Cover

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„Sag uns endlich wo sie sich aufhalten!“ Heftig spürte Alli den Schlag, der als nächstes ihren Bauch traf. Sie wusste nicht, was diese Bande von Männern von ihr wollte. Ihre Hände waren an einer Art Kettenzug an der Decke befestigt und sie baumelte vor und zurück, immer wenn einer der Männer sie erneut malträtierte. Alle Anwesenden trugen Masken, alle hatten schwarze Kleidung an. Nur zwei redeten mit ihr. So gut wie jeder, hatte ihr jedoch schon Schaden zugefügt. Aber noch eines hatten sie gemeinsam. Ihre Aura war mehr als bedrohlich und hasserfüllt. Blut floss aus mehreren Wunden auf den Boden. Ihr war schwindelig und heiß. Alli's Herz schlug wie ein Kolibri mit seinen kleinen Flügeln. Mittlerweile war sie soweit, dass sie einfach nur wollte, dass es aufhörte. Ihr Blick verschwamm immer wieder, ob wegen ihrer Tränen, ihrem Schweiß oder weil sie einer Ohnmacht nahe war, das wusste sie nicht. Sie flehte ihr Herz an, dass es aufhörte zu schlagen. Aufhörte weiter Blut durch ihren geschundenen Körper zu pumpen. Sie gab einfach auf. Hatte sie nicht schon genug erlebt? War das, was sie durchgemacht hatte und hatte mit ansehen müssen, nicht schon genug gewesen? Sie wollte heute morgen, wie immer das Haus verlassen, das ihrem Onkel gehörte, der wegen der Arbeit viel unterwegs war. Sie kramte in ihrer Handtasche gerade nach dem Schlüssel für ihren Mini, als ihr ein Sack über den Kopf gezogen und die Luft somit abgedrückt wurde. Als sie erwachte, schlug ihr der erste unerwartet ins Gesicht. Sie hatte weder Geld, noch war bei ihr etwas zu holen. Sie wusste nicht, was für Geschäfte ihr Onkel betrieb. Aber danach hatten Sie auch nicht gefragt. Die Frage, die die Männer stellten, war jedes mal die gleiche. „Wo sind sie? Wo ist ihr Aufenthaltsort?“ Alli wusste nicht einmal wen die Männer mit „Sie“ meinten. „Bitte,“ flehte sie nun mit gebrochener Stimme. „ich weiß nichts, lasst mich in Ruhe. Ruft meinen Onkel an. Er hat Geld.“ Dies war nun das erste mal, dass sie ihren Onkel erwähnte. „Dein angeblicher Onkel interessiert mich nicht.“ Wieder schlug einer der Männer zu. Sie roch sowohl ihren Schweiß, als auch den der Männer. Einige wanderten unruhig umher und tuschelten miteinander. Sie hatten alle nahezu die gleiche Statur. Groß, breitschultrig. Wie die Männer, in den Büchern, die sie immer zu lesen pflegte. „Zum letzten Mal. Der nächste Schlag katapultiert dich direkt ins Nirwana,“ grollte der Mann vor ihr. Sie sah ihn mit herabhängenden Lidern an. Ihr Arme brannten, wie Feuer. Ihr Kopf rauschte. „Wo sind sie und wo verstecken sie sich?“ Er ließ ihr kurz Zeit, um Luft zu holen. „Ich weiß nicht von wem ihr sprecht, bitte,“ Doch weiter kam sie nicht mehr. Er holte aus und schlug sie heftig ins Gesicht.

 

Kauernd lag sie unter dem Bett, hörte die Schreie, die lauten Schritte. Das Umstoßen von Möbeln, die flehentliche Stimme ihrer Mutter. Weinend hielt sich Alliara an ihrem rosafarbenen Tuch fest. Sie presste ihr Gesicht zu Boden. Sie wollte nicht sehen, was da vor sich ging. Schreie aus dem Zimmer ihrer Schwestern, aus dem Zimmer ihres Bruders. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie zu ihr kamen. Bis sie sie holen würden. Die kleine Alliara war erst sieben. Ihre Familie wurde in ihr Zimmer gestoßen. Alle weinten und schluchzten laut. „Mama, Mama,“ rief ihre ältere Schwester. Ihre kleine Schwester klammerte sich an das Bein der Mutter. Einzig ihr Vater und ihr älterer Bruder wirkten wie versteinert und gefasst. „Wo versteckst du dich, kleines Mädchen?“ Sie rührte sich nicht und bemühte sich so leise, wie möglich zu atmen. „Keine Reaktion, Meister!“ „Ja, wie schade. Ich hoffe du bist hier und genießt die Vorstellung.“ Der Mann, der grüne Stiefel trug, drehte sich zu ihrer Familie um. Sie wagte es nicht weiter nach vorne zu klettern, um Gesichter zu sehen. Sie hatte zu viel Angst, sich auch nur zu rühren. „Wer von euch will den Anfang machen?“ Er ging vor ihren Geschwistern auf und ab. Ihre Schwestern klammerten sich beide an ihre weinende Mutter. Wieso sahen sie nicht unter dem Bett nach? Das war das lächerlichste Versteck, dass es gab, dachte sie. „Meine Tochter ist zu schlau. Sie wird geflohen sein, als ihr einen solchen Krach veranstaltet habt.“ „Ah, wie schön. Ein Freiwilliger.“ „Vater, bitte nicht.“, flehte nun auch ihr Bruder. „Ruhe, wenn die Erwachsenen sich unterhalten.“ Er lachte irre. Alliara zitterte vor Angst. „Nun gut. Du bist zuerst dran.“ Er schlug etwas in die Kniekehlen ihres Vaters, so dass er auf Knien saß. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Trauer lag in seinen Augen, als er sie unter dem Bett entdeckte. Dann schloss er die Augen. Knurrend schlug der Mann mit einer Axt auf ihren Vater ein. Alle schrien. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und presste die Augen aufeinander. Doch sie hörte, wie er weitere Male auf ihren Vater einschlug, bis ein dumpfes Grollen ertönte, gefolgt von einem noch dumpferen. Sie wollte die Augen nicht öffnen, doch schlussendlich siegte die Neugierde. „So einmal mit der Axt. Das war langweilig. Nun werde ich meine körpereigenen Waffen nutzen.“ Er griff nach ihrer älteren Schwester. Ihre Mutter versuchte sie festzuhalten, doch ein anderes Paar Schuhe trat hervor und ihre Mutter fiel zu Boden, hielt sich die Wange. Auch ihre Schwester kniete nun. Knapp neben dem blutigen Körper ihres Vaters. Wo war sein? Sie stockte in Gedanken, als sie den Kopf ihres Vater zu ihrer Linken am Nachttisch liegen sah. Seine Augen sahen sie an. Doch sie waren nicht mehr so dunkelbraun, wie vorher. Trüb und bleich, der Mund verzerrt. Seine Haut sah aus, wie unbearbeitetes Leder. Das Blut sickerte leise über den Boden. Sie riss die Augen und den Mund auf und starrte auf die Szenerie. Ihre große Schwester weinte und kreischte auf. Das veranlasste Alliara wieder zu ihrer Schwester zu sehen. Erschrocken stellte sie fest, dass die Finger des Mannes zu Klauen geworden waren. Scharfe Nägel bildeten die Spitze und fuhren nun mit einem schnellen Ruck an dem Hals ihrer Schwester entlang. Ihr Schrei erstarb. Zuerst sah es aus, als wäre es nur ein Kratzer, doch dann strömte das Blut aus ihrem Hals, ihre Schultern hinab und färbte ihr weißes Sonntagskleid blutrot. Achtlos, ließ der Mann mit den grünen Stiefeln sie zu Boden fallen. „Vorzüglich der Geschmack. Doch jüngere Kinder sind noch besser.“ Er drehte sich wieder zu ihrer Familie. „Sonst irgendetwas zu sagen oder kann ich weiter machen?“ Niemand sagte etwas. Man hörte nur ihre Schwester und Mutter schluchzen. Ihr Bruder schwieg und starrte mit wutverzerrtem Gesicht zu Boden. Was sollte er auch tun? Er war auch erst zwölf. Auch wenn er sich sehr reif benahm, er war genauso ein Kind, wie sie. Der Mann seufzte. „Na gut, dann geht es weiter.“ Er packte ihre kleinen Schwester an den dichten braunen Haare. Ihre Mutter kreischte wieder, blieb jedoch am Boden sitzen und weinte bitterlich. Alliara war nur noch kalt. Sie zitterte und hatte Angst, dass man ihre klappernden Glieder hören konnte. „Jungs, ihr sollt auch euren Spaß haben,“ sagte der Mann mit einem Grollen. Als die beiden anderen Männer sich auf ihre Schwester zubewegten, die sich rückwärts in Richtung Schrank flüchtete, trat der Mann mit den grünen Stiefeln zurück und begann zu lachen. Die Luft war von Kreischen erfüllt, von Knacken und Knarzen. Blut spritze ihr ins Gesicht. Knurren war zu hören. Dann nahmen sie sich ihre Mutter vor und der Mann lachte und lachte. Zu guter Letzt drehte sich der mittlerweile blutverschmierte Mann ihrem Bruder zu. Stumm und wütend starrte er ihn an. Er hatte kaum eine Regung gezeigt. „Du glaubst, dass du tapfer wärst? Gut.“ Ganz langsam setzte er den Schnitt an, ihr Bruder schnappte laut nach Luft, doch nur ein Gurgeln war zu hören, bis er letztendlich zu Boden sackte. Nun war alles still, außer dem Geräusch, des Blutes, welches über den Boden floss. „Mhm, wo kann sie nur sein?“ Der Mann wanderte im Zimmer umher, trat gegen einen Finger, der auf dem Boden lag. Grotesk rollte dieser genau auf Alliara zu. Sie schnappte entsetzt nach Luft und stellte fest, dass es zu laut war. „Ei, Ei, Ei, wen haben wir denn da?“ Der Mann beugte das Bein, kniete sich hin. Eine Ewigkeit später erschien eine Maske vor ihrem Gesicht und sie wurde brutal unter dem Bett hervorgezogen, so dass ihr Arm brach. „Nun hast du so schön zugesehen und jetzt machen wir dich selbst zum Teil der Show.“ Die beiden anderen Männer kamen näher. Ihre Hände wurden ebenfalls krallenartig. Sie schrie, so laut sie konnte. „Halt's Maul.“ Einer der Männer hielt ihr mit einer schwitzig und ledrig wirkenden Hand den Mund zu. Sie wurde immer schwächer, bis sie nur noch gedämpft hörte und sah was vor sich ging. Sie fiel unsanft zu Boden, reglos, da sie viel zu schwach war. Es kamen neue paar Schuhe dazu. Der Mann mit den grünen Stiefeln lief weg, das konnte sie verschwommen erkennen. Die Hand ihres Bruders lag nahe bei ihr. Krampfhaft hielt sie sie fest. Doch jemand hob sie hoch und zwang sie seine Hand los zu lassen. Sie schien so warm zu sein. Dann wurde es dunkel um sie herum.
Blinzelnd öffnete sie die Augen. Ihre Arme schmerzten immer noch. Gott, dachte sie. Was ein Traum. Nur, dass es leider ganz und gar kein Traum war. Es war die Realität, die ihr als kleines Mädchen widerfahren war. „Dornröschen ist aufgewacht.“ „Gut,“ gurrte eine Stimme hinter ihr. Ihr war kalt und ihre Sicht verschwommen. „Hier, trink.“ Sie weigerte sich. „Wenn du nichts trinkst, wirst du sterben. Du kannst es dir überlegen.“ Widerwillig trank sie einen Schluck der Flüssigkeit, die ihr an den Mund gehalten wurde. „Braves Mädchen,“ sagte der Mann und streichelte ihr über den Kopf. Sie blitzte ihn gereizt an. „Jetzt, wo du wieder bei uns bist, können wir ja mit der Befragung weiter machen.“ Innerlich spannte sie sich an. Bitte, dachte sie, nicht schon wieder. Doch sie setzten ihre Tortur unbeirrt fort. Nur benutzen sie diesmal Peitschenhiebe auf ihrem nackten Rücken. Der Schmerz schickte sie wieder ins Land der Dunkelheit.


Sie war gerade 15 Jahre, als man sie verheiratete. Sie stand in einem weißen Kleid mit Schleier und kleinen weißen Lackschuhen in einer Kirche. Ihr sogenannter Onkel, der damals plötzlich einfach da war und sie gesund pflegte, hielt sie am Arm fest. Ihre ganz Familie war tot, hatte er ihr gesagt. Sie hätte nur noch ihn. Stumme Tränen rannen Alliara über das Gesicht. Die kalten nahezu schwarzen Augen ihres Onkels musterten Sie. „Hör auf zu Jammern. Er wird dir ein guter Mann sein. Du wirst eine mächtige Frau werden.“ Es interessierte sie nicht Macht zu haben. Die Narben auf ihren Armen brannten. Sie wollte frei sein. Nicht mehr zu etwas gezwungen werden. Nicht mehr leiden. Vielleicht würde sie aus den Fängen ihres Ehemannes fliehen können. Laute Musik setzte ein, Gesang erhob sich, in einer Sprache, die sie nicht verstand. Ihr Mann, ein über 20 jähriger, kam von der Türe aus auf sie zu. Seine langen schwarzen Haare hatte er zu einen Zopf gebunden, der obere Teil klebte ihm am Kopf. Es schauderte sie. Er hatte die gleichen kalten Augen, wie ihr Onkel schoss es ihr durch den Kopf. Sie bekam kaum etwas von der Zeremonie mit. Später wurde sie von ihrem Mann über die Schwelle getragen. Über die Schwelle zu ihrem Kerker. Wie Rapunzel, bekam sie ein Zimmer, in einem hohen Turm. Er verabschiedete sich von ihr mit den Worten, dass er sie heute Nacht zur Frau nehmen würde. Sie war angewidert und stumm vor Zorn vor der verschlossenen Türe stehen geblieben. Als sie aus ihrer Starre erwachte hämmerte sie gegen die Türe. Niemand reagierte. Sie rannte zum Fenster und versuchte durch die Gitter etwas zu sehen. Sie sah ihren Onkel in seinen Wagen steigen und davon fahren. Sie weinte und riss sich unsanft den Schleier vom Kopf. Alliara war gefangen. Sie hatte nie ein gutes Leben geführt. Nach draußen gehen konnte sie nur mit ihrem Onkel. Selbst zur Schule hatte sie nicht gedurft, es sei sicherer für sie. So ein Unfug! Sie musste hier weg, dann erst war sie in Sicherheit. Es wurde dunkel. Gegen Mitternacht wurde der Schlüssel in der Türe gedreht. Zuerst sah sie in seine dunklen Augen. Das lange strähnige Haar hing ihm wüst ins Gesicht. Langsam schlich er herein, schloss hinter sich die Türe ab. Wie ein Raubtier auf der Pirsch näherte er sich ihr. Nahezu vorsichtig. Sie versteckte das scharfe Stück Holz hinter ihrem Rücken. Sie hatte es aus der Schublade herausgebrochen und vorsichtig angespitzt. Er leckte sich über die Lippen, hielt seinen Kopf aber generell gesenkt. Er hatte sie unter sich begraben, ehe dass sie auch nur eine Bewegung wahrgenommen hatte. Er presste ihr Gesicht hart auf das Bett, riss ihr das Hochzeitskleid herunter und versenkte sich in ihr. Sie schrie auf. Schmerzen durchzogen ihren ganzen Körper. Sie sah Blitze vor ihren Augen zucken. Er presste sich mit dem ganzen Gewicht auf sie. Er stieß unmenschliche Laut aus, Laute, die sie noch nie gehört hatte. Sie weinte und flehte, dass alles möge endlich ein Ende haben. Und irgendwann, nach einer schieren Ewigkeit, fühlte sie, wie er sein Gewicht von ihr löste. Ohne sich nochmals nach ihr umzusehen, verließ er ihr Zimmer und schloss ab. Sie schluchzte hemmungslos verbarg ihren geschundenen Körper unter der Bettdecke. Sie war doch noch ein Kind, dachte sie. Das spitze Holzstück lag wie ein Mahnmal neben den Blutflecken auf dem Laken. Sie rutschte so weit von der Stelle auf dem Bett weg, wie es ihr möglich war. Wie sollte sie das nur überleben?
So vergingen zwei Monate. Sie hatte häufiger versucht ihn zu töten, so dass er dazu überging sie vorher fesseln zu lassen. Eines Nachts, lag sie wieder gefesselt, mit dem Gesicht auf das Bett gepresst für ihn bereit, als sie spürte, wie nicht nur er das Zimmer betrat. Geräuschvoll wurde die Türe gegen die dahinterliegende Wand geschlagen und sein Kopf landete neben ihr am Bettpfosten. Blut, schwarzes Blut rann aus seinem Mund. Seine schwarzen Augen blickten wild und panisch zur Türe. Als sein Kopf abermals gegen die Wand knallte, hing kein Körper mehr am Hals. Seine schwarzen Augen wurden zusehends bleicher. Jemand oder etwas knurrte hinter ihr. Als sie erstarrte und die Stimme ihres sogenannten Onkels hörte, die sagte: „Lass die Finger von meiner Nichte, du Bastard.“ Die Antwort war ein raues Knurren, dicht gefolgt von Kampfgeräuschen. Und zu guter Letzt einem Schuss. „Ich muss dir einen neuen Mann suchen.“ Das Blut in ihren Adern gefror zu Eis. Er nahm sie mit, wickelte sie in ein lumpiges braunes Tuch. Ihre nächste Hochzeit fand ähnlich statt. Sie versuchte nicht mehr zu fühlen oder zu denken. Doch es half nicht. Ihr Onkel hatte gerade mal eine Woche gebraucht, um ihr einen neuen Mann zu suchen. Wat, war groß, düster und stumpfsinnig. Sie wusste nicht mal ob er sprechen konnte, denn sein Vater gab ihr im Prinzip das Ja-Wort. Als ob es bei ihr anders gewesen wäre. Sie wartete in der Nacht auf ihrem Bett. Allerdings hatte sie hier Kleidung bekommen und ein ganz normales Zimmer, jedoch auch verschlossen. Ein Küchenjunge kam herein. Er war schmächtig und blond, kam ihr jedoch irgendwie bekannt vor. Auf dem Nachttisch platzierte er einen Teller mit Essen und verschwand wieder. Wie in ihrer vorherigen Ehe wollte ihr Mann gegen Mitternacht den Akt der Ehe vollziehen, doch Alliara hatte sich das Messer gepackt, welches auf ihrem Teller gelegen hatte und wartete in einer dunklen Ecke des Zimmers. Wat stampfte schnaufend herein, sah sich einfältig um und schien sie zu entdecken. Er hielt es nicht für nötig die Türe abzuschließen. Das war ihre Chance, dachte sie. Sie stürzte auf ihn zu und rammte ihm das Messer in die Brust. Blut quoll aus der Wunde, doch Wat sah nur dümmlich auf das Messer, welches aus seiner Brust ragte. Sie war unfähig sich zu bewegen. Ein Grollen drang aus seiner Kehle und er schlug sie zu Boden, kniete über ihr und versuchte ihre Kleidung los zu werden. Sie wehrte sich mit allen Mitteln, doch nach drei oder vier weiteren Schlägen, spürte sie ein großes Rinnsal Blut an ihrem Gesicht herab laufen und noch bevor sie sehen konnte, wer hinter ihrem Peiniger aufragte, verlor sie das Bewusstsein.
Von da an wurde es besser. Wieder hatte ein Onkel sie gerettet. Er hatte ihr erzählt, dass der andere Mann ein Verbrecher war, der Handel mit ihr betrieben hatte und sich als ihr Onkel ausgab. Es klang plausibel, was ihr momentaner Onkel Valadur berichtete. Er brachte sie in eine Wohnung, in der er mit ihr wohnte. Ließ sie ihren Schulabschluss machen, Freunde treffen. Nahezu ein ganz normales Leben führen.
Bis zu ihrer jetzigen Entführung. In der sie, wie der Zufall es so wollte, gerade wieder aufwachte. Allerdings konnte sie sich an nichts konkretes aus ihren Träumen erinnern. Jedoch musste sie feststellen, dass sie nicht mehr von der Decke hing, sondern an einen Stuhl gefesselt war. Mit der Rückenlehne vor dem Brustkorb. Sie schien alleine zu sein. Jemand hatte ihre Wunden ein wenig versorgt, jedoch brannten sie immer noch wie Feuer. Sie war nun gerade 18 Jahre alt. Alli, wie sie sich mittlerweile nannte, wusste nicht, was diese Männer von ihr wollten. Sie versuchte den Stuhl herum zu drehen, indem sie mit den Füßen über den Boden schrabbte. Es knarzte laut, woraufhin die Türe aufschwang. Sie traute ihren Augen kaum, als ein Mann herein kam, der keine Maske trug. Er war schöner, als alles, was sie je sah. Ein ebenmäßiges Gesicht, gerade Nase, schwungvolle Augenbrauen, eine volle Unter- und Oberlippe sowie braunes dichtes Haar. Er erstarrte, als er sah, dass sie wach war. „Scheiße,“ fluchte er und trat die Flucht an. Die Tür schlug krachend hinter ihm zu. „Was willst du damit sagen?“ Wütende Stimme drangen von draußen herein. „Super, dann kannst du uns ja gleich allen ein Schild umhängen.“ Die Türe wurde geöffnet und sechs Männer mit schwarzen Kapuzenshirts und Masken traten herein. „Am besten wir zeigen dir, was wir mit dir machen, wenn du verrätst, dass du einen von uns gesehen hast.“ Sie erinnerte sich nur noch dunkel an die nächsten Stunden. Das einzige, was ihr in Erinnerung blieb, waren die Augen ihres Retters. Sie waren blau, hellblau, mit einem silbrig-weißen Glanz um die Pupille. Sie strahlten helles Licht, das alles verschlang.

Stöhnend erwachte Alli. Blinzelnd sah sie sich um. Neben ihr stand ein piepsender Apparat. War das alles ein Traum? Als sie sich aufsetzten wollte spürte sie, dass etwas an ihrem Rücken klebte. Ihr Hände, die sie nach ihrem Rücken ausstrecken wollte, waren voller Pflaster und blau. „Okay,“ sagte sie und erschrak über den heiseren Klang ihrer Stimme. Es war kein Traum, dachte sie zu Ende. Sie zog die Nadel aus ihrem Arm, woraufhin die Flüssigkeit stetig auf den Boden tropfte. Es war ein pompöses Zimmer. Dicke samtene Vorhänge in lila hingen vor den dunklen Fenstern. Das Bett, in dem sie lag war riesig. Sie hätte mindestens fünf Mal herein gepasst. Sie sah an sich hinunter. Sie trug ein großes schwarzes T-Shirt. Alles, was sie an sich sehen konnte, war lädiert oder vernarbt. Wie lang hatte sie geschlafen? Es bräuchte einige Zeit, bis sich Narben bilden konnten. Nachdenklich und vorsichtig versuchte sie aufzustehen. Wackelig kam sie zum Stehen, jedoch nicht ohne das schmerzhafte Ziehen an ihrem Rücken zu bemerken. Das Laken auf dem sie gelegen hatte war blutgetränkt. „Was?“ Sie sah sich panisch um. Links von ihr befand sich eine Türe und sie hoffte in ein Badezimmer zu gelangen. Sie begann mit einem Schritt nach vorne und fiel der Länge nach hin. Sie hielt die Luft an, während sie auf Geräusche in ihrer Umgebung lauschte. Als sich nichts rührte, wagte sie es erneut aufzustehen. Jeder Knochen tat ihr weh. Ihre Haut brannte. Es fühlte sich an, als würde Glas durch ihre Adern gepumpt, statt Blut. Langsam wankte sie auf die Türe zu. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter. Sie verspürte absolute Erleichterung, als die Türe nachgab. Rechts von sich ertastete sie einen Lichtschalter. Das grelle Licht schmerzte in ihren Augen. Als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatte, sah sie das größte Bad vor sich, was jemals gesehen hatte. Kurzzeitig vergaß sie ihre Schmerzen. Weißer Mamor, soweit das Auge reichte. In der Mitte war eine riesige Badewanne in den Boden eingelassen. Eine Wand war voller verspiegelter Fenster, bodentief. Zwei Waschbecken mit einem schräg hängenden Spiegel darüber. An der anderen Wand war eine bodentiefe Dusche, mit Steinfliesen auf dem Boden. Doch statt einer Brause, gab es Löcher in der Decke, aus denen voraussichtlich das Wasser hinab strömte. Selbst die Toilette wirkte wie ein Thron. Nachdem sich ihre Überwältigung allmählich legte, fiel ihr Blick auf sie selbst im Spiegel. Sie sah grauenhaft aus. Nahezu furchterregend. Sie war ausgemergelt, trug außer einem T-Shirt, welches ihr knapp über die Knie reichte, nichts am Leibe. Ihre Beine waren narbiger denn je, ebenso ihre Arme. Ihr Gesicht war einfach nur grün und blau. Es schillerte förmlich. Sie trat näher an die riesige Spiegelwand. Ein Auge war leicht angeschwollen, das andere jedoch klar. Wieder fragte sie sich, wie lange sie wohl geschlafen hatte. „Einen Tag,“ antwortete eine Stimme auf ihre unausgesprochene Frage. Sie fuhr panisch herum. Hinter ihr stand eine Frau, die sich lautlos in das Zimmer bewegt haben musste, durch eine Türe, die ebenfalls hinter einem Spiegel lag. Ihre dunkle Haut und ihre langen, dunklen Haare harmonierten perfekt mit ihrem wohlgeformten Körper. Sie wirkte indisch auf Alli. Doch ihre Augen, waren von einem hellen Gold. So etwas hatte Alli noch nie gesehen. Ihr Körper spannte sich an und sie presste sich fest gegen den Spiegel in ihrem Rücken. „Du brauchst keine Angst vor mir haben.“ Lautlos glitt die Frau einige Schritte auf Alli zu. „Mein Name ist Indira. Ich soll dich ein bisschen pflegen, dir dein Zimmer näher bringen.“ Als sie nun vor ihr stand, nahm sie den Duft nach Ingwer wahr, der von Indira ausging. Sie war einen halben Kopf kleiner als Alli, die wahrlich schon kein Riese war. Indira hob den Arm und ließ ihren Sari etwas auseinander fallen. „Du willst bestimmt duschen, oder?“ Auf ihrer Stirn prangte der typische Punkt, den die Inder zu Feierlichkeiten meistens trugen. „Wir müssen dich ein wenig herrichten und säubern, bevor du an der Feier teilnehmen kannst.“ „Was wird gefeiert?“, fragte sie mit nahezu erstickter Stimme.“ „Der Tod eines hohen Feindes.“ Bestürzt sah Alli die Inderin an. „Lieber ein Bad oder eine Dusche?“ Fragend hob sie eine Augenbraue. „Dusche.“ „Ach ja, und natürlich deine Unversehrtheit.“ Ich und unversehrt, fragte sie sich. Klar, ein paar Narben hatte ich immer schon, aber das, das war schon etwas anderes. „Wieso unversehrt?“ „Du wirst es sehen, habe ein bisschen Geduld. Das einzige, was wir noch überprüfen müssen ist, ob es deiner Psyche gut geht.“ Sie schnaubte, was ihr einen fragenden Blick der indischen Schönheit einbrachte. Sie lächelte sie ermutigend an und drehte an einigen Knöpfen in der Dusche. Aus einem Beutel, den sie an der Hüfte trug, zog sie einige Flaschen hervor. „Wasche dich gut,“ begann sie, während sich der Raum mit Dunst füllte und sie einen Schwamm auf die Ablage der Dusche legte. „kein Geruch sollte mehr an dir haften. Ich lasse dir ein paar Kleider zur Wahl bringen und komme bald zu dir zurück.“ Mit diesen Worten schlüpfte sie geräuschlos durch die Türe. Alli hörte keinen Schlüssel, der sich im Schloss drehte und machte entschlossen einige schnelle Schritte auf die Türe zu. Sie zog sie auf und sah in eine schiere Unendlichkeit. Meterhohe Decken, mit Zeichnungen, älter als die von DaVinci, rote samtene Teppiche, unzählige Stufen, die durch dieses riesige Anwesen führten. Leise schloss sie die Türe wieder. Sie war nicht eingesperrt, zumindest nicht in ihrem Zimmer und Badezimmer. Die nächsten Fragen durchfuhren sie: Der Tod eines hohen Feindes wurde gefeiert und ihre Unversehrtheit? Wer war der Feind und wieso war sie wichtig? Wo war ihr Onkel? Wusste er Bescheid? Was war mit ihren Mitbewohnern? Vermissten sie sie? Und wieso konnte sie sich kaum daran erinnern, was genau passiert war? Wieso heilte sie so schnell, wenn sich bereits nach einem Tag Narben bildeten? Geistesabwesend trat sie unter die warme Dusche. Das Wasser vermochte ihre trüben Gedanken etwas zu verdrängen, doch sah sie weiterhin nicht klar, was mit ihr passierte und wohin ihr Weg sie führen mochte. Das stark duftende Shampoo machte ihr Haare weich und glatt, das Duschgel umschmeichelte ihre geschundene Haut. Manche Stellen, insbesondere ihr Kopf brannten, während ihrer Dusche. Sie stand eine gefühlte Ewigkeit unter dem plätschernden Strahl. Der Raum waberte voll mit Dunstschwaden. Die Spiegel waren zum Teil beschlagen, zum Teil klar. Sie wickelte sich in ein großes weißes Handtuch. Fast würde es über den Boden schleifen, dachte sie belustigt. Ein kleineres wickelte sie um ihr dunkelblondes Haar. Sie wischte mit der Hand über den Spiegel, über dem Waschbecken und erstarrte. Ihr Auge war nicht mehr angeschwollen und auch das grün-blau ihrer Haut wurde bereits schwächer. Sie sah hinab auf ihre Arme. Die Narben, die frischer waren, verblassten. Ungläubig starrte sie in die Augen ihres Spiegelbildes. Fast glaubte sie ein Feuer in ihnen tanzen zu sehen. Kopfschüttelnd nahm sie das Handtuch aus ihrem Haar und kämmte ihre fast hüftlangen Haare durch. Durch das Shampoo von Indira lag ein leichter Kardamom Geruch darin und es ließ sich wie ein glatter Spiegel kämmen. Mit noch ein wenig feuchten Haare und nur mit dem Handtuch bekleidet sah sie sich um und wollte gerade in das Schlafzimmer gehen, als sie bemerkte, dass jemand das T-Shirt weggeräumt hatte, dass sie zuvor trug. Das hieß, dass jemand im Raum war, während sie geduscht hatte. Just in diesem Moment hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden.

2

 Der Anblick der sich Ihnen bot, als sie die Rettungsmission antraten, war verstörend. Man hatte sie aus dem Schutz der ihren entwendet. Wieder wurde sie gequält. Eigentlich war es ihm verboten worden sich an der Mission zu beteiligen, doch er musste einfach. Nachdem Mila, ihre Mitbewohnerin, sich hilfesuchend an Lio gewandt hatte, der ebenfalls ihren Mitbewohner spielte, sie habe Alliara nicht mehr erreichen können, seit sie morgens das Haus verließ, hatte dieser schnell Meldung gemacht. Fieberhaft durchkämpften alle Brüder und Schwestern möglichst unauffällig die Stadt. Bis der Küchenjunge, der abermals ihr Schutzengel sein sollte, sich meldete er habe sie gefunden. Dafür musste er auf jeden Fall noch eine Auszeichnung erhalten. Jedoch war das nicht seine, sondern Myrancor's Entscheidung. Alliara's Onkel. Besser gesagt ihrer beider Onkel. Aurindur saß da, den Kopf in die Hände gepresst. Er durfte sich ihr nicht zeigen. Er kannte die Konsequenzen. Aber nun, da sie hier im Haus wohnte, vorerst, so hatte der Meister befugt, war dies unausweichlich. Wie sollte er ihr all dies erklären? Er hob den Blick und sah in das Gesicht seiner Mutter. Das Bild seiner Familie hatte er damals in seiner Ausbildung retten können. Es zeigte ihn, Aurindur, Alliara, seine Schwester, Catrina, seine ältere Schwester, Suri, die kleinste und seine Eltern. Mutter und Vater. Acina und Eom. Ein Funke Leben, der immer schneller verblasste befand sich noch in ihm, als die Bastion ihn fand. Sie heilten ihn, doch er starb, mit dem Blut ihrer Rasse im Körper. Das brachte ihn zurück. Doch er war ein Gemachter. In der Welt da draußen, ohne die Vereidigung des Meisters, wäre er zum Abschlachten freigegeben gewesen. Doch seine Familie war wichtig. Er wusste nur nicht warum. Und niemand antwortete ihm. Diese Welt sollte für seine überlebende Schwester nie eine Rolle spielen. Sie sollte in Sicherheit verbleiben. Aufgezogen von einem, der fähig war sie zu schützen. Doch der Gebieter, der, der über allem stand, er hatte ihm einen Auftrag erteilt. Somit stellte er einen Wachen ab. Lio. Er würde sich noch verantworten müssen, dafür, dass die Entführung gelang. Doch er konnte nicht überall mit ihr hingehen. Alliara hat damals überlebt. Sie wurde aber nicht von der Bastion gefunden. Zumindest nicht von dieser. Sie nannten sich selbst die Auserwählten. Er rümpfte die Nase. Was sie ihr alles angetan hatten. Ein Rettungsversuch misslang. Der Bastard des Feindes entkam. Hagard! Alleine, wenn er an den Namen dachte, musste er seine Wut hinunter würgen. Er hatte seine Schwester gequält, sie verkauft. Aber laut seines Meisters war er sich nie bewusst, wen er da genau hatte. Für ihn war sie nur ein zähes Mädchen. Es gab Völker auf der Welt, von denen die Menschheit keine Ahnung hatte. Ihm fiel ein Filmzitat ein. „Du kennst doch die Geschichten? Sie sind alle wahr.“ Und in der Tat war da etwas dran. Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als die Türe aufgestoßen wurde. Seven, der Meister der sieben Gaben, stand vor ihm. Lächelnd musterte er ihn. „Ich hab ihre Erinnerungen etwas verändert. Ihre Psyche müssen wir noch prüfen. Mach dir keine Sorgen. Unser Meister lässt sicherlich Gnade walten, wenn du dein Babyface aufsetzt.“ „Sehr witzig. Ich hab mich seinen Befehlen widersetzt.“ „Ja, aber er ist bester Laune, weil er es war, der sie gerettet hat und du weißt, wie gerne er sich brüstet.“ Rhedyn erschien im Flur dahinter. Kurz nannten ihn alle nur Rhed. Er hatte einen roten Irokesen-Haarschnitt und war gepierct und tätowiert, soweit das Auge reichte. Voraussichtlich noch viel mehr. Sein breites Kreuz quetschte sich an Seven vorbei. Aurindur war noch nicht voll ausgewachsen und entwickelt und da er ein Gemachter war, würde er nie groß und stark sein, wie ein Reiner. Sevens weißes Haar stand stark im Kontrast zu seinen dunkelblauen Augen, die so tief wirkten, wie der Pazifik. Rhed's Augen lagen zumeist hinter einer stark getönten Sonnenbrille. Wenn man ihn fragte, dann murmelte er etwas von Sonnenallergie. In der Tat glaubte Aurindur aber, dass er zu eitel war. Denn Rhed hatte im Gegensatz zum Rest seines Gesichtes ziemlich kleine Augen. „Komm, Junge. Der Meister will dich noch vor dem Fest sehen.“ Seufzend erhob er sich und folgte Rhed und Seven die Treppe aus den Kellerräumen nach oben. Der dicke rote Samtteppich dämpfte ihre schweren Schritte. Sein dunkelblondes, fast braunes Haar war kurz geschnitten und er strich sich nervös darüber. „Sei nicht so nervös. Er spürt das.“ Sie kamen in dem großen Raum an, der gleichzeitig sein Büro, aber auch der Besprechungsraum für allgemeine Sitzungen war. Dhiro, sein Meister, Oberster Kommandant und der ranghöchste Bastionsvorsitzende vor Ort, stand mit dem Rücken zu ihnen und sah aus dem Fenster auf den dunkeln See hinaus. Er drehte sich gerade herum, als ein lautes Kreischen ertönte. Wie ein Mann begannen sie den Lauf, hinaus aus dem Büro, die Treppe hinab und die nächste wieder hinauf. Ihr feines Gehör hatte ihnen genau verraten, woher es kam. „Es ist ihr Bad. Du bleibst draußen.“ Dhiro knurrte den Befehl und er gehorchte missmutig. Das Bild, was sich den drei Männern, die das große marmorierte Bad betraten bot, war lustig und verstörend zugleich. Negra hing wie eine Fledermaus an der Decke. Ihr dunkles Haar mit den weißen und roten Strähnen hing in Richtung Boden. „Meine Unsichtbarkeit hat nicht funktioniert, Meister.“ Sie ließ sich von der Decke fallen. Mit vor Schreck geweiteten Augen und offenem Mund starrte Alliara von Negra zu den drei riesigen Männern. Dhiro war gute 1,90m und die anderen beiden noch größer, dafür weniger breitschultrig. „Raus, Negra!“ Leise ging die kleine, spindeldürre Frau an ihm vorbei. Er packte ihren Arm, als sie auf seiner Höhe war. „Das wird Konsequenzen haben,“ flüsterte er bedrohlich. „Ja, Meister.“ Demütig senkte sie den Kopf und verließ den Raum. Die beiden anderen Männer zogen sich ebenfalls zurück und die Türe zu. Dhiro tastete den Raum nach ihrer Aura ab. Sie war gleißend blau. Das gleißende Blau der Angst. „Du brauchst keine Angst zu haben.“ Seine Stimme war tief und kalt. Wie der See, der im Garten zu sehen war. Seine blonden Haare waren an den Seiten kurz und auch obendrauf nicht zu lang. Er konnte sich keine Fehler im Kampf leisten. Für ihn als Hauptmann und Meister sowie Kommandant gehörte es dazu, zu herrschen, zu richten und insbesondere mit seinen Männern und Frauen zu kämpfen. Aber es gehörte auch dazu zu schützen und zu retten. „Bitte, was-was!“ „Nicht was. Wer,“ grollte er. Er sah sie extra nicht an, um sie nicht zu verunsichern. „Das war Negra.“ „Warum-was wollte sie hier? Und wieso hing sie da oben und was meinte sie mit Unsichtbarkeit?“ „Du bist verwirrt und hast viele Fragen. Das ist verständlich. Doch jetzt ist nicht der Moment sie zu beantworten.“ Abrupt drehte er sich zu ihr und sah ihr fest in die Augen. Ihre blauen Augen bohrten sich in seine und er spürte, wie er die Macht über sie hatte. „Vergiss was gerade war. Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass gleich ein Fest stattfindet und du dir ein Kleid aussuchen musst. Du kamst aus der Dusche,“ Er hielte inne und sah sich kurz um. „und hast dir deine Haare gemacht. Nun wolltest du ein Kleid aussuchen gehen. Nun geh, kleine Alliara.“ Sie nickte und erhob sich schwankend. Als sie zu fallen drohte, griff er nach ihrem Arm. „Langsam,“ ermahnte er. Wieder nickte sie mit leerem Blick und wandte sich von ihm ab. Als er die Türe hinter ihr schloss, erstarb der Bann. Er rieb sich das Gesicht und spürte die kratzenden Bartstoppel auf seinem markanten Gesicht. Seine hellblauen Augen waren müde. Zu viele Banne wären nicht gut, dachte er. Zu viele Erinnerungslücken führten zu innerer Angst, die er nicht würde auslöschen können. Er sandte seine Gedanken nach Seven aus. „Ja, Meister?“ „Wenn Indira zu ihr geht, geh mit und teste ihre Psyche. Ich will sie nicht noch mehr ängstigen. Zu viel Veränderung verträgt der Geist nicht.“ Er nickte. Dhiro ging aus dem Bad. Ihr eigener Geruch hing in der Luft. Vermischt mit seinem. Sie hatte sein T-Shirt getragen. Er musste sich besinnen, auf die Strafen für die beiden Befehlsverweigerer. Oder besser gesagt Missachter. Dann musste er noch Papierkram erledigen, damit der Küchenjunge eine Auszeichnung bekam und ihm der Wunsch nach einer Ausbildung im seinem Hause frei stand. Wieder rieb er sich über das Gesicht. „Dann los,“ knurrte er.
In seinem Büro wartete bereits Alliara's Bruder Aurindur. Seine Augen wirkten gehetzt. „Du bist nervös!“ „Ja, Meister.“ „Das war keine Frage, Soldat.“ Aurindur stellte sich noch gerader hin. Seufzend nahm Dhiro Platz hinter dem wuchtigen Schreibtisch, an dem schon seine Vorfahren gesessen hatten und unter dem er Verstecken gespielt hatte. „Du hast dich meinen Befehlen widersetzt?“ Aurindur schrumpfte augenblicklich in sich zusammen und nickte betroffen. Er mochte den Jungen. Sonst hätte er ihm nie das Leben geschenkt. Auch, wenn es damals nicht so lief, wie beabsichtigt. Er hätte nicht sterben dürfen, um ein Gemachter zu werden. Grimmig sah er ihn an, aber er konnte ihm nicht lange böse sein. Viel zu sehr erinnerte er ihn an sich selbst. Aurindur war erst 22 Jahre. Mit 24 würde er ausgewachsen sein. Er würde noch um einiges stärker, berechnender und größer werden, doch nie so wie Dhiro. Seine Blutlinie entstammte alter Tradition, die weit zurück reichte. Man munkelte, das andere starke Rassen einst ihre Gene beigemischt hatten, das interessierte ihn jedoch nicht. Bei Reinen dauerte der Alterungsprozess bis 26 oder sogar 28 an. Bei ihm war das Wachstum mit 26 abgeschlossen. Und doch hatte sein Körper Veränderungen durchgemacht. Nur dauerte es nun länger und bedurfte hartem Training. „Bitte, bestraft mich. Ich habe die Mission riskiert.“ Er fiel demütig auf die Knie. Dhiro's Augenbrauen zogen sich zusammen. „Steh auf,“ knurrte er. „Du kniest vor niemandem nieder. Niemals, außer deine Befehlshaber oder der Gebieter sagen es dir!“ Ruckartig stand Aurindur auf. Seine braunen Augen, die seines Vaters, sahen ihn an. Dhiro hatte Eom gekannt. Es war klar, dass er seinen Sohn würde aufnehmen müssen. „Du bekommst keine Strafe,“ sagte Dhiro nun, mit Güte in der Stimme. Erleichtert atmete Aurindur aus. „Doch, die ursprüngliche Strafe, dass du sie meiden sollst, bleibt bestehen. Somit wirst du das Fest heute auslassen müssen.“ „Danke, Meister. Du bist so gütig zu mir.“ „Nein, Aurindur, es ist keine Güte, wenn man sich von seiner Familie fern halten muss.“ Schweigend sahen die beiden einander an. „Du bist meine Familie, Dhiro.“ Der große Mann lachte und sein Gesicht wurde eine Spur weicher. „Lass das nicht die anderen hören, sonst bist du bald Geschichte.“ Nun lachte auch Aurindur und verließ kurze Zeit darauf das Büro. Während Dhiro den Antrag und Bericht für den Küchenjungen namens Nesil ausfüllte, kam Negra herein. Er spürte ihre Anwesenheit, bevor er sie sah. „Kommen wir zum wichtigsten,“ begann er, ohne sie mit Namen anzusprechen. „Wieso funktionierte deine Unsichtbarkeit nicht?“ „Ich weiß es nicht. Es war wie eine Blockade. Ich konnte sie einfach nicht um mich ausbreiten. Dann wollte ich mich an der Decke verstecken, in der Hoffnung, sie würde nicht nach oben sehen.“ Dhiro rieb sich wieder über das Gesicht. Er konnte ihr also keinen Vorwurf machen. Negra war jung, jünger noch als Aurindur. Die afroamerikanische junge Frau war gerade 19 Jahre, dafür, waren ihre Kräfte verdammt weit. „Was wolltest du überhaupt dort?“ Sie errötete leicht. „Ich wollte euer T-Shirt holen und es waschen.“ Er seufzte. Die Frauen waren nicht so einfach zu bändigen, wie die männlichen Krieger. Früh erwachte die Liebe in ihnen und der Wunsch nach Romantik. Zu ihm sahen sie zwangsläufig auf. Daher taten sie alles für ihn. „Du kannst gehen,“ knurrte er. Würde er sie bestrafen, so würde sie sich vermutlich noch freuen. Er hatte bereits einen Fehler begangen sie am Arm festzuhalten. Als Negra gegangen war, ertönte ein leises Lachen hinter ihm. Eine schlanke, jedoch sportliche Frau, mit langem, hellem, leicht gewelltem blonden Haar und stechend blauen Augen kam auf ihn zu. Sie küsste ihn auf die Wange und legte die Arme um seinen Hals. „Wieder Probleme mit deinen Groupies, Beckham?“ Sie lachte. „Sehr witzig, Daria. Aber schön, dass du da bist.“ „Natürlich. Wenn du rufst, dann komm ich. Und ich kann zu keiner Party nein sagen.“ Sie lächelte ihr strahlenstes Lächeln. Ihr athletischer Körper steckte in einer schwarzen Hose, einem schwarzen hautengen Top und darüber trug sie eine Lederjacke, die knapp über ihren Hüftknochen endete. „Fressen dir die Jungs, die ich dir unterstellt habe, immer noch aus der Hand?“ „Na logo.“ Sie grinste. „Wo darf ich mich niederlassen, mein Großer?“ Er stand auf und verließ sein Büro mit ihr. Sie schien einen Blick auf das Dokument geworfen zu haben, welches an Myrancor und den Gebieter Derijan schicken musste. „Das ist der Retter, der Küchenjunge, von dem alle reden?“ „Ja, ich will ihm den Wunsch freistellen lassen, einer der unseren zu sein. Von mir ausgebildet zu werden.“ „Gut, das sollte schon fast Auszeichnung genug sein.“ Er führte sie zu ihrem Zimmer, unterhielt sich noch kurz über ihre Reise mit ihr und zog sich dann wieder in sein Büro zurück. Seine Schwester gab ihm zu verstehen, dass er nicht den Fehler machen sollte, sich den ganzen Abend in seinem Büro zu verschanzen, sondern wirklich mit auf das Fest sollte. Die Vorbereitung liefen bei allen auf Hochtouren. Doch er füllte in Ruhe den Antrag an den Gebieter aus.

3

 

Alliara stand in ihrem Zimmer. Ihr Blick ruhte auf der Kleiderstange. Sie verspürte eine gewisse innere Unruhe. Gedankenverloren strich sie mit der Hand über die verschiedenen Kleider. So etwas hatte sie noch nie angehabt. Wenn man bedachte, dass sie Zeit ihres Lebens nur Lumpen an gehabt hatte, waren die Jeans und die T-Shirts, die ihr Onkel ihr kaufte schon purer Luxus. Aber auf einem Fest, wo man solche Kleider trug? Nein, da war sie noch nie gewesen. Die Farben der Kleider reichten von weiß, über gold, hin zu pink und schlussendlich blau bis schwarz. In jeder Farbe war mindestens ein Kleid zu sehen. Die Stoffe und voraussichtlich auch Schnitte waren alle anders. Sie dachte wieder an die blauen Augen, die das einzige waren, an das sie sich noch erinnern konnte. Ihr war, als hätte sie sie wieder gesehen, doch wahrscheinlich träumte sie nur sehr viel, wegen der Schmerzmittel, sagte sie sich. Nachdenklich nahm sie sich ein schwarzes Kleid von der Stange. Es war aus Chiffon und ohne Träger. „Mhm, wie soll ich den Reißverschluss alleine zu bekommen?“, murmelte sie. Zaghaft klopfte es an der Türe. Ein Mann trat herein langsam und vorsichtig, neben ihm erschien die kleine Indira. Der Mann neigte den Kopf vor ihr und sagte: „Ich bin Seven. Ich müsste kurz ein paar Test machen, um nach deiner Psyche zu sehen.“ Alli drückte das Kleid fest an ihre Brust. Der Typ war groß, nicht sehr breitschultrig, aber sein Blick war freundlich, seine Augen so dunkelblau, wie der Ozean. „Darf ich?“, fragte er und deutete auf das Sofa. Sie nickte und ließ das Kleid langsam sinken. „Wie fühlst du dich,“ fragte er, nachdem er Platz genommen hatte. „Durch,“ sie musste sich räuspern. „Durcheinander. Ich weiß nicht, wo ich bin und was ihr alle wollt.“ „Wir wollen dich beschützen. Du bist im Herrenhaus der Bastion.“ „Was für eine Bastion? Weiß mein Onkel Bescheid und meine Mitbewohner?“ Aufmerksam sah Seven zu Indira, die ihm einen warnenden Blick zu warf. „Eine Bastion, als Zusammenschluss. Wir helfen anderen.“ Er vermied sichtlich das Wort Menschen und hoffte, dass es ihr nicht auffiel. „Und ja, deine Mitbewohner und auch dein Onkel wissen Bescheid, wo du bist und dass es dir gut geht.“ „Gut,“ schnaubte sie. Hektisch stand sie auf. „Sieh doch, ich hab,“ Sie hielt inne und starrte sich im Spiegel an. Indira tauschte wieder einen Blick mit Seven. „Wir haben eine gute medizinische Versorgung. Nur sind diese noch nicht erprobt.“ Gute Ausrede, dachte er. Er legte seine Hände an die Schläfen, der Frau, mit den langen, dunkelblonden Haaren. Konzentriert wühlte er nach Schäden in ihrem Innern und trat zufrieden zurück. „Ihr müsst diese Medikamente teilen. Sogar alte Narben verschwinden.“ Sie drehte sich einmal und hob erst ihren linken und dann ihren rechten Arm. „Die Reichen würden ein Vermögen dafür zahlen.“ „Seven, geh bitte und mache dich für das Fest fertig. Ich helfe Alliara dabei.“ Zögerlich blieb Seven in der Tür stehen, neigte dann doch kurz den Kopf und verließ das Zimmer. „Welches Kleid möchtest du probieren?“ Alli schüttelte den Kopf und lächelte dann zu Boden. „Alle.“

Stunden später stand Alli vor dem bodentiefen Spiegel im Bad und begutachtete Indira's Werk. Ihre Haare fielen ihr wie eine seidig glänzender Spiegel über den Rücken. Das schwarze Kleid, welches sie trug war hinten bis hoch in den Nacken geschlossen, dafür hatte es vorne einen Ausschnitt in der Mitte, der fast bis zum Bauchnabel reichte. Jedoch war alles Wichtige strategisch verdeckt. Eine goldene Kette zierte ihren dünnen Hals und ihr linkes Handgelenk. Hohe Pumps waren unter dem langen geschlitzten Rock des Kleides versteckt. Indira hatte sie nur dezent geschminkt, da ihre blasse Haut so natürlich und schön aussah. Lediglich ihre Augen hatte sie mit Lidstrich betont. „Wow!“ Sie drehte sich einmal. „Gehst du auch auf die Feier?“ Indira sah sie lange an. „Ja, ich muss mich nur in meinen Festtagssari werfen.“ Sie winkte, ehe sie das Bad verließ. Sie bewunderte sich noch einige Zeit, bis es wieder klopfte. Langsam schritt sie zur Türe. Doch davor stand nicht Indira. Auch nicht Seven. Sondern ein Mann mit einem roten Irokesen-Haarschnitt in einem dunklen Anzug mit einem knallroten Hemd darunter. „Ich bin Rhed. Ich soll dich abholen.“ Rhed trug eine Sonnenbrille, die seine Augen vollständig bedeckte. Er hielt ihr den Arm hin. Unsicher griff sie danach. Langsam ging er schweigend mit ihr über den weichen Teppich in diesem Stock. Leise drang Musik an ihr Ohr. Die Treppen gestalteten sich mit einem solchen Kleid, als ziemlich schwierig. Sie kam nur langsam voran und bemerkte, wie ihr Begleiter langsam ungeduldig wurde. „Entschuldigung,“ sagte sie gereizt. „Ich laufe nicht so oft auf solchen Schuhen.“ Er blickte sie durch seine Sonnenbrille an, sagte aber nichts. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie die Treppe hinter sich gelassen, ohne zu stürzen. Suchend blickte sie sich um. „Wen suchst du, kleines Mädchen?“ Dieser ungehobelte Typ schaffte es noch sie zur Weißglut zu bringen. „Indira.“ Seine Brauen hoben sich über die dunkle Brille. „Wieso suchst du sie?“ Damit ich mich nicht den ganzen Abend mit dir ungehobeltem Idioten abgeben muss, dachte sie. „Weil ich mich gerne mit ihr unterhalte und sie sagte, dass sie kommen würde.“ „Das wage ich zu bezweifeln.“ Der Typ grinste breit und entblößte zwei goldene Eckzähne. Jetzt wurde sie langsam ungehalten. „Ach ja, und wieso?“ „Weil sie nur eine,“ „Rhed!“ Eine tadelnde Stimme unterbrach ihn. Es war Seven. „Ich führe Alliara zum Fest nach draußen. Misch dich unters Volk. Und suche Indira für sie.“ Der Typ grollte doch tatsächlich. Ein tiefes, dumpfes Grollen ließ seinen Körper erzittern, bevor er sagte: „Wie du wünschst, Seven!“ Mit schnellen Schritten wandte er den beiden den Rücken zu und verschwand in einer Türe unter dem linken Treppenaufgang. „Was wollte er sagen?“ „Nichts wichtiges.“ Der weißhaarige Hüne trug einen hellblauen Anzug und dunkelblaue Schuhe sowie eine dunkelblaue Weste und Krawatte. „Nein, keine Ausflüchte. Was ist mit Indira?“ Alliara überkreuzte trotzig die Arme vor der Brust und ignorierte seinen Arm, den er ihr hin hielt. Er seufzte auf und ließ seinen Arm sinken. „Es ist wirklich nichts und sie wird ja kommen.“ Okay, dachte sie. Sie konnten den einfachen Weg nehmen und mit ihr reden, oder aber sie wählten den lauten, aufmüpfigen Weg. Sie holte tief Luft und rief: „Indira? Wo bist du? Wir wollten uns doch hier draußen treffen?“ Augen richteten sich augenblicklich auf sie. Sie spürte die Anwesenheit eher, als dass sie sie sah. Seven wirkte aufrichtig bestürzt. Mutig und trotzig, bildete sie mit den Händen einen Trichter um ihren Mund und lief ein paar Schritte nach links. Das gleiche wiederholte sie in Richtung Türe, die anscheinend zum Fest führte. „Was ist hier los?“, erklang eine herrische Stimme von der Brüstung über ihr. Ihr Blick schnellte nach oben. Ein Mann, gute 1,90m groß, blond und breitschultrig, stand am oberen Treppengeländer. Er lehnte sich leicht nach vorne um besser nach unten sehen zu können. Alli sah eine goldene Kette, mit einem großen Anhänger durch sein Hemd funkeln, welches er scheinbar noch nicht ganz zugeknöpft hatte. Er trug eine dunkelblaue Anzughose und hielt in der linken Hand ein passendes Jackett. Seine ganze Körperhaltung strahlte Dominanz aus und er wirkte, wie ein Herrscher. Doch seine Bewegungen, als er nun die Treppe hinunter kam und dabei mit geschickten Fingern sein Hemd zuknöpfte, waren geschmeidig und filigran. Sie musterte ihn. Er hatte kräftige Beine, große Füße, einen breiten Brustkorb und Schulterkamm. Sein Kopf war im Gegensatz zu denen, die bei ihr im Fitnessstudio trainierten, ganz normal proportioniert und keine Schrumpfbeere. Er hatte recht kurzes blondes Haar und blaue Augen. Sein Mund war voll und geschwungen, die Gesichtszüge markant. Das Hemd spannte leicht an den Oberarmen, als er nun die Manschettenknöpfe schloss. Er ging recht langsam, konzentriert darauf, was er tat. Nun stand er vor ihnen. „Meister,“ begann Seven. Meister? Waren denn hier alle gestört? „Scht,“ machte er drohend in ihre Richtung, damit Seven schwieg. Doch Seven dachte gar nicht daran. „Ich wollte gerade zum Fest, als ich Rhed sah, der sich mit ihr unterhielt. Über Indira.“ Die Augen des Mannes blickten unbewegt weiter auf seine Manschettenknöpfe. Durch das weiße Hemd konnte sie eine Tätowierung ausmachen, die seine Schlüsselbeine auf beiden Seiten zierte. „Als ich ihr keine Auskunft geben wollte,“ fuhr Seven fort. „erprobte sie den Aufstand.“ Wie zur Untermalung dieses Statements, wandte Alli den Blick ab und überkreuzte wieder trotzig ihre Arme. „Wie fühlt sich das an, von jedem hier angestarrt zu werden?“ Erst jetzt vielen ihr die vielen Beobachter auf, die in festlicher Kleidung am Rand des großen Saals standen. „Ähm,“ begann sie. Was war nur los? Wieso war sie plötzlich sprachlos, wie ein dummes Kind? „Wie dem auch sei,“ fuhr der blonde Mann unbeirrt fort. „Indira wird sicherlich jeden Moment auftauchen. Nun ja, eigentlich ist sie eine Zimmerdame. Deshalb geht sie normalerweise nicht auf Festlichkeiten, aber wenn du es wünschst, Alliara, dann darf sie natürlich bei dir sein und an der Feierlichkeit teilnehmen.“ Er reckte sich um seine Jacke überzuziehen. Sie starrte ihn an. „Ein Zimmermädchen? Jemand der putzt und aufräumt?“ War sie hier in einem Hotel. Er lächelte, während er auf seine Schuhe sah und die Ärmel seines Jacketts glatt zog. „Sieh mal, das ist ein sehr, sehr großes Haus. Hier wohnen viele Menschen. Wir haben Köche, Putzservice, Zimmerdamen und sogar einen eigenen Hausmeister und Schneider. Genau genommen sind die Zimmerdamen hier, bereit Hilfestellung zu leisten, wenn jemandem im Zimmer etwas fehlt oder es um Modefragen geht. Also nein, keine Putzfrau.“ Verlegen ließ sie die Arme sinken. „Nun, wolltest du weiter hier herum stehen, oder mit Seven zu dem Fest gehen und dort auf Indira warten?“ Wieso mit Seven, dachte sie und schallt sich gleich eine Närrin, was war nur los mit ihr und wieso kannte jeder ihren Namen. Ihren richtigen Namen. „Ich gehe zum Fest,“ sagte sie kleinlaut. Er nickte und wandte sich zum gehen. „Entschuldigung?“ Er drehte sein Gesicht zu ihr herum. Sie wusste nicht, wie sie diese Frage formulieren sollte, die ihr auf der Zunge brannte, daher stellte sie sie nun einfach gerade heraus und unüberlegt. „Bist du hier der Chef?“ Seven sog hörbar die Luft ein. Auch alle anderen, die immer noch zu ihr sahen schienen die Luft anzuhalten. Wieder erschien ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. „Kann man so sagen.“ Mit diesen Worten ging er langsam wieder die Treppe hinauf. „Geht er nicht auf das Fest?“ Ihre Stimme war nicht lauter, als ein Hauchen, daher erschrak sie als Seven antwortete: „Doch, aber er kommt etwas später.“ „Stimmt, er war ja nicht mal ganz angekleidet!“ Sie war wie von Sinnen und etwas an ihm wirkte vertraut, sie kam nur nicht darauf, was es war. Nun ergriff sie Seven's Arm. „Tut mir Leid, wenn ich Ärger gemacht habe.“ „Ach, nicht so wichtig.“ Je näher sie der offenen Türe kam, desto lauter wurde die Musik. Fabelhafte Gerüche schlugen ihr entgegen und sie bemerkte, dass sie noch nichts gegessen hatte, seit sie hier war. „Das hier ist das Ballzelt. Solange das Wetter hier gut ist, sollte man es nutzen.“ Das Zelt, von dem Seven sprach, war wohl eher ein aufbaubares Haus. Es war riesig und ausgeleuchtet mit abertausenden Lampions. Seltsame Banner hingen an manchen Stellen des Zeltes, mit einem dunklen Gesicht darauf sowie einem roten und einem blauen Auge. Es erinnerte sie ein bisschen an den Film Harry Potter, den sie letztlich mit Mila gesehen hatte. Mila! Wenn sie und Lio nur hier sein könnten. Sie würden ausflippen! Alle Menschen waren festlich gekleidet. Manche starrten sie an, andere wiederum wogen in der Musik hin und her. „Hast du Hunger?“ „Oh, ja.“ Seven's Mundwinkel zuckten belustigt. Er war deutlich angenehmer, als dieser Rhed. Auch wenn Seven ihr nicht geantwortet hatte und es dazu erst den großen, blonden gebraucht hatte. „Wie heißt euer Chef?“, fragte sie daher gedankenverloren. Sie bemerkte erst, dass Seven abrupt stehen geblieben war, als sie an einem Tisch mit etlichen Leckereien stehen blieb. Er stand da und zog die Stirn in Falten. „Tut mir Leid, ich muss etwas erledigen, dann war er verschwunden.“ „Du hättest auch einfach sagen können, tut mir Leid der große Typ will unerkannt bleiben,“ murmelte sie. Jemand tippte ihr auf die Schulter und sie sah in die hellbraunen Augen von Indira. Plötzlich hörte man in der Halle wiederholt großes Getöse. Indira wollte sie aufhalten, doch sie ging schon in Richtung des Saals.

Wieder wurde es unter ihm laut. „Zum Teufel,“ fluchte er und zuckte zusammen. Eilig griff er nach seiner Krawatte. Manchmal war es ihm, als hüte er einen Sack Flöhe. Er schloss die Türe zu seinen Gemächern ab, eilte in sein Büro und nahm den versiegelten Brief vom Schreibtisch. Das Getöse wurde immer lauter und er entschloss sich kurzerhand für den schnellen weg. Mit einem grazilen Sprung, sprang er über das Treppengeländer und landete geschmeidig, wie eine Katze auf dem Boden. Seven, Rhed und auch Lio hielten eine Gestalt fest, die um sich trat und schlug, selbst mit den Zähnen, versuchte sie einen seiner Männer zu erreichen. Einer der Bediensteten kam und nahm ihm den Brief mit seinem Siegel aus der Hand. Eine hochgewachsene Blondine stand hinter den dreien, die er zuerst sanft mit einem Kuss auf die Hand begrüßte. Ihr Haar glänzte seidig und schimmerte im Zwielicht der Halle. „Laila!“ „Dhiro, wie schön. Ich hab Mojow mitgebracht. Gerade eben war der gute Molotowcocktail noch ganz ruhig. Bis er schlagartig explodierte.“ Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und kicherte. Laila war die beliebteste Junggesellin, die er kannte. Jeder wollte sie an seiner Seite haben. Ihm war sie, als er jung war, versprochen gewesen, jedoch fand keine Hochzeit statt, bevor sein Vater starb und Dhiro einigte sich mit ihr, dass sie nicht zueinander passen würden. Sie bevorzugte Frauen und er, nun ja, er war nun einmal, wie er war. Er interessierte sich für gar nichts, außer dem Kampf, Motorrädern und Waffen. Vielleicht noch für Tiere, aber dann hörte es auf. Seine Männer waren seine Familie, mehr brauchte er nicht. Sie verdiente besseres. „Hey,“ rief er. „Mojow!“ Seine Stimme donnerte durch den Saal. Mojow's wüstes, braunes Haar stand ihm strähnig vom Kopf ab. Er knurrte und schnappte mit den Zähnen. „Lasst ihn los.“ Alle drei tauschten einen Blick und ließen ihn dann los. Er rannte auf Dhiro zu und blieb wie angewurzelt vor ihm stehen, streckte die Arme aus und starrte ihn an. Sein Mund formte ein O. Dhiro hielt seinen Körper mit Gedankenkontrolle zurück. Mojow war gerade ausgewachsen. Er war groß, durchtrainiert, mit längeren braunen Haaren. Dhiro roch sie, bevor er sie sah. Er ließ den Bann brechen und Mojow stürmte auf ihn zu. Mit den Zähnen schnappte er nach seiner Kehle. Da sie nun hier war, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn mit normalen Mitteln zu schlagen. Er wich seinen Armen aus, packte ihn im Nacken, jedoch nicht fest genug. Im nächsten Moment riss er sich los, machte einen Zeitsprung und stand mit beiden Händen an ihrer Kehler hinter Alliara. Seven schnappte nach Luft. Rhed schlug sich vor die Stirn. Lio, der sich versteckt hielt, trat einen Schritt vor, was sie natürlich sofort registrierte. Dhiro entfuhr ein Knurren. Tief in seinem Inneren brodelte es. „Lass sie los, Mojow. Und zwar Sofort!“ Mojow blinzelte und senkte seinen Kopf. „Wenn du das tust, reiße ich dir den Kopf ab. Und zwar vor allen. Und dann spieße ich ihn auf einem Pfahl auf und schicke ihn deinem Bruder zu.“Alliara's Augen weiteten sich. Jedoch auch Mojow's. Langsam begriff er, wen er vor sich hatte. Misha war Mojow's älterer Bruder. Auch er war auf die Erhaltung der Familie und des Friedens bedacht. Meistens jedoch reiste er um die Welt, um dieses Botschaft zu verkünden. Misha war stämmig, jedoch kleiner als sein Bruder, mit hellbraunem Haar und blauen-grünen Augen. Dhiro respektierte Misha und wusste, dass es anders herum genauso war. Manchmal hasste Misha seinen Bruder, er würde wahrscheinlich im Falle des Falles, nachsichtig mit Dhiro sein. Mojow senkte seinen Kopf noch tiefer und berührte fast ihren Hals. Dhiro knallten wortwörtlich die Sicherungen durch. Das Licht begann zu Flackern und der Boden zu Beben. „Meister,“ versuchte Seven ihn zu beruhigen. Er spürte die Anwesenheit seiner Schwester hinter sich, die eilig herbei kam, als sie so viel Macht spürte. Mojow war beeindruckt. Er fiel nach hinten um und sah panisch zur Decke. Alliara kauerte am Boden, hustend, sich den Hals haltend. Es blitzte, eisiger Wind wehte und in der Ferne grollte ein Donner. „Bruder, bitte, hör auf.“ Dhiro sah in ihre Augen, sah die Spiegelung seiner eigenen, die beinahe so hell leuchteten, wie Scheinwerfer und atmete tief durch. Er schloss die Augen. „Entspann dich,“ hauchte seine Schwester. „Du sagst mir nicht, was ich tue,“ knurrte er. Sie sah ihn entsetzt an, ließ aber ihre Hand auf seinem Unterarm liegen. Langsam spürte er, wie die Luft um ihn herum wieder wärmer wurde, das Donnergrollen erstarb. Als er seine Augen öffnete sahen diese wieder normal aus. Die Blitze waren verschwunden und das Licht brannte wieder ganz normal. Sein Blick fiel auf Alliara, die auf dem Boden saß und ihn anstarrte. Er erwiderte kurz ihren Blick, bevor er auf Mojow zu schritt und ihn am Kragen hoch hob. „Meister,“ flüsterte er. „Es tut mir Leid. Ich habe die Kontrolle verloren. Bitte, verschont.“ „Erkläre das, was du beinah getan hättest Myrancor.“ Seine Augen wurden noch größer. „Sie ist es?“ „Ja! Und nun sei still.“ Er hielt sich nicht im Traum daran. Als Dhiro ihn runter ließ, sauste er zu ihr und sagte: „Es tut mir Leid, Alliara. Bitte verzeih mir.“ Stirnrunzelnd sah sie Mojow an. Dhiro knurrte und er kam zurück. Gerade, als Dhiro mit ihm die Treppe hoch verschwinden wollte, ertönte ihre Stimme und er schloss die Augen. Er hatte gefleht, ohne viel Hoffnung, sie hätte durch den Luftmangel nicht alles gesehen. „Warte! Was bitte war das?“ Sie war aufgestanden und lief nun hinter ihm her. Blieb aber auf Abstand stehen. Dhiro wagte es nicht, sich zu ihr herum zu drehen. Er hatte noch nie die Kontrolle verloren. Als er jünger war, ja, seine Fähigkeiten testete. Noch nicht mal, als seine Mutter starb. „Ich werde deinen Onkel darüber informieren, dass dieser Hohlkopf hier, versucht hat seine Nichte zu töten. Er hat dich gewürgt, weißt du nicht mehr?“ Mojow wimmerte leise. Bewusst, ging er weiter, dann spürte er einen Luftzug und sah sie vor sich stehen, wie sie eine Hand ausstreckte, um ihm zu bedeuten stehen zu bleiben. „Fein, da komm ich mit. Und dann frage ich meinen Onkel gleich einmal, was für ein Freak du bist.“ Zuerst hatte er versucht ihren Blick zu meiden, nun jedoch blickte er sie an und sein Blick bohrte sich in ihren. Doch der Bann konnte nicht gewirkt werden. Er verstand es nicht. „Wieso ist Lio hier? Und versteckt sich noch dazu hinter diesem ungehobelten Rothaarigen. Was ging bei dir vor? Deine Augen haben geglüht, wie Glühbirnen und das Wetter? Ich meine drinnen gewittert es sonst nicht, warst das auch du?“ Anscheinend war der Moment gekommen, in dem die Kleine die Wahrheit erfahren musste. „Nun gut! Dann komm mit. Vielleicht ist dein Onkel in Plauderstimmung. Daria, pass auf die anderen Chaoten auf.“ Nun stapfte Dhiro an ihr vorbei. Verdutzt folgte sie ihm, als sie jedoch merkte, dass er zu schnell war, fluchte sie und kickte ihre hohen Schuhe von den Füßen, so dass ihr Kleid nun über den Boden raschelte bei jedem Schritt. Es beunruhigte ihn weniger, dass sie nun die Wahrheit erfahren musste, denn das würde einiges einfacher machen, nein, er war nahezu panisch, dass sie keine Angst vor ihm hatte. Vor seinem Büro blieb er stehen und drehte sich zur Brüstung um. „Feiert, trinkt und habt Spaß. Ich komme sobald diese Angelegenheit geklärt ist zu euch.“ „Ich bin keine Angelegenheit,“ sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Tatsächlich entlockte sie ihm ein Lächeln, so wie sie da stand. Trotzig hatte sie das Kinn vorgereckt und sah ihn direkt mit funkelnden Augen an. Sie war nun gute 10cm kleiner, ohne ihre Schuhe und ihr Kopf reichte nun gerade unter sein Kinn. „Komm schon,“ sagte er. Mojow saß auf einem Stuhl in der Ecke und knabberte an den Fingernägeln. Als Dhiro sich gemütlich in seinen Sessel setzte, fragte sie ihn ungeduldig: „Wie erreichen wir meinen Onkel?“ „Ganz einfach,“ erwiderte er und drückte auf eine Fernbedienung. In der vermeintlichen Holzwand, öffnete sich ein Fenster und gab den Blick auf drei nebeneinander hängende Bildschirme frei. Er tippte etwas in ein Tablet und die Bildschirme flimmerten. Bilder von schwarzen Wölfen und großen Wildkatzen wechselten sich ab. Alli warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Ein Typ von seiner Größenordnung mochte Tiere? Dann erschien plötzlich ihr Onkel auf dem mittigen Bildschirm. „Herr Kommandant! Wie geht es dir?“ „Myrancor. Herr. Ich muss dir Bericht erstatten über einen Vorfall, der sich gerade eben zugetragen hat.“ „Dhiro, du nennst mich sonst nie Herr, was ist los?“ „Mojow, er hat die Kontrolle verloren und hat Hand an eure Nichte angelegt.“ Ihr Onkel im Fernseher schwieg. Kurz dachte sie, es gäbe ein Standbild. Doch dann verfinsterte die Miene ihres Onkels sich. „Ist ihr etwas zugestoßen?“ „Nein, Onkel.“ Mutig trat sie neben den Stuhl des blonden Hünen. Die Augen ihres Onkels weiteten sich kurz. „Du siehst wunderschön aus, Alli.“ „Hör auf mit der Heuchelei. Dieser Kerl hier, hätte es beinahe regnen lassen, unten in der Halle. Nur weil er da, mich gewürgt hat.“ „Oh glaube mir, er hatte nicht nur vor dich zu würgen.“ „Ach und was sonst?“ Feindselig blickte sie ihn an. „Schluss jetzt!“ Ihr Onkel wirkte herrisch. Der Hüne neigte den Kopf. „Was ist er?“ Ihr Blick war trotzig und Myrancor atmete tief durch. „Nicht nur er, Alli. Es gibt mehr Arten, als nur Menschen. Viele der Gruselgeschichte, rund um die Mythologie, sind nicht nur Geschichten. Dhiro ist mein Hauptmann. Er beschützt dich und unser Volk.“ „Unser Volk? Mich? Das hat ja die letzten 18 Jahre hervorragend funktioniert und gerade eben wäre ich fast erwürgt worden und dann fast vom Blitz erschlagen. Drinnen!“ „Beruhige dich, Alli.“ Dhiro knurrte. „Wir wussten lange Zeit nicht, wo du warst. Du warst in der Hand unserer Feinde und wir alle bereuen das. Wir hatten keine Chance dich zu finden. Und immer wenn wir es schafften und eine Rettungsmission begannen, wurden wir getäuscht, verraten oder die Feinde brachten dich weg. Deine Eltern wurden von unseren größten Feinden getötet und du, du solltest auch durch ihre Hand sterben. Sie sind die Feinde aller, doch ein anderer Clan fand dich zuerst und wusste um deinen Wert. Einer gab sich als deine Familie aus. Den Rest kennst du ja, soweit du dich erinnern kannst. Bei der ersten Rettung starben viele von Dhiros Männern. Er selbst wurde schwer verletzt und deinem vermeintlichen Onkel gelang die Flucht mit dir. Beim letzten Mal, sah es für ihn nicht so gut aus. Dhiro ist der zuverlässigste Hauptmann, den unsere Bastion hatte und das seit 100 Jahren.“ Alli starrte ihn an. „Du willst mir gerade erzählen, dass er 100 Jahre alt ist?“ Sie zeigte auf ihn, ohne ihn anzusehen. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich an nichts von dem erinnerte, was ihr Onkel da erzählte, außer, dass ihre Eltern tot waren. Und ein Fremder sich als ihr Onkel ausgegeben hatte. Und nun ja, dass sie entführt war. Jahrelang. „Nein, er ist nur seit 100 Jahren Hauptmann. Das bedarf einer langen Ausbildung. Es wäre zu viel dir nun alle Einzelheiten zu erklären. Die letzte Rettung gelang und nun bist du bei ihnen in der Bastion. Endlich in unserer Mitte. Man hat dein Gedächtnis mehrmals verändert. Sowohl die Feinde, als auch wir. Daher können wir nie genau sagen, woran du dich erinnerst, was davon wirklich war und was nicht. Es tut mir Leid, Alli, aber dein Vater und deine Mutter, meine Schwester waren ein wichtiges Glied unseres Volkes. Sie haben damals einen Vertrag erschlossen. Eine Tochter, im Normalfall die älteste, sollte einen großen Krieger zum Mann nehmen und mit ihm gemeinsam Frieden bringen und herrschen.“ „Du willst mir sagen, dass meine Eltern mich genauso verkauft haben, wie mein falscher Onkel?“ „Nun, wenn du das Gen hast, ja!“ Ihr Onkel wirkte niedergeschlagen. In Alli pulsierte heftige, rote Wut. „Das mache ich nicht mit.“ „Immerhin solltest du die Wahl haben, wen du heiratest, bis der Gebieter entschied, dass er bestimmen muss, ob der Krieger würdig ist. Damit wird die Wahl etwas schwieriger.“ Sie fuhr zu ihm herum. „Was bist du?“ Er sah sie nur an. „Hast du mich manipuliert?“ Er nickte zögerlich. Sie holte zum Schlag aus und traf ihn mit der flachen Hand im Gesicht. Dhiro verzog keine Miene, obwohl sich ein Handabdruck auf seinem Gesicht zeigte. „Ich will sofort nach Hause,“ flüsterte sie. Und als keiner der beiden etwas erwiderte, setzte sie lauter hinzu: „Sofort!“ „Dies ist nun dein zu Hause. Ich komme sobald ich die Mission des Gebieters erfüllt habe.“ Mitleidig sah er sie an. „Ich hatte immer gehofft, du würdest es nicht erfahren. Vielleicht hast du das Gen nicht, dann wäre dir diese schmerzhafte Tatsache erspart geblieben.“ „Was soll die Strafe für Mojow sein, Myrancor?“ „Nichts, Dhiro. Was sollte die Strafe für dich sein, da du einen Teil deiner Fähigkeiten nicht vor ihr geheim halten konntest?“ Dhiro sah zu Boden. Alli sah, dass er wirklich jung aussah. Auch wenn er über 100 Jahre alt sein sollte. „Onkel, ich muss es wissen und zwar alles. Und du weißt, dass ich sturköpfig bin.“ Ihr fiel plötzlich etwas ein. „Ich stand immer unter Beobachtung, richtig? Mila und Lio sind auch so, oder?“ Ihr Onkel sah sie nur an, es war der Hüne, der aufstand und die Türe öffnete. „Wo geht er hin?“ „Eine Antwort holen.“ Einen Augenblick später kam Dhiro mit Lio zurück. Lio sah bedrückt aus, sichtlich nervös. „Nur Lio ist so wie dein Onkel und ich. Mila ist menschlich. Er sollte auf dich aufpassen, wenn dein Onkel nicht zugegen war. Er hat seine Sache gut gemacht, auch wenn er das nicht so sieht.“ Dhiro klopfte ihm auf die Schulter, wie ein Bruder. „Dhiro?“ „Ja, Herr?“ Myrancor's Miene verdunkelte sich. „Nenn mich nicht so! Ich will, dass ihr jeder machbare Wunsch erfüllt wird. Du und Lio, ihr sollt ihr alle ihre Fragen beantworten,“ „Aber,...“ „Kein Aber, Hauptmann!“ Myrancor erhob sich. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er lederne Kleidung trug und eine Menge Waffen, darunter ein langes Schwert. „Onkel, bist du in Gefahr?“ Sie trat näher an die Bildschirme. Ihre Wut war vergessen und sie war nur noch erfüllt von Sorge. „Wir sind leider immer in Gefahr, Schatz. Das bringt der Krieg mit sich. Lass bitte zu, dass sie dich beschützen. Ich komme so schnell wie möglich zu euch. Hauptmann?“ „Ja?“ „Schütze sie mit allem, was du hast.“ Dhiro kniete nieder. Sie starrte ihn an. Er wirkte so überlegen und stolz, wie ein Oberhaupt und kniete nun vor ihrem Onkel nieder. „Ja, Myrancor. Ich werde mein Leben für sie geben, wenn es sein muss.“ Ihr Onkel nickte, lächelte sie noch einmal warmherzig an und das Bild erstarb. Die wilden Tiere erschienen wieder. Ohne sich herum zu drehen fragte sie: „Leuchten deine Augen hell und strahlend blau, wenn du mich manipulierst?“ Als niemand reagierte, drehte sie sich doch herum. Sie war alleine mit Dhiro, der ihr den Rücken zugedreht hatte und aus dem großen Fenster sah. „Ist es so?“ Sein Kopf deutete ein Nicken an. „Ich erinnere mich an deine Augen.“ „Es ist gut möglich, dass unsere Feinde dich so oft manipuliert haben, dass sich dein Geist gegen einige Eindrücke sträubt und sie sich nicht mehr löschen lassen.“ „Wann erfahre ich, ob es in mir steckt?“ Ihre Stimme war nun mehr ein Flüstern. Er drehte sich zu ihr herum. Sein Blick wirkte etwas mitleidig, aber der Rest seines Gesichts war versteinert. Wie sollte sie es hier nur aushalten? „In zwei bis drei Jahren. Dann wirst du merken, dass du dich veränderst. Und wenn dem so ist, wirst du lernen dich beherrschen zu müssen und mit 26 Jahren wirst du ausgewachsen sein und nicht mehr altern. Oder mit 28. Das kommt darauf an.“ „Also hab ich noch ein paar Jahre als Mensch.“ „Bei manchen kann es sich auch schon früher abzeichnen und dann wirst du eine Wahl treffen müssen und der Gebieter diese absegnen.“ „Was wenn ich mir niemanden aussuchen will?“ Dhiro verzog den Mund zu einer Grimasse. „Dir wird keine Wahl gelassen. Du wählst jemanden und er erweist sich als würdig, du heiratest ihn. Wählst du jemanden der nicht würdig ist, kannst du nochmals wählen. Wählst du jedoch niemanden, wird der Gebieter für dich wählen, ohne deine Zustimmung.“ Sie sah auf den Boden. Sie fühlte, wie sie den Tränen nahe war und spürte zeitgleich, wie er nervös wurde. „Kannst du nicht mit traurigen Frauen umgehen?“ Wieder zog er eine Grimasse. „Genau genommen, kann ich gar nicht mit Frauen umgehen.“ Sie lachte und eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Sie bemerkte, dass er nicht lachte. „Das war kein Scherz?“ Er starrte sie nur an. „Okay, okay, ich hab's verstanden. Du machst keine Scherze. Dhiro, richtig?“ Dhiro nickte. „Du musst etwas essen. Wir sollten zum Fest hinunter gehen.“ „Als ob ich etwas essen könnte.“ „Bitte.“ Er zog sein Jackett über. „Deine Krawatte.“ Sie hielt sie ihm entgegen. Vorsichtig, als wäre sie aus Glas nahm er sie. Seine Hände waren narbig. Seine Finger jedoch feingliedrig und filigran. „Danke.“ Er kehrte ihr den Rücken zu und sah in einen Spiegel in der Ecke. „Ich hasse diese Dinger.“ Er mühte sich ab, aber jedes mal ließ sie sich nicht ziehen oder war an einer Seite zu lang. „Warte, lass mich mal.“ „Normalerweise macht das Indira.“ Sie machte zwei Schritte auf ihn zu und er ging einen zurück, bis er mit dem Rücken am Spiegel lehnte. „Hast du Angst, dass ich dich beiße?“ In seinen Augen blitzte etwas auf, dass sie nicht deuten konnte. „Nein,“ erwiderte er. „Ich habe Angst, dass du mich wieder ohrfeigen willst.“ Sie grinste. „Dafür hast du das ziemlich gut weg gesteckt.“ Sie griff nach der Krawatte und begann sie zu binden, so wie ihr Onkel es ihr gezeigt hatte. Sie war hellgrau, mit kleinen dunkelblauen Ornamenten. Es könnten Augen sein dachte sie und blickte herauf zu ihm. Sein Gesicht wirkte unentspannt, seine Lippen waren zu einem dünnen Stich zusammengepresst. Seine Augen jedoch blickten starr gerade aus. Was hatte sie nur an sich, dass er so reagierte? „Fertig.“ Eilig trat sie einige Schritte von ihm weg und er entspannte sich sichtlich. „Gut, dann gehen wir runter.“ „Eine Frage noch.“ Er seufzte und rieb sich über das Gesicht, an dessen Kinn und Wange leichte Bartstoppel zu erkennen waren. „Was für ein Gen ist das?“ „Dein Onkel sagte ja, dass viele Geschichten aus der Mythologie wahr sein. Aber,“ „Weich mir nicht aus. Er sagte auch, dass du meine Frage beantworten sollst.“ Mit erhobenem Finger ging sie auf ihn zu. Diesmal wich er nicht zurück. „Droh mir nicht, Prinzessin!“ Dhiro blickte sie scharf an. „Es gibt Menschen, Vampire, Werwölfe, Wandler, Engel und Dämonen. Wahrscheinlich noch viel mehr. Du wirst, wenn du Pech hast zur Gattung der Dämonen gehören.“ Mit diesen Worten ging er zur Türe und hielt sie auf. „Können wir?“

