufze ich und richtige meinen Blick wieder nach vorne, wo jedoch ebenfalls jemand steht und mir die Sicht versperrt. Ein wenig konfus drehe ich mich im Kreis und bemerkt, dass sich die Truppe um mich herum positioniert hat. Fast wirkt es so, als wollten sie mich vor anderen Schützen, in dem sie sich wie eine Leibgarde vor mir aufstellen, doch ich kann die Zeichen deuten und weiß, dass diese Formation eher dazu dient die Anderen vor mir zu schützen. Schließlich würde man einer Königin auch keine Handschellen anlegen, wenn man sie beschützen will.
So folge ich den Menschen um mich herum einfach durch zahlreiche der unterirdischen Gänge und versuche einfach die Zeit irgendwie schneller vergehen zu lassen, denn irgendwann beginnt es so zu wirken, als wären wir bereits eine halbe Stunde unterwegs, doch andererseits habe ich auch, dank der vielen Jahre hier unten, mein Zeitgefühl verloren, weshalb es genauso gut sein kann, dass wir erst wenige Minuten laufen.
Nach einer Zeit fällt mir auf, dass es immer weniger Lampen sind, die von der Decke baumeln und uns helles, wenn auch steriles, Licht spenden. Eine leichte Unruhe beginnt sich in mir breit zu machen, als es immer dunkler wird. Und dann halten wir an! Beinahe wäre ich in die Frau vor mir gelaufen, so unerwartet kam der plötzliche Stopp, wofür ich einige entrüstete Beschimpfungen kassieren muss, was jedoch einfach an mir abprallt. Stattdessen befinde ich mich mittlerweile in einem wachsamen Zustand und erwarte, dass jemanden Moment irgendwas geschehen muss. Innerlich bereite ich mich sogar schon darauf vor irgendwo von irgendwem eine Kugel abzubekommen, doch anstelle dessen höre ich, wie die Frau vor mir weiter geht und das Drängen der Menschen hinter mir, dass ich weiter gehen soll. Völlig desorientiert herum stolpernd, stoße ich mit dem Fuß gegen etwas Hartes vor mir und stolpere fast. Was war das? Mein Herzschlag beschleunigt sich ein wenig und ich halte den Atem an, doch bevor ich erneut meinen Fuß vorsichtig gegen die harte Sache vor mir halten kann, spüre ich den Lauf eines Gewehres in meinem Rücken und ich höre meinen nun rasenden Herzschlag in meinem Kopf, während sich Schweiß auf meiner Stirn sammelt. “Wieso habe ich dem hier nur zugestimmt? Ich könnte jetzt genauso gut ruhig in meiner Zelle liegen und schlafen“, ist das Einzige, was mir in diesem Moment durch den Kopf rauschen: “Und jetzt werde ich sterben!“
Über meiner rechten Schulter nehme ich die unangenehme Stimme des Mannes wahr, der mir die Fesseln angelegt hat: “Die Treppe hoch, Püppchen!“ Treppe? Erst jetzt verstehe ich, dass das Harte vor mir eine Stufe gewesen sein muss und ich beruhige mich ein wenig, doch trotzdem schlägt mein Herz nach wie vor voller Angst und ich spüre das Blut in meinen Adern rauschen. Meiner Sehkraft, durch die nun fast vollkommene Dunkelheit, teilweise beraubt, stolpere ich unbeholfen die Treppe hoch und falle mit meinem rechten Fuß beinahe über meinen Linken, doch der Mann hinter hier packt mich und schleift mich weiter bis ans obere Ende der Treppe, wofür ich ihm wahrscheinlich sogar teilweise dankbar sein sollte, denn alleine hätte ich mich wahrscheinlich mindestens einmal auf den Stufen hingelegt.
Sobald ich oben angekommen bin, kann ich jedoch sehen, warum wir hier hergekommen sind und ein leichter Anflug von Freude überkommt mich. Sanfte Lichtstrahlen dringen unter etwas hervor, was ich als Tür deuten kann, und ein kalter Luftzug umspielt meine Knöchel angenehm. Wie lange ich dieses Licht nicht mehr gesehen und diese Luft gespürt habe!