4

 Im Gegensatz zu den anderen reichte er ihr nicht den Arm. Neben der Türe standen auf wundersame Weise ihre Schuhe, doch sie zog sie erst an, als sie die Treppe hinter sich gelassen hatte. Lio kam aus einem Schatten zu ihnen und reichte ihr die Hand. Sie hatte ihn vermisst. Er war doch so normal erschienen. Dhiro wartete nicht auf sie. Er trat zu einer hinreißenden Blondine und legte ihr den Arm um die Taille. „Kommt!“ Nicht mal für dieses Wort drehte er sich herum. In ihr brodelte es und sie hatte keinerlei Ahnung wieso. „Werde ich Mila je wieder sehen?“ „Wahrscheinlich nicht. Ich habe sie aber manipuliert. Sie wird nicht wissen, dass es dich gab. Wir waren sehr gründlich.“ Er drückte ihre Hand und sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. „Da hinten gibt es Hähnchenpfanne, die ist echt lecker, soll ich dir welche holen?“ Sie nickte und stützte den Kopf in die Hände. Indira kam zu ihr. „Geht es dir gut?“ Sie schüttelte den Kopf und versuchte die Tränen nieder zu kämpfen. Würde sie nie frei sein? Was hatten sich ihre Eltern nur dabei gedacht? „Guten Abend,“ klang eine Frauenstimme von der Bühne. „Da unser Hauptmann nicht der große Redner ist, hat er mich genötigt zu reden. Ich möchte euch herzlich begrüßen. Anlass dieser Feierlichkeiten ist, dass wir einen unserer großen Feinde besiegen konnte und ein Mitglied unserer Bastion, ein wichtiges Bindeglied lebend und größtenteils unversehrt retten konnten.“ Applaus brandete, jemand rief: „Dhiro, lang lebe unser Hauptmann.“ Dhiro stand sichtlich unbehaglich neben der Bühne und sah auf seine Füße. „Unser Hauptmann bittet euch sämtliche Unannehmlichkeiten des Abends zu entschuldigen und wünscht euch eine schöne Feier. Tanzt, esst und vergesst den Kriegsalltag. Für die Bastion!“ Sie stieß die Hand gen Himmel und einige folgten ihrem Beispiel. Dhiro hatte wirkliches Glück so eine schöne Frau zu haben. Warum konnte sie nicht zum Frieden führen? Die Männer schienen förmlich an ihren Lippen zu hängen. Sie hakte sich bei ihm ein und er führte sie zu einem Tisch ganz hinten in der Ecke. Als er Platz nahm, konnte sie ihn nicht mehr sehen. „Hier, dein Hähnchen,“ riss Lio sie aus ihren Gedanken. „Danke.“ Schweigend aß sie. Vollkommen ohne Hungergefühl, schlang sie das Essen hinunter und trank, was Lio ihr reichte. Erst nach dem dritten Glas bemerkte sie, dass dies ein Fehler war. Es war irgendein stark alkoholisches Getränk. Sie spürte, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg und ihr Emotionen bereits ein Eigenleben begannen. „Mist,“ lallte sie. „Was ist los?“ Lio sah sie aufmerksam an. Alli erhob sich wankend. „Was hast du mir gegeben?“ „Das was du zu Hause auch immer trinkst, wenn wir etwas feiern. Captain Morgan Cola.“ „Ich weiß nicht mal, wann ich das letzte...“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund. Lio bekam große Augen und Alli Panik. So schnell sie konnte kickte sie die Schuhe weg und sauste hinein ins Haus. Auf der ersten Treppe stolperte sie und verschluckte sich an ihrem eigenen Mageninhalt. Sie hustete und würgte, kroch aber trotzdem weiter die Treppe hoch. Bis sie schließlich erschöpft das Bewusstsein verlor.
„Du bist einfach ein absoluter Idiot. Vielleicht hätte es auch Wasser getan oder nur Cola? Von mir aus ein Schnaps, aber gleich drei hoch-volle Gläser. Ich könnte dich erwürgen. Was wenn sie gestorben wäre? Erstickt an ihrer...ach!“ Ein Grollen war zu hören. Ihr Kopf dröhnte. „Es tut mir Leid.“ „Sei froh, wenn ich das nicht Myrancor sage. Ich werde wohl nicht daran vorbei kommen mich komplett...“ „Wo bin ich?“, unterbrach sie ihn. „In deinem Zimmer.“ Seine Stimme nahm einen weicheren, leiseren Tonfall an. Sie wollte die Augen öffnen, doch etwas lag darauf. Als sie es wegnehmen wollte, sagte Dhiro: „Lass es liegen, es ist eine Kühlkompresse. Gegen deine Kopfschmerzen.“ Sie stöhnte leise. „Geh, Lio.“ „Jawohl, Meister.“ Sie hörte das leise Klicken der Türe. War sie alleine? „Dhiro?“ „Ja.“ „Oh, ich dachte ich wäre alleine. Ich hab nichts mehr gehört,“ sagte sie und wurde rot. „Nein, ich bin da. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als mich persönlich um deine Sicherheit zu kümmern.“ „Das klingt, als wäre es eine Strafe.“ Sie war verletzt. Dhiro verzog das Gesicht und strich sich durch sein Haar. Dieses Mädchen, oder besser, diese junge Frau zog das Unglück an, wie Licht die Motte. „Nein, keine Strafe, nur vollkommen ungewohnt für mich.“ Das Schweigen lastete schwer auf ihrer Brust. „Na geh schon, ich brauche keinen Babysitter,“ sagte sie. „Deine Frau wird das sicher nicht gutheißen, wenn du hier ständig bei mir bist.“ Er antwortete nicht. Da Alli dachte, er wäre einfach so gegangen, schließlich hatte sie ihm genau das gesagt, nahm sie die Kühlkompresse ab und setzte sich auf. Ihr Schädel brummte und sie seufzte. Dann erschrak sie, weil sie sich beobachtet fühlte. Neben dem Fenster auf der grauen Ledercouch saß eine Gestalt mir leuchtenden blauen Augen. „Welche Frau?“ „Ich dachte, dass die blonde Schönheit, die die Rede gehalten hat, deine Frau sei. Sie ist beeindruckend.“ „Ich werde es ihr ausrichten. Aber nein, sie ist nur meine Schwester.“ Innerlich schlug Alli sich vor den Kopf. „Oh, entschuldige.“ Sie meinte fast sein Lächeln spüren zu können. „Kein Problem.“ „Was werde ich für Fähigkeiten haben?“, fragte sie nach einer kurzen Schweigepause. Seine Augen wurden schmal. „Das können wir nicht wissen. Ich könnte höchstens Seven bitten sich in Trance zu legen, um deine Zukunft zu sehen. Dafür wirst du ihm aber etwas Blut spenden müssen und ich weiß nicht, ob es das ist, was du willst.“ „Esst ihr normal?“ Nun lachte er herzhaft. „Man sagt dir, dass du vielleicht ein Dämon bist, du einen Mann heiraten könntest, den du eventuell nicht willst und du fragst, ob wir normal essen?“ Sein Lachen war melodisch und heiser. Es klang, als würde er viel zu selten lachen. „Ja, ich meine. Wenn es Vampire gibt, die ernähren sich ja nach Mythologie von Menschenblut. Und es gibt Serien über Dämonen, da rufen die mit Menschenblut ihre Meister an oder etwas in der Art.“ „Blut ist immer eine gute Bindung. Sei es um einen Findungszauber zu erwirken, in die Zukunft zu sehen, sogar um Besitzansprüche zu stellen. Und Liebesbeweise. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, wenn wir Blut eines anderen Dämons zu uns nehmen, dass wir nochmal an Stärke zunehmen. Einige von uns übernehmen nach einem einzigen Tropfen die Fähigkeiten des anderen. Also ja, wir können uns von Blut ernähren, aber über kurz oder lang würden wir wegen der einstürmenden Eindrücke und Gefühle den Verstand verlieren. Zu dieser Person baut man nämlich so eine Verbindung auf. Vampire brauchen Blut, um zu überleben. Sollten sie es jemals verweigern, sterben sie endgültig. Wir dagegen nicht. Wir essen ganz normal. Die einen ein etwas blutigeres Steak, als die anderen.“ Er grinste, das spürte sie diesmal deutlich. „Wie war es euch möglich, mich so schnell zu heilen?“ Er nickte. „Eine gute Frage, die auch mit Blut zu tun hat. Jemand hat dir Blut gegeben. Aber da du kein Dämon bist, heilt es dich nur und macht dich so stärker. Und du kannst keine Verbindung erspüren, weil du nicht weißt, wie.“ „Sogar alte Verletzungen?“ „Falls du deine Narben meinst, ja, selbst die.“ „Warum funktioniert das bei dir nicht?“ „Ich sagte ja, das Blut wirkt bei dir anders. Bei uns stärkt es unsere Fähigkeiten. Es heilt uns auch, aber nur verdünnt und langsam. Leider keine alten Narben, so wie bei dir. Wenn ein Mensch mit unserem oder Vampirblut im Kreislauf stirbt, wird er zu eben jenem Wesen. Bei uns nennt man sie die Gemachten. Ich bin ein Reiner, sprich von Geburt an mit dem Gen versehen ein Dämon zu werden.“ „So wie ich vielleicht auch.“ Er nickte. Eine Zeit lang schwiegen sie wieder. „Du bist nicht sehr geschockt?“ Seine Frage erstaunte Alli. „Ich weiß auch nicht. Ich habe so viel gesehen. Alleine als meine Eltern starben. Meine Geschwister. Ich glaube, ich habe mich immer damit geschützt, dass Menschen nicht zu so etwas fähig wären.“ Er stand auf und ging durch das Zimmer. Alli konnte nicht mal die Hand vor Augen erkennen, doch er schien zielstrebig ohne gegen etwas zu stoßen, durch das Zimmer zu gehen. Als leise Musik ertönte, wusste sie, dass er ein Radio eingeschaltet hatte. Langsam ging er wieder zurück. „Ich werde dich nicht mehr ohrfeigen,“ sagte sie. Er schwieg, als er sich setzte. „Schlaf,“ sagte er nach einiger Zeit. „Du musst sehr erschöpft sein.“ Eigentlich war sie sehr aufgekratzt und wollte alles wissen, doch was sie fragen sollte, wusste sie auch nicht. Er hatte Recht, sie war wenig schockiert. Vielleicht waren ihre Gefühle verkrüppelt. Sie drehte sich auf die Seite, so dass sie ihn immer noch sehen konnte. Dann schloss er die Augen und sie vermochte ihn nicht mehr auszumachen. Ein leichtes Summen, jedoch, verriet ihr, dass er das Lied, welches gerade lief, mitsummte. Vollkommen entspannt, schlief sie ein.
Er wollte keine Fragen mehr beantworten, also beschloss er eine seiner Gaben zu nutzen und sie zu beruhigen. Er schickte ihr vollkommene Entspannung und summte die Lieder mit, bis sie eingeschlafen war. Langsam öffnete Dhiro wieder die Augen. Er hatte Kopfschmerzen und die Luft hier drin war stickig. Bevor er ging, kippte er ein Fenster hinter den dunkeln Vorhängen. Es würde bis zum frühen Morgen leise sein, denn im Rosengarten befand sich niemand. Er schlüpfte in den Gang. Sein Jackett hatte er bei ihr liegen lassen, die Krawatte ebenso. Falls sie wach wurde, sollte es so aussehen, als sei er nur kurz weg. In seinem Büro setzte er sich seufzend an den Schreibtisch. Langsam krempelte er die Ärmel seines Hemdes hoch. Die Narben auf seinen Armen leuchteten grell in der Dunkelheit. Er hätte wieder runter zur Feier gehen können, doch eigentlich war das nicht so seine Sache. Genauso wenig, wie Reden zu halten. Deshalb war er mehr als froh, als seine Schwester ihm anbot eine Rede zu halten. Sie war die Redegewandte in der Familie. Wiederholt fuhr er sich über das Haar. „Meister?“ „Hallo Indira.“ „Kann ich Alliara etwas bringen oder dir?“ „Nein, danke. Sie schläft und ich hoffe, dass man sie diesmal lässt.“ Indira verbeugte sich knapp und ging. „Oh, großer Hauptmann.“ „Laila, kann ich dir helfen?“ Er war nicht in der Stimmung mit ihrem seltsamen Humor klar zu kommen. „Ja, kannst du. Wer ist dieses tollpatschige, unglücksträchtige Mädchen?“ Er seufzte und griff in den Kühlschrank unter dem Schreibtisch. Seine Hand förderte ein Kühlpack zutage. Grummelnd lehnte er sich in dem knarzenden Sessel zurück und legte seine Füße auf den Schreibtisch. Das kühlende Päckchen drückte er an seine Schläfe. Sie hatte ihn ordentlich erwischt, das musste er zugeben. „Sie ist Myrancor's Nichte, also die Tochter von Eom und Acina.“ „Oh, die Auserwählt-Gezwungene. Weiß sie, dass ihr Bruder auch lebt, mehr oder weniger?“ Er sah sie böse an. „Nein und das soll erst einmal so bleiben Laila.“ „Okay, okay.“ Sie hob beschwichtigend die Hände und wandte sich zum gehen. „Ach ja, Laila?“ „Ja, Meister?“ „Lass die Finger von ihr.“ „Wie ihr wünscht.“
Sie schwitzte und ihr war übel. Sie wälzte sich hin und her. Plötzlich spürte sie, wie ihr die Galle in den Hals stieg, sie sprang auf und rannte in das angrenzende Bad. Es war ein Wunder, dass sie gegen nichts stieß oder lief. Gurgelnd übergab sie sich in die Toilette. Kalter Schweiß rann ihr über das Gesicht. So viel hatte sie doch gar nicht getrunken. Drei Gläser auf beinah leerem Magen, okay, aber. Wieder übergab sie sich. „Alliara?“ Oh Gott, das war Dhiro. Er durfte sie nicht so sehen. „Mir geht es gut, komm nicht rein.“ „Das hört sich aber ganz anders an.“ „Bitte,“ flehte sie, mit Tränen in den Augen, „komm nicht herein.“ Dhiro blieb draußen. Schluchzend versuchte sie sich wieder zu beruhigen. Sie wusch sich das Gesicht, putzte sich geräuschvoll die Nase und dann schnell die Zähne. Ein Blick in den Spiegel holte sie in die Realität. Schade, sie sah aus, wie sie sich fühlte. Hundsmiserabel. Langsam schlich sie aus dem Bad. Abwartend stand er mitten im Raum. Er hatte seinen Anzug gegen ein schwarzes T-Shirt und eine hellblaue Jeans getauscht. Eine goldene Kette, mit einem Anhänger, der das Logo der Fahnen zeigte, hing an seinem Hals. Er hatte seine Arme überkreuzt und blickte sie an. Keinerlei Gefühlsregung war zu erkennen. „Tut mir Leid,“ murmelte sie und ließ sich auf das Bett fallen. Sie hatte kaum Kraft sich auf den Beinen zu halten. „Wenn ich dich so sehe, heißt das wohl, dass du Frühstück ans Bett brauchst, was?“ Sie rollte sich auf dem Bett zusammen, nickte aber. „Okay, ich werde das arrangieren.“ Lautlos verließ er den Raum. Als Alli das nächste mal wach wurde, duftete der Raum nach Kaffee und Croissants. Hungrig setzte sie sich auf. Lächelnd sah sie danach auf und blickte ins Lio's braune Augen. „Hi, tut mir echt Leid, wegen gestern. Ich habe nicht nachgedacht. Normalerweise verträgst du das sehr gut. Sogar mehr.“ „Ja, normalerweise.“ Sie wusste nicht, warum sie enttäuscht war. Er hatte als Hauptmann sicher einiges zu erledigen, vielleicht war er gerade sogar im Kampf, was wusste sie schon? „Lio, mit wem seid ihr im Krieg?“ Lio sah sie aufmerksam an, während er ihr Kaffee eingoss. Er trug eine abgeschnittene Jeans und ein schlabbriges, ausgebleichtes Shirt. Seinen schwarzen Strubbelkopf zierte eine rote Basecap. Wenn so Dämonen aussahen dachte sie, wie sahen dann Vampire aus? „Mit anderen Dämonenbastionen, die die Menschen auslöschen wollen, z.B. Oder sie als Blutquellen halten wollen. Mit den Werwölfen, manchmal den Wandlern, weil sie uns hassen, weil wir einfach besser sind. Und wie alle anderen mit den Engeln.“ „Okay, Dhiro macht wirklich keine Scherze.“ Lio lächelte. „Nein, der Hauptmann ist nicht der humorvollste. Aber er ist ein guter Mann, der auf uns alle achtet.“ Vorsichtig knabberte sie an einem Croissant. Lio hatte die Angewohnheit mit vollem Mund zu sprechen. „Manche von uns sagen, sie haben ihn noch nie lachen sehen. Mal ein kleines Lächeln, aber das erreicht meist nicht sein ganzes Gesicht. Er hat zu viel erlebt.“ „Gibt es hier auch Frauen, die Dämonen sind?“ „Ja, es gäbe da Laila, Daria, sie ist Dhiro's Schwester, dann Negra. Ansonsten sind momentan keine Dämonenfrauen hier. Shila kommt ab und an vorbei, aber eher selten.“ Die Bediensteten waren also Menschen. „Wie war deine Wandlung?“ Er verschluckte sich fast an seinem Brötchen. „Mhm, begann er. Das ist nun gute fünf Jahre her.“ Er kratzte sich am Kinn. „Erst war mir heiß, dann tat mir alles weh und ganz plötzlich war es vorbei und ich spürte, wie Macht unter meiner Haut pulsierte. Meine Mutter brachte mich her, da es der Wunsch meines Vaters war, dass ich einer Bastion die Treue schwöre. Ja, und Dhiro brachte mir alles bei.“ Er trank einen Schluck Kaffee. „Naja, fast alles. Das Frauen herum kriegen, das hab ich allein erfunden.“ Lio zwinkerte ihr zu. „Du bist unmöglich.“ „Ja, aber dir geht es schon besser.“ Sie nickte, denn er hatte Recht. Der Kaffee und das Frühstück hatten ihren Kopf etwas zurecht gerückt. „Sag mal, ist der Hauptmann verheiratet? Ich sah diesen Ring an seinem Finger.“ „Nein,“ winkte er ab. „Das ist der Siegelring seiner Familie, damit unterschreibt er Anträge und versiegelt nun mal Briefe. Was das angeht sind wir Dämonen altmodisch.“ Wieder trank er. „Aber er ist ursprünglich an Laila versprochen. Nur klappte da etwas nicht und nun pausiert das ganze.“ Etwas schien in Alli zu erfrieren. Dummes Mädchen, er ist über 100 Jahre alt. Natürlich hat er einen Dämonenfrau. Was sollte er mit dir? Außerdem sollst du ja einen würdigen Krieger auswählen. Die Türe öffnete sich, als sie gerade Marmelade auf ihr Croissant machen wollte. Indira trat den in Raum. „Der Meister sagte, wenn du dich besser fühlst, dann würde er dich gerne im Garten sehen.“ Sie sah Lio durchdringend an, der aufsprang, sich jedoch noch ein Stuck Brot in den Mund schob. „Es ist warm Alliara. Du wirst keine Jacke brauchen.“ Sie öffnete einen Schrank und Alli erstarrte. Alles war voller Kleidung. Ein paar Teile erkannte sie wieder. Andere jedoch, wie die Kleider, die sie gestern zur Auswahl hatte, waren ihr vollkommen unbekannt. „Wir haben knapp 23 Grad.“ Indira griff in den Schrank nach einem sommerlichen blauen Kleid und Sandalen. „Ich mache dir schnell die Haare.“ Mit schnell, hatte sie wirklich schnell gemeint. Innerhalb von zehn Minuten fiel ihr ein langer Fischgrätenzopf nach vorne über die Brust. Das Kleid war auf wundersame Weise genau ihre Größe. „Ist Dhiro immer so abweisend?“ Alli versuchte um jeden Preis herauszufinden, warum er sie nicht berührte und sogar vor ihr zurück wich. Alle anderen taten das nicht. Nur er. „Dhiro ist der Hauptmann. Er muss Abstand wahren zu seinen Männern und zu uns Angestellten.“ Das beantwortete ihre Frage nicht zu ihrer Zufriedenheit. „Nein, ich meine, ob er nie jemanden berührt?“ Indira warf ihr einen stirnrunzelnden Blick zu. „Doch, nur die niederen Dämoninnen nicht. Er hat als Hauptmann eine große Anziehungskraft auf sie. Weibliche Dämoninnen haben in erster Linie das Ziel, Kinder zu gebären, um die Art zu erhalten.“ Na, herzlichen Glückwunsch. Sie seufzte. „Aber ich bin keine Dämonin.“ „Zumindest noch nicht,“ sagte Indira. „Am besten fragst du ihn selbst.“ Mit diesen Worten ließ sie sie im Garten stehen. Indira hatte mit einer Sache Recht. Es war warm. Aber damit, dass sie ihn fragen sollte, nicht. Er würde sie entweder auslachen oder ihr den Kopf abreißen. Am See sah sie seinen breiten Körper. Er blickte aus das tief wirkende Wasser und wirkte vollkommen einsam und verloren. Sie verspürte den Drang sich an ihn heran zu schleichen und ihn einfach von hinten um die Mitte herum in den Arm zu nehmen, damit er sich an sie anlehnen konnte. Aber so etwas machte man mit einem Hauptmann sicher nicht. Dennoch lief sie auf den Korbsohlen so leise, wie möglich auf ihn zu. „Du kannst alles versuchen. Ich kann dich erstens spüren und zweitens kann ich dich atmen hören.“ Sie hielt inne. „Ja, das wirst du auch können.“ Sie starrte ihn entsetzt an. „Du kannst meine Gedanken lesen?“ „Manchmal. Wenn du mich lässt. Aber auf eigenartige Weise bist du gut darin, mich auszuschließen. Nur wenn du geschockt bist, so wie gerade, gerät deine Wand etwas aus der Halterung.“ Was hatte er alles gehört? „Nur, dass du dich gefragt hast, ob du das auch können wirst.“ Sie sah ihn mit verengten Augen an. Er lachte wieder dieses heisere Lachen. „Ja, wirklich. Ich habe keinerlei Grund dich anzulügen, Alliara.“ Er drehte sich zu ihr herum. In der Hand hielt er ein Glas Wasser mit Erdbeeren. „Geht es dir besser?“ Sie nickte und starrte ihn an. Jetzt, wo sie wieder klarer war und er im Sonnenlicht stand, sah sie die feinen Narben auf seinen Unterarmen. Er folgte ihrem Blick. „Nicht schön, oder?“ „Sie gehören zu dir. Ohne sie wärst du möglicherweise nicht du selbst.“ „Schöne Antwort. Aber, was ist mit deinen Narben, sie sind verschwunden?“ „Sie waren weder schön, noch möchte ich daran erinnert werden, aber so wird es dir wohl auch gehen, oder?“ „Nein. Manche Narben habe ich beim Training mit meinem Meister erhalten, diese ehre ich. Andere habe ich zugefügt bekommen im Kampf gegen die Feinde. Da kommt es ganz darauf an, wie die Schlacht ausging. Wiederum andere sind aus schlimmen Zeiten. Da würde ich mich freuen, wenn sie verschwinden würden.“ Sie trat näher an ihn heran. Wieder versteifte er sich. Sie ließ den Kopf hängen und wandte sich von ihm ab. Langsam schlich sie zu einer Liege und setzte sich. „Werde ich je wieder frei sein?“ Er kam zu ihr. „Im Prinzip bist du frei. Sag mir wohin du willst und wir gehen hin. Es gibt nur die Bedingung, dass ich dir folge.“ „Überall hin?“ Er nickte ernst. „Wenn es sein muss, dann ja.“ Sie überlegte kurz, wohin sie wohl gehen könnte. Kam aber zu dem Entschluss, dass eine solche spontane Entscheidung vielleicht nicht das richtige wäre. Bis zu dem Punkt, als eine Möwe über ihrer beider Kopf kreiste. „Ich war noch nie am Meer.“ Sie biss sich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen. „Noch nie?“ Sie schüttelte den Kopf. „Dafür war nie Zeit. Mein Onkel war ständig unterwegs und ich fahre noch nicht lange Auto. Und Lio? Nun, er war wahrscheinlich dazu angehalten mich lieber drinnen, als draußen zu wissen.“ „Dann fahren wir.“ Sie sah zu ihm auf. Er wirkte ernst, machte sich kein Stück über sie lustig, wie ihre Arbeitskollegen es immer taten. Sie nannten sie, die, die hinter dem Mond lebte. „Wann?“, fragte sie mit leiser Stimme. Dhiro breitete die Arme aus und erwiderte: „Wir könnten sofort los!“ Nun verbarg sie das Gesicht in den Händen und schluchzte. „Hab ich was falsches gesagt? Wir können auch an einem anderen Tag. Ich dachte nur, da das Wetter so gut ist.“ „Nein, Dhiro, das ist es nicht. Ich bin nur glücklich, dass ich endlich das Meer sehen werde.“ Er lächelte leicht. Doch, was Lio sagte stimmte. Diesmal erreichte das Lachen seine Augen nicht. Es vermag nicht den traurigen Ausdruck in seinen Augen zu tilgen. „Gut, dann packe dir ein paar Sachen ein.“ Als sie aufstehen wollte, fiel ihr ein, dass sie keine Kleidung für den Strand besaß. „Ach, dann kaufen wir auf dem Weg dorthin etwas!“
„Indira?“ „Ja, Meister?“ „Hilf Alliara eine Strandtasche zu finden. Und sag ihr, was sie für den Strand braucht und was sich in ihrem Schrank befindet.“ Innerhalb einer halben Stunde, hatten sie und Indira eine Strandtasche aufgetrieben, Flip Flops und eine Picknickdecke sowie ein großes rotes Handtuch. „Den Rest musst du kaufen gehen.“ Es klopfte leise. „Können wir los?“ Dhiro's Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille verschwunden. Er trug eine abgeschnittene Jeans, die ihm bis über die Waden reichte. Unwillkürlich musste Alli lächeln. „Was ist so lustig?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass du so etwas wie Air Max und abgeschnittene Shorts besitzt.“ „Tat ich auch nicht. Zumindest die Hose. Aber ich weiß mir zu helfen. Und meine Messer sind scharf.“ Sie folgte ihm die Treppen hinunter. „Wohin müssen wir?“ „In eine Mall.“ „Ah, okay.“ Er führte sie immer hinab im Haus und sie fröstelte. „Brr,“ machte sie. „Hier unten ist es ja eisig.“ „Nun ja, ein paar von uns sind etwas hitzeempfindlich. Andere beten sie an. Jede Spezies hat ihre Geschmäcker. Aber wir lagern auch unser Essen und Medikamente hier. Ebenfalls haben wir einen Operationssaal hier unten.“ Er drückte auf einen schwarzen Gegenstand in seinen Händen. Es piepste und eine große silberne Türe glitt auf. Dahinter lag einen riesige Tiefgarage. Zielstrebig ging Dhiro auf einen Aston Martin zu. „Cabrio gefahren bist du wohl auch noch nie, oder?“ Sie schüttelte den Kopf und starrte auf die Menge Autos, die hier unten standen. „Seid ihr Multimillionäre?“ Er grinste. „So in etwa.“ Er hielt ihr die Türe auf und nahm ihr die Tasche ab, die er im Kofferraum verstaute. Dhiro nahm auf dem Fahrersitz Platz. Das Leder knirschte. Er drückte auf einen Knopf und das Dach fuhr schnell und geräuschlos auf. Die kalte Luft der Tiefgarage traf nun ungehindert in ihr Gesicht. Plötzlich grinste er und drehte den Schlüssel. Der Motor des Wagens erwachte zum Leben, brüllte hinaus, wie viel Sprit er verbrauchen würde. Laut hallte die Musik des Auspuffs von den Wänden wider. Ruckartig fuhr er los, ehe er auf einen Knopf drückte, der ebenfalls ein Tor öffnete und gleißend helles Sonnenlicht hineinließ.
Das Gefühl des Windes, welcher durch ihre Haare wehte und die Düfte, waren atemberaubend. Sie fühlte sich frei, fliegend, wie ein Vogel. Die Landschaft glitt schnell an ihr vorbei. Baum um Baum, Hügel um Hügel. Nach kurzer Fahrtzeit, wurde der Verkehr stärker und die Bäume wurden ersetzt von erst kleinen Häusern, zu immer größer werdenden. Dhiro fuhr langsamer, legte seinen Arm auf dem Fensterbrett ab. Leise lief Musik im Radio. Manches mal trommelte er den Rhythmus auf dem Lenkrad mit. „Da ist die Mall.“ Er zeigte auf ein riesiges silbernes Gebäude. Das Sonnenlicht brach sich in den vielen Fenstern. „Das ist sehr groß.“ „Da bekommt man auch einfach alles.“ Er manövrierte den Wagen zielsicher in ein Parkhaus in eine der unteren Etagen. Ihr wurde plötzlich bewusst, als sie ausstieg, dass sie kein Geld dabei hatte. Falls sie überhaupt noch etwas hatte. „Dhiro,“ Ihre Stimme war dünn und zittrig. „lass uns wieder nach Hause fahren.“ Er schob die Brille mit einem Bügel in sein T-Shirt. Er wirkte so normal, dass niemand aussenstehendes vermuten würde, was er wirklich war. „Warum?“ Sie sah betreten zu Boden. Es war ihr peinlich. „Ich habe kein Geld, mir irgendetwas zu kaufen.“ „Aber ich. Also, komm.“ Er ging ohne zu warten voraus. Sie musste sich beeilen mit ihm Schritt zu halten, schließlich war sie nun doch kleiner, als er.
Nach zwei Stunden, in denen sie sich in unzählige Bademoden gezwängt hatte, tausende Sonnenbrillen anprobiert hatte und er sich einen Coffee to go geholt und geseufzt hatte, dass es, bis sie am Strand wären sicher bald dunkel wäre, hatte sie endlich alles beisammen. Eilig lief er vor ihr her zum Auto. Er hatte nicht gedacht, was es bedeutete mit ihr zum Strand zu fahren. Statt, dass der Kaffee ihn ruhiger gemacht hatte, hatte er ihn noch mehr aufgewühlt. Sobald sie am Strand waren, würde er sie im Bikini oder was auch immer sie gekauft hatte sehen. Wie lange war es her, dass er eine Frau so wenig bekleidet gesehen hatte? Fünfzig Jahre oder gar seine fast komplette Zeit als Hauptmann? Er verhielt sich, wie der größte Vollidiot. Rannte vor ihr her. Dhiro ließ sich wieder zurück fallen und fragte sie, ob alles okay sei. Ihr Gesicht war rotwangig und sie biss sichtlich die Zähne zusammen. „Ich kann nicht so schnell rennen. Meine Füße tun schon weh.“ „Entschuldige, ich war in Gedanken.“ Und zwar bei dir, fügte er stumm hinzu. Etwas langsamer gingen sie zum Parkhaus zurück. Er öffnete ihr abermals die Türe und verstaute die Einkäufe bei den anderen beiden Taschen. Er hoffte, dass der gekühlte Kofferraum hielt, was er versprach, denn er hatte ein wenig Picknick Ration mitgenommen. Erdbeeren, Sekt, Schokolade. Sie war eh vollkommen abgemagert und außer dem Frühstück hatten sie beide noch nicht gegessen. Gemächlich fuhr Dhiro den Wagen in Richtung Strand. Die Sonne brannte unermüdlich vom Himmel und es hatte sich noch mehr aufgeheizt. Alliara's Haare wehten im Wind. Sie waren sehr lang und glänzten herrlich in der Sonne. Sie trug die neu gekaufte Sonnenbrille. Er lächelte. Drei Mal hatte er ihr sagen müssen, dass sie nicht auf den Preis achten solle, dass sie kaufen solle, was ihr gefiel. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrtzeit erreichten sie die Küste. Alliara setzte sich gerade auf und ihr Mund öffnete sich leicht, als sie das spiegelnde Wasser sah. Rasch suchte er einen Parkplatz in der Nähe einer seichten Bucht. Er vermutete, dass sie nicht schwimmen konnte und dafür war dieser Abschnitt perfekt. Das Wasser wurde ganz seicht tiefer. Er nahm alle Taschen aus dem Kofferraum und schloss den Wagen ab. Alliara lehnte am Geländer. Sie war völlig fasziniert, was Dhiro ein schiefes Lächeln entlockte. Er ging die steilen Steintreppen hinab. Sie folgte ihm, blieb jedoch, bevor die den Sand erreichte stehen. Fragend wandte er sich ihr zu. „Was ist los?“ „Muss ich die Schuhe ausziehen, kann ich da so drauf?“ Er lächelte, jedoch kein spöttisches Lächeln. „Das kannst du dir aussuchen. Warmer, weicher Sand fühlt sich schön an, du wirst sehen.“ Er führte sie zu einer Stelle in der Bucht, die von den Blicken eventueller anderer Gäste abgeschottet war. Rechts von ihnen befanden sich hohe Felsen und links etwas niedrigere Felsen, jedoch so hoch, dass man erst mal über diese würde klettern müssen. Verstohlen beobachtete er, wie Alliara ihre Füße immer wieder in den Sand drückte und sie wieder herauszog. Geschäftig breitete Dhiro die Picknick-Decke aus und hockte sich darauf. Langsam zog er seine Schuhe aus und striff sich die Jeans ab. Darunter trug er eine schwarze schlichte Schwimmshort. Nun spürte er ihren Blick auf sich ruhen. „Du kannst dich dahinten umziehen, ich passe auf, dass niemand kommt.“ Er zeigte auf einen breiten Felsvorsprung. Sie nickte und raffte ihre Tasche mit der Bademode darin. Seine Sinne geschärft, machte Dhiro sich daran das Picknick vorzubereiten. Die Luft roch salzig und war warm, jedoch nicht schwül. Er öffnete den Kühlkorb, zog kleine Teller und Besteck sowie Sektgläser hervor. Gott sei Dank war alles kühl geblieben. Nicht, dass es ein Problem gewesen wäre es mit seiner Macht zu kühlen, aber er musste ihr Vertrauen ja nicht überstrapazieren. Dhiro spürte, dass sie zurück kam und zog seine Sinnesfühler wieder ein. Alliara hatte sich ein Tuch um gewickelt und sah ihn mit großen Augen an. „Ich dachte, dass wir vielleicht etwas Essen und trinken sollten. Zwecks Gemütlichkeit!“ Er zuckte die Achseln und setzte sich mit ausgestreckten Beinen hin. Sie setzte sich auf ihre Unterschenkel, ganz an den Rand der Decke, ohne etwas zu antworten. Dhiro konnte es ihr nicht verübeln. Warum sollte man einer Horde von seltsamen Dämonen vertrauen? Sie hatten nun einmal nicht den besten Ruf. Seufzend griff er zu der Sektflasche und ließ den Korken heraus schnellen. Vorsichtig goss er Sekt in die beiden Gläser. „Danke,“ flüstere Alliara, als er ihr das Glas hin hielt. Er nahm einen Schluck und schloss die Augen. Das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen. Ja, er konnte sogar das Kratzen der krabbelnden Füße einer Krabbe hören, die durch die Felsen huschte. Ihr Seufzen ließ ihn die Augen wieder öffnen. Er konnte ihre Augen hinter der dunkeln, großen Brille nur erahnen, jedoch blickten diese zum Meer. „Was ist los?“ „Ach, ich kann nicht schwimmen, aber das Meer sieht so verlockend aus.“ Kleine Schweißperlen hatten sich auf ihrer Oberlippe gesammelt. „Daran habe ich gedacht.“ Er erhob sich grazil und hielt ihr eine Hand hin. Verdutzt nahm sie sie und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Er ließ ihre Hand kurz los, warf seine Sonnenbrille auf die Decke und zog sich sein T-Shirt über den Kopf. Alliara starrte auf die verschnörkelte Tätowierung auf seinem Rücken. In der Mitte auf de Wirbelsäule waren Zeichen zu sehen, die sie nicht kannte, von da aus rankten sich schwarze, breite Linien hinauf zu beiden Schultern und darüber und hinab in den Bund seiner Schwimmhose. „Was ist das?“ „Das ist das Zeichen meines Eides, den ich geleistet habe. In der Mitte, die Wirbelsäule hinauf, ist die Säule unserer Welt. Jedes Symbol stellt eine Rasse da, die uns bekannt ist. Alles drum herum steht für die Gemeinschaft, Zusammenarbeit und den eigentlichen Frieden. Na ja und die Mitte alleine war mir zu langweilig.“ Er lächelte. „Komm schon.“ Sie starrte weiterhin auf seinen Rücken, während er auf das klare, blaue Meer zu ging. Er war kein Supermodel, ohne Frage. Er war trainiert, sportlich und breitschultrig. Trotzdem hatte er kein künstlich wirkendes Sixpack. Das gefiel ihr. Was denkst du da, dachte sie sich. Langsam legte sie die Sonnenbrille ab und öffnete das Tuch, welches sie sich um den Körper geschlungen hatte. Dhiro stand bereits knietief im Wasser und wartete auf sie. Eilig lief sie über den heißen Sand, blieb aber so stehen, dass das Meer sie nicht erreichen konnte. Er sah sie an. Seine Miene war unergründlich, doch seine Augen blitzten. Das ist nur die Sonne, sagte Alli sich unsicher. „Ist es kalt?“ Er schüttelte den Kopf und wand den Blick ab. Langsam setzte sie einen Fuß in den feuchten Sand und sank darin ein. Ein weiterer Schritt und das Wasser umfloss ihre Füße, als es vom Meer aus zum Strand zurück drängte. Er hatte Recht! Es war keineswegs kalt. Ohne auf sie zu achten ging er immer weiter, bald schon konnte sie seine Badehose nicht mehr erkennen. Behutsam folgte sie ihm. Es war ganz seicht hier. Ein Blick nach unten zeigte ihr Fische, die umher huschten, wenn sie ihren Fuß anhob. Sie ging weiter und starrte weiter in das glasklare Wasser. Es malte seltsame Spiegelungen auf ihre Haut, bis ein großer Schatten ihre Beine verdeckte. Sie sah auf. Dhiro ragte vor ihr aus dem Wasser. „Ab hier wird es etwas tiefer, du solltest zwar noch stehen können, aber ich wollte dich schon mal warnen.“ Sie nickte und trat an ihm vorbei. Sein Körper strahlte eine Wärme aus, die sie gerne noch näher spüren würde. Abermals verspürte sie das Bedürfnis ihn anzufassen. Die Linien seines Tattoos nach zufahren. Plötzlich verlor sie das Gleichgewicht und fiel um. Ihr Kopf glitt unter Wasser. Als sie erschrak, vor der Kälte und der Situation, öffnete sie ihren Mund und Wasser drang ein. Ihre Augen brannten und sie schloss sie schnell, da wurde sie plötzlich nach oben gezogen. „Alliara?“ Sorge schwang in seiner Stimme mit. Sie hustete und Wasser lief ihr aus Nase und Mund. Dann fiel ihr auf, dass sie in seinem Arm lag und sie wurde rot. Sie versuchte sich ihm zu entreißen. „Sachte, ganz ruhig.“ Sie holte tief Luft und schmeckte den salzigen Geschmack des Wassers, so wie das Brennen in ihrer Kehle. Sie strich sich ihr nasses Haar aus dem Gesicht. Er hielt sie immer noch am Arm fest, fast so, als hätte er Angst, sie könne wieder einfach umfallen. „Geht es wieder?“ Sie sah ihm blinzelnd ins Gesicht. Seine sonst so eiserne Miene, blickte nun aufrichtig voller Sorge in ihr Gesicht. „Wird wohl,“ antwortete sie leise. „Danke, dass du mich gerettet hast.“ Seine sorgenvolle Miene wandelte sich in eine grimmige Maske. „Du musst vorsichtiger sein.“ Sein Blick fiel auf seine Hand, die immer noch ihren Arm umklammert hielt und ließ sie so abrupt los, dass sie beinah wieder umgefallen wäre. Stirnrunzelnd rieb Dhiro sich die Hand, fast so, als hätte er sie sich verbrannt. Alli war gekränkt. Zum einen wegen seiner Reaktion, zum anderen weil er sie so anfuhr, obwohl sie noch nie im Wasser war und gar nicht wusste, wie sich der Sand unter ihren Füßen verhielt. „Und einen Röntgenblick habe ich auch nicht,“ murmelte sie leise. „Bitte was hast du nicht?“ Sie erschrak, als sein dröhnende Stimme neben ihr sprach. „Ähm,“ machte sie. „Hab ich das laut gesagt?“ Er nickte nur als Antwort. „Okay,“ sagte er nun. „Hier war es mal nicht so tief.“ Nachdenklich sah er sie an. Sie ging etwas weiter zurück, weil sie fürchtete wieder zu fallen und sie sah, dass er schwimmen musste. Plötzlich tauchte er unter. Sie suchte panisch mit den Augen das Wasser ab, doch er tauchte einige Zeit lang nicht auf. Bis er plötzlich neben ihr erschien und sagte: „Halt dich an mir fest.“ Ihr Blick glitt an ihm hinab. „An meinem Hals. Ich schwimme eine kleine Runde mit dir und dann versuche ich dir zu zeigen, wie man schwimmt. Aber erst mal sollst du spüren, wie es ist zu schwimmen, damit du es wirklich willst.“ Ein leichtes Zucken an seinem rechten Mundwinkel verriet, dass er Lächeln wollte. Zögernd langte sie nach seiner rechten Schulter. Er machte sich klein, damit sie an ihn heran kam. Sie legte die zweite Hand auf seine Schulter und zog sich hoch, so dass sie ihre Arme um seinen Hals schlingen konnte. Wohl war ihr nicht dabei. Sie war mit sehr wenig Stoff bekleidet, nur ein bisschen Polyester zwischen ihrer Brust und seiner nackten Haut. Ihr Arme verdeckten nun zum Teil sein Tattoo. „Hältst du dich gut fest, Alliara?“ Sie nickte und sagte dann: „Denke schon.“ Er machte ein paar Schritte nach vorne und bald darauf umschloss sie das kühle Wasser bereits wieder. Nur ihr Kopf und ein Teil ihres oberen Rückens ragten heraus. Mit jedem Zug, wurde ihr bewusst, wie viel Kraft Dhiro haben musste. Sie spürte, dass sein Muskeln am Rücken sich anspannten und entspannten, je nachdem, wie er seine Arme bewegte. Ein leichter Wind wehte ihr um die Nase und sie bewunderte das Glitzern des Wassers im Sonnenlicht. Sie schloss die Augen, genoss seine Wärme unter ihr, und das kühle Nass um sie herum sowie seine kraftvollen, aber ruhigen Bewegungen. Nach einiger Zeit wehte ihr der Wind nicht mehr ins Gesicht und auch seine Bewegungen erstarben. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Sie befanden sich wieder im seichten Bereich des Wassers. „Das war schön,“ sagte sie selig. Langsam ließ sie sich von seinem Rücken gleiten. Er half ihr weder, noch hielt er sie auf. Er stand einfach da, als wäre er ein Fels. Hart und glatt. „Dhiro?“ Sie machte einen Schritt um ihn herum, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Er hatte seine Augen geschlossen und seine Miene war unergründlich. „Nun bist du dran,“ sagte er. Seine Stimme klang beinah dem Schnurren einer Katze nah. „Ich kann so etwas nicht.“ „Doch, erst einmal, musst du es wollen. Dann kommt der Rest von ganz alleine. Du kannst doch auch Auto fahren, oder?“ Sie nickte. Er öffnete die Augen und sah sie mit seinen blauen Augen an. Sie strahlten, jedoch nicht so, wie wenn er seine Macht benutzte, sondern einfach so, wie sie waren. Wunderschön. Sie wich seinem Blick aus. „Was soll ich tun?“ Sie wirbelte mit den Händen im Wasser herum. „Stell dir vor, du seist ein Frosch. Führe deine Arme vor deinem Körper zusammen und mache sie schwung- und kraftvoll auseinander. Mit den Beinen stößt du dich quasi immer wieder an einer unsichtbaren Wand ab.“ „Aber ich gehe doch sofort unter.“ Sie überkreuzte die Arme. „Das üben wir als erstes.“ Er legte sich auf dem Bauch auf das Wasser und kurze Zeit darauf, nach ein bisschen Balance, lag er wirklich fast reglos auf dem Wasser ohne unter zu gehen. Nervös knabberte sie an einem Nagel. „Ich helfe dir.“ Behutsam legte Dhiro Alli eine Hand auf den flachen Bauch. „Leg dich hin. Ich lasse dich nicht fallen.“ Sie sah ihn an, meinte fast sie könnte die Spiegelung ihrer eigenen großen Augen in seinen klaren, blauen Augen sehen. Langsam ließ sie sich ins Wasser gleiten. Er hielt sie, wie versprochen fest. Nach einigem Üben gelang ihr das Liegen auf dem Wasser. „Die Fortbewegung ist dann nur noch ein Klacks.“ Er lächelte belustigt. „Im Prinzip kannst du auch Paddeln, wie ein Tier, um dich fortzubewegen.“ „Ha,ha,“ machte sie. Verwundert, aber lächelnd sah er sie an. „Du bekommst nicht viele Widerworte, oder?“ Dhiro schüttelte den Kopf. „Nie.“ „Weil du sie sonst bestrafst?“ Er zuckte die Achseln. „Unter Umständen, je nach Schwere und Gegenstand des Widerspruchs. Nun mach schon.“ Die ersten zwanzig Versuche waren eine Katastrophe, doch irgendwann schien es langsam besser zu werden. „Ich werde besser,“ sagte sie grade. „Und wie,“ hörte sie ihn aus weiter Ferne antworten. Panisch drehte sie sich zu ihm um und ging prompt unter. Wieder schluckte sie Wasser, versuchte sich zur Ruhe zu rufen, damit sie sich auf das Schwimmen konzentrieren konnte, doch bis ihr das gelang, hatte er sie bereits in seine Arme und an die Wasseroberfläche gezogen. Er trug sie, wie in einem der Filme, in denen geheiratet wurde. Hustend bettete sie ihren Kopf an seiner Brust und schlang die Arme um seinen Hals. Mit grazilen Bewegungen trug er sie aus dem Wasser und legte sie schlussendlich auf der Decke ab. Sie hustete immer noch. Langsam bekam sie wieder Luft und spürte, wie er ihr ein Handtuch über die Schultern legte. „Das reicht erst einmal,“ sagte er sanft. Er nahm ihr gegenüber Platz und griff in den Korb. Zu Tage befördert wurden nun einige Dosen mit Obst. Erdbeeren, Trauben, kleine Apfelstücke und Melone. „Du hast ja wirklich an alles gedacht.“ Er lächelte, sah sie jedoch nicht an. „An fast alles. Eigentlich sollten wir die Früchte mit dieser hier essen.“ Er hielt eine Schachtel hoch auf der Fondue-Schokolade stand „Aber ich habe keinen Grill.“ Sie zuckte die Achseln. „Die Früchte schmecken sicherlich auch so.“ Eigentlich wollte er es vermeiden ihr noch mehr seiner Fähigkeiten zu präsentieren, doch er wollte die Früchte nicht so essen. Er wollte, dass es mehr oder weniger perfekt für sie war. Was auch immer das sein mochte. Er malte es sich jedenfalls so aus. „Es gäbe noch einen Weg.“ „Ach ja? Sie in der Sonne schmelzen lassen?“ Sie lachte, ein kleines glockenhelles Lachen. Und er musste lächeln. „Nein, habe ich erwähnt, dass ich ein ziemlich heißer Typ sein kann?“ Sie sah ihn mit großen Augen an, dass konnte er spüren. Er hielt die Augen fest geschlossen und kanalisierte alle Macht in seine Hände. Er spürte, wie die Aluschale warm wurde und dann sogar heiß. „Et Voíla!“ Ihr Mund stand offen. Und er grinste leicht. „Los, nimm schon.“ Sie pickte eine Erdbeere auf und tauchte sie in die Schokolade. Er beobachtete, wie sie ihren Mund öffnete und die vollen Lippen um die schokoladige Erdbeere schloss. Ihre Augen hatte sie geschlossen und genoss sichtlich den Geschmack. „Lecker, vielen Dank.“ „Da nicht für,“ brummte er. Dhiro griff zu einem Handtuch und trocknete damit sein Haar ab. Sie schwiegen kurze Zeit. Es war kein belastendes Schweigen. Alli überlegte, wie sie ihren nächsten Satz herüber bringen konnte, ohne sich vollkommen lächerlich zu machen. „Du hast mich schon wieder gerettet,“ flüsterte sie. Er sah auf, trug jedoch mittlerweile wieder seine dunkle Sonnenbrille. Dhiro sagte nichts, sah sie nur an. Sie wurde nervös unter seinem Blick. Langsam schob sie das Handtuch von ihren Schultern. „Wie kommt es, Dhiro, dass du keine Erfahrung im Umgang mit Frauen hast?“ Sie veränderte ihre Sitzposition, wollte unwillkürlich anziehend auf ihn wirken. Was tust du da?, fragte eine kleine Stimme in ihrem Innern. Sie spürte, dass sein Blick ihren Bewegungen folgte. Seine Lippen jedoch pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen. Es dauerte ein wenig bis Dhiro sprach. „Ich habe keine Zeit gehabt, um mich mit Frauen zu befassen. Nachdem klar war, dass ich das Gen hatte, wollte mein Vater, dass ich ausgebildet werde. So hart, wie möglich.“ Er wischte ein Sandkorn von seinem Bein, bevor er weiter sprach. „Meine Mutter hielt sich aus allem heraus, so wie es sich für die Frauen gehört, die nach dem alten Kodex leben, heirateten oder einfach nur erzogen waren. Ich war noch nicht gewandelt, aber früh zeigten sich die ersten Symptome, also gab mein Vater mich ab. In eine Anstalt für schwer erziehbare. Ich sollte abgehärtet werden. Gequält.“ Dhiro lachte bitter. „Er hat sogar, bei manchem Besuch, den Wärtern etwas Geld zugesteckt, sie sollen mich beim nächsten Mal etwas heftiger strafen. Sie straften mich, für alles. Auch für das Richtige. Niemand hörte mir zu. Dann entehrte ich meinen Vater, indem ich aus der Anstalt floh. Ich war immer noch menschlich. Und ich war ein junger Bursche von gerade 14 Jahren. Es sollte also noch 12 Jahre dauern, bis ich meine vollständige Wandlung vollzog.“ „Warum war nicht klar, dass du das Gen hast?“ Er lachte bitter. „Weil mein Vater mehrere Frauen hatte. Ein Harem. Manche menschlich. Manche Dämonen, sogar Werwölfe. Die Kinder wurden ihm immer direkt nach der Geburt gebracht. Ihm und seiner ersten Frau, einer Dämonin, mit wunderschönem Aussehen und Benehmen.“ „Und du hattest Glück?“ „Na ja, Glück würde ich das nicht unbedingt nennen. Aber ich stammte von einer Dämonin ab. Zumindest zum Großteil. Zwar nicht von seiner ersten, aber diese sollte meine Mutter sein.“ Er nahm sich seinerseits eine Traube, tunkte sie in die Schokolade und aß sie. „Wohin bist du geflohen?“ Wieder schnaubte er. „Ich dachte in Sicherheit. Auf einem Markt, verkaufte ich geschnitzte Holztiere und Muscheln, die ich selbst fing. Die Ausbeute war mickrig, ebenso wie ich. Eine alte Dame hatte Mitleid und nahm mich mit zu sich. Sie und ihr Mann hatten gerade ihre Kinder verloren und wollten sich um mich kümmern. Nur als ich in den Schuppen, kam sah ich, wie sie ihre Kinder verloren hatten. Überall lagen Knochen, Sägen voller Blut. Sie aßen sie, aus welchem Grund auch immer. Sie legten mich in Ketten und brachten manchmal neue Kinder hinunter, die sie in Käfige sperrten oder ebenfalls an die Wand ketteten. Ich bekam gutes Essen, darüber konnte ich mich nicht beschweren, aber als ich „Granny's“ Meinung nach füllig genug war, kamen sie mit einem Beil auf mich zu. Das war der Tag, an dem ich zum ersten Mal eine Dämonenfähigkeit benutzte, obwohl ich noch keiner war.“ Er drehte eine Traube zwischen den Fingern, war ganz wo anders mit seinen Gedanken. Plötzlich sah Dhiro auf. „Ich erschuf ein Feuer, es brannte so heiß, dass es direkt aus der Hölle selbst kommen musste. Die Kinder verschonte es. Nur „Granny“ und „Pops“ starben. Ich kann ihre Schreie immer noch hören.“ Alli schauderte und war versucht ihm eine Hand auf den Arm zu legen, doch er bewegte sich und aß die Traube, die er zuvor malträtiert hatte. „Also war ich wieder auf der Flucht, diesmal etwas wohlgenährter. Ich schlug mich mit Zeitungen austragen und anderen kleinen Jobs für Kinder durch, natürlich immer mehrere gleichzeitig, bis ich eines Tages meiner Mutter begegnete. Also, der ersten Frau meines Vaters. Sie starrte mich nur an, sagte jedoch nichts. Als ihr Gefolge ein Stück weiter ging, warf sie mir einen Geldschein hin, auf dessen Rückseite sie eine Nachricht geschrieben hatte. Sie lautete: Du bist der einzige Junge, der das alles überlebt hat. Mach mich und deine richtige Mutter stolz. Darunter stand eine Adresse und ein Name. Derijan! Zuerst ignorierte ich ihren Zettel, doch ich wurde bald darauf krank. Ich konnte weder essen noch trinken, magerte innerhalb von Wochen ab, so dass ich aussah, als sei ich nur ein Skelett mit Haut. Bald darauf war ich sogar zu schwach die Türe zu öffnen, wenn es klingelte. Ich war fast 18. Schlaksig groß und dürr wir ein Besenstiel. Ich weiß nicht mehr, wie lang ich nur da lag und auf den Fernseher starrte, bis man mir den Strom abdrehte, weil ich nicht mehr zahlen konnte. Ich aß nicht, bewegte mich nicht mehr, lag nur da und starrte vor mich her, mittlerweile weiß ich nicht einmal mehr, ob ich noch gedacht habe. Ich hatte nur einen Wunsch.“ Alli sah ihn an und runzelte die Stirn. Er rieb sich über das Kinn und sagte: „Ich wollte sterben. Wollte, dass das alles vorbei ist. Doch das wurde mir verwehrt. Irgendwann, eines Abends, hämmerte wieder jemand gegen die Türe. Und bald darauf stürmte die Polizei mit Waffen im Anschlag die Wohnung. Mit Handschuhen schliffen sie mich unsanft auf den Gehweg und entschieden, dass ich es nicht wert war gerettet zu werden. Sie fuhren ein kurzes Stück mit mir und warfen mich an ein Flussufer. In der Hoffnung zu ertrinken, ließ ich mich hineingleiten. Doch ich ertrank nicht, wie durch ein Wunder, glitt ich an der Oberfläche, bis ich an einem Zaun hängen blieb. Als die Sonne aufging fanden mich mehrere Männer und hoben mich auf. Sie trugen mich in ein Herrenhaus und gaben mir Medizin. Ich erholte mich und war hellauf fasziniert von diesen Männern. Alle waren groß, wirkten machtvoll und stark, bis eines Tages der mächtigste von allen in meinem Zimmer erschien. Hinter ihm stand eine Frau, die mir ganz und gar nicht unbekannt war. Es war die Frau, die ich jahrelang Mutter genannt hatte. Sie hatte Tränen in den Augen und bedankte sich bei dem Mann vor ihr. Dieser Mann wurde mein Gebieter, mein Lehrer und etwas, dass man als Vaterersatz bezeichnen könnte. Er lehrte mich, was es heißt ein Dämon zu werden. Trainierte mich, hart. Ich wollte meine Mutter wirklich plötzlich stolz machen. Mein Gebieter Derijan, ist noch heute der Gebieter unserer Bastion. Er bildete mich aus. Stand mir bei, in allen Lebenslagen. Selbst, als er mir die Nachricht überbrachte, dass mein Vater meine Mutter tötete. Beide, um genau zu sein. Ich war noch nicht gewandelt, aber stärker, als die meisten in der Bastion. Was ich mit meinem Vater tat, das will ich dir jedoch nicht erzählen.“ Sie schauderte, jedoch nicht weil ihr kalt war, sondern, weil ihm so Schlimmes widerfahren war und er scheinbar Schlimmes getan hatte. „Mein Vater starb also auch, kurz darauf.“ Er runzelte die Stirn und schnipste gegen einen Stein, der auf der Decke lag. Er wirkte so zerbrechlich. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie er als schmächtiger, kleiner Junge gewesen sein sollte. „Ich versteinerte innerlich, anders kann ich es nicht ausdrücken. Schon als ich zur Bastion zurück kehrte, sahen mich alle an, als wäre ich ein Monster. Ich war blutüberströmt. Das wahnwitzige war, dass einige, die mich mieden oder mir auswichen, bereits lange, lange Zeit ein Dämon waren. Ich dagegen hatte noch Jahre Zeit bis zu meiner Wandlung. Derijan nahm mich in Schutz, obwohl er genau wusste, was ich getan hatte und wie ich es tat. Er lehrte mich weiter, spürte aber, dass ich nicht mehr der Alte war. In mich gekehrt und still, trainierte ich bald den ganzen Tag, kam nur aus dem Keller heraus um etwas zu essen, zu trinken oder mich schlafen zu legen. Ich wandelte umher, wie ein Zombie. Bis eines Abends jemand ein blondes Mädchen herein brachte. Zu diesem Zeitpunkt war ich 24 Jahre alt. Konnte schon eine Bandbreite von Fähigkeiten einsetzen, obwohl ich keine Wandlung vollzogen hatte. Derijan's Gunst lag immer auf mir. Was allen anderen missfiel. Was ihnen bis heute missfällt. Er beauftragte mich mit vielen Botengängen für ihn, ich durfte sogar auf die ein oder andere Patrouille mit gehen, obwohl ich noch nahezu menschlich war. So kam es, dass er mich auch mit der Pflege dieses Mädchens betraute. Es missfiel mir deutlich, da ich, wenn ich mich um sie kümmern musste, nicht trainieren konnte. Doch Derijan hatte einen Plan und ein Wissen, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht hatte. Mehrere Stunden am Tag beschäftigte ich mich mit ihr. Sie war gut 4 Jahre jünger als ich, sprach genauso wenig, wie ich und verschanzte sich hinter dem Bett, sobald ich den Raum betrat. Ich schaffte es jedoch mich irgendwann an sie heran zu schleichen und sah, dass sie ein Foto ihrer Familie in der Hand hielt. Und es stellte sich heraus, dass sie meine Schwester war. Wirklich von meinem Blut. Die gleiche Mutter und der gleiche Vater. So trat Daria in mein Leben. Ich hatte ihr ihren Vater genommen und sie zu einer Waisen gemacht, jedoch zeitgleich hatte ich sie vor einer Zwangsheirat bewahrt. Wir halfen uns gegenseitig etwas zu fühlen und langsam kehrte der alte Dhiro zurück. Ja, bis zu meiner Wandlung.“ Sie starrte ihn an. Etwas war geblieben von seiner Kälte. Auch jetzt war sein Blick nicht warm oder gar traurig. Gerade trug er ja eine Sonnenbrille, aber der Zug um seinen Mund war angespannt. Sichtlich darum bemüht, dass man ihm nicht ansah, was er fühlte. „Weiß deine Schwester, was du getan hast?“ Er nickte und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Sagen wir so,“ begann er. „Sie war nicht begeistert, wie ich es und was ich getan hatte, aber sie war dankbar, dass sie nicht verheiratet wurde. Derijan erzog sie auf mein Bitten hin ebenfalls zu einer Kriegerin. Auch wenn sie nicht danach aussieht. Sie ist ganz schon zäh.“ „Aber das erklärt immer noch nicht, warum du nicht mit Frauen umgehen kannst.“ Er musste ein Grinsen unterdrücken. „Kleiner Sturkopf, was? Ich hatte ein paar mal Damenbesuch und auch die ein oder andere, die mich anbetete. Doch ich hatte kein Interesse. Benutzte sie nur um,“ Er hielt inne und überlegte, was er sagen sollte. Doch Alli verstand bereits und winkte ab. „Okay, hab es verstanden. Für deine Triebe.“ „Ja, so kann man es ausdrücken.“ Seine Stimme klang gequält und leise. „Und ansonsten hatte ich ab und an Kontakt mit anderen Kriegerinnen oder deren Frauen. Aber ansonsten habe ich in meinem Leben keinen Platz. Nachdem meine Schwester in eine andere Bastion gesandt wurde, nach ihrer Wandlung, um dort Anwärter zu finden und zu uns zu bringen oder sie selbst zu trainieren, begann ich wieder mein Training. Sie versuchte auch eine Zeit lang als Vermittlerin zwischen Mann und Frau zu fungieren. Pures Chaos! Kurze Zeit nach meiner Wandlung, um genau zu sein, zwei Jahre danach, wurde ich von Derijan zum Hauptmann der Bastion des eisernen Auges ernannt. Und der bin ich heute noch. Ich trainiere hart und viel, hasse die Aufgaben der Verwaltung, die dieser Job mit sich bringt und ich hasste es damals noch mehr, dass es hieß, dass mein Gebieter ging. Es gibt noch ranghöhere als mich. Aber ich war bisher der jüngste Hauptmann der Bastion. Dein Onkel zum Beispiel ist Botschafter und Vorstand.“ „Er überbringt also Nachrichten für deinen Gebieter?“ „Unter anderem. Als Botschafter ist man auch ein, nun ja, Menschen würden es Auftragskiller nennen.“ Er seufzte. „Du siehst also, dass ich auf Grund meiner ranghohen Position wenig Zeit habe und daher waren die letzten Frauen eigentlich eher Männer bzw. Krieger für mich und sind es noch.“ Alli schwieg eine lange Zeit, während er Sekt eingoss und etwas aß. Sie seufzte und nahm allen Mut zusammen. „Und warum vermeidest du so gut es geht mich anzufassen oder dass ich dich anfasse?“

5

 

Verdattert starrte er sie an, fing sich aber alsbald wieder und blickte sie finster an. Er nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich über die geschlossenen Lider. „Du musst mir nicht antworten. Aber dann mal ich mir selbst Möglichkeiten aus.“ Gequält öffnete er die Augen. „Es ist so: seit dem Moment, seit dem Derijan mich zum Hauptmann ernannte, was ja, wie du weißt, gute 100 Jahre her ist, habe ich eine explizite Wirkung auf weibliche Dämonen. Ich habe gutes Erbgut und bin eine gute Partie. Das reicht meist schon, wenn ich im Raum bin dazu, dass sie mich anstarren und nicht mehr sprechen können. Sollte ich sie jedoch anfassen, nun ja, sie würden alles dafür tun, dass ich das wieder tue. Alles! Nur damit ich ja ihren Erben zeuge, der dann genauso mächtig wird. Das saugen Dämoninnen quasi auf. Mit der Muttermilch. Auch eine Folge der alten Erziehung. Hast du was, bist du was!“ „Das ist eher ein neues Sprichwort.“ Sein Grinsen scheiterte kläglich. Als er nicht weitersprach schlussfolgerte Alli: „Also hast du Angst, dass ich dich mit Haut und Haaren verschlinge und dir verfalle, wenn du mich anfasst?“ Er nickte. „Und ich darf dich nicht anfassen, weil?“ „Weil ich nicht gerne angefasst werde, das zum einen.“ Sie hob die Brauen, um ihn zum Weitersprechen zu bewegen. Er rollte mit den Augen. „Zum anderen, weil du die Nichte des Botschafters bist und“ Dhiro setzte sich gerade auf und blickte umher. Seine Augen wachsam. „Was ist los?“ „Psst,“ machte er und stand auf. Alli blinzelte gegen die Sonne an, konnte aber weit und breit nichts erkennen. Plötzlich sauste etwas auf Dhiro zu und traf ihn in den Bauch. „Dhiro,“ rief sie aus. Er duckte sich und schirmte sie mit seinem Körper ab. „Komm, wir müssen hier weg. Bleib unten.“ „Aber, du bist verletzt,“ keuchte sie. „Halb so schlimm.“ Er packte sie am Arm, warf ihr das Handtuch über und als sie ihm nicht schnell genug zu Pötte kam, raffte er sie auf und hielt sie wieder auf den Armen. Weiterhin schirmte er sie ab. Sie schloss die Augen und hoffte, dass ihr nicht übel wurde, so schnell, wie er holprig mit ihr lief. „Steig auf dem Fahrersitz ein, du fährst!“ Seine Stimme war nunmehr ein Knurren. „Wieso?“ „Frag nicht, tu es einfach.“ Sie glitt, ohne noch ein weiteres Mal zu fragen auf den Sitz des Cabrios. Er blutete aus mehreren Wunden, wurde es ihr bewusst, als er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Bereits beim Einsteigen bellte er: „Mach den Motor an und gib Gas. Beachte keine einzige Geschwindigkeitsbegrenzung.“ Der Motor heulte auf, als sie den Schlüssel drehte und gleichzeitig auf das Gaspedal drückte. Der Wagen schoss nach vorne und sie drehte hastig am Lenkrad um ihn auf die Straße zu manövrieren. Er hatte Schmerzen, seine Augen glühten leicht. „Schau auf die Straße,“ knurrte er herrisch und sah seinerseits in den Rückspiegel. Er hatte Recht, bei einer solch hohen Geschwindigkeit sollte Alli auf die Straße schauen und nirgends anders hin. Flüchtig warf sie ebenfalls einen Blick in den Innenspiegel und erblickte drei dunkle große Autos, die hinter ihnen her fuhren. „Konzentriere dich, Alliara!“ Sie fühlte, wie der Innenraum des Wagens immer wärmer wurde und glaubte nicht, dass es an der Hitze lag, die draußen herrschte. Noch einmal erhöhte sie das Tempo, bis ihr auffiel, dass sie gar nicht wusste, wohin sie fahren musste. „Auf keinen Fall zur Bastion,“ antwortete er. „Irgendwohin, wo es abgeschieden ist. Schneller!“ Sein Ton gefiel ihr gar nicht, aber er schien schwer verletzt zu sein. Überall war Blut. An dem Griff, an dem er sich festhielt, auf dem Armaturenbrett und auch auf dem Schalthebel der Automatik. Sie überlegte fieberhaft, wohin sie fahren konnte. Langsam erkannte sie die Autobahn wieder, auf der sie sich befanden und bog scharf nach rechts ab. „Ruhig, nächstes mal warnst du mich bitte vor.“ Er hustete. „Was ist mit dir?“ „Gar nichts, bitte konzentriere dich auf's Fahren, Alliara.“ Sie raste und raste, bis sie zu einer Straße kam, die hinter einer langgezogenen Kurve in vier kleinere Straßen abbog. Sie beschleunigte. „Oh, willst du uns umbringen?“ Dhiro versteifte sich mit zusammengekniffenen Augen auf dem Sitz. „Vertrau mir!“ rief sie ihm entgegen. Sie bremste hart ab und riss das Lenkrad nach links, um beinah in die entgegengesetzte Richtung zu fahren. Schotter und Kies stob nach oben, als sie mit 120 km/h über den Weg zum Steinbruch fuhr. Sie lenkte den Wagen zu einer Baumgruppe und parkte ihn dahinter. „Abgeschieden genug?“ Er nickte und holte tief Luft. „Bleib im Wagen!“ Er stieg aus und als sie ihm folgen wollte, bewegte er leicht seine linke Hand und der Wagen schloss ab. „Dhiro,“ kreischte sie. Panik stieg in ihr auf und sie knabberte an den Fingernägeln, während sie beobachtete, wie Dhiro weiter an den Rand des Steinbruchs trat. Das Wetter verdunkelte sich schlagartig. Es wurde stockfinster, so dass die Innenbeleuchtung des Wagens anging sowie der Scheibenwischer, als prasselnder Regen böig gegen den Scheibe prallte. Plötzlich sah sie am Beginn des Weges 6 Lichter auf Dhiro zu kommen. In einiger Entfernung blieben diese stehen. Sie rüttelte an den Türen des Cabrios, doch nichts rührte sich. Dhiro öffnete die Augen und sie strahlten beinah bis zu den Männer, die mittlerweile aus ihren Fahrzeugen gestiegen waren. Sie konnte nichts erkennen, außer, dass alle schwarz gekleidet waren und Dinge in der Hand trugen. Es waren bestimmt 15 Mann. „Dhiro,“ flüsterte sie und Tränen rannen ihr über die Wangen. Dhiro hob die Arme in die Höhe, fast so, als würde er sich ergeben, nur dass seine Handflächen nicht nach vorne zeigten, sondern gen Himmel. Blitze rasten auf die Erde nieder und trafen den ersten der Männer. Er blieb einfach zuckend am Boden liegen. Nun hörte sie über den tobenden Sturm, Schüsse und bald darauf donnerte und blitzte es wieder. Weil sie sich so aufregte beschlug die Scheibe des Wagens und sie konnte nur noch verschwommen erahnen, was draußen vor sich ging. Abermals schlugen Blitze ein. Ein Baum wurde vom Sturm entwurzelt, Feuer brach aus, bis nur noch vier der fünfzehn Männer aufrecht standen und rückwärts zu ihren Fahrzeugen gingen. Sie stiegen ein und wendeten, doch einer lehnte sich aus dem Fenster und ein letzter Schuss ertönte, bevor der Wagen kleiner wurde. Der Wind erstarb und der Regen prasselte schon deutlich weniger. Sie richtete den Blick auf Dhiro, der auf Knien saß und langsam zur Seite umfiel und liegen blieb. „Nein,“ brüllte sie und rüttelte wieder an der Türe. Der Himmel klarte auf. Sobald das passierte, war der Zauber über die Türen ebenfalls aufgehoben und sie sprang aus dem Auto. Sie fror, weil es durch den Regenguss deutlich kühler war. Ihre nackten Füße rutschten auf dem Boden, als sie auf ihn zu eilte. Sein nackter Oberkörper war durchlöchert, Pfeile ragten aus ihm heraus. Überall war Blut, warmes frisches Blut, welches weiter aus seinen Wunden strömte. Er atmete heftig, warf seinen Kopf hin und her. Sie nahm das Handtuch und versuchte seine Wunden abzudrücken, doch wo sollte sie anfangen? „Wir müssen dich zu einem Arzt bringen,“ schluchzte sie. „Bitte.“ „Kein Arzt, zur Bastion.“ „Ich weiß nicht wie.“ Sie weinte und zwang sich weiter das Handtuch auf seine Wunden zu pressen. „Ich zeige es dir.“ Er hielt seine Hand an ihre linke Schläfe, so gut es ihm möglich war, doch sie nahm wahr, wie sehr sie zitterte. Der Weg, den sie fahren musste, erschien, wie von Zauberhand, vor ihrem inneren Auge. Als er die Hand sinken ließ, verschwand das Bild. „Du musst mir ein bisschen helfen.“ Er war nicht nur breitschultrig, sondern auch kräftig und der nasse Boden tat sein Übriges. Immer wieder brach sie unter ihm zusammen. Er hustete und sie wurde von Sekunde zu Sekunde unruhiger. Endlich waren sie am Auto sie schob ihn auf den Beifahrersitz und hastete um den Wagen herum. Brummend startete der Motor und sie fuhr behutsam an, damit sie sich nicht festfuhr. Gott sei Dank, konnte sie losfahren. Sie beschleunigte erst voll, als wieder trockener Boden unter den Reifen war. Sie überschritt jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung, überfuhr rote Ampeln und Stop-Schilder. Als letztendlich Dhiro's Kopf einfach zu Seite sackte und er das Bewusstsein verlor, raste sie blind vor Wut und Panik in die Richtung, die ihr Kopf ihr wies. Nach gut zehn Minuten, die ihr wie Stunden vorkamen, drückte sie hektisch auf den Kopf, der das Tor in die Garage öffnete. „Komm schon, komm schon.“ Als es gerade geschätzt so hoch war, dass der Wagen darunter passte, raste sie mit quietschenden Reifen in die Halle parkte so nah an der Türe, wie es möglich war. Dann sprang sie aus dem Wagen, kam wegen des Schlamms und dem rutschigen Boden ins Straucheln, schlug sich ein Knie auf, doch das war ihr egal. Sie schrie nach Leibeskräften um Hilfe, während sie die Beifahrertüre aufriss und versuchte Dhiro auf ihre Schulter zu laden. Sie weinte, weil sie zu schwach war, gab sich selbst an allem die Schuld. Wieso musste sie ihn mit ihren blöden Fragen ablenken, sonst hätte er seine Feinde viel früher entdeckt, da war sie sich sicher. Plötzlich hörte sie Schritte. „Hilfe,“ schrie sie wieder und die Schritte beschleunigten sich trommelnd. Plötzlich stand Seven in der Türe, dicht gefolgt von Rhed. „Ach du Scheiße. Hauptmann!“ Sie weinte, schaffte es aber ihn ein paar Schritte weit auf die beiden zu zu bewegen. „Tut doch was, bitte!“ Endlich reagierten die beiden und klemmten ihn zwischen sich ein. So schnell, wie sie konnten eilten sie nach oben. Alliara trug nur ihren Bikini und hielt das Handtuch, welches vollgesogen war mir Dhiro's Blut, fest umklammert. Sie trugen ihn in ein großes Zimmer im Keller. Alles war weiß gefliest. „Hol Laila und Daria.“ Eilig rannte Rhed nach draußen. Seven huschte um den Tisch herum, auf dem sie ihn abgelegt hatten und begann Sachen zusammen zu sammeln. „Ich will was tun!“ „Okay,“ sagte er, nachdem er sie kurz gemustert hatte. Er gab ihr knappe Anweisungen, was für eigentümliche Gegenstände sie ihm reichen sollte, bis er irgendwann zu ihr sagte: „Gut, versuch ihn fest zu halten.“ Dhiro lag still da. Blut quill überall hervor und färbte den Boden in tiefrot. Atmete er überhaupt noch? Alli konnte es nicht sagen. Sie machte einen Schritt auf den Tisch zu und legte ihre Hände auf Dhiro's kräftige Schultern. „Er wird sich heftig wehren, auch wenn es jetzt nicht so aussieht. Halt ihn so gut fest, wie du kannst.“ Er schob sich eine nerdige Brille auf die Nase und tauschte einen letzten Blick mit ihr. Dann nickte sie und er begann, mit einer Art hohlen Löffel in einer Wunde an Dhiro's Bein herum zu doktern. Als er sich nicht rührte, wuchs die Angst in Alli. Oh ja, sie hatte Angst, um ihn. Doch plötzlich bäumte er sich auf und sie stützte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf seinen Oberkörper, versucht seinen Kopf nicht zu zerquetschen. Er knurrte unter ihr und vibrierte förmlich. „Oh Gott!“ Daria seine Schwester stand in der Türe. Unsanft schubste sie Alli zur Seite, was das Knurren von Dhiro nur noch mehr anschwellen ließ. Sie nahm ihren Platz ein. Nun stand Alli unbeholfen mit dem blutigen Handtuch im Raum. Was sollte sie tun? Eine andere Frau schwebte in den Raum, mit eine Blutkonserve und Spritzen. Das musste dann Laila sein, die, die Dhiro einst versprochen war. Den Blick zu Boden gerichtet, verließ Alli das Zimmer. Sie hatte noch den Schlüssel in der Hand. Plötzlich fällte sie einen Entschluss. Sie würde fliehen. Alli wollte nicht, dass Dhiro oder sonst irgendwem irgendetwas passierte. Nur wegen ihr. Mit Tränen in den Augen, warf sie noch einen Blick zurück in den Raum, auf Dhiro, der zuckte, sich wand und gequält die Augen hinter den Lidern verdrehte, während seine Schwester ihn hielt und ihm etwas ins Ohr sagte und die anderen an ihm herum werkten. Sie drehte sich herum und lief zurück in die Garage. Eilig stieg sie wieder in den Vanquish, drückte auf den Knopf und verließ die Garage. Sie blickte nicht wieder zurück, als sie die Autobahn in die entgegengesetzte Richtung nahm.