Dann wird die Tür plötzlich von zwei Leuten vor mir aufgerissen und gleißend helles Licht strömt zu mir in den finsteren Gang hinein. Sofort halte ich mir die Hand vor die Augen, um mich vor dem ungewohnten Licht zu schützen, dass ich zuletzt vor mehr als vier Jahren erblickt habe.
Doch als ich mich ein wenig daran gewöhnt habe und meine Hand von den Augen nehme, würde ich am liebsten wieder in die unterirdischen Gänge zurück verschwinden. Wir stehen auf einem mit rot-gelben Krümeln, die stark an Sand erinnern, aber viel fester sind, bedeckten Felsvorsprung und so bietet sich mir ein schreckliches Bild. Vor klafft ein tiefes, mehrere Kilometer breites, Loch auf, welches eine Bombe hinterlassen zu haben scheint und weit und breit sind nirgends nur irgendwelche Tiere zu sehen. In unserer Nähe scheinen sich vor dem Einschlag der Bombe einige Bäume befunden zu haben, doch nun sind ihre schwarzen, verbrannten Stümpfe nur noch bei ganz genauem Hinsehen zu erahnen. Der Himmel ist wolkenverhangen und wirkt fast so, als würde es gleich regen geben, doch der Schein trügt, denn hier draußen ist es kochend heiß und beinahe könnte man denken, dass man sich hier in einer Wüste befindet. Leichter Schwindel überkommt mich, doch ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, während sich einige Truppen von mir gelöst haben und zu einem Truck herübergelaufen sind. Sie mag das Bild, welches sich mir gerade bietet, nicht verwundern, doch ich spüre nur entsetzen. Früher war hier doch alles voll mit Bäumen und auch einen See gab es hier. Ich weiß ja, dass Krieg ist, aber ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm ist.
“Komm schon, Püppchen! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, grunzt der Mann hinter mir belustigt über mich und packt mich am Arm, doch ich versuche mich von ihm zu befreien, da ich echt kein Berührungsfreund bin. “Fass mich nicht an“, presse ich deshalb als Warnung hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. “Und was wenn nicht?“, fragt er lachend, während er mich immer weiter zum Truck hinter sich herzieht. Anstatt ihm jedoch zu antworten, halte ich den Mund und folge ihm weiter, doch innerlich brodele ich und spüre wie mein Fluch tief in meinem Inneren irgendwo unterhalb meines Herzens erwacht. Sofort zuckt der Mann zurück und richtet sein Gewehr auf mich: “Was ist mit deinen Augen los?“ Überrascht sehe ich ihn an, blinzele dann aber mehrmals, weil ich genau weiß, was mit meinen Augen los ist. Schon oft ist das Phänomen aufgetreten, dass meine Augen, als eine Art Vorwarnung, rot zu leuchten begonnen haben, wenn meine Kräfte bewachen.
Deshalb versuche ich mich abzuregen und wieder ein wenig ruhiger zu werden, was ich nach einigen Sekunden auch schaffe: “Alles wieder gut, nicht schießen!“ “Rein da“, knurrt der Mann und deutet dann mit dem Kopf auf den Truck. Um ihn nicht zu provozieren, öffne ich eine der schwarzen Hintertüren und steige in das große Auto mit den schwarzen, getönten Scheiben. “Was für ein Freak“, höre ich den Mann seinen Gruppenmitgliedern zu rufen.
Mit nach wie vor gefesselten Händen, schnalle ich mich umständlich an und lehne den Kopf dann gegen das, von der Sonneneinstrahlung aufgeheizte, Polster hinter mir. Langsam beginne ich mich echt zu fragen, ob es das alles wert war, doch dann erinnere ich mich wieder an den Grund, der für mich die Entscheidung sofort am Anfang nicht schwer gemacht hat. Ich muss wissen, wie es meiner Schwester geht!
Ich hoffe das Kapitel gefällt euch. Ein wenig Kritik wäre schön, damit ich weiß, was ich schon gut mache und was noch nicht!