Blinzelnd schlug Dhiro die Augen auf. Verschwommen nahm er wahr, dass drei Personen um ihn herum standen. Dann wurde ihm bewusst, dass Alliara nicht unter ihnen war. Ruckartig setzte er sich auf, was seiner Schwester einen erschrockenen Laut entlockte. „Dhiro leg dich sofort wieder hin!“ „Wo ist sie?“ Seine Stimme knurrte heiser. „Ihr ist nichts passiert, beziehungsweise, du hast sie gerettet.“ „Sie hat mich gerettet.“ Er sandte seine Macht aus, die bedeutend kleiner war, als sonst. „Sie ist nicht im Haus.“ Panisch sah er zu Seven, der an der Wand lehnte. Er war bleich und sah fertig aus. „Sie ist seit 2 Tagen weg. Alliara hat den Vanquish genommen und ist nach links abgebogen. Aurindur und Lio sind auf der Suche nach ihr. Bisher vergeblich.“ „Nein,“ hauchte er. „Wieso hat sie das getan?“ „Ruh dich aus und hör auf dir darüber Gedanken zu machen.“ Dhiro's Augen richteten sich auf seine Schwester, zum ersten Mal nicht freundlich. „Verstehst du das nicht? Wir müssen sie finden. Sie stand unter meinem Schutz und du,“ knurrte er nun. „hast sie weg geschubst. Glaub nicht, dass ich das nicht gesehen hätte.“ Daria sah ihn gekränkt an. „Ist das jetzt meine Schuld?“ „Das sagte ich nicht, aber wenn sie eine Aufgabe gehabt hätte, wäre sie länger geblieben, so hat niemand auf sie geachtet, oder sie geschützt.“ „Hauptmann,“ mischte sich nun Rhed ein, der neben der Couch auf dem Boden hockte. „Ihr wärt beinah gestorben. Die Jäger hatten Gift,“ „Glaubst du das habe ich nicht bemerkt? Dass meine Adern brannten, wie Feuer, bereits nach dem ersten Pfeil, der mich traf. Wie viele habe ich getötet?“ Er stand auf, den Protest seiner Schwester ignorierend. „11 Männer haben wir verbrannt.“ Dhiro nickte. „Eindeutig zu wenige. Es waren 15 Männer. Mit vielen Waffen und Munition. Sie sind besser vorbereitet. Analysiert ihr das Gift?“ Er schlüpfte in eine Hose und suchte im Zimmer nach seinem Handy. Sein kompletter Brustkorb war verbunden, ebenso seine Oberarme. Auch ein Bein hatte eine Wunde abgekommen. Sie schmerzten und ziepten, doch er ignorierte das. Es schürte nur sein Hassfeuer auf die Jäger mehr und mehr. Seven nickte und reichte ihm unaufgefordert sein Handy. „Sie haben eure Sachen am Strand liegen lassen.“ Dhiro sah zu dem säuberlich gefalteten Stapel Kleidung, der Alliara's Sachen bildete. „Was trug sie, als sie mit mir her kam?“ Seven sah ihn an und sofort zu Boden. Laila war es, die antwortete. „Das kleine Ding war vollkommen voller Matsch und triefnass. Unter dem Handtuch, was wohlgemerkt voll mit deinem Blut war, trug sie lediglich einen Bikini. Keine Schuhe. Ihr Blut roch köstlich.“ Dhiro packte sie an der Kehle. Sie lächelte ihn an und sagte: „Sie hatte sich das Knie aufgeschlagen, daher weiß ich es. Sie stand weinend neben der Türe, als ich eintrat, um dir die Blutinfusion zu legen.“ Widerwillig ließ er sie hinunter. Er streifte sich ein Hemd über und als er es zuknöpfen wollte, musste er die Augen schließen vor Schmerz. „Gehen wir, Seven.“ Während er in Richtung Garage eilte, lief seine Schwester hinter ihm her. „Hör auf so etwas Dummes machen zu wollen, das ist nicht richtig, Dhiro. Du warst zwei Tage und Nächte bewusstlos. Du kannst noch nicht kämpfen, du...“ „Sag mir nicht, was ich nicht kann!“ Sein Brüllen hallte von den Wänden wider. Die Mitarbeiter, die im Saal standen, blieben stehen und blickten auf, um dann geschäftig weiter zu arbeiten und sehr beschäftigt zu wirken. Daria trat beiseite. „Laila, Rhed und ich helfen euch.“ Rhed ging voran zu einen schwarzen SUV, in den Daria und Laila einstiegen. Seven und Dhiro gingen zu einem Audi. Seven stieg auf den Fahrersitz und musterte Dhrio von der Seite, der sich gequält in die Limousine fallen ließ und gleichzeitig sein Handy hervorzog. Nach kurzen Klingeln hob jemand ab. „Aurindur, wo seid ihr? Habt ihr eine Spur?“ „Meister,“ rief er hörbar erleichtert. „nein, bisher nicht. Wir haben den Vanquish gefunden, doch nicht sie. Sie muss ein Auto geklaut haben.“ „Hört den Polizeifunk ab, nach gestohlen gemeldeten Wagen in der Nähe und sag mir, wo ihr den Vanquish gefunden habt.“ Aurindur nannte ihm die Adresse. Er war angespannt, immerhin ging es um seine Schwester. Bitte, Gebieter, bitte oh Herr, lass sie uns vor allen anderen finden, bat er, als Seven mit quietschenden Reifen in Richtung der genannten Adresse fuhr.

Langsam fuhr sie an den Neubauten vorbei. Sie musste sich dringend ausruhen. Ihr Rücken und ihre Knie schmerzten. Diese Siedlung hatte sie entdeckt, als sie sich verfuhr. Es wurden gerade neue Häuser gebaut und sie wusste von ihrem Onkel, dass in der Ferienzeit nie weiter gebaut wurde. Sie suchte nach einem Haus, welches etwas hinter den anderen lag, so dass sie das Auto gut verstecken konnte. „Bingo,“ murmelte sie, als sie um eine Kurve fuhr und etwas weiter einen Wendehammer sah, mit zwei schmalen gewundenen Einfahrten. Nur würde sie hier keine Kleidung bekommen. In dem dunkelblauen Ford, den sie geklaut hatte, hatte lediglich ein hellbrauner Trenchcoat gelegen. Eine Flasche Wasser und eine Tüte voller Schokolade. Das blutige Handtuch lag auf dem Beifahrersitz. Immer wieder glitt ihr Blick hinüber. Sie wüsste so gerne, wie es Dhiro ging. Hoffentlich hatte er es geschafft, das würde sie sich sonst nie verzeihen. Vorsichtig zirkelte sie den Wagen in eine Nische und stieg aus. Sie schob die Abdeckplane auf die Seite und stieg über den unteren Teil des Gerüstes hinweg ins Haus. Es würde mal ein sehr schönes Haus werden. Sie beschloss ihr Lager im oberen Geschoss aufzuschlagen. Nach ihrer Erkundungstour durch das Haus, begutachtete sie nun ihre Ausbeute. Eine Malerdecke, die dazu diente den Boden vor Farbspritzern zu schützen, eine Nagelpistole, zwei Schraubendreher, eine Thermoskanne mit kaltem Kaffee, ein weites rotes Flanellhemd, die Tüte mit Schokolade und die halb volle Flasche Wasser sowie das Handtuch von Dhiro. Seufzend lehnte sie sich an das Fenster, welches zum zukünftigen Garten hinaus lag. Ein Pool war angelegt worden und mit etwas schmutzigen Wasser gefüllt. Zwei große Bäume mit Obst standen am Ende des Gartens. Sie beschloss, dass sie aus den Ärmeln des Flanellhemdes Schuhe machen würde und den Rest als Oberteil anziehen. Die Sonne ging langsam unter und es wurde kühl, gerade, als sie versuchte möglichst geräuschlos in den Garten zu steigen. Sie hatte beschlossen heute Nacht wach zu bleiben, um zu überprüfen, ob hier wirklich niemand her kam, dann würde sie über Tag schlafen. Langsam schlich Alli zu der Treppe des Pools, sah sich um und stieg hinab. Sie wusch sich über die Arme und das Gesicht, doch als sie die Augen schloss, sah sie Dhiro vor sich, wie er litt. Erschrocken fuhr sie herum. Niemand war zu sehen. „Du bist nur übermüdet,“ flüsterte sie zu sich. Leicht gesäubert, stieg sie die Stufen wieder nach oben, hin zu den Obstbäumen. Es waren Äpfel und Birnen. Manche der Äste hingen so tief, dass sie sich gemütlich einige der Früchte abpflücken konnte. Auf ihrem Rückweg biss sie genüsslich in einen knallroten Apfel.
Die Nacht kam schnell und kalt. Sie hockte auf der Malerdecke an einem noch nicht eingebauten Fenster und starrte in die düstere Nacht. Den Trenchcoat und das Handtuch hatte sie fest um sich gewickelt, ihre provisorischen Waffen immer griffbereit. Um halbwegs wach zu bleiben, trank sie den abgestandenen Kaffee und aß etwas Schokolade. Bis zum Sonnenaufgang sah sie niemanden. Alli beschloss, dass es halbwegs sicher schien und reckte ihre halb erfrorenen Glieder, bevor sie sich, wie eine Katze zusammenrollte und die Augen schloss. Wieder sah sie Dhiro, wie er ihr gegenüber saß und ihr seine Geschichte erzählte, dann wie der erste Pfeil ihn traf. Was waren das nur für Menschen, die einem Unschuldigen... Sie hielt in dem Gedanken inne. Er war keineswegs unschuldig. Aber war das ein Grund ihn umbringen zu wollen? Außerdem geschah das nur, wegen ihr. Sie wollten sie. Alli! Und niemand anders. Das wäre nie passiert, wenn sie ihn nicht abgelenkt hätte. Oder, dachte sie bedrückt, wenn sie einfach gestorben wäre. Wovor floh sie eigentlich? Vor ihrem Dämonen-Gen? Ihrem Onkel? Der Verantwortung dafür, dass Dhiro vielleicht tot war? Sie würde gerne vor sich selbst fliehen, dachte sie und begann zu weinen, bis sie endlich erschöpft einschlief.

Der Wagen stand fein säuberlich geparkt in einer Seitenstraße. „Sie hatte es jedenfalls nicht sehr eilig,“ stellte Seven fest. Rhed untersuchte die Umgebung. Dhiro hatte den Zweitschlüssel mitgenommen, doch das wäre nicht nötig gewesen. Auf dem Hinterreifen lag der Schlüssel. Er öffnete den, mit Schlamm bedeckten Wagen. Als er die Türe öffnete, strömte ihm der Geruch von Blut entgegen. Die Beifahrerseite war eine Blutlache. Es war noch nicht getrocknet, was bedeutete, dass der Wagen noch nicht lange hier stand. Sein Blut war wirklich fast überall im Wagen. Sein Handy läutete. „Ja?“ „Wir sind auf der Suche nach einem blauen Ford, der genau in der Straße, wo ihr euch gerade befindet gestohlen wurde.“ Aurindur gab ihnen noch das Kennzeichen durch und brach dann die Verbindung ab. Dhiro setzte seine Suche in dem Wagen fort. „Was erhoffst du dir davon?“, fragte seine Schwester. Er antwortete ihr nicht. Stattdessen roch er an einem Blutfleck auf der Fahrerseite, genau genommen am Lenkrad. Er war vermischt mit Schlamm. Dhiro wischte ihn mit dem Zeigefinger ab und rieb ihn zwischen den Händen. Es war sogar noch leicht warm. Er ächzte, als er sich wieder aufrichtete und leckte das Blut von seinem Finger. Es schmeckte rostig, leicht erdig, wegen des Schlamms, aber zugleich seltsam süß. Er schloss nun die Augen und konzentrierte sich. „Was tut er?“ Seven seuftze. „Blutmagie. Er versucht eine Bindung zu ihr aufzunehmen, um sie zu finden.“ „Ähnlich der Bindung, die er und ich haben, wegen unserer Eltern?“ „Ähnlich, ja. Aber normalerweise sind nur sehr mächtige Dämonen dazu in der Lage und dann auch nur bei anderen Dämonen.“ „Aber,“ begann Laila, bevor Dhiro „Schhht!“, machte. Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf. Bilder, wie sie sie sah. Wie sie auf seinem Rücken schwamm, wie er umfiel, vollkommen blutüberströmt, wie er ihr sandte, wie sie zur Bastion kam. Dann sah er den Saal und wie sie ihn festzuhalten schien, während Seven ihn versuchte zu retten. Dhiro knurrte, als seine Schwester sie schubste und sie unschlüssig zur Türe und wieder zu ihm sah. Er sah lange Zeit Straßen und das Innere des Vanquish. Das Bild verblasste langsam und er kanalisierte alle Macht, die er hatte, bis er eine Siedlung sah, mit Häusern, die sich im Bau befanden. Er sah das blutige Handtuch und wie sie zitterte. Dann brauch die Verbindung abrupt ab. Er keuchte und setzte sich auf den Fahrersitz. Drei Paar Augen blickten ihn an, besorgt und erwartungsvoll zugleich. „Sie ist in einer Siedlung, die sich im Bau befindet. In einem leerstehenden Haus.“ Er nahm sein Handy und übermittelte Aurindur die Bilder. „Danke, Meister.“ „Aurindur, seid vorsichtig!“ „Ja,“ sagte er knapp und legte auf. „Los, wir fahren auch dahin.“ „Wissen wir wo?“ Dhiro schüttelte den Kopf, als er sich abermals ächzend erhob und die Türe zuschlug. „Lio arbeitet dran.“ Gesagt, getan, vibrierte sein Handy und zeigte eine Karte mit einer Markierung darauf. „Los, Seven!“ Der Kies des Randsteins stob in alle Richtungen davon, als Seven den Wagen auf die Straße lenkte.

Unruhig wurde Alli wach. Sie hatte Albträume gehabt, die leider der Wahrheit entsprachen. „Bitte lass ihn noch leben,“ flüsterte sie und atmete tief aus. Es dämmerte bereits zum Abend hin. Sie sah, wie die Sonne langsam hinter den anderen Häusern verschwand. Ein allzu menschliches Bedürfnis brachte sie dazu, dass sie in den Garten ging und sich dicht an der Hauswand erleichterte. Eilig ging sie wieder nach oben. Gerade, als sie sich wieder hinsetzte, spürte sie, dass sie nicht alleine war. Sie sah nach draußen, konnte jedoch nichts sehen. So leise sie konnte, raffte sie die Nagelpistole und die beiden Schraubendreher und kroch auf den Wandschrank zu, der in die Dachschräge eingelassen war. Die Türe knarzte, als sie sie öffnete. Es klang in ihren Ohren laut, wie ein Kanonenschuss. Durch die kleinen Holzlamellen konnte sie nach draußen sehen, aber sie hoffte nicht gesehen werden. Zwei Personen kamen die Treppe hoch, nahezu geräuschlos. Einer stand bei ihrem Nachtlager, der andere an der Türe. Sie konnte den, der an ihrem Nachtlager stand mit der Nagelpistole bedrohen, um den anderen zum Gehen zu zwingen, dachte sie. Was aber, wenn die beiden sich egal waren? Die Thermoskanne rollte in die Richtung des Schrankes und sie hörte ein weiteres Auto in die Siedlung fahren. Und noch eins. Scheiße, dachte sie. Vielleicht hätte ich doch einfach bei den Dämonen bleiben sollen. Als der eine sich bückte, um die Thermoskanne aufzuheben, sah sie ihre Chance. Sie knallte ihm die Türe in den Rücken, so dass er fiel und hielt gleichzeitig die Nadelpistole schussbereit in der rechten Hand. Sie schoss, sobald sie freie Sicht hatte eine Salve von Nägeln auf den Eindringling, der stöhnend und fluchend aus dem Zimmer verschwand. Jemand packte ihren Fuß und sie rammte der Hand einen der beiden Schraubendreher in die Hand. Auch er fluchte, doch sie glaubte die Stimme zu erkennen und war kurz abgelenkt, so dass er sie abermals packen konnte und sie der Länge nach zu Boden fiel. Schmerzhaft schlugen ihre Zähne aufeinander und gleichzeitig wurde die Luft aus ihren Lugen gepresst. Alli holte tief und pfeifend Luft, während der Typ, den sie umgestoßen hatte ihre Hände auf den Rücken zog und sie festhielt. „Ich habe sie. Fuck, meine Hand.“ Sie hörte auf zu zappeln und sich zu wehren, als der , den sie mit der Nagelpistole beschossen hatte in das Zimmer schlüpfte. Er hielt sich den Arm, Blut quill zwischen seinen Fingern hervor. Er war älter geworden, breiter, größer, reifer und schöner. Aber sie wäre jede Wette eingegangen, dass da ihr großer Bruder vor ihr stand und sie mit schmerzverzerrtem Gesicht an sah. Sie hörte polternde Schritte, sah erst Seven, dann Rhed, dicht gefolgt von Dhiro's Schwester und dieser Laila. Zuerst machte ihr Herz einen erfreuten Hüpfer, als sie Seven erblickte, aber als Dhiro nach den beiden Frauen nicht zu sehen war, schrumpfte ihre Hoffnung zusammen, wie eine Rosine. Tränen traten in ihre Augen. „Nein,“ rief sie. „Nein, das darf nicht wahr sein.“ Sie knallte ihre Stirn auf den Boden. „Hey, was soll das, Alli, lass das,“ rief Lio und versuchte sie aufzuhalten. Sie schnappte nach seiner Hand, als diese ihren Kopf festhalten wollte. Sie presste die Augen zu und wollte schon wieder nach der Hand schnappen, die ihr Kinn anheben wollte, als sie inne hielt, als sie ihre Augen öffnete. Sie starrte auf einen Siegelring, der ihr bekannt vorkam. Sie hob den Blick und begegnete dem von Dhiro, besorgt und erleichtert zugleich. Er war bleich, wirkte ausgemergelt. „Dhiro?“, hauchte sie. „Lass sie los.“ Sie spürte, dass Lio sein Gewicht von ihr nahm. „Warum bist du weggelaufen, Alliara?“ Sie sah ihn an und begann sofort zu weinen. Ohne, dass er wusste, wie ihm geschah, warf sie sich an seinen Hals und umarmte ihn fest. Er ignoriert den Schmerz und legte seinerseits leicht die Arme um sie. „Ich dachte, ich wäre Schuld an deinem Tod. Ich will nicht, dass jemandem wegen mir etwas zustößt.“ Er schob sie von sich und zog sofort seine Hände wieder zurück. „Dafür sind wir da.“ „Gar nicht,“ erwiderte sie trotzig. Er grinste leicht. „Kleiner Sturkopf. Komm, wir fahren.“ Ächzend erhob er sich. Sie folgte seinem Beispiel und zog den Trenchcoat zu. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. „Warum zum Teufel,“ begann er und blieb stehen. „weißt du, wie man ein Auto aufbricht?“ „Ähm, Mila hat es es mir gezeigt. Als ich noch kein eigenes hatte und sie hat es von ihrem Bruder gelernt.“ Stirnrunzelnd nickte Dhiro. „Warte, willst du mir nicht auch etwas sagen?“ Alli merkte, wie leichte Wut in ihr aufkeimte. Er richtete den Blick auf die Wand neben der Türe. „Sie hat dich eh gesehen, also komm rein.“ Mit hängenden Schulter, den Blick nach unten gerichtet, schlurfte der, den sie für ihren Bruder hielt zur Türe hinein. „Auri? Bist du es?“ Ihre Stimme zitterte und war leise. Dhiro beobachtete sie genau, während alle anderen sich dezent zurück zogen und polternd das Haus verließen. Rhed aß Schokolade, während er Alli musternd, an ihnen vorbei ging. Zitternd holte Aurindur Luft und sagte: „Ja, Alli. Ich bin es.“ Ihre Augen weiteten sich und sie schwankte. Dhiro machte einen Schritt auf sie zu. „Nein,“ erwiderte sie und streckte die Hand aus, auf Grund dessen, blieb er stehen. „Wieso hat mir das nie jemand gesagt? All die Jahre nicht? Weder mein Onkel, noch Lio?“ Sie richtete den Blick auf Dhiro, Tränen traten in ihre Augen. „Noch du.“ Auri ergriff das Wort: „Es wurde mir verboten dich zu sehen. Um dich nicht zu verunsichern und dich zu schützen. Lange Zeit war nicht klar, wie ich reagiere, wenn ich dich wieder sehe. Ich hatte Probleme mich zu beherrschen, gab dir die Schuld an alledem. Verurteile sie nicht, Alli, bitte.“ Alli starrte immer noch Dhiro an, der ihre ausgestreckte Hand nun ignorierte und ihr eine Träne vom Gesicht wischte. „Niemand wollte dir von uns etwas Böses oder dich anlügen. Aber wenn du ihn gesehen hättest, bevor du über den Deal deiner Eltern Bescheid wusstest, wie wäre es dir ergangen? Wenn du noch nichts von uns oder den anderen Lebensformen gewusst hättest?“ „Ich hätte den Verstand verloren, vermutlich.“ Sie ließ die Hand sinken und sah ihren Bruder an. „Wie konntest du überleben, du warst so gut, wie tot?“ „Als dich der Feind mitnahm heilten sie dich und waren so mit dir beschäftigt, dass sie den Lebensfunken, der in mir noch glomm, nicht erkannten. Als mein Hauptmann mich jedoch entdeckte, retteten sie mich, doch ich starb.“ Alli holte tief Luft und griff nach Dhiro's Hand, der sie diesmal nicht zurück zog. Er blickte ernst auf sie hinab. „Durch das Blut, dass ich von ihnen bekam, für meine Heilung, wandelte ich mich. Ich wurde ein Gemachter.“ „Aber, wenn man bei mir auf das Dämonen-Gen wartet, müsstest du es nicht auch haben?“ „Vielleicht, aber ich starb zu früh, um es zu erkennen.“ „Wieso alterst du noch?“ Es war nun Dhiro, der ihr antwortete: „Gemachte wachsen weiter, bis sie ungefähr das normale Alter eines Reinen der die Wandlung vollzieht erreichen. Nur sehr langsam.“ „Warum könnt ihr mich nicht auch einfach wandeln und der Deal findet statt?“ Dhrio sah sie an, Trauer im Blick. „Weil Gemachte als wertlos erachtet werden. Vergleichbar mit Vampiren. Sie wurden nicht aus eigener Kraft so, wie sie sind. Und sie werden nie so stark und groß sein und, viel schlimmer noch, besonders in so einem Deal, wie deinem, nicht reinblütig.“ Jetzt endlich verstand Alliara. „Das heißt, dass unsere Eltern ebenfalls reinblütige Dämonen waren?“ Ihre Stimme war ein schwaches Flüstern, jetzt erst war ihr bewusst geworden, was Dhiro ihr die ganze Zeit zu erklären versuchte. „Entweder das, oder aber ein Elternteil, dass du kennst und ein reinblütiger Dämon. Aber ich weiß vom Gebieter, dass deine Eltern, sogar hoch angesehene Reine waren.“ „Weshalb der Deal schlussendlich geschlossen wurde?“ Dhiro nickte. Sie fiel krachend auf die Knie. „Ich habe das nie bemerkt.“ Dhrio kniete sich langsam neben sie. Ihr Bruder trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Wie solltest du, du warst noch so klein.“ „Und du lebtest schon ewig.“ Sie ergriff den Kragen seines Hemdes. „Warum?“, fragte sie ihn und abermals verschwamm ihr Blick vor Tränen. „Warum konntest du nicht auch mich retten?“ Gequält sah Dhiro sie an. „Weißt du, wie oft ich mich das gefragt habe? Immer wenn ich deinen Bruder hielt, während seiner Wandlung, während er sich in den Schlaf weinte, wenn er den Namen deiner Eltern schrie oder deinen. Immer dann fragte ich mich, wieso warst du nicht eher da?“ Er hustete und schloss die Augen, was Alli aus ihren Selbstmitleid riss. „Es geht dir immer noch nicht gut?“ Er erhob sich ächzend. „Nicht wirklich.“ „Herr, wir sollten dich nach Hause bringen.“ „Du sollst mich nicht so nennen, erst recht nicht vor deiner Schwester.“ Alli gab einem Impuls nach und riss an seinem Hemd. Die obersten drei Knöpfe rissen ab und fielen klimpernd zu Boden. Ihr Bruder sog die Luft ein. Dhiro, machte ein Gesicht, dass sie noch nie beim gesehen hatte, er war überrascht. Fing sich dann aber und zog eine Augenbraue nach oben. „Deine Wunden bluten, du“ Er unterbrach sie. „Ja, ich sehe aus, wie ein Schweizer Käse. Ist mir aufgefallen. Aber, du hast eiskalte Hände und,“ Ächzend lud er sie auf seine Arme. „da du keinerlei Anstalten machst selbst hinunter zu gehen...“ Er ließ den Satz unbeendet und ignorierte ihren Protest. Insgeheim war er einfach nur froh, dass sie lebte und wieder bei ihm war. Er fühlte sich gleich viel mächtiger, als er sie relativ unversehrt vor ihm sah. Es passte ihm nicht und er konnte es sich nicht erklären, aber dieses Mädchen, war ihm wichtig. Er setzte sie auf den Rücksitz des Audi und ließ sich selbst auf den Beifahrersitz gleiten. Seven saß am Steuer und schaute belustigt drein. „Nach Hause, Dhiro?“ Dhiro nickte und schloss die Augen. Im Wagen war es warm und Alli lockerte den Kragen des Trenchcoats ein wenig. Die Anwesenheit von Dhiro beruhigte sie, auch wenn es ihr nicht gefiel, dass er noch immer Schmerzen litt und verletzt war. Es beunruhigte sie, weil er ihr unverwundbar vorkam. Bald darauf fiel sie in einen tiefen Schlaf.

6

 

Dhiro's Kopf dröhnte, als er erwachte und ihm war heiß. Als stünde er in Flammen. Während er blinzelnd aufwachte, hörte er das Prasseln und roch das Feuer. Abrupt wollte er aufstehen, doch das war nicht nötig, er stand bereits. Seine Hände waren mit Eisenketten an eine Laterne gebunden. Um ihn herum züngelte das Feuer und griff an ihm herauf. Konzentriert versuchte er seine Macht mit Kälte anzufüllen, um das Feuer erstarren zu lassen. „Dhiro, Dhiro, glaubst du, dass wir es dir so einfach machen?“ Er hielt inne. Diese Stimme? Den Kopf hin und her bewegend suchte er nach der Stimme. „Alliara?“, keuchte er. Sie kam aus den Schatten, Hand in Hand mit einem Dämon, der ihm fremd war, aber die Tätowierung an seinem Hals zeigte, dass er zu den Auslöschern gehörte. „Mein Mann fand die Idee vortrefflich dem Frieden mit deinem Tod in den Arsch zu treten. Soll dein Gebieter doch kommen. Wir haben keine Angst.“ Sie lachte auf. Es war nicht das Lachen, dass er kannte. Es war kalt und unnatürlich laut. Sie hob ihren rechten Arm und den Arm, der ihren Mann hielt, gemeinsam schlossen sie die Augen. Das Feuer wurde, sofern es möglich war, nur noch heißer und griff nun auf seine Kleidung über, versenkte ihm die Haut. Er wollte nicht schreien, ihnen keine Genugtuung geben. Seine Alliara, was war nur passiert? Was dachte er da überhaupt? Sie gehörte niemandem. Ein letztes Mal sah er zu ihr und hauchte: „Du warst es.“ Und dann schrie er vor qualvollen Schmerzen, so laut, dass es ihm selbst in den Ohren schmerzte.
Keuchend erwachte er. „Es war nur ein Traum, Dhiro.“ Er fuhr zu der Stimme herum, um es sogleich zu bereuen. Der Schmerz in seinem Bauch war immer noch nicht verschwunden. Alli sah ihn mit Sorge im Blick an. Sie hockte auf der Fensterbank in seinem Zimmer. Noch nie war jemand halbwegs Fremdes in seinem Zimmer und schon gar kein Mensch. Bis auf Laila, Daria und gelegentlich Indira, sogar keine einzige Frau. Sie hatte ein Buch auf dem Schoß liegen, eine Hand verbunden und die Knie. Ihre Wange zierte ein Kratzer und ihre Lippe war blutig. Er ließ sich zurück fallen und spürte, wie heftig sein Herz schlug. Ja, dachte er, bitte lass es nur einen Traum gewesen sein. Was hatte er gemeint, in seinem Traum mit, seine Alliara und du warst es? Er konnte nicht klar denken, das Gift benebelte ihn. „Du hast immer noch Fieber.“ Sie legte ihm ein nasses Tuch auf die Stirn. Ihre Hand wirkte so winzig neben seinem Kopf. Sie setzte sich neben sein Bett auf den Boden. „Willst du mir von deinem Albtraum erzählen?“ Er schüttelte den Kopf. Das war nun wirklich nichts für ihre Ohren. „Du hattest Schmerzen, oder?“ Seine Antwort war ein Nicken. „Wer war es? Ich trete ihm für dich in den Hintern!“ Dhiro wusste, dass es ihn zum Lachen bringen sollte, doch es passte einfach nicht. „Oh,“ machte sie. „Soll ich gehen?“ Als sie bereits aufstand, sagte er: „Nein, bitte nicht.“ Er drehte sich vorsichtig auf die Seite. „Was liest du?“ Seit er Hauptmann war, war keine Frau ihm so nahe gekommen, wie sie. Lediglich seine Schwester. „Ach, nur einen Krimi, den Seven mir geliehen hat.“ „Liest du gerne?“ Sie nickte, als sie leise Musik einschaltete. „Ich liebe lesen. Ein gutes Buch, einen Kaffee und Musik auf den Ohren. Ich liebe es auch Filme zu sehen. Mich in eine andere Welt entführen zu lassen.“ Ihr Blick verdunkelte sich. „Ich hatte fast verlernt zu lesen. Mein Onkel musste es mir fast komplett neu beibringen. Geschweige denn zu schreiben. Aber ich bin eine gute Schülerin, hat er gesagt. Jeden Abend musste ich ihm vorlesen, statt er mir.“ Nun lächelte sie, als würde die Erinnerung daran, sie glücklich machen. Doch dann wurde ihr wieder bewusst, wie oft dieser Mann ihr etwas verschwieg und wie schwer dieses Schweigen lastete. Dhiro sagte zu ihr: „Lies mir vor.“ „Bitte?“, fragte sie verwundert. „Lies mir etwas aus deinem Krimi von Seven vor. Wie du weißt, ist das bei mir ewig her. Ich bin ein alter Mann.“ Sie lachte und kam wieder näher heran. Sie sah sich um, worauf sie sich setzen sollte. „Komm hier ans Fußende. Da kannst du auch deinen Rücken anlehnen.“ Wenn Alli gedacht hatte, dass ihr Bett hier im Haus groß war, dann war dieses so groß, wie ein Zimmer eines Teenagers. Es war massiv und aus dunklem Holz mir vier Säulen und einem hohen Fußteil und Kopfteil. Berge von Kissen lagen darin, was ihr verriet, dass er meistens alleine schlief. Sie nahm sich ein Kissen und krabbelte zum Fußende des Bettes. Sie hatte eine Buchlampe am Buch angebracht, damit sie die großen Deckenlampen nicht anmachen musste, um Dhiro schlafen zu lassen. Er sah schon etwas besser aus, aber dass er nicht vollständig heilte, besorgte nicht nur sie. „Ich bin aber schon mittendrin.“ „Nicht schlimm. Ich habe eine gute Auffassungsgabe.“ Sie lächelte und begann ihm vorzulesen. Es dauerte etwa zwanzig Minuten bis sich seine Atmung wieder normalisiert hatte und er langsam einschlief. Sie hörte auf zu lesen und fragte sich, was er wohl geträumt hatte. Sie meinte, dass er einmal ihren Namen geflüstert hatte. Aber vielleicht war das Einbildung, dachte sie. Oder Wunschdenken, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Innern. Sie schüttelte den Kopf. Sie war in einer Welt voller Monster aufgewachsen, das hatte sie immer gewusst, allerdings nicht gedacht, dass dies wirklich alles Monster waren. Dämonen, Vampire, Engel, Werwölfe. „All die Geschichten sind wahr,“ hatte Dhiro gesagt. Warum sind dann Engel böse und was waren das für Wesen, die Dhiro vergiftet haben? Elf Menschen oder was auch immer sie waren, hatte er getötet und nicht einen von ihnen angefasst. Sie seufzte und sah ihn an. Friedlich lag er da und schlief. Er wirkte so jung, dafür, dass er weit über 100 Jahre alt war. Sie sah in ihm den 26-jährigen, dem man die Kindheit geklaut hatte, genau wie ihr. Na gut, vielleicht nicht ganz genauso, aber ähnlich. Sie erhob sich und zog die Decke etwas von seinem Brustkorb. Immerhin schienen die Wunden nicht mehr zu bluten. Er war, als sie hier ankamen sofort im Bett zusammengesackt, hatte ihr Bruder ihr erzählt. So hätte er seinen Hauptmann noch nie gesehen. Sie hatte sich nur kurz mit ihm unterhalten, es war einfach gruselig. Jahrelang hatte sie gedacht, sie wäre die einzige Überlebende. Und jetzt musste sie erfahren, dass ihr Bruder die ganze Zeit über da war. Genau genommen, aber nicht lebte. Sie sah in Dhiros Gesicht. Seine Haare hingen ihm etwas in die Stirn und sie konnte dem Drang nicht widerstehen, es ihm aus dem Gesicht zu streichen. Es war wunderbar weich, wie ein Hauch von Federn. Sie wollte gerade die Hand aus seinem Haar nehmen, als ihr auffiel, dass er sie ansah. Seine blauen Augen blickten zu ihr auf. Sie konnte sein Gesicht nicht deuten, aber er sagte nichts und schob sie nicht weg. „Hauptmann,“ rief Rhed von der Türe aus. Alli schrak heftig von Dhiro's Bett weg und auch er setzte sich abrupt auf. „Kannst du nicht klopfen, Rhedyn?“ Seine Stimme war drohend. Alli saß auf ihrem Hintern auf dem Boden, hielt sich eine Hand auf die Brust gepresst und atmete schnell und keuchend. „Entschuldigung, Herr, aber es ist wichtig. Der Gebieter hat eine Nachricht geschickt, dass ein Kampf bevorsteht und er seinen besten Hauptmann aussenden will.“ Selbst Rhed atmete schnell, aber hatte keinerlei Anzeichen dafür im Gesicht, dass es ihm wirklich Leid tat. Alli stand auf, widerstand dem Drang sich ihre schmerzenden Backen zu reiben und ging auf die Türe zu. „Wo denkst du, gehst du hin?“ Da war er wieder, Mr. Herrisch. „In mein Zimmer? Mit euren Kriegsräten habe ich nichts zu tun.“ „Das ist richtig, Alliara, aber du hast mir das Buch noch nicht zu Ende vorgelesen.“ Sie starrte ihn an. Sehr dümmlich vermutlich. „Selbst wenn wir einberufen werden, muss Seven erst alle zusammentrommeln und ich brauche etwas zu essen und Kraft. Vorher kann es nicht losgehen.“ Er blickte zu Rhed, der Alli belustigt ansah. „Trommelt alle zusammen. In einer Stunde in meinem Büro. Ich will etwas zu Essen.“ „Jetzt oder wann?“ „In einer halben Stunde. Anklopfen und draußen stehen lassen. Danke, Rhed.“ Rhed kam auf Dhiro zu und drückte ihm eine Rolle in die Hand. Dann verließ er das Zimmer, nicht ohne Dhiro und Alli einen Blick zu zu werfen. „Er wird überall erzählen, dass er uns in Flagranti erwischt hat, dann sollen sie es ruhig alle denken.“ „Spinnst du jetzt?“ Er grinste. „Nein. Ein bisschen Belustigung können die Männer brauchen und die, die mich gut kennen, so wie dein Bruder und Seven, werden merken, dass da was dran faul ist. Du wirst sehen, du wirst auch deinen Spaß haben.“ Mit gerunzelter Stirn las er das Blatt Papier. Schlussendlich nickte er und legte es auf den Nachttisch. Das Bett knarzte leicht, als er sich nun auf den Rand setzte. „Wie willst du kämpfen? Du bist noch verletzt.“ „Ich dachte, du hast nichts mit unseren Kriegsräten zu tun?“ Er ging zu den Vorhängen und zog sie auf. Gleißendes Licht strömte in den Raum. Dhiro hatte den Traum noch nicht ganz verdaut und nicht tief geschlafen, als er spürte, dass sie ihm sehr nah war. Zum einen hatte er ihre Aura wahrgenommen, sie gerochen und die Wärme ihrer Hand gespürt. Was wäre passiert, wenn Rhed sie nicht unterbrochen hätte? Er würde es nie erfahren. „Aber ich habe etwas mit dir zu tun,“ erwiderte sie leise, nach einiger Zeit. Verwundert drehte er sich herum. „Wie meinst du das?“ Sie sah auf den Boden, wie ein kleines Mädchen. „Nun ja, sieh mal, was du alles für mich getan hast. Du hast meinen Bruder gerettet, mich gerettet, mich so oft beschützt, mir ein zu Hause gegeben, wärst beim letzten Versuch mich zu schützen beinah gestorben. Und du hast nie aufgehört mich zu suchen.“ Er dachte kurz nach. „Das waren alles Befehle,“ sagte er nun. Sie sah auf. „Das glaube ich dir nicht.“ Ihre Stimme klang empört, doch er zuckte nur die Achseln. Sie stemmte daraufhin die Hände in de Hüften und sagte: „Ach ja? Hat dir jemand befohlen mit mir schwimmen zu gehen? Mit mir Bikinis zu kaufen? Mir deine Lebensgeschichte zu erzählen, nur weil ich dich frage? Hat dir jemand befohlen mir Rechenschaft schuldig zu sein, wegen meines Bruders? Oder mir ein ganzes Zimmer her zu richten? Mit Kleidern, die mir auf wundersame Weise alle passen? Sogar die Unterwäsche passt.“ Sie warf die Hände nach oben, nur um sie wieder in die Seiten zu pressen. „Hat dir jemand befohlen mich zu berühren? Oder sogar meine Berührungen zu zulassen, Hauptmann?“ Das letzte Wort, spie sie förmlich aus. Mit zwei schnellen Schritten hatte er die Distanz zwischen ihnen überbrückt und presste sie mit dem Rücken gegen den Schrank. Seine Augen glühten leicht und er knurrte. „Vorsicht, kleiner Sturkopf. Vergiss nicht, mit wem du es hier zu tun hast. Meinen Männern würde ich so ein trotziges Verhalten nicht durchgehen lassen.“ „Ja?“, sagte sie, als er wieder einen Schritt zurück trat. „Stimmt, Meister, nicht mal deiner Schwester würdest du es durchgehen lassen, aber mir?“ Sie machte ihn wütend, das wusste sie und sie wusste auch, dass sie sich sehr weit aus dem sprichwörtlichen Fenster lehnte. Doch je mehr Argumente sie nannte, desto wütender wurde er und desto klarer sah sie. Er mochte sie. Sie bedeutete ihm etwas. „Okay, Alliara. Wenn du grade so schlau bist, was bist du mir dann deiner Meinung nach schuldig und was willst du tun?“ Jetzt überraschte er sie. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, dass er es abstreiten würde, es achselzuckend abtun oder sie auslachen würde. Ein kleiner Teil in ihr hatte gehofft, dass er ihr sagte, ja, Alliara so ist es. Aber, dass er nach ihrer Meinung fragte und was sie sich vorstellte, das überraschte sie. „Keine Idee?“, fragte er schnippisch. Er drehte ihr den Rücken zu. „Doch.“ Nun hatte sie völlig den Verstand verloren. Ihre Worte hatten schneller ihren Mund verlassen, als sie es verhindern konnte. „Trink mein Blut, damit du mächtiger wirst!“
Kurze Zeit passierte nichts, außer, dass er sie anstarrte, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Dann fing er sich und presste hervor: „Du weißt ja nicht, was du da sagst. Was das für Konsequenzen hat.“ „Nein, das weiß ich nicht,“ erwiderte sie ruhig. „aber du kannst es mir sagen.“ „Ich würde dich überall finden, wirklich überall, könnte spüren, was du spürst, immer, ohne dass du es verbergen kannst. Es könnte sein, dass, dass ich dem Geschmack deines Blutes verfalle und immer wieder trinken will. Es könnte passieren, dass ich dich unbewusst kennzeichne.“ „Was heißt das?“ Er sah sie an. „Andere Männer würden mich an dir spüren und hätten keinerlei Interesse an dir. Zumindest Dämonen. Oder aber sie würden es riskieren meinen Zorn auf sich zu ziehen. Und je mächtiger die Kennzeichnung ist, desto weniger will man sich mit dem Mann anlegen.“ Er dachte kurz nach. Sollte er ihr sagen, was es für ihn bedeuten könnte? Wobei das mit dem ihr verfallen sein, ja nun mal fast schon das gleiche war. Er könnte niemand anderes mehr sehen, nur sie. Sie könnte alles für ihn sein und werden. Seine Sonne. Sein Licht, sein Herz. „Oh-Okay. Dann wäre der Deal so oder so hinfällig?“ „Sollte ich dich kennzeichnen, wird der Gebieter mich umbringen. Damit wäre der Bann gebrochen, also kein Problem.“ Sie erschrak, während er neben ihr im Schrank wühlte. „Wie kannst du das so ruhig sagen?“ „Alliara, es ist ein Teil meiner Rasse, meines Eides, meine Finger von der Friedenswahrerin zu lassen.“ „Das also, bin ich für dich?“ Sie war gekränkt und traurig. „Die Friedenswahrerin?“ „Nein, Alliara, bitte. So ist das nicht.“ „Ja, sicher. Ich werde euer aller Frieden wahren, Hauptmann.“ Als sie gehen wollte. Hielt er sie ab. Sie zappelte, damit sie sich von ihm losreißen konnte, doch er hielt ihren Arm fest. „Bitte, geh nicht so. Du weißt, dass das nicht wahr ist.“ „Ich weiß gar nichts,“ sagte sie mit tränen-erstickter Stimme und ließ sich zu Boden gleiten. Ihr ging die Kraft aus. Sie wusste nicht, was mit ihr los war. Sie hatte sich ihm beinah an den Hals geworfen, ihm ihr Blut angeboten. Löste er so viel in ihr aus? Sie fühlte nur noch Chaos in ihr. Er kniete sich zu ihr auf den Boden. „Alliara?“ „Hör auf mich so zu nennen,“ presste sie zwischen ihren Händen hervor, die sie vors Gesicht geschlagen hatte. „Alli,“ hauchte er. Sie sah auf. Seine blauen Augen glänzten, sie verlor sich in ihnen, doch dann stieß sie ihn weg. „Hast du gerade ernsthaft versucht meine Erinnerungen zu manipulieren?“ Er stand auf. Schuldbewusst sah er sie an. „Ich wollte es dir einfacher machen.“ Sie starrte ihn entgeistert an. Der Träger ihres Tops war an einer Seite herunter gerutscht und sie sah, dass er es sah und sein Blick kurz darauf verharrte. „Einfacher, ich glaub ich spinne. Weißt du was, ich mache es dir einfach.“ Ruckartig riss sie den Träger hoch und sagte: „Vergiss einfach, was ich dir angeboten habe, vergiss, dass ich dich mochte. Vergiss mich, so wie ich für dich war. Ich bin die Friedenswahrerin, dein Auftrag, den es zu schützen gilt. Leck mich, Hauptmann!“ Sie kreischte nun förmlich und rannte aus seinem Zimmer. Beinah stieß sie mit einem Küchenjungen zusammen, der einen Wagen vor sich her schob, mit zwei Tellern und einer Kerze. Sie spürte, dass Dhiro in der Türe stand und sie beobachtete. Sie leckte sich den Daumen und den Zeigefinger ab und löschte die Kerze. Dann nahm sie den zweiten Teller und zerdepperte ihn auf dem Boden. „Den braucht der Hauptmann nicht und romantischen Kerzenschein braucht er auch nicht. Er denkt sowieso nur an sich. Mit einem,“ sagte sie an ihn gewandt. „hattest du Recht, Dhiro.“ Er sah sie ungerührt an. „Du kannst nicht mit Frauen umgehen.“ Mit diesen Worten machte Alli auf dem Absatz kehrt und rannte die lange Treppe hinauf, ohne sich nochmals umzudrehen in ihr Zimmer. Als sie dort ankam, knallte sie die Türe zu und schloss ab. Dann brach sie weinend zusammen.

Den Kopf in den Händen saß er auf dem Bett. Was hatte er getan? Er hatte sie verloren. Wieso hatte er sie manipulieren wollen? Wollte er das überhaupt? Er hatte das Bedürfnis gehabt sie zu halten und zu küssen. Ausgerechnet er! Das Essen hatte er nicht angerührt. Es klopfte an der Türe. „Hauptmann?“ Es war Seven. „Die Versammlung?“ „Ja, ja,“ begann er. „Ich muss mir etwas anziehen.“ Er war vollkommen durcheinander. Wie vor den Kopf gestoßen. Noch nie hatte eine Frau so mit ihm geredet. Er zog sich eine Jeans an und ein graues Hemd. Seine Verletzungen waren noch zu stark, als dass er die Arme über den Kopf und in ein T-Shirt stecken konnte. Nun verließ er auf nackten Füßen nachdenklich sein Zimmer. Er vergaß sogar es abzuschließen, was er sonst immer tat. Er sah Indira an die Türe klopfen von Alliara's Zimmer. Doch sie schien nicht zu öffnen. Er sandte seine Macht aus, so dass er ihre Aura sehen konnte und sie hörte. Sie weinte bitterlich, lag gekrümmt auf dem Boden, direkt vor ihrer Zimmertüre. Ihre Aura war tiefschwarz, voller Hass und Trauer. Seine Nasenflügel blähten sich auf, als er tief Luft holte und schnell vorbei eilte, damit er dem Drang nach oben zu gehen und ihre Türe einzutreten widerstehen konnte. Eilig ging er in den Versammlungsraum. Es waren alle bereits anwesend und sahen betreten zu Boden, als er eintrat. „So, also morgen soll es losgehen,“ begann er. „Wir wissen noch nicht, was für Gifte diese Schweine einsetzen?“ „Nein, Hauptmann. Aber wir haben schon einige Bestandteile herausgefiltert. Sind uns aber sicher, wenn wir die Lederpanzer tragen, dass wird uns nichts passieren.“ Rhed sah von allen am schuldigsten aus. Seine Schwester war außer sich vor Wut. „Gut. Sonst noch Fragen zum Ablauf, oder können wir morgen im Morgengrauen aufbrechen?“ „Glaubst du nicht, dass du noch Ruhe brauchst?“, fragte seine Schwester giftig, mit Sorge in der Stimme. „Oh nein, ich fühle mich, wie neu geboren.“ Was der Wahrheit entsprach, denn der Hass auf sich selbst, hatte einen absoluten Hochpunkt erreicht.

Sie warf sich kaltes Wasser ins Gesicht, wieder und wieder, doch ihr Gesicht schwoll einfach nicht ab. Zwei Tage war der Eklat zwischen ihr und Dhiro nun her. Seitdem hatte sie das Zimmer nicht mehr verlassen und jedwedes Klopfen an der Türe geflissentlich ignoriert. Nun aber kam sie fast um vor Hunger. Also zog sie sich eine hellblaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt an. Mit plüschigen Socken an den Füßen, schloss sie die Türe auf. Griff aber noch schnell neben der Türe zu einer großen Mütze, die sie sich auf den Kopf zog und tief ins Gesicht. Als ob das helfen würde gegen ihre „Sieh-her-ich-hab-nicht-geschlafen-nur-geheult“ Augenringe. Sie horchte und sah sich um. Niemand war zu sehen oder zu hören, also eilte sie die Treppe hinunter in Richtung Küche. Hier waren ein paar Bedienstete am Werk. Sie sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Sponsored by Hauptmann Dhiro, dachte sie. Es war kurz vor sieben. Das waren eindeutig zu wenige für ein so volles Haus. Sie bestellte sich Crepes mit Schokolade und setzte sich im Esszimmer an einen kleinen Tisch. Gedankenverloren blätterte sie in einer Zeitung, als jemand nahezu geräuschlos herein kam. Laila! Die hatte ihr gerade noch gefehlt,dachte sie. Wobei genau genommen waren sie ja Leidensgenossinnen, denn sie wollte Dhiro ja auch nicht. „Hallo,“ sagte sie. „Wieder im Tageslicht unterwegs?“ Wenn es nicht so kindisch gewesen wäre, hätte sie ihr die Zunge raus gestreckt. Stattdessen bedachte Alli sie nur mit einem vernichtenden Blick. „Du siehst ja furchtbar aus. Das muss dir ja sehr nahe gehen.“ „Was genau?“, fragte sie genervt und blätterte energisch eine Seite um. „Dass sie in den Krieg gezogen sind. Und es wird dauern, bis sie wieder da sind. Solche Missionen sind langwierig und nicht alle kommen zurück. Besonders, wo sie jetzt über ein Gift verfügen.“ „Was? Sie kämpfen gegen diese Giftmischer?“ „Auf den Befehl des Gebieters hin, ja. Eine Mission unter Geheimhaltung. Unterwandern und vernichten. So was kann immer dauern. Beim letzten Mal habe ich fast ein Jahr das Haus gehütet, bis die ersten wieder kehrten. Aber alle, das hat gut zwei Jahre gedauert. Für mich ist das nichts, aber für dich? Solltest du dich wandeln, könnten schon die ersten Symptome auftreten. Daher hat der Gebieter deinen Onkel von seiner Mission abgezogen und er ist auf dem Weg hierher, ist das nicht toll?“ Alli hasste sie. Hasste Laila aus vollster Überzeugung. Sie hasste es, dass sie hübscher war, dass sie eine Dämonin war, dass sie besser über alles Bescheid wusste und sie hasste diese herablassende Art. Indira kam in die Küche. „Indira, wer ist alles mit in den Krieg gezogen?“ Laila lachte und kreuzte die Beine. „Oh, alle Alli. Der Hauptmann und alle Krieger.“ „Mein Bruder?“ „Ja, auch er. Für die Anfangsmissionen dürfen auch die jungen mitgehen.“ Alli sah auf den Teller, den ihr gerade ein Küchenjunge brachte und musste würgen.
Nach fünf Tagen, die Alli wie Jahre vorkamen, tauchte endlich ihr Onkel auf. Sie aßen gemeinsam mit Laila zu Abend und Laila konnte plötzlich sehr nett sein. Sie trug ein förmliches Etuikleid mit Herzausschnitt in grün. Alli trug einen blauen Jeansrock und ein graues Top. Ihre Haare hatte sie zu einem Dutt gebunden. Ihr Fuß wippte ständig unter dem Tisch. „Onkel, kannst du nicht Kontakt aufnehmen?“ „Nein, ich könnte ihr Versteck verraten. Aber Alli, was ist denn los?“ „Ich will wissen, ob es allen gut geht. Besonders Auri.“ Laila grinste in ihren Espresso. Während der Tage, die vergingen unternahm sie mal etwas mit ihrem Onkel, mal begab sie sich in den Keller und trainierte bis zur vollständigen Ermüdung. Als sich der Sommer dem Ende zu neigte und ihr Geburtstag im September kurz bevor stand, war Alli braun von der Sonne und absolut sportlich. Ihr dürrer Körper war nun grazil und sportlich. Sie spielte mit dem Gedanken sich die Haare abzuschneiden, jedoch liebte sie ihr Haar. Schleppend gingen die Tage vorbei. Sonne und Mond brauchten ewig um sich die Hände zu reichen. Eines Abends, Alli kam gerade aus dem Keller vom Sport, blieb sie vor der Türe zu Dhiro's Zimmer stehen. Verstohlen blickte sie sich um. Sie war nun 19 spürte aber, bis auf ihre Sportlichkeit, noch keine Veränderung. Leise drückte sie die massive Klinke herunter. Überrascht darüber, dass die Türe nicht verschlossen war, stand sie erst einmal erschrocken davor, bis sie sich fing und in das dunkle, warme Zimmer eintrat. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, das Bett ordentlich gemacht. Sie entdeckte die beiden schwarzen Gitarren neben dem Fenster. Es war beinah unpersönlich, bis auf diese beiden Gitarren. Dann jedoch, fiel ihr Blick auf ein Buch. Es lag aufgeschlagen auf dem Nachttisch neben dem Bett. Beim näheren Hinsehen erkannte sie, dass es der Krimi war, den sie ihm vorgelesen hatte, nur, dass er ihn weitergelesen haben musste. Sie berührte den Stoff der Bettdecke. Sie war eiskalt. Seit fast einem Jahr nun, waren die Krieger verschwunden. Ihr Onkel hatte ihr gesagt, dass es zu gefährlich sei, bei einer solchen Mission Nachrichten zu versenden. Doch sie hatte ihn und Laila reden hören, dass Dämonen sich Nachrichten schicken konnten, ohne Papier. In Bildform in den Kopf des andern, so vermutete Alli zumindest. Ihr Onkel hatte zu Laila gesagt, dass er nun schon seit Monaten keine Bilder mehr empfing und hoffte das alles gut sei. Selbst Laila hatte ihre herablassende Art abgelegt. Doch Alli hatte kein Interesse viel Zeit mit den beiden zu verbringen. Entschlossen ging sie zum Schrank des Hünen und zog die Türen auf. Ein Stapel T-Shirts lenkte ihren Blick auf sich. Sie zog eines heraus und klemmte es sich unter den Arm. Dann schloss sie den Schrank wieder und verschwand aus dem Zimmer. Hastig eilte sie in ihr Zimmer und verschloss die Türe von innen. Sie vermisste ihn. Schmerzlich wurde ihr immer wieder bewusst, dass ihr Wutausbruch und sein Verhalten nichts daran geändert hatten, was für verwirrende Gefühle sie hatte. Die laute Hausglocke, ließ sie aufschrecken. Ihr Zopf wackelte hin und her, als sie zu ihrer Zimmertüre eilte, um durch einen Spalt nach unten zu sehen. Ein schmächtiger blonder Junge kam herein, der ihr irgendwie bekannt vorkam. „Alli?“ rief ihr Onkel, der freudestrahlend auf den Jungen zu ging. Langsam ging sie aus dem Zimmer. Auf halber Höhe sagte ihr Onkel: „Ah, wie schön. Ich weiß du erinnerst dich nicht an alles, aber das ist dein Retter. Nesil, das ist Alliara.“ Der blonde Junge verbeugte sich, was Alli irritierte. „Ich habe dich gefunden, im Nest des Feindes, in dem ich als Sklave gehalten wurde.“ Ihre Augen wurden groß und ein Bild flammte vor ihrem inneren Auge auf, wie er, Nesil, ihr Essen brachte, während sie gefesselt im Turm bei ihrem ersten Mann lag und dann relativ frei auf dem Bett, ihres zweiten Mannes. Sie hielt sich den Kopf, da sie einen leichten Kopfschmerz verspürte. „Du warst da? Bei beiden Ehen?“ Er nickte. „Ich ließ mich immer mit verkaufen. Ich war ein guter Arbeiter, aber den Dämonen treu ergeben.“ Myrancor, ihr Onkel, lächelte breit. „Dhiro hat beantragt, dass er zum einen hier ausgebildet wird und dass er eine Auszeichnung erhält.“ Dann schwand sein Lächeln. „Nur bin nur ich hier, um dich auszubilden, alle anderen sind im Krieg.“ Auch Nesil wirkte betroffen. „Ja,“ begann Alli unbehaglich. „Danke nochmal, wir sehen uns ja nun öfter. Ich gehe duschen,“ endete sie an ihren Onkel gewandt. „Alli, wir wollen gleich zusammen essen. Es hat sich noch jemand angekündigt, den du eventuell kennen lernen solltest.“ Sie sah ihn fragend an, doch sein Blick sagte ihr, dass sie es selbst herausfinden musste. Seufzend lief sie in ihr Zimmer. Indira stand an ihrem Schrank und hing ihr eine Auswahl von Kleidern heraus. „Ernsthaft? So jemand ist es, den ich kennen lernen sollte?“ Indira sah sich um und sagte leise: „Es ist einer, der würdig erachtet wird vom Gebieter!“ „WAS?“ Indira erschrak sichtlich. „Aber es ist doch nicht mal sicher, dass ich das Gen habe?“ Sie ließ den Kopf hängen, als sie antwortete: „Aber der Gebieter hielt es für eine gute Idee, wenn du ihn bereits kennen lernst und er schien sehr interessiert.“ „Oh, na dann.“ Mit einem finsteren Gesicht knallte sie ihre Badezimmertüre zu. Ihre Wut verwandelte sich alsbald in Trauer. „Oh, Dhiro, wo bist du nur?“

Er hatte sich ausliefern lassen, damit seine Krieger nicht aufflogen. Narben zierten sein Gesicht, seine Brust, Arme und Beine. Bis auf seine Shorts war er unbekleidet. Man hatte ihm seine Hauptmann-Kette der Bastion abgenommen. Ihn mit ausgebreiteten Armen und Beinen an eine Vorrichtung gehängt. Seit gut zwei Monaten hing er dort. Was er nur daran merkte, wenn er durch das Fenster die Sonnenunter- und Sonnenaufgänge zählte. Seine Krieger durften dadurch, dass sie mutmaßlich neu bei den Jägern waren nicht zu ihm. Größtenteils kamen immer die gleichen drei Männer zu ihm. Er war zum Beginn des Krieges schon nicht fit gewesen, geschweige denn jetzt. Ein Jahr ging der Krieg nun fast schon. Keine Folter, die sie ihm antaten, war so groß, wie das Leid, dass er empfand, als Alliara ihm nicht die Türe geöffnet hatte und er sie weinen hörte. Seven hatte auf dem Weg zum Lager gesagt, dass er aussehe, als habe er sich aufgegeben. Vielleicht versuchten sie deshalb ihn nicht zu retten. Hoffentlich waren sie alle in Sicherheit. Hoffentlich war Alliara in Sicherheit. Er seufzte. „Och, so theatralisch heute?“, höhnte eine Stimme von der Türe aus. Dhiro antwortete ihm nicht. Das vernarbte Gesicht des Mannes kannte er gut genug. In seinem Kopf hatte er gesehen, dass nicht die Dämonen ihm das angetan hatten, sondern Vampire. Aber als er ihm das sagte, schlug und folterte er ihn noch härter. „Heute habe ich etwas schönes mit dir vor. Deine Finger und Füße sind noch relativ unversehrt.“ Okay, dachte Dhiro, das würde schmerzhaft werden und er hatte genau genommen nur eine Körperregion, an der sie noch nicht geschnippelt hatten. Na ja, auch egal. Er hatte 100 Jahre lang nichts damit zu tun gehabt. Und wahrscheinlich würde er nicht damit leben müssen. Also sollte es ihm herzlich egal ein. „Immer noch sprachlos, Herr Dämon?“ Dhiro starrte aus dem Fenster. Er konnte Negra erkennen. Er hoffte sie würden ihn nicht genau jetzt retten. Das könnte eng werden, für seine Krieger, doch als er ein weiteres Mal zum Fenster sah, war Negra verschwunden. „Ich fange mit deinen Füßen an.“
Er wusste nicht, wie oft und wie lange er ihm sämtliche spitze Gegenstände unter die Nägel der Zehen und Hände rammte, wie oft er drehte und zog. Wie oft er die Zange ansetzte, um zu ziehen. Dhiro's Blick war so getrübt, dass er nicht mal jetzt erkennen konnte, wie viele Nägel er an Händen und Füßen noch besaß. Bevor er ging, hatte sein Peiniger ihm noch mit einer scharfen Rasierklinge die Füße von unten aufgeschnitten. Er wurde zusehends schwächer. Sollten sie ihn retten wollen, würden sie sich beeilen müssen. Ansonsten, sollten sie einfach fliehen. Ihr Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Wie entsetzt sie ihn ansah, als er versuchte sie zu beeinflussen. Er schämte sich. Aus seiner Unsicherheit heraus war ihm keine andere Lösung eingefallen. Ich schaffe das nicht ohne dich, dachte er. Dann verschluckte der Nebel ihn vollends.
Lautes Getöse und der Geruch von verbranntem Fleisch weckten ihn. Oh, nein, dachte er nicht wieder der Traum. Er blinzelte ins Feuer. Aber es war anders. Er hing immer noch in dem Kerker der Jäger, nur dass der Raum um ihn herum brannte. In seinem Traum hatte er an einer Laterne gestanden. Er rief sein wummerndes Herz dazu aus, Ruhe zu bewahren, doch es gehorchte ihm nicht und pumpte wie verrückt Adrenalin und Blut durch seinen Körper. Er zerrte an seinen Fesseln, spürte, dass seine Füße mit dem Feuer in Kontakt kamen. Er war zu stolz, um zu schreien. Eher würde er sich die Zunge abbeißen, sie verschlucken und daran ersticken. Plötzlich nahm er einen Windhauch war. „Ich heb dich runter, Hauptmann.“ „Seven,“ keuchte er. Der Mann mit den sieben Fähigkeiten. Seven konnte schnell laufen, wie der Wind, in die Psyche sehen, hatte ein mediales Talent für die Zukunft,er konnte Gefühle verändern und erspüren, mit Tieren kommunizieren, Heilkunde betreiben und zu guter Letzt konnte er unendliche Kraft aufwenden. In dieser Situation war diese Gabe in Verbindung mit der des schnellen Laufens einfach unerlässlich. „Sobald wir draußen sind wird Negra uns alle mit der Unsichtbarkeit belegen. Viele Jäger sind tot, auch einer der Anführer, bei den anderen beiden sind wir uns nicht sicher. Aber sie beginnen bereits die Feuer zu löschen!“ Er löste gerade die letzte Kette, als Dhiro schlaff auf ihn hinab fiel. „Oh, Hauptmann, du hättest gar nicht mitkommen sollen.“ Ihm fehlte vollends die Kraft zu widersprechen. „Geht es allen gut?“ „Ja, alle unversehrt. Die ersten sind vor einer Woche nach Hause aufgebrochen.“ „Wie lange waren wir weg?“ „Fast 1 ½ Jahre.“ Dhiro stieß einen dämonischen Fluch aus, als das Feuer seinen Rücken benetzte und er zischen die Luft einzog. „Halt dich fest.“ Seven rannte mit ihm geradewegs auf die Wand des Kerkers zu, in der das Fenster war. Wie einen Rammbock hielt er seine Hand vor sie und durchstieß die Wand. Krachend landeten sie auf dem Rasen dahinter. Wind zischte durch sein versenktes Haar. Nach Hause, dachte er und verlor abermals das Bewusstsein.