Geräuschvoll stirbt der Motor des geräumigen Autos ab und der Fahrer zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss, bevor er sich, genau wie die Person neben sich, abschnallt. Der schwarzhaarige Mann, der mich noch vor der Abfahrt mit einer Waffe bedroht hatte, schnallt sich ab und öffnet schnell die Tür. Dann kommt er auf meine Seite, reißt die Tür unsanft auf und zieht mich unsanft aus dem Auto heraus. Ich versuche mich zusammen zu reißen, um es nicht noch einmal darauf ankommen zu lassen, dass eine Waffe auf mich gerichtet wird. Deshalb presse ich nur meine dünnen Lippen aufeinander und versuche mich nicht zu auffällig umzusehen, obwohl ich mich am liebsten in der Umgebung herumlaufen und mir alles anschauen würde. In meinem Inneren habe ich nach wie vor die Hoffnung, dass das Bild, was sich mir geboten hat, nicht überall zu sehen sein wird. Stattdessen schaue ich mich nicht um, sondern richte meinen Blick auf den Boden bis wir vor einem Metallklotz stehen bleiben. Kurz bleiben wir stehen und ich hebe verstohlen den Kopf. Der Bunker vor mir unterscheidet sich bisher rein äußerlich in keinster Weise von dem, in dem ich zuvor vier Jahre gelebt habe. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich, bei dem Gedanken, dass sich vielleicht gar nichts ändern wird und dass ich erneut für unzählige Jahre hier bleiben muss, ohne meine Schwester zu sehen. Bei dem Gedanken fühlt es sich so an, als würde jemand einen kalten, spitzen Dolch langsam in mein Herz bohren. Trotzdem höre ich nicht auf mich umzusehen und erblicke etwas, was den Dolch nur weiter in mein Herz treibt. Hinter dem Eingang des Bunkers erstrecken sich die Wolkenkratzer Chicagos, doch selbst aus dieser Entfernung kann ich sehen, in welchem schlechten Zustand die Gebäude sind. Die Häuser wirken selbst aus dieser Entfernung verfallen und an manchen Stellen sind sogar ganze Wände abgebrochen. Fast wirkt die Großstadt wie eine Ruine.
In diesem Moment zischt etwas laut und die kalte Metalltür vor unserer kleinen Tür öffnet sich langsam. “Dann mal los, Püppchen“, dieses Mal klingt der Mann genauso unglücklich, wie ich mich fühle. Scheinbar hat auch er genauso wenig Lust wie ich wieder in die Dunkelheit hinabzusteigen. Ich schlucke einmal schwer und steige dann mit der Gruppe von Wachen um mich herum die Treppen hinab, bevor einer von ihnen mich hinunterschubst, weil ich zu langsam bin.
Was mir sofort auffällt, ist, dass sich das Äußere des Bunkers von dem seines Vorgängers nicht unterscheidet, doch das Innere wirklich völlig anders. Die Wände sind nicht wie vorher schwarz, sondern weiß, was dem Ganzen direkt eine wärmere Atmosphäre verschafft. Zudem wirken die Gänge nichts so leer wie vorher. Stattdessen laufen hier Leute über die Gänge. Was mich daran aber wirklich verwundert, ist die Tatsache, dass sie nicht wie Angestellte aussehen. Anstelle dessen haben sie Ähnlichkeit mit mir. Nicht, dass wir völlig gleich aussehen, aber die Körperhaltung und der Gesichtsausdruck ähneln einander so sehr, dass sich ein Außenstehender wirklich fragen könnte, was mit all diesen Menschen geschehen ist. Ich weiß, warum die Mundwinkel all dieser Menschen nach unten gezogen sind, warum sie den Kopf gesenkt halten, während sie gebeugt durch die Gänge huschen, und warum ihre Körper mit Narben übersät sind.
Als ich den Zustand dieser Menschen sehe, treffen mich sowohl der Schock als auch die Angst haarscharf. Ich dachte, dass es hier besser sein würde. Man hatte es mir doch versprochen. Aber warum sehen hier alle so verkommen aus, wenn es an diesem Ort doch eigentlich besser sein sollte. Der eine wichtige Punkt, der mir bereits aufgefallen ist, rückt immer weiter in den Hintergrund, obwohl er mehr als nur positiv ist. Denn hier scheinen die Leute, die so sind wie ich, nicht eingesperrt zu sein. Ganz im Gegenteil. Sie dürfen herumlaufen und einige von ihnen unterhalten sich sogar kaum merklich flüsternd miteinander. Es scheint so, als würden sie sich nicht wirklich in Gefangenschaft befinden, sondern einfach nur hier leben. Wie in einer Wohngemeinschaft oder wie man das auch immer heut zutage nennen mag. Ob das tatsächlich das Wort für ein enBereich ist, in dem viele miteinander wohnen, weiß ich nicht. Schließlich habe ich schon lange mit keinem normalen Zivilisten mehr gesprochen.