7

 Sie hasste ihn! Nicht weil er unfreundlich oder ungehobelt war. Er war nicht mal wirklich hässlich. Aber sie hasste ihn. Er stolzierte mit ihrem Onkel durch den Garten. Sie hatte sich alle Mühe gegeben nicht salonfähig zu sein. Zerschlissene Jeans, ein riesiger schwarzer Schlabber-Pulli und einen hohen Zopf auf dem Kopf. Doch dieser Heiratsanwärter schaffte es sogar bei seiner Begrüßung mit Kusshand, sie dazu zu bringen, sich wie eine Prinzessin zu fühlen. Zurdak sah aus, wie man sich als kleines Kind einen Dämon vorstellte. Dürr, groß, mit langgliedrigen Fingern, stechende grüne Augen und pechschwarzes langes Haar, welches er zurück gekämmt trug. Er war schlichtweg nicht ihr Typ. Besonders sein fettig anmutendes Haar und der schwarze Anzug mit Krawatte ließen ihn wirken, wie einen Bestattungsunternehmer. Langsam folgte sie den beiden. Nesil, der Küchenjunge beobachtete sie aufmerksam, während er Liegestütze auf dem Rasen machte. Es schien, als würde er Zurdak keine Minute trauen und ihr ging es ähnlich. Es war bereits sein dritter Besuch in einem halben Jahr. Und sie hasste ihn mehr und mehr. Sogar Laila fand ihn furchtbar. „Aber du weißt ja, wie die Regeln sind. Wenn du niemanden findest, den auch der Gebieter würdig findet und du hast das Gen, dann wird so deine Zukunft aussehen. Schmierung und schleimig.“ Erst hatte Alli darüber gelacht, dann war ihr Lachen verstummt, genau wie Laila's. Die Frauen tauschten einen Blick, dann sagte Laila zum ersten Mal etwas wirklich freundliches. „Ich wünsche dir, dass er es nicht wird. Ich traue ihm nicht. Such so gut du kannst, wenn es so weit ist.“ Alli hatte daraufhin ernst genickt. „So ein wundervolles Wetter, findest du nicht, Alli?“ Er hatte sich zu ihr umgedreht. Und sie zog daraufhin die Augenbrauen zusammen. „Nenn mich nicht Alli.“ Sie wusste, dass es albern war, da sie eigentlich mittlerweile alle Alli nannten, nun ja, zumindest alle die, die im Moment im Haus wohnten. Er seufzte und sah sie mitleidig an. Plötzlich hörte sie Trubel aus der großen Halle. Sie nahm ihre Hände aus der Bauchtasche ihren Kapuzenpullovers und rannte los. „Alli, sei nicht unhöflich,“ rief ihr Onkel ihr hinterher. Schlitternd kam sie in der gefliesten Eingangshalle zum stehen. Ihr Bruder war vollkommen verschmutzt und saß auf dem Boden, gleich neben Lio. „Auri,“ rief sie und rannte auf ihn zu. Egal, wie er roch und wie schmutzig er war, sie warf sich ihm an den Hals. „Ich hab dich vermisst, mein Bruder.“ „Alli, ich stinke und bin schmutzig. Aber ja, ich bin auch froh dich zu sehen.“ Lio starrte sie mit erhobenen Brauen an und auch ihr Bruder machte nun Augen, als sie einen Schritt zurück trat. „Wow? Nimmst du Anabolika?“ Sie schüttelte den Kopf hörte jedoch nicht zu. Sie ließ den Blick über die Menge schweifen, entdecke ihn jedoch nirgends. Rhed stand neben Mojow und der andere musste Misha sein Bruder sein. Panisch sah sie sich um. „Nur so wenige?“ „Nein, Daria hat uns nach Hause geschickt, damit sie den Plan besser ausführen konnten. Die anderen sind noch da.“ Laila schwebte in die Halle. „Hier stinkt es,“ sagte sie Nase rümpfend. „Wo sind Negra und Daria?“ Alli sah zu ihr. Wieso sorgte sie sich lediglich um die zwei Frauen. Als plötzlich der Groschen fiel und Alli es nicht vermeiden konnte los zu lachen. Laila sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Sie wollte gerade unter Lachen erklären, was sie so amüsant fand, als die Türe abermals aufging und ihr Lachen erstarb. Alle, die saßen sprangen auf. Daria kam herein, Panik und Furcht zierten ihr Gesicht. Dicht gefolgt kam Negra herein. Und Seven, der etwas hinter sich her schliff. Seven brach am Boden zusammen, als sich die Türe hinter ihm laut schloss. „Myrancor,“ rief Daria. Laila eilte zu Seven. „Ich brauche nichts, wir müssen ihn runter schaffen. Ich habe seit gestern seine Atmung nicht mehr kontrolliert.“ Rhed, Mojow und Misha liefen auf das Bündel zu. Sie sah Dhiro nicht. Panik machte sich immer mehr in ihr breit. Ihr Onkel kam schnell herbei gejoggt. Gefolgt von Zurdak, der gemächlich hinter ihm her schlenderte. „Ich werde gehen. Bis demnächst.“ Er hauchte Alli einen Kuss auf die Hand, was ihr ein Knurren entlockte und ihr Bruder sah zu ihr auf. Zurdak verschwand. „Oh meine Güte,“ rief Myrancor. „Wartet, ich helfe euch.“ Es benötigte vier Männer und Lio, der die Türen öffnete. Ihr Bruder stand ebenfalls auf. „Braucht ihr mich?“ „Nein, Auri, aber bleib auf Abruf.“ Alli wollte hinter ihnen her. Sich vergewissern, dass er es war. Doch sie war wie erstarrt. Daria lief weinend und von Laila gestützt an ihr vorbei. Laila warf ihr einen Blick zu und formte ein Wort mit den Lippen. „Dhiro!“ Alli fiel auf die Knie und ihr Bruder half ihr wieder hoch.
Es vergingen fünf Tage. Fünf Tage, in denen man sie nicht zu ihm ließ. Natürlich ohne es zu begründen. Nie waren alle zusammen beim Essen. Mindestens zwei überwachten ihn. Niemand sagte ihr, wie es ihm ging. Daria allerdings organisierte ein Fest, also ging sie davon aus, dass es nicht so schlimm sein konnte. Sie lenkte sich mit Sport ab sowie Büchern und Musik. Ihr Onkel sah sie immerzu an und wenn sie seinen Blick erwidern wollte, sah er weg. Sie joggte gerade ihre vierte Runde um das Anwesen, als Daria sie rief. „Hey,“ sagte sie ruhig. Ihre blauen Augen musterten sie kühl. „Hey,“ erwiderte Alli und dehnte ihre Oberschenkel. „Heute Abend ist eine kleine Feierlichkeit, du bist herzlich eingeladen. Das Motto ist Opernball.“ Alli runzelte die Stirn. „Eine Mottoparty? Während dein Bruder mit dem Tod ringt?“ „Das tut er nicht,“ flüsterte sie. Dann straffte sie die Schultern und sagte: „Du musst ja nicht kommen, wenn du nicht willst, Cinderella.“ Alli schüttelte den Kopf und steckte sich diesmal beide Kopfhörer in die Ohren bevor sie, schneller als zuvor, weiter rannte.
Am Abend trat Alli aus der Dusche. Sie betrachtete ihre langen hellbraunen Haare. „Indira?“ „Ja, Alli?“ Indira stand in einem grünen Sari in ihrem Zimmer und sortierte einige bauchige und pompöse Kleider auf dem Bett. „Würdest du mir helle Strähnchen in die Haare machen? Ganz hellblond?“ „Wenn du das willst, sicher. Noch heute?“ Alli nickte. „Nur wenn es keine Umstände macht.“ „Nein, aber du könntest ein wenig zu spät kommen.“ Alli zuckte die Achseln und setzte sich auf den Stuhl an der Frisierkommode. Während Indira um sie herum huschte, ihr die Haare färbte, nach dem waschen, kämmte und frisierte und sie dann schließlich schminkte, ging ihr der letzte Tag mit Dhiro durch den Kopf. Sie wusste, dass sie nicht zu hart zu ihm war. Sie musste sich nicht alles gefallen lassen, besonders, wenn er sie mochte, dann durfte er sie nicht manipulieren, das gehörte sich einfach nicht. Sie jedenfalls hatte ihn keinen Tag vergessen. Sie war gekränkt, weil sie ihn noch nicht gesehen hatte. Wütend, weil man ihr nichts sagte. Aber sie war auch wütend auf sich, da sie vermutete, dass er nicht gegangen war, ohne sich von ihr verabschieden zu wollen und sie war so kindisch gewesen die Türe nicht zu öffnen. Alli, fragte sie sich, was wäre, wenn er gestorben wäre? Das hättest du dir nie verziehen und hättest Sport gemacht, bis du tot umgefallen wärst. Sie seufzte. Als sie ihre Augen schloss, sah sie ihn vor sich. Wie sie ihn zum ersten Mal sah. Das Hemd, dass um seine Arme spannte, als er die Manschettenknöpfe schloss, das blaue Jackett über dem Arm, welches seine strahlend blauen Augen betonte. Sie lächelte, als sie ihn vor sich sah, mit der Sonnenbrille auf der Nase in dem Cabrio, mit einem echten Lächeln auf den Lippen. Sie hörte, wie Lio ihr sagte, dass er nie lachte und wenn das Lachen seine Augen nicht erreichte und sah dann die widersprüchlichen Bilder vom Strand. Sie kannte sein Lachen. Aber war das Liebe? Und was nutzte es schon? Wenn Zurdak das war, was der Gebieter sich vorstellte, hatte sie keine Chance mit Dhiro. Aber gab es die überhaupt? „So, fertig,“ unterbrach Indira ihre Gedanken. „Nur noch Kleid und Schuhe.“ Alli sah sich die Kleider an, die auf dem Bett lagen. Alle waren riesig und ausgefallen. Darüber lag jeweils eine passende Maske. „Ich habe gehört, wie Laila und Daria darüber sprachen, dass ihre Masken traumhaft seinen und dass das auf einem Opernball Standard wäre. Dann habe ich zu jedem Kleid eine außergewöhnliche Maske gekauft.“ Alli lächelte Indira an. Sie entschied sich für ein dunkelblaues mit einer Corsage, mit Unmengen glitzernder Steine. Indira band ihr die Corsage, so das sie gerade noch Luft bekam. Der glitzernde Rock raschelte bei jeder ihrer Bewegungen. Darunter trug sie schwarze Strümpfe und ein Paar dunkelblauer Samt-Pumps. Die Maske sah aus, wie das Gesicht einer Katze, mit blauen Federn, lila Samt und ebenfalls hellen Glitzersteinen. Ihr neu erblondetes Haar wallte ihr auf einer Seite über die Brust. Indira hatte eine kompliziert wirkende Flechtarbeit an ihren Haaransatz entstehen lassen. „Indira, du bist eine Magierin.“ „Nein, du bist einfach nur wunderschön.“
Als es klopfte erschrak Alli leicht. „Es ist dein Bruder. Er begleitet dich.“ Ihr Bruder trat herein. Er trug eine schwarze venezianische Maske mit einer langen Krähennase. „Wow, Alli, du siehst umwerfend aus.“ Alli machte einen Knicks. „Danke,“ sagte sie. Sie schritten aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. „Wir kommen ein bisschen spät, oder?“ „Ja, aber das ist nicht so schlimm.“ Ein Orchester saß in der großen Halle an der Wand und spielte langsame Walzer. Eine kleine Bühne war unter dem Dirigent zu sehen, neben der auch Daria stand. Alle trugen Masken, nur manche waren deutlich zu erkennen, wie Rhed, dessen rote Haare man nun mal auf 300 km Entfernung sehen konnte. Er stand neben Negra, vermutete Alli, denn die kleine dunkelhäutige Frau trug ein olivfarbenes Kleid. „Alli, mein Stern.“ Ihr Onkel stand am Fuß der Treppe. Er schob die indianisch wirkende Maske von seinem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Meine Kinder,“ sagte er und hielt ihre beider Hände. Dann drehte er sich herum und setzte die Maske wieder auf. Aus dem Bereich des Esszimmers drangen lauter wunderbare Gerüche und Alli's Magen machte sich bemerkbar. Sie hatte seit Tagen nichts vernünftiges gegessen, nur Obst. „Guten Abend, alle miteinander. Der Ehrengast befindet sich zur Zeit noch in seinen Gemächern, ließ aber verlauten, dass er bald kommen möge und wir bereits mit Speis, Trank und Tanz beginnen sollten. Also, lasset den Tanz beginnen.“ Daria stieg hinunter, als ein paar Einzelne applaudierten. Daria ließ sich von einem etwas größeren Dämon zur Tanzfläche führen und als die Musik einsetzte, wogten sie im Walzer hin und her. „Willst du etwas trinken?“ „Nein, lieber erst mal etwas essen.“ Er musterte sie. „Das hast du dringend nötig, stimmt.“ Er führte sie in die Küche. Sie lud sich Salat auf den Teller und mageres Hähnchenfleisch. Sie spürte den Blick ihres Bruders auf sich. „Auri, ich hol mir nachher noch Nachtisch, versprochen.“ „Solltest du wirklich gewandelt werden braucht dein Körper Kraft.“ „Jup, das dauert noch. So lange esse ich, was ich will!“ Er schwieg und durch die Maske konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Sie aß langsam und das Hungergefühl stellte sich schnell ab. Sie fühlte sich papp satt, nachdem sie einen halben Teller gegessen hatte. Während sie nun auf ihrem Platz saß, beobachtete sie die Menge. Sie vermochte Dhiro's breite Schultern nicht auszumachen. „Na,“ fragte ein hoch gewachsener Mann mit einer weißen Porzellan-Maske. „Lio?“ Er nickte und setzte sich dazu. „Hör zu, du sieht toll aus, aber ich kann sehen, dass du nur noch aus Muskeln bestehst und kaum etwas isst.“ Sie rollte mit den Augen. „Könnt ihr mal 'ne andere Platte auflegen?“ Er sah zu Boden. Ein neues Lied wurde angestimmt. Lio erhob sich. „Tanzen, Mylady?“ Widerwillig ließ sie sich auf die Füße ziehen. Ihr Bruder setzte sich, um seinen zweiten Teller zu essen, während sie mit Lio zur Tanzfläche ging. „Ich kann gar nicht wirklich tanzen.“ Er kicherte heiser. „Lüg nicht. Ich weiß, dass Myrancor dir es beigebracht hat.“ Grummelnd legte sie eine Hand auf seine Schulter. Sie tanzte zwei mal hintereinander mit ihm. Dann wurde ihr schwindelig und sie wollte sich setzen. Als Daria's Stimme ertönte. „Macht Platz für den Ehrengast!“ Alli wirbelte herum und versuchte nicht zu Schwanken. Nun kam zu ihrem Schwindelgefühl noch die kribblige Vorfreude, ihn wieder zu sehen, hinzu. Die Türe zu seinem Zimmer öffnete sich und eine Frau in einem silbrig langen Kleid erschien. Erschrocken zuckte Alli zusammen, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen. Hinter der Frau, die sich nach dem Mann, der nun kam, umdrehte, erschienen schwarze Krücken. Darauf gestützt erschien ein breitschultriger Mann, dem es sichtlich unangenehm war, von allen angestarrt zu werden. „Unser Hauptmann Dhiro und Valira, die Schwester unserer Kriegerinnen-Freundin Shila.“ Laila kam zu Alli. „Nicht.“ Alli sah sie verständnislos an. „Du siehst aus, als würdest du sie töten wollen. Hier und auf der Stelle. Bleib ruhig.“
Die Augen hinter der dunklen Dämonenmaske, blickten suchend umher. Und fanden sie. Er humpelte weiter auf Krücken durch den Raum. Die Frau hatte eine Hand auf seinen Rücken gelegt. Valira, der Name brannte sich wie Feuer in ihre Eingeweide. Ihre Lippen zitterten. Warum nur hatte sie gedacht, dass er sie mochte? Sie schloss die Augen, um den Blickkontakt abzubrechen. Doch spüren, dass er sie anstarrte, konnte sie immer noch. „Komm,“ flüsterte Laila. Sie nahm ihre Hand und führte sie in den Garten. Alli drohte abermals zusammen zu brechen. Ihr war heiß und kalter Schweiß brach ihr aus. Laila schloss die Türe, die sie zurück nach drinnen geführt hätte. Daria's Rede und der nachfolgende Applaus waren kaum zu hören. „Danke, Laila.“ „Ich weiß, du hasst mich, aber ich bin nicht dein Feind. Auch Valira nicht. Sie ist nicht Dhiro's...“ Anscheinend suchte sie nach einem Wort, dass ich verstand. „Freundin. Sie hat ihm vermutlich nur ihr Blut gegeben. Weil er sonst nicht überlebt hätte.“ „Nur?“, fragte Alli verächtlich und sank ermattet auf einen Stuhl. „Er hat mir erzählt, was das bedeutet, er hat mir erzählt, was alles passieren kann, wenn er...“ Sie hielt inne, unsicher, was sie erzählen konnte. „Wenn er dein Blut trinkt,“ beendete Laila den Satz. „Ich weiß Bescheid, wie du fühlst.“ „Du weißt gar nichts, ich weiß es nicht mal selbst. Gerade hasse ich ihn. Ich wünschte, dass seine Krücken durchbrechen und er mit dem Gesicht auf den Boden aufschlägt.“ Laila lachte leise. „Das darfst du auch. Er hat es verdient, dass du ihn hasst.“ Sie kniete sich neben sie. Ihr silbriges Haar leuchtete und sie legte eine behandschuhte Hand auf Alli's Oberschenkel. „Aber er hat dir nicht erzählt, dass wir zum Heilen nur Dämoninnen Blut verwenden, welches stark verdünnt ist. Sonst würde ja jeder Krieger jeder Frau im Haus verfallen. Es ist meist eine Mischung von 1 zu 10. Mit Wasser. Wir sind keine Vampire. Meist ist es nicht mal ein Genuss, von dem man da sprechen kann.“ Oh, dachte Alli. „Also reg dich ab. Sie wird nur bei ihm geblieben sein, um ihm falls nötig noch etwas Blut zu reichen.“ „Ja, sicher, oder um ihm in seine Unterwäsche zu helfen.“ Ihre Stimme war nur ein Brummen. „Du bist ja hochgradig eifersüchtig und hast eine blühende Fantasie.“ Schnaufend atmete Alli durch. Laila erhob sich. Sie lief ein paar Schritte und kam wieder zurück. „Du weißt es, oder?“ fragte sie dann. Alli sah auf. „Ja, es ist mir aufgefallen. Ich konnte nicht verstehen, wieso du Dhiro abgelehnt hast. Und hab dich daraufhin ein bisschen beobachtet. Habe mich auch an deinen Blick zurück erinnert, als ich den Bikini an hatte sowie, dass du dich zuerst nach Daria erkundigt hast und Negra. Und da wurde es mir klar. Dhiro hatte mir gesagt, dass du kein Interesse an ihm hattest und ihn daher abgelehnt hast. Und weil es plötzlich so absurd offensichtlich war musste ich lachen, weil, nun ja, ich hab es nicht verstanden und dich gehasst, dass du ihn einfach so haben konntest und ich...“ Sie ließ den Satz unbeendet. „Du weißt nicht, ob du ihn liebst, oder?“ Sie dachte kurz nach. „Nein, dass weiß ich wirklich nicht. Manchmal hasse ich ihn so sehr, dass es weh tut und an anderen Tagen, wieder nicht. Ich liebe ihn, wie meinen Bruder. Wie Lio, aber wie findet man heraus, ob da mehr ist?“ Jemand blies in ein Horn. „Oh je. Die Herren haben die Damenwahl und jeder muss tanzen. Wir müssen rein, das ist unsere Pflicht. Lass den Kopf nicht hängen, Süße. Dein Geheimnis ist bei mir sicher, wenn,“ „Wenn es deins auch bei mir ist. Ist es, Laila!“ Sie nahmen sich an den Händen und gingen zurück in die Halle. Alli quetschte sich an den Rand, hinter Laila, machte sie sich möglichst klein. Eisern hielt die Dämonin ihre Hand fest. Dhiro hatte die Krücken abgestellt und sah sich um. Sein Blick blieb an seiner Schwester hängen, die lächelte und einen Schritt auf ihn zu machte, doch er humpelte weg. Wie Scheinwerfer suchten seine Augen den Raum ab und obwohl sie vermied hinzusehen, spürte sie automatisch, als sein Blick sie erfasst hatte. „Er sieht dich an, All,“ flüsterte Laila. „Er erkennt mich nicht, ich trage eine Maske, habe eine andere Figur und eine andere Haarfarbe und noch längere Haare.“ Laila kicherte leise. „Red du nur, du dummes Kind.“ Plötzlich ließ Laila ihre Hand los und sie spürte ihn neben sich stehen. Er streckte ihr die Hand hin. Auch er trug Handschuhe. Sie sah auf die Hand, vermied den Blick in seine Augen und ergriff sie. Er humpelte sehr stark, das fiel ihr nun sehr auf. Sie konnte kein Stück von seinem Gesicht sehen, weil die Maske so groß war. Endlich fanden seine Augen, die ihren. Dhiro versuchte all seine Gefühle und Gedanken in den Blick zu legen, doch Alli sah ihn genauso ungerührt an, wie vorher. Er legte eine Hand an ihre Hüfte und griff die andere fest mit seiner Hand. Alli spürte den Siegelring an ihrer Hüfte liegen. Als sie ihre Hand behutsam auf seine Schulter legte, schloss er die Augen. Sie könnte schwören ihn Seufzen zu hören. Langsam setzte die Musik ein und Dhiro tanzte mit ihr über die große Fläche. Als sie ihren Blick widerwillig von seinen Augen löste, sah sie, dass niemand anderes tanzte. Sie würde Laila umbringen. Alle starrten sie an. Trotz Dhiro's Handycap tanzte er großartig. Flüssige, weiche Bewegungen, so als hätte er nie etwas anderes getan. Das Lied schien unendlich, doch Alli konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie fürchtete um ihre Erinnerungen. Als das Lied endete brandete Applaus um sie herum auf. Dhiro ließ sie los. Hob ihr Kinn an, so dass sie ihm kurz in die Augen sah, die sehr traurig aussahen, dann neigte er den Kopf, nahm ihre Hand und hauchte mit der Maske einen Kuss darauf. Sie hielt die Luft an. Diese Geste fühlte sich von ihm so intim an, dass sie beinah meinte, er hätte sie mit seinen bloßen Lippen auf den Mund geküsst. Doch das hatte er nicht. Und würde er nie tun. Kapier es, Alli. Sie standen da, einander gegenüber. Keiner wollte als Erster gehen. Plötzlich griff er nach ihrer Hand. Sie spürte seinen Schmerz, eher, als alle anderen und stützte ihn. „Hauptmann,“ rief Seven's Stimme und sie entdeckte den silberblonden Mann, mit einer lila Federmaske, als er mit den Krücken auf sie zu eilte. Sie hatte ihn schon einmal so gestützt. Nun war sie erschrocken. Beim letzten Mal, war sie unter seinem Gewicht beinah zusammengebrochen. Nun, sie hatte zwar etwas trainiert, aber er fühlte sich dürr an, durch das dünne Gewebe des Anzuges. Und sehr heiß. Er war wieder einmal nicht vollständig gesund. Warum ließen sie ihn nicht einfach mal in Ruhe? Er nahm die Krücken in die Hand, doch dieses Mal folgte sie ihm. Er wandte sich in den Essbereich, ließ sich da auf einen Stuhl fallen. Ungefragt, griff Alli an der Bar in den Kühlschrank und goss ihm ein Glas Whiskey ein. Sie stellte es vor ihn. Unbeholfen fummelte er am Hinterkopf an der Maske herum. Sie schob seine Hände weg und öffnete sie. Als die Maske Dhiro's Gesicht frei gab, atmete er tief durch. Alli wollte vor ihn treten, doch er hielt sie zurück. „Nicht,“ sagte er atemlos. „Bitte?“, fragte sie verständnislos. „Ich will nicht, dass du mein Gesicht siehst. Zieh mir gleich einfach die Maske wieder auf.“ Sie schnaubte. „Bitte,“ flehte er beinah. „Dhiro, du machst mir Angst.“ „Hab ich das nicht beim letzten Mal getan?“ „Nein, da hast du mich verletzt und enttäuscht.“ „Es tut mir Leid. Aber du hast einfach Recht, ich kann nicht mit Frauen umgehen.“ Sie sah auf und seufzte, dann riss sie die Augen auf, als ihr Blick auf eine Kanne fiel, die Dhiro's Gesicht spiegelte. Es war leicht verzerrt, aber die roten, großen Narben waren gut zu erkennen. „Oh, bitte.“ Sie ging vor ihn. Kniete sich hin. „Du solltest das nicht sehen.“ Er hob seine Hand, um sein Gesicht weitestgehend zu bedecken. Behutsam schob sie seine Hand nach unten. Er presste die Augen aufeinander. „Wer hat dir das angetan?“ Ihre Stimme war ein sanfter, entsetzter Hauch. Man hatte ihm wortwörtlich im Gesicht herum geschnitten. Von seinem rechten Ohr, verlief eine Narbe über das rechte Augenlid, den Nasenbogen, bis hin zur linken Wange. Von der linken Kinnhälfte aus, führte ein Schnitt quer über seine Lippe, die beinah geteilt wirkte,bis hin zum unteren Teil des rechten Ohrs. Seinen Hals zierten Einstiche. Sie zog die Handschuhe von seinen Händen und er ließ sie gewähren. Sie sog die Luft ein und schlug sich eine Hand vor den Mund. Dort, wo vorher Fingernägel waren, waren nur noch Löcher, die langsam zu wuchsen. Ihre Unterlippe zitterte, Tränen rannen hinter der Maske entlang. „Es kann sein, dass sie weggehen. Aber da es so schleppend voran geht, kann es sein, dass sie bleiben.“ Sie zog die Maske ab und sah ihm in die Augen. „Oh, Dhiro.“ Sie wusste nicht, wo sie ihn anfassen sollte, zum einen aus Angst ihn zu überfordern und aus Angst ihm weh zu tun. Sie entschied sich dazu, sich aufzurichten und einen Kuss auf seine relativ unversehrte Stirn zu platzieren. Seine Augen weiteten sich. „Es tut mir Leid, dass ich so kindisch war. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn du,“ Sie wusste nicht, wie sie das sagen sollte. Unbeholfen hob er die Hand und ließ sie wieder sinken. „Ich will nicht, dass du dich ekelst oder Angst vor mir hast. Bitte setzt mir die Maske wieder auf.“ Er sah zu Boden, die Enttäuschung in seinem Blick, brach ihr fast das Herz. „Dhrio, ich habe keine Angst vor dir und ich ekel mich auch nicht. Du bist immer noch wunderschön. Ich habe nur Angst dir weh zu tun.“ Behutsam fuhr sie mit dem Finger unter sein Kinn und hob seinen Kopf an. Er schloss die Augen, als er sah, dass sie weinte. „Wir bekommen das wieder hin, hörst du? Das alles.“ Sie zeigte auf ihn. „Wir finden einen Weg, du und ich.“ Seine Augen strahlten nun, als er seinen Kopf hob und ihr in die Augen sah. „Willst du etwas essen? Ich konnte dich fast ganz allein halten.“ „Das sagt die Richtige. Jetzt bist du komplett aus Muskeln und Knochen, ohne auch nur ein bisschen Körperfett.“ Sie lächelte und Tränen liefen aus ihren Augen. „Bitte nicht weinen, nicht um mich.“ „Um wen denn sonst?“ Sein linker Mundwinkel zuckte und deutete ein Lächeln an. „Wenn du etwas isst, esse ich auch etwas.“ Sie verdrehte die Augen, aber trat von ihm weg zu den langen Tischen mit den verschiedensten Speisen. Wieso heilte er nicht? Warum ließen seine ach so tollen Anhänger ihn nicht mal wieder zu Kräften kommen, oder seine Schwester. Niemand setzte sich für ihn und seine Gesundheit ein. „Etwas bestimmtes?“, fragte sie und versuchte ihre Stimme nicht allzu bedrückt klingen zu lassen. Sein Atem rasselte, als er Luft holte. „Nein, was leckeres. Fleisch!“ Sie lächelte und nahm sein leises Räuspern kaum wahr. „Du müsstest mir aber einen Gefallen tun.“ „Und der wäre?“ Ihre Stimme war leise und sie hielt in der Bewegung inne, um ihn verstehen zu können, doch sie spürte, wie unbehaglich er sich mit seiner Bitte fühlte. „Du musst mir das Fleisch klein schneiden und,“ Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. „du musst mich füttern.“ Sie drehte sich zu ihm herum. Ihre Maske verdeckte größtenteils ihr trauriges Gesicht, in dem sich Mitgefühl und voraussichtlich Liebe spiegelten. „Natürlich,“ sagte sie. Sie lud den Teller sehr voll, nahm Messer und Gabel zur Hand und setzte sich neben ihn an den Tisch. Eilig erhob sie sich wieder und zog die Türe zum Speiseraum zu. „Danke,“ sagte er. Geschäftig begann sie das Fleisch in kleine Stücke zu schneiden, goss nachträglich etwas Soße über die Kartoffeln und das Gemüse. Auch diese zerkleinerte sie. Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen und sie gab sich alle Mühe möglichst lange mit dem Teller beschäftigt zu sein. Ihr fehlte die Luft zum Atmen. Sie zitterte förmlich vor Angst um ihn. Hatte Laila nicht gesagt, dass Valira ihm Blut gegeben hatte? Um ihn zu heilen. Und nun saß er vor ihr. Bat sie ihm sein Fleisch zu schneiden, ihn zu füttern. Sein Gesicht war voller Narben und wer wusste, wo er sonst noch verletzt war. Er hatte stark gehumpelt. Er scheint auch Probleme mit den Händen zu haben, schlussfolgerte sie, auf Grund seiner Bitte. „Mit meinen Zähnen ist alles soweit in Ordnung, bis auf eine kleine abgebrochene Ecke.“ Kopfschüttelnd sah sie auf den Teller, dann verständnislos zu ihm auf. Mit der Hand, an der immer noch der seidige Handschuh glänzte, wies er auf den Teller. „Du zermatscht alles.“ Sie errötete leicht. „Entschuldige, ich bin in Gedanken.“ „Das sehe ich. Kann ich dir Fragen in deinen Gedanken beantworten?“ Seine blauen Augen schimmerten. Trauer und einen leichten Anflug von Panik konnte sie darin erkennen. „Nein, du isst erst einmal.“ Sie häufte ein Stück Kartoffel und ein Stück Fleisch auf die Gabel und reichte sie ihm. Zweifelnd mit einer erhobenen Augenbraue sah er sie an. „Was?“ „Keine Eisenbahn oder ein Flugzeug?“ Sie lächelte und er atmete die Luft, die er scheinbar die ganze Zeit anhielt aus. „Ich dachte schon, dass du nicht mehr Lächeln würdest.“ „So,“ begann sie, „Jetzt den Tunnel weit aufmachen. Jim Knopf rollt mit seiner Lokomotive heran.“ Sie ahmte Eisenbahngeräusche nach, während sie den gefüllten Löffel auf seinen geöffneten Mund zuführte. Er kaute und schluckte, bevor er den Mund wieder öffnete. So spielten sie das Spiel weiter, bis sein Teller leer war. „Möchtest du Nachtisch?“, fragte Alli, als sie sich erhob. Seine Augen blitzten kurz auf. „Ja,“ Seine Klimme klang rau, fast heiser. Sie griff zu einem Schokoladenpudding doch er sagte: „Bitte Vanille.“ Abermals lächelte Alli. Das Essen lief schweigend ab. Keiner der beiden sagte etwas. Es war keine beklemmende Stille, obwohl Alli sich alles andere als wohl fühlte. Nach dem zweiten Bissen Pudding räusperte Dhiro sich. „Also, Laila sagte, dass ein Gemahlsanwärter für dich hier war.“ Es war keine Frage. Doch Alli fragte sich, wieso sie darüber sprechen mussten. „Ja, das stimmt. Aber er ist ein Idiot. Und ich hasse ihn.“ „Ich bin auch ein Idiot,“ erwiderte Dhiro. Sie sah wieder in diese tiefen blauen Augen, nur um dann schnell wieder weg zu sehen. „Siehst du,“ sagte er. Seine Stimme klang niedergeschmettert. „Ich hab es geschafft, dass du mir nicht mal mehr in die Augen sehen kannst. Wieso hilfst du mir dann, Alli?“ Ihre Augen weiteten sich. Er hatte sie Alli genannt. Nicht förmlich Alliara, wie sonst. Sie legte den Löffel beiseite, da er aussah, als würde er keinen weiteren Bissen, ohne großen Protest zu sich nehmen. „Weil ich dich mag, Dhiro. Niemand hat es verdient, dass man ihm nicht hilft. Außerdem kümmern sich die anderen doch auch um dich. Valira, Laila, deine Schwester, deine Krieger. Jeder kümmert sich um dich. Dazu kann ich doch auch etwas beitragen. Schließlich wärst du ohne mich gar nicht erst verletzt worden.“ Ohne Vorwarnung sprang er auf. „Du hilfst mir nur, weil du dich schuldig fühlst?“ Seine Stimme war ein dumpfes Grollen. Leise, aber drohend. Alli stand ebenfalls auf. Er war zu schwach, um wütend zu werden. Seine Beine zitterten unter seinem Gewicht. „Komm,“ sagte sie und reagierte gar nicht auf seinen Ausbruch. Sie reichte ihm ihren Arm und als er ihn nahm zog sie ihn in Richtung Küche, hindurch und auf den Garten zu. Die Luft roch nach frisch geschnittenem Gras, als Alli die Türe aufzog. Behutsam führte sie ihn nach draußen. Bewusst hielt sie sich rechts mit ihm, damit sie von der großen Halle aus nicht zu sehen waren. „Was willst du,“ knurrte er. Sie sah, dass er sich bemühte, seine Schwäche nicht zu zeigen. „Ich helfe dir weder aus Mitleid, noch aus schlechtem Gewissen.“ Sie sah traurig nach unten, als er sich ächzend auf einen Stuhl in der Sonne fallen ließ und sein rechtes Bein ausstreckte. „Ich mag dich sehr gerne. Wie gerne, dass kann ich noch nicht richtig begreifen. Auch weil du mich sehr verletzt und enttäuscht hat, vor einem Jahr.“ Er sah auf. „Du siehst wunderschön aus, Alli. Und die neue Haarfarbe steht dir gut.“ Als sie nichts erwiderte fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und zog sie neben sich auf den Stuhl. Behutsam, nahm er ihre Maske vom Gesicht. Ihre blauen Augen wirkten traurig, düster und gekränkt. „Es tut mir wirklich Leid,“ hauchte er. „Es war dumm von mir, ich habe keinen anderen Ausweg gesehen. Ich hatte,“ Dhiro hielt inne und versuchte ohne Schmerz durchzuatmen. Es war unmöglich. „Panik,“ beendete er letztlich den Satz. „Panik?“ Er nickte und lehnte sich zurück. „Vor dem, was du für mich empfindest?“ Sie richtete ihre Augen auf ihn. „Was denkst du denn?“ Er seufzte und stützte seinen Kopf in die Hände, was auch diese Schmerzen ließ. „Dass du mich mehr, als nur magst. Dass ich dir zu nah gekommen bin.“ „Und was ist,“ flüsterte sie. „was ist, wenn es genau das ist, was ich will, dass du mir zu nah kommst?“ Bestürzt sah er auf. „Das kann nicht das sein, was du willst.“ Hastig erhob er sich und brachte einen Schritt Distanz zwischen sie und sich. „Das darf nicht sein.“ Tränen rannen über ihr Gesicht. „Ich weiß nicht, was ich fühle. Aber, wenn du nicht bei mir bist, vermisse ich dich. Ich war krank vor Sorge um dich. Habe mich in den Sport geflüchtet.“ Sie stand auf, drehte ihm den Rücken zu. „Selbst diesen Idioten von einem Anwärter habe ich mit dir verglichen, ganz unterbewusst und er kann dir nicht das Wasser reichen.“ „Das dürfen wir nicht,“ flüsterte er. Sie schniefte leise. „Ich dachte, dass du wenigstens ähnlich fühlst. Aber da habe ich mich vor einem Jahr getäuscht und wohl auch jetzt. Dann bin ich wohl die einzige von uns, die das Gefühl hat, dass sie“ Sie hielt inne und legte eine Hand auf ihren Mund, um nicht laut aufzuschluchzen. Dhiro konnte es nicht mit ansehen. Ihre Schminke lief nun über ihr Gesicht. Sie atmete schnell. Ihre Brust hob und senkte sich viel zu schnell in dem engen Corsagen-Kleid. Sie machte ihn verrückt. Er benahm sich so vollends anders, seit er sie kannte. Diesmal würde er dem Impuls nachgeben. Koste es, was es wolle, dachte er. So schnell es seine zerstörten Knochen zuließen ging auf zu ihr, drehte sie zu sich herum und drückte sie an seine Brust. Fest schloss er die Arme um ihren Körper. Seine Nase presste er in ihr langes, weiches Haar. Sie dufteten nach Ingwer und Zitrone. Ihre Haut war warm, fest, zumindest soweit, wie er es durch Handschuhe und Kleidung spürte. Ihr Körper hatte sich zuerst versteift, doch nun umarmte sie ihn ebenfalls. Er hielt sie fest, bis ihr Schluchzen immer leiser wurde und schließlich verebbte. Dhiro schwankte, da er durch seine Verletzungen nicht lange stehen konnte. „Wofür war das?“, fragte sie, als sie ihn nun zu dem Stuhl bugsierte und er sich ächzend hinein sinken ließ. „Das sollte dir zeigen, dass ich dich ebenfalls mag. Vielleicht ein bisschen zu sehr.“ Ihre Augen wurden groß. „Doch es bleibt dabei. Sollte ich dich markieren oder ähnliches, wird der Gebieter mich schlimmstenfalls töten. Andernfalls wird er dich zwingen einen anderen Mann zu nehmen, da ich nicht würdig bin.“ Er sah ihr in die Augen. „Würdest du das wollen?“ Sie sah nachdenklich auf den Boden. „Aber es weiß doch niemand, ob ich überhaupt ein Dämon bin. Bis dahin könnten wir doch...“ Er seufzte. „Und wenn doch?“ Traurig sah sie zu Boden. Ihr Kleid raschelte, als der Wind leise durch den Garten blies. „Ich habe noch nie jemanden geliebt. Und als meine Familie starb, da war ich noch zu klein, um zu wissen, was wirklich Liebe ist. Ich bin immer irgendwie alleine gewesen. Ich liebe Lio und auch Mila, aber richtige Liebe?“ Sie sah mit Tränen in den Augen zu ihm auf. „Sag mir, Dhiro, wie fühlt es sich an?“ Ihr leises Flüstern, machte ihn traurig. „Ich hab gedacht, es wäre Liebe, was ich fühle, wenn ich bei dir bin. Wenn du etwas mit mir unternimmst. Ich dachte es wäre Liebe, was ich in deinen Augen sah.“ Dhiro empfand dies als eine schlimmere Folter, als alles, was diese Bastarde ihm angetan hatten. Sein Herz krampfte sich zusammen. Musste er ihr wirklich abermals wehtun? Sollte er die Rolle des Buhmanns nicht einfach an seinen Gebieter oder ihren Onkel abdrücken? Denn Dhiro schätzte, wenn er es zuließ, seinen vollen Gefühlen freien Lauf und sich auf sie einließ, würde Myrancor das nicht gutheißen. Er rieb sich über sein zu langes Haar. Er war hin und her gerissen. Zum einen entfachte sie ein Feuer in ihm, dass ihm unbekannt war und er hielt sich noch zurück und weitestgehend von ihr fern. Doch, dass sie ständig in seinen Gedanken war, ließ sich nicht abstreiten. Ihr schien es ähnlich zu gehen. Konnte er das zulassen? Der andere Weg, ihr aus dem Weg zu gehen bedeutete, dass sie entweder aus dem Haus ausziehen musste oder er würde sich versetzten lassen müssen. Es war einfach aussichtslos und der erste Weg schien, der einfachere und der schönere. „Ich benötige Bedenkzeit,“ sagte er aus heiterem Himmel. Staunend sah sie ihn an. Die Spur ihres Mascara's verunstaltete ihr Gesicht. „Ich muss darüber nachdenken, was für Konsequenzen es hat, wenn ich,“ Er stockte, weil er nie so offen mit jemandem sprach, wie mit ihr. „Wenn ich mich dir öffne.“ Ihre Augen wurden noch größer und eine leichte Röte zierte ihre Wangen. „Ich muss sehen, welches der einfachere Weg wird, denn ich kann es nicht verbergen, dass du mir viel bedeutest. Du berührst etwas in mir. Und das bedeutet, da du ja ähnlich zu fühlen scheinst, dass es nur zwei Wege gibt. Der erste ist, wir versuchen es miteinander. Weil wir herausfinden wollen, ob es Liebe ist. Oder der zweite Weg ist, einer von uns beiden verlässt die Bastion und vergisst den anderen.“ Wobei ich kaum glaube, dass ich das könnte, dachte er. „Wie lange,“ hauchte sie. Er zuckte die Achseln und schloss vor Schmerz die Augen. „Ein paar Tage, eine Woche.“ „Darf ich dich sehen?“ Er versuchte zu Lächeln. „Das musst du sogar, denn du wirst mich ein bisschen pflegen.“ 

8

 

Alli genoss, dass er es zu ließ, dass sie ihn pflegte. Sie hatte freien Zutritt zu seinem Zimmer, was seine Krieger immer noch nicht fassen konnten. Immer, wenn sie in der Küchendurchreiche stand und von Nesil oder einem anderen das Essen empfing, beäugten sie sie misstrauisch. Dhiro hatte sich bereits mit Nesil unterhalten und ihm seine Möglichkeiten aufgezeigt. Nesil hatte gewählt und wollte von Dhiro zum Krieger erzogen werden. Natürlich erst, wenn er wieder genesen war, denn Alli hatte ein Machtwort ihm gegenüber gesprochen und ihm strenge Bettruhe verordnet. „Ich glaub es nicht. Damit bist du die erste, in der Bastion, außer dem Aufräum-Kommando und Indira, die einen Schlüssel hat.“ Seven schüttelte den Kopf. Sie spürte, dass Rhed sie hinter seinen Brillengläsern musterte. Ihr Bruder sagte: „Na und, willst du ihm das Essen bringen? Sie ist ja quasi seine Sklavin.“ „Vielleicht bist du besser über ihr Sexualleben informiert, als wir.“ Rhed lachte als einziger über seinen derben Scherz. „Spekuliert ihr nur.“ Alli straffte die Schultern und warf ihr Haar über die Schulter. „Danke Nesil,“ sagte sie, als Nesil ihr einen Wagen zuschob. „Viel Spaß,“ sagte Rhed grinsend. Alli schob kopfschüttelnd den Wagen in Richtung des großen Saals. Dhiro hatte sich noch nicht entschieden. Allerdings war das Gespräch auch erst zwei Tage her. Einerseits konnte sie es kaum erwarten, jedoch hatte sie panisch Angst, was passierte, wenn er sich gegen sie entschied. Würde sie gehen müssen? Aber wohin? Wäre sie sicher? Das würde Dhiro nicht zulassen. Aber was wäre, wenn er ginge, wenn er den Job als Hauptmann an den Nagel hängen würde? Aber das würde er nicht, dafür waren ihm seine Krieger und die Bastion zu wichtig. Sie betrat sein Zimmer. Er saß mit dem Rücken zur Türe auf einem Schaukelstuhl und sah auf dem Fenster. Mit der rechten vernarbten Hand drehte er sein Handy in der Hand. „Hier kommt dein Essen, Dhiro.“ Er drehte sich zu ihr herum. Die Narben verblassten ganz langsam. Seit sie ihn umsorgte, konnte sie förmlich sehen, wie er Tag für Tag ein wenig zu nahm und seine Narben mehr und mehr verblassten. „Danke, Alliara.“ Sie wusste nicht, ob er sie ärgern wollte, doch nach ihrem Gespräch nannte er sie wieder Alliara. Seine Stimme war wieder kräftiger und das raue Atmen verschwunden. Es ging ihm zusehends besser. Seine rechte Hand hatte wieder volle Funktionalität, seine linke jedoch steckte immer noch in einem dicken Verband. Eigentlich trug er jedoch um den rechten Arm eine Schlinge, weil seine Schulter ausgekugelt war. „Schulter ist besser?“ Er nickte und stand ächzend auf. Am schlimmsten lief es mit seinen Beinen. Sie lächelte. „Ein Dämon in Hausschuhen.“ „Wenn du dich über mich lustig machst, kannst du gleich wieder gehen.“ Er setzte sich auf sein Bett, ihr gegenüber. Alli hatte in einem Ohrensessel Platz genommen, der vorher am Couchtisch gestanden hatte, das war ihr Sitzplatz, wenn er das Bett hütete. Dhiro kickte die Hausschuhe von den Füßen und hob mit den Armen seine Beine ins Bett. Er klagte über Taubheit in den Beinen oder Kraftlosigkeit. Vermutlich eine Rückenverletzung oder noch Nachwirkungen des Giftes. „Heute Eisenbahn oder Flugzeug?“ Er sah sie an. Ohne jegliche Gefühlsregung. Ihr Lächeln schwand. „Du entscheidest dich gegen mich,“ flüsterte sie und ließ den Kopf hängen. „Nein, ich hab noch nicht alle Eventualitäten bedacht.“ Sie sah wieder auf, blinzelte gegen die Tränen an. „Aber ich hatte ein Gespräch mit Rhed, der mir mitteilte, dass man in der Küche munkelt, du seist meine Sklavin. Laut Rhed in jeglicher Hinsicht.“ Sie errötete und er grinste. „So ist es doch nicht, oder? Du kannst jederzeit durch diese Türe dort gehen, nicht wahr?“ Er beugte sich zu ihr und kitzelte sie leicht an den Rippen. Sie kicherte laut auf und rief: „Oh, nein, bitte nicht. Hör auf!“ Lachend wand sie sich, bis er hustend zurück sank. „Nachdem du mit dem Essen gegangen bist, ist wohl eine Diskussion entflammt, ob Rhed Recht hat und dein Bruder hat dich verteidigt, dass du so nicht seist und ich noch zu schwach sei, um ihnen das zu bestätigen. Rhed hat das natürlich auch ins Lächerliche gezogen.“ „Das erzählt er dir?“ „Er ist dazu verpflichtet und ich würde es so oder so erfahren.“ Er seufzte und sah auf den Wagen. „Was hast du mir mitgebracht?“
Sie aßen schweigsam. Von einem Teller und einer Gabel, während er kaute, aß sie selber etwas. Dhiro wirkte die letzten zwei Tage sehr nachdenklich. Als sie einen Bissen heruntergeschluckt hatte sagte sie: „Können wir gleich etwas spazieren gehen?“ Er sah sie stirnrunzelnd an. „Wieso?“ „Damit deine Beine Bewegung haben und ich will an die frische Luft. Ich war das letzte Jahr fast nur draußen.“ Er musterte sie. Dhiro gefiel was er sah, aber auch dünner und blasser hatte sie ihm gefallen. „Na gut. Aber nur so gut es geht.“ „Wir nehmen den Rollstuhl mit.“ Bei seinem finsteren Blick fügte sie eilig hinzu: „Natürlich nur für den Notfall, Hauptmann.“ Er rollte mit den Augen. Nach dem Essen schob sie den Wagen zur Türe hinaus und schlüpfte in ihre Ballerinas. Dann half sie Dhiro in schwarze Turnschuhe. Behutsam zog sie an seinem linken Arm, um ihm aus dem Bett aufzuhelfen. Er hatte bereits deutliches Gewicht zugelegt und sie wusste, dass er morgens, wenn sie duschen ging und sich frisch machte, Blut von Valira bekam. Ja, es war verdünnt und hatte nicht die gefürchteten Effekte, aber gut fühlte sie sich mit dem Wissen nicht. Er hielt ihr den Arm hin und sie verließen sein Zimmer. Bedienstete verneigten sich knapp vor Dhiro, was er gar nicht wahr zu nehmen schien. Neben der Eingangstüre stand der Rollstuhl. Alli löste sich von Dhiro und rollte den Stuhl nach draußen. Das helle Sonnenlicht war warm. Es war später Nachmittag, die Luft roch sommerlich. Alli liebte den Spätsommer. Nicht nur weil dann der Herbst folgte und alles bunte in rot und braun tauchte, sondern weil die Luft einfach besser war und schon leicht nach Herbst roch. Sie atmete tief durch und spürte, dass Dhiro sie beobachtete. Die Sonne zeigte das ganze Ausmaß seiner Narben. Besonders tief waren die Narben im Bereich der Stirn und des Kinns. Sie warfen nun tiefe Schatten auf sein junges Gesicht. Lächelnd ging sie neben ihm her. Er lächelte nicht. Seit seiner Folter, er hatte sogar ein wenig davon erzählt, lächelte er noch weniger als zuvor. Nun wusste sie sogar, was ihr Bruder gemeint hatte, dass er nie lächelte. Eine halbe Stunde schien es gut zu laufen, bis Dhrio stolperte. Sie fing ihn auf und er landete auf ihr. „Du nimmst wieder zu. Das ist gut,“ sagte sie, als sie wieder Luft bekam. „Ja, sicher,“ grunzte er. „Damit ich dich besser zerquetsche, wenn ich auf dir liege!“ Sie lachte auf. „Das war jetzt zweideutig.“ Sie half ihm wieder auf die Beine und legte seinen Arm um ihre Schulter. „Ich stütze dich.“ „Sag aber bitte Bescheid, wenn es nicht mehr geht. Dann muss ich mich halt in dieses Erniedrigungsinstrument setzen.“ Er zog seine Stirn vor Anstrengung in Falten und presste sichtlich die Lippen und Zähne aufeinander. „Dhiro,“ begann sie tadelnd. „Ich schaffe das schon.“ Sie kamen nur langsam voran. Am Ende des Parks stand eine Bank. Seufzend ließ er sich darauf fallen. Die Blüten des Kirschbaumes fielen langsam ab und somit dem nahenden Herbst zum Opfer. „Es ist sehr warm, obwohl wir September haben,“ sagte sie. Er wirkte nachdenklich, wie so oft. Und sehr schweigsam. Alli's Hoffnung schwand immer mehr und somit auch ihr Lächeln. Oftmals erwischte sie sich heute, wie sie grimmig drein blickte, doch wenn er in der Nähe war, versuchte sie sich an einer guten Miene. „Du hattest Geburtstag, während ich weg war, oder?“ Sie sah auf. „Ja, ich bin jetzt 19 Jahre, aber ich spüre noch keine Veränderung, bezüglich meines eventuellen Dämonen-Gens.“ Sein Mundwinkel zuckte. „Das dauert auch noch ein wenig. Wobei, so genau sagen kann man das nicht. Negra ist nun 20 und es hat sich seit sie 19 ist herauskristallisiert, dass sie eine reine Dämonin ist, mit dem Gen.“ „Aber,“ begann sie, verstummte jedoch. „Was?“ „Ach nichts.“ Sie hoffte mittlerweile fast, dass sie nicht die Wandlung vollzog, doch das hieße, sie sei nur ein Mensch. Wollte Dhiro sie dann überhaupt noch? Es war alles so verdammt kompliziert. In den ganzen Büchern und Filmes lief es immer einfach ab und immer gab es ein Happy End, bis auf ein paar Ausnahmen. In den letzten zwei Tagen war ihr klar geworden, dass sie für ihren Teil, in Dhiro verliebt war. Dieser Gedanke trieb Alli die Röte ins Gesicht. „Worüber denkst du nach? Stellst du dir vor, wie Rhed nackt aussieht?“ Empört starrte sie ihn an. „Wieso Rhed? Er ist ungehobelt, frech, absolut sexistisch und hat keine Augen.“ „Das liegt nur daran, dass er mal Stripper war.“ Nun schaute Alli noch blöder aus der Wäsche. Dhiro grinste. „Bevor er gewandelt wurde, war er schon trainiert und muskulös. Er hat als Stripper gearbeitet. Bei diesen Chippendales.“ „Heilige Mutter Gottes. Das erklärt so einiges.“ „Er wird dir sicher liebend gerne DVD's von seinen Auftritten zeigen und dir erzählen was sich nach seiner Wandlung alles verändert hat.“ Dhiro schaute grimmig drein und legte seine Hand auf seinen dünnen Bauch. „Du wirst schon wieder,“ sagte Alli und legte ihre Hand auf seine. Ihre Blicke trafen sich. „Alliara, warum hast du so viel Vertrauen in mich? Ich bin ein Dämon. Wir alle sind Dämonen.“ Alli grübelte kurz nach bevor sie sagte: „Nun, ihr seht nicht aus, wie die Dämonen, die man aus Büchern, Filmen oder Serien kennt. Und manche von euch verhalten sich nicht so. Ehrlich gesagt, wenn ich mit dir alleine bin, dann vergesse ich sogar manches mal, dass du anders bist.“ Er hatte die Augen geschlossen. Der Wind wehte durch sein viel zu langes Haar und ließ es in seine Augen fallen. „Mann, ich brauch dringend einen Friseurtermin.“ Du könntest sie ruhig etwas länger tragen, dachte sie. Die Sonne verschwand langsam hinter dem Haus. Es schien, als würde sie im dahinter liegenden See versinken. Zwei Vögel saßen auf dem Weg und rieben ihre Schnäbel tschilpend aneinander. „Ach Scheiß drauf,“ hörte sie von rechts. „Bitte?“ Ihrer Stimme war die Verwirrung anzuhören. Dhiro wollte gerade den Mund öffnen, als sein Handy laut klingelte. „Dein Onkel,“ sagte er, mit ernster Miene. „Hallo Myrancor.“ Dhiro's Miene wurde noch finsterer, dann setzte er, die ihr altbekannte frostige Miene auf, die keine Gefühle erkennen ließ. „Wir kommen zurück.“ Er legte auf und hielt das Handy fest in der Hand. So fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Dhiro, was ist los?“ Alli kniete vor ihn und legte eine Hand auf die seine. „Nichts. Wir müssen zurück. Du hast Besuch.“ Er vermied es partout sie anzusehen und hievte sich ohne ihre Hilfe hoch und ließ sie auf dem Boden kniend zurück. Besuch? Oh nein, bitte nicht noch einer. Sie beeilte sich den Rollstuhl zu wenden und hinter dem humpelnden Dhiro hinterher zu kommen. Er hatte seine Schultern vor Schmerz eingezogen, doch seine Miene ließ sie verstummen.

Im Haus herrschte frostige Stimmung. Genauso frostig war auch Dhiros Gesichtsausdruck. Er hatte es ohne ihre Hilfe bis zum Haus geschafft und wandte sich sofort in die Richtung seines Schlafzimmers. Laut hörbar, verschloss er die Türe. Alli starrte die Türe einen Moment lang an. „Alli, du bist total schmutzig willst du so...“ „Ja, will ich,“ unterbrach sie ihren Onkel, der auf sie zu kam. Trotzig ging sie an ihm vorbei. Im Esszimmer saß ein Mann mit graumeliertem Haar. Ist das dein Ernst?, dachte sie und warf ihrem Onkel einen verächtlichen Blick zu. „Kaan, das ist meine Nichte Alliara.“ Der Mann erhob sich und drehte sich zu ihr herum. „Du hast nicht erwähnt, dass sie noch so jung ist. Und die Wandlung vollzog sie ebenso noch nicht.“ Gut, dann waren sie sich immerhin schon mal einig und bevor sie es verhindern konnte, sprudelten die Worte aus ihr nur so heraus. „Na, Sie sind auch keine Augenweide. Und sehen dazu noch mächtig alt aus.“ Sie spürte Dhiro's Anwesenheit hinter sich. „Guten Abend, Kaan.“ Das war das erste mal seit der Feier, dass Dhiro im Esszimmer eintraf. „Hauptmann Dhiro. Man hatte mir berichtet Ihr wäret verwundet worden. Aber von diesem Ausmaß hatte ich keine Ahnung.“ Alli drehte sich zu Dhiro herum. Er stand aufrecht und stolz im Türrahmen. Er trug ein schwarzes Hemd und die Hauptmann-Kette deutlich sichtbar darüber. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie nie vermutet, dass er Schmerzen hat. Kaan wandte sich wieder an Myrancor. „Eure Nichte hat ein sehr vorlautes Mundwerk. Davon hat mir Lord Zurdak aber nichts erzählt.“ Dhiro ging an Myrancor und Kaan vorbei, gerade, als Kaan diese Worte sagte. Er knurrte leise. „Nesil, könnte ich noch etwas von dem Flammkuchen bekommen und eine Tasse Earl Grey?“ „Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist, es tut mir Leid.“ Myrancor bedachte sie mit einem wütendem Blick. „Entschuldige dich ruhig, Onkel. Mir tut es ganz und gar nicht Leid. Wenn ich zu jung bin, ist er folglich zu alt. Und so sieht er auch aus.“ „Aber, Alliara!“ Alli machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Esszimmer. Blödes Heiratsversprechen, dachte sie. Sie verhielt sich kindisch, ohne Frage, aber sie würde nicht erneut ihr Leben kampflos aufgeben. Schnurstracks lief sie die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Endlich hatte sie ihre Ruhe. Nach etwa einer Stunde, die sie auf dem Bett liegend und ein Buch lesend verbracht hatte, hämmerte ihr Onkel an die Türe. „Alli, mach sofort auf. Du bist die Friedenswahrerin. Du musst einen Mann auswählen. Je eher desto besser.“ Wütend riss Alli die Türe auf. „Ich bin noch nicht gewandelt. So lange will ich selbst über mich entscheiden können. Einmal in meinem Leben, Myrancor. Einmal!“ Mit diesen Worte knallte sie die Türe wieder zu und schloss ab. Er hämmerte noch mehrmals vor die Türe und Alli fürchtete beinah, dass er die Türe eintreten würde, doch dann wurde es still und seine lauten Schritte verklangen. Als es wieder klopfte erschrak sie. Es war deutlich zaghafter. Sie ging zu Türe, drehte den Schlüssel und zog sie auf. Dhiro stand vor der Türe. Zwei Krücken in den Händen. Immer noch in dem schwarzen Hemd. „Komm rein,“ sagte sie und trat beiseite. Neben der Türe stellte er die Krücken ab. „Wie war die Treppe?“ Sie ließ ihre Frage absichtlich beiläufig klingen. „Schwer, aber machbar. Es wird zusehends besser.“ „Flammkuchen essen auch alleine geschafft?“ Er nickte. „Mit den Händen, ja.“ Sie lächelte. Das muss witzig ausgesehen haben, dachte sie. „Du hast ganz schön Eindruck hinterlassen. Nicht im positiven, aber immerhin Eindruck.“ „Warum ist er so alt? Und warum lässt mein Onkel das überhaupt zu?“ Dhiro seufzte und setzte sich auf ihr Sofa. „Er ist sehr alt. Älter als dein Onkel. Er gehört zur Bastion des Krähenhorts. Eine sehr alte und mächtige Bastion. Kaan ist der zweite Kommandant. Bis zum Hauptmann hat er es nie geschafft, daher hasst er mich.“ „Also bist du genau genommen besser als er?“ Dhiro's Lippen umspielte ein Lächeln. „Vom Rang her jedenfalls. Aber nicht von meiner Erfahrung und vom Alter her. Ebenso ist unsere Bastion noch nicht so alt. Die ersten Mitglieder, deren Aufzeichnungen man gefunden hat, gab es vor rund 2000 Jahren. Und er ist der zweite Kommandant seit gut 1000 Jahren. Wenn nicht sogar noch mehr.“ Dhiro schnaufte. „Allerdings wärst du nicht seine erste Frau und ich denke, dass dies nicht im Sinne des Gebieters wäre.“ Alli lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Er war furchtbar.“ Dhiro zuckte die Achseln. „Er ist in Ordnung, ein ordentlicher Kämpfer. Aber keineswegs der Beste.“ Dhiro's Miene verfinsterte sich. „Der andere Anwärter jedoch, von dem ich per Zufall gerade eben erfahren habe, ist eine äußerst wohlhabende und gute Partie. Und das er gut von dir redet, ist ein Zeichen dafür, dass er nicht abgeneigt ist.“ „Zurdak? So hab ich mir als Kind Dämonen in der Geschichte immer vorgestellt.“ „Das mag daran liegen, dass seine Blutlinie bis zu den ersten unserer Art zurück reicht, so munkelt man zumindest. Er ist wohlhabend, stark und Oberster Leiter einer Bastion namens Dunkelhain.“ Dhiro's Stimme war nun mehr ein Grollen. „Er wäre, denke ich, einer der Spitzenkandidaten für den Gebieter.“ Er seufzte laut. „Was hast du deinem Onkel gesagt? Er wollte hoch, um dir die Leviten zu lesen!“ „Ich habe ihm gesagt, dass ich noch nicht gewandelt bin und einmal in meinem Leben selbst über mich entscheiden will. Mehr nicht!“ Tränen traten in ihre Augen. „Denn diese Macht, scheine ich noch nie gehabt zu haben, nicht mal als ich noch bei meinen Eltern lebte, da sie diesen Handel geschlossen haben.“ Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und blinzelte häufig, damit die Tränen nicht überliefen, doch es war zu spät. Sie rannen über ihr Gesicht. Dhiro erhob sich, fast mit der gleichen Eleganz, die er vor seinen Verwundungen hatte. Er streckte seine narbigen Hände zu ihr aus und zog sie an seine Brust. Sofort fühlte sie sich geborgen, als sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Es fühlte sich an, als würde ihr Körper genau zu Dhiros Körper passen. „Es muss wirklich furchtbar sein und ich kann dir leider keine Worte des Trosts aussprechen, denn selbst ich, darf nicht voll und frei über mich entscheiden.“ Seine Stimme hallte in seinem Brustkorb wieder. „Aber du kannst mir helfen.“ Er sah sie verständnislos an. „Du kannst mir einmal geben, was ich mir wünsche, was ich für mich erwählt habe.“ Seine blauen Augen verharrten regungslos auf ihr. Er reagierte nicht, daher schob sie ihn etwas von sich und wollte sich gerade herum drehen, um die nächste Flut der Tränen zu verdecken, als er ihre Hand packte und sie zurück zu sich zog. Seine Hände legte er fest auf ihre Schulter und sagte zu ihr: „Sobald mein Gesicht wieder in Ordnung nicht, werde ich meinem Drängen nachgeben. Ich hoffe, dass ist das, was du dir erwählt hast.“ Er umarmte sie fest. „Warum der Aufschub wegen deines Gesichtes? Ich habe keine Angst vor dir. Für mich bist du immer noch schön.“ „Aber ich fühle mich beschmutzt und diese beschmutzen Lippen, will ich nicht auf deine Unversehrtheit legen. Niemals!“ Gerührt starrte sie ihn an. „Dann hast du dich für mich entschieden?“ Der leise Hauch, den ihre Stimme bildete, drang geradeso an sein Ohr. „Ja, das habe ich. Aber unter einigen Bedingungen!“ Nun wurde sie misstrauisch. „Welche Bedingungen?“ „1.,“ begann er. „Musst du dich, wie schon erwähnt damit abfinden, dass ich dich erst einmal nicht küsse, bis mein Gesicht wieder salonfähig ist. 2. Will ich, dass wir es möglichst geheim halten, denn ich denke, dein Onkel wäre auch mit von der Partie mir den Kopf abzureißen. Und 3. Wenn du dir einen Heiratsanwärter angesehen und dich entschieden hast, will ich, dass du mir sofort Bescheid sagst, damit ich mir was überlegen kann.“ Er sah sie ernst an. Er hatte davon gesprochen sie zu küssen. Alli's Kopf war wie in Watte gepackt. „Du willst mich küssen?“ Dhiro lachte. Es fühlte sich großartig an, in seinem Arm zu sein und sein Lachen an ihrer Brust zu spüren. „Ist das das Einzige, was bei dir hängen geblieben ist?“ Benommen schüttelte sie den Kopf. „Wie lange dauert das mit deinem Gesicht? Können wir das beschleunigen?“ Er sah nachdenklich aus. „Ich könnte reines Blut von Valira trinken, wäre dir das Recht?“ Sie krallte augenblicklich ihre Finger in seine Arme und funkelte ihn wütend an. Ein Knurren drang aus ihrer Kehle und er sah sie überrascht an. Doch die Überraschung wich direkt Enttäuschung und dann der Maske, ohne Gefühlsregung. Sie wusste, was er dachte. Behutsam berührte sie sein Gesicht, doch er drehte sich weg. „Bitte nicht.“ „Das heißt nicht, dass ich mich wandeln werden, Dhiro.“ „Ich wünschte es wäre so.“ Seine Stimme klang bitter und seine Augen waren voller Trauer.

Zwei Wochen später schlug der Herbst endgültig zu. Im Haus wurde es kühler. Die Luft draußen wurde nasser, windiger und Böen stoben Blätter durch den großen Park am Haus. Alli hockte auf dem Teppich in der Bibliothek. Sie trug einen grauen Rock, eine graue Strumpfhose und ein schwarzes Top mit einem Blazer darüber. Konzentriert las sie in der Dämonengeschichte. Immer wenn Dhiro es zu ließ oder er es zulassen musste, lief sie zur Bibliothek und wälzte die alten Geschichtsbücher. War jemals ein Dämon der Wandlung entkommen? Konnte man es verzögern? Irgendwie aus einem Heiratsbund entkommen? Die Antworten waren ernüchternd. Es gab keinerlei Aufzeichnungen darüber, ob je ein reiner Dämon die Wandlung nicht vollzogen hatte. Ebenso wenig über deren Verzögerung. Und die einzigen Möglichkeiten aus einem solchen Heiratsbund zu entkommen schienen Selbstmord, keine Wandlung oder die Entscheidung des Gebieters zu sein. Sie fand auch keinerlei Informationen über den Gebieter. Rein gar nichts. „Hier bist du schon wieder! Reichen dir die tausenden Bücher in deinem Zimmer nicht?“ Dhiro überragte sie. Mittlerweile hatte er härter trainiert und stand breitschultrig und stämmig, wie eh und je vor ihr. Seine Haare trug er um ihretwillen etwas länger und mit etwas Gel. Die Hauptmann-Kette um seinen Hals glänzte und zierte seinen breiten Brustkorb. Lediglich ein paar feine Narben, waren noch in Gesicht und Händen zu sehen und sie wusste ja, welche Regeln er aufgestellt hatte. „Doch, aber wenn ich etwas über die Geschichte der Dämonen erfahren will, dann muss ich hier her.“ „Warum fragst du mich nicht einfach?“ Hektisch suchte sie in ihrem Kopf nach einer Ausrede. „Ich mag es vor dem Kamin zu sitzen und zu lesen. Außerdem hast du doch genug anderes zu tun, als meinen Wissenshunger zu stillen.“ Er nickte und akzeptierte ihre Ausrede. „Wolltest du noch etwas bleiben? Dann würde ich noch ein wenig trainieren, bevor es Abendessen gibt.“ „Geh ruhig.“ Er nickte, reichte ihr seine Hand und drückte sie kurz zum Abschied. Dhiro gab sich alle Mühe in ihrer Nähe entspannt zu wirken, allerdings spürte sie, dass er hochgradig angespannt war. Er beobachtete sie mit Argusaugen, ob sich irgendein Anzeichen ihrer Wandlung zeigte. Bisher war jedoch nichts passiert. Seufzend legte sie das staubige Buch auf den Boden und hielt sich den Kopf. Eine weitere Möglichkeit war, was sie noch gar nicht bedacht hatten, dass der Gebieter Dhiro ebenfalls für würdig erachtete, aber das war wie ein Sechser im Lotto. Sie ließ sich nach hinten fallen und lag auf dem Teppich. Die Wärme des Feuers fuhr in ihre Glieder. Sie entspannte sich und schloss die Augen.

„Alliara,“ sagte jemand. Die Stimme klang weit entfernt. Langsam klarte ihr Blick auf. Sie blinzelte und sah die Decke der Bibliothek. Dhiro hockte neben ihr, eine Hand an ihrer Schulter. „Wie lange habe ich geschlafen?“ Ihre Stimme war nur ein schwer verständliches Murmeln. „Geschlafen?“ Dhiro half ihr sich auf zu setzen. „Du warst bewusstlos, Gott weiß, wie lang.“ Sie sah ihn verständnislos an. „Ich musste dich richtig schütteln, bis du dich geregt hast. Du warst weiß, wie eine Wand und deine Augen starrten zur Decke. Ich hatte schon befürchtet, Herr Gott.“ Er selbst war blass, leicht verschwitzt vom Sport. Sie fröstelte, weil das Feuer im Kamin erloschen war. „Scheiße, ich dachte du wärst tot. Mein Herz ist fast stehen geblieben. Oh, Alli.“ Er presste seine Stirn gegen ihre und sie hielt die Luft an. Würde er seine Regeln brechen? „Komm, ich trag dich in dein Zimmer. Für dich gibt es heute Essen im Bett. Mach das nie wieder mit mir.“ Enttäuscht lehnte sie sich an seine breite, verschwitzte Brust. Er würde seine Regeln nicht brechen. Behutsam legte er sie auf ihrem Bett ab. „Ich komme gleich wieder. Gehe nur schnell duschen, dann hole ich unser Essen.“ Er sah sie zweifelnd an. „Okay?“ Sie nickte und drehte sich auf die Seite, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Wieso war sie bewusstlos geworden? Waren das Anzeichen ihrer Wandlung? Stimmte etwas nicht mit ihr? Bedeutete es, wenn ihr so etwas passieren konnte, dass sie rein menschlich war? Fragen über Fragen rasten durch ihren Kopf. Nach kurzer Zeit kam Dhiro aus ihrem Bad. Seine Haare waren nass. Er hatte sich lediglich ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Sofort erwachten ihre Lebensgeister. Sie setzt sich auf und sagte: „Komm näher!“ Er sah sie an, ein Funkeln in den Augen. Sichtlich widerwillig folgte er ihrer Aufforderung. Mit leichten Fingern fuhr sie die immer dünner werdenden Narben an seinem Bauch nach. Durch das Training stachen seine Muskeln wieder mehr hervor. Seine breite Brust sah schon wieder aus, wie am Strand, keinerlei Narben mehr und genau so ausgeprägt. Sie spielte mit der Kette, die auf seiner Brust lag. Ihre Haut glühte, sie fühlte sich fiebrig, sehnsüchtig nach ihm. Seine Arme drückten sie behutsam, aber bestimmt auf das Bett zurück. „Ich bin gleich wieder da.“ Seine Stimme klang heiser. Sie sah ihm nach, bis die Türe hinter ihm ins Schloss fiel. Nach etwa zwanzig Minuten erschien er in einer lockeren Jeans, die ihm knapp über dem Hintern saß und einem schwarzen Shirt wieder zurück. In den Händen hielt er ein wohlriechendes Tablett. „Es gibt Salzkartoffeln mit Schweinebraten im Kräutermantel. Und zum Nachtisch bekommst du ein Eis.“ „Klingt gut.“ In ihrem Kopf, der eindeutig etwas durcheinander war, zeigte sich ihr ein Bild, von welcher „Schale“ sie gerne Eis naschen würde. Sie schüttelte den Kopf, um das Bild aus ihrem Kopf zu bekommen. „Doch kein Eis?“ „Hör auf ständig Eis zu sagen. Ich habe viele Filme gesehen.“ Nun war es an ihm sie verdutzt anzustarren, bis sichtlich der sprichwörtliche Groschen fiel. „Oh,“ machte er. Er sah auf das Tablett. Sie war sich sicher, dass er sein Erröten verbarg. Sie aßen schweigend, leise Musik lief nebenher. „Möchtest du morgen etwas mit mir unternehmen?“ fragte Dhiro plötzlich unvermittelt. „Ja, klar, gerne. Was schwebt dir vor?“ „Abends würde ich dich gerne zum Essen ausführen und über Tag, darfst du entscheiden.“ „Musst du nicht trainieren oder Hauptmann Angelegenheiten klären?“ Er schüttelte den Kopf und nahm eine Gabel voll Kartoffeln in den Mund. „Dann möchte ich nochmal ein wenig mit dir einkaufen. Was muss ich zum Essen tragen?“ „Oh, das kleine Schwarze sollte genügen.“ Sie sah ihn zweifelnd an. Was hatte er vor? „Wollen wir nun darüber reden, was mit dir passiert ist?“ Sein Blick ruhte ernst auf ihr. „Ich weiß es nicht. Es war so schön warm vor dem Kamin, dann hab ich mich hingelegt, mich entspannt und gedacht ich würde einschlafen.“ Er sah sie immer noch an. Sie nahm allen Mut zusammen. „Ist das ein Anzeichen für die Wandlung?“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist eigentlich eher menschlich. Wahrscheinlich hat dein Körper alles Blut was im Kopf war in deine Beine gepumpt, weil du ja vorher auf ihnen gesessen hast und als du dich hingelegt hast, hast du den Druck von ihnen genommen. Wie eine Art Ventil, welches geöffnet wird, ist das Blut, denke ich, wieder zurück geströmt.“ Sie nickte. Dann lächelte sie, wie sie hoffte anzüglich. „Wo ist mein Eis, Hauptmann?“ Ein kleines Zucken um seine Mundwinkel verriet, dass er eigentlich Lachen musste. „Im Keller, Alli, im Keller. Bin gleich wieder da.“ Leider wurden ihre Tagträume nicht erfüllt. Sie war hundemüde, nachdem sie gegessen hatte und legte sich alsbald schlafen.
Der nächste Morgen war sonnig. Alli duschte, zog sich etwas an und suchte im Schrank nach einem kleinen Schwarzen für den Abend. Sie entschloss sich für ein ärmelloses Bandeau-Kleid, mit einer Raffung an der Brust und darunter einer großen Schleife. Das würde ihre Oberweite gut hervorheben. Es endete knapp über den Knien. Dazu wählte sie samtene schwarze zehn Zentimeter Pumps. Sie suchte sich noch etwas Schmuck heraus und eine passende Tasche. Alles zusammen packte sie in einen Kleidersack und legte es auf ihr Bett. Gemächlich ging sie hinunter zum Frühstück. Im Erdgeschoss herrschte Tumult. „Hallo Alli.“ Oh nein, bitte nicht, dachte sie. Zurdak hatte sich für seinen vierten Besuch entschieden. „Ich dachte, ich komme heute mal vorbei, um dich zu entführen. Wie wäre es, wenn du mir bei einer Partie Golf Gesellschaft leistest. Und danach dinieren wir gemütlich.“ Er lächelte und sie erschrak. Seine Zähne waren spitz gefeilt. „Gefällt es dir? Das ist mein neuster Look.“ Sie starrte ihn nur an, während er sie von oben bis unten musterte. „Heute hast du dich aber schicker gemacht, als sonst.“ Sie trug ein blaues Etuikleid mit einer schwarzen Strumpfhose und darüber eine von Dhiro's Lederwesten. „Ist das nicht nett von Zurdak, dass er an dich gedacht hat?“ Ihr Onkel tauchte neben im auf. Ihre schwarzen, kurzen Stiefel, mit dem Keilabsatz machten keine Geräusche, als sie die Treppe wieder hinauf lief. Laut knallte sie die Türe zu und schloss ab. Dieser Widerling! Es klopfte mehrmals an der Türe, doch Alli presste ihr Gesicht in das Kissen, schrie hinein und setzte sich wieder auf. Was änderte es? Er würde nicht gehen. Langsam glättete sie ihr Kleid, stand auf und sah in den bodentiefen Spiegel. Behutsam strich sie mit den Fingern unter ihren Augen entlang, um die verschmierte Schminke etwas zu entfernen. Dann atmete sie tief durch und trat aus ihrem Zimmer. Auri lehnte neben der Türe. „Ich soll dich runter bringen, sobald du wieder raus kommst.“ Sie nickte und folgte ihm mit hängenden Schultern. Sie fühlte sich, wie eine Kuh, die zur Schlachtbank geführt wurde. Doch seltsamerweise führte er sie nicht in das Esszimmer, sonder hielt vor Dhiro's Türe an und klopfte kräftig. „Herein,“ brummte er. Auri streckte den Arm aus, damit sie in das Zimmer ging. Alle Vorhänge waren aufgezogen und Dhiro saß vor dem Fenster und sah nach draußen. „Hast du dich abgeregt?“ Sie nickte. Er konnte es nicht sehen, doch trotzdem sagte er: „Gut, dann wirst du wohl gleich Golf spielen gehen.“ „Dhiro, ich will das nicht.“ „Ich weiß, aber es nützt nichts.“ Er stand auf und der Stuhl schwang weiter, während Dhiro auf sie zu ging. Sein Gesicht wirkte versteinert. Er führte sie am Arm nach draußen und hinein in das Esszimmer. „Meine Weste steht dir ausgezeichnet,“ flüsterte er, als sie es betraten. Sie lief rot an. Was hatte er vor? Seine Augen sagten ihr, dass es etwas ausheckte. „Ach, da ist sie ja wieder.“ „Ihr war es nicht gut. Sie hatte ja noch gar nichts gefrühstückt. Nesil, würdest du bitte.“ Nesil nickte und brachte Alli ein Schoko-Croissaint und einen Kaffee. Vor Dhiro stellte er eine Schale Müsli und einen Tee ab. Sie hatte ihn noch nie frühstücken sehen, fiel ihr auf. Betont langsam aß sie ihr Frühstück und trank ihren Kaffee. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es bereits zwei Uhr mittags war. „So wollen wir dann?“ Es war Zurdak, der das fragte. Verstohlen warf Alli Dhiro einen Blick zu. Er trank seinen Tee und fixierte mit seinem Blick das Kreuzworträtsel in der Tageszeitung. Von wollen kann nicht die Rede sein, dachte sie. Stattdessen sagte sie nichts und nickte. Er klatschte in die Hände, was alle aufschrecken ließ, und verließ vor ihr den Raum. Sie spürte, dass Dhiro ihnen bis zur Türe folgte. „Alliara, warte,“ sagte er. Sie drehte sich herum und sah zu ihm auf. „Nimm eine Jacke mit, falls dir kalt wird.“ Und als Zurdak sich herum drehte und zur Tür hinaustrat, lehnte er sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: „Die wirst du brauchen und denk auch daran deine Kapuze aufzuziehen.“ Dann schubste er sie behutsam in Richtung Türe und schloss sie hinter ihr.
Der Nachmittag zog sich in die Länge. Erstens war Golf furchtbar langweilig, dann hatte Zurdak einen Fahrstil, wie ein Rentner mit Stock. Und was noch viel schlimmer war: er erklärte jeden Schritt, den er tat, obwohl es sie absolut nicht interessierte. Geschweige denn achtete er darauf, ob sie ihm zuhörte. Seit über einer Stunde standen sie auf dem grünen, weitläufigen Platz. Überall standen die Fähnchen, die anzeigten, wo die Löcher waren. Verstohlen sah sie immer wieder auf die Uhr. Ihre Jacke hing über ihrem Arm. Sie hatte dem Caddy verboten ihr diese abzunehmen. Einerseits war es absolut absurd. Ein so alter Dämon, der angeblich von den ersten abstammte spielte Golf. Es war so absurd, dass sie beinah Lachen musste. Aber da er das als Spaß gedeutet hatte, hatte sie bald darauf wieder eine trotzige Miene aufgesetzt. „Siehst du dahinten die Flagge mit der 7 drauf, Alli? Da muss ich hinschlagen. Den loche ich nun ein, pass auf.“ Sie gähnte herzhaft und starrte dem Ball hinterher, der wie in Zeitlupe vor dem blauen, nein, Moment mal. Der Himmel verfärbte sich rasant Pechschwarz. Jetzt verstand sie. Dhiro musste das Wetter manipulieren. Sofort machte sie sich Sorgen, dass er noch nicht stark genug war. Zurdak schirmte die Hand mit den Augen ab und sah dem Ball hinterher. „Schade, nicht getroffen.“ Dann wand er den Blick zum Himmel. „Oh, das sieht aus, als würde es gleich,“ begann er, doch wurde er von einem grollenden Donner und einem zuckenden Blitz unterbrochen. Alli schlüpfte schnell in die Jacke, die nicht ihre war, sondern die von ihrem Bruder. Demnach reichte sie ihr bis über die Knie. Eilig zog sie die Kapuze über ihren Kopf, keine Sekunde zu spät, denn es fing augenblicklich zu regnen an. Aber nicht nur ein kleiner Regenguss, oh nein. Niagara-artige Regenfälle stürzten vom Himmel und durchnässten Zurdak augenblicklich. Sein schwarzen Poloshirt klebte an seinem dürren Körper, seine Haare glänzten noch mehr fettig, als sonst. „Wir müssen uns unterstellen.“ Gemächlich ging Alli hinter dem eilenden Caddy und Zurdak her, die auf das Haupthaus des Golfplatzes zu hasteten. Hätte Alli Gummistiefel angehabt, so wäre sie mit Freude in jede noch so kleine Pfütze gesprungen. Ihr Handy klingelte in der Jackentasche ihres Bruder. Du bist so ein durchtriebener Mistkerl, dachte sie lächelnd. Als sie das Handy herausnahm, las sie Dhiro's Namen. „Hallo Alliara,“ sagte er, als sie abnahm. „Hallo Hauptmann.“ „Ihr Taxi steht bereit, da ja nun das golfen, nun wie sagt man, ins Wasser fällt, dachte ich mir, ich hole dich ab. Bevor du noch erkrankst.“ Sie lächelte und winkte Zurdak, während sie auf einen schwarzen Audi R8 zuging. „Alli?“, rief Zurdak. Dhiro machte das Fenster hinunter. „Ich komme sie abholen, um zu vermeiden, dass sie krank wird und bei dem Wetter wird aus dem Golf wohl nichts mehr.“ „Du schuldest mir noch einen Schwertkampf, Hauptmann,“ rief Zurdak über den grollenden Donner. „Kannst du beim nächsten Mal gerne haben, wenn du dich vorher anmeldest. Übrigens, du bist nass. Vielleicht solltest du dir etwas trockenes anziehen.“ Sie glaubte Zurdak knurren zu hören, doch war sie bereits auf den Beifahrersitz des Audi's gerutscht. „Hallo mein Großer,“ sagte Alli. Er zog eine Augenbraue hoch, während er das Fenster hoch fuhr. „Was soll ich darauf antworten? Hallo meine Nasse?“ „Du bist so durchtrieben, Hauptmann. Und nur auf deinen Vorteil bedacht.“ Er lachte leise und fuhr mit vor Dreck spritzenden Reifen los.
„Komm, ich habe den Tisch für sieben reserviert und wir haben nun sechs. Müssen aber noch ein Stück fahren.“ „Okay, dann zieh ich mich auf der Toilette im Parkhaus um. Er nickte und folgte ihr durch die Menschenmenge. Es war ein toller Nachmittag gewesen. Eilig liefen sie ins Parkhaus und nachdem Dhiro ihr den Kleidersack gegeben hatte, suchte sie die Toilette. Nach einigem hin- und herlaufen fand sie sie endlich. Schnell schlüpfte sie aus der blickdichten in ein durchsichtige Strumpfhose, zog das Etuikleid aus und das Bandeau über. Sie überprüfte ihr Make-Up und ihre Frisur. Trug etwas Lippenstift auf, zog den Schmuck an und schlüpfte in die Schuhe. Mist, dachte sie, sie hatte ihren Blazer vergessen. Doch als sie nochmal in den Kleidersack sah, hauptsächlich, um die anderen Sachen zu verstauen, vielen ihr zwei Dinge auf: eine kleine Schachtel und ihr schwarzer Blazer, mit den goldenen Knöpfen. Sie nahm dir Schatulle hinaus und öffnete sie. „Oh, Dhiro,“ sagte sie und schlug sich eine Hand vor den Mund, vor Rührung. Sie hielt ein silbriges Armband in der Hand, an dessen Gliedern einmal das Wappen der Bastion hing und eine verschlungene Rune. Dhiro hatte ihr in den Wochen, die er krank war beigebracht, wie das Runenalphabet ging, was nicht alle konnten. Die Rune bestand eigentlich aus zwei Runen, einem A und einem D, sie sah schwungvoll aus und passte perfekt ineinander. Sie legte sich das Band am linken Handgelenk an und schlüpfte in den Blazer. Ihre Schuhe machten klackende Geräusche, als sie durch das Parkhaus auf den R8 zuging. Dhiro lehnte an der Beifahrerseite. Seine Augen wurden groß, als er sie sah. „Du siehst wunderschön aus,“ sagte er. Sie fiel ihm als Antwort direkt um den Hals. „Danke. Du ahnst nicht, wie gerne ich dich jetzt küssen würde,“ flüsterte sie an seinem Ohr. „Oh, doch, glaub mir, ich habe eine gewisse Ahnung davon.“ Sein heißer Atem, an ihrem Ohr, ließ sie schaudern. „Darf ich bitten?“ Er hielt ihr die Türe auf und sie ließ sich in den weichen Ledersitz gleiten. Schnell umrundete er das Auto und startete den Motor, noch während er die Türe schloss. „Anschnallen, Alliara.“ „Selber, Dhiro,“ scherzte sie. Er tat es mit einem leichten Lächeln. „Du hast dich ja auch umgezogen!“ Er trug eine schwarze Jeans, ein dunkelblaues Hemd und ein schwarzes Sakko. Er nickte und fuhr los. Die Fahrt dauerte zwanzig Minuten. Um Punkt sieben Uhr standen sie vor einem Restaurant, das gänzlich aus Glas war. Alli machte große Augen. „Gefällt es dir?“ Sie nickte geistesabwesend, während er sie am Arm durch das Restaurant führte. Es ist traumhaft schön, dachte sie. „Wir hatten reserviert.“ „Ach, die Bastion Blutaugenmond. In Ordnung.“ Der Mann am Empfang musterte Dhiro, sein Blick blieb an der Kette hängen. „Folgen Sie mir, Hauptmann.“ „Blutaugenmond, also?“ „Ja, daher das Auge.“ Sie streckte ihm die Zunge heraus, was er mit einer heraufgezogenen Augenbraue quittierte. Er führte sie in eine abgelegene Ecke. „Büffet oder á la carte?“ Fragend sah er Alli an. Diese wurde immer kleiner auf ihrem Stuhl. „Ich glaube ich hätte lieber Büffet,“ sagte sie kleinlaut. Er nickte und sagte: „Zweimal Büffet und von dem süßen Rotwein bitte eine Flasche.“ Der Kellner verbeugte sich knapp und verschwand. „Du bist auch ein richtiger Star, oder?“ Er grinste. „Nicht wirklich. Mit Zurdak wärst du direkt aufgefallen. Sie haben nur Respekt vor mir.“ „Ich will aber nicht mit Zurdak auffallen.“ „Alli,“ sagte er ihren Namen schnurrend. Sie schloss die Augen. „sei nicht so. Er kann ja im Prinzip nichts dafür.“ „Wie hast du das gemacht, dass es so lange geregnet hat, bist du nicht zu schwach dazu?“ Er schüttelte den Kopf. „Zu schwach bin ich nicht mehr. Nur braucht meine Haut lange Regenerationszeiten, vermutlich durch das Gift, bei dem vorherigen Angriff, ansonsten wäre ich schon lange wieder geheilt.“ Er schwieg, während der Kellner den Wein theatralisch entkorkte und ihnen beiden eingoss. Alli wurde es langsam warm, also entledigte sie sich dem Blazer. „Es sieht einfach toll an dir aus, schöner, als ich es mir vorgestellt habe.“ „Wird mein Onkel es nicht sehen?“ „Das schon, aber er wird die Rune nicht verstehen. Nicht zwangsläufig. Wie du siehst, habe ich ein paar kleine Elemente des A's und des D's weg gelassen, damit sie besser harmonieren.“ „Was war nun mit dem Wetter?“ Er lachte heiser. „Du lässt nicht locker, kleiner Sturkopf. Ich hab es einfach mit einem Zauber gemacht, der dann aber nur temporär und über einem bestimmt Gebiet fällt. Als wir ein Stück gefahren waren, war es ja wieder trocken. Für größere Gebiete muss ich selbst meine Kraft absondern, aber nicht für so ein kleines Gebiet, wie einen Golfplatz.“ „Wird er nicht Verdacht schöpfen?“ „Vielleicht, aber das ist mir egal. Das zahlt er mir beim Schwertkampf heim.“ „Wieso schuldest du ihm einen?“ „Weil ich ihm zwei Krieger weggeschnappt habe. Mojow und Misha. Dann muss man kämpfen.“ Sie sah ihn an, wie sich seine Armmuskulatur bewegte, als er das Weinglas anhob. „Prost, Alli, auf einen schönen Abend.“ Seine Augen leuchteten, als sie die Gläser zusammenführten.
Der Abend und das Essen waren traumhaft. Alli war ein wenig geknickt, als die beiden gemeinsam zum Auto gingen und direkt nach Hause fuhren. Sie hatte gehofft es würde noch etwas folgen. Alli, das Leben ist kein Liebesfilm! Aus der Garage gingen sie schweigend nach oben. Vor seiner Zimmertüre blieb er stehen. Die Halle war dunkel und wurde nur noch von einzelnen Kerzen an der Wand beleuchtet. „Es war ein wunderschöner Abend, Alli. Ich danke dir.“ Er hielt ihre Hände in seinen und drückte sie kurz, wie er es immer tat, um sich von ihr zu verabschieden. „Ja, danke. Ich fand den Abend und den Nachmittag auch wunderschön. Vielen Dank, dass du das für mich tust.“ Sie umarmte ihm kurz und widerstand der Versuchung ihm einen Kuss auf das Ohr zu hauchen. „Gute Nacht, Alli,“ flüsterte er, als sie die Treppe hinauf ging.

9

 

Er wartete, bis sie in ihrem Zimmer war und er den Schlüssel in der Türe hörte. Dann versuchte Dhiro die Aura von Valira wahrzunehmen. Sie saß in einem der Kellerzimmer. Eilig lief er hinunter und klopfte an. „Ja?“ „Valira, ich bitte dich, dass du mir noch etwas verdünntes Blut gibst.“ „Jetzt?“ Sie trug einen Schlafanzug auf dem Katzen waren und sah nun an sich hinab. Sie stand jedoch sofort auf, als er nickte und griff zu ihrem Brieföffner. Vorsichtig schnitt sie an ihrem Arm entlang und ließ etwas Blut in einen Becher tropfen. „Genug, danke.“ Er ging mit dem Blut an ihr vorbei ins Bad und ließ Wasser dazu laufen. „Hauptmann, warum braucht ihr heute mehr Blut, als die letzten Tage? Ist etwas vorgefallen?“ „Nein, Valira. Es ist alles gut. Ich will nur diese letzten zwei Narben loswerden.“ Er trank das verdünnte Blut. Es schmeckte rauchig und bitter. Er musste würgen. Ein Vergnügen war das wahrlich nicht. Noch nie hatte ihm der Umstand gefallen, dass er verdünntes Blut trinken musste, um schneller zu heilen und stärker zu sein. Besonders heute, da er nun zum zweiten Mal einen Becher trank. Er rang nach Luft und bekämpfte den Drang sich zu übergeben. Schweiß trat auf seine Stirn und er umklammerte das Waschbecken so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Keuchend blickte er in den Spiegel, konnte aber wegen seiner verschwommenen Sicht nichts erkennen. „Hauptmann?“ Valira klopfte leise an die Türe. „Alles in Ordnung?“ „Geht schon,“ knurrte er angespannt und krümmte sich vor Übelkeit. In seinem Magen stürmte ein Tornado. Das Blut schien sich mit seinem Essen zu vermischen und sich hin und her zu wiegen. Anders ließ es sich nicht beschreiben. Er hustete, sank auf die Knie vor dem Waschbecken. Seine Psyche spielte ihm üble Streiche am heutigen Tag. Schon am Morgen, als er das erste Glas zu sich nahm, hatte er Probleme gehabt es bei sich zu behalten. Er lehnte den Kopf an das kühle Waschbecken und ließ die Hände hinab hängen. Sie fühlten sich bleiern und taub an. Er bemühte sich tief ein und aus zu atmen und langsam kehrte das Gefühl in seine Hände zurück und sein Magen beruhigte sich. Dhiro wagte es langsam aufzustehen. Gierig trank er ein Glas Wasser. Es folgte ein zweites. Der Spiegel war beschlagen, da die Luft im Zimmer plötzlich warm geworden war. Ruppig wischte er mit dem Handtuch darüber. Seine Augen sahen wieder klarer, gleich würde er sehen, ob es etwas genutzt hatte. Seine Augen weiteten sich. Langsam lehnte er sich näher an den Spiegel. Behutsam fuhr er mit den Händen an seinem Gesicht entlang, drehte und wendete den Kopf. Es war kein einziger Anhaltspunkt mehr zu sehen, dass er Narben im Gesicht davon getragen hatte. „Es hat funktioniert,“ murmelte er. Eilig ging er auf die Türe zu, öffnete sie und unterbrach ein aufgeregtes Gespräch zwischen Seven und Valira. „Hauptmann, Valira hat mich gerufen, stimmt etwas nicht?“ „Es ist alles bestens, macht euch keine Sorgen. Mir geht es hervorragend.“ Valira sah ihn an und schlug sich die Hand vor den Mund. „Die Narben im Gesicht? Sie sind vollkommen verschwunden.“ Er nickte und verließ den Raum. Dhiro hoffte, dass es für lange Zeit das letzte Mal war, dass er Blut zu sich nehmen musste. Nun war es soweit, dachte er. Innerlich brodelte es in ihm. Er war nervös, wie an dem Tag, als er zu dieser Bastion kam. Wie zu dem Kampf, der ihn zum Hauptmann machte. In seinem Zimmer überprüfte er abermals sein Gesicht. Es wirkte noch etwas schmaler, da er noch nicht sein vorheriges Gewicht erreicht hatte. Auch etwas Muskulatur musste noch aufgebaut werden. Aber die Narben waren verschwunden und das war die Hauptsache. Er entledigte sich dem Hemd und zog ein graues Shirt aus dem Schrank. Seine Haare, die er wegen Alli deutlich länger trug, waren etwas verstrubbelt. Er ließ es so, denn er wusste, dass sie es mochte. Behutsam holte er die kühle Kette unter dem Shirt hervor und ließ sie auf seine Brust sinken. Es war gut möglich, dass er sich gerade sein eigenes Grab schaufelte, aber er konnte einfach nicht anders. Nun schlüpfte er noch in eine Jeans und verließ dann sein Zimmer, auf Socken. Langsam ging er die Treppe hinauf und tastete nach ihrer Aura. Sie war gräulich, was bedeutete, dass sie traurig war oder enttäuscht. „Das werden wir hoffentlich jetzt ändern,“ murmelte er. Er holte einmal tief Luft, dann klopfte er zaghaft an die Türe. „Wer ist da?“ Ihre Stimme klang gedämpft, als würde sie ihr Gesicht in die Kissen auf ihrem Bett drücken. „Ich bin es, Alliara!“ Er wusste, dass sie es hasste, wenn er sie so nannte, aber das wütende Funkeln in ihren Augen verlieh ihr eine unglaubliche Ausstrahlung. Sofort hörte er, wie sie Luft holte. „Moment,“ rief sie, nun deutlich besser zu verstehen. Er sah sich um, alles war dunkel. Hoffentlich schliefen alle bereits, sonst war es mit dem heimlich schneller vorbei, als es angefangen hatte. Kurz darauf, hörte er den Schlüssel in der Türe und die Türe wurde geöffnet. Er hatte ihr bewusst den Rücken zugedreht und hielt seine Augen geschlossen. „Dhiro?“ Ihre Stimme war ein Flüstern. „Ja,“ murmelte er fragend zurück. „Was tust du hier?“ Er atmete nochmals tief durch und drehte sich zu ihr herum, um sie in einer einzigen Bewegung zurück in ihr Zimmer zu schieben. Bingo, dachte er. In ihrem Zimmer war es stockdunkel. Eine einzige Kerze flackerte auf dem Fensterbrett. Der leichte Luftzug ließ sie immer wieder beinah ausgehen. „Was hast du vor?“ Ihre Stimme war immer noch sehr leise, aber nun durchsetzt mit einer Art zittern, von dem er hoffte, dass es nicht vor Angst war. „Ich tue das, was ich machen wollte.“ Er setzte sie auf einen Sessel und ging zurück zur Türe, wo er diese verschloss. Seinen Schlüssel legte er auf das Brett neben der Türe und ging wieder auf sie zu. Ihr Herz schlug schnell, pumpte alles Blut rasend schnell durch ihren Körper. Ihre Atmung ging stoßweise. „Wenn du zu hyperventilieren anfängst, dann haben wir nichts davon.“ Er kniete vor ihr nieder und legte seinen Kopf auf ihre Oberschenkel. Sie kraulte automatisch seine Haare. „Gefallen sie dir länger so viel besser?“ „Mhm,“ machte sie. Er drückte ihre Hände weg, während er sich wieder erhob. Langsam zog er sie auf die Beine und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Sie roch himmlisch. Nach einer leichten Vanille-Note und Ingwer. Er drehte seinen Kopf so, dass seine Lippen an ihrem Ohr zu liegen kamen. Sie versteifte sich, weil er in ihre Ohrmuschel atmete. „Dhiro, das,“ „Schhht,“ unterbrach er sie. Dhiro schob sie ein Stück von sich und sah sie an. Er wusste, dass sie ihn nicht so gut sehen konnte, wie er sie. Ihre großen Augen starrten ihn verdutzt an. Die typische Röte zierte ihre Wangen, doch er konnte auch die vergeblichen Versuche erkennen, die Spuren ihrer Tränen weg zu wischen. „Wieso hast du geweint?“ „Hab ich gar nicht,“ stritt sie trotzig ab und straffte ihre schmalen Schultern. „Oh doch, das kann ich sehen.“ Langsam ließ er seine Hand an ihrem Arm herauf wandern. Sie trug immer noch das Kleid, welches sie beim Essen getragen hatte. Es stand ihr äußerst gut. „Ähm, weil,“ stotterte sie. „Weil ich dachte, dass du deine Regeln vielleicht doch brichst und das hast du nicht und nun, na ja, nun sieht es so aus, als würdest du doch.“ Er lachte heiser. Sie überlief ein Schauder, als er mit einem Finger über ihre Schulter und ihren Nacken fuhr. „Ist das so? Sieht das danach aus?“ „So nah warst du mir noch nie, also ja.“ Ihre Stimme war nur noch ein Hauch, der an ihr Ohr drang. Sie reckte ihm den Kopf entgegen, die rosa Lippen leicht geöffnet. Ihre Augen hatte sie geschlossen. Nein, dachte er. So schnell nicht. Er trat hinter sie und massierte mit beiden Händen ihre Schultern. „Oh, das tut gut.“ Immer wieder ließ er seine Hände bis zu ihren, ihren Arm hinab und wieder hinauf gleiten, bis er zwischen seinen Händen seine Lippen auf ihre Schultern und ihren Nacken legte. Sie schien es nicht zu bemerken, dachte er grinsend. Ihre Haut war so warm und weich. Eine solch weiche Haut hatte er nie gespürt. Langsam trat er wieder vor sie. „Hat jemand gesagt, dass du aufhören sollst?“ Das war es. Er beugte sich mit geschlossenen Augen hinab und legte seine Lippen zielsicher auf die ihren. Erschrocken stieß sie ihn weg. „Dhrio, aber?“ Er ging zur Nachttischlampe an ihrem Bett und schaltete sie ein. Ihre Augen weiteten sich und sie ließ ihre Finger an ihren Lippen entlang fahren, während sie ihn musterte. Seine Miene war unergründlich. „Oh Gott!“ Sie rannte förmlich auf ihn zu, um die kurze Distanz zu überbrücken. Kurz vor ihm hielt sie an und sah ihm in die Augen. „Dhiro, du bist so schön.“ Er schloss die Augen und schnaubte. „Doch,“ sagte sie und er öffnete seine Augen wieder, als sie eine Hand an seine Wange legte. Langsam kamen ihre Lippen seinen näher, bis sie sich behutsam aufeinander legten. Zuerst tauschten sie nur ein paar kleine Küsse aus, bis Dhiro sich auf das Bett sinken ließ und sie auf seinen Schoß zog. Ein Bein links und rechts von ihm, saß sie nun rittlings auf ihm. Seine Hände ruhten auf ihrem unteren Rücken, um sie zu stützen. Die ihren lagen auf seinem Gesicht oder in seinen Haaren. Die Küsse wurden drängender. Bald schon erforschte seine Zunge ihren Mund. Bis sie plötzlich inne hielt und aufstand. „Es tut mir Leid,“ sagte sie. Dhiro sah sie an, wie sie sich eine Hand an die Stirn presste. „Was ist los, Alli?“ Sie schüttelte den Kopf und presste nun ihre Hände auf die Augen. „Hab ich etwas Falsches gemacht?“ „Nein,“ rief sie und sah ihn an. Eilig lief sie zu ihm und ließ sich auf den Boden fallen. Den Kopf platzierte sie genau in der gleichen Position, wie er es getan hatte. „Ich hatte gerade, als du mich geküsst hast und ich deine Zunge in meinem Mund gespürt hab, so eine Art Flash-Back. Kann das sein?“ Oh Gott, dachte Dhiro und Wut kroch seinen Hals hinauf. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Wer wusste schon, in welcher Weise sie von ihren Ehemännern noch misshandelt worden war. Wozu sie sie gezwungen hatten. „Ich kann mich nicht erinnern, was man mit mir gemacht hat, wovor ihr mich gerettet habt.“ „Vor Monstern. Genau können wir dir natürlich auch nicht sagen, was sie dir angetan haben. Aber die letzte Situation, in der wir dich mit deinem Ehemann gefunden haben war, nun ja, sehr prekär.“ Sie beobachtete sein Gesicht, welches einen gequälten Gesichtsausdruck angenommen hatte. „Er hatte dir kurz zuvor die Kleider vom Leibe gerissen und dich zu Boden gedrückt. Also ich schätze, dass,“ Er hielt inne, als schmerzte ihn die Erinnerung daran. „Ich schätze, dass sie dich vergewaltigt haben,“ murmelte er leise. Sie sah ihn an, ohne jegliche Gefühlsregung. Ihr war kalt und sie fröstelte. „Ich erinnere mich nicht.“ Er nickte. „Eigentlich denke ich, dass es besser so ist, aber, dass du dich nicht erinnerst, liegt daran, dass du oft manipuliert wurdest. Daher funktionierte es auch nicht mehr sonderlich gut. Weshalb du dich an meine Augen, zum Beispiel noch erinnert hast.“ Er seufzte und rieb sich mit der Handfläche über das Gesicht. „Das hatte ich alles ganz verdrängt. Ich bin so ein Narr.“ „Nein, das bist du nicht. Wahrscheinlich war es besser, dass ich mich nicht mehr erinnert habe, besonders als ich gerade hier war, war ich ja noch sehr eingeschüchtert.“ Sie runzelte die Stirn und sah zu ihm auf. „Ich will nicht, dass das zwischen uns steht.“ Er sah sie nachdenklich an. „Für mich wird es das nicht,“ sagte er und legte seine Hand an ihre Wange. „aber was ist mit dir? Du hattest eine Art Flash-Back, nur weil ich dich geküsst habe.“ „Es tut mir Leid,“ sagte sie. „Was soll dir denn Leid tun? Es gibt nichts wofür du dich entschuldigen müsstest. Was hast du überhaupt gesehen?“ Sie schloss die Augen. „Da war ein Zimmer, ich war gefesselt. Ohne Kleidung. Dann kam ein Mann herein, den ich nicht kannte. Seine Augen waren schwarz und seine Haare ebenfalls. Ich weiß, dass ich Angst hatte. Und dann war es so schnell vorbei, wie es gekommen war.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich hab gewusst, dass ich jünger war, als jetzt.“ Sein Gesichtsausdruck war todernst, als er sie nun ansah. „Du warst fünfzehn, als dein Möchtegern-Onkel dich das erste Mal verkauft hat. Aber dieser Mann ging ihm zu ruppig mit dir um. Also tötete er ihn, um dich vermeintlich zu retten. Und verkaufte dich prompt wieder. Wir kamen etwas zu spät. Er war gerade zwei Tage mit dir verschwunden. Seine Spuren waren gut verwischt. Aber wie der Zufall es so wollte, wurde Nesil an den selben Herrn verkauft, wie du. Und er nahm Kontakt auf.“ „Aber wieso? Wusste er, dass ich nicht rein menschlich bin?“ Dhiro lachte bitter. „Jeder Dämon, eigentlich auch die, die dich gekauft haben, hätten dich erkennen müssen. Es sei denn sie waren Verbrecher. Denn dein Bild, als du ein Kind warst, wurde überall gezeigt. Deine Leiche wurde nicht gefunden, dass hieß, dass die Friedenswahrerin noch lebte. Und irgendjemand war uns zuvor gekommen und hatte dich mitgenommen. Nesil hat mir erzählt, dass er beim einkaufen für seinen ersten Herrn, dein Bild sah, in einer Zeitung, die neben der Kasse des Metzgers lag. Er sagte, dass er sofort wusste, dass du es sein musst. Er eilte aus der Metzgerei hinüber zur Post und sandte eine Nachricht an uns. Doch als wir diese erhielten und uns auf den Weg machen, warst du schon wieder weg. Nesil ebenso.“ Er holte tief Luft. „Nesil sagte, dass du großes Glück hattest, dass du zum gleichen Herrn kamst, wie er und dieser Herr wäre ein wenig netter gewesen, als der Letzte und sehr einfältig. Er berichtete, dass du nicht gefesselt warst, dich in deinem Zimmer frei bewegen konntest. Dass Nesil sogar dein Zimmer betreten durfte, um dir Essen zu bringen, du Kleidung hattest. Diesmal war Nesil schneller und schickte eine Eilnachricht. Seinem Herrn erzählte er, er habe das Geld verloren. Dafür erhielt er zwei Peitschenhiebe, was laut ihm noch großzügig war. Als wir diese Nachricht erhielten, machten wir uns sofort auf und erwarteten das Schlimmste. Du warst in einem sehr schlimmen Bereich angelangt. Es ging dort nur darum mit Menschen und Dämonen zu handeln. Habe ich dir erzählt, was Menschenblut mit uns macht? Es lässt uns ebenfalls stärker werden, aber verliert schnell seine Macht. Es ist quasi wie ein kleiner Energy-Drink. Nun ja, wir hatten es jedenfalls eilig zu dir zu kommen. Dein Onkel befand sich noch im Hause, da die Hochzeit gerade herum war.“ Dhiro sah auf seinen Unterarm und drehte ihn ins Licht. „Diese Narbe hier, stammt von dem Kampf mit ihm. Narben können bleiben, wenn wir uns nicht heilen lassen. Oder sie stammen aus Zeiten bevor die Wandlung abgeschlossen war. Jedenfalls habe ich ihn getötet.“ Er stand auf und trat an das Fenster. Sachte schob er den Vorhang beiseite. „Ich habe ihm mein Schwert in den Rumpf gerammt und mit einem anderen habe ich ihm den Kopf abgeschlagen. Im Nachhinein fühlte ich mich schlecht.“ „Wieso? Er war nicht gut. Er musste sterben.“ Dhiro schüttelte den Kopf. „Nicht weil ich ihn getötet habe, oh nein. Sondern, weil er viel zu schnell starb. Kurz und schmerzlos. Ich hätte ihn foltern sollen.“ Alli holte tief Luft, so etwas hatte sie von Dhiro noch nie gehört. „Ich weiß, das klingt hart, aber bei allem was er dir antat und unserem Volk, hatte er es nicht anders verdient.“ Seufzend öffnete er ein Fenster. „Wir brachten dich zu deinem richtigen Onkel. Er heilte dich, veränderte dein Gedächtnis und berichtete dem Gebieter von deiner Rettung. Wir sandten Lio aus, der dir beistehen sollte und dich beschützen sollte. Da Myrancor viel für den Gebieter unterwegs ist, brauchtest du Schutz. Einige hatten es für besser gehalten, dass du in einer Bastion aufwächst, aber dein Onkel wollte, dass du das Gefühl hast, frei zu sein. Daher die Wohngemeinschaft mit Lio und deiner menschlichen Freundin in seinem Haus.“ „Wer war es, der mich zuletzt entführt hat? Waren das auch Dämonen?“ Dhiro drehte sich zu ihr herum und kreuzte die Arme vor der Brust. Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein, das waren Engel. Sie hatten dein Bild gesehen, wussten, dass du wichtig für die Dämonen bist und dachten, du wüsstest, wo sich die Bastionen befinden. Dabei warst du vollkommen ratlos.“ Sie konnte es nicht fassen. „Engel sind also wirklich böse?“ „Das kommt drauf an, auf wessen Seite du stehst. Wie immer gibt es mehrere Blickwinkel. Aber die Engel haben die Angewohnheit alle zu hassen, die keine Engel sind. Dazu gehört das Quälen, Foltern, Entführen und töten aller anderen Rassen. Auch der Menschen, zu derer Schutz sie eigentlich mal existieren sollten.“ Alli schüttelte den Kopf. Ebendieser dröhnte ihr auch. Sie lachte bitter. „Jetzt habe ich es total versaut, oder?“ Schweigend starrte er sie an. „Ist es nicht so?“ Ihre Stimme klang scharf, weil er nicht antwortete. Langsam ging Dhiro zurück zu ihr. „Was sollst du denn versaut haben? Wir haben uns doch geküsst, das war es doch was du wolltest, oder?“ Sie spürte sein Grinsen. „Hey, so böse Dinge solltest du über mich aber nicht denken,“ sagte er lachend. „Hör auf meine Gedanken zu lesen! Ich wollte vielleicht noch ein wenig mehr. Aber jetzt ist die Stimmung hin.“ Sie starrte finster zu ihm hinauf. „Hab keine Angst, ich kann deine Gedanken immer nur sehr kurz lesen und auch nur dann, wenn du sauer bist. Was genau genommen ziemlich häufig der Fall ist.“ Grinsend wich er ihrem Tritt aus. Er reichte ihr seine Hände und zog sie auf die Füße. „Kleine Alliara.“ Sie funkelte ihn an. „Du bist nicht sehr nett?“ „Nett soll ich sein?“ Er zog seine Augenbrauen hoch. „So so.“ Langsam drückte er sie auf das Bett hinunter. Ihre Augen wurden groß. Er lehnte sich mit seinem Rücken aufrecht sitzend an das Kopfteil und zog ihren Kopf an seine Brust. „So etwas habe ich noch nie gemacht,“ sagte sie und errötete. „Da sind wir schon zu zweit.“ „Dhiro?“ „Mhm,“ machte er und das Geräusch hallte in seinem Brustkorb wider. „Wieso hast du Bilder von Tieren auf deinen Bildschirmen im Arbeitszimmer? Das wollte ich dich seit dem fragen.“ Seine Brust bewegte sich, als er nun lachte. „Tiere sind Verbündete und alles andere dazu wirst du noch sehen.“ Er griff in ihre Nachttischschublade und zog eine Fernbedienung hervor. „Wieso sagt mir niemand, dass ich einen Fernseher habe?“ „Sei ruhig!“ Er lachte wieder. „Genieße es lieber, bevor es vorbei ist.“ Er hatte Recht. In einem oder zwei Jahren würde sie spätestens wissen, ob sie ein Dämon war. Und dann..., dann würde es vorbei sein.

Lautes Vogelgezwitscher weckte sie auf. Grummelnd drehte sie sich auf den Rücken. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Ihre Augen wurden groß. Auf dem Sofatisch stand ein Strauß dunkelrote Rosen und ein Tablett mit Frühstück. Langsam sah sie sich im Zimmer um. Sie war scheinbar alleine. Sie gähnte herzhaft, als sie sich auf die Bettkante setzte. Ihre Knochen knirschten, als sie sich reckte, wie eine Katze in der Sonne. Alli's Blick fiel in den Spiegel neben der Türe. „Oh Gott,“ rief sie. Das Kleid war vollkommen zerknittert, ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, ihre Schminke war über das gesamte Gesicht verteilt. Eilig huschte sie ins Bad. Sie klatschte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, schminkte die Reste des Vortages ab und bürstete ihr Haar. Das Kleid warf sie in die Wäschetonne. Nur in ihrer Unterwäsche bekleidet ging sie zurück ins Zimmer und traf auf Dhiro, der mit einer Zeitung auf dem Sessel neben dem Tisch saß. Seine Augen weiteten sich kurz, als er aufsah. Schamvoll versuchte sie, sich weiter zu bedecken. „Ähm,“ begann sie. „Ich muss an den Schrank. „Sieht wohl so aus,“ sagte er und faltete die Zeitung zusammen. Er machte keinerlei Anstalten weg zu sehen oder den Raum zu verlassen. Langsam und mit vor der Brust verschränkten Armen lief Alli auf den Schrank zu. Sie musste leicht um ihn herum greifen, damit sie an ihre Unterwäsche kam. Eilig griff sie sich einen BH und einen Slip. Dann öffnete sie die mittlere Schranktüre weit und zog eine Jeans mit Löchern und ein bauchfreies Top sowie eine weite mit großen Maschen gestrickte Jacke heraus. Sie beeilte sich ins Badezimmer zurück zu kommen und hielt ihre Kleidung vor ihren Hintern. Sie wusste, dass es lächerlich war, da er sie bereits im Bikini gesehen hatte und mit ihr deutlich auf Tuchfühlung war. Sie spürte, dass ihre Wangen rot waren. In Unterwäsche fühlte man sich einfach nochmal deutlich privater und nackter. Besonders da sie sich gestern extra für ihn in besonders knappe Wäsche geworfen hatte. Idiotischerweise eigentlich. Und fast hätte er sie nicht gesehen. Sie kicherte, als sie in das Top schlüpfte. Schnell überprüfte sie ihre Haare und verließ wieder das Bad. „Hast du mich etwa heute morgen angesehen?“ Er sah wieder von der Zeitung auf. „Nein, ich habe eine Schlafmaske aufgehabt.“ Sie starrte ihn verdutzt an. „Natürlich habe ich dich angesehen. Dafür habe ich immerhin die ganze Nacht hier verbracht. Damit ich sehe, wie du morgens früh aussiehst.“ Er grinste schelmisch, was ihn einfach noch viel jünger erscheinen ließ. „Oh Mann,“ rief sie und schlug sich die Hände vor ihr Gesicht. „Ich sah furchtbar aus.“ Er schüttelte den Kopf und sah dabei sehr ernst aus. Sie bohrte nicht weiter nach, denn sie fürchtete sich, vor der Antwort, die er ihr geben könnte. Sie setzte sich neben ihn. Er legte die Zeitung auf den Boden und goss ihr eine Tasse Kaffee ein. Er trank Tee. „Trinkst du immer Tee?“ Er schüttelte den Kopf, bevor er sagte. „Aber ich vertrage keinen Kaffee auf leerem Magen.“ Sie lachte. „Oh, ein Empfindschen.“ Er hatte Mühe sich ein Lächeln zu verkneifen. „Iss, Alliara. Wir haben heute etwas aufregendes vor.“ Sie sah ihn überrascht an. „Kannst du dir denn noch einen Tag Auszeit von deinen Pflichten nehmen?“ Dhiro legte einen Finger an seinen Kinn. „Jawohl, denn das Gute daran, dass dein Onkel hier ist, ist, dass er meinen Papierkram erledigt.“ Wieder lachte Alli auf. Sie aß zwei Brötchen und teilte sich ein Croissant mit ihm. „Dhiro?“ Er nickte, während er in seinem Kaffee rührte und hinein sah. „Wie sehen eigentlich Vampire aus?“ Stirnrunzelnd sah er sie an. „Wie meinst du das?“ Sie wurde leicht rot im Gesicht. „Nun ja, sehen sie eher aus, wie ihr, also vollkommen normal oder haben sie immer Reißzähne oder, ach ich weiß nicht. Wie in den Filmen halt.“ „Sie glitzern jedenfalls nicht im Sonnenlicht, soweit ich weiß. Obwohl...“ Er dachte nach. „Wenn du in Flammen aufgehen als Glitzern zählst, dann schon.“ „Herrje, Dhiro!“ Ihre tadelnde Stimme entlockte ihm abermals ein Lächeln. Missbilligend sah sie ihn an. „Nun sag schon.“ „Sie sehen ganz normal aus, bis ihr Bluthunger sie übermannt. Sie wirken blasser als wir oder Menschen, weil sie eben keine Sonne vertragen können. Ganz einfach. Aber falls du an diesen Liebesschnulzen Kram denkst: Nein sie sind nicht alle wunderschön.“ Dhiro wirkte fast ein wenig eingeschnappt, als er ihr ihre Frage beantwortete. „Alli?“ Das war die Stimme ihres Onkels. Dhiro runzelte die Stirn. Nahm die Zeitung und seine Schuhe und verschwand im Bad. Leise lehnte er die Türe an. „Dhiro,“ flüsterte Alli. „Hier stehen zwei Tassen und Teller, wie bitte soll ich das erklären?“ Mit grimmigem Gesichtsausdruck schlich er zurück zum Sessel und nahm so leise er konnte den Teller hoch und sein Tasse. Alli sah sich nochmals um, ob er im Bad war und ging zur Türe. Sie öffnete sie. „Hallo Onkel. Schon so früh unterwegs?“ „Ja, irgendjemand muss ja arbeiten.“ Er sah sich in ihrem Zimmer um. „Sag mal, Dhiro hat dich doch gestern abgeholt. Danach hat man Seven zu Valira gerufen, weil etwas nicht mit ihm stimmte und danach ist er einfach verschwunden. Weißt du, wo er ist?“ Alli bemühte sich um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. „Nein, also er hat sich von mir vor seinem Zimmer verabschiedet. Ich dachte er wäre ins Bett gegangen.“ Ihr Onkel beäugte sie so, wie wenn sie aus der Schule kam und sagte, dass sie keine schlechte Klausur geschrieben hatte und er ihr ihre Lüge nicht abkaufte. „Kann ich reinkommen?“ Alli wurde nervös. „Sicher,“ sagte sie. Ihr Onkel sah sich abermals im Zimmer um. „Ich habe dich gestern Nacht noch weinen gehört,“ begann er, als Alli die Türe geschlossen hatte. „Ist irgendetwas passiert?“ „Ich will diesen Typen nicht heiraten, das ist passiert. Ich will selbst entscheiden. Über mich und mein Leben. Sollte nicht neu für dich klingen, oder, Onkel?“ Er sah sie mit einer Mischung aus Mitleid und Missbilligung an. „Aber bis zu einem gewissen Grad kannst du das doch. Such dir einen Mann aus und ich spreche beim Gebieter für dich vor, ob dieser in seinen Augen würdig ist!“ Alli schnaubte und trank an ihren Kaffee. „Na, da werde ich ja eine tolle Auswahl haben.“ „Wenn du sagst, dass du Zurdak nicht willst, dann werde ich ihm sagen, dass er nicht mehr herkommen braucht.“ Alli dachte nach. Was, wenn dann nur noch schlimmere kamen und sie einen davon heiraten musste? Gegen Kaan war Zurdak ja noch ein Topmodel und nett. Und er hatte Macht und Geld. „Ich weiß es nicht,“ flüsterte sie. „Ich will jemand ganz anderes haben.“ „Alli, sprich laut und deutlich mit mir.“ Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer gleiten und ihr Herz blieb stehen. Auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag etwas, das nur einem Mann gehören konnte. Dhiro's Hauptmann-Kette! Myrancor ging gerade auf das Bett zu, vermutlich um sich zu setzen. „Onkel, weißt du was? Irgendwie ist die Luft hier drin sehr stickig und außerdem, habt ihr schon in seinem Zimmer nachgesehen?“ Er drehte sich zu ihr herum und schüttelte den Kopf. „Du bist merkwürdig.“ „Warum? Ich versuche nur den Hauptmann und Kommandanten der Bastion zu finden, nach dem du eigentlich gesucht hast.“ Sie lächelte breit und kam sich absolut lächerlich vor. „Hier ist er nicht, wie du siehst und da ich ihn zuletzt vor seinem Zimmer sah und einen Schlüssel besitze, dachte ich wir könnten ja mal nachsehen gehen.“ „Okay, dann lass uns gehen.“ „Geh du vor.“ Sie tat so, als würde sie sich im Spiegel betrachten und wartete, dass Myrancor zur Türe hinausging, dann drehte sie sich herum und gestikulierte zur Türe ihre Badezimmers. Sie zeigte auf ihren Nachttisch und sah ein blaues Auge durch den Türspalt blicken. Herr Gott, selbst Dhiro's eigener Schlüssel lag auf dem Brett neben ihrer Türe. Sie griff nach ihrem Exemplar und verschwand durch dir Türe. „Wir haben geklopft, aber es hat niemand aufgemacht.“ „Oh, das ist natürlich seltsam.“ Sie schaffte es nicht Sorge in ihre Stimme zu legen und ihr Onkel runzelte die Stirn. Sie schloss eilig die Türe zu Dhiro's Zimmer auf. Und dort lag er! Auf dem Bett. Er schien zu schlafen. Es sah so aus, als würde er das schon seit Stunden tun. Alli's Herz schlug schnell, viel zu schnell. Er trug das gleiche schwarze Shirt, welches er auch vor drei Minuten getragen hatte. Aber wie war das möglich? Er konnte unmöglich an ihren vorbei gegangen sein. Myrancor ging auf ihn zu und fühlte seinen Puls. „Er lebt. Liegt wohl daran, dass er immer noch im Erholungsprozess ist. Lassen wir ihn schlafen.“ Wie versteinert umklammerte Alli immer noch den Türknauf. Was ging hier vor? Sie schüttelte den Kopf, wie um sich selbst wach zu rütteln und zog die Türe zu. „Wars das dann? Ich war noch nicht fertig mit meinem Frühstück!“ Myrancor nickte. „Achso, Alli?“ Sie drehte sich auf dem Treppenabsatz nochmals um. „Teile mir deine Entscheidung mit. Ich liebe dich, Kleines.“ „Ich hab dich auch lieb, Onkel.“ Sie rannte nach oben in ihr Zimmer. Es war ihr egal, was ihr Onkel in dem Moment dachte. Sie hatte Angst, dass es alles nur eine Täuschung oder schlimmer noch, ein Traum gewesen war. Sie riss die Türe auf und sah auf das Schlüsselbrett. Lediglich ihre Schlüssel lagen dort, auf ihrem Nachttisch keine Spur der Hauptmann-Kette. Kraftvoll stieß sie die Türe zum Badezimmer auf. Leer! Er war verschwunden. Oder nie da gewesen, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie fuhr mit den Fingern über ihre Lippen. Langsam ließ sie sich neben dem Bett auf dem Boden nieder. Leise ließ sie Musik laufen und ihren Gedanken freien Lauf. War er nie da gewesen? Aber es fühlte sich so echt an.

10

 Dhiro ließ die Füße aus dem Bett hängen. Das war knapp, dachte er. Beinah hätte Myrancor die Kette gesehen. Die hätte ihn nun wirklich verraten. Wäre es dann schneller wieder vorbei, als es begonnen hatte? Er konnte einfach nicht mit Frauen umgehen, schoss es ihm als nächstes durch den Kopf. Als sie so verstört war, wegen dieses Flash-Backs, hatte er richtig gehandelt? War es richtig ihr die Wahrheit zu erzählen, statt sie zu trösten? Er wusste es einfach nicht. Es war nicht so, dass er keinerlei Erfahrung hatte, aber nicht mit Liebe. Oder wie Frauen tickten. Das hatte er nie verstanden. In der Etage über ihm lief Musik. Er hatte ihren Herzschlag gehört. Etwas hatte sie beunruhigt. Er nahm sich eine Jacke und zog seine Schuhe an. Seine Sporttasche stand bereits gepackt neben der Türe. Er raffte sie auf seine Schulter und ging die Treppe wieder hoch in Richtung ihres Zimmers. Leise klopfte er. Sie sah ihn an, als sie die Türe öffnete, als wäre sie ein Geist. „Wie?“ Er schob sie zurück in ihr Zimmer. „Ich bin zum Fenster raus. Das Porzellan liegt unten im Gebüsch.“ Dann küsste er sie sanft auf ihre geöffneten Lippen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. „Dann war es doch kein Traum,“ flüsterte sie an seinen Lippen. „Doch, Alli, das ist es. Nur, dass er wahr wird.“ Sie lächelte. „Jeden Tag ein bisschen mehr.“ „Du musst Sportsachen einpacken. Feste Sportschuhe, eine Sporthose und einen Pullover. Am besten mit einem Top drunter, falls es zu warm wird.“ „Was hast du schon wieder vor?“ „Och, ein bisschen Abenteuer.“
Etwa eine halbe Stunde später saßen sie in dem schwarzen R8 und verließen das Haus. „Mein Onkel wird sich bestimmt wundern.“ „Er war trainieren, das dauert.“ Sie fuhren eine schmale Straße entlang. Wenn Alli rechts aus dem Fenster sah, sah sie nur einen Abhang, mit unbestimmter Tiefe. Sah sie nach links, dann sah sie eine steile Felswand. Nach der nächsten Kurve lenkte Dhiro den Wagen auf einen gekiesten Parkplatz. „So,“ begann er und stieg aus dem Wagen. „Da vorne steht eine Kabine, in der kannst du dich umziehen.“ Er reichte ihr ihre Tasche. Sie betrachtete sein aristokratisches Gesicht. Ein leichter Hauch eines Bartes zog sich über sein Kinn und seine Wangen. Als würde er ihren Blick spüren, fuhr er mit der Hand darüber und erzeugte ein kratzendes Geräusch. „Nun los, wir haben leider nicht den ganzen Tag Zeit.“ Eilig lief sie in die Kabine. Sie wunderte sich, wie geräumig diese war. Sie schlüpfte aus ihrer Kleidung, legte sie zusammen und stopfte sie in die Sporttasche. Dann tauschte sie die Schuhe und warf einen prüfenden Blick auf ihre Adidas Sporthose in 7/8 und das graue Top mit dem leichten Pullover darüber. Als sie aus der Kabine und auf das Auto zu ging, entknotete Dhiro gerade eine Art Gurt. Als ihre Füße auf dem Kies knirschten sah er auf. Er trug ein weites dunkelgrünes Shirt und eine schwarze kurze Hose. Seine Turnschuhe wirkten riesig. Ihr war nie aufgefallen, wie groß seine Füße waren. Neugierig sah sie ihm zu, während sie ihre Tasche wieder im Kofferraum des R8 verstaute. „Gut, dann schlüpf mal hier herein.“ Er hielt ihr einen roten Gurt hin. Während er sie anwies, in welche Schlaufe sie ihre Beine stecken sollte, stützte sie sich auf seiner Schulter ab. Erst jetzt sah Alli sich die Steilwand genauer an. In schwindelnder Höhe hing eine Seilspule und daran baumelte ein dickes Stahlseil. Etwas weiter rechts entdeckte sie die gleiche Kombination. „Warte,“ fragte sie, als sie kombiniert hatte. „Wir klettern da rauf?“ Er grinste, während er ihre Gurt fest zurrte. Sie entdeckte zwei Karabiner an ihrem Gurt und die Gegenstücke dazu an dem Seil. „Jap, das werden wir.“ Er erhob sich aus seiner hockenden Haltung und fragte: „Nicht zu fest?“ Sie schüttelte den Kopf. Nun schlüpfte er in seinen Gurt und sie stellte fest, dass er das nicht zum ersten Mal machte. Er reichte ihr Handschuhe in einem knalligen pink. „Ich hoffe, die sind dir nicht zu groß.“ Alli probierte die Handschuhe an. „Nein, sind sie nicht. Von wem sind die?“ Dhiro grinste. „Wieder gar nicht neugierig, Alliara. Die sind von meiner Schwester, als sie noch kleiner war.“ Sie funkelte ihn zornig an, woraufhin er die Achseln zuckte. „Ich kann nichts dafür, dass du so kleine Händchen hast.“ Trotzig ging sie neben ihm her auf die Steilwand zu. „Also, bist du schon mal geklettert?“ Er stellte die Frage, obwohl er die Antwort kannte. Sie schüttelte den Kopf und starrte die Wand an. „Siehst du die einzelnen Karabiner in der Wand? Einer deiner Karabiner ist mit einer etwas längeren Stahlschnur an deinem Gürtel verbunden. Sobald du einen sicheren Stand hast, musst du den immer und immer wieder einhaken, wenn du höher gehst. Der andere bleibt ständig an der Sicherungsleine. Die Sicherungsleine ist so konzipiert, dass sie, falls du fallen solltest, bei einer abrupten Abrollbewegung stoppt, als kannst du nicht abstützen. Zur weiteren Sicherheit dient der erste erwähnte Karabiner, der dich in der Nähe der Wand hält, damit du nicht zu weit weg schleuderst. Alles so weit verstanden?“ Alli schluckte sichtbar. „Karabiner immer wieder festmachen. Anderen nicht losmachen.“ Sie nickte, hatte aber noch etwas anzumerken. „Im Fernsehen haben die immer so bunte Knöpfe an denen man sich hält.“ „Das sind Kletterhallen oder extra vorbereitete Wände. Diese Wand wird auch von Freeclimbern benutzt.“ Sie sah auf seinen Gurt. „Machst du das normalerweise ohne diesen Gurt?“ Seine Augen sahen sie ernst an. Dann nickte er langsam. „Normal schon, ja. Aber wenn du dabei bist, dann will ich auch auf Nummer Sicher gehen.“ Sie atmete noch einmal tief durch. „Wenn du nicht mehr kannst, weil es zu anstrengend wird, such dir einen sicheren Stand und verschnaufe etwas. Wenn du deine Hände ausschütteln willst, dann empfehle ich dir, dass du den Karabiner an der Wand etwas über dir befestigst, dann kannst du dich besser hineinhängen. Gut, können wir?“ Sie sah ihn mit großen Augen an. „Du brauchst keine Angst haben. Ich glaube an dich. Du bist so stark, du schaffst das.“ Zitternd atmete sie aus. Sie befestigte beide Karabiner an den vorhergesehenen Stellen, dann sah sie erneut an der Wand hinauf. Vorsichtig suchte sie mit den Händen an der Wand nach Halt. Als sie ihn gefunden hatte, tat sie es mit ihren Füßen gleich.
Nachdem sie die ersten paar Meter zitternd vor Angst zurück gelegt hatte, wurde sie sicherer. Aber mit einem hatte Dhiro Recht: Es war sehr anstrengend. „Wenn du Höhenangst hast, dann sieh nicht nach unten.“ „Ich weiß nicht, ob ich Höhenangst habe,“ murmelte sie. „Nicht schlimm, du hast schon gute zehn Meter geschafft.“ Sie sah nach oben. Es schien, als würde die Steilwand kein Ende nehmen, als würde sie direkt in den Himmel klettern. Sie blickte hinüber zu Dhiro, der scheinbar mühelos zu ihr aufgeschlossen hatte. Muskulatur spannte sich an, als er nun den Arm hob, um sich weiter hoch zu ziehen. Ihre Beine zitterten mittlerweile nicht mehr aus Angst, sondern vor Anstrengung. „Oh Gott,“ stöhnte sie. „Alles okay?“ In seiner Stimme schwang leichte Sorge mit. „Ja, ja. Es ist nur sehr anstrengend. Wie weit ist es noch?“ „Das willst du nicht wissen.“ Herrje, dann war es sicher noch weit. „Ruh dich sonst kurz aus.“ „Kann ich meinen Pullover ausziehen?“ „Na klar. Soll ich dich festhalten kommen oder traust du dich so?“ Sie sah ihn an. Seine blauen Augen blickten wachsam zurück. Es war fast Oktober, doch die Sonne schien heiß und unerbittlich vom Himmel auf sie hinab. Sie hakte den Karabiner etwas höher ein, als sie stand und lehnte sich vorsichtig etwas nach hinten, jedoch noch ohne die Hände von der Wand zu lassen. Sie amtete tief durch und ließ die Wand los. Ihr Oberkörper schwang sofort etwas zurück, bis der Karabiner und das Stahlseil auf Spannung waren. Sie zog den Pullover über ihren Kopf und band ihn gerade um ihre Hüfte, als es passierte. Ein knarzenden Geräusch war zu hören, dann löste sich der Haken aus der Steilwand und sie fiel nach hinten. Sie kreischte kurz auf und merkte dann, wie sie abrupt abgebremst wurde. Ihr war heiß und sie lehnte an etwas warmen. „Geht's?“ Dhiro's Stimme war sehr nah und sie runzelte die Stirn, traute sich jedoch nicht die Augen zu öffnen. „Alliara?“ Ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, dass er sie hielt. „Ich dachte, das Seil würde stoppen?“ „Ja, aber ich wollte dir den Schock ersparen und hatte Angst, dass die Technik wieder versagt.“ „Wie bist du so schnell her gekommen?“ „Ich kann sehr weit springen.“ Blinzelnd öffnete sie die Augen. Sie lag in Dhiro's Arm. Zusammengerollt, wie eine Katze in der Sonne. Mit einem Arm und den Beinen hatte Dhiro festen Halt an der Mauer. „Mein Held,“ murmelte sie. Er lachte kehlig. „Willst du alleine weiterklettern?“ Sie nickte. Er stützte sie, bis sie wieder sicheren Stand hatte und hakte ihren Sicherheitskarabiner an. „Dann mal los, du kleiner Klammeraffe.“ Sie lächelte ihn an und kletterte ein Stück weiter. Sie hörte wie unter ihr kleinere Steine davon stoben und als sie hinsah, sah sie, dass Dhiro nicht mehr unter ihr hing, sondern sich gerade wieder auf seiner Seite an der Sicherheitsleine befestigte. „Angeber,“ rief sie. Er schmunzelte und kletterte schnell nach oben. „Hey, warte auf mich!“
Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit schmerzenden sowie zitternden Beinen und Armen, zog Dhiro sie über die scharfkantige Klippe nach oben. Keuchend blieb sie auf dem Rücken liegen und legte sich einen Arm über die Augen. Dhiro kniete sich neben ihren Kopf und küsste sie. „Jetzt machst du einen auf Spiderman? Wie passend.“ Sie lachte. Er stimmte in ihr Lachen mit ein. „Nur dass mir sein Anzug deutlich zu eng wäre.“ Er half ihr auf die Beine. Alli blieb die Luft weg. Die Luft hier oben war heiß, keine Wolke war am Himmel zu sehen. Möwen zogen kreischend ihre Bahnen über ihr. Doch der Anblick, der sich ihr bot, war jede Mühe wert. Vor ihr, wo sie während der Autofahrt noch den tiefen Abgrund gesehen hatte, konnte sie das glitzernde blaue Meer sehen. Meer, so weit das Auge reichte. Sie wandte ihren Blick nun nach rechts und überblickte in weiter Ferne die gesamte Stadt. Ihr Mund formte ein kleines O. Hinter ihr, erstreckte sich ein riesiger Wald, der genau am Ende dieses Plateau's begann. Links von ihr, sah sie ebenfalls das Meer und weitere Steilwände und ganz klein ein Fischerdorf und einen Hafen. „Es ist wunderschön.“ Dhiro hatte eine Decke ausgebreitet und saß bereits darauf. Alli zog ihr Handy heraus. „Komm bitte her.“ Stirnrunzelnd stand er auf. Sie legte einen Arm um seine Taille und drehte sich so, dass das Meer in ihrem Rücken lag. „Und jetzt recht freundlich gucken.“ Er lächelte leicht und sie knipste zur Sicherheit zwei Fotos. „Danke.“ „Dafür nicht,“ sagte er und nahm wieder auf der Decke Platz. Sie tranken und aßen etwas. „Wie kommen wir wieder hinunter?“ „Siehst du diese Hütte, da drüben?“ Er zeigte mit ausgestrecktem Arm darauf. „Da gibt es einen Paraglider drin. Und den benutzen wir.“ Ihre Augen weiteten sich. „Wir-wir werden fliegen?“ Er nickte und biss in einen Apfel. Die Sonne verlieh seinem Haar einen hellen Schimmer, der ihm wirklich gut stand. „Du vertraust mir doch oder?“ Sie sah ihn kurz an und nickte dann. „Dafür muss ich nicht lange überlegen.“ Geschäftig schraubte Dhiro die Karabiner ab und fügte einige stabil wirkende Schlaufen und schraubenartige Verschlüsse an. Gemeinsam gingen sie auf die Hütte zu. „Aber das muss ich jetzt nicht alleine machen, oder?“ Er spürte, wie Panik in ihr aufstieg. „Nein, Alliara. Ich hake dich gleich an meinem Gurt an. Ich fliege und du schaust dich um.“ Er kramte in der Hütte herum und kam mit einem großen schwarzen Schirm wieder heraus. „So, junge Dame, dann komm mal her.“ Er nahm ihr ihren Pullover ab und stopfte ihn in einen Rucksack, den er trug, dann hakte er ihren Gurt an seinem ein. Ihr Becken, war dem seinen nun sehr nah, wurde Alli auf einmal bewusst. Sie errötete leicht, weshalb sie wie gebannt auf das Meer hinaus sah. „Sag mal werden die nicht sonst gezogen und fliegen deshalb?“ „Auch, aber da wir sehr hoch sind und der Auftrieb hier sehr gut ist, klappt das auch so.“ Okay, dachte Alli. Vertrau ihm, er weiß schon, was er tut. Schließlich macht er das ja nicht zum ersten Mal. Es klackte weitere Male hinter ihr und er zurrte noch einige Gurte fest, dann legte er seine Arme um sie. „Bereit mit mir zu fliegen?“ Sie genoss den Moment, wie sie ihn fest hinter sich spürte. „Immer, Dhiro.“ Er seufzte und sagte: „Dann halt dich gut fest. Wenn ich jetzt sage, dann hebst du die Beine an, du musst nicht mit loslaufen, ich hebe dich hoch.“ Er holte mehrmals tief Luft und rief dann: „Jetzt!“ Alli zog die Beine näher an den Körper und spürte, wie er seine Hände um ihre Taille legte und sie anhob, als würde sie nicht mehr wiegen, als eine Packung rohe Eier. Je näher sie dem Rand des Felsvorsprunges kamen, desto nervöser wurde sie. Sie vertraute ihm. Das musste sie, schließlich war er fähig gewesen diese ganzen Wesen zu töten, nur in dem er das Wetter änderte. Aber trotzdem: auf den Rand von so einer riesigen Steilklippe zu getragen zu werden, war da ein ganz anderes Kaliber. „Achtung,“ warnte Dhiro gerade und riss sie damit aus ihren Gedanken. Kraftvoll sprang er von der Klippe. Die ersten Meter, fielen sie wie ein Stein und der schneidende Wind raubte Alli den Atem. Was gut war, denn dann konnte sie auch nicht schreien. Jetzt müssen wir sterben, dachte sie, doch dann ganz plötzlich hörte der Druck auf und der Gleitschirm schwebte durch die Luft. Dhiro lenkten den Schirm in Richtung Meer. Die Straße, die sie überflogen wirkte winzig klein und schmal. Die Autos wie Ameisen. Bald schon flogen sie über dem tiefblauen Meer. „Alli sieh mal, Delfine!“ Er hatte Recht. Unter ihnen schwamm eine große Schule Delfine. Sie sprangen aus dem Wasser und tauchten immer wieder ein. „Wunderschön,“ hauchte Alli. Dhiro wandte den Gleitschirm nun nach links, hin zu dem kleinen Hafen, der nur Stecknadelkopf groß am Horizont zu erkennen war. Sie kreisten über den Wald, wieder zurück zum Meer, wo sie langsam an Höhe verloren. „Wo landen wir?“ „Siehst du den weißen Punkt da unten?“ „Ja,“ rief Alli, über den eisigen Wind hinweg. „Daneben oder bestenfalls darauf wollen wir landen.“ „Was ist das?“ „Das ist das Boot der Bastion. Genau genommen eine kleine Jacht. Noch genauer, sie gehört deinem Onkel.“ „Schön, dass ich nichts über meine eigentliche Identität erfahren habe. Sonst wäre ich schon öfter mit Delfinen um die Wette gefahren,“ murrte Alli. „Das wirst du gleich.“ Er hauchte ihre einen Kuss auf das Haar. Alli hatte mit ihrem Handy ab und an ein paar Bilder geschossen. Nun versuchte sie die springenden Delfine zu fotografieren, während Dhiro den Gleiter im Kreis nach unten segeln ließ. „Okay. Gibt mir dein Handy. Der Rucksack ist wasserdicht. Wenn es ne Wasserlandung wird, soll das ja nicht nass werden.“
Es wurde eine Wasserlandung, aber so sanft, als hätte sie eine große Hand seicht im Wasser abgesetzt. „Brrr,“ machte Alli. „Ja das Wasser so weit draußen ist kalt, noch dazu im Herbst.“ Alli versuchte es mit ein paar Schwimmzügen, aber traf mit dem Fuß Dhiro, der vor Schmerz aufjaulte. „Oh, das tut mir Leid,“ hauchte sie, mit roten Wangen, als ihr klar wurde, was sie getroffen hatte. „Schon gut,“ sagte er mit kratziger Stimme. Er machte unter Wasser ihren Gurt von seinem los und ließ sie alleine voran schwimmen. „Gibt es hier auch Haie?“ „Ja, aber solange die Delfine in unserer Nähe sind brauchen wir nichts zu befürchten. Dann sind keine Haie im Umkreis.“ Gemächlich, da ihr eh alles weh tat, schwamm sie in Richtung des Bootes. Es war keine weite Strecke, doch es zog sich. Jeder Muskel in ihr schrie, ihr war kalt und sie war müde. Alli sah sich um. „Dhiro?“ „Ja?“ Seine Haare hingen ihm nass ins Gesicht und er wirkte angestrengt, da er den schweren nassen Schirm mit sich ziehen musste. „Die Delfine springen nicht mehr aus dem Wasser.“ „Und?“ Er klang ein wenig gereizt. „Hinter dir ist aber eine Flosse!“ Dhiro warf nun ebenfalls einen Blick zurück. „Verdammte Scheiße. Schwimm!“ Alli begann zu Kraulen, so wie er es ihr gezeigt hatte. Sie hatte das Gefühl, dass das Schiff immer weiter von ihr weg trudelte. „Ich kann nicht mehr,“ keuchte sie. „Du musst!“ Seine Stimme klang gepresst. Bald kam sie näher an das Schiff heran, als etwas ihren Fuß streifte, sie spürte, dass die Haut an ihren Waden einriss. „Autsch, etwas hat mich gestreift und meine Haut aufgerissen.“ „So ein,“ Doch Dhiro beendet den Satz nicht. Alli wagte es nicht sich umzusehen. Sie schwamm so schnell sie konnte auf die Leiter des Bootes zu und zog sich mit letzter Kraft an Bord. Sofort sprang sie triefnass auf und sah auf das Wasser. Die Oberfläche war zerwühlt. Dhiro war nirgends zu sehen. „Dhiro?“ Ihre Stimme war ein Flüstern. Plötzlich durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Schnaufend holte er Luft. „Gott sei Dank, du hast es geschafft. Ich dachte schon...“ Wieder konnte er seinen Satz nicht beenden. Fieberhaft suchte Alli auf dem Schiff nach etwas langem, was sie ihm reichen konnte oder wahlweise etwas, was den Hai verjagte. Sie entdeckte ein langes Holzruder und hob es hoch. Es schien ihr hunderte Kilo schwer zu sein, was jedoch daran liegen konnte, das ihre Arme schmerzten. Als Dhiro das nächste mal mit dem Kopf durch die Oberfläche stieß, war er still und bleich. Aber er lebte, denn seine Augen bewegten sich wachsam. „Hier, greif das Ruder.“ Alli hielt das Ruder ins Wasser und er begann darauf zu zu schwimmen. Als er eine Hand darum schloss, begann sie zu ziehen. Als er fast beim Boot war, tauchte der Hai auf. „Schwimm den Rest alleine. Ich haue diesem Monster eine auf die zwölf.“ Doch Dhiro ging abermals unter. „Nein,“ kreischte Alli. „Dhiro!“ Sie war fast versucht zurück ins Wasser zu springen, als plötzlich zuerst der Hai und dann Dhiro aus dem Wasser ragten. Dhiro schlug dem Hai mit der Faust mitten auf seine Nase und dieser ließ ihn los. Wie ein Stein versank er unter Wasser. Sie reichte ihm abermals das Ruder und er packte es wieder. So fest sie konnte zog sie und als an der Leiter empor geklettert war, fiel sie schwer atmend nach hinten um. Dhiro landete mit einem klatschenden Geräusch neben ihr auf dem Deck. Sie sah schnell an ihm hinunter. Sein linker Arm blutete stark, genau wie seine beiden Handrücken. „Du bist verletzt.“ „Halb so schlimm.“ Er setzte sich schnaufend auf. Seine Brust hob und senkte sich schnell. „Du bist ein Pechmagnet.“ „Hey, das stimmt so nicht.“ Er grinste leicht und wischte sich das Haar aus der Stirn. „Ich weiß, das war nur ein Spaß. Genau genommen hatte sich der Hai im Schirm verfangen und als ich ihn befreien wollte, hat er sich mit den Zähnen und seiner Reibeisenhaut bedankt.“ „Hast du ihn getötet?“ „Nein, hab ihn nur K.O. geschlagen.“ „Ich verarzte dich erst einmal. Wo ist ein Erste-Hilfe-Koffer?“ „Vorne in der Kabine, rechte Seite.“ Schwankend erhob Alliara sich. Der Hai war verschwunden, das Wasser ruhig, als wäre nie etwas gewesen. Mit dem Verbandskasten kehrte sie zurück. Dhiro hatte von irgendwoher zwei Handtücher hervor geholt. „Hier wickele dich darin ein. Sonst erfrierst du mir noch.“ Sie wickelte das große Tuch um sich und ließ sich dann vor ihm auf den Knien nieder. Sie desinfizierte die Wunden und legte eine großes steriles Tuch auf seinen Arm und verband ihn. Auf seine Handrücken klebte sie jeweils zwei große Pflaster. „Lass mal deine Wade sehen.“ Sie streckte ihm ihr Bein hin. Dunkelrotes Blut quoll aus einer Art Abriebwunde hervor. „Er hat dich probiert. Du schmeckst nicht. Haie testen durch Anstoßen mit ihrer Haut, die wie Schmirgelpapier ist, ob etwas essbar ist oder nicht. Du scheinst ungenießbar zu sein.“ Er grinste und pustete eine Haarsträhne aus seinem Gesicht, während er ihre Wunde desinfizierte und verband. Die Sonne schien zwar immer noch, aber auf der offenen See herrschte starker Wind. Alliara zitterte. „Komm, geh unter Deck. Ich fahre uns zum Hafen und dann lass ich uns zum Parkplatz bringen.“ „Nein, ich will bei dir bleiben.“ Er lächelte. „Ach noch was. Müsstest du nicht „Oh mein Satan“ oder so etwas rufen?“ Sie lachte laut auf. „Nein, liebste Alliara. Es gibt nur einen Gott. Satan ist lediglich ein Abkömmling Gottes. Und den beten wir Dämonen keinesfalls an.“ Sie starrte ihn an, weil er so ernst blieb. Bis er ein Zucken seines Mundwinkels nicht mehr verstecken konnte. „Aber danke für die Nachfrage.“ Sie atmete aus. „Ich dachte schon, ich hätte dich gekränkt.“ Er schüttelte den Kopf und nahm ihre Hand. Er schloss die Kabinentüre, damit der Wind draußen blieb. „Du kannst dich dort hinsetzen.“ „Nein, ich will neben dir stehen bleiben. Du weißt doch, Körperwärme hält warm.“ Sie lächelte verlegen. Er sah sie mit einem Funkeln in den Augen an und zog sie neben sich an das Steuer. „Nun gut. Kurzer Crash-Kurs, wie das Ding funktioniert oder lieber Ruhe?“ „Ganz kurz. Dann Ruhe.“
Also erklärte Dhiro ihr in aller Kürze, wie das Boot funktionierte. Das Boot war nicht das schnellste. Alli fielen immer wieder die Augen zu, während sie an Dhiro lehnte und das Schiff sich gemächlich durch die Wellen arbeitete. Er hatte seinen Arm fest um sie gelegt. Sie ist so stark, dachte er. Ihr muss alles weh tun. „Es tut mir Leid, dass ich dich so angestrengt habe.“ Sie seufzte und kuschelte sich noch enger an ihn. Er lächelte leicht und sah auf die Uhr neben dem Kompass. Es war früher Nachmittag. Eigentlich wollte er sie noch zum Essen einladen, aber alles hatte sich verzögert und sie rochen ehrlich gesagt ziemlich nach nasser Hund. Er sah auf sie hinab. Ihr blondes Haar kräuselte sich langsam, während es trocknete. Ihre Lippen und Finger wechselten langsam wieder zu einer normalen Farbe. Er legte auch sein Handtuch um ihre Schultern. Sie murmelte leise seinen Namen und legte ihre Hand an seine Brust. Es tat im fast Leid, als er den Hafen erblickte und er wusste, dass er sie nun wecken müsste. „Alliara?“ Sie blinzelte ihn an. „Aufwachen, wir sind am Hafen.“ „Schon?“ Ihre Stimme war mehr ein Nuscheln, als alles andere. Er nickte und wollte einen Schritt seitwärts machen, damit er das Boot vertäuen konnte. Doch Alli sackte ein wenig zusammen, also nahm er sie auf die Arme und setzte sie auf den Sitz, der in der Kabine war. Sie rollte sich zusammen, als sei sie eine Katze und schlief weiter. Lächelnd deckte er sie ein wenig zu und machte sich an die Arbeit. Als er nun von Bord sprang, um die Leinen fest zu machen und den Anker zu setzten, spürte er bereits, dass es wärmer war, als zuvor auf offener See. Geschäftig machte er das Boot fertig und winkte ein Taxi heran. Behutsam nahm er Alliara auf die Arme und schloss die Kabine des Schiffs ab. Vorsichtig legte er sie auf die Rückbank des Taxis, stieg selbst vorne ein und nannte dem Fahrer die Adresse. Schon bald kam der Parkplatz in Sicht und er zahlte, nahm Alliara aus dem Wagen und schritt auf den R8 zu. Blinkend schloss der Wagen auf. Er bugsierte Alliara auf den Beifahrersitz und schnallte sie an. Sie war vollkommen erschöpft und fühlte sich heiß an. Hoffentlich wird sie nicht krank, dachte er. Oder schlimmeres, sagte eine leise Stimme in seinem Kopf. Er verdrängte den Gedanken kopfschüttelnd wieder und fuhr das Auto in Richtung Bastion.