“Glotz nicht so, sonst werden sie aggressiv“, der unfreundliche Mann stoßt mich fest in den Rücken, um mich davon abzuhalten den Anderen, die wahrscheinlich, genauso wie ich selbst, Experimente sind, nachzusehen. Fast stolpere ich über meine eigenen Füße.
Die Art wie er von Anderen redet, macht mich krank. Es klingt nicht so, als würde er von tatsächlichen Menschen reden. Eher würde so etwas zu einem wilden Tier passen, welches man nicht provozieren soll, weil es einen sonst attackiert.
“Ich glotze, wenn ich glotzen will“, antworte ich schnippisch und versuche mich so gerade wie möglich zu machen, umgroß zu wirken, scheitere allerdings. Die gebeugte Haltung ist einfach schon zu sehr zur Gewohnheit geworden.
Von dem Unfreundlichen kommt nur ein verächtliches Schnauben zurück, doch er bringt weder einen Satz zustande, noch wird er ein weiteres Mal handgreiflich. Dieses Verhalten lässt in mir ein Gefühl der Unbesiegbarkeit und der Stärke wachsen, doch in meinem Inneren weiß ich wie trügerisch es ist. Wahrscheinlich braucht es nur einen Schuss, um mich zu töten. Und als mir das klar wird, ist die Unbesiegbarkeit wieder dahin und macht dem Gefühl der Leere platz, das ich nur zu gut kenne. Das Gefühl, das mir sagt, dass ich ein niemand bin, für den sich niemand interessiert und für den es keinen Platz in der Welt gibt. Denn seit ich dieses verdammte Experiment hab machen lassen, bin ich ein Fehlversuch, eine Missgeburt, Abfall, den man vor der Zivilisation zu verstecken versucht, um die Konsequenzen nicht tragen zu müssen, um nicht in die Pflicht zu kommen, sich zu erklären. Doch egal wie oft ich den Verlauf des Experimentes verfluche, bereue ich es nie.
Durch mein Opfer hat jemand, der mir viel wichtiger ist als ich selbst, meine Schwester Thalia, eine Chance bekommen. Sie hat die Möglichkeit aus ihrer gigantischen Intelligenz etwas zu machen. Diese wäre ihr verwehrt worden, hätte ich dieses Opfer nicht gebracht.
Bevor ich zu dem geworden bin, was ich jetzt bin, haben wir zusammen in einer kleinen, zerknautschten Hütte von vielen gelebt, die sich am Standrand positionieren. Wie ein Ring umschloss eine Reihe dieser Behausungen die Hauptstadt und schloss sie ein. Ob es jetzt immer noch so ist, kann ich nicht sagen, doch wahrscheinlich werden die Bomben die Holzhütten dem Erdboden gleich gemacht.
Bei dem Gedanken daran, dass wir zu diesem Zeitpunkt hätten dort sein können, wenn ich das hier nicht getan hätte, sorgen bei mir für Übelkeit.
Schreckliche Bilder von uns beiden, wie wir uns zusammen, in der Hoffnung sicher zu sein, in einem Raum verschanzt haben, erscheinen vor meinem inneren Auge. Ich halte das kleine, dreizehn-jährige Mädchen im Arm, streiche ihr über den blonden Haarschopf und versuche ihr gut zuzureden, während mir Tränen über die Wangen laufen.