11

 Ihr war heiß und ihr Schädel brummte, als sie gähnend die Augen aufschlug. Sie sah sich kurz verwirrt um, bis sie fest stellte, dass sie in ihrem Zimmer in der Bastion war. Langsam setzte sie sich auf. Sie hatte Kopfschmerzen und als sie ihre Stirn befühlte, war diese heiß. Schwankend erhob sie sich, um ein Fenster zu öffnen. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es später Nachmittag. Wie waren sie zurück gekehrt? Abermals gähnte sie und reckte sich. Jeder Muskel und Knochen tat ihr weh. Sie roch nach nassem Hund, stellte sie Nase rümpfend fest. Langsam schlich sie ins Bad. Sie duschte, band sich die Haare zu einem hohen, nassen, geflochtenen Zopf zusammen und kehrte in ihr Zimmer zurück. Dort entledigte sie sich ihrer Sportsachen und schlüpfte in eine graue Cargo Hose, weiche, aus braunem Leder gefertigte Ballerinas und eine Jeansbluse mit kurzen Ärmeln. Kurz überprüfte sie den Sitz ihres Armbandes. Lächelnd sah sie in den Spiegel. Sie war blass und hatte rote Flecken auf den Wangen. Ihre Augen wirkten klein und glasig. Kurzum, sie sah wirklich krank aus. Knurrend protestierte ihr Magen, dass sie kein richtiges Mittagessen gehabt hatte. Gemächlich verließ Alli ihr Zimmer. Wieso war er nicht bei ihr? Weil er auch mal arbeiten muss, meinte sie eine genervte Stimme in ihrem Innern zu vernehmen. Sie horchte im Vorbeigehen, ob sie aus Dhiro's Zimmer etwas hören konnte und ging dann vorbei, weiter in das Esszimmer. Es war niemand zu sehen, also setzte sie sich hin und schaltete den Fernseher ein. Es war siebzehn Uhr. Also recht seltsam, dass noch niemand etwas aß. Daria bückte sich im Garten und pflückte Blumen, die sie immer wieder zusammenhielt und einen Strauß daraus formte. „Hallo Alli,“ hörte sie Nesil's Stimme. „Hey Nesil!“ „Was möchtest du essen? Oder willst du warten, bis um 19:00 Uhr heute alle zusammen essen?“ „Alle zusammen? Gibt es einen Anlass?“ Er schüttelte den Kopf. „Der Hauptmann sagte, dass mal wieder ein Essen in großer Runde anstehen sollte. Und hat dann beschlossen, das direkt heute zu machen. Daher isst nun keiner.“ Alli horchte in sich hinein und ihr Magen knurrte zur Antwort. Nesil lachte. „Ich werde dir eine Kleinigkeit holen.“ „Ein Joghurt reicht,“ rief sie ihm noch hinterher. Sie aß ein Joghurt und Nesil leistete ihr Gesellschaft. Sie fragte nach einer Kleiderordnung, doch Nesil sagte, dass man ihm nichts gesagt hatte. Sie sähe aber heute sehr hübsch aus. Gegen 18:00 Uhr ließ Nesil sie alleine zurück, da er das Abendessen würde vorbereiten müssen. Also beschloss Alliara nun auch zurück in ihr Zimmer zu gehen. Sie begegnete Auri, der es sichtlich eilig hatte. Er war schmutzig und trug in der Hand einen Helm. „Ich war Motocross fahren, mit Mojow und Misha. Es war großartig. Lio wollte eigentlich auch mit, hat dann aber abgesagt.“ Er zuckte die Achseln und sagte: „Wir sehen uns beim Essen, ich muss ganz dringend duschen.“ „Ich verzichte auf eine Umarmung,“ erwiderte Alli, als Auri sie umarmen wollte. Er grinste und eilte dann in Richtung linker Flügel davon. Sie hoffte fast Indira würde in ihrem Zimmer auf sie warten, doch das war nicht der Fall. „Also gibt es wohl keine feste Kleiderordnung,“ murmelte sie und trat vor den Schrank. Schnell entschied sie sich für eine schwarze Chino-Hose, dazu hohe schwarze Pumps, ein taubenblaues Top mit Wasserfalkragen und darüber einen Blazer mit halblangen Ärmeln, die mit goldenen Nähten verziert waren. Im Bad schminkte sie sich dezent und öffnete ihren Zopf. Mit etwas Haaröl bändigte sie die Wellen, die das Flechtwerk in ihrem Haar hinterlassen hatte. Eine Seite ihres Haares zwirbelte sie und steckte es unter der anderen Seite fest. Um kurz vor sieben ertönte ein Gong. Alli gähnte herzhaft und schaltete den Fernseher aus, bevor sie sich vom Bett erhob. Sie hatte ihr Handy aufgeladen und träumerisch festgestellt, dass das Bild von ihr und Dhiro gut aussah. Nur schade, dass sie es niemandem zeigen konnte. Abermals wünschte sie sich Mila zurück oder dass sie mit Laila sprechen konnte, ganz offen. Auch wenn Laila ahnte, dass Alli etwas für Dhiro empfand und glaubte, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, bestand die Gefahr, dass je mehr Leute von ihnen wussten, auch mehr ausplaudern konnten. Sie verließ ihr Zimmer und wandte sich zur Treppe hinab. Hinter sich hörte sie ein leises „Pschht,“ und wurde dann von ihrer Türe fort gezogen. Geradewegs hinein in Dhiro's Büro. Er schloss die Türe und drehte knirschend den großen, altmodischen Schlüssel. Gierig, legte er seine Lippen auf ihre, bis sie sich keuchend nach einiger Zeit von ihm löste. „Hauptmann, was ist denn bei dir los?“ Röte stieg ihr ins Gesicht. Er sah sie an und sie zerschmolz förmlich dahin. „Ich hatte Sehnsucht nach dir. Und da ich gleich beim Essen nicht deine Hand halten kann, dachte ich, dass ich dich kurz vorher nochmal entführe und dir zeige, dass ich dich vermisst habe.“ Er küsste sie wieder, lang und zärtlich. Dann ließ er von ihr ab und sah sie prüfend an. „Du bist ganz heiß, geht es dir nicht gut?“ Er legte eine Hand auf ihre Stirn. „Mir fehlt nichts,“ sagte sie und fügte dann errötend hinzu: „Außer dir!“ Misstrauisch sah er sie an. „Du trinkst beim Essen keinen Alkohol.“ Er ließ sie stehen und ging zu seinem Schreibtisch. Darin kramte er, bis er eine Tablettendose gefunden hatte. „Davon nimmst du jetzt eine. Die ist gegen Fieber und Kopfschmerzen.“ Als sie die Tablette mit einem Schluck Wasser genommen hatte sah er sie sanft an. „Entschuldige, ich hätte dich nicht direkt auf so eine harte Tour mitnehmen sollen, wenn du krank wirst, dann ist das meine Schuld.“ „Ach was, so schlimm war es nicht.“ Er zog eine Augenbraue hoch und sie lachte. „Außer, dass mir jeder Muskel und Knochen weh tut und mein Kopf sich anfühlt, als würde ein heißer Sack Kohle darin hin und her schwingen.“ Dhiro nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Tut mir wirklich Leid. Ich hab dich überfordert.“ „Nein, gar nicht. Ich hatte Spaß. Es war ein toller Tag.“ Er seufzte. „Ich seh' schon, das hat keinen Sinn mit dir darüber zu streiten.“ Alli gab Dhiro einen Kuss und lehnte dann ihren Kopf an sein Kinn. „Das war einer meiner schönsten Nachmittage. Ob ich nun etwas Muskelkater hab oder mich etwas erkälte. Das ist mir vollkommen egal.“ Sie sah ihm die Sorge immer noch an, aber trotzdem lächelte er und sagte: „Nun mach, dass du runter kommst. Ich komme gleich nach.“ Langsam ließ sie von ihm ab und er schloss ihr die Türe auf.
Dhiro kam zwanzig Minuten nach ihr im Esszimmer an der langen Tafel an. Er saß so weit entfernt, dass sie ihn kaum sehen konnte. Wie es sich für einen Hauptmann gehörte, der die Bastion kommandierte, saß er vor Kopf des Tisches. Zwei riesige Truthähne lagen auf großen Tellern auf dem Tisch. Es gab jede Menge Beilagen, Fisch, Nudelgerichte. Alles mögliche. Große Weinkaraffen wurden herum gereicht, doch Alli lehnte zum gefühlt einhundertsten Mal den Wein ab, den ihr Bruder ihr reichte. Er sah sie bereits besorgt an. „Stimmt etwas nicht?“ Auri lehnte sich zu ihr. „Nein, ist alles in Ordnung. Ich habe nur eine Kopfschmerztablette genommen.“ Er nickte misstrauisch, lehnte sich aber in seinem Stuhl wieder zurück. Alliara aß ein großes Stück Zanderfilet mit Salzkartoffeln und einem Salat. Als nächstes tat sie sich Süßkartoffelpommes auf und Bohnen im Speckmantel. Langsam verspürte sie bei jedem Bissen das Gefühl, als müsse sie gleich platzen. Sie nippte an ihrem Wasser und spürte, dass sie jemand beobachtete. Ihr Onkel. „Ich habe dich etwas gefragt, Alli.“ Am ganzen Tisch waren die Gespräche verstummt und jeder sah sie an. „Was?“ Sie antwortete mit vollem Mund, was sie sonst nie tat. Lio kicherte leise. Myrancor verdrehte die Augen. „So habe ich dich nicht erzogen,“ zischte er. „Ich fragte,“ begann er laut. „ob du uns gleich nach dem Nachtisch nicht eine Kostprobe deines Klavierspiels geben willst.“ Zuerst wollte sie trotzig antworteten, warum, denn es war ja kein Heiratsanwärter in der Nähe, den sie beeindrucken musste, aber dann besann sie sich und dachte, er ist mein Onkel, ich sollte seiner Bitte nachkommen. Alli schluckte den letzten Bissen Pommes hinunter und tupfte sich den Mund ab. „Aber natürlich, Onkel.“ Auri hob die Augenbrauen. Myrancor dagegen lächelte gütig. „Mein Mädchen,“ sagte er und tätschelte ihre Hand. Als der Nachtisch aufgefahren wurde, nahmen die männlichen Dämonen draußen einen Drink zu sich. Die Sonne ging gerade unter. Ihr helles orangenes Licht spiegelte sich im See hinter dem Haus. Alli's Blick fiel auf Dhiro, der sich angeregt mit Auri unterhielt. Man konnte kaum ausmachen, dass Dhiro um so vieles älter war, als ihr Bruder. Auri schien ihm von deinem heutigen Cross Abenteuer zu berichten, denn er drehte einen imaginären Motorradgriff und Dhiro nickte daraufhin. Das Licht, was vom See reflektiert wurde, ließ Dhiro's Haare golden glänzen. Sie lächelte, als sie dich daran erinnerte, wie er heute ihr Bein verarztete und er sich eine Strähne aus den Gesicht pusten musste. „Hallo Träumerle,“ hörte sie Laila's Stimme neben sich. Die schlanke Frau mit den weiß-blonden Haaren, stand in einer grauen Jeans und einem schwarzen Rollkragenpullover neben ihr, der jede ihrer Kurven perfekt umschmeichelte. Ihre Füße steckten in schreiend roten Pumps. Ausnahmsweise trug Laila ihre Haare zum Zopf, was ihre grünen Augen sehr stechend wirken ließ. „Laila, wie geht es dir?“ Sie lächelte und entblößte eine Reihe weißer, makelloser Zähne und neuerdings trug sie ein kleines Steinchen auf einem der vorderen vier Zähne. „Gut und dir auch, wie ich sehe.“ Misstrauisch runzelte Alli die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Sie grinste. „Wie du ihn ansiehst, so wie er dich ansieht. Ich bin zu alt und zu klug, um nicht zu sehen, dass da was ist zwischen euch. Er hat dich heute Nachmittag auf Händen hier herein getragen und dich ins Bett gebracht. Du warst pitschnass, genau wie er.“ „Du hast es gesehen? Du darfst niemandem etwas sagen!“ Alli drehte sich panisch zu ihr um und als würde Dhiro ihre Unruhe spüren, stand er von außen plötzlich vor der Scheibe und sah sie besorgt an. Möglichst unauffällig gab sie ihm zu verstehen, dass sie es alleine regeln konnte und zog Laila von der Fensterscheibe weg. „Keine Sorge! Ich will ja das unser Hauptmann glücklich ist. Er ist viel erträglicher, seit du da bist. Außerdem haben wir einen Deal, schon vergessen?“ Laila legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ganz ruhig, Alli. Ich werde niemandem etwas sagen, aber du sollst wissen, wenn du eine Freundin brauchst, dann komm zu mir. Ich weiß, ich bin nicht der Vorzeige-Mensch, aber ich bin für dich da und werde helfen, wo ich kann.“ In Alli's Augen sammelten sich Tränen. „Danke, Laila. Das bedeutet mir viel.“ „Nicht weinen, bitte. Sonst bekomm ich nachher noch Ärger mit ihm,“ sagte sie und nickte mit dem Kopf in Richtung Fensterfront. Alliara folgte ihrem Blick und sah den finster dreinblickenden Dhiro, der immer wieder verstohlen in ihre Richtung sah. „Aber seid bloß vorsichtig.“ „Ja, wir haben das alles mehrmals durchgesprochen. Und Dhiro hatte auch Bedenkzeit.“ Laila lachte plötzlich. „Ich kann mir vorstellen wann.“ Nun lächelte auch Alli. „Nochmals danke, ich werde bestimmt mal auf dein Angebot zurück kommen,“ flüsterte sie und wurde rot. „Herrje, du bist aber auch wirklich süß.“ „Wer ist süß?“ Es war Daria, die ihr Gespräch unterbrach. Alli konnte ihr nicht in die Augen sehen. Daria war schön, genau wie Dhiro, aber ihre Augen waren hellblau, wie die eines Huskys und wirkten dadurch berechnend und kalt. „Alli, sie ist ein liebes und süßes Mädchen.“ Laila stellte sich bewusst etwas vor Alli, fast so, als würde sie sie beschützen wollen. „Achso,“ sagte Daria, mit einem leichten arroganten Unterton in der Stimme. Valira trat nun ebenfalls zu ihnen. Sie steckte in einem grünlich wirkenden Jumpsuit und wirkte größer denn je. Daria trug eine Lederleggings und ein langes weit geschlitztes Oberteil, dessen Schlitz auf beiden Seiden ihres muskulösen Bauches endete. „Alliara, es ist eine Ehre dich endlich mal persönlich kennen zu lernen.“ Valira machte einen kleinen Knicks und Alli starrte sie an. „Die Ehre ist ganz ihrerseits,“ antwortete Laila knapp. Daria sah sie an und hob die Augenbrauen. „Soso, du beschützt sie? Aber, aber, Laila, wer wird denn da so schnippisch werden. Kann die Friedenswahrerin nicht für sich selbst sprechen?“ In Alli begann es zu Brodeln. Beinah vergaß sie ihre gute Erziehung und wollte mit ihren Stiletto-Absätzen auf Daria's Fuß eintreten. Doch Alli entschied sich für den verbalen Weg. „Doch, das kann sie, nur wurden wir uns auch noch nicht persönlich vorgestellt, Daria. Und da du das nicht tust, bzw. getan hast, werde ich das nun machen. Hallo Daria, Schwester des Hauptmanns. Ich bin Alliara, die Friedenswahrerin.“ Alli hielt ihr die Hand hin und war an Laila vorbei gegangen. Daria schaute auf Alli's Hand, als wäre sie ansteckend. Als Daria weiterhin nicht reagierte, wandte sich Alli an Valira. „Hallo Valira, ich freue mich dich kennen zu lernen. Vielen Dank, dass du dem Hauptmann in so schweren Zeiten zur Seite gestanden hast, um ihn mit deinem Blut zu versorgen. Also liegt die Ehre nun wirklich ganz meinerseits, wie Laila schon sagte.“ Alli sah auf ihre Uhr. „Nur leider, gibt es jetzt Nachtisch, also können wir unseren Plausch nicht weiterführen.“ Mit diesen Worten drehte Alli sich herum und Laila wollte ihr folgen, als sich eine Hand, wie ein Schraubstock um Alli's Handgelenk legte. Um genau das, an dem sie Dhiros Armband trug. Sie starrte darauf, bis plötzlich eine große Hand ihr Handgelenk umfasste. Ihr Onkel. „Lege nie wieder eine Hand an meine Nichte, Daria. Hörst du?“ Seine Stimme war eine Mischung aus Knurren und Zischen. „Nie wieder!“ Daria's Augen verengten sich. „Deine Nichte,“ spie sie das Wort förmlich aus. „hat kein Benehmen. Jedenfalls nicht das, was einer Friedenswahrerin gebührt. Sie ist ein kleines...“ „Daria!“ Es war ohne Zweifel Dhiro, der ihren Namen förmlich bellte. „Die Einzige, die hier gerade kein Benehmen bewiesen hat, indem sie sich nicht vorstellt, sich Urteile erlaubt und Hand an die Friedenswahrerin legt, bist du. Du ganz alleine.“ Er wirkte größer, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Sein Unterarm wies eine zuckende Ader auf, genau wie sein Hals. Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst. Das war ein sehr wütender Dhiro, dachte Alli. Daria knurrte und sah wütend von Myrancor zu Dhiro und wieder zurück. Plötzlich entspannte sie sich. „Ja, Hauptmann. Es tut mir Leid. Ich habe mich unangemessen verhalten. Myrancor, mein Herr, ich entschuldige mich. Auch bei dir Alliara, ich habe mich falsch verhalten. Natürlich hätte ich mich erst vorstellen sollen.“ Ihre Augen sagten: Ich bin dein schlimmster Albtraum und ich hasse dich. Laila's Augen wurden zu Schlitzen. Doch Myrancor ließ Daria los. „Gut, Daria. Ich verzeihe dir.“ Er drehte sich zu Alli um. Alli schritt an ihm und Dhiro vorbei, wobei sie ihre Schultern straffte und hielt Daria nun abermals die Hand hin. Mit einem Lächeln, dass Alli das Blut in den Adern gefrieren ließ, nahm sie Alli's Hand und schüttelte sie. Alli sagte kühl: „Entschuldigung angenommen, Daria.“ „Auf das wir uns ausgezeichnet verstehen werden.“ Alli hörte ein Knurren, es kam von Auri, der Daria an funkelte. Alli lächelte und sagte: „Bestimmt, Daria. Lassen wir uns etwas Zeit. Bei Laila und mir hat es auch ein wenig gedauert, bis wir uns verstanden haben. Dein Oberteil steht dir übrigens sehr gut.“ Verdutzt starrte Daria Alli an und sah an sich hinab. Tatsächlich zuckte ihr Mundwinkel ein wenig und Alli fügte vergnügt hinzu: „Und danke, dass du diese wundervollen Blumen aus dem Garten gepflückt und den Tisch dekoriert hast. Es sieht wirklich zauberhaft aus.“ Daria sah sie mit großen Augen an. „Du weißt, dass ich das war?“ Alli nickte. „Ich weiß so manches. Zum Beispiel, dass du ein Händchen für Blumen hast.“ Daria errötete leicht. „Es tut mir wirklich Leid,“ sagte sie kleinlaut. „Danke schön.“ Die Atmosphäre entspannte sich langsam wieder und als Alli Daria zu nickte, sich herumdrehte und bei Laila einhakte, fiel ihr Blick auf Dhiro, der sie schmunzelnd und sichtlich zufrieden musterte. Laila und Alli konnten das unterbrochene Gespräch allerdings nicht mehr fortsetzen, da der Nachtisch aufgetischt wurde und es gespeist wurde. Alli war pappsatt, doch trotzdem lud ihr Bruder ihr einen Crepes mit Schokolade auf den Teller und eine Kugel Vanilleeis. Sie würgte es hinunter. Mittlerweile war es ihr sehr heiß. So heiß, dass sie ihren Blazer auszog. Sie befühlte ihre Stirn und stellte fest, dass sie immer noch heiß war. Die Küchenjungen und das restliche Personal räumten die Teller in die Küche. „Nun, es wird Zeit, Alli.“ Ihr Onkel stupste sie an und sie erhob sich. Langsam schlich sie an der langen Tafel vorbei auf das Klavier zu. Es war weiß, aus glänzendem Lack. Seufzend setzte sie sich auf das Bänkchen und klappte den Deckel hoch. „Ich wusste gar nicht, dass sie das kann, Onkel.“ „Doch Auri, ich hab es ihr beigebracht und mit Mila ist sie immer beim Unterricht gewesen.“ Alli dehnte ihre Fingergelenke und begann dann eine Melodie zu spielen, die sie in ihrem Kopf hatte. Nach etwa drei Minuten hörte sie auf zu spielen und Applaus brandete durch den Raum. Alli sah auf ihre Hände. Sie wusste, dass sie als kleines Kind schon Klavier gespielt hatte, aber nie so gut, wie ihre ältere Schwester. Auri kam zu ihr und nahm sie in den Arm. In seinen Augen spiegelten sich die Tränen, die sie selbst aufsteigen spürte. „Du erinnerst dich an sie. An Catrina.“ Alli nickte und eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Er drückte sie fest an sich. „Sie hat gespielt, als wäre sie die Musik selbst. Das Klavier war ihre Stimme.“ Auri sah sie an. „Suri hat Geige gespielt, ich spielte Bass und Gitarre oder die Drums, wenn Vater mich ließ. Aber du, du warst die Stimme.“ Er sah sie mit großen Augen an. „Das bin ich nicht mehr. Ich erinnere mich kaum.“ Das war eine Lüge. Sie sah genau diesen Tag, an dem der Kopf ihres Vater unter das Bett rollte vor sich. Wann immer sie es sich gestattete. Nur die Zeit danach war verschwommen. Bis sie bei Myrancor neu erwachte. Sie schüttelte den Kopf und schob ihn weg. Seine Stirn war gerunzelt. „Ich bin das nicht mehr,“ flüsterte sie. Sie nahm wieder an dem Klavier Platz und begann Beethovens 5. zu spielen. Fehlerfrei, aber ohne jegliche Emotionen. Wieder applaudierten einige. Doch langsam löste sich das Treffen auf. Alli war bedrückt. Die Erinnerungen an ihre Familie und jenen Tag strömten auf sie ein. Bis hin zu dem Schlag, der sie in die Bewusstlosigkeit beförderte. Behutsam schloss sie den Deckel des Klaviers und strich über den kalten Lack, der etwas Tröstliches an sich hatte. „Hast du eigentlich noch ein Bild von Ihnen?“ Ihr Onkel stand plötzlich hinter ihr. Sie schüttelte den Kopf und legte ihre Arme um sich. Plötzlich fröstelte sie, obwohl ihr eben noch warm war. Myrancor griff in sein Portemonnaie und beförderte ein Bild heraus. „Ich habe einen Abzug für dich machen lassen. Auri hatte es, als er hier her kam bei sich.“ Alli nahm ihm mit zitternden Händen das Bild aus der Hand. Es zeigte ihre einstige Familie. Ihren großen, stämmigen Vater, Eom, ihre kleine zierliche Mutter, mit den kurzen braunen Haaren, Acina und ihre zwei Schwestern. Die große hellblonde Catrina, die kleine Suri, die Zöpfchen trug und ihren Bären fest umklammerte, einen schlaksigen Jungen, mit Sommersprossen, ihren Bruder Auri und ein kleines Mädchen mit verschlossener Miene, einem geflochtenen, langen blonden Zopf. Sie selbst. Alliara. „Danke.“ Doch ihr Onkel war verschwunden. Alli blickte aus dem Fenster hinaus auf den See. Jemand legte ihre eine Jacke um die Schultern und als sie die Jacke festhalten wollte und sie die Finger des Mannes streifte, fühlte sie den Siegelring. Dhiro! Seine Silhouette tauchte hinter ihr in der Scheibe auf. Er überragte sie nicht so sehr wie sonst, da sie hohe Schuhe trug und doch konnten sie unterschiedlicher nicht sein. Er war breitschultrig und stark, sie war klein, schlank und schwach. Sie sah wieder auf das Bild in ihrer Hand. „Du warst ein hübsches Kind.“ „Erzähl doch nichts,“ hauchte sie. „Meine Schwester war viel schöner.“ „Aber nur, weil sie älter war. Sieh doch.“ Er zeigte in die Scheibe. „Nun bist du auch älter und noch viel, viel schöner als deine Schwester.“ Alli schluckte. „Ich bin stolz auf dich, wie du die Situation gelöst hast. Das war einfach großartig.“ „Danke.“ „Es geht dir nicht gut, nicht wahr? Du bist wirklich krank, oder?“ Die Sorge in seiner Stimme lies sie erzittern. Doch dann lächelte sie. „Du weißt doch, wenn du bei mir bist,“ flüsterte sie. „geht es mir gut. Übrigens Laila weiß es.“ „Was?“ Seine Stimme war ein Flüstern. Alli nickte. „Woher?“ „Gute Beobachtungsgabe. Ich habe ihr jedenfalls nichts gesagt. Aber da ich ein Geheimnis von ihr kenne, wird sie meins bzw. unseres auch wahren.“ Dhiro hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel und verschwand von ihrer Seite. Sie atmete tief durch und fröstelte, sobald sein großer, warmer Körper nicht mehr hinter ihr stand. Mit einem leichten Lächeln presste sie das Bild an die Brust und trat in den Weg in ihr Zimmer an.
Wieder erwachte sie schwitzend. Ein Kratzen in ihrem Hals ließ sie Husten. Ihre Nase lief. „Na toll, jetzt bin ich tatsächlich krank geworden,“ murmelte sie. „Sag ich ja.“ Sie schrak auf. Dhiro stand mit verschränkten Armen vor ihrem Bett. „Willst du das ich an einem Herzinfarkt sterbe?“ „Nein, ganz sicher nicht.“ Er hielt ihr eine dampfende Tasse Tee unter die Nase. „Trink das. Gut gegen Halsschmerzen und Husten.“ „Ich hasse Tee.“ Ihre Stimme klang nasal und er sah sie belustigt an. „Meine Schuld, meine Regeln.“ „Ach, na wenn das so ist.“ Mit angewidertem Gesichtsausdruck trank Alli an ihrem Tee. So schlecht, wie sie gedacht hatte, schmeckte er gar nicht. „Und? Gar nicht so schlimm, oder?“ Sie schüttelte den Kopf. „Tja, Honig macht es möglich.“ Er setzte sich zu ihr auf das Bett und zog einen Rollwagen heran, auf dem Frühstück für sie stand. Nachdem sie gefrühstückt hatte, stieg er hinter sie in ihr Bett und platzierte sie so, dass ihr Hinterkopf auf seiner Brust zu liegen kam. „Ganz schön seltsamer Abend,“ flüsterte sie. „Das kann man wohl laut sagen. Aber du hast dich meiner Schwester gegenüber gut behauptet.“ „Ich bin nicht glücklich darüber, dass sie mich nicht mag. Ich meine, sie ist deine Schwester. Irgendwie ist mir das unangenehm.“ „Ach, wenn dein Bruder wüsste, dann würde er mich auch menschlich hassen. Meine Schwester ist halt Stutenbissig, sagt man da glaube ich zu.“ Sein Brust unter ihrem Kopf vibrierte. Er legte einen kalten Lappen auf ihre Stirn und sie schloss seufzend die Augen. „Schauen wir etwas Fernsehen zusammen, mein Hauptmann?“ „Gern,“ brummte er. Viel bekam sie nicht mit, da sie immer wieder einschlief. Als sie das nächste Mal wach wurde, ging es ihr auf wundersame Weise schon besser, aber sie war allein. Seufzend schaltete sie den Fernseher wieder ein. „Oh, du bist wach,“ erklang plötzlich eine Stimme zu ihrer Rechten. Indira saß neben ihrem Bett. Doch was war das an ihrem Hals? Blut rann ihren Hals hinab. Aus einer großen Bisswunde. Ein lautes Poltern ließ sie ihren Blick zur Türe richten. Lio kroch hinein. Seine Beine waren zitternde, blutende Stummel und überall klebte Blut an ihm. Sie fühlte sich nicht geschockt, keineswegs, obwohl sie das Gefühl hatte, innerlich schreien zu müssen. Etwas tropfte auf ihr Gesicht, von oben herab. Sie wischte sich darüber, blickte auf ihre Hand und sah, dass sie rot war. Klebrig voll Blut. Zitternd sah sie hinauf zum Betthimmel. Als sie erkannte was oder besser gesagt, was über ihrem Bett hing, begann sie zu schreien. Lauthals kreischte sie ihre Furcht und ihren Verlust hinaus. Über ihr hing Dhiro! Zerfleischt und vollkommen zerfetzt.
Weinend wurde sie von ihrem Bruder gehalten. Sie schluchzte und bekam kaum Luft. Es war ein furchtbarer Traum, der doch so real schien. Und je klarer sie nun wurde, desto mehr wurde ihr klar, dass sie es war, die ihnen das angetan hatte. Indira hatte ihre Sachen in den Schrank gehängt, während Alli wohl anscheinend die Augen geöffnet hatte. Daher hatte sie wirklich gehört, wie Indira sagte: „Oh, du bist wach.“ Auch Lio war hereingekommen, während ihres Traums jedoch mit vollständigen Beinen. Nur Dhiro schien ganz in ihrem Traum gewesen zu sein. Sie hatte sich die Fingernägel in die Handflächen gedrückt, während ihres Tagtraumes und blutete nun stark. Doch sie ließ sich lediglich von ihrem Bruder halten und wog vor und zurück. Sie war dem hyperventilieren nahe. Laila und Dhiro standen neben der Türe. Ihr Blick fiel auf seine geballten Fäuste. War er wütend auf sie? Sie schloss die Augen und schluchzte noch heftiger, als das Bild von Dhiro's zerrissenem Gesicht wieder vor ihrem inneren Auge auftauchte. Seven kam mit einer kleinen Schatulle zum Bett. Er zog eine Spritze hinaus, und stach sie in ihren Arm. Bereits als er den Kolben hinunter drückte spürte sie, dass sie ruhiger wurde. Schließlich fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Sie schreien zu hören, kreischen, vor Angst, sie aber nicht trösten und halten dürfen, das war eine sehr schlimme Folter. Ihre Hände waren blutig, weil sie sich die Fingernägel in die Handflächen gepresst hatte. Sie wiegte sich schluchzend vor und zurück, in den Armen ihres Bruders. Dhiro ballte seine Hände zu Fäusten. Er konnte ihr nicht helfen. Seven gab ihr ein starkes Beruhigungsmittel und miss Fieber. „Sie hat immer noch erhöhte Temperatur. Ich gebe ihr noch etwas dagegen. Myrancor kam herbei geeilt. „Was ist passiert?“ Abermals erzählte Indira die Geschichte, wie sie die Wäsche hereinbrachte, feststellte, dass Alli plötzlich die Augen geöffnet hatte. Sie hatte sie angesprochen jedoch keine Antwort erhalten. Als Lio kam, richtete sie lediglich den Kopf zu ihm, ansonsten hatte sie keine Regung gezeigt. Kurze Zeit nachdem sie an den Betthimmel geschaut hatte, hatte sie zu Kreischen begonnen und um sich zu schlagen. Kratzer zierten ihre Arme, weil sie sich diese ebenfalls zugefügt hatte. „Ruhig, Dhiro.“ Er bemerkte erst jetzt, wie sehr sein Körper vibrierte, aus Sorge, aus Angst und Wut. Laila legte ihre Hand auf seine Brust und er sah auf sie hinab. „Geh bitte trainieren. Ich kümmere mich um sie und halte dich auf dem Laufenden.“ Ihre Stimme war so leise, dass nur er sie hören konnte. Langsam wandte er sich zum Gehen. Eilig lief er in sein Zimmer, riss sich förmlich die Kleider vom Leibe und verschwand im Keller. Er riss Schwerter um seinen Körper herum, ließ Wurfsterne durch den Raum rasen und atmete schwer, während allerlei Gedanken ihn durchfluteten. Bitte, flehte er, lass es nur einen Virus sein. Nur eine Erkältung. Bitte nicht ihre Wandlung, bitte nicht jetzt schon. Aber vielleicht war es besser, wenn man sie jetzt trennte, bevor...Bevor was, Dhiro? Du bist ihr doch schon voll und ganz verfallen, sagte der sprichwörtliche Teufel auf seiner Schulter. Und der Engel erwiderte, dass die beiden es schon schaffen würden. Hoffentlich würde der kleine Engel Recht behalten. 

12

 

Zwei Tage später...
Dhiro war gerade auf dem Weg in sein Büro. Er vermisste sie schmerzlich. Wollte sie berühren, sie halten, geschweige denn sie zu küssen. Doch das war gänzlich unmöglich. Myrancor wachte über sie, wie eine Glucke, genau wie Auri. Laila hatte Wort gehalten und befand sich ebenfalls immer in ihrer Nähe und gab ihm Auskunft über ihren Gesundheitszustand. Mittlerweile war er wenigstens beruhigt. Das Fieber war noch in der Nacht ihres Albtraumes komplett verschwunden. Und langsam ließen auch die anderen Erkältungserscheinungen nach. Dhiro spürte ihre Aura, als er an ihrer Türe vorbei ging. Sie sah weitestgehend gesund aus, lediglich durchzogen von schwarzen Fäden der Wut und Trauer. Er lauschte kurz in den Raum hinein und hörte Auri, der an seiner Gitarre herum zupfte.
Myrancor und Dhiro kamen gerade von einer Audienz bei einer anderen Bastion. Die Bastion der Morgenröte war am Engsten mit ihnen verbunden, aber es galt nicht als sehr Freundschaftlich. Nun hatte er einiges an Papierkram zu erledigen, auf den er sich überhaupt nicht freute. Verträge würden unterzeichnet werden müssen, Waffenhandel getätigt sowie Ausleihbedingungen von Kriegern formuliert werden. Diese Idee von Myrancor Krieger auszuleihen, gefiel ihm gelinde gesagt, absolut nicht. Nein, er fand sie sogar saudämlich. Es sollte ablaufen, wie eine Art Schüleraustausch. Einer ging zur Morgenröte und der aus der Morgenröte kam zu der Bastion des Blutaugenmondes. Nur das Dhiro befürchtete, dass die Männer oder Frauen, die kamen, seine wohlverdiente Ordnung auf den Kopf stellen würden. Sei es wegen Bindung oder weil sie andere Kampftechniken und Regeln lernten. Aber wenn Myrancor, als Botschafter des Gebieters und Vorstandes dieser Friedenswahrungsangelegenheit beschloss, dass es so gemacht wurde, dann hatte Dhiro sich zu fügen, so einfach war das. Er schlug die Türe zu seinem Büro zu und schloss sie ab. Draußen regnete es in Strömen. Dhiro's Laune hatte sich dem Wetter angepasst und verschlechterte sich täglich. Sein Handy vibrierte über den Tisch. „Ja,“ bellte er. „So freundlich?“ „Alliara?“ Ihre Stimme war leise und er presste das Handy fest an sein Ohr. „Ich hab mich an Auri mit meinem Handy ins Bad geschlichen, ich kann also nicht lang telefonieren. Aber...“ Sie stockte. „Ich vermisse dich so sehr, Dhiro.“ „Du fehlst mir auch, meine Kämpferin.“ „Ich kann sogar deine Schritte von anderen unterscheiden, wenn du an meinem Zimmer vorbeigehst und zu wissen, dass du nicht hereinkommen kannst, das macht mich wahnsinnig.“ Sie seufzte. „Ich will endlich hier raus. Ohne Babysitter.“ „Ich dachte ich war immer dein Babysitter?“ Er lächelte. „Ja,“ grummelte sie. „Der einzige, den ich will und der es richtig macht.“ „Gut, das sehe ich ein bisschen anders, aber ich gebe mir Mühe.“ An Dhiro's Türe klopfte es und Myrancor riss sie auf. „Ja, gut Shila,“ erwiderte Dhiro laut in das Handy. „Danke für den Bericht.“ Dann legte er auf. Verdammt nochmal! „Hatte Shila Neuigkeiten?“ Dhiro schüttelte den Kopf und versuchte den Zorn zu verbergen. „Nein, nichts neues.“ Myrancor nickte und schloss die Türe. „Ich wollte nochmal mit dir reden, wegen dieser Ausflugsgeschichte!“ Innerlich stöhnte Dhiro auf, zeigte aber auf den Stuhl vor sich und ließ die gleichen Fragen, wie schon vor zwei Tagen über sich ergehen.
Am nächsten Morgen war Alli vor Auri und Laila wach, die sich jeweils ein Sofa als Bett ausgesucht hatten. Also huschte sie ins Bad, putzte sich die Zähne, band sich die Haare zu einem hohen Zopf zusammen und schlüpfte wieder in ihr Schlafzimmer. Eilig wechselte sie ihre Kleidung in eine blaue Jeans, einen dünnen weißen Pullover und dicke Haussocken. So leise wie möglich nahm sie ihre Schlüssel und die von Dhiro und verschwand durch die Türe nach draußen. Ihre Zimmertüre sie leise ab. Vorsichtshalber verfuhr sie mit der Badezimmertüre genauso. Das würde großen Ärger geben, wenn das heraus kam, doch ihr war es egal. Es war vier Uhr morgens. Eigentlich sollte noch niemand wach sein, dachte sie. Sie fühlte sich gut, war total aufgedreht und überdreht, seit sie gestern mit Dhiro gesprochen hatte. Seine Stimme war sofort weich geworden, als er erkannte, dass sie es war. So schnell sie konnte lief sie die Treppen hinunter und sah sich im fahlen, flackernden Licht der Kerzen um. Niemand zu sehen. Also steckte sie den Schlüssel in das Schlüsselloch zu Dhiro's Türe und schlüpfte hinein, nicht ohne sie wieder abzuschließen. Dhiro lag in seinem Bett, bekleidet mit einem schwarzen Shirt und einer karierten Boxershort. Langsam ging sie auf ihn zu. Regen prasselte an die Fenster und in der Ferne konnte sie einen Donner grollen hören. Der Herbst hatte nun vollends zugeschlagen. Alli setzte sich vorsichtig auf sein Bett. Leicht berührte sie mit der Hand seine Wange, woraufhin er sich auf die Seite drehte und ihre Hand unter seinem Gesicht begrub. Sie veränderte ihre Position, so dass sie genau ihm gegenüber zu liegen kam. Behutsam fuhr sie mit dem Finger über seine starken Arme, über sein Schlüsselbein, den Hals hinauf und über seine Lippen. Den Platz ihres Fingers nahmen nun ihre Lippen ein. Sie spürte, dass Dhiro erwachte. Er begann sich zu rühren. Sie öffnete die Augen, um zu sehen, dass er blinzelte. „Ist das ein Traum?“, nuschelte er an ihren Lippen. „Nein, das ist es nicht.“ Zur Bestätigung nahm sie all ihren Mut zusammen und biss ihm in die Unterlippe. Er knurrte leise und zog sie fest in seine Arme. So fest, dass Alli jeden, aber auch wirklich jeden Zentimeter, stellte sie errötend fest, von ihm spüren konnte. „Du hast mir so gefehlt,“ brummte er, ohne von ihren Lippen ab zu lassen. Sie legte die Arme um seinen Hals, als er sie auf sich zog. „Du mir auch.“ Er schloss die Augen und genoss, dass sie bei ihm war. Sie küsste sich eine Spur über sein Gesicht. Die leicht gerunzelte Stirn, die geschlossenen Augenlider, die markante Nase, beide Wangenknochen, seine Lippen und zu guter Letzt sein Kinn. „Du bist so schön.“ Er öffnete die Augen. Schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, du bist schön und zwar wunderschön.“ Dhiro hob sie etwas an, nur um sie sogleich auf dem Bett abzulegen und sie unter sich zu begraben. Er zog ihr Zopfband heraus und ihr Haar ergoss sich auf seinem Bett. Sie kratzte leicht mit den Fingernägeln über seinen Rücken, während seine Zunge die ihre massierte. Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging, weil die Welt um sie herum aufhörte sich zu drehen. Es gab nur noch sie beide. Das Prasseln des Regens erstarb, das Zwitschern der Vögel, alles war leise. Sie zog Dhiro das Shirt über den Kopf und fuhr nun mit den kompletten Händen über seinen Rücken. Er hielt seine beiden Hände an ihre Hüften und strich mit den Daumen zärtlich über ihre Haut, die zwischen ihrer Hose und ihrem Pullover hervorblitzte. Behutsam, ihr fest in die Augen sehend, zog er ihr den Pullover aus und sah anschließend auf sie hinab. Ihr war warm, allein schon, weil er eine große Wärme ausstrahlte und zusätzlich weil sie ihn begehrte. Sanft küsste er ihren Mund, dann ihre Schlüsselbeine und ihren Bauch. Ihre Hände hielt er auf das Bett gepresst, bis sie ihm zu verstehen gab, dass sie nun an der Reihe war. Er drehte sie beide zusammen herum und sie unterdrückte ein Kreischen. Zitternd küsste sie nun seine Schlüsselbeine und zog eine leichte Spur aus Küssen über seinen Brustkorb. Vor seiner rechten Brustwarze hielt sie inne, aber nur kurz. Sie streckte die Zunge heraus und leckte einmal kurz an der dunkleren Haut. Dhiro keuchte und hielt mit beiden Händen ihren Po umklammert. Er flüsterte ihren Namen, als er nun sein Gesicht in ihre Halsbeuge presste. Alli zitterte vor Nervosität. So nah war sie einem Mann, so weit sie sich erinnern konnte, noch nie gekommen. Geschweige denn jemanden, den sie so mochte, wie Dhiro. Sie wollte ihn nicht enttäuschen und nichts falsch machen. Mit zittrigen Händen wanderte sie seinen Bauch hinunter, fuhr mit den Händen darüber, bis sie den Bund seiner Shorts erreichte. Plötzlich versteifte Dhiro sich. „Nicht,“ sagte er und hielt ihre Hände fest. „Was? Wieso?,“ begann Alli, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen. „Auri und Laila sind wach geworden und haben festgestellt, dass du weg bist.“ Ein lautes Rumsen war zu hören. Dhiro lächelte. „Du hast sie eingeschlossen?“ Alli zuckte die Achseln. Sie war einerseits enttäuscht, anderseits wusste sie, dass sie nun ein Donnerwetter erwartete und wurde leicht panisch. „Wo soll ich hin?“ Sie griff eilig nach ihrem Pullover. „Ruhig, Alli. Sie sind noch nicht raus gekommen.“ Er legte seine Hände auf ihre Schultern. „Alliara, es liegt nicht an dir. Ich will es nur nicht so. Das hast du nicht verdient.“ Sie sah ihn an und errötete. Er schlüpfte in sein Shirt. „Alli!“ Es war das Brüllen ihres Bruders, was näher kam. Dhiro schubste sie in Richtung Fenster und öffnete es. Draußen war es heller geworden und gerade etwas trockener. Er reichte ihr einen Schirm aus seinem Schrank und half ihr auf das Fensterbrett. Dafür, dass Dhiro's Zimmer im Erdgeschoss lag, war der Abstand zum sicheren Boden sehr hoch. „Das schaffe ich nicht,“ jammerte Alli, doch Dhiro hob sie hoch und sagte: „Vertraue mir, ich lasse dich ganz sanft herunter.“ Er hielt sie an den Handgelenken fest. Alli zuckte zusammen, als sie die laute wütende Stimme ihres Bruders hörte. „Bereit?“ Dhiro's Blick war sanft und warm. Sie schüttelte den Kopf und er schmunzelte leicht. Seufzend machte sie einen Schritt zurück und ihr ganzes Gewicht lastete auf Dhiro's Armen. Er lehnte sich weit aus dem Fenster, so dass sein Shirt an der Vorderseite nass wurde, wo es auf dem Fensterbrett von außen auf kam. Alli hatte die Augen fest geschlossen, bis er lachte und sie sie nun öffnete. „Mit mir Paragliden gehen, aber Angst vor dem erhöhten Erdgeschoss haben. Alli, streck die Beine aus.“ Sie bemerkte gar nicht, dass sie sie angewinkelt hatte. Nun sah sie hinunter und stellte fest, dass sie wirklich nur ihre Beine ausstrecken musste, damit sie auf dem Boden stand. „Oh Romeo,“ sagte sie. „Schweig still, mein Herz. Es war die Nachtigall und nicht die Lärche.“ Sie griff an ihr Herz und klimperte mit den Wimpern. Er lachte heiser. „Los, mach, dass du zum spazieren gehen kommst.“ Sie warf ihm eine Kusshand zu und eilte auf den Kiesweg. Sie bemühte sich um eine ruhige Atmung und hoffte, dass die Schamesröte verflogen war. Sie hörte nochmal seine Begründung in ihrem Kopf. „Alli, es liegt nicht an dir. Ich will es, nur nicht so!“ Sie ging in Richtung Eingang des Hauses. Sie liebte den Herbst. Die Luft war klar und frisch. Es roch nach Regen und der nasse Kies knirschte unter ihren Haussocken. Gut, das ist das einzige, was Auri in Frage stellen kann, warum ich mit Haussocken spazieren gehe. Sie grinste. Weil ich verrückt bin. Verrückt nach einem Dämon. Auf der Türschwelle schüttelte sie den Schirm aus, seufzte, straffte die Schultern und öffnete die Türe. Drinnen konnte sie bereits von draußen mehrere laute Stimmen hören, die ihr nun noch lauter entgegenschlugen. „Vielleicht ist sie geflohen?“ „Habt ihr aus dem Fenster gesehen?“ „Bei den Heiratsanwärtern würde ich auch weg laufen.“ „Eine Entführung, aus unserer Bastion?“ Und nun sprach Dhiro, seine Stimme hallte laut durch den Saal. „Was ist hier los?“ Auri rannte auf ihn zu. „Alli, sie ist weg. Sie hat uns eingeschlossen, Laila und mich. Was sollen wir nun tun?“ „Ich würde sagen euch einen leichteren Schlaf antrainieren, wenn sie es geschafft hat aus dem Zimmer zu flüchten oder entführt zu werden, ohne dass ihr erwacht. Vielleicht ist sie ja nur spazieren gegangen? Ist das nicht ihr gutes Recht, nach drei Tagen Kerker?“ „Ähm,“ räusperte sich Alli an der Türe. Alle Augen richteten sich auf sie. Auch die von Dhiro. „Ich wollte nur kurz frische Luft schnappen und mir die Beine vertreten. Abgeschlossen habe ich aus Gewohnheit.“ „Du hast keine Ahnung, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast!“ Auri's Gesicht war stark gerötet. Laila hielt sich lächelnd im Hintergrund. „Es tut mir Leid, ich habe die Zeit vergessen.“ „Ja, das sollte dir auch Leid tun. Ich war schon dabei einen Suchtrupp zu organisieren. Du kannst froh sein, dass Myrancor gestern Abend noch einen Auftrag erhalten hat und daher weg ist. Er wäre durchgedreht und ich wäre Schuld gewesen.“ Auri packte Alli an den Schultern und schüttelte sie. „Hättest du nicht Bescheid sagen können oder einen Zettel hinlegen?“ Alle sahen betreten zu Boden. „Du tust mir weh, Auri!“ Alliara's Augen waren groß, Aurindur's Knöchel stachen weiß hervor, so fest umklammerte er ihre Arme. „Aurindur, lass sie los!“ Dhiro legte ihm eine Hand auf die Schulter. Doch Auri ließ nichts los. Seine Pupillen wurden groß und der Druck seiner Hände nahm noch mehr zu. „Aurindur!“ Diesmal umschloss Dhiro Auri's Hände und zog. Auri schüttelte wie benommen den Kopf. „Was?“, fragte er, ließ dann aber los. Alli hatte Tränen in den Augen stehen und rieb sich die Arme. Nun kam Lio und packte den verwirrt wirkenden Auri an den Handgelenken und auch Seven kam, um Auri in die Augen zu leuchten. Der verwirrte Ausdruck in seinem Gesicht ließ langsam nach. „Lass mal sehen,“ sagte Dhiro und streckte seine Hände zu ihr aus. Alli nahm die Hände von ihren Armen und entblößte die bläulich wirkenden Abdrücke von den Händen ihres Bruders. „Alles in Ordnung?“ Seine blauen Augen blickten sie voller Sorge an. Sie spürte, dass ihre Unterlippe zitterte. Und dann tat Dhiro etwas, dass sie verblüffte. Er nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. „Ganz ruhig, alles in Ordnung. Das wird schon wieder.“ Er hatte nicht widerstehen können. Sie sah vollkommen fertig aus. Jetzt hatte sie nahezu ihre gesamte Familie verloren und einer der letzten der ihr blieb, drehte ab. „Ich bring dich nach oben. Seven wird dir gleich was gegen die Schmerzen geben und dir Umschläge machen, dann sind die Druckstellen im Nu verschwunden.“ Er legte den Arm um ihre Schultern und führte sie in Richtung Treppe. Niemand sagte etwas. Sie starrten sie nur an. Sie hörte, dass Seven zu Laila sagte: „Hast du gesehen, was ich gesehen habe?“, hörte aber nicht mehr, was Laila antwortete. „Herr Gott,“ entfuhr es Dhiro, als er sah, wie Auri aus Alli's Zimmer gekommen war. „Es tut mir Leid, Alli, hörst du?“ Auri schrie von unten herauf, während Lio ihn am Arm in den Keller führte. „Rhed, besorg eine neue Türe.“ „Jawohl, Hauptmann.“ Langsam führte er Alli zum Bett. „Setz dich,“ sagte er sanft zu ihr. Laila stand hinter Dhiro. „Das war nicht sehr schlau, meine Liebe.“ Alli schüttelte den Kopf. „Hör auf, sie ist fertig genug.“ „Es war nicht als Vorwurf gemeint, ich kann sie sehr gut verstehen.“ Seven kam hereim. „So, hier nimm die Tablette. Das ist ein leichtes Schmerzmittel.“ Laila reichte ihr ein Glas Wasser. „So und nun mache ich dir die Umschläge. Am besten legst du dich hin. Krempel die Ärmel hoch.“ „Es tut so weh.“ „Ja, das sind ziemlich starke Quetschungen, aber die Salbe mit den Umschlägen wird dir schnell helfen.“ Laila hockte sich zu ihr auf das Bett und strich ihr behutsam über das Haar.
Seven wechselte die Umschläge drei mal, bevor er verschwand. In der Zwischenzeit war Rhed mit der Türe zurück und baute sie ein. Nun, war sie geschlossen und der neue Zimmerschlüssel lag auf ihrem Brett neben der Türe. Dhiro hatte klammheimlich den zweiten an sich genommen. Alli lag auf dem Bett und schlief. „Hast du nicht genug wegen dieser Friedensgeschichte zu tun? Ich passe auf sie auf.“ Dhiro stand mit verschränkten Armen vor dem Fenster und beobachtete, wie die Blätter fielen und der Regen Muster im See hinterließ. „Nein, Laila. Ist schon in Ordnung. Vieles habe ich gestern bereits fertig gemacht. Nachdem Myrancor mich wieder zurecht gewiesen hat, wie ich es wagen kann mit seiner Nichte im kalten Ozean schwimmen zu gehen und zu fliegen und so weiter.“ „Hast du ihm nicht gesagt, dass es ihr Spaß gemacht hat? Dass sie glücklich war? Dass du ihr nur ermöglichen wolltest so etwas kennen zu lernen?“ Er nickte und zuckte die Achseln. „Und du glaubst wirklich, dass ihn interessiert, was sie will? Und ob sie wirklich glücklich ist?“ Dhiro schnaubte. „Myrancor lebt so lange im Krieg mit allen anderen Bastionen, dass es ihm mehr Familienglück bringt, Bastionen zu vereinen, als seine Nichte glücklich zu sehen.“ „Du weißt, dass du sie glücklich machst und sie dich, oder? Du fühlst viel für sie.“ Dhiro schwieg eine Zeit lang. „Zu viel, Laila. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem ich sie vielleicht vergessen muss. Und ich habe das Gefühl, dass es mir nicht möglich sein wird weiter zu leben. Aber vielleicht ist es auch einfach nur so, weil ich dieses Gefühl nicht kenne. Es macht mir Angst. Weil es so neu für mich ist.“ Laila lachte. „Du kannst noch nicht mal aussprechen, dass du in sie verliebt bist.“ Grummelnd drehte er sich herum. „Du kennst mich lange genug, Laila. Ich kam Frauen nicht mal so nah, dass ich in greifbarer Nähe war. Geschweige denn meine sinnlosen Unterhaltungen mit Frauen.“ „Du bist ein guter Mann, Dhiro. Du warst nur noch nie verliebt. Vielleicht auch nur, weil du es dir nicht gestattet hast, etwas anderes zu fühlen, als Treue dem Gebieter gegenüber und Stärke.“ Er zuckte abermals die Achseln. „Ja, vielleicht. Aber sie, sie verändert etwas in mir.“ „Das sieht man. Das sehen alle. Nur rätseln sie, woran es liegt.“ Sie seufzte und stieß sich von der Wand ab. „Ich hole etwas zu Essen für uns, sie wird sicher hungrig sein, wenn sie aufwacht.“ Dhiro nickte und drehte ihr den Rücken zu.

So wurde es langsam Oktober und der November, mit der kalten Luft des Winters, ließ nicht lange auf sich warten. Dhiro hatte Alli viele Fragen beantworten müssen. Ob Dämonen Besitz von Menschen ergreifen konnten oder wirklich durch Weihwasser verletzt wurden. Er zeigte ihr, inwiefern er Besitz von einem Menschen ergreifen konnte. Es war stärkeren Dämonen nur möglich ihren Willen zu brechen und sie zu etwas zu bringen, was sie eigentlich nicht wollten, wie eine Manipulation. Er reiste mir ihr in die wunderhübscheste Kapelle, die auf einem einsamen Berg, umgeben von einem düsteren Wald lag, um ihr zu zeigen, dass er weder in Flammen aufging, wenn er sie betrat, noch dass Weihwasser ihn verletzte. Nur schien Alli nicht ganz bei der Sache zu sein und das belastete Dhiro. Sie saß viel alleine in ihrem Zimmer, statt zu ihm zu kommen. Mit ihrem Bruder redete sie seit dem Vorfall kaum noch. Ihre Weigerung weitere Heiratsanwärter zu treffen, hatte an Vehemenz nur noch zugenommen. Sie wirkte einsam, selbst wenn er bei ihr war. Und er spürte, dass auch er wieder seine gesunde Freundlichkeit verlor, seine Lebhaftigkeit. Gerade stand er im Trainingsraum. Machtvoller als je zuvor schlug er immer wieder auf den Boxsack ein, bis dieser dem Beispiel des vorherigen folgte und zerplatzte. Leise knarzte die Türe hinter ihm und verriet, das jemand den Raum betrat. Er ließ seine Macht pulsieren und erspürte dir Aura von Alliara. „Wir wollten Essen gehen, hast du das vergessen?“ Er drehte sich nicht zu ihr herum, während er weiter an der Aufhängung fummelte. Der kaputte Sack fiel zu Boden und verteilte seinen Sand im Raum. Dhiro griff zu einem neuen und hing ihn auf. „Nein, vergessen habe ich es nicht. Bin gleich so weit.“ Schnaufend kniete er nieder und löste die Gewichte von seinen Knöcheln. Ihr Seufzen ließ ihn herumfahren, er hatte gedacht, dass sie gegangen wäre. Seine Augen weiteten sich. Sie trug ein langes schwarzes Kleid, welches bis hin zum oberen Stück ihres Oberschenkels geschlitzt war, halbe Stiefel umschmeichelten ihre schmalen Knöchel. Der Ausschnitt des Kleides war atemberaubend. Es war direkt am Hals geschlossen und ging dann in einem schmalen Streifen auf, bin hin zu ihrem Bauchnabel, so dass man ihre festen wohlgeformten Brüste sehen konnte. Es hatte lange Fledermausärmel. Das Armband, welches er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, baumelte an ihrem linken Handgelenk. In der rechten trug sie eine kleine, glitzernde Tasche. „Du,“ begann er, schüttelte aber den Kopf und erhob sich. „Gib mir zwei Minuten.“ Ihr Blick wurde traurig und sie runzelte die Stirn. Sie drehte ihm den Rücken zu und sein Blick fiel auf ihren kleinen, trainierten Po, der sich fest unter dem Kleid abzeichnete. Dhiro konnte sich nicht mehr fernhalten. Er wollte ihr Freiraum geben, den sie immer wollte. Wollte sie alleine machen lassen, was sie alleine machen wollte. Aber nun, brannte ihm förmlich die Sicherung durch. Mit einem tiefen Grollen in der Kehle, rannte er an ihr vorbei, schlug die Türe von innen zu und drehte den Schlüssel. Sie sah ihn an, erst etwas ängstlich, doch dann röteten sich ihre Wangen. Wie eine Raubkatze ging er auf sie zu. Ihre hohen Schuhe gaben klickende Geräusche von sich, während er sie vor sich her trieb. Sie ging rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. „Dhiro,“ begann sie und streckte die Hände aus, bis sie gegen seine Brust trafen, dann sah sie ihn an. „Ich,“ sagte sie, doch er ließ sie nicht ausreden. Er küsste sie, wild und fordernd. Und sie erwiderte es, ließ sogar die Handtasche achtlos auf den Boden fallen. Er griff mit seinen großen, weichen Händen unter ihren Po, hob sie so an, dass sie ihre Beine um ihn schlingen konnte. Er war verschwitzt, so, dass seine Haare nass an seinem Kopf klebten, doch sie fuhr mit ihren schlanken Fingern hindurch. Keuchend ließen sie nahezu zeitgleich voneinander ab. „Wow,“ sagte sie und errötete. Er kniete nieder, um ihre Tasche aufzuheben. Mit dem Kopf auf der Höhe ihrer Scham, hielt er inne. Nein, Dhiro, rief er sich ins Gedächtnis, nicht hier. Nicht so. Sie nahm ihm behutsam die Tasche ab und zog ihn an der Hand auf die Beine. „Es tut mir Leid, Dhiro. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ich glaube, ich hatte Angst, dass du einmal genau wie mein Bruder reagieren könntest. Mich brutal anfässt. Was einfach nur lächerlich ist. So bist du nicht. Ich hätte es besser wissen müssen.“ Betreten sah sie zu Boden. Mit dem Finger hob er ihr Kinn an und küsste sie sanft. „Solange du mich noch magst. Ich hatte schon Panik, dass du mich satt bist.“ Sie starrte ihn entsetzt an. „Und dein Leben auf's Spiel setzte? Für eine kurze Liaison?“ Sie schnaubte kräftig. „Na klar. Nein, Dhiro. Ich habe mich und bin immer noch in dich verliebt. In einen Dämon. In einen Hauptmann. Der für mich nicht schöner sein könnte.“ Er schloss die Augen und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Aber ich hatte Zweifel, auch ob es das Wert ist. Ob ich es ertrage, wenn ich dich irgendwann verlassen muss. Ich weiß, wir drehen uns im Kreis, wenn es so ist, dann können wir es nicht ändern. Und ich kann nicht ändern, was ich für dich fühle und ich will mich nicht von dir fernhalten. Ich sagte zwar, dass ich alleine sein will, aber eigentlich wollte ich nur, dass du mich hältst und mit mir weg gehst. Weit weit weg, wo uns niemand findet.“ Er strich ihr über die Wange. „Das geht nicht, Alliara. Ich bin, wie du sagtest, der Hauptmann. Ich kann nicht einfach gehen. Und ich würde dich niemals brutal anfassen. Niemals. Und wenn, dann soll ein Blitz mich treffen und ich will auf der Stelle tot umfallen.“ Er legte seine Hände an ihre Hüften. „Nicht so lange ich Herr meiner Sinne bin und bei Verstand.“ Er schluckte. Die Worte, die er nun zu sagen drohte, hatte er noch nie gesagt. „Ich wollte dir noch sagen, dass ich deine Gefühle erwidere.“ Nein, das war nicht die Worte. Komm schon, Dhiro, feuerte er sich innerlich an. Sie sah ihn an, leicht lächelnd. „Du wolltest zwei Minuten, um dich fertig zu machen. Dann laufen die ab jetzt.“ „Warte,“ sagte er, als sie sich zum Gehen wandte. „Ich wollte, dass du weißt, dass ich mich auch in dich verliebt habe. Zum allerersten Mal, bin ich in jemanden verliebt.“ Mit großen Augen sah sie ihn an. „Zum ersten Mal?“ Er nickte und mied ihren Blick. „Dafür machst du dich glaube ich ganz gut,“ meinte sie lächelnd und küsste ihn. „Ich warte im Eingangsbereich auf dich.“ Mit diesen Worten verließ sie den Trainingsraum. Er seufzte und rieb sich das Gesicht. Eilig duschte er neben dem Trainingsraum und rannte so schnell er konnte, mit einem Bademantel bekleidet in sein Zimmer. Zum Glück begegnete ihm niemand. Er warf im Bad einen Blick in den Spiegel, wuschelte mit dem Handtuch über seine Haare, föhnte sie und formte sie zu einer Frisur, die Alli gefiel. In seinem Zimmer zog er ein dunkelblaues Hemd aus dem Schrank, zu einer schwarzen, engen Jeans. Seine Füße steckte er in schwarze Anzugschuhe. Über das taubenblaue Hemd zog er ein schwarzes Jackett, mit dunkelblauen Manschetten-Knöpfen. Die Hauptmann-Kette ließ er sichtbar auf seiner Brust baumeln. Neben der Türe griff er nach seinem Schlüsselbund, an dem sein Zimmerschlüssel, der zu Alli's Zimmer und der zum Keller hing. „Tadaa,“ rief er, als er auf Alli zuschritt, die ihn lächelnd ansah. „Darf ich bitten?“, fragte er und reichte ihr seinen Arm. „Gerne,“ sagte sie und machte einen kleinen Knicks. „Du siehst zum Anbeißen aus, Dhiro. Wenn ich das sagen darf.“ „Alliara, du darfst fast alles zu mir sagen, besonders nette Dinge.“

13

 Da der R8 im Winter zu gefährlich war, fuhren sie mit einem Land Rover Evogue zum Restaurant. Ganz der Gentleman hielt Dhiro ihr die Türen auf, hielt den Schirm über ihren Kopf und führte sie ins Restaurant. Wieder hatten sie einen Tisch in einer Nische. „Diesmal ist es aber keine feine Küche.“ Dhiro sah in die Karte. „Nein, das Restaurant ist zwar mit feiner Kleidung zu betreten, aber das Essen ist schön amerikanisch oder italienisch. Je nachdem worauf du Lust hast. Es war ein Tipp von Rhed und wenn ich ihm in einem vertraue, dann seinen Geschmacksnerven.“ Er fuhr mit dem Finger über die Karte. „Der Burger Nummer 125 muss göttlich sein.“ Sie bestellten und unterhielten sich. Einige Male lachte Dhiro und er fühlte sich gleich wohler. Gegen Ende des Essens betonte Alli nochmals: „Es tut mir wirklich Leid, du musst mich für vollkommen kindisch und kleingeistig halten. Du würdest mir nie etwas tun. Bisher hast du alles nur für mich gemacht. Aber ich habe auch einfach Angst dich zu verlieren.“ Nun war es raus. Sie teilten die gleiche Angst. Auch er hatte nach so kurzer Zeit Angst sie zu verlieren. Es war sein Ernst gewesen, was er zu Laila sagte, dass er nicht wüsste, ob er ohne Alliara leben könnte. Es gab bereits Notfallpläne, aber davon erzählte er ihr nichts. Während sie aßen hatte sich das Wetter verschlechtert. Ein Schneesturm war aufgezogen und blies den ersten Schnee des Jahres unnachgiebig durch die Dunkelheit. „Sollen wir irgendwo übernachten? Bei dem Wetter sieht man je nicht mal die Hand vor Augen.“ „Okay, dann lass uns ein Hotel suchen.“ Nahe an einem See fanden sie ein Hotel, dessen Lampen noch leuchteten. Es sah aus, wie eine kleine Burg, mit vier spitzen Türmen. Eilig liefen sie durch den Sturm in das Hotel, wobei Dhiro Alli's Arm eisern umklammert hielt, damit sie nicht fiel. Schneeflocken hatten sich in seinen Haaren gesammelt. Er hatte ihr sein Jackett umgelegt, damit sie nicht fror. Das dunkelblaue Hemd, welches er trug, gefiel ihr an ihm sehr gut. Es betonte seine Haut und seine Augen. „Guten Abend,“ sagte ein Mann hinter einer Theke, dem fast die Augen aus dem Kopf fielen, bei ihrem Aufzug. „Guten Abend, haben Sie noch ein Doppelzimmer frei?“ Er tippte in seinem PC herum und fragte dann, ob der Sturm uns überrascht hätte. Dhiro bejahrte es lediglich knapp. „Leider kein Doppelzimmer, nur noch eine Suite.“ „Auch gut, dann nehmen wir die.“ Der schmächtige Mann reichte Dhiro einen Schlüssel. „Wenn sie den Zimmerservice benötigen, es ist die Nummer 9 auf dem Telefon.“ „Danke sehr.“ „Einen angenehmen Aufenthalt,“ rief der Mann ihnen nach. Doch Dhiro führte sie bereits zum Aufzug. Die Suite war sehr geräumig und einfach nur zuckersüß. Alli lachte, als sie Dhiro's zweifelnden Blick sah. Gardinen mit Rüschen hingen vor den Fenstern, das Bett war mit einer geblümten Tagesdecke belegt und hatte einen Baldachin. Im Allgemeinen war das Zimmer sehr im Landhausstil eingerichtet, also verspielt und romantisch. „Ist doch süß, oder?“ Er schnaubte. „Bin gespannt, was das süße Zimmer kostet.“ „Ach, sei nicht so griesgrämig, mit gefällt es.“ Sie zog schwungvoll die lila Übergardinen zurück und sah auf einen verschneiten Balkon, der in Richtung eines See's lag hinaus. „Oh, okay. Der Anblick ist nicht schlecht.“ Dhiro trat hinter sie und massierte ihre Schultern. „Ich werde mal deinen Onkel anrufen, bevor er einen Suchtrupp aussendet.“ „Mach das, ich gehe mal ins Bad.“ Das Badezimmer ließ vermuten, warum es eine Suite war. Eine große Badewanne war in den Boden eingelassen, zwei mamorne Waschbecken hingen unter einem Spiegel, der die ganze Wand bedeckte. Eine Dusche, die bodentief war und eine Regenfuntkion besaß, befand sich in der anderen Ecke. „Nett,“ murmelte Alli. Hinter der Türe hingen zwei Bademäntel. Auf dem einen stand Mr. und dem anderen Mrs. Ebenso hingen ein paar Hausschuhe darunter. Was wollte sie eigentlich hier? Sie hatte nichts zum umziehen dabei, noch konnte sie sich abschminken, außer vielleicht mit dem Duschzeug, welches das Hotel reichlich bereit gestellt hatte. Als sie zurück ins Zimmer schlenderte lag Dhiro auf dem Bett. Seine Schuhe hatte er ausgezogen. Grimmig starrte er auf den Fernseher, ohne wirklich hinzusehen, denn er hatte das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt. „Natürlich habe ich versucht zurück zu fahren, Myrancor. Aber vielleicht hast du noch nicht raus geguckt. Ich,“ Scheinbar hatte ihr Onkel ihn unterbrochen. „Ja, ich habe den Land Rover genommen, ich bin keine zwölf mehr und nicht lebensmüde.“ Er lauschte abermals und eine Ader an seinem Hals begann zu pochen. Alli runzelte die Stirn und setzte sich zu ihm auf das Bett. „Okay. Dann versuchen wir durch den Schneesturm zu fahren, aber wirf mir nicht vor, dass ich es Schuld bin, wenn deine Friedenswahrerin, so wie du sie bezeichnest, nachher eine Gemachte werden wird, weil wir einen Unfall bauen und erfrieren.“ Wieder lauschte er. „Ja, das war Ironie! Sie ist deine Nichte, Myrancor. Ich konnte nicht mal die Hand vor Augen sehen. Geschweige denn, dass ich schneller, als zwanzig Kilometer pro Stunde fahren konnte.“ „Ich fahre nicht nach Hause. Das ist mir zu gefährlich.“ „Hast du das gehört? Ihr ist es zu gefährlich.“ Er schwieg und reichte Alli das Handy. Wütend stand er auf und stapfte durch das Zimmer. Aufgebracht nahm Alli das Handy an ihr Ohr. „Ja?“ „Alliara, das ist nicht richtig. Wir können dich nur in der Bastion ausreichend beschützen.“ „Onkel, wenn wir da raus fahren, dann kann mich nur noch Gott schützen. Hier liegen schon gute zwanzig Zentimeter Schnee und wenn ich aus dem Fenster sehe, dann sehe ich nicht mal die Fensterbank, so finster ist es und so dicht wirbelt hier der Schnee. Ich werde nicht mehr in dieses Auto steigen, bevor es wieder sicher ist. Wenn du willst, dass ich sterbe, wieso hast du mich dann nicht einfach bei den Engeln gelassen?“ Zum Ende ihres Ausbruchs, glich ihre Stimme einem Kreischen. Myrancor sagte erst einmal nichts mehr. „Ich bin kein Kleinkind mehr,“ fügte sie mit gefährlich ruhiger Stimme hinzu. „Und wenn du mich weiter so provozierst, dann scheiße ich auf den Deal meiner Eltern. Was tust du, wenn ich einfach weg laufe, statt brav mit zu spielen? Oder noch besser, wenn ich mich umbringe?“ „Alli, bitte, komm wieder runter. Es ist ja in Ordnung, ich mache mir nur Sorgen. Das letzte Mal warst du schwer krank, nachdem Dhiro mit dir weg war. Er war leichtsinnig. Dieser Deal...“ „Deine Nichte ist also egal? Nur der Deal ist wichtig? Okay, Onkel. Hör mir genau zu. Ich sage das nur ein einziges Mal. Dhiro hat bisher besser auf mich aufgepasst, als alle andern. Als du, der Lio abgestellt hat, um auf mich Acht zu geben, der versagte. Meine Eltern, die gestorben sind, als sie versuchten ihre Kinder zu schützen und wie du siehst, auch besser als Auri, da ich aus meinem Zimmer herauskam, ohne, dass er etwas bemerkte und ich spazieren ging. Im Regen, mit Hausschuhen. Dhiro ist also nicht Schuld, wenn ich krank werde, dass kann ich sehr gut alleine. Bisher, hat er mich am Besten beschützt, also, Myrancor, Botschafter und Vorstand. Vielleicht vertraust du deinem Hauptmann mal ein bisschen mehr?!? Aber egal, wie du dich entscheidest. Ich,“ sagte sie und betonte nun jedes einzelne Wort. „bleibe hier und werde, solange draußen ein verdammter Schneesturm tobt, nicht in dieses Auto steigen und auch in kein anderes. Also, Onkel. Gute Nacht. Schlaf gut.“ Mit diesen Worten legte sie auf und schaltete in einer einzigen, fließenden Bewegung das Handy aus. Eilig griff sie in ihre Tasche und schaltete auch ihr Handy aus. „So,“ sagte sie und ihr Brustkorb sank und hob sich schnell. „Wow, das nenn' ich mal nen Wutausbruch!“ Er kam auf sie zu. „Beruhige dich.“ Es klopfte. Dhiro runzelte die Stirn. „Bleib hinter mir,“ flüsterte er. „Zimmerservice,“ klang es von draußen, gefolgt von: „Ein Geschenk des Hauses.“ Dhiro öffnete langsam die Türe und drückte Alli an die Wand hinter der Türe. Der Mann in dem Frack schob einen Wagen herein, mit allerlei Leckereien und einer Flasche Sekt. „Soll ich ihn für sie entkorken?“ „Nein, danke, das machen wir schon selbst.“ Dhiro steckte ihm etwas Geld zu und ließ ihn wieder hinausgehen. Hinter ihm schloss Dhiro die Türe ab. „Nett, oder?“ „Das ist bestimmt das Honeymoon Paket.“ Alliara lachte. „Dann machen wir wohl das Beste draus, oder?“ Sie ging auf ihn zu und packte seinen Hemdkragen. Da sie ihre Schuhe abgestellt hatte, musste sie ihn nun ein kleines Stück zu sich ziehen, um ihn zu küssen. Leidenschaftlich fochten ihre Zungen einen Kampf miteinander aus. Sie zog ihn zum Bett und ließ sich rückwärts darauf fallen. Er entkorkte den Sekt und goss ihnen ein Glas ein. „Sogar Kerzen haben die hoch gebracht, als würden sie wissen, dass,“ Doch der einsetzende Stromausfall, ließ Dhiro verstummen und Alli lachen. „Ja, sie wussten es, oder sie haben unsere Sicherung herausgeredet. Mach sie an.“ Überall platzierte Dhiro Kerzen. Er sah gespenstisch aus, riesig, als er nun auf sie zu kam. Er setzte sich neben sie. „Auf uns,“ sagte Alli und hielt ihm sein Glas hin. „Auf dich,“ erwiderte er. „Die schönste Frau der Welt.“ „Na, wenn das so ist, dann trinke ich auf den Dämon, der mein Herz erobert hat.“ Sie tranken das Glas jeweils komplett aus und lächelten sich dann verlegen an. Alli griff sich auch sein Glas und stellte sie auf den Nachttisch. Rittlings setzte sie sich auf seinen Schoß und küsste ihn fordernd. Das musste doch eine passende Situation sein. Mit den Fingernägeln kratzte sie über seinen Rücken und beschloss, dass er noch viel zu viel an hatte. Behände lehnte sie sich etwas zurück und knöpfte sein Hemd auf. Dhiro's Augen funkelten im Kerzenschein, während er sie beobachtete. Sie streifte das Hemd von seinen Schultern und küsste seine Schlüsselbeine. Liebkoste sie. Bestimmt drückte sie seinen Oberkörper auf das Bett hinunter und küsste eine Spur über seinen Oberkörper. Er atmete schnell und hielt ihr Gesäß mit den Händen fest umschlossen. Als sie auf seinem Bauch ankam, fummelte sie automatisch an dem Knopf seiner Jeans. Er ließ sich öffnen und gab ihr den Blick frei auf eine enge schwarze Shorts. Nun wurde ihr sehr, sehr heiß und ihr Kreislauf revoltierte. So als würde er spüren, dass sie grade die Kontrolle verlor, hob er sie hoch und legte sie nun auf das Bett. Dann betrachtete er sie eingehend. Sein Blick schien ihren Körper förmlich ab zu fotografieren. Er begann bei ihren Füßen und endete bei ihrem Gesicht. Dann packte er ihr Kleid am Saum und schob es quälend langsam über ihre Beine, hinauf, über ihre Hüften, über ihren Bauch, bis er unter ihren Brüsten war. Dort ließ er erst einmal verharren und sah sie wieder ganz genau an. Alli widerstand nur schwer dem Drang ihre Hände vor ihre Hüften zu halten, obwohl ein schwarzes Stück Seide ihre Scham noch bedeckte, fühlte sie sich nackter, als je zuvor. Er kniete zwischen ihren Beinen und schob nun seine Hose von seinen Beinen auf den Boden. Langsam küsste er sich an der Innenseite ihrer Oberschenkel hinauf, umging ihre Scham und küsste ihren Bauch. Dann kam er hoch und küsste ihren Mund. „Du machst mich wahnsinnig.“ Sie kicherte unsicher. „Aber ich mache doch gar nichts.“ „Vielleicht ist es gerade das, in Kombination mit deiner unfassbaren Schönheit.“ Sie errötete. „Und das, das macht mich auch wahnsinnig.“ Er küsste sie leidenschaftlich und strich mit den Händen weiter ihr Kleid hoch, während sie sich an ihn klammerte. Kurz ließ er von ihren Lippen ab, nur um ihr das Kleid über den Kopf zu ziehen. Direkt darauf küsste er sie wieder und fuhr mit seinen warmen, weichen Händen ihren Körper entlang, bis er mit einer Hand eine ihrer Brüste erreichte. Alli drückte sich ihm entgegen. Ihr war so heiß, als würde sie brennen. Dhiro's Augen funkelten. Diesmal nicht wegen der Kerzen. Plötzlich ersetzte er seine Hand durch seine Lippen und diese dann durch seine Zunge. Alli wälzte sich hin und her. Abwechselnd wurde ihr heiß und dann kalt und es schauderte sie. „Oh, Alliara.“ Seine Stimme war düster und heiser. Sie sah zu ihm hinab. Seine Haare standen ihm verwuschelt von Kopf ab. „Dhiro,“ hauchte sie seinen Namen. „Ich möchte, dass du mit mir schläfst, bitte!“ Er knurrte und drehte sie auf den Bauch. Kurz hatte sie Angst, vor dem, was er tun würde. „Alles zu seiner Zeit, Alliara. Nicht so hektisch.“ Er knabberte an ihrem Ohr, was ihr eine Gänsehaut bereitete. Und dann setzte er seine süße Folter unbeirrt fort. Er massierte ihre Schultern, überhäufte ihren Körper mit Küssen, bis er ihr schließlich den Slip auszog. Sie war ängstlich. An ihre voraussichtlichen ersten Male konnte sie sich nicht erinnern. Wie würde es sein? Sie würde ihn sicher enttäuschen. „Hey,“ hauchte er an ihrem Ohr. „ganz ruhig. Entspann dich, es ist alles in Ordnung. Wenn du nicht mehr willst oder es gar nicht willst, dann ist es okay. Nur rede mit mir und mach dich nicht so steif, als würde die Leichenstarre einsetzen.“ „O-Okay.“ „Du brauchst keine Angst zu haben etwas Falsch zu machen oder mir nicht zu gefallen. Ich werde sehr vorsichtig sein, wenn du es immer noch willst.“ Sie nickte schnell. Er lächelte sie kurz an und verschwand wieder aus ihrem Blickfeld. Auf einmal spürte sie, dass seine Lippen ihren Po liebkosten und seine Hände an ihren Oberschenkelinnenseiten entlang fuhren. Rauf und runter, immer ein Stückchen näher an ihre Scham. Bis er plötzlich seine Hand leicht darauf legte und mit einem Finger sanft ihre Vorderseite massierte. Wenn sie vorher gedacht hatte, ihr wäre heiß und sie würde verglühen, dann glich sie nun einer Sonneneruption. Sie versuchte vor seiner Hand zurück zu weichen und nicht laut zu schreien, doch er ließ sie nicht weg rücken. Nein, stattdessen, drehte er sie auf den Rücken und sah ihr ins Gesicht. „Alli, genieße es. Sei so laut du willst.“ Ihre Augen weiteten sich, als er sich über den Finger leckte, der sie noch vor ein paar Sekunden liebkost hatte. Er schloss die Augen und presste eine Hand auf ihren Brustkorb. Sie wartete gespannt ab, was passierte, bis sie plötzlich einen leichten Luftzug an ihrer Scham spürte, dann wieder nichts. Abwartend lag sie da. Dann lag plötzlich Dhiro's Mund auf ihr. „Oh Gott,“ rief sie und errötete. Sie musste so rot leuchten, meinte sie, dass sie im Dunkeln lesen konnte. Er liebkoste sie und sie spürte nur noch Hitze. Töne, die sie noch nie von sich gegeben hatte, entlockten sich ihrer Kehle und sie krallte sich in das Laken des Bettes. Sie presste sich ihm entgegen, nahm seinen Kopf zwischen ihren Oberschenkeln gefangen und genoss die Berührung seines Mundes. Plötzlich spürte sie ein ihr unbekanntes Kribbeln, wie eine kleine flauschige Kugel, die sich in ihrem Bauch schnell drehte und nach unten wanderte. Automatisch versteifte sie sich. „Alliara,“ keuchte er atemlos. „Lass los, es ist okay. Lass dich bitte einfach fallen.“ Sie vertraute ihm, also versuchte sie sich wieder zu entspannen. Er setzte sein rhythmisches Spiel mit einem Mund fort. Und sie spürte, wie sie ihm vollends verfiel. Das Kribbeln schwoll an, wurde immer stärker und entlud sich förmlich mit einem Knall in ihr, der sie aufschreien ließ. Er unterbrach seine Folter kurz und ließ sie wieder zu Atem kommen. „Oh meine liebe Güte,“ flüsterte sie. „War es das, was ich glaube, dass es das war?“ „Falls du einen Orgasmus meinst, so hoffe ich, dass es einer war und du nicht vortäuschst.“ Er lächelte sie an, seine Augen funkelten und waren zugleich sehr träge. „Und wirst du jetzt?“ Sie ließ den Satz unbeendet und ihr Atem ging wieder schneller. „Wenn du möchtest!“ Sie zog ihn zu sich, um ihn zu küssen. Er stöhnte, an ihrem Mund. Sie schmeckte Salz auf seinen Lippen. Sie hatte Angst davor, was jetzt kam, doch sie nahm all ihren Mut zusammen und griff ihrerseits an seinen Po. Zwischen ihren Beinen spürte sie ein leichtes Klopfen, nahezu pulsieren. Sie massierte mit der Hand sein Gesäß und ließ sich weiter von ihm Küssen. Er seufzte an ihrem Mund und sie ließ eine Hand, wo sie war und mit der anderen griff sie vorsichtig nach vorne an seine Shorts. Oh Gott, dachte sie. Er stöhnte auf und zischte leise. Wieder zog er sie mit sich, als er seine Position wechselte. Er lag nun auf dem Rücken und sie saß auf seinen Oberschenkeln. Behutsam strich sie über die Beule in seiner Shorts und spürte bereits, wie ihr wieder warm wurde. Er rollte die Augen und verbarg sie hinter den Lidern. Nun war er es, der sich in den Laken festkrallte. Doch sie nahm seine rechte Hand und fühlte sie an ihre Brust. Er öffnete die Augen und griff zu, nur um sogleich seine Augen wieder zu schließen. So, dachte Alli. Nun ist es so weit. Sie legte seine Hand wieder auf die Laken und hockte sich neben ihn, um ihm die Shorts auszuziehen. Er musste etwas mithelfen, da sie sich sehr ungeschickt anstellte. Vollkommen entspannt lag er auf dem Rücken und nicht nur das, auch vollkommen nackt. Alli schluckte die aufkeimende Angst hinunter. Sie hatte sich vielleicht ein zwei mal mit Mila Filme angeschaut, oder mal Bilder, nur weil Mila ihr helfen wollte. Schließlich hatte sie gedacht, sie sei noch Jungfrau. Nun ja, erinnungstechnisch war sie es auch. Zitternd holte sie Luft und streckte langsam die Hand nach seinem Penis aus. Er wirkte groß und nun ja, prall. Aber sie hatte keinerlei Vergleichswerte. Die Haut, die ihn umgab, war weich, und heiß. Als sich nun ihre Finger darum schlossen, zuckte er. Sie strich mit der Hand vorsichtig hinauf und herunter. „Du tust mir nicht weh, pack ruhig fester zu. Probier dich aus.“ Seine Stimme war kaum mehr, als ein Knurren oder nahezu das Schnurren einer Katze. Seine Hände umklammerten das Laken. Sie schloss ihre Hand fester um seinen Penis und zog sie herunter. Es zeigte sich, dass die Haut elastisch war und man nun, wenn man sie herunter zog seine Eichel sah. Alli fühlte sich etwas unbehaglich, weil sie so etwas nur aus dem Biologie-Unterricht kannte. Sie glänzte leicht, sie sah nahezu schön aus, dachte Alli. Jetzt wo er mit seinem Mund an ihrer Scham war, wollte sie es auch probieren. Also beugte sie sich vor und leckte einmal kurz über die glänzende Spitze. „Herrgott, Alli!“ Dhiro bäumte sich auf und presste das Laken so fest zwischen seinen Finger, dass die Gelenke weiß schimmerten. „Hab ich was Falsches gemacht?“ Er lachte und sah sie an. „Falsch? Alliara, richtiger kannst du gar nichts machen. Ich hatte nur gedacht, dass du zu schüchtern bist.“ Sie zuckte die Achseln. „Wie du mir, so ich dir!“ Er lächelte und ließ sich wieder zurück sinken. „Aber mach das ruhig ein bisschen weniger, ansonsten ist der Spaß möglicherweise schnell vorbei.“ Sie nickte und wandte sich wieder den anstehenden Liebkosungen zu. Sie schloss den Mund um seinen Penis, leckte und saugte, bewegte die Hand auf und ab. Bis sie einen eigenen Rhythmus entdeckt hatte. Er stöhnte, biss sie von innen auf die Lippe, warf den Kopf hin und her. Es erregte sie, ihn so zu sehen. „Warte,“ hauchte er irgendwann heiser und drückte ihre Hand. Er atmete tief ein und aus, zittrig, so als wäre er einen Marathon gelaufen. Er setzte sich auf, zog sie unter sich und küsste sie leidenschaftlich. Seine Hände stützte er neben ihrem Körper ab, damit sein Gewicht nicht auf ihr lastete. Dann sahen seine strahlend blauen Augen in ihre und sie blickte zurück, mit einem leichten Runzeln auf der Stirn. Sie spürte, wie er seine Hüften nach unten sinken ließ und seine Scham irgendwann die ihre berührte. Leicht bewegte er sich, bis er letztendlich Stück für Stück in sie eindrang. Alli schrie auf. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Es schmerzte und sie fühlte sich ausgefüllt. Dhiro presste sie an sich. Doch der Schmerz verebbte und wurde ersetzt durch eben jenes Kribbeln, was sie schon zuvor gespürt hatte. „Habe ich dir weh getan? Soll ich aufhören?“ Seine Stimme war rau und doch nahm sie die Sorge darin wahr. „Nein, mach weiter, bitte.“ Ihre Stimme war ein Stöhnen und sie schloss die Augen, während sie sich an ihn klammerte und die Beine hinter seinem Gesäß verschränkte. „Oh Gott,“ sagte er, als er sich bewegte. Alli kratzte ihm über den Rücken, als das Kribbeln wieder stärker und stärker wurde und sie schließlich übermannte. Es gab nur noch ihn für sie. Sie nahm nichts mehr wahr, außer ihn und seinen Körper, seine Augen, die sie trotz all der Leidenschaft wachsam musterten. Diesmal bewegte er sich weiter, während die Welle über sie hinweg rollte, was sie nur zu verlängern schien. „Alli, ich liebe dich,“ presste er hervor und stöhnte laut, während er sich noch etwas schneller bewegte und schließlich aufhörte.
Er lag nun schwer auf ihr. Sie atmete schnell, ebenso, wie er. Sie spürte, dass ihr Gesicht glühte und sie überall rote Flecken auf ihrem Körper hatte, die sich zeigten, wenn sie zu viel und zu schnell gelaufen war. „Ich liebe dich auch, Dhiro. So muss es sein.“ Sie küsste sein Ohr, was ihn erzittern ließ. Es verursachte beinah, dass sie wieder kam. Sein Mund war leicht geöffnet und er sah jünger aus denn je. „Es war wunderschön, danke.“ Nun lachte er. Sie spürte es bis tief in ihren Körper, da sie immer noch vereinigt da lagen. „Du musst dich nicht bedanken. Aber du hast Recht, es war einfach traumhaft schön.“ Er küsste sie auf die Stirn und erhob sich. Als er nun das Bett verließ und ins Badezimmer ging, fühlte sie sich leer und ihr wurde schnell kalt, weil er sie nun nicht mehr wärmte. Eilig zog sie die Decke über sich. „Hey,“ sagte Dhiro, als er aus dem Bad zurück kehrte. „Wer hat dir erlaubt dich zu verhüllen?“ „Mir war kalt, als du weg warst und, ich fühlte mich leer.“ Seine Augen weiteten sich. Dann lächelte er ihr fast schon schüchtern zu. Sie betrachtete ihn. „Du siehst einfach toll aus.“ Sie wurde rot und er sah an sich hinab. Dann kam er auf das Bett zu und legte sich zu ihr. „Wenn ich toll aussehe, dann bist du die schönste Frau auf der ganzen Welt. Alliara, ich liebe dich und wünschte, dass diese Nacht niemals enden müsste.“ Sie legte ihre Stirn an seine und spürte plötzlich, wie erschöpft sie war. Er nahm sie fest in den Arm und summte ihr leise ein Lied vor. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, schlief sie ein. 