Solche Szenarien erscheinen immer in meinem Kopf, wenn ich daran denke, was passiert wäre, wenn ich mich nicht freiwillig gemeldet hätte. Dann wären wir jetzt vielleicht beide nicht mehr am Leben. Und dann beginne ich mich zu fragen, wie sie sich wohl mittlerweile verändert hat. Wenn meine Rechnungen richtig sind, wovon ich nicht unbedingt ausgehen würde, müsste sie mittlerweile siebzehn sein. Vier Jahre ihres Lebens habe ich schon verpasst, vier Jahre hat sie bisher ohne Familie verbracht, und wahrscheinlich wird es auch immer so weiter gehen.
“Hör auf zu Träumen, Püppchen. Wir sind da“, reißt mich der Wachmann plötzlich wieder aus meinen Gedanken. Mehrmals muss ich blinzeln, um meinen Blick auf das vor mir liegende zu fokussieren, doch dann bin ich zurück in der Welt, die ich real nenne. Wir sehen vor einem Glaskasten, in den man nur durch eine ebenfalls gläserne Tür gelangen kann. Allerdings wirklich dieses Glas nicht so dick wie das, mir nur allzu bekannte. Es scheint viel zerbrechlicher zu sein, weshalb der Raum keinesfalls wie eine Zelle für einen Gefangenen wirkt. Stattdessen hat es eher etwas von einem Zimmer neben vielen anderen, dessen durchsichtige Wände es dem Besitzer ermöglichen die Einwohner der Nebenräume zu sehen. Mir fällt sogar auf, dass es eine Klappe in den aneinander grenzenden Scheiben gibt. Vielleicht kann diese ja hinunterschieben, um mit seinem Nachbarn zu kommunizieren. Es mag vielleicht merkwürdig klingen, doch eine richtige Konversation gehört zu einem meiner größten Wünsche.
“Willkommen in deinem neuen Zuhause, Püppchen“, lacht der Mann, als er meinen Blick bemerkt: “Gleich kommt jemand und erklärt dir alles, was wichtig ist. Versuch bis dahin einfach dich nicht selbst in die Luft zu sprengen.“ Normalerweise würde mich so eine Äußerung mal wieder an die Decke gehen lassen, doch dieses Mal ist irgendwas anders. Dieser ganze Ort sorgt bei mir für eine tiefe innere Ruhe, die ich so schon seit langem nicht mehr gespürt habe.
Da fällt mein Blick plötzlich auf das Mädchen, welches sich in dem Kasten rechts von meinem Eigenen befindet. Das Haar, das genauso dunkel wie ihre fast schwarzen, großen Augen ist, hängt ungewaschen und schmierig von ihrem Kopf hinunter und unter ihren Augenlidern haben sich bereits große Augenringe gebildet. Die rosigen Lippen sind aufgeplatzt und an selbst von hier ist an einigen Stellen getrocknetes Blut darauf zu erkennen. Doch das wirklich markante an ihr, was sofort seine Aufmerksamkeit auf mich zieht, ist der riesige Blutfleck, der auf ihrem weißen Top prangt. Ob es ihr eigenes Blut oder das einer anderen Person ist, kann ich erschreckenderweise nicht zuordnen.
Gerade erst haben mich meine Wachleute verlassen, da tritt eine Frau zu mir heran. Sie trägt weiße Kleidung, die mir verrät, dass sie hier angestellt ist. Ihr dunkles Haar hat sie so nach oben gesteckt, dass es bei jedem Schritt bomben fest bleibt und sich keinen Zentimeter löst. Ich sehe der Frau zu, wie sie über den Gang auf mich zu läuft und würde am liebsten weglaufen, doch dann werde ich wahrscheinlich von der nächsten Wache, auf die ich treffe, erschossen, also bleibe ich brav stehen und warte, bis die Frau bei mir angekommen ist. “Sind Sie Subject A-03?“, fragt sie mich. Entgegen meiner Erwartungen scheint ihr Charakter so viel anders zu sein, als der, der Angestellten, die ich bereits kenne. Sie weiß, wer ich bin. Zwar kennt sie meinen richtigen Namen nicht, aber dafür den, den man mir nach dem Experiment gegeben hat. Obwohl das nicht viel ist, ist das immer noch besser, als die Schimpfwörter, mit denen ich schon bezeichnet wurde.