14

 

Der nächste Morgen kam viel zu schnell. Dhiro weckte sie sanft, indem er ihre Stirn, ihre Augenlider und ihren Mund küsste. „Ist der Sturm vorbei?“, fragte sie gähnend, während sie sich reckte und feststellte, dass sich ihr Unterkörper anfühlte, als hätte sie ein wenig Muskelkater. „Leider ja.“ Er war bereits wieder vollständig bekleidet. „Können wir nicht noch ein wenig bleiben?“ Ihre Stimme war traurig und sie saß im Schneidersitz mit bloßen Brüsten auf dem Bett. Er knurrte und kniete sich vor sie. „Du weißt gar nicht, wie gerne ich das würde. Aber dein Onkel wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns zu finden.“ Dhiro runzelte die Stirn. „Sprichwörtlich,“ fügte er hinzu. Während Alli duschen ging, bestellte Dhiro über den Zimmerservice Frühstück. Dann schaltete er die Nachrichten ein. Überall hatte es Stromausfälle und viele tödliche Unfälle gegeben. Auf der Strecke, die sie gestern Nacht gefahren wären, war ein Staudamm gebrochen und hatte die Strecke für die halbe Nacht geflutet und sie dann zu einer Rutschbahn gefrieren lassen. „Das hätte sogar ich nicht überlebt,“ knurrte Dhiro. Er war schlichtweg missmutig. Er hatte beinah gehofft, dass ihn das Schicksal liebte und ihm das Leben á la „Täglich grüßt das Murmeltier“ ermöglichte und er auf ewig mit Alli hier bleiben konnte. Er sog den Geruch der gestrigen Nacht in sich auf und erinnerte sich an ihren Körper, als sie der Extase verfallen war. Sie machte ihn wirklich wahnsinnig. Und er hatte es gesagt. Zum ersten Mal in seinem langen Leben hatte er zu jemandem die drei Worte gesagt, die das Leben veränderten. Und ja, sein Leben hatte sich verändert. Er hörte Alli im Badezimmer laut summen, während sie duschte. Sie war so süß gewesen und doch hatte sie ihn überrascht. Hoffentlich würde es nicht bei diesem einen Mal bleiben. „Alle Straßen sind frei, fahren Sie vorsichtig,“ sagte der Fernsehsprecher gerade, als Alli aus dem Bad trat. Sie trug nur ein Handtuch und presse mit einem anderen das Wasser aus ihren Haaren. „Ich habe Muskelkater,“ verkündete sie. Er zog eine Augenbraue hoch und spürte, dass er es nicht mehr vermeiden konnte zu lachen. „Ja? Mir tut nur der Rücken weh.“ Bei der Erinnerung, wie sie ihm den Rücken zerkratzte errötete sie. „Ehrlich? Tut es sehr weh?“ Er lachte. „Alliara, es fühlt sich einfach toll an. Jeder kleine Schmerz erinnert mich an heute Nacht. Von mir aus bleiben die Kratzer für immer.“ Er stand auf und küsste sie. Dann wandte er sich zur Türe. „Geh zurück ins Bad,“ sagte er herrisch und sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und in die Hüfte gestemmten Händen an. „Der Zimmerservice klopft in drei, zwei, eins...“ Daraufhin klopfte es. Alli eilte ins Bad. Als sie nun in dem flauschigen Bademantel bekleidet wieder hinaus kam, goss Dhiro gerade Kaffee ein. „Aber sonst geht es dir gut? Keine Schmerzen? Ich habe dir nicht weg getan?“ Sie lächelte ihn liebevoll an und strich durch sein weiches, volles Haar. „Nein,“ sagte sie und küsste seine Nasenspitze. „Mir ging es nie besser.“ Er lächelte erleichtert und ihr Magen knurrte. Sie frühstückten und lachten, alberten herum, aber je näher ihre Abfahrt rückte, desto bedrückter wurde die Stimmung. Nachdem sie bezahlt hatten und in den Land Rover stiegen, schaltete Dhiro sein Handy ein und stellte es in der Halterung des Wagens auf. „Sie haben 10 Nachrichten!“ Mit lauter Stimme hatte ihr Onkel immer und immer wieder angerufen, gedroht, dass Dhiro das bereuen werde und sich Befehlen widersetzt hätte. Alli sah, dass er von Nachricht zu Nachricht blasser wurde. „Lass mich mit ihm reden, bevor du zu ihm gehst.“ Er schüttelte den Kopf und startete den Wagen. Auf Alli's Handy war nur eine SMS von Laila. „Ich hoffe du genießt die Nacht. Du willst nicht wissen, was hier los ist.“ Alli seufzte und lehnte traurig den Kopf gegen das kalte Seitenfenster.
Nach etwa einer Stunde Fahrt, weil die Straßen zum Großteil immer noch vereist waren, kamen sie an der Bastion an. Sie war hell erleuchtet und hob sich von dem grauen Himmel gut ab. In der Garage lehnte sich Dhiro zu ihr hinüber und küsste sie leidenschaftlich. „Mir kommt es vor, als würdest du sich verabschieden?“ Ein kalter Mantel der Angst hatte sich um ihr Herz gelegt, je näher sie der Bastion gekommen waren. Dhiro sah sie an, doch sie konnte nichts in seinen Augen lesen und er lächelte auch nicht. „Oh,“ sagte Alli und stieg aus. Langsam traten sie den Weg nach oben an. Im Empfangssaal war niemand zu sehen. „Ich rede dann jetzt mit Myrancor.“ Er wollte sich abwenden, doch Alliara griff nach seiner Hand. „Bitte, lass mich zuerst mit ihm reden.“ Sie straffte die Schultern. „Oder wir gehen zusammen, dann können wir es erklären.“ „Er wird nicht zuhören, Alliara. Ich kenne deinen Onkel, länger als du denkst. Und ich weiß, dass hinter seinem professionellen und freundlichen, höflichen Auftreten ein sehr grober und sehr impulsiver Mann steckt.“ Dhiro zuckte die Achseln. „Wenn ich Glück habe, dann hat ihm heute Nacht der Stromausfall das Mütchen gekühlt.“ Tränen sammelten sich in Alli's Augen. „Bitte, nicht. Nicht weinen. Es wird alles gut werden.“ Er wandte sich von ihr ab und trat den Gang, die linke Treppe hoch, zu Myrancor's Büro an. Er spürte Alliara's Blick noch auf sich ruhen, als er an die Türe des Botschafters klopfte. „Herein, Hauptmann!“ Die Stimme war ein bloßes Knurren.

Alli lief mit Tränen in den Augen in den Keller. Vorbei an den Räumen die mit Trainingsmaterialien oder Medikamenten voll waren, bis hin zu den kleineren Zimmern. Sie klopfte an eine Tür mit einem rosa Schmetterling. Die Augen des Schmetterlings musterten sie und sofort wurde die Türe aufgerissen. „Oh Gott, Alli?“ Laila zog sie hinein und schloss sofort hinter ihr ab. „Was hat er dir getan?“ Alli stutzte. „Gar nichts, es war, ach Laila, es war so schön. Es hätte niemals enden sollen. Aber Dhiro,“ sagte sie unter Schluchzern. „er ist jetzt bei meinem Onkel.“ „Oh,“ machte Laila. „Ich habe Angst um ihn.“ „Psssst, es wird schon alles gut gehen,“ versuchte Laila Alli zu beruhigen. „Myrancor wird seinem besten Hauptmann nicht schaden. Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Das tat Myrancor auch nicht, aber tatsächlich schickte er Dhiro auf eine Mission in ein anderes Land. Alli war an diesen Abend hin und her gerissen, zwischen Trauer und unbändiger Wut auf ihren Onkel. Sie aßen alle gemeinsam. Schweigend. Wenn Alli ihren Onkel zu hasserfüllt musterte, drückte Laila ihr Knie. Dhiro aß nichts. Grimmig trank er Whisky auf Eis und immer wenn sein Glas leer war, eilte Nesil herbei und füllte sein Glas auf. „So,“ begann Myrancor. „Ich finde es gut, dass du, Laila, nun ein wenig mehr auf meine Nichte Acht gibst.“ Alli musste ein Würgen unterdrücken. Beinah, wäre sie vom Tisch aufgesprungen, doch Laila krallte ihre Fingernägel in ihren Oberschenkel, weshalb sie lediglich die Augen schloss und sich auf die Zunge biss. „Es ist mir eine Ehre, Myrancor. Auch wenn ich nicht die schützenden Fähigkeiten eines Kriegers besitze.“ Dhiro sah auf, eine Augenbraue erhoben. „Was meinst du, Laila?“ „Nun, wenn ihr so besorgt seid, um das Wohl eurer Nichte, dann hatte sie bislang den besten Schutz, den sie haben konnte.“ Sie schüttelte ihr langes, seidiges Haar. „Seht, ich bin lediglich eine junge Dämonin, ohne jegliche Kampferfahrung, praktisch genau so schutzlos, wie eure Nichte. Ich kann also wie eine Frau auf sie aufpassen, aber nicht wie der Hauptmann unser Bastion es könnte. Seine Erfolge sprechen für sich.“ Dhiro machte große Augen. Alle anderen am Tisch sahen, wie bei einem Tennismatch, von Laila zu Myrancor und wieder zurück. Dieser hatte die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Seine Hand, die sein Weinglas umklammert hielt, zitterte ein wenig. „Das mag sein, Laila. Aber der Hauptmann hat sich seinen Befehlen widersetzt und meine Nichte so gefährdet.“ „Nein,“ knurrte Alli. „Das hat er nicht.“ Langsam stand Alli auf. „Er hat nur dafür gesorgt, dass wir nicht umkommen in einem Schneesturm, in dem ein Damm brach, der genau die Straße überflutete, über die wir hätten fahren müssen. Er hat nichts, aber rein gar nichts falsch gemacht, außer...“ „Alliara, lass es!“ Dhiro's Stimme war eisig. Bellend hallte sie klar durch den Raum und er blickte sie finster an. „Ich habe mich den Befehlen meines Botschafters und Vorstandes widersetzt. Absicht hin oder her. Und die Strafe dafür muss ich empfangen. Glaubst du ich wirke noch in irgendeiner Weise respekteinflößend, wenn ich einen Freifahrtschein gegenüber meiner Vorgesetzten habe?“ Er setzte sein Glas an und stürzte es hinunter. „Ich gebe Laila zwar Recht, dass nur ein Krieger sie schützen kann und auch, dass ich vermutlich der Beste dafür bin, aber auch ich muss eine Strafe für Missachtung über mich ergehen lassen, so einfach ist das.“ Myracnor nickte ihm stolz zu und Alli starrte ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Dann schluckte sie und sagte frostig: „Entschuldigt, Hauptmann. Ich wollte mich nicht in eure,“ Sie unterbrach sich, während sie nach dem richtigen Wort suchte. „Angelegenheiten einmischen.“ Das letzte spie sie ihm nur hin und warf ihre Serviette auf den Teller. „Onkel, mir ist es nicht gut. Ich werde mich hinlegen.“ Mit einem Blick auf Laila, stand sie auf. „Kommst du, Laila?“ Eilig nickte sie und huschte so schnell sie konnte auf ihren hohen Absätzen hinter Alli her.
So ein Mistkerl, dachte sie. Was fiel ihm ein, sie vor allen zu maßregeln? Alli hatte bereits während seiner Rede einen Entschluss gefasst. Bevor er aus seiner Bastion verschwinden musste, tat sie es lieber. „Laila, ich brauche deine Hilfe,“ sagte sie zu ihr, als sie ihre Zimmertüre schloss. Laila nickte und während sie das tat, griff Alli fester um den Kerzenleuchter in ihrer Hand. „Es tut mir Leid,“ murmelte sie und schlug zu. Laila's fragendes Gesicht wurde entspannt, als Alli sie nach ihrem Schlag langsam zu Boden sinken ließ. Eilig griff sie sich eine große Tasche und einen kleinen Koffer. Sie packte warme Kleidung ein, Geld, ihr Handy, allerdings ohne SIM-Karte, eine Wolldecke und ein weiteres Paar Schuhe. Seufzend sah sie zu Laila, die reglos, mit einer blutenden Kopfverletzung am Boden lag. Alliara bückte sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Es tut mir Leid und du hattest wirklich Recht, du bist keine Kriegerin.“ Sie zog Dhiro's dicke Fellweste fester um sich und zog die dunkle Mütze tiefer in ihr Gesicht. Eilig lief sie nach unten, hinab in den Keller. In der Garage sah sie sich nach dem Evogue um und dessen Schlüssel. Als sie ihn im Schlüsselkasten fand, lief sie los, warf ihre Taschen in den Kofferraum und drückte noch beim Einsteigen, auf den Knopf des Tores. Mit quietschenden Reifen fuhr sie aus der Garage, hinaus in das dichte Schneetreiben. Der Wagen schlitterte, als sie aus der Ausfahrt des Anwesens fuhr. Sie wusste, dass ihre Flucht nicht unbemerkt bleiben konnte, denn einer der Angestellten überwachte über Monitore die Tore, aber sie würde schneller sein. Sie musste einfach schneller sein.
Sie hörte Radio, aber meistens nur zu den vollen Zeiten. Die Sonne war bereits einmal unter und einmal aufgegangen. Nun fuhr sie geradewegs durch einen kleinen Vorort, der sich unter einer Schneedecke erstreckte. Sie wusste, dass es albern war, aber so würde Dhiro nicht von der Bastion weg müssen und so, würden wenigstens die Krieger, ihr Bruder und Laila nicht gefährdet sein. So wäre Dhiro in Sicherheit, statt bei irgendeiner erfundenen Mission umzukommen. Sie wusste, dass sein gestriger Auftritt lediglich dazu diente, dass Myrancor keinen Verdacht schöpfte und zum Teil, so glaubte sie, damit wirklich alle den Respekt vor ihm behielten. Und vielleicht, um auch sie vor ihrem Onkel zu schützen. Seufzend fuhr sie an ein paar Kindern vorbei, die auf dem Weg zur Schule eine Schneeballschlacht abhielten. Seit einigen Kilometern blinkte die Tankanzeige und sie hielt Ausschau nach der nächsten Tankstelle. Als sie den kleinen verschlafenen Ort durchquert hatte, lag auf ihrer linken Seite eine Tankstelle. Eilig schlüpfte sie hinaus, hinter den Wagen und begann ihn voll zu tanken. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen und einen dicken Winterschal über Mund und Nase. Legitim, dachte sie, denn es war wirklich schweinekalt. Während der Schneefall in der Nacht nachgelassen hatte, nahm er nun stetig wieder zu. Und sie war müde. Allerdings wagte sie es nicht, sich jetzt schon ein Hotel zu suchen. Ein weiteres Auto fuhr auf die Tankstelle und sie drehte dem Fahrer automatisch den Rücken zu, als die Zapfsäule anzeigte, dass ihr Wagen voll sei. Wow, dachte sie. „In dich passt verdammt viel Sprit.“ Mit zitternden Händen kramte sie einen 100 Dollarschein hervor und hielt dem Tankwart den Schein hin. Er nahm ihn, wollte ihr das Wechselgeld geben, doch Alli griff sich noch ein Crossaint und ein Brötchen, welches genau ins Budget passte. Der ältere Herr lächelte sie an, doch Alli, lächelte nicht zurück. So schnell es bei der nasskalten Witterung möglich war, fuhr sie weiter. Ein genaues Ziel hatte sie nicht. Sie dachte über New York nach. In einer Großstadt würde sie gut untertauchen können, besonders, weil sie sich dort auskannte. Schließlich hatte sie mit Lio und Mila dort gelebt. Aber würden sie dort nicht zuerst nach ihr suchen? Oder dachten sie genau das? Und im Endeffekt war Alli dort am sichersten. Unschlüssig gab sie im Navi eine ihr bekannte Adresse in New York ein. Das Display zeigte ihr noch fünf Stunden Fahrt. Das würde sie ohne zu schlafen nicht schaffen. Kurzerhand suchte sie nach Hotels auf dieser Route. Eines lag ganz in der Nähe, das würde sie nicht nehmen. Sie hatte Kameras an der Tankstelle gesehen. Aber eines, ein Waldhotel lag noch etwas weiter entfernt und auf einer Nebenstraße. Das sah gut aus. Sie wählte es an und fuhr los. Noch eine Stunde, Alli, dann kannst du schlafen.

„Laila? Alli?“ Auri klopfte laut an die Türe. Sie war verschlossen. Waren sie spazieren? Oder einkaufen? Sein Blick glitt durch den Eingangsbereich. Er war verlassen und das Licht wurde gerade gelöscht. Langsam ging Auri zurück in den Speiseraum. Viele saßen noch schweigend und nachdenklich an dem langen Tisch. Myrancor war triumphierenden Blickes aus dem Raum gegangen und hatte alle anderen schweigend und verwirrt zurück gelassen. Niemand wagte es den Hauptmann anzusprechen, dessen Laune ihren Tiefpunkt erreicht hatte und noch weiter sank, als Alli den Raum verließ. Was ging da nur vor? Auri seufzte und sammelte allen Mut zusammen. „Hauptmann?“ Langsam hob Dhiro den Blick, fort von seinem Glas, hinauf zu Auri. Sein Blick war verschwommen, durch den massiven Konsum von Alkohol und der absoluten Verweigerung von fester Nahrung. „Was gibt es, Auri?“ Wie sollte er es ausdrücken? Die anderen warfen ihm Blicke zu, besonders Lio. Er wirkte äußerst interessiert. „Ich war gerade oben, bei Alli. Ich habe geklopft, als niemand etwas gesagt hat, habe ich versucht die Türe zu öffnen, sie war abgeschlossen.“ „Sie hat doch gesagt, sie legt sich hin. Warum sollte sie sich dann nicht einschließen?“ „Aber, Laila, sie müsste doch bei ihr sein, zumindest hat sie darauf bestanden, dass sie mit geht.“ Dhiro schien kurz nachzudenken, bis er sich schließlich erhob. „Gut, gehen wir nachsehen, auch wenn es nicht mehr in meine Zuständigkeit fällt.“ Als sie sich zum Gehen wandten, schwankte eine Gestalt zur Türe hinein, mit langem, fast weißen Haar. „Laila?“ Blut war an einer Stelle an ihrem Kopf verkrustet. „Alli,“ stieß sie hervor und sackte nach vorne. Lio fing sie auf und hielt die Bewusstlose fest. Geschockt sahen sie einander an, als auch schon ein Bediensteter von der Wache her eilte. „Der weiße Land Rover wurde gestohlen. Er hat vor etwa zehn Minuten das Tor passiert.“ Dhiro knurrte. „Zum Teufel,“ fluchte er. „Das hat Myrancor nun erreicht.“ Schnell rannte er die Treppen hoch. Er fühlte sich plötzlich nicht einmal beschwipst. „Lio! Gib Laila etwas Blut von dir und frag, was sie weiß. Misha und Mojow? Ihr fahrt los. Sucht sie, bis wir uns bei euch melden oder dazu stoßen.“ Nesil eilte neben Dhiro her. „Nesil, Auri, ihr kommt mit mir.“ „Hauptmann, was ist mit uns?“ Es war Rhed, der ihm diese Frage stellte. „Gut, ihr beide, fahrt in die entgegengesetzte Richtung von Misha und Mojow. Seven versuch ihre Aura zu finden. Wenn du etwas von ihr brauchst, sag Bescheid.“ Ziel war das Büro von Myrancor. Bevor er einen weiteren Dämpfer kassierte, wählte er diesmal den offiziellen Weg. Er klopfte und stürmte direkt danach hinein. „Hauptmann, was fällt dir ein?“ „Dass deine Nichte weg ist, Myrancor.“ Er wirkte perplex. „Wie bitte?“ „Anscheinend hat sie ihre Aufpasserin mit einem Schlag auf den Kopf ausgeschaltet und hat vor etwa fünfzehn Minuten das Gelände mit dem Land Rover verlassen. Ich habe bereits zwei Teams ausgesandt.“ Wie angewurzelt stand er da und starrte Dhiro an. Bis er schließlich rief: „Worauf wartest du noch, finde sie. Bring sie zurück. Beschütze sie mit deinem Leben, Dhiro.“ „Wie du wünschst!“ Er drehte sich herum und sagte an die beiden jungen Dämonen gewandt: „Stellt einige Waffen zusammen und macht den Hummer fertig.“ Er rannte in sein Zimmer und holte sein Handy. Eilig tippte er ihre Nummer ein. Und obwohl er wusste, dass sie unmöglich so blöd war, wenn sie nicht gefunden werden wollte, ihre SIM-Karte zu benutzen, gefror ihm das Blut in den Adern, als sofort die Mailbox abnahm. „Scheiße, Alli!“ Er zog sich etwas über und rannte hinunter in den Keller. Er traf ein, als Nesil gerade die letzten Waffen im Kofferraum des protzigen Wagens verstaute. „Hauptmann, du kannst nicht fahren.“ „Ich weiß, daher fährst du, Auri.“ „Aber wohin?“ „Ich weiß es nicht. Erst einmal los.“
Sie hatte es heil bis zum Hotel geschafft und parkte den Rover so weit es ging von der Zufahrt weg. Sie buchte ein Einzelzimmer auf einen anderen Namen und wunderte sich, dass die Empfangsdame keinen Ausweis sehen wollte. Erschöpfung breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Mittlerweile war sie sich sicher, dass Dhiro und die anderen nach ihr suchten. Aber sie müsste weit genug weg sein, so hoffte sie zumindest. Auf dem Weg zu diesem Hotel war sie durch ein kleines Dorf gekommen, in dem es einen Handyladen gab. Dort hatte sie eine neue SIM-Karte gekauft, die sie nun, in ihr Handy einlegte. Sie hatte Kopfschmerzen und unbändigen Hunger. Sie änderte das Hintergrundbild ihres Handys ab. Nun lächelten sie und Dhiro auf dem Display um die Wette. „Ich vermisse dich so sehr,“ flüsterte sie und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen. Augenblicklich übermannte sie die Erschöpfung. Am nächsten Morgen wurde sie früh wach. Ihr Kopf dröhnte immer noch und ihr war schlichtweg übel vor Hunger. Sie duschte, zog sich um und eilte aus dem Zimmer. Sie gab gutes Trinkgeld und verschwand in den tobenden Schnee. Es war schweinekalt und windig. Sie wickelte sich fester in Dhiro's Fellweste und zog den Schal noch enger um ihren Hals. Bald hatte sie das Auto erreicht, schloss es auf, stieg hinein und seufzte, als sie nicht mehr im Wind des Schneesturmes stand. Sie fuhr so zügig es die Straßen zu ließen, hatte aber das Gefühl kaum voran zu kommen. Sie konnte den Mann im Radio nicht mehr ertragen, also fummelte sie am Display herum und schaltete auf den USB-Stick, der sie darin befand. Sanfte bis rockige Töne hallten aus dem Radio und sie war sich sicher, dass dies eines von Dhiro's Hauptfahrzeugen war. Sie lächelte und sah gerade früh genug vom Display hinauf, um den Hund zu sehen, der vor ihr auf der Straße lag. Sie trat das Bremspedal abrupt durch und besann sich dann, als der Wagen nur rutschte auf die Stotter-Bremsung. Als der Wagen stand, sprang sie hinaus. Fast befürchtete sie, dass sie den Hund überfahren hätte, doch es war knapp gewesen, aber sie hatte vor ihm halten können. Aber jemand anderes schien ihn angefahren zu haben. „Hey, mein Großer,“ sagte sie und kniete sich neben ihn. Er hob leicht den Kopf. Seine bernsteinfarbenden Augen waren warm und treu. Sie war sofort gefangen von diesem Blick. „Mhm,“ machte sie. „Wie bekomme ich dich denn ins Auto?“ Behutsam, schob sie ihre Arme unter den eiskalten Körper des Hundes. Sie legte ihn neben dem Auto nochmals ab, um die Türe zu öffnen. Mit aller Kraft und laut ächzend hob sie ihn auf und schob ihn in den Wagen. Nun schmerzten ihre Schulter und sie hatte sich etwas an der Seite gezerrt. Vorsichtig schlitterte sie zum Kofferraum und nahm ihre Wolldecke aus einer Tasche. Der Hund, es war ein großer stattlicher Rüde, der nahezu aussah wie ein Wolf, hatte seine Augen geschlossen, blickte aber kurz zu ihr auf, als sie die Decke über ihm ausbreitete. „Gleich wird es dir warm und einen Arzt suchen wir dir auch.“ Nun stieg sie selbst fröstelnd wieder ein. Im Navi suchte sie nach einem Tierarzt ganz in der Nähe. „Hoffentlich hat er auf.“ Protestierend machte der Wagen einen plötzlichen Satz aus dem Schneeberg hinaus, der sich vor seinen Reifen gebildet hatte. Der erste Tierarzt hatte Ferien, also fuhr sie den nächsten an. Je später es wurde, desto mehr schwand ihre Hoffnung, dass sie noch einen arbeitenden Tierarzt finden würde. Doch dann sah sie den Mann, dem scheinbar die nächste Praxis gehörte, zu einem Wagen gehen. „Entschuldigung,“ rief sie und rannte aus dem Auto hinaus, auf den Mann im Kittel zu. „Ja?“ Er war Mitte 40, hatte welliges Haar und trug eine kleine Brille. „Bitte, Sir, wenn Sie Tierarzt sind, dann müssen Sie mir helfen. Ich habe einen Hund gefunden, der mitten auf der Straße lag. Er bewegt sich nicht. Ich glaube man hat ihn angefahren.“ Der Mann sah auf die Uhr, zwar verstohlen, jedoch trotzdem so, dass Alli es sah. „Nun gut, bringen wir ihn rein.“ Der Mann half ihr den Hund aus dem Wagen und in die warme Praxis auf einen Tisch zu heben. „Wie lange fahren Sie schon?“ „Sie sind der dritte auf meiner Liste gewesen. Der erste hatte Urlaub, der zweite schon Feierabend. In etwa eine Stunde, bei der Witterung.“ Der Mann tastete den Hund ab, der hier und da zappelte und jaulte, aber nie zu biss oder aggressiv wurde. Alli hielt ihn fest und kraulte ihn hinter seinem Ohr. Er schien das zu mögen. „Ja, Sie haben Recht. Anscheinend wurde er von einem Auto angefahren. Ich muss sein Hinterbein schienen, das scheint gebrochen zu sein. Über innere Verletzungen kann ich nichts sagen, dafür müsste er in eine Klinik. Aber es fühlte sich alles soweit gut an. Er wird wohl ein paar Prellungen haben und unterkühlt sein. Und er hat Hunger.“ Lachend schob der Mann dem Rüden ein paar Hundekekse hin, die er erst beschnüffelte und dann gierig herunter schlang. „Das wird ihm weh tun, was ich jetzt mache. Halten sie ihn gut fest.“ Während der Hund fraß, hielt Alli in fester und der Arzt, griff hinten an seine Hüften und zog. Der Hund jaulte und versuchte sich loszureißen, doch Alli hielt ihn eisern fest und versuchte ihn zu beruhigen. „Ganz ruhig, Lupus, ganz ruhig.“ Langsam beruhigte sich der Hund wieder und fraß weiter an den Keksen, ließ aber nun den Doktor nicht mehr aus den Augen. „Sie haben ihm einen Namen gegeben. Daraus schließe ich, dass sie ihn mitnehmen wollen?“ Alli dachte nach. Etwas Gesellschaft konnte ihr nicht schaden und sie hatte etwas, um auf andere Gedanken zu kommen, wenn sie ihn pflegen würde. Also nickte sie. „Lupus, wie in Canis Lupus, der Wolf?“ Alli nickte wieder und strich sanft über das silbrig graue Fell, von Lupus. Der Arzt flickte ihn weiter zusammen, gab ihr ein Antibiotika mit und bat sie, ihn gut im Auge zu behalten. „Dann wollen wir mal sehen, ob er läuft.“ Per Knopfdruck fuhr der Tisch langsam zu Boden. Alli bekam ein Halsband und eine Leine, die sie ihm anlegen sollte, dann machte sie einen Schritt von ihm weg und kniete sich hin. Bevor sie eine Leckerei aus der Tüte nehmen konnte, die der Arzt ihr mit gab, begann Lupus auf sie zu zu laufen. „Großartig. Er mag Sie und er läuft dafür, dass er ein gebrochenes Bein hat sehr gut.“ Draußen half er ihr noch Lupus ins Auto zu hieven und dann zahlte sie ihm etwas, obwohl er nichts für die Behandlung wollte und sie verabschiedeten sich. „Gut,“ sagte sie zu Lupus. „Noch zwei Stunden Fahrt, dann sind wir in New York City. Warst du schon mal im Big Apple? Ich schon.“ Sie genoss die restliche Fahrt, da sie nicht mehr alleine war und ihre Gedanken nicht nur, um ihre Sorge kreisten, erwischt zu werden oder was mit Dhiro passierte.

15

 

Sie fuhren nun schon den zweiten Tag, ohne eine einzige Spur. Myrancor und Lio drehten zu Hause vollkommen durch. Alli's Onkel hatte Laila direkt zur Sau gemacht. Sie hatte Dhiro angerufen und gesagt, was alles aus ihrem Zimmer fehlte und dass sie eine SIM-Karte gefunden hatte. Kluges Mädchen, lobte Dhiro. In im tobte der Zwiespalt. Er wollte sie finden, um jeden Preis, aber wenn er sie fand, würde er sie zurück bringen müssen und dann stand ihnen die Trennung bevor, von der er eventuell nie zurück kehren würde. In Russland gab es viele düstere Gestalten. Wesen, die immer noch unerforscht waren und Dämonenstämme, die sich niemandem beugten. Er seufzte laut auf. Sein Handy ließ ihn aus seinen trüben Gedanken aufschrecken. Es war Seven. „Wir haben sie auf Video. Eine Tankstelle an einem Highway. Die Aufnahmen sind von heute Nachmittag. Sie hat getankt, etwas zu essen gekauft und ist weiter gefahren. Sie trägt eine Mütze tief ins Gesicht, unter der man ihre Haare nicht sieht und einen Schal.“ „Oh Gott,“ sagte Auri. „Sie ist alleine zwei Tage und Nächte durchgefahren. Wir wechseln uns immerhin ab.“ Dhiro nickte ernst. „Weitere Spuren?“ „Da ist was, ja. Angeblich war sie bei einem Tierarzt und hat darum gebeten sich einen Hund anzusehen. Zumindest passt die Beschreibung ein wenig zu ihr, aber sie trug andere Kleidung. Und man hat kein Auto oder diesen angeblichen Hund gesehen.“ Was treibst du?, dachte Dhiro. „Danke, Seven. Sucht weiter. Und schick die Koordinaten der Tankstelle und des Tierarztes herum.“ „Mach ich, Hauptmann.“ „Wo will sie nur hin? Und was soll das mit dem Hund?“ Dhiro zuckte die Achseln. „Sie wird doch nicht nach New York gehen, oder? Da würden wir sie als erstes suchen, denke ich.“ Dhiro nickte nachdenklich. Er wusste, was Auri meinte, doch er hatte ein anderes Bauchgefühl. So gut, wie er Alliara kennen gelernt hatte, würde sie wissen, dass sie genau so dachten. „Wir fahren trotzdem nach New York,“ verkündete Dhiro grimmig.

Stau! Wahnsinn, dass sie das vermisst hatte. Die Kaufhäuser hingen die erste Weihnachtsdekoration auf und leise summten Weihnachtslieder durch die Straßen. Menschen, massenhaft Menschen, liefen mit hochgeschlagenen Kragen über die Gehwege und Straßen. Lautes Hupen war zu hören, als ein Mann, der ein Obdachloser zu sein schien einen vollen Einkaufswagen einfach so auf die Straße schob und das, obwohl die Autos auf dieser Straße keinen Millimeter vorwärts kamen. Sie ließ kühle Luft durch das offene Fenster ziehen und legte die Hände ausgestreckt auf das Lenkrad. Lupus war nervös. „Alles gut, mein Junge.“ Ihr fiel nur ein Hotel ein, zu dem sie wollte, bis sie vielleicht kurzfristig eine kleine Einsiedlerwohnung mieten konnte. Aber eigentlich hoffte sie nicht langfristig bleiben zu müssen. Nur wohin dann? Alleine? Seufzend fuhr sie in eine Nebenstraße, die ihr schon früher als Abkürzung gedient hatte. Das Garden Palace lag etwas weiter vom großen Trubel entfernt. Also war es perfekt für sie. Sie parkte in einem schlecht beleuchteten Bereich des Parkhauses und holte Lupus aus dem Auto. „Steh,“ sagte sie streng zu ihm und Lupus tat, was sie ihm sagte. „Guter Junge,“ lobte sie ihn nun, als sie die Leine wieder in die Hand nahm und mit ihren Taschen und dem schwer humpelnden Lupus los lief.
Im Foyer des Hotel wurde gerade der Weihnachtsbaum geschmückt und leise Musik lief im Hintergrund. „Hallo, junge Dame, was kann ich für Sie tun?“ Die Stimme des Mannes wirkte freundlicher, als sein Gesicht. „Ich brauche ein Zimmer, vorzugsweise Doppelzimmer.“ Er blickte auf den Hund und sagte: „Mit ihm?“ Sie nickte eindringlich. „Mhm,“ machte er und tippte auf der Tastatur herum. „Wir haben nur noch was in der vierten Etage. Aber wir haben einen Aufzug. Ich hoffe doch, dass er Stubenrein ist?“ „Natürlich, was denken Sie denn.“ Er runzelte die Stirn und fragte sie nach ihren Personalien. Sie nannte ihm den gleichen falschen Namen, wie in dem Hotel im Wald und ließ sich den Schlüssel aushändigen. „Für Sie ist auch ein Frühstück inklusive, so lange, wie sie hier hausieren.“ „Oh, vielen Dank.“ Ein Portier nahm ihr ihre Taschen ab. Im Aufzug lächelte er Lupus an, der leicht mit dem Schwanz wedelte. „Der gute sieht aber ganz schon mitgenommen aus. Was ist denn passiert?“ „Habe ihn gefunden. Angefahren auf dem Highway.“ „Och, der Arme. Es sieht aus, als wäre er schon jahrelang ihr Hund!“ Alli lächelte leicht. So fühlte es sich für sie auch an. Das Zimmer 411 war geräumig und hatte einen großen Fernseher, einen Balkon und ein Bad. Kein solch ein pompöses Bad, wie sie in der Bastion hatte oder in der kleinen Pension, in der sie mit Dhiro... Sie unterbrach ihre Gedanken und ließ sich an der Türe entlang zu Boden gleiten. Dhiro, sie sah ihn genau vor sich. Jeden Tag, den sie ihn gesehen hatte, konnte sie sich ins Gedächtnis rufen, wusste, wie er aussah, was er zu ihr gesagt hatte. Geschweige denn, dass sie sich an jedes Detail dieser Nacht erinnern konnte. Diese Nacht, die scheinbar die erste und die letzte gewesen sein sollte. Sie bemerkte erst, dass sie weinte, als Lupus ihr mit seiner feuchten Zunge über das Gesicht leckte. Er hatte den Schwanz eingekniffen und zitterte. Alli's Blick fiel auf die Fenster, auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Es war stockfinster. „Scheiße,“ fluchte sie. „War ich weg getreten?“ Sie rappelte sich auf. Ihr Rücken war eiskalt, weil sie vor dem Türspalt gesessen hatte. Ihre Knochen fühlten sich steif an. „Komm, Lupus,“ sagte sie und stellte ihre Taschen im Schrank ab. „Wir müssen uns noch Essen besorgen.“ Sie eilte aus dem Hotel. So schnell es eben ging, mit einem schwer verletzten Hund. Das erste Stück Rasen genoss Lupus in vollen Zügen. Sie schielte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Verdammt, sie hatte bestimmt vier Stunden verschlafen oder besser gesagt, war sie weggetreten gewesen. Eilig lief sie die Straße entlang in einen Supermarkt. Sie kaufte ein paar Snacks für sich, Getränke und hauptsächlich Hundefutter und griff dann zielstrebig zum Hundeshampoo. „Heute Lupus, gehen wir Essen. Zur Feier des Tages.“ Sie setzte sich vor einen Burger Laden. Während sie in der Karte blätterte, saß Lupus neben ihrem Stuhl und musterte aufmerksam die Passanten, die vorbei liefen. Sie bestellte für sich einen kleinen Burger mit Pommes und fragte, ob es möglich sei, dass sie für Lupus etwas ungewürztes, an gegartes Hähnchengeschnetzeltes haben konnte. Die Kellnerin bejahte, nachdem sie ihren Chef gefragt hatte und so wartete Alli darauf, dass man ihnen das Essen brachte. Gedankenverloren kraulte sie Lupus am Kopf. Sie starrte auf ihr Handy. Es kann nicht klingeln, du Dummkopf. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen ihre Sim-Karte in der Bastion zu lassen. Sollte sie Dhiro anrufen? Nur um zu sagen, dass es ihr gut ging? Entschlossen griff sie zu ihrem Handy, wurde aber von der Kellnerin gestört, die das Essen brachte. Also vertagte sie den Anruf und schlang gierig einige Pommes herunter. Erst jetzt bemerkte sie, wie ausgehungert sie gewesen war. Lupus schlang seinerseits das Essen hinunter.
Nachdem sie gegessen hatten, schlenderte Alli mit Lupus an der Leine nachdenklich durch die Straßen. Es war spät und mitten in der Woche, daher waren die Straßen nicht sehr voll. Hinzu kam natürlich die klirrende Kälte. Vor einem Schaufenster, in dem mit Gleitschirmflügen geworben wurde, blieb sie stehen. Sie betrachtete ihr Spiegelbild. Ungeschminkt, schwarze Mütze, schwarzer Schal, eine braune Fellweste, die ihr deutlich zu groß war. Niemand würde vermuten, dass sie eigentlich sehr hübsch war und viel Bargeld bei sich trug bzw. in ihrem Hotel aufbewahrte. Ja, sie sah nahezu selbst aus, wie eine Obdachlose. Seufzend und durch die Werbung wieder an Dhiro erinnert, ging sie weiter. An einer düsteren Ecke, an der die Straßenlaternen ausgefallen waren, blieb sie stehen. Lupus schnüffelte wild umher und sie sah auf ihr Handy. Kontakte, scrollen bis D. Da stand sein Name. Sie musste nur auf den grünen Hörer am Display drücken. „Alli?“ Erschrocken drehte sie sich herum. Hinter ihr tauchte ein Mädchen auf, welches noch kleiner als sie war. Schwarze, glatte Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht. Sie war bleich und Alli kniff die Augen zusammen, um sie besser erkennen zu können. „Bist du es?“ Die Stimme des Mädchens zitterte und dann traf sie die Erkenntnis, wie ein Blitz! „Mila?“
Sie waren noch zwei Stunden Fahrt entfernt von New York. Dhiro lenkte den Wagen über die Interstate, die vollkommen verlassen vor ihnen lag. Auri und Nesil schliefen. Sein Handy vibrierte. Hoffnungsvoll sah er auf der Display, doch es war nur Myrancor, der den Zwischenstand wissen wollte. Nach einer ganzen Weile, sagte Auri plötzlich zu ihm: „Wieso glaubst du, dass sie in New York ist?“ „Nun, ich denke, dass sie genau unsere Denkweise vermutet. Und zu dem Ergebnis kam, dass wir nicht in New York nach ihr suchen werden, da dies zu offensichtlich wäre.“ Auri schwieg, sah jedoch immer noch nicht zufrieden aus. „Was ist da zwischen dir und ihr?“ Oh Gott, dachte Dhiro und schluckte. Konnte er Auri anlügen? „Weißt du, es ist kompliziert.“ „Versuch es,“ sagte Auri und setzte sich auf. „Sie ist meine Schwester. Es ist seltsam, dass ich so wenig über sie weiß und du so viel.“ Dhiro runzelte die Stirn. „Es ist komisch für sie, dass du lebst. Sie hat gedacht, dass ihre Familie tot sei und hatte sich damit abgefunden. Und als du plötzlich vor ihr standest, halbwegs lebendig, das war ein Schock für sie. Und genau genommen, kennt sie dich nicht mal, vielleicht redet sie deswegen wenig mit dir.“ „Aber dich kennt sie gar nicht!“ Darauf wusste er nichts zu erwidern. „Oder Lio, den kannte sie.“ „Mit ihm redet sie auch. Nicht nur mit mir und mit Laila. Ich kann es dir nicht besser erklären.“ Auri sah ihn durchdringend an. „Mir schien es, als wäret ihr sehr vertraut miteinander. Du hast dich verändert, seit sie da ist. Das sage ich dir als Freund, nicht als mein Hauptmann. Nicht zum Negativen, wenn du verstehst.“ Dhiro nickte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sie waren noch eine Stunde von New York entfernt. „Weißt du,“ begann Dhiro, wurde aber jäh von seinem Handy unterbrochen. Unbekannte Nummer. Er ging ran. „Ja?“ Er hörte lediglich Rascheln und Atemgeräusche. „Hallo?“ Wieder lauschte er. „Bitte, du tust mir weh,“ hörte er gedämpft und bremste so hart und abrupt ab, dass Nesil gegen seinen Sitz prallte. „Au,“ sagte dieser. „Ruhig!“ „Mila, was ist in dich gefahren?“ Es war Alliara, auch Auri hatte ihre Stimme erkannt. Ein Hund bellte im Hintergrund. „Stell ihn ruhig.“ „Lupus,“ flehte Alliara. „Bitte, ruhig und bleib.“ Doch er bellte und knurrte. „Ich bring ihn gleich um. Ihn brauche ich nicht.“ Dhiro bekam große Augen. Er bündelte alle Macht, die er hatte, dachte an Alli, an ihren Geruch, ihre Augen, ihren Körper unter seinem, doch er konnte sie nicht ausmachen. Mist, diesmal hasste er sich dafür, dass er damals nicht nachgegeben und ihr Blut getrunken hatte. Dann wäre das alles leicht. „Haben wir hier gewohnt, Mila, da in dem Haus?“ „Ja, warum fragst du so blöd? Hat man dir den Kopf gewaschen?“ Dann schnaubte sie. „Ach nein, das hat man ja mit mir gemacht. Gott sei Dank hat meine Wandlung all die Erinnerungen wieder zurück gebracht. Somit war ich die perfekte Person, um dich zu finden. Ein Jahr bin ich durch New York gestreift, um dich zu finden. Aber ich hab dich nie gefunden. Bis heute. Stehst einfach so da, wie auf dem Präsentierteller.“ „Wo bringst du mich hin?“ Das Bellen des Hundes wurde leiser. „Ruf sofort Lio an. Ich will wissen, wo er mit ihr gewohnt hat.“ Dhiro's Befehl war leise, aber eindringlich gewesen. Nesil tat sofort, worum er geben wurde. Dhiro fuhr rechts ran. „Wieso fahren wir nicht weiter?“ Auri war aufgebracht. „Ruhig.“ „Baker Street 480, Appartment 120.“ Dhiro sammlte all seine Macht, kanalisierte sie in seinen Körper, dachte fest an die genannte Adresse und spürte, wie seine Moleküle sich langsam auflösten und ihn fort trugen. Fort aus dem Hummer, fort von der Interstate, hinaus in die kühle Nacht.

16

 

Mila zerrte an ihren Haaren. Sie hatte tiefe Schatten unter den Augen und wirkte ausgemergelt und dürr. „Du tust mir weh,“ flehte Alli wieder. „Alli, ich bin jetzt stark, mit deiner Jammerei erreichst du gar nichts.“ Bitte, dachte Alli im Stillen, lass Dhiro abgenommen haben und sie gehört haben und lass ihn auf der Suche sein. Bitte. Mila wandte sich nach rechts und rutschte einen Abhang hinunter, hinein in einen Schacht. Alli weinte leise und ließ sich stolpernd mit ziehen. Mila's Hände waren wie Schraubstöcke. Sie war nicht mehr menschlich, das hatte sie mit Wandlung gemeint. Was auch immer sie war! Plötzlich riss sie sie vor sich und stieß sie zu Boden. „Ich bringe dir, was du wolltest. Dein Druckmittel!“
Er spürte eiskalte Luft und hörte leise den Wind rauschen, also öffnete er die Augen. Er stand auf einer dunklen Straße. Die Straßenlaterne über ihm knisterte zwar, brannte aber nicht. Er roch sie. Sie war eindeutig hier gewesen. Eine Tüte mit Einkäufen lag etwas weiter. Darin befanden sich Hundeartikel und Snacks. Er lief weiter die Straße entlang. Sie wurde verfolgt, von einer leichten Person, mit einem strengen Geruch nach Blut, schalem Blut. Menschenblut, um genau zu sein. Er hörte ein leises Winseln und richtete seinen Blick nach rechts. An einen Zaunpfahl, der einsam aus der Erde ragte, war ein Hund angebunden. Er war groß, grau, hatte bernsteinfarbene, wache Augen. Sein Bein war gebrochen, sein Fell struppig. Dhiro sah ihn aufmerksam an. Was lag da zu seinen Füßen? Er ging in die Hocke. Der Hund beschnüffelte ihn kurz, mit gefletschten Zähnen, dann jaulte er auf und stupste den Gegenstand vor sich an. Sofort war Dhiro klar, dass das der Hund sein musste, den Alliara gefunden hatte. „Guter Hund,“ murmelte er und nahm das baumwollene Kleidungsstück in die Hand. Es war ihre Mütze. Viel zu viele Haare hingen daran. Mit der Wurzel ausgerissen. Dhiro knurrte und machte sich daran die Leine des Hundes los zu binden. Er konzentrierte sich und versuchte ihre Aura zu spüren, konnte aber lediglich Rückstände erkennen. Hier und da entdeckte er einen Fetzen ihrer ängstlichen Aura. „So ein Mist.“ Die Gerüche der Straße übertrumpften den ihren. Sein Blick fiel auf den Hund, der auf dem Boden schnüffelte und ihm voraus ging. „Suchst du sie?“ Wie zur Bestätigung wedelte der Hund mit dem Schwanz. „Gut, dann werde ich mich ein wenig anpassen.“ Wieder kanalisierte Dhiro Macht in seinen Körper. Ihm wurde heiß, seine Knochen verbogen sich in seinem Körper. Er war soweit er wusste der einzige, der so etwas konnte. Wieso und warum, dass wusste er nicht und er vermied, es jemandem zu erzählen. Der Gebieter wusste von dieser Gabe, aber außer Dhiro's Schwester, wusste niemand davon. Als er nun seine Augen wieder öffnete hatte sich sein Blickfeld verändert. Er war deutlich näher am Boden und auf gleicher Höhe mit dem Hund, Lupus, der ihn anstarrte. In der Spiegelung seiner Augen, konnte er sein glänzendes schwarz-weißes Fell und seine strahlenden, leuchtend blauen Augen sehen. Er stupste Lupus an und gemeinsam trabten sie weiter. Lupus hielt seine Nase auf den Boden gesenkt und bog irgendwann scharf nach rechts ab. Dhiro sah überall Haare von Alli. Sie trafen auf einen Lüftungsschacht und Lupus setzte sich davor, die Ohren angelehnt. „Bleib,“ sandte er ihm. „und gib Laut, falls jemand kommt.“ Dhiro konnte sich wandeln. In wie viele Tiere wusste er nicht. Als er sich das erste mal wandelte, war es in einen kleinen Yorkshire gewesen, was er zuweilen vermied. Seine liebsten Formen waren die eines Panthers oder Jaguars, eines Bären, eines Wolfes oder eben der Husky. Schwieriger gestaltete es sich mit fliegenden Tieren. Geschafft hatte er es zwar, aber er hatte nicht automatisch derer Fähigkeiten übernommen. Weshalb er üben musste. Und dazu fehlte ihm bislang die Zeit. Leise schlich er durch den Lüftungsschacht. Horchte und erspürte ihre Aura. Er roch Tod und Verwesung und wieder Menschenblut. Vampire! Er legte die Ohren an und fletschte still die Zähne, während er sich weiter vorwärts bewegte. Der Schacht endete in einem Raum, in dessen Mitte Alli zuletzt gesessen hatte. Hier lag ihr zertrümmertes Handy. Dhiro knurrte und sah sich vorsichtig um. Dann schloss er die Augen und spürte sie auf. Rechts herum, schoss es ihm durch den Kopf. Schnell und auf leisem Fuße rannte er den Gang hinein. „Wo versteckt er sich? Wie kann ich ihn erreichen?“ „Ich dachte du willst mich als Druckmittel einsetzen? Aber weißt nicht wo, entschuldige, wer auch immer, ist?“ Er zuckte zusammen, als er das laute Krachen hörte. „Trink weiter!“ Dhiro knurrte leise. Wie sollte er hinein kommen? Wie viele waren es? Die Auren von Toten waren logischerweise nicht zu erspüren. Er hörte Alliara winseln und das machte ihn rasend. Er jammerte und kratzte an der Türe, bereit sofort anzugreifen, wenn sie geöffnet wurde. „Was war das?“ „Mach auf.“ Mindestens zu dritt, ohne Alliara mitzuzählen, deren Aura immer schwächer wurde. Wen meinten die Blutsauger mit er? Ihn selbst? Aber er hatte nie einen Disput mit Vampiren. Es wurde geöffnet. „Och, es ist nur ein niedlicher Hund.“ Der Vampir hatte ihm den Rücken zugedreht, als Dhiro seine ursprüngliche Gestalt annahm und wie ein Berserker auf ihn los ging. Achtlos riss er ihm das schwarze Herz aus der Brust. Warf es dem nächsten ins Gesicht, während ein anderer auf ihn los ging. Diesem brach er das Genick. Ein langer dürrer Vampir, der vor Alliara's gefesseltem Körper gestanden hatte floh, aber er hatte keine Zeit ihn sich genauer anzusehen. Ein Vampir griff ihn von hinten an und biss ihm in die Schulter. Er knurrte, murmelte eine lateinische Formel und der Kopf des Vampir's platze, wie eine fallengelassene Melone. Den anderen hielt er mit Gedankenkontrolle so lange fest, bis er ihn erreicht hatte und ihm den Kopf abriss. Das Blut, welches einen grauen Schimmer hatte, spritzte durch den ganzen Raum. Eine Vampirin verblieb, die sich weiterhin an Alliara's Arm gütlich tat. Sie hatte genüsslich die Augen geschlossen und schmatzte laut. Dhiro packte sie an dem schwarzen, glatten Haar. „Lass sie los! Bevor ich dir jedes Haar einzeln ausreiße!“ Sie ließ von ihr ab und starrte ihn mit großen, glasigen Augen an, wie in Junkie im Rauschzustand. „Du widerliches Mädchen!“ Er griff mit einer Hand an ihre Schulter und mit der anderen unter ihr Kinn, aber Alliara hielt ihn auf. „Bitte,“ flüsterte sie leise. „Nicht! Das ist doch Mila.“ Er knurrte und murmelte eine Schalfformel, während er seine Hand auf ihre Stirn legte. Sein Körper fühlte sich schwer an, weil er so viel Magie benutzt hatte. Er warf sich Mila über die Schulter und machte Alliara's Fesseln los. Mila hatte sie überall gebissen. Ihr Körper war übersät mit Bisswunden, Kratzern und Beulen sowie Hämatomen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und ließ sich anheben. „Dhiro, das ist ein Traum, oder?“ „Wenn dann ein Albtraum, Alliara.“ Er rannte so schnell er konnte mit den beiden Frauen aus dem Keller, kletterte mit ihnen den Luftschacht hinauf. Gott sei Dank war es dunkel. Ansonsten hätte er große Schwierigkeiten bekommen können, mit zwei Frauen in den Armen, von denen eine tief schlief und Blut am Mund hatte und die andere kaum mehr bei Bewusstsein war und überall stark blutete. Scheiße, dachte er. Er musste sie irgendwo hin bringen. „Alliara,“ sagte er und rüttelte sie ein wenig. „Hast du ein Hotelzimmer?“ Benommen nickte sie. „Welches?“ „Garden Palace.“ Sie legte ihre linke Hand an ihre Westentasche, die wie er feststellte seine eigene war und dann wurde ihr Arm schlaff und sie versank in Bewusstlosigkeit. „So ein verdammter Mist.“ Es trat aus dem Schacht heraus und Lupus sprang, mit dem Schwanz wedelnd um ihn herum. „Guter Junge. Wo ist euer Hotel? Such!“ Gott sei Dank, schien der Hund zu verstehen, was Dhiro von ihm wollte. Er hielt sich im Schatten und hüllte sich notfalls mit einem Schattenzauber ein, der es so aussehen ließ, als würde er alleine mit dem Hund über die Straßen laufen. Mit letzter Kraft hielt er diesen Aufrecht, bis sie im Zimmer 411 waren und er es endlich von innen verschließen konnte. Wimmernd saß Lupus neben dem Bett, auf dem er Alliara behutsam abgelegt hatte. Das Vampirmädchen sperrte er kurzerhand ins Badezimmer ein. Ihr Körper blutete immer weiter, das war eine der schlechten Eigenschaften. Vermutlich blutete seine Schulter ebenfalls noch, denn in Vampirspeichel gab es einen Zusatzstoff, der verhinderte, das Wunden sich schlossen. Man nannte es Plasmin. Dhiro kehrte ins Bad zurück, nahm sich eine Schere von der Anrichte und verschloss das Bad wieder. Leicht ritzte er mit der Schere sein Handgelenk auf. Er hob Alliara an und legte ihre Lippen auf die Wunde, aus der bereits sein warmes, dämonisches Blut floss. Zusehends bekam sie mehr Farbe und schon kurz nachdem sie getrunken hatte, öffnete sie die Augen. Langsam nahm er den Druck von ihrem Nacken, um sie selbst entscheiden zu lassen, wann sie aufhörte. Sie tat es sofort. „Oh, Dhiro!“ Sie warf sich an seinen Hals. Er hielt sich das Handgelenk so, dass weitestgehend kein Blut mehr hinaus lief. Lupus war aufgesprungen und wedelte freudig mit dem Schwanz. „Ich wusste, du würdest kommen. Ich,“ Sie unterbrach sie, als sie seine weiterhin blutende Schulterwunde entdeckte. Sie sah ihn an, mit großen Augen. „Nein, Alliara, sag es nicht.“ „Gut, wenn du eh schon weißt, was ich dir anbiete, dann nimm es.“ Er knurrte. „Wieso haben die Vampire einen Hund gesehen?“ „Weil da einer war.“ „Aber vor der Tür standest doch nur du? Oder war Lupus auch dort?“ „Dort schon, aber dein pelziger Beschützer hat oben Wache gehalten.“ Dhiro's Handy vibrierte. „Ja, Auri!“ Alli starrte ihn an. Statt, dass er sich freute war er wieder mal abweisend zu ihr. „Wir sind im Garden Palace.“ Er lauschte wieder. „Okay, sag Myrancnor Bescheid.“ Seine Schultern sanken hinab, als würde er angehaltene Luft wieder ausstoßen. „Danke, Auri.“ Er legte auf und drehte sich zu ihr herum. „Und?“, fragte sie. „Wann gehe ich wieder in den Knast und du ins Exil?“ Sie versuchte nicht allzu schnippisch zu klingen, aber sein Zusammenzucken sagte ihr, dass sie sehr kalt geklungen haben musste. Seufzend ließ er sich auf einem Sessel nieder und stützte den Kopf in eine Hand. Alli erhob sich und wollte ins Bad. „Nicht, da ist deine Freundin drin.“ Also verließ sie das Zimmer und suchte einen der Waschräume auf dieser Etage auf. „Herr Gott,“ entfuhr es ihr, als sie ihr Spiegelbild sah. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, sahen aber bereits wieder verheilt aus, überall hatte sie verblassende Hämatome und Bisswunden, die sich allesamt geschlossen hatten. Ihre Haare waren an manchen Stellen dünn, wo Mila sie daran gerissen hatte und Tränen traten ihr in die Augen. „Meine Haare,“ jammerte sie und bürstete sie vorsichtig durch. Nachdem der Großteil der verfilzten Stellen entwirrt war, sah es schon wieder etwas besser aus. Sie wusch sich und kehrte zurück in das Zimmer. Dhiro hatte das Shirt ausgezogen, welches er lediglich getragen hatte und tupfte mit einem Tuch an seiner Schulter herum. Sie schloss sich nicht, stellte sie fest. „Werde ich jetzt ein Vampir?“ Er fuhr herum, als hätte er nicht mal bemerkt, dass sie herein gekommen war. Lupus lag neben dem Bett, mit eingeklemmtem Schwanz. „Nein,“ sagte er. „Das Dämonenblut ist stärker. Bleib einfach nur am Leben.“ Oder vielleicht auch nicht, dachte er im Stillen. „Du brauchst Blut!“ „Nein, es wird reichen, wenn ich etwas zu mir nehme, wenn wir in der Bastion sind.“ „Dhiro! Hör auf so Stur zu sein. Wenn du mir damals nachgegeben hättest, dann hättest du mich jetzt finden können.“ „Ja und du weißt, was noch alles passieren kann.“ „Wenn ich überhaupt zu eurer gesamten Sippschaft gehöre,“ zischte sie. Er sah sie an, wie sie da saß, dem grauen, schmutzigen Hund die Ohren kraulte und sich Tränen in ihren Augen sammelten. „Du nimmst das sehr persönlich, wenn ich dein Blut ablehne, oder?“ Sie nickte. Er sah auf den Boden und wusste, dass die Lüge keinen Zweck hatte. Er würde es nicht bis zur Bastion schaffen. Bis dahin, würde er verbluten. Die Wunde war tief und unablässig strömte warmes Blut aus ihr hinaus. Von Minute zu Minute wurde er schwächer. So konnte er sie keinesfalls schützen. Er seufzte, stand dann schwankend auf und ließ sich neben ihr auf das Bett sinken. Stumm, hielt er ihr die Schere hin. Sie sah auf seine Hand, dann in seine Augen. Eilig nahm sie die Schere. „Vorsichtig. Keine Arterie treffen und bloß nicht die Schlagader.“ Sie deutete auf eine Stelle an ihrem Unterarm und auf sein Nicken hin, schnitt sie mit der Schere in ihre Haut. Sie zischte auf vor Schmerz und kurz blitzten kleine Sternchen vor ihren Augen auf. Sie sah ihm fest in die Augen. „Bist du sicher?“ Er nickte und zog sie weiter auf das Bett, nahm ihren Arm fest in seine Hände. Ihr Blut roch rosig, leicht nach Vanille, wie ihre Haut. Das hatte er noch nie gerochen. Und was noch wichtiger war. Ihr Blut roch auch nach ihm. Er schloss die Augen und senkte seine Lippen auf ihrem Arm. Sie holte erschrocken Luft und entspannte sich sofort. Er sog ganz vorsichtig an dem kleinen Schnitt, den sie sich zu gezogen hatte. Sofort spürte er, wie Kraft in ihn zurück kehrte, doch er spüre auch, dass, was sie spürte. Er hatte noch nicht von vielen Menschen und meist nicht direkt aus der Quelle getrunken, geschweige denn direkt von einer Dämonin, daher konnte er nicht sagen, ob es auch bei Menschenblut eine solche Empfindungsverbindung gab, doch er betete jeden Tag mehr, dass sie nur ein Mensch sei. Er beschloss, dass er genug getrunken hatte und leckte kurz über die Wunde. „Lass mich sehen.“ Er legte sich auf den Bauch und spürte ihr Gewicht federleicht auf seinem Rücken. „Schließt sich.“ Sie war atemlos und hatte gerötete Wangen. „Ist das schlimm, dass ich das Gefühl schön fand?“ Er schüttelte den Kopf und spürte die warme Müdigkeit in sich aufkommen, doch er zwang sie nieder und küsste sie. „Mach das nie wieder, haben wir uns verstanden?“ Er spürte, dass sie glücklich war, die heiße Liebe, die sie für ihn hegte wallte durch das bestehende Band zwischen ihnen. Alli fuhr mit ihren Händen über seine nackte Brust und begann sich die Weste aufzuknöpfen und das Langarmshirt darunter auszuziehen. Das Gefühl der Liebe wurde verstärkt durch Lust und das konnte er nur zurück geben. Entgegen ihrer Befürchtung, dass es bei einem einmaligen, wundervollen Erlebnis bleiben würde, hatten sie wieder eine wundervolle und zärtliche Nacht miteinander. Nicht minder schön, aber etwas kurzweiliger. Alli sank glücklich neben ihm in die Kissen und küsste seine Brust, auf der sie nun ihren Kopf ablegte und einschlief. Dhiro schlief bereits tief und fest.
Ein nasses Gefühl an der Hand und leises Winseln weckte ihn. Blinzelnd, öffnete er die Augen. Er hatte Kopfschmerzen, wie immer, wenn er viel Magie anwandte. Er sah in Lupus klare, braune Augen. „Ist ja gut, ich mach ja schon.“ Ächzend stieg er aus dem Bett, reckte sich und besah sich seinen Rücken im Spiegel. Es war in der Tat geschlossen. Sie hatte ihn gerettet und er sie, wie so oft. Er küsste ihre Stirn, während er in seine Jeans schlüpfte. Er zog das schmutzige T-Shirt an und lieh sich seine Weste, bevor er ihr einen Zettel schrieb, dass er kurz Lupus raus ließ und sie bloß nicht vergessen sollte, dass sie nicht ins Bad durfte. Eilig lief er mit Lupus zum Aufzug und fuhr hinunter. Gleich rechts um die Ecke war ein kleines Stück Wiese, auf dem bereits ein Hund herum lief. Lupus schnüffelte lange und verrichtete sein Geschäft. Der andere Hund kam herüber und sein Herrschen, dass mindestens ähnlich verschlafen wirkte, wie Dhiro, nickte ihm kurz zu. Als Lupus zurück kam, ging Dhrio zurück ins Hotel. Auf dem Zimmer angekommen, zog Alli sich gerade Unterwäsche an. „Dhiro!“ „Hey, das hab ich alles schon gesehen, auch schon viel näher.“ Er zog sie an sich und küsste sie. Wieder das rote, klare Band der Liebe. Er lächelte und sagte: „Wo wollen wir frühstücken?“ „Hier im Hotel. Ich bekomme pro Nacht auch ein Frühstück.“ Also ließen sie Lupus alleine zurück und gingen nach unten. Seit er heute morgen aufgestanden war, kam er sich vor, als sei er ein ganz normaler Mensch. Er hatte einen Hund, den er ausführen musste und nun ging er in einem Hotel zum Frühstück und reihte sich in die Schlange am Büffet ein. Wie ein ganz normaler Mensch, mit ganz normalen Problemen. Nur, dass er kein normaler Mensch war und seine Probleme waren ganz und gar nicht menschlich. Er sah auf seine Uhr, noch etwa zwei Stunden, dann würden Auri und Nesil hier sein und Gott weiß, wer noch. Sein Frühstück bestand aus Rührei und Speck, mit einem Brötchen mit Marmelade. Alli grinste, als sie sein Frühstück sah. „Ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass ihr ganz normal esst. Heute Nacht hast du noch an meinem Arm gesaugt.“ Er grinste. „Pass auf, dass ich nicht an deiner Lippe sauge.“ Sie lief puterrot an und trank ihren Kaffee. Sie genossen die verbleibende Zeit. Als Alli ihren zweiten Kaffee ausgetrunken hatte, wurde ihre Miene traurig. „Und wann kommen sie uns holen?“ Er senkte den Blick. „In etwa einer Stunde.“ Sie stand auf. „Lass uns noch was nach oben gehen, bitte. Die letzte Zeit genießen.“ Sie streckte die Hand nach ihm aus und er ließ sich auf die Beine ziehen. Sich an den Händen haltend fuhren sie im Aufzug nach oben.
Sie lagen noch Arm in Arm, als es plötzlich an der Türe klopfte. Gemeinsam hatten sie alles um sich herum vergessen. Es gab nur Dhiro und Alliara. Nun fuhren sie auseinander. „Dein Bruder ahnt übrigens etwas, nur ihm haben wir zu verdanken, dass wir noch eine Nacht miteinander hatten.“ Alli schlug sich die Hände vors Gesicht und ließ sie wieder sinken, während Dhiro die Türe öffnete. „Hauptmann, hast du sie gefunden?“ Auri stand vor der Türe gefolgt von Nesil. „Seid ihr alleine?“, fragte Dhiro, statt zu antworten. Auri nickte und sagte: „Ja, mein Onkel sagte, es wäre okay, wenn wir euch alleine holen würden. Und er wollte, dass du sie nach Hause bringst. Ausdrücklich.“ Dhiro runzelte die Stirn. Dann seufzte er und sagte: „Wir haben eine Gefangene, transportiert ihr sie im Hummer? Sie ist ein Vampir, also seid vorsichtig. Sie,“ Er hielt inne, strich sich über das Haar und sagte dann: „Sie hat sich gestern Nacht gut genährt.“ Auri sah geschockt zu Alli. „Du hast sie geheilt?“ „Ja, Nesil, das habe ich.“ „Du bist wirklich ein großartiger Hauptmann. Hast sie alleine gerettet und geheilt.“ Dhiro zuckte die Achseln und wirkte mehr denn je, wie ein kleiner Junge. „Hi, Alli.“ Auri küsste sie sanft auf die Wange und sah sie dann mitleidig an. „Ist Laila schwer verletzt? Und sehr böse auf mich?“ „Ach was, sie kann dir nicht böse sein, hat sie gesagt.“ „Nun gut, dann wollen wir mal.“ Dhiro öffnete die Badezimmertüre. „Ich habe sie mit einem Schlaf belegt, der sich aber auflösen kann, je weiter ich von ihr entfernt bin.“ „Halt,“ rief Alli. Auri, der Mila auf den Armen trug und Nesil, der die Hand auf dem Türknauf hatte, blieben stehen. „Was ist mit Lupus? Ich will ihn nicht hier lassen!“ Wie zur Bestätigung kroch der Hund neben sie und ließ sich den Kopf kraulen. Dhiro lächelte sanft. „Das musst du auch nicht. Niemand hat gesagt, dass er hier bleiben muss.“ Lupus bellte und humpelte auf Dhiro zu, als hätte er ihn verstanden. Er rieb seinen Kopf an seinem Hosenbein. Alli strahlte ihn an. Auri sah zwischen ihnen hin und her, bevor er Nesil bedeutete die Türe zu öffnen. „Wir fahren dann schon mal. Ihr könnt ja auschecken.“

Sie fuhren schweigend. Es war eine drückende Stille, sie lastete wie ein Damokles-Schwert auf ihnen. Lupus lag auf der Rückbank und schlief entspannt. Dhiro's Hände griffen von Kilometer zu Kilometer fester um das Lenkrad. Unsicher legte sie eine Hand auf seinen Oberschenkel, als sie auf den Hof der Bastion fuhren. „Ich liebe dich, Dhiro. Egal was passiert. Und ich bin so dankbar, dass wir noch eine Nacht miteinander verbringen durften. Du bist und bleibst ein Teil von mir.“ Vor dem offenen Tor blieb er stehen und starrte sie an. Seine Augen glänzten verräterisch. Er beugte sich vor, küsste sie auf den Mund und sagte etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand. „Du bist mein Licht, meine Königin und meine Göttin.“ Mit diesen Worten fuhr er auf den Hof und schwieg von da an. Alsbald sie in die Garage gefahren waren, kamen die anderen herbei und flankierten sie auf dem Weg ins Haus. Lupus war sichtlich nervös. In der Halle des Eingangsbereiches stand ihr Onkel. Neben ihm stand Lio und auf der anderen Seite Auri. Er blickte mürrisch und äußerst herrisch drein. Alli hielt erst an, als sie Nase an Nase mit ihm stand. Sie verengte die Augen zu Schlitzen. Er seufzte und sagte: „Alli, es tut mir Leid. Aber dass du geflohen bist, ist indiskutabel und darüber reden wir noch später. Geh auf dein Zimmer. Zuerst kümmere ich mich um den Hauptmann.“ Er bedeutete Dhiro zu folgen, als sein Blick an Lupus hängen blieb. „Was ist das?“ „Das nennt man Hund, Myrancor. Und er bleibt bei mir. Ich habe ihn gerettet.“ Myrancor warf Dhiro einen Blick zu. „Er war maßgeblich an ihrer Rettung beteiligt, Sir.“ Sir? Alli dachte sie hätte sich verhört. Laila stand auf der Treppe. Alli warf sich abrupt in ihre Arme. „Es tut mir Leid, ich sah keinen anderen Ausweg mehr.“ Sie nickte und nahm ihre Hand. In ihrem Zimmer saß Alli auf ihrem Bett und sah sich unsicher um. Sie rieb mit den Händen über ihre Arme. „Ich rieche ihn an dir, Alli.“ „Mag sein, weil wir in einem Bett gelegen haben und, nun ja,“ Sie ließ den Satz unbeendet. „Das meine ich nicht. Er hat dich leicht gekennzeichnet. Jemand, der ihn nicht so gut kennt wie ich oder dein Bruder könnte den Geruch übersehen. Aber ich rieche es. Er hat dein Blut getrunken. Unverdünnt.“ Sie lächelte. „Er liebt dich, mehr als alles, was ihm heilig ist. Mehr als die Bastion und mehr als sich selbst. Mehr als jeden Dämon in diesem Gebäude.“ Alli hatte eine schlechtes Gewissen und rieb noch fester über ihre Arme. Lupus legte den Kopf auf ihren Schoß, doch selbst das vermag nicht die Nervosität in ihrem Innern zu beruhigen. Irgendwann kam Auri in das Zimmer. „Auri,“ begann sie, doch er hob die Hand. „Ja, ich ahne es. Aber jetzt ist es zu spät mir dein Geheimnis anzuvertrauen.“ Panisch stand Alli auf. „Was soll das heißen?“ Auri spürte, dass er die Worte falsch gewählt hatte. „Es ist nicht so, wie du denkst. Ich meinte, dass Dhiro mir ein bisschen verraten hat und dann sein Geruch heute in dem Zimmer. Er hat dich gekennzeichnet, wenn auch nur leicht.“ Alli lief rot an. „Und, na ja, wie ist das für dich? Ist es okay?“ Auri zuckte die Achseln. „Er ist der beste Mann, den ich kenne und somit der Beste für dich, denn ich wünsche dir nur das Beste. Aber, es ist gefährlich, für euch beide und ihr wisst, dass“ Er sah sie traurig an, als er inne hielt, also beendete Alli den Satz für ihn. „Dass es schneller vorbei sein kann, als es begann. Daher halten wir es geheim. Wir haben darüber gesprochen, was passiert, wenn ich mich wandeln muss und einen Mann aussuchen muss, der nicht Dhiro ist.“ Zum Ende hin wurde ihre Stimme immer leiser. Nun saßen sie zu dritt in Alli's Zimmer, abwartend, bittend.