Sobald sei vor mir stehen geblieben ist, streckt sie mir die Hand entgegen: “Schön, dass Sie endlich zu uns gestoßen sind. Hoffentlich war die Fahrt nicht zu anstrengend.“ Die lockere Weise, mit der sie zu mir spricht, überrascht mich völlig. Fast fällt die Kinnlade hinunter. “Äh … ja, die Fahrt war ganz okay“, antworte ich nur knapp und sehe zu Boden. Dass mir die Frau die Hand hinhält, ist mir klar, doch ob ich sie ergreifen sollte, ist eine Frage, auf die ich die Antwort noch nicht gefunden habe. Schließlich zerstöre ich nahezu alles, was ich anfasse.
Nun scheint auch mein Gegenüber zu verstehen, dass ich ihr die Hand nicht schütteln werde, weshalb sie diese wieder sinken lässt: “Gut, dann zeige ich Ihnen besser mal alles.“ Stumm nicke ich. Das scheint der Frau als Antwort zu genügen, weshalb sie auf den Glaskasten zeigt, der nun wohl mein Zuhause sein soll. “Das sind die Sachen, die alle hier tragen, damit jeder sieht, dass Sie dazu gehören. Die Kleidung, die Sie jetzt anhaben, können Sie natürlich behalten.“ Mein Blick fällt auf den kleinen Kleiderstapel, der auf meinem neuen Bett liegt: “Dass ich wozu gehöre? Zu den Gefangenen?“ “Nein, natürlich sind sie hier nicht gefangen“, widerspricht mir die Frau sofort, als wir zusammen in den Raum hinein treten. “Ach nein, warum darf ich diesen Bunker dann nicht verlassen?“, argumentiere ich: “So was nenne ich Gefangenschaft.“ “Wir wollen Ihnen dieses Gefühl aber nicht geben. Sie werden nur hier behalten, weil Gefahr für andere Menschen besteht. Sobald wir einen Weg gefunden haben, dieses … Problem aus der Welt zu schaffen, können Sie auch wieder gehen, aber momentan stehen Sie unter Quarantäne.“ “Mein Problem aus der Welt schaffen? Das heißt, dass sie nach einem Weg suchen, um mir zu helfen?“, teils freudig, teils geschockt, starre ich die weibliche Person an. Ich hätte niemals gedacht, dass jemand versuchen würde mir zu helfen. “Hat man denn einen Weg gefunden?“, frage ich interessiert. “Bisher hat man nur eine Lösung gefunden, die in dieser Einrichtung funktioniert“, erklärt sie und tippt auf ihr Armband: “So ein Armband bekommt jeder hier. Es schützt den Träger vor Verletzungen, wenn jemand seine Kräfte mal nicht unter Kontrolle haben sollte. Das heißt, dass man hier nicht nur vor Ihnen sicher ist, sondern vor allem, was bei den Experimenten entstanden ist.“ “Das heißt, dass ich auch so eins bekomme?“, meine Stimme wird ungewohnt hoch. Die Aufregung hat mich gepackt. Kann es wirklich sein, dass mein Leben hier nun endlich neue Züge annimmt? “Ja, genau das heißt es“, kurz kramt sie in ihrer Tasche, bevor sie ein kleines, metallenes Bändchen herausziehen und es mir reicht: “Einfach umlegen.“
Auf die Aufforderung hin, öffne ich den kleinen Verschluss und lege das metallene Armband um mein rechtes Handgelenk, bevor ich den Blick wieder hebe: “Und was jetzt? Muss ich noch irgendwas wissen?“ “Ja, noch eine Sache“, verkündet sie: “Ich bin dazu verpflichtet Sie darüber aufklären, was in einem Notfall zu tun ist. Wenn dieser Fall eintritt, ertönt ein lautes Signal und die Türen, die nachts geschlossen sind, gehen automatisch auf. Dann müssen Sie einfach nur den anderen folgen und fertig.“ “Und das war dann alles?“, frage ich ein weiteres Mal nach, bis die Frau nickt. “Ja, das war alles. Sie können dann am besten ins Bad gehen und ihre Sachen anziehen.“ Dankbar lächele ich ihr zu und nehme die Kleidung tatsächlich. Wo das Bad ist, muss ich gar nicht erst fragen. Schließlich gibt es sonst nur eine Tür, die sich an mein Zimmer anschließt.
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2018
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