17

 Vor Alli's Fenstern war es bereits stockfinster, als es klopfte und sie den Rücken straffte. Ihr Onkel trat ein, dich gefolgt von Lio. „Ihr könnt bleiben,“ sagte Myrancor in herrischem Tonfall. „Alli, das war einfach nur unverantwortlich von dir. Aber, ich kann verstehen, wieso du es getan hast. Es ist keine lange Mission, die der Hauptmann weg ist.“ „Ist?“, unterbrach Alli ihn. „Wäre, Alli. Leg nicht immer alles auf die Goldwaage. Ich habe mich für diese Mission entschieden Mojow auszusenden, aber er wird über kurz oder lang ebenfalls Missionen übernehmen müssen. Alleine schaffe ich es nicht alle Bastionen zu erreichen und neue Krieger zu rekrutieren. Das Rekrutieren ist grundsätzlich seine Bürde oder die Bürde seiner Schwester.“ „Und warum schickst du ihn nun nicht direkt?“ Er blickte sie geradewegs an. „Damit er merkt, dass er in meiner Gunst hoch steht. Er hat dich wieder gerettet und es stimmt, dass er der Beste ist, wenn es um deinen Schutz geht. Aber er hat Pflichten zu erledigen, denen er auf Wunsch des Gebieters nachkommen soll. Und dazu zählen keine Bodyguard Aufgaben.“ Alli senkte den Blick und dachte nach. „Onkel?“ „Ja?“ „Kann ich denn nicht mit reisen? Ich habe die Welt noch nie gesehen.“ „Nein, Alli. Bei aller Liebe. Es ist zu gefährlich. Manchmal wird er in absolute Kriegsgebiete reisen müssen oder zu Bastionen, die uns nicht gütlich gesinnt sind. Es tut mir Leid, aber es geht nicht.“ Misstrauisch sah er sie an. „Ich kann bei manchen Missionen vielleicht ein Auge zu drücken, wenn ich sicher bin, dass dir nichts zustößt. Aber die, die in naher Zukunft liegen, liegen in Gebieten, in denen ich dich nicht mal als normalen Menschen schicken würde.“ Panik schnürte Alli die Kehle zu. „Okay,“ flüsterte sie mit zittriger Stimme. „Wie geht es dir? Irgendwelche Veränderungen? Dhiro sagte, dass die Vampire sehr viel deines Blutes getrunken haben.“ „Nur ein Vampir. Mila.“ Ihr Onkel nickte. „Sie ist im Keller, in einem Kerker. Sie schläft immer noch, was Indiz dafür ist, wie viel sie getrunken hat.“ Alli zuckte die Achseln. „Dhiro hat mir sein Blut gegeben, damit ich heile. Dann hab ich nur geschlafen.“ Sie blickte zu Boden und hoffte, dass Myrancor das leichte Erröten nicht bemerkte. Er seufzte. „Er ist wirklich ein guter Hauptmann und noch so jung. Mir gefällt der Gedanke auch nicht, ihn in solche Gebiete zu schicken. Noch dazu, wo er so loyal gegenüber des Gebieters ist.“ Myrancor hauchte ihr einen Kuss auf das Haar, drehte sich herum und blieb stehen. Auri's Augen weiteten sich. Und auch Laila blickte panisch drein. Ihr Onkel drehte sich herum. Eine Falte hatte sich zwischen seinen Augen gebildet. „Wonach riechst du?“ Alle im Raum hielten die Luft an. Bis Auri schließlich sagte: „Nach meinem Aftershave, das ist neu und ich hab sie sofort in den Arm genommen, als ich sie sah.“ Er blickte von Alli, die ihn finster anstarrte, zu Auri, der sie beschämt anlächelte. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer. Hinter sich schloss er die Türe und alle im Raum atmeten aus. „Das war knapp,“ flüsterte Laila. Dann lächelte sie. „Und, wie ist er so im Bett?“ „Was?“ Auri hielt sich die Ohren zu. Das wollte er nicht hören. Laila lachte laut und Alli fiel mit ein.
Grüblerisch saß er in einem Lehnsessel auf der Terrasse unter dem Vordach. Der See begann zu zu frieren. Bald würde der Winter das Land vollends in seinen Bann ziehen. Dhiro streckte seinen Rücken durch. Es war besser aus gegangen, als er gedacht hatte. Myrancor hatte ihm keine Vorwürfe gemacht, ihm nicht die Leviten gelesen, wie beim letzten Mal. Er hatte sich bedankt, dafür, dass Dhiro seine Nichte abermals gerettet hat und schneller bei ihr sein konnte, als alle anderen. Er hatte gesagt, dass er der Beste sei, um sie zu beschützen, das hätte Dhiro eindringlich bewiesen. Jedoch konnte er an der Tatsache, dass Dhiro zu Missionen aufbrechen müsse, nichts ändern, da es ein Befehl des Gebieters war. Nur diese eine Mission würde von Mojow erledigt werden, andere, wie die, die nächste Woche anstand, würde Dhiro wohl oder übel antreten müssen. Es ging darum neue Krieger zu rekrutieren und es gehörte, ob er wollte oder nicht, zu seinen Aufgaben. Er hatte es, bevor Alli kam öfter gemacht, aber nun erschien es ihm zu gefährlich. Zu sinnlos. Er seufzte und trank einen Schluck auf dem Glas Whiskey. „Hey Bruder,“ sagte Daria, als sie sich zu ihm auf die Lehne setzte. „Daria, alles in Ordnung?“ „Eigentlich ja,“ erwiderte sich und strich sich ihr Haar hinter die Ohren. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und seufzte. „Und bei dir?“ „Muss. Und uneigentlich?“ „Ich habe das Gefühl,“ begann sie. „dass du eigentlich glücklich bist. Du warst in letzter Zeit so losgelöst, aber hast dich auch öfter bei Aufträgen verletzt, wolltest schneller gesund werden. Und ich frage mich, ob die Friedenswahrerin es Wert ist, dass du dein Leben ständig auf's Spiel setzt. Ich weiß, sie ist wichtig, für die Dämonenwelt, aber wenn sie sich nie wandelt, wenn sie das Gen nicht hat, dann war alles umsonst. Du wärst umsonst gestorben. Das könnte ich nicht ertragen. Du bist das Einzige, was ich noch habe.“ „Ich bin glücklich. Aber an manchen Tagen eben nicht. Das ist normal. Und ja, sie ist es Wert. Selbst wenn sie nur ein Mensch ist, dann ist sie trotzdem ein Lebewesen. Und noch dazu ein sehr freundliches und liebenswertes. Sie hat so viel durch gemacht, ähnlich, wie du und ich. Urteile nicht so hart über sie. Sie ist herzensgut.“ „Und hübsch,“ ergänze Daria. Er nickte. „Ja, das auch.“ „Sie trägt nun viel von deinem Blut in ihr, das weißt du?“ „Ja, wir müssen um jeden Preis verhindern, dass sie stirbt. Nur werde ich ab nächste Woche nicht mehr da sein, um das zu tun!“ Daria hob den Kopf und sah ihn mit großen Augen an. „Was heißt das? Schickt er dich immer noch fort? Aber du hast sie gerettet, schon wieder.“ Dhiro trank noch einen Schluck, bevor er ihr ruhig antwortete. „Laut Myrancor ist es der Wunsch des Gebieters.“ „Aber, du musst mit Derijan sprechen. Er wird verstehen,“ „Was, Daria? Was soll er verstehen?“, unterbrach er sie. „Dass ich mich weigere meinen Aufgaben als Hauptmann nachzukommen? Dass mir der Krieg der Bastionen egal ist? Dass es mich nicht interessiert, dass die Engel und die Vampire versuchen uns zu zerstören?“ Daria hatte den Blick gesenkt. „Daria, glaub mir, ich würde nichts lieber, als weiter hier zu bleiben. Aber ich bin nun mal der Hauptmann dieser Bastion. Der Bastion des Blutaugenmondes! Und ich werde unsere Reihen mit Kriegern und Verbündeten füllen müssen. So einfach ist das. Wenn ich mich weigere, enttäusche ich den Mann, für den ich alles tun würde und der vieles für mich und dich in Gang gesetzt hat. Ich riskiere so schon viel zu viel.“ „Was meinst du damit?“ „Ach nichts. Das ich mir diese Befehle von Myrancor erteilen lasse und nicht selbst auf die Idee kam,“ wich er ihr aus. Doch sie runzelte die Stirn. „Dein Shirt war auf dem Rücken voll Blut, als du heute her kamst. Aber gerade eben, als du beim Training warst und dich umgezogen hast, war nicht mal eine Spur einer Wunde zu sehen. Sie hat dir Blut gegeben, oder?“ Ihre Stimme wurde immer leiser, eindringlicher und als er nicht antwortete, sondern nur betreten zu Boden blickte, dämmerte ihr die Erkenntnis. „Nein, Dhiro, sag dass das nicht wahr ist?“ Wieder schwieg er und drehte die Eiswürfel in seinem Whisky. „Über hundert Jahre interessiert dich keine Frau. Nicht mal Laila, die nun wirklich wunderschön ist. Aber die, die verboten ist, die willst du? Was ist schon alles passiert? Hast du sie gekennzeichnet? Dhiro hast du eine Ahnung, was der Gebieter mit dir macht, wenn er davon erfährt? Oder was ihr blüht, wenn Myrancor sie an einen Mann verheiratet, der feststellt, dass sie an einen anderen gebunden ist, der sie auch noch gekennzeichnet hat?“ Sie fuhr sich mit der Hand über Gesicht und Haar. „Bitte, sag, dass ich mir das einbilde!“ Er schloss die Augen, was ihr als Antwort genügte. Sie stand von der Lehne auf und stellte sich vor ihn. Mit geballten Fäusten schlug sie auf seine Brust ein und weinte bitterlich. „Du dummer Idiot, du vollkommener Trottel, warum, warum sie?“ „Daria, beruhige dich.“ Er versuchte ihre Hände unter Kontrolle zu bekommen und presste sie in den Sessel. „Sie ist noch nicht gewandelt, alles ist okay. Wenn du den Mund hältst. Sollte sie sich wandeln, so ist klar, dass ich mich sofort von ihr entferne, ohne wenn und aber. Koste es, was es wolle. Wenn sie ein Mensch bleiben sollte, dann wird der Gebieter das Interesse verlieren und der Pakt ist unwirksam und ich kann endlich mit ihr glücklich sein. Ich kann nichts für meine Gefühle und ja, ich kenne die Konsequenzen, glaubst du nicht, ich hätte darüber nachgedacht? Glaubst du nicht ich hätte gezögert, gedacht die Gefühle würden wieder vergehen? Nein, das sind sie nicht. Ich liebe sie, Daria. Ich würde,“ er unterbrach sich, um seine Hände von ihren zu lösen und sie an ihr Gesicht zu legen. „Ich würde mein Leben ohne zu Zögern für sie geben. Mit allen Konsequenzen. So wie ich es für dich machen würde. Akzeptiere es und behalte es für dich, es sei denn du willst mich strafen oder los werden. Und wenn du willst, dass ich glücklich bin, dann kümmere dich um sie, gib Acht auf sie, als wäre sie das Wichtigste auf der ganzen Welt. Denn für mich, für mich ist sie es.“ Er kniete sich vor sie. „Ja,“ begann er leise. Nahezu flüsternd. „Ich habe ihr Blut getrunken, unverdünnt. Habe sie gekennzeichnet, mich jedoch beherrschen können, so das nur ein schwacher Hauch auf ihr liegt, den man mir nur zuordnen kann, wenn man mich kennt. Gut kennt, so wie du, oder Auri. Oder Laila. Ich bete jeden Tag, dass sie nicht so werden muss, wie wir es sind. Jeden Tag. Damit sie bei mir bleiben kann.“ „Oh Dhiro,“ begann sie und legte ihre Arme um seine massigen Schultern. „wieso macht man es dir immer so schwer?“ „Es ist ein Test. Das ganze Leben, es ist ein Test.“
Dhiro war nicht mehr zu ihr gekommen. Sie war in seinem Zimmer gewesen und hatte auf ihn gewartet, aber er kam nicht. Als sie niedergeschlagen mitten in der Nacht sein Zimmer verließ, sah sie ihn auf der Veranda unter einem Vordach, gemeinsam mit seiner Schwester. Sie hielt ihn im Arm, während er auf Knien vor ihr saß. Traurig ging sie zurück in ihr Zimmer. Lupus wartete auf sie. Seine warmen, bernsteinfarbenen Augen blickten sie wach an. „Na, mein Großer,“ murmelte sie. „Dann versuchen wir mal zu schlafen.“ Ihre Träume waren wirr und immer wieder blitzten nur kurze Bilder auf. Am Morgen erwachte sie mit hämmernden Kopfschmerzen. Wann würde Dhiro wohl abreisen müssen? Würde er wieder kommen? Konnte sie die Zeit ohne ihn überstehen? Jetzt, wo sie ihm so nah war. Seufzend schob sie die Beine aus dem Bett. Dann hielt sie plötzlich inne. Überall lagen Haare, der Gips lag zerfetzt auf dem Boden, weiter hinten in der Ecke sah sie Lupus' Augen, geweitet und groß. Er atmete schnell und hechelte. „Lupus? Was ist los?“ Der Hund sah sie nicht an. Er zitterte am ganzen Leib. „Ruhig, ganz ruhig!“ Etwas fauchte hinter ihr. Blitzschnell fuhr sie herum. Etwas oder besser gesagt jemand begrub sie unter sich. Es war eindeutig Mila. Mit irrem Blick und gefletschten Zähnen, Schaum hatte sich vor ihrem Mund gebildet. Er schimmerte leicht rosa bis rot. Alli riss ihren Arm nach oben, um sie abzuwehren und Mila schnappte danach. Sterne blitzten vor ihren Augen, bis Mila los ließ und sich den Mund hielt. Sie kreischte, als die Türe aufschwang und Dhiro, wie ein unheilvoller Schatten in der Türe aufragte. „Alliara, alles okay?“ Sie schüttelte den Kopf und kroch weiter von Mila weg. Dhiro sah den Vampir an, der kreischte und Qualen litt. Ihre spitze Zahnreihe war verschwunden. Stattdessen sah Alli wieder ihre ganz normalen geraden Zähne. „Alli,“ rief sie. „Was hast du getan mit ihr?“ „Nichts! Sie hat in meinen Arm gebissen, getrunken und dann, dann hat sie angefangen zu schreien.“ Dhiro sah auf seine Hand. Er schnappte sich einen Schlüssel und kratzte sich sein Handgelenk auf. Das Blut schnippte er in Mila's Richtung. Als das Blut auf sie traf, passierte nichts. Dhiro blickte verwundert zu Alli und dann wieder auf seine blutende Hand. „Wie ist sie raus gekommen?“ Er zuckte die Achseln und berührte Mila behutsam an der Stirn. „Warum bist du her gekommen?“ „Ich habe gespürt, dass du Angst hast, Panik.“ Er half ihr auf. „Warum passiert das mit ihr?“ Dhiro wirkte ratlos. „Ich habe keine Ahnung.“ Er hielt ihr seine Hand hin, um sie trinken zu lassen, als sein Blick auf ihren Unterarm fiel. Seine Augen starrten und wurden groß, so dass Alli ebenfalls hinunter sah. Die Wunde schloss sich. Langsam, aber unaufhörlich, bis sie schließlich nur noch eine feine Linie war. „Dhiro,“ fragte sie ängstlich. „Heißt das, dass ich ein Dämon bin?“ Er schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was das heißt.“ Er brachte Mila von ihr fort, danach kümmerten sie sich gemeinsam um Lupus und verabredeten sich zum gemeinsamen Waldspaziergang. Nach dem Frühstück und nachdem Alli sich etwas warmes, möglichst wasserfestes angezogen hatte, führte sie Lupus die Treppe hinunter zum Ausgang. Dhiro stand bereits draußen. Er hatte die Augen geschlossen und schien die Luft anzuhalten. „Hi,“ sagte sie schüchtern. Er drehte sich zu ihr herum. „Hi, meine Kleine.“ Er hielt ihr den Arm hin und sie hakte sich unter. Er hatte weiße Schneeflocken in den dunkelblonden Haaren. Seine Augen suchten die Umgebung ab, wie Scheinwerfer, so als würde hinter jeder Ecke eine Gefahr lauern. „Wünschst du dir manchmal, du wärst ganz normal?“ Er schaute betrübt zu Boden. „Seit ich dir nah bin, ständig. Du hast mich verändert. Ich habe es geliebt ein Dämon zu sein. Zu manipulieren, sarkastisch zu sein, Feinde zu jagen und zu fangen, Rekruten zu trainieren. Aber seit ich dich näher kenne und weiß, dass ich dich liebe, da würde ich am liebsten ein ganz normaler Mensch sein. Und wünsche mir das auch für dich.“ „Aber ich glaube, ich wäre dann schon tot.“ „Das kannst du nicht wissen. Wärst du nicht in diese Welt geboren worden, in der deine Eltern Dämonen sind und Engel dich entführen, dann wärst du vielleicht ganz normal. Hättest die Schule besucht, wärst auf's College gegangen. Würdest vielleicht irgendetwas studieren. Was würdest du studieren, wenn du könntest, Alli?“ „Mhm, Architektur vielleicht. Oder etwas, was mit Inneneinrichtung zu tun hat. Innenausstatter, das wollte ich als Kind immer werden. Ich habe es geliebt in ein leeres Zimmer etwas Wohnlichkeit zu bringen. Akzente durch Deko zu setzen.“ Sie lächelte. „Du hättest mein Zimmer in der WG sehen sollen. Alles in rosa und lila Akzenten. Alles passte zueinander.“ „So wie bei dir.“ Schweigend gingen sie weiter und sahen Lupus zu, der es zu genießen schien seine Nase möglichst bis zu den Ohren in den Schnee zu schieben. „Ich liebe den Winter,“ sagte Dhiro unvermittelt. Sie betrachtete ihn eingehend. Er trug ein dünnes Shirt und darüber eine dünne Jacke aus Softshell. „Du frierst ja auch scheinbar nicht. Im Gegensatz zu mir.“ Alli trug eine beige Mütze, mit passendem Schal und Fäustlingen. Dazu einen schwarzen Mantel mit einer Kapuze im Schottenmuster. Ihre Füße stecken in zwei Paar Socken, wovon eines aus reiner Schafswolle war und dann in einem Paar gefütterte Winterstiefel mit Profil an der Sohle. „Ach, ich hatte gehofft, dass ich heiß genug für uns beide wäre.“ Er lachte und legte ihr den Arm um die Schultern. „Du hast schlecht geschlafen, oder?“, fragte er nun ernst. Sie nickte und lehnte sich an ihn. „Ich habe viele abgehakte Träume gehabt, gute und schlechte, aber ich weiß kaum noch worum es ging. Und ich hab gestern Nacht noch in deinem Zimmer auf dich gewartet, weil ich dachte, du kämst noch zu mir.“ „Oh, das tut mir Leid. Ich musste mal ein bisschen nachdenken, alleine sein.“ „Aber du warst nicht alleine. Zumindest nicht, als ich aus deinem Zimmer in mein Zimmer gegangen bin.“ „Daria, sie weiß es. Hat es durch mein Nichtantworten herausgefunden. Sie wird auf dich aufpassen, wenn ich weg bin.“ Nun fror Alli aus anderen Gründen, als der kalten Morgenluft. „Wann verlässt du mich?“ Ihre Stimme war nur ein zittriges, dünnes Flüstern. Dhiro blieb stehen und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. „Nicht, bitte. Mach es mir nicht so schwer. Sei stark für mich, okay?“ Sie nickte und sagte: „Ich versuch's ja.“ „Sonntag Nachmittag. Am Abend geht mein Flug.“ „Wohin?“ „Nach Warschau.“ „Ich habe Myrancor gefragt, ob du mich nicht mitnehmen könntest.“ Dhiro's Augen weiteten sich. „Warum?“ „Als Begründung gab ich an, dass ich noch nichts von der Welt gesehen habe. Er meinte die meisten Missionen wären zu gefährlich, aber über die ein oder andere würde er nachdenken.“ Er seufzte und sein Atem stieß in einem kleinen Wölkchen hervor. Dhiro nahm sie in den Arm und platzierte seinen Kopf auf ihrem. An seiner Brust murmelte sie: „Er hat mich gestern umarmt und festgestellt, dass ich nach irgendetwas rieche. Aber er konnte nicht kategorisieren was, also hat Auri gesagt, dass es sein neues Aftershave sei.“ „Herrje, da ist euch sicher das Herz in die Hose gerutscht.“ „Jaaa, geradewegs.“ Sie lösten sich voneinander und gingen weiter. „Was war das heute morgen?“ Dhiro zuckte die Achseln. Ich habe Seven beauftragt zu recherchieren. Er wird etwas finden. Das ist sein Spezialgebiet.“ Schweigend gingen sie weiter. An einer Lichtung blieb Dhiro stehen und zeigte auf ein Reh mit ihrem Kitz. Lupus hatte sie ebenfalls gewittert und zerrte unnachgiebig an seiner Leine. Das Kitz hüpfte umher. Alli wollte Dhiro etwas fragen, wusste aber nicht, wie er reagieren würde. „Sag mal,“ begann sie. Sie biss sich auf die Lippen und leckte nervös darüber. „Als wir, nun ja, du weißt schon. Als wir miteinander geschlafen haben, hast du, naja.“ Dhiro lachte. „Du bist schon ziemlich verklemmt, weißt du das?“ „Woher soll meine Erfahrung auch kommen,“ zischte sie. „Nein, ich habe nicht verhütet, falls du es genau wissen willst. Du auch nicht, das willst du mir sagen, oder?“ Sie lief rot an. „Ja. Kann ich denn nicht von dir schwanger werden?“ Dhiro sah zu dem Rehkitz. Dann zog er die Stirn kraus. „Doch, das kannst du. Oder das könntest du.“ Sie sah ihn mit großen Augen an. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, wahrscheinlich genauso wenig, wie du.“ Sie sah zu Boden. Ein Kind von Dhiro? Das würde abermals alles ändern, wäre aber zu gefährlich. „Na, hoffen wir das Beste. Vielleicht sollten wir dann gleich noch in die Apotheke fahren.“ Hoffen wir das Beste? Okay, sie hatte gerade selbst gedacht, dass es sehr gefährlich wäre, aber er klang, als würde er die Vorstellung abscheulich finden. Während er weiter schlenderte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Mit verengten Augen sah sie ihm nach. „Ich hoffe, dass du nur meinst, dass der Zeitpunkt schlecht ist.“ Er blieb stehen, ballte die Hände rechts und links von sich zu Fäusten. „Alli, ich kann nicht mit Frauen umgehen und erst recht nicht mit Kindern. Du bist viel zu jung und ich, ich bin der Hauptmann einer Bastion, wir sind im Krieg. Es ist nicht nur im Moment ein schlechter Zeitpunkt.“ Alli starrte ihn entgeistert an, den Mund geöffnet. „Weißt du was? Ich glaube Lupus war genug spazieren. Lass uns in die Apotheke fahren, dann holen wir die Pille danach und eine Antibabypille. Damit du beruhigt bist.“ Auf dem Absatz machte Alli kehrt und ging wieder in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Manchmal war er einfach unmöglich und trampelte auf ihren Gefühlen herum, wie eine Horde Elefanten. Wenn er absolut keine Kinder wollte, wieso ließ er sich dann nicht kastrieren? Wieso sollte diese Welt so schrecklich sein? Ihre Eltern hatten vier Kinder in die Welt gesetzt. Okay, genau genommen waren drei davon tot, einer wurde wieder belebt. Aber auch die Menschenwelt barg Gefahren. Sie starrte auf den Boden und stapfte energisch durch den Schnee, bis sie gegen Dhiro's Brust prallte. Wie war er so schnell vor sie gekommen? Sie funkelte ihn wütend an und wich ihm aus. „Nein, du gehst jetzt nicht weiter, Alliara.“ „Komm mir jetzt nicht so!“ Er hielt sie fest, als sie wieder an ihm vorüber gehen wollte. „Alliara! Bleib stehen. Ich hab es dir doch erklärt.“ „Ja,“ fauchte sie. „Wie ein gefühlskalter Eisklotz. Ich habe verstanden, dass Krieg herrscht. Ich habe verstanden, dass du niemals Kinder willst. Es wäre nur nett gewesen vorher darüber Bescheid gewusst zu haben. Wenn du schon nicht selbst verhütetest.“ Er stand, wie vom Donner gerührt vor ihr. Sie schüttelte seine Hand von ihrem Arm und drehte ihm den Rücken zu. „Vielleicht hat du Recht. Ich bin zu jung. Vielleicht zu unerfahren. Aber ich mag Kinder. Und es ist schade, dass ich mir vorstellen könnte dein Kind gerade jetzt in mir zu tragen. Wahrscheinlich liebe ich die Gefahr zu sehr. Aber vielleicht hatte ich auch eine Hoffnung. Aber das spielt keine Rolle. Lass uns in die Apotheke fahren, bevor es zu spät ist.“ Schweigend kam sie am Haus an. Dhiro's Haar klebte ihm nass am Kopf. „Ich hole meine Tasche.“ Die Stimmung zwischen ihnen war frostiger, als der frühe Wintereinbruch. Laila lächelte Alli an, die mit finsterem Blick an ihr vorbei stampfe. Lupus folgte ihr mit eingekniffenem Schwanz. Sie griff wütend nach ihrer Tasche. Aber worauf war sie eigentlich wütend? Auf ihn? Auf sich? Nein. Sie war wütend darauf, dass diese Welt ihr durch alles einen Strich zu machen schien. Sie durfte nicht selbst wählen, was oder wen sie wollte und nun nahm man ihrem, ja nahezu Traummann, den Willen oder Mut Kinder zu bekommen. Auch in Menschenkriegen wurden Kinder geboren und überlebten. Vielleicht hätte ihrer beider Kind bewirkt, dass der Gebieter seine Meinung änderte. Aber wahrscheinlich eher nicht. Er hätte sie vermutlich alle drei getötet. Dhiro, das Kind und sie selbst. Betroffen und nun auch das Beste hoffend, ging sie zurück in die Garage. Sie war zu hart zu ihm gewesen. Zu impulsiv. Trotzdem war es leichtsinnig von ihm gewesen und auch von ihr. Da sie nie einen Freund hatte, hatte sie nie verhüten müssen. Und sie glaubte kaum, dass ihre ehemaligen Männer verhütet hatten. Vielleicht konnte sie ja gar keine Kinder bekommen,vielleicht hatten diese Mistkerle ja dafür gesorgt. Sie stieg schweigend in den Land Rover, in dem schon die Heizung lief und Dhiro auf dem Fahrersitz saß. Er hatte seinen Kopf auf das Lenkrad gelegt und reagierte nicht, als sie die Autotüre zu schlug. „Es tut mir Leid,“ flüsterte sie. „Ich hab nicht nachgedacht, es war unfair dich so nieder zu machen. Du hast ja irgendwie Recht und vielleicht bin ich zu leichtgläubig. Wenn ich denke, dass dein Gebieter Erbarmen hat, wenn du ein Kind mit mir hättest.“ „Das hätte er ganz bestimmt nicht.“ Dhiro hob den Kopf, sein Gesicht war die Maske, die sie von früher kannte. „Es tut mir wirklich Leid.“ Sie sah auf das Tor, welches sich öffnete und wartete darauf, dass er endlich los fuhr.

18

 Sie hatte sogar noch zu einer Untersuchung bei einem Frauenarzt gemusst. 1. Entwarnung, sie war nicht schwanger, 2. Entwarnung, es sah so aus, als wäre sie wie eine normale Frau zu der Zeugung von Kindern fähig. Der Arzt hatte ihr erklärt, dass sie trotzdem noch die Pille danach nehmen solle, da der letzte Koitus noch nicht lange her sei. Sie hasste Ärzte. Sie hasste sie für ihre Fachsprache und sie hasste sie dafür, dass sie sich generell für etwas Besseres hielten. Nachdem sie in der Apotheke beide Päckchen geholt hatten, nahm Alli die Pille danach mit einem Schluck Wasser ein. „Willst du irgendwo etwas essen?“ Es war das erste Mal, dass Dhiro etwas zu ihr sagte. Er hatte im Wagen gewartet, sein Handy in der Hand und hatte dabei aus der Frontscheibe gestarrt. Sie schüttelte den Kopf. „Ich will dich nicht abhalten von deinen Pflichten.“ Er schnaubte laut und fuhr abrupt an. Auf einem Parkplatz hielt er an und stieg aus. Sie beeilte sich mit ihm Schritt zu halten. Es war ein kleines Steakhouse, in dem es fantastisch roch. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Alli fühlte sich elend. Er wirkte niedergeschlagen und nahe gebrochen. Er ließ seine Schultern hängen, während er die Karte studierte und rieb sich immer wieder über die Stoppel auf seinem Kinn. Alli fand das Geräusch sehr sinnlich und verfluchte sich für ihre Naivität. Sie schlug die Karte zu, da sie nicht mal fähig war, sich auf ihr Essen zu konzentrieren. „Hast du schon etwas gewählt?“, fragte Dhiro, als er über die Karte zu ihr hinüber schielte. „Nein.“ Nun legte er auch seine Karte weg. „Hast du keinen Hunger?“ Sie seufzte. „Nein, wenn ich mit dir streite habe ich keinen Hunger, besonders jetzt nicht. Mit dem Wissen, dass du Sonntag weg sein wirst.“ „Wir streiten nicht. Du hast dich entschuldigt und ich nehme sie an. Wir waren oder sind nur nicht derselben Meinung. Das kommt doch häufiger vor, oder?“ Sie sah ihn an, die Stirn gerunzelt. Er seufzte und rieb wieder über seine Bartstoppel, dann griff er über dem Tisch nach ihrer Hand. „Wenn ich normal wäre und du normal wärst, dann hätte ich keinerlei Probleme damit ein Kind mit dir zu bekommen. Und selbst da wäre es ein Hindernis, was es zu bedenken gäbe, wenn deine Eltern, beispielsweise, etwas gegen uns hätten. Wir wissen doch, dass wir vielleicht keine Zukunft miteinander haben werden. Und ein Kind bedeutet Verantwortung. Und ich finde es verantwortungslos ein Kind, was nichts für unsere Welt kann, einfach in die Welt zu setzen und zu riskieren, dass es entweder ein Elternteil verliert oder gar beide.“ Tränen traten in Alli's Augen. „Ich wünschte wir wären normal. Ich wünschte es gäbe diesen Pakt nicht. Ich wünschte, ach ich wünschte ich wäre nie geboren.“ Das Paar am Nachbartisch sah sie neugierig an. „Alliara, bitte.“ Er sah sie gequält an und rückte mit dem Stuhl neben sie, damit er seinen Arm um ihre Schulter legen konnte. Mit Magie hüllte er sie ein, in ein Bild, dass sie beide in dem Restaurant zeigt, wie er ihre Hand über dem Tisch hielt und alles in Ordnung war. „Es tut mir Leid. So denke ich. Tief in mir weiß ich, obwohl ich mich an meine letzten Jahre kaum erinnere, dass ich mir immer gewünscht habe, tot zu sein. Und so ist es. Ich wünsche es auch jetzt noch. Ich darf nicht lieben, wen ich liebe, ich darf nicht entscheiden, was ich tun und lassen will und ich darf mich nicht mal frei draußen bewegen, ohne das ein Mitglied einer Bastion bei mir ist. Kidnapping light! Du mal außen vor. Mit dir bin ich gerne zusammen, aber wenn du weg bist, ab Sonntag, wer wird dann auf mich aufpassen? Mein Onkel wird niemals zulassen, dass ich mich alleine bewege. Ich will das alles nicht mehr!“ Über ihr brach eine Welt zusammen, all die angestaute Trauer und Wut, die sie zu verdrängen versuchte, stürzte über die hinein. Dhiro half ihr auf und brachte sie in ihren Mantel gehüllt ins Auto. Nun fuhr er los, hinein in ein Waldstück, bis hin zu einem See, der tief im Wald lag. Alliara's Tränen waren mittlerweile versiegt und sie starrte nur noch vor sich her. Sie wusste, dass es albern war nun in Selbstmitleid zu versinken, aber sie konnte nichts dagegen tun. Es hatte sie völlig übermannt. Er half ihr aus dem Auto und setzte sie auf einen Stein, nur um dann am Auto zu verschwinden. Er zog aus dem Kofferraum eine Kamera hervor. „So, Alliara. Jetzt zeige ich dir, wie ich all die düsteren Gedanken und das Selbstmitleid vertreibe. Jeder hat mal einen Tiefpunkt, an dem er denkt, dass es nicht mehr weiter geht und er am liebsten tot wäre. Glaub mir, an diesem Punkt war ich oft, aber Derijan, der Gebieter, brachte mir bei, dass man seine trübsinnigen Gedanken am Besten mit der Freude des Lebens vertreibt.“ Er nahm neben ihr Platz, baute ein Stativ auf und setzte die große Kamera darauf. Der See war noch nicht vollständig gefroren. Kleine Löcher waren am Rand geblieben. „Psst,“ sagte er zu ihr. „Wir müssen ganz leise sein.“ Nach einiger Zeit, raschelten die Büsche auf der gegenüberliegenden Seite des See's. Eine Wolfsmutter mit ihren Jungen kam aus dem Gebüsch. Als sie den Kopf senkte, um zu trinken, drückte Dhiro auf den Auslöser der Kamera. Die kleinen Welpen spielten mit einander. Rechts von ihnen begann es ebenfalls zu rascheln. Alli bekam große Augen, als ein Puma aus dem Gebüsch schlich, lautlos, hinterließ er große Abdrücke im Schnee. Grazil setzte er sich und beobachte die Wolfsmutter, die ihrerseits ihren Blick auf ihn gerichtet hielt. Dhiro knipste Foto um Foto. Seine Augen leuchteten leicht und Alli spürte, wie auch ihre Laune sich hob. Zwei Jäger, die sich beäugten, aber nahezu Seite an Seite Wasser aus einem See tranken. Hinter dem Rover trat ein riesiger Hirsch hervor, begleitet von einer Ricke und ihren zwei Kitzen. Der Hirsch beäugte die Räuber und ließ seine Ricke und die Kitze trinken, während er über sie wachte. Anmutig und schön. Er schnüffelte und beachtete Dhiro gar nicht. Alli wagte nicht zu fragen, ob er einen Zauberglanz um sie gelegt hatte. In einem Baum über ihnen ließ eine Eule ihren typischen Ruf erklingen. Sie saßen mitten in der Wildnis, umgeben von Jägern und Gejagten. Die Geräusche des Waldes wurden immer lauter und Alli zog ihre Mütze ab, um sie besser zu hören. Sie schloss die Augen und genoss den Geruch des Waldes, die Ruhe und das pure Leben. Dhiro lächelte und begann nun Alli zu fotografieren, statt der Tiere. Einige Vögel flogen über den See und spielten in der Luft mit ihren Schnäbeln. Der Himmel brach auf und die Sonne erhellte den See, der sich glitzernd vor ihnen erstreckte, all diese Schönheit und das Leben hielt Dhiro in diesem Moment mit der Kamera fest. Diese Momente zeigten ihm, das nicht alles schlecht war im Leben. Dass es auch als Gejagter möglich war, Momente der Harmonie und des Friedens zu bekommen und zu genießen. Dass diese schnell vorbei sein konnten, wusste jeder. Aber in der Natur herrschte ebenfalls ein ständiger Krieg, wie in ihrer Welt und doch, war es möglich, dass Jäger und Gejagter, Familien, nebeneinander existierten und auch groß wurden. „Das Alliara, ist sinnbildlich für dein Leben. Du weißt genau, dass der Puma möglicherweise gerade eben noch ein Reh aus der Gruppe dieses Hirsches gefressen hat und trotzdem stehen sie nun hier und akzeptieren sich. Also akzeptiere auch du die schlechten Tage und Seiten deines Lebens. So wie wir alle. Nimm die Herausforderungen des Lebens an, dankbar dafür, dass du nicht in einem Käfig sitzt, wie ein Tier im Zoo. Und selbst dieses Tier ist mal glücklich. Ich weiß, dass der Großteil deines Lebens sich als schwarze Fläche darstellt und wenn mich nicht der Gebieter erzogen und aufgezogen hätte und mir vor allen anderen die Chance gab, der Hauptmann der Bastion zu sein, dann wäre mein Leben sicher noch viel schwärzer. Also hoffe, dass es besser wird und genieße alle hellen Flecken deines Lebens, selbst wenn dir der Moment noch so düster erscheint, die Sonne wird irgendwann wieder scheinen.“ Sie lächelte ihn an, dankbar dafür, dass er so wunderbar war. Auch wenn er manchmal kalt wirkte, so war er die warmherzigste Person, mit der tiefsten Persönlichkeit, die sie jemals kennen gelernt hatte. „Für mich,“ sagte er. „Bist du einer dieser hellen Flecken, ein sehr großer, der die Sonne greller scheinen lässt, als jemals zuvor. Und trotzdem schieben sich auch vor solche Moment einige Wolken, dafür sind Jäger und Gejagter einfach zu verschieden.“ Sie legte eine Hand an seine Wange und küsste ihn. Heimlich machte er weiter Fotos von ihnen und küsste sich nun zärtlicher. „Ich liebe dich so sehr, Dhiro. Ich habe nie jemanden kennen gelernt, der so einzigartig ist, wie du.“ „Doch, du bist dabei jemanden kennen zu lernen. Nämlich dich. Erwarte keine Wunder, Alli. Vielleicht wirst du irgendwann feststellen, sei es als Dämon oder als Mensch, dass dein jetziges Leben, in deiner sogenannten Kidnapping light Phase gar nicht so schlecht war. Vielleicht, stellst du fest, dass das Arbeitsleben, als Mensch dich zerstört und dass das Behüten der Bastion vielleicht doch besser für dich war. Erst das Leben und die Zukunft können dir zeigen, dass die Vergangenheit besser war. Aber lebe im hier und jetzt, hänge nicht deinen Gedanken nach. Suche nicht in der Vergangenheit nach Fehlern, die deine Zukunft negativ beeinflusst haben. Lebe und denke nicht an morgen.“ „Du bist ein sehr weiser Mann, Dhiro.“ Er grinste. „Ich habe auch einige Jahre mehr auf dem Buckel, als du.“ „Und früher warst du Poet, ja?“ Sie lächelte. Er schüttelte den Kopf. „Ich habe all das vom Gebieter gelernt. Er ist nahezu wie ein Vater für mich gewesen. Daher hatte ich viele Neider und habe sie immer noch, aber die können mir den Buckel herunter rutschen.“ Sie lachte laut und die Tiere hetzten davon. „Oh, entschuldige. Da war es vorbei mit der Poesie.“ „Und so schlug der Mensch, der schlimmste Jäger von allen, die Tier in die Flucht.“ Dhiro machte noch einige Schnappschüsse, bevor er sagte: „Lass uns fahren, ein Sturm zieht auf.“ Er packte alles zusammen und lief mit Alli zum Auto. „Ich liebe dich und ich wünschte, dass du für immer der hellste Schein im meinem Leben sein könntest.“ Dhiro nahm ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. „Ich auch, Alliara.“
Beim Abendessen lächelte Alli immer noch über die Erfahrung am See. Laila blickte sie an, als hätte sie vollkommen den Verstand verloren. „Man könnte meinen du seist launisch.“ Alli lachte. „Das bin ich.“ „Wo ist Dhiro?“, fragte sie flüsternd und mit einem anzüglichen Grinsen fügte sie hinzu. „Wartet er irgendwo gefesselt und nackt auf dich?“ Auri verschluckte sich an seinem Bier. Beide Frauen lachten über sein grimmiges Gesicht. „Nein, er wollte in den Keller in seine Fotokammer.“ „Oh, was für Fotos habt ihr zwei Süßen denn gemacht?“ „Könntet ihr bitte aufhören? Hier sitzen noch andere am Tisch,“ sagte Auri gepresst und nickte mit dem Kopf zu Misha und Negra. Kichernd spießte Alli das Stück Steak auf und stopfte es in ihren Mund. Es war der erste Bissen ihres Tellers, den sie zu sich nahm. Sobald das Steak ihre Zunge berührte, drehte sich ihr der Magen herum. Sie würgte und Auri sowie Laila wirkten alarmiert. „Musst du zur Toilette?“ Alli nickte, was ihr die Tränen in die Augen trieb, vor Übelkeit. Okay, da waren die erwähnten Krämpfe und die Übelkeit, die der Arzt als starke Nebenwirkungen beschrieb. Laila packte sie am Handgelenk und zog sie aus dem Speisesaal in einen Raum zu ihrer rechten und dann in ein angrenzendes Bad. Während Alli sich gurgelnd übergab, hielt Laila ihre Haare. Sie rümpfte die Nase und bemühte sich weg zu sehen. Als Alli's gesamter Mageninhalt scheinbar ihren Körper verlassen hatte und ihr nur noch schlecht und schwindelig war, ließ sie sich nach hinten fallen. „Mein Kreislauf,“ sagte sie zu Laila, die verschwommen über ihr aufragte und die Spülung drückte. Eilig klappte sie den Deckel der Toilette hinab und legte Alli's Beine darauf. Sie spürte, wie sie zitterte. „Ist dir kalt?“ Laila rieb leicht über Alli's Arme. „Ich weiß nicht.“ „Alliara,“ sagte Dhiro's sorgenvolle Stimme. „Hast du gespürt, dass es mir schlecht geht?“ „Ja und Auri kam auch schon, um mich zu holen. Sind das?“ Er ließ die Frage bewusst unbeendet, aber Alli verstand. Sie nickte und würgte leicht, weil sie ihren Kopf so ruckartig bewegt hatte. „Bringen wir sie rauf.“ Dhiro legte seine Arme unter ihre Beine und ihren Rücken. „Leg deinen Kopf an meiner Schulter ab.“ Er roch nach Alkohol, aber nicht dem, den man trinkt. Sondern wie im Krankenhaus oder im Chemieunterricht. „Du stinkst,“ flüsterte sie. „Das Kompliment gebe ich gerne zurück.“ Anscheinend waren ihr die Sinne geschwunden, denn als sie das nächste mal klar sehen konnte, lag sie bereits in ihrem Bett und hatte einen kühlen Lappen auf der Stirn. Sie war mit ihm alleine, das konnte sie spüren. Was? Sie spürte, dass nur Dhiro im Raum war? Verwundert sah sie sich um. Es stimmte. Hoffentlich hatte sie unterbewusst mitbekommen, dass die anderen gegangen waren, sie wollte kein Dämon werden. Erst Recht nicht gerade. Nachdenklich studierte er die Packungsbeilage der Pille danach. „Och, so grimmig?“ Er lächelte. „Wie fühlst du dich?“ Sie dachte kurz nach. „Wie vom Bus überfahren würde ich sagen, obwohl ich keinerlei Erfahrungswerte habe.“ Er küsste sie auf die Stirn und tauschte das Tuch gegen ein kühleres aus. „Ich hatte mich schon gewundert, warum ich nichts von den Nebenwirkungen spürte.“ „Du hattest heute auch noch nichts gegessen, außer dem Frühstück.“ Sie nickte. Er kletterte neben sie und zog sie so zu sich hoch, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen konnte. „Geht es so?“ „Bestens, Liebster.“ Er schaltete den Fernseher ein. Sie sahen sich die Nachrichten an, in denen von immer mehr Schneefall die Rede war und dass es bitter kalt werden würde. Lupus lag vor der Türe und erschrak, genau wie Alli und Dhiro, als es an der Türe klopfte. „Hauptmann? Laila sagte, du wärst bei Alli. Ich wollte nur sagen, dass ich dich sprechen muss.“ „Ich komme,“ rief er. Entschuldigend lächelte er und verließ das Zimmer. Alli griff nach der Hauptmann-Kette, die neben ihr auf dem Nachttisch lag. Sie war so schwer und massiv. Dhiro war wirklich wichtig, für den Gebieter und diese Bastion, das stand fest. Lupus huschte zu ihr ins Bett. „Hey, jemand hat dich gebadet.“ Er roch nach Zitrone und frischer Minze. Noch dazu trug er ein Halsband aus Leder, auf dem in großen goldenen Lettern sein Name stand. Eine Marke hing an seinem Halsband. Sie lächelte und ihr wurde warm ums Herz, als sie ihren Namen in der verschlungenen Runenschrift las. „Oh Dhiro!“ Sie drückte Lupus an sich und nahm die Fernbedienung in die Hand.
„Was? Nur das Blut eines Toten oder das von Engeln vermag so etwas zu tun?“ Seven nickte ernst. Dhiro lief in seinem Büro auf und ab. Seven hatte seine Hände auf die Rückenlehne des massiven Holzstuhls vor dem Schreibtisch gestützt und sah ihm zu, wie er seinen Marsch durch das Büro fortsetzte. „Aber das kann nicht sein, oder?“ „Nun, ich habe alles gewälzt, jedes Buch in der Bibliothek, das Internet. Einzig in der Bibliothek des Botschafters war ich noch nicht. Aber die wenigen Informationen, die man zu Vampiren und deren Schwächen findet und die glaubhaft sind, tragen diese beiden Fakten zusammen.“ „Was ist mit ihrer Ahnenlinie? Kommen wir da ran? Können wir es herausfinden?“ „Ob sie ein Engel ist? Ich habe keine Ahnung. Myrancor hält sein Büro stets verschlossen. Und du weißt mehr, als wir alle.“ Dhiro knurrte. Alli war eindeutig nicht tot, also blieb nur die Möglichkeit, dass sie ein Engel war. „Ich kannte Eom. Er war kein Engel, da bin ich sicher. Einen solch dämonischen Mann habe ich selten gesehen. Außer dem Gebieter selbst, vielleicht.“ „Und Zurdak,“ fügte Seven unüberlegt hinzu. „Ja, der auch,“ erwiderte Dhiro finster. „Ich kann versuchen noch mehr Informationen zu finden und versuche auch an ihren Stammbaum zu kommen, aber wenn sie ein solch wichtiges Bindeglied ist, dann wird er gut gesichert sein.“ „Tu, was du kannst und wenn du nichts findest, dann komm zu mir. Nachts. So lange Myrancor noch nicht wieder da ist, werden wir in sein Büro einbrechen. Er ist es der mir immer vorwirft, ich solle meine Privaträume gefälligst offen lassen, weil es keine verschlossenen Türen gäbe.“ „Mache ich, Hauptmann. Wo finde ich euch?“ Dhiro dachte nach. „In meinem Zimmer.“ Seven nickte und verließ das Büro. Dhiro eilte hinter ihm her und verschwand im Keller. Er bog nach links in einen düsteren Gang ab und öffnete die letzte Türe zu seiner Linken. Darin war sein Entwicklerraum. Alle Fotos waren fertig und durchgezogen. Er nahm sie von der Leine und packte sie in eine schwarze Ledermappe, die er mit aus dem Raum hinaus nahm und wieder zu Alliara ging. „Planänderung, du bleibst heute Nacht bei mir im Zimmer.“ Denk nicht daran, du weißt noch gar nichts, dachte er. Vielleicht ist es nur Zufall. Vielleicht hatte die Vampirin eine Krankheit. Alli sah ihn nachdenklich an, während sie hinter ihm die Treppe hinunter ging. Wieso plötzlich in sein Zimmer und was beschäftigte ihn? Diese Sache mit ihrem Blut? Schweigend lagen sie nebeneinander auf dem Bett. Sie hatte ihren Kopf auf seine Brust gebettet und er strich gedankenverloren über ihre Haare, fast so, als wäre sie eine Katze. Vielleicht machte er sich auch noch Gedanken um ihre Gesundheit oder darum, dass es fast so weit war und er gehen musste. Unwillkürlich seufzte sie auf. „Stimmt etwas nicht, Alliara? Geht es dir wieder schlechter?“ „Nein,“ erwiderte sie. „Nein, das ist es nicht. Du bist so still. Wirkst nachdenklich.“ „Ach, Alli. Es ist nichts. Ich erwarte nur jeden Moment...“ Er konnte den Satz nicht beenden, denn es klopfte laut an der Türe. Alli hechtete ins Badezimmer und schloss sich ein. Seufzend erhob sich Dhiro. Sie kannte ihn nun schon zu gut, wusste, wann er grüblerisch war. „Hauptmann,“ sagte Seven, außer Atem. „Ich habe,“ „Warte, lass uns wo anders sprechen, nicht hier.“ Verstohlen sah Dhiro in den Raum zurück und schloss die Türe. Seven und Dhiro eilten in das Büro des Hauptmannes. „Also, was hast du herausgefunden?“ „Ich hab nicht mehr herausgefunden. Das heißt, wir müssen in das Büro des Botschafters einbrechen.“ „Mist,“ fluchte Dhiro. Aus der Schublade seines wuchtigen Schreibtisches zog er eine Schatulle aus Leder. „Komm, schnell und leise.“ Wieder eilten sie durch den dunkeln Flur des Hauses. Er spürte Alli's Verwirrtheit durch ihre Verbindung und versuchte diese zu ignorieren. „Halte Wache,“ zischte der Hauptmann Seven zu. Er kniete nieder und zog aus seiner Schatulle einen Dietrich hervor und stocherte damit geschickt im Schloss der massiven Holztüre. Ein mal nach links und zweimal rechts, dann plötzlich gab es ein schnappendes Geräusch und der konnte die Türe aufdrücken. Schnell huschten die beiden im Dunkeln in den großen Raum. „Kanalisiere Macht in deine Augen. Ein Lichtschein ist zu auffällig.“ Dhiro sandte mit geschlossenen Augen Macht in ebendiese und als er sie wieder öffnete, lag der Raum in einem silbrig schimmerndem Schein vor ihm. „Du gehst nach rechts, ich nach links.“ Seven neben ihm nickte und ging auf die Regale und Schränke zu, die auf der rechten Seite des Raumes standen. Dhiro seinerseits, zog die ersten Schubladen in dem Sideboard auf der linken Seite auf. Lauter Krimskrams, Aufzeichnungen über Völker, über Aufträge für den Gebieter. Bis er schließlich, nach einer halben Ewigkeit, ein zusammengerolltes Pergament fand, auf dessen Rückseite das Siegel von Alli's Vater prangte. „Psst,“ machte er, damit Seven auf ihn aufmerksam wurde. Er rollte das Pergament auf dem Schreibtisch aus und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es nicht versiegelt war. Es war der Stammbaum, von Alliara's Familie. Er reichte weit zurück. Nur unwesentlich kürzer, als sein eigener, auf den er als kleiner Lenz einmal hatte einen Blick werfen können. Sie überflogen gemeinsam die Namen. Das Pergament war rau unter Dhiro's Hand, während er die verworrenen Linien mit dem Finger entlang fuhr. Sie fanden Myrancor, neben Alliara's Mutter und Vater, beide versehen mit einem Kreuz, für den Tod. Unter dieser Reihe waren ihre Geschwister zu erkennen. Catrina, die Älteste, Suri, die kleinste und Auri. Er war als einziger ohne Kreuz. „Sie steht nicht drauf!“ „Doch,“ erwiderte Dhiro. Er zeigte auf einen einzelnen Strang, ohne jegliche Verbindung. Ihr Name stand in etwa auf Höhe ihrer Geschwister, war aber mit niemandem verbunden. „Was hat das zu bedeuten?“ „Dass sie nicht blutsverwandt ist. Weder mit ihren vermeintlichen Eltern, noch mit Auri.“ „Au Backe,“ entfuhr es Seven. „So hätte ich es nicht ausgedrückt. Ich hätte einen viel derberen Ausdruck benutzt. Etwas in der Art: So eine verfluchte Scheiße.“ Er rollte das Pergament zusammen und legte es zurück. Eilig wühlte er weiter. Er fand einige Fotos von Alli, die sie in verschiedenen Altersstufen zeigten. Woher hat er diese Bilder, wenn sie doch angeblich entführt war? Eine eisige Angst legte sich um sein Herz. Was ging hier vor? „Hauptmann?“ Dhiro eilte mit einem Foto einer etwa fünfzehnjährigen Alli zu Seven hinüber. Er reichte ihm das Foto und nahm das, was Seven ihm hin hielt. Einen Brief, von Eom und Acina. „Liebste Alliara, du schönste aller Töchter. Mit viel Liebe gaben wir dir ein zu Hause, ersetztest du doch den Platz unseres verstorbenen Mädchens, welches viel zu früh geboren wurde. Niemand hätte gemerkt, dass du nicht unser eigen Fleisch und Blut warst. Wir erzogen dich, wie bereits deine Geschwister vor dir und die kleine Suri nach dir. Doch immer wieder musstest du beschützt werden. Beschützt vor Halunken aus eigenen Reihen, der unsrigen und aus Reihen deiner Spezies. Einige wollten Experimente mit dir machen. Andere wollten dich wegen deiner Anmut und Schönheit. Wiederrum andere wollten dich verkaufen, als Zuchtmaschine missbrauchen. Sie wollten eine eigene Rasse. Unbesiegbar, unverwundbar durch andere. Sie glaubten, du seist der Schlüssel dazu. Wir haben einst, bevor wir dich zu uns holten, zugestimmt. Aber du warst so süß, so zerbrechlich und unschuldig. Wir konnten es nicht zu lassen. Wir haben dich beschützt. Behütet, wie unser eigenes Leben. Myrancor ist dein Onkel, er schwor dich zu schützen, sollte dir etwas passieren. Aber sein Herz kann kalt sein. Sollte er seinen Ruf in Gefahr sehen, so wird er alles tun, um seinen Vorteil zu ziehen. Koste es, was es wolle. Wir haben versucht den Handel rückgängig zu machen. Aber sie werden dich holen. Hoffentlich bist du bis dahin so stark, wie vermutet. Hoffentlich wird dieser Tag nie kommen. Hoffentlich beschützt dich jemand, so, wie du es verdient hast. Wenn du diesen Brief bekommen hast, sind wir entweder tot, was sehr wahrscheinlich ist, da wir sämtliche Völker entzürnt haben und den Gebieter. Oder du bist achtzehn und Myrancor hat dir diesen Brief ausgehändigt. Ganz gleich, was es ist und was alles passiert. Wir haben dich immer geliebt und wir werden dich immer lieben. Deine Eltern, Eom und Acina.“
Wie vom Donner gerührt stand Dhiro da, den Brief in der Hand. Wieder und wieder las er die Worte. Sie war nicht die Tochter von Dämonen, sie war eine andere Spezies. „Fuck,“ rief Seven. „Das ist noch gar kein Ausdruck.“ „Nein, ich höre Myrancor's Wagen.“ Eilig steckte Dhiro das Foto ein und den Brief. „Aber,“ „Nein, keine Diskussionen. Sie muss es wissen.“ Seven nickte schweigend. Eilig schoben sie alles in die Ausgangspositionen und verließen das Büro. „Wie schließen wir es wieder ab?“ Seven sah ihn panisch an. Dhiro legte eine Hand auf die Türe und murmelte einige Formeln. Es klackte und die Türe war verschlossen. Als sie sich zur Treppe wenden wollten, sahen sie Myrancor bereits durch die Eingangshalle gehen. Also versteckten sie sich in einem Nebenraum, der leider eine Besenkammer war. Dicht aneinander gepresst standen sie da. „Herr,“ hörten sie einen Diener. „Wünschen Sie noch etwas zu essen? Ihr müsst hungrig sein nach einer solch späten Reise.“ „Nein, danke. Ich lege nur kurz etwas in meinem Büro ab und gehe zu Bett.“ „Sehr wohl, Herr.“ Die flüsterleisen Schritte des Dieners verklangen und sie hörten, dass Myrancor mit dem Schlüssel sein Büro aufschloss und wieder abschloss. Seven verließ als Erster die Kammer, dicht gefolgt von Dhiro. „Fordere bitte die Unterlagen an, die über den Tod von Alli's Eltern berichten. Wir müssen wissen, wer wirklich damals alles da war.“ Seven nickte und rannte nach unten. Dhiro fühlte die schwere Last auf seinen Schultern. Eine Last, die schwerer war, als die Aussicht darauf, dass er sie bald verlassen musste. Es war die Last des Halbwissens und die schwere Bürde ihr zu sagen, dass sie keinerlei Ahnung hatten, wer sie wirklich war. 

19

 

Stirnrunzelnd las Dhiro den Brief wieder und wieder, während er im Büro saß und sich den Kopf darüber zermarterte, wie er es ihr schonend beibringen konnte. Er rieb sich über das Kinn. Als er gestern zurück kam, hatte sie geschlafen, zusammengerollt in seinem Bett, wie eine kleine Katze. Behutsam hatte er sie zugedeckt und sich neben sie gesetzt. Nur um sie die ganze Nacht anzustarren. Sein Blick glitt zu dem Foto, dass auf seinem Schreibtisch stand. Alli, mit ungefähr 15 Jahren. Genau zu dieser Zeit, war sie entführt gewesen. Misshandelt worden. Waren das alles Lügen? Er erinnerte sich zurück an ihre erste Nacht. Es war kein Blut vorhanden gewesen, also war sie keine Jungfrau mehr. Er seufzte und als es an der Türe klopfte räumte er eilig das Bild und den Brief in ein Fach unter der Schreibtischablage. „Hauptmann,“ sagte Mojow und neigte leicht den Kopf. Er kam herein, dicht gefolgt von Myrancor. Hassfeuer glomm in ihm auf. Was hatte dieser Mann alles damit zu tun? Was hatte er ihr angetan oder in Kauf genommen? „Ich bin von meiner Mission zurück.“ Mojow erzählte, was ihm alles begegnet und widerfahren war. Die Situation war um einiges schlimmer, als Dhiro dachte. Alle Völker versuchten sich zu töten. Und als wäre das nicht genug, so versuchten auch die anderen Rassen ausnahmslos sich gegenseitig auszulöschen. „Sie waren bestens ausgerüstet. Haben einen Vampir mit Silbernetzen gefangen und ihn mit Holz gepfählt. Einem Werwolf rissen sie den Kopf ab. Und sie hatten ebenfalls Mittel uns zu töten. Sprachen über ein Gift und sie, sie beherrschten das Bannen. Mit Zaubersprüchen und Teufelsfallen.“ Er holte tief Luft. „Bevor sie mich erkannten, habe ich den Rückzug gewählt.“ „Gut, Mojow, danke.“ Mojow verbeugte sich kurz, ehe er den Raum verließ. Myrancor blieb mit verschränkten Beinen sitzen. Nun beugte er sich vor und stützte seine Unterarme auf den Schreibtisch. „Du weißt, dass es nun noch dringlicher ist, dass wir neue Rekruten und Verbündete bekommen. Wir brauchen sie.“ Dhiro wusste was nun kam und ihm graute davor. „Du wirst am besten morgen schon aufbrechen. Der Gebieter ist der gleichen Meinung. Je früher, desto besser.“ Dhiro presste die Zähne aufeinander. „Ja, Botschafter.“ „Ich werde deinen Flug umbuchen. Triff alle Vorbereitungen.“ Mit diesen Worten verließ er das Büro. Er konnte es Alliara nicht schon heute sagen. Das ging nicht. Zuerst brauchte er mehr antworten. Was sie war, zu wem sie gehörte und vor allem, was mit ihr geschehen sollte. Verzweifelt stützte er den Kopf in die Hände und seufzte laut.
Es hatte aufgehört zu schneien. Laila saß auf der Terrasse und las etwas, während Alli neben ihr in der Wintersonne döste. Lupus trieb seine Nase munter durch den tiefen Schnee. Es ging ihm von Tag zu Tag besser. Sein Fell glänzte, er humpelte kaum noch und seine Augen waren wachsam. „Wunderschön, oder?“ Laila's Stimme riss sie aus ihren Träumen. „Ja,“ stimmte Alli ihr zu, beim Blick auf das glitzernde Eis, dass über dem Wasser des See's lag. Plötzlich fiel Alli etwas ein. „Sieh mal, die hat Dhiro gestern von uns gemacht.“ Laila beugte sich herüber. Sie sahen beide unbekümmert und verliebt aus, auf dem Foto, doch das Foto hatte nur den wunderschönen Moment festgehalten. In der Gegenwart, saß Dhiro in seinem Büro, weil Mojow von seiner Mission berichtete und keine guten Nachrichten hatte. Heute morgen war Alli aufgewacht und hatte in Dhiro's blaue Augen gesehen, die sie musterten. Er war seltsam gewesen. Nachdenklich, war da schon untertrieben. „Ihr passt wirklich gut zusammen.“ Laila lächelte, aber ein trauriger Zug lag über ihren Augen. „Stimmt was nicht?“ „Das sagt er dir besser selbst.“ Mit diesen Worten erhob sich Laila, nahm ihr Buch und ging. Als sie an Dhiro vorbei ging, der gerade hinaus trat, legte sie ihm mitleidig die Hand auf die Schulter. „Es tut mir so Leid,“ flüsterte sie und mit ihren raschelnden Röcken verschwand sie. Alli drehte sich zu Dhiro herum. Sie lächelte, aber das Lächeln gefror, als sie seinen ernsten Gesichtsausdruck sah. „Gehen wir ein Stück?“ Alli erhob sich und schlüpfte in ihre Schneeboots. Dhiro trug lediglich ein schwarzes, leicht gräuliches Shirt, wohingegen sie eine dicke Fleecejacke trug und trotzdem noch fröstelnd die Arme um sich schlang. Eine Zeit lang, sagte keiner von beiden etwas, bis Dhiro plötzlich sehen blieb, unter einem verblühten Kirschbaum. „Alliara, die Situation ist schlimmer, als wir alle dachten. Wir brauchen mehr Verbündete, mehr Rekruten. Es tut mir Leid, aber ich muss gleich morgen früh los.“ Alli starrte ihn an, wie er vor ihr stand, den Kopf gesenkt und die Hände zu Fäusten geballt. „Heißt das, dass du morgen schon nach Warschau reist?“ Er schüttelte den Kopf und sie spürte, wie eine Erleichterung in ihr aufkeimte, die er sofort zunichte machte. „Ich reise erst nach Rumänien und dann von dort, wie geplant Sonntag nach Warschau. Es tut mir so Leid. Ich hasse es dich alleine lassen zu müssen.“ Sie strich mit den Händen über seine Arme. „Nicht so schlimm, machen wir heute das Beste draus und du versprichst mir wieder zu kommen.“ „Ich kann es dir nicht versprechen, aber ich gebe mein Bestes.“
Sie verbrachten einen wunderschönen Abend zusammen, mit einem Essen, mehrmaligem wundervollen Sex und emotionalen Liebesbekundigungen. Als die Sonne sein Zimmer langsam in gleißendes Licht tauchte, rollte er sich zum letzten Mal für unbestimmte Zeit von ihrem Körper herunter. Keuchend und schweißnass, schloss Alli die Augen. Mit großen, traurigen Augen und genauso erschöpftem Blick sah Dhiro Alli an. „Alliara, ich werde jede Sekunde an dich denken. Ich liebe dich.“ Er küsste sie zärtlich auf den Mund und sie spürte die leichten Bartstoppel an seinem Kinn. „Ich werde auch immer an dich denken, für immer und ewig. Du bist in meinem Herzen, Dhiro. Ich liebe dich über alles.“ Sie duschten gemeinsam, als es auch schon klopfte. „Hauptmann, du musst gleich los!“ „Ja, Myrancor.“ Eilig zogen sie sich an, Dhiro überprüfte, ob die Luft rein war und verabschiedete sich mit einem langen, intensiven Zungenkuss von Alliara. Seine Hauptmann-Kette legte er in ihre Hand. „Wenn irgendetwas unvorhergesehenes hier passieren sollte, mit Dämonen. Zeige ihnen das und sage, dass du zu mir gehört, mir allein. Lass sie riechen, dass ich dir gehöre und du mir.“ Er küsste sie abermals kurz und schubste sie dann leicht aus seinem Zimmer. Mit hängenden Schultern ging Alli in ihr Zimmer, zog sich um und ging wieder nach unten, weil alle anderen Dhiro zusammen verabschieden wollten. Laila stand am Rand und breitete einen Arm aus, als sie Alli erblickte. „Komm her, Süße,“ sagte sie und hauchte ihr einen Kuss auf's Haar. Dhiro verabschiedete sich von allen mit Handschlag oder bei manchen seiner Rekruten und Krieger mit einer leichten Umarmung. Unter anderem Seven und Auri. Seine Schwester hatte Tränen in den Augen. Sie küsste ihn auf die Wange und er tat es ihr gleich. „Komm bitte wieder, Dhiro.“ „Du bist mein Blut, Daria.“ „Und du meins,“ erwiderte sie mit tränen-erstickter Stimme und lehnte ihre Stirn an seine. Dann flüsterte Dhiro ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie verstohlen zu Alli hinüber sah. Ein kurzes Nicken ihrerseits schien ihn zufrieden zu stellen. Er mied es Negra an zu fassen, drückte kurz Valira's Hand und kam dann auf Laila und Alli zu. Alli straffte die Schultern. Er umarmte Laila und hauchte ihr einen leichten Kuss auf die Wange. „Pass auf sie auf. Du weißt, wie sie ist.“ Laila lächelte und eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. „Ich gebe mein Bestes, wenn du auch versuchst dein Bestes zu geben wieder zu kommen.“ Dhiro nickte und drückte Laila's Hand. Alli sah ihn an, die Augen weit aufgerissen. Sie war sich bewusst, dass jeder zu Ihnen starrte. Dhiro neigte leicht den Kopf und zog ihre Hand in seine. Auf ihren Handrücken hauchte er einen Kuss und sah ihr dann in die Augen. Seine tiefblauen Augen schimmerten. Alli unterdrückte ein Schluchzen und verzog das Gesicht. „Gute Reise, Hauptmann.“ Die Kette, die er sonst trug, ruhte in der Gesäßtasche ihrer Jeans und er fühlte sich warm an, schwer, als hätte er sie gerade noch getragen. Seine Augen sagten ihr: „Ich liebe dich“ und sie klopfte ihm auf die Schulter, als wäre er ein guter Freund, aber er wusste, dass es bedeutete: „Ich dich mehr.“ Er berührte das Armband an ihrem Handgelenk und ließ sie stehen. „Hauptmann, ich hoffe ihr kommt heil zurück. Ich werde nicht immer hier sein, um die Bastion zu befehligen, wer ist euer Vertreter?“ „Ich habe mich für Seven entschieden. Er vertritt uns nach Außen und den schriftlichen Part würde meine Schwester in meiner Abwesenheit übernehmen.“ Myrancor nickte. „So sei es. Gute Reise. Advenias. Volo vos successus.“ Dhiro neigte den Kopf und zog sich die große schwarze Kapuze über den Kopf, bevor er das Haus verließ, ohne sich nochmals umzusehen.
Alli täuschte zum Abendessen vor, dass es ihr nicht gut ging und verschwand auf ihrem Zimmer. Sie weinte in Lupus' Fell, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Sie hatte das Bild von ihnen beiden, vom Tag am See, gerahmt und es lag unter ihrem Kissen. Mittlerweile war es ihr herzlich egal, ob ein Bediensteter es fand. Sie war tief traurig. Vor Erschöpfung schlief sie diese Nacht ziemlich gut und am nächsten Morgen stand Laila vor ihrem Bett. „Hey Alli,“ sagte sie und strich Alli über die Stirn. Alli drehte sich auf den Rücken und fühlte wie wohlig sie sich fühlte. Sie hatte leichten Muskelkater und fühlte sich wund. „Wollen wir etwas shoppen gehen? Myrancor hat mir die Kreditkarte gegeben.“ Misstrauisch sah Alli Laila an. „Ja, du rätst richtig. Du sollst dir ein Kleid kaufen, weil heute Abend Anwärter auftauchen.“

Die Wochen vergingen, die Monate auch. Alli wusste nicht, wie sie es überlebte. Anfangs hatte Dhiro sie noch angerufen, aber heute, am Silvesterabend, war es bestimmt einen Monat her, dass er das letzte Mal anrief. Auch die Briefe an die Bastion hatten irgendwann aufgehört und ihre Hoffnung, darauf, dass er wieder kam, erlosch stetig. Heute gab es eine Feier. Silvester läutete für die Dämonen genau wie für Menschen ein neues Jahr ein, nur dass sie feierten, wie wenig Verluste sie hatten. Der einzige Anhaltspunkt, dass Dhiro noch lebte waren drei neue Rekruten. Fynn, ein hellblonder, breitschultriger großer Hüne, Daevo, mit seinen pechschwarzen Haaren und Augen und zu guter Letzt eine durchtrainierte Amazone namens, Arazi. Ihre Haut war kaffeebraun sowie ihre Augen. Ihre großen Lippen verzerrten sich häufig zu seinem arroganten Lachen, dass lauter spitz zulaufende Zähne entblößte. Sie war schlichtweg gruselig. Myrancor hatte sie in die Bastion eingeführt und das dazugehörige Ritual mit ihnen durchgeführt. Daria stand nervös daneben. Sie hatte deutlich an Gewicht verloren, seit der Kontakt zu ihrem Bruder abgebrochen war. Aber sie kümmerte sich gut um Alli. Mittlerweile trainierten sie sogar zusammen. Sie war der Meinung, dass Alli etwas Selbstverteidigung nicht schaden konnte. Und so hatte sie ihr den Umgang mit Dolchen, Messern und ihren Fäusten beigebracht. Mit einem Zwinkern hatte sie hinzugefügt, dass der gute alte Tritt in die Kronjuwelen auch einen Dämon erst einmal außer Gefecht setzte.
Nun stand Alli hier, am Arm ihres Bruders in einem schwarzen Kleid. Es endete knapp über dem Boden und wenn sie ihre Schuhe auszog, könnte sie damit den Boden wischen. Seven war es gelungen Mila in einen relativ kontrollierbaren Vampir zu verwandeln. Wie er das machte war sein großes Geheimnis. Etwas in der Art, wie er sie ansah, hatte sich verändert. Mitleidig und neugierig zugleich. Es machte sie schlichtweg nervös. Auch jetzt sah er quer durch den Raum zu ihr hinüber, so dass ihr heiß wurde. Alle Anwärter waren furchtbar. Lediglich zwei konnte sie sich vorstellen, auch wenn es trotzdem ein Albtraum war. Zum einen Zurdak und zum anderen ein junger Mann mit braunen Haaren namens Filandir. Er war höflich, nett und drängte sie zu nichts. Mit beiden war sie nun jeweils einmal auswärts essen gewesen. Aber, sie waren nicht Dhiro. Leider hatte sie feststellen müssen, dass es ihr möglich war, wenn sie wütend oder traurig war, Gegenstände leicht zu bewegen. Sei es eine Glas von einer Tischkante zu schubsen oder eine Fussel vom Bett zu befördern. Sie hatte es niemandem erzählt. Aber es machte sie schlichtweg fertig. „Willkommen, Willkommen. Wie jedes Jahr begrüßen wir das neue Jahr mit einem Festschmaus.“ „Unser Onkel hat eindeutig etwas von einem Showmaster.“ Alli nickte, war aber abgelenkt von ihren Gedanken. Stundenlang hatte sie recherchiert, wie sie es aufhalten konnte ein Dämon zu werden. Sie hatte sogar in einem Selbstversuch ihr eigenes gekochtes Blut getrunken, weil es im Internet so geschrieben stand. Aber außer, dass sie sich zwei Nächte lang übergeben musste, war nichts geschehen. Allerdings hatte sie ansonsten keinerlei Symptome, was in ihrem Alter merkwürdig, ja fast untypisch war. Etwas was sie noch versucht hatte, hatte ihrem Bruder Blutungen aus der Nase und den Ohren beschert. Sie hatte in einem Buch für schwarze Magie einen Zauber gefunden, der dämonische Aktivität eindämmte. In gebrochenem Latein hatte sie ihn laut ausgesprochen und sich dabei in die Hand geschnitten. Aber nur ihr Bruder hatte ein paar Tage Kopfschmerzen, nachdem die Blutungen aufgehört hatten. Nun hatte sie beinah aufgegeben. Es gab keinen Weg des Entkommens. Außer, dass jemand sie zu einer Gemachten machte oder sie sich selbst hinrichtete. Alles andere hielt den Verwandlungsprozess nun scheinbar nicht mehr auf. „Komm, wir müssen tanzen, Alli. Wo bist du nur wieder?“ Als ob das so schwer ist, dachte sie grimmig. Sie tanzte mit ihrem Bruder und erhaschte dabei einen Blick auf Fynn, der sie aus müden, blauen Augen musterte. Sie glaubte, dass der Schwede Interesse an ihr hatte. Aber es war ihr gleich. Für sie gab es nur einen. Das war Dhiro. Das große Feuerwerk war schön. Sie hatte sogar ein wenig Spaß, aber immer wieder glitt ihr Blick zu Dhiro's leerem Stuhl, auf den sich niemand zu setzen wagte. Sie erwischte Daria dabei, wie sie ebenfalls immer zu seinen Stuhl blickte. Ihre Blicke ähnelten sich, aber den Kummer, den Alli verspürte, würde sie nie verstehen.
Der Morgen den ersten Tages des neuen Jahre graute bereits, als Alli verkatert den Kopf vom Kissen hob und Lupus im Zimmer suchte, der leise knurrte. Eine Frau mit nahezu weißem Haar hing an der Decke, doch sie war nicht real, lediglich eine Projektion. Flackernd und durchscheinend zeigte sie auf Alli. „Wir kommen bald, holen uns, was rechtmäßig zu uns gehört, Alliara.“ Ihre Stimme verklang und Alli starrte weiter auf den Punkt, wo das Abbild der Blondine flackernd verschwunden war. Lupus kam mit erhobenen Ohren zu ihr. „Braver Junge.“ Sie gähnte und stand auf. Sollten sie kommen, dachte sie. Was habe ich noch zu verlieren? Sie war mit Laila, Daria und Auri zum Frühstück verabredet und musste sich noch sputen, ehe sie zu spät kam. Daria ließ Alli fahren. „Hab ich einen Kater,“ sagte Auri, der leidend auf der Rückbank saß. Alli überlegte, ob sie ihren Freunden von der Projektion erzählen sollte, beließ es aber bei dem Gedanken und tat es als Lappalie ab. Während des Frühstücks herrschte Schweigen. Und zwar eines der betretenen Sorte. Da das Frühstück ausgiebig war, gingen sie zu viert noch etwas spazieren, bis plötzlich Alli's Handy lautstark klingelte. „Alli,“ flüsterte Mila. „Mila? Wie kommst du an ein Telefon?“ „Egal, ihr müsst verschwinden, kommt auf keinen Fall wieder. Hier stimmt etwas nicht. Es kracht die ganze Zeit und man hört Stöhnen und Schreie im Haus. Fenster zersplittern, ich weiß nicht, ich habe niemanden gesehen, ich...“ Sie schwieg und plötzlich hörte man Schreie. Alli unterbrach die Verbindung. Sie musste den anderen nicht erklären, was passiert war, bzw. was Mila gesagt hatte. Sie hatten alles gehört. „Was sollen wir tun?“ „Wir müssen unsere Bastion verteidigen,“ sagte Alli entschlossen.

20

 Sie fühlte sich, als wäre sie bis an die Zähne bewaffnet. Ihr Versuch Lupus im Auto zu lassen war vergeblich. Er schlich neben ihr her, bereit zu zuschlagen. Nahezu lautlos bewegten sich die Dämonen über den Hinterhof des Hauses. Sie waren durch einen Geheimgang gekommen, der nicht im Blickfeld der Kamera's lag. Auri hatte ihn einmal entdeckt, als er einmal Alli nachts beobachtet hatte. Im Haus lief laute Musik. Verwundert warf Alli einen Blick zu Daria. Sie schaute verbittert und wirkte absolut hasserfüllt. Sie schlichen durch die zerbrochene Verandatüre. Ihnen bot sich ein Anblick der schieren Verwüstung. An der Wand direkt neben der Eingangstüre hingen blutige Gestalten. Alli's Augen weiteten sich und sie rannte unachtsam auf die Gestalten zu. Eine davon war Lio. Seine Augen sagten ihr, dass sie fliehen sollte, denn sein Mund war geknebelt. Sie langte zu ihm hinauf und zog den Knebel aus seinem blutigen Mund. „Verschwinde, ihr müsst verschwinden, das ist eine Falle, er...“ Weiter kam er nicht. „Aber, aber,“ hallte eine Stimme vom oberen Treppenabsatz herunter. Alli wirbelte herum. Sie konnte Auri, Laila und Daria nirgendwo erblicken, was gut war. Auf dem Treppenabsatz stand Kaan. Wie ein Eroberer hatte er den Fuß auf das Treppengeländer gestellt und lächelte triumphierend hinunter. „Alliara, ich bin hier um dich zu holen, damit du meine Frau wirst. Das hier ist lediglich der Vorgeschmack, was passiert, wenn du den Krähenhorst ablehnst. Bisher ist niemand gestorben. Du kannst das verhindern.“ „Nein,“ flehte Lio hinter ihr. Kaan schnippte mit den Fingern und rechts und links von ihr tauchten mindestens sechzig Dämonen auf. Sie warf einen Blick auf ein bekanntes Gesicht in den Reihen des Krähenhorsts. „Du,“ knurrte Alli. Arazi stand breit und schaurig lächelnd in der Gruppe. „Ich war der Schlüssel.“ Sie lachte irre und Alli stürzte vorwärts, blind vor Wut. Sie rammte Arazi, die damit nicht gerechnet hatte einen Dolch in die Magengegend, was sie nicht tötete, aber sie zu Boden gehen ließ. „Wer wird denn so unfreundlich zu seinen Gästen sein? Haltet sie fest und bringt sie zu mir.“ Hinter ihr bewegten sich ihre Dämonenfreunde in ihren Fesseln. Seven hatte die Augen fest geschlossen. Fast so, als würde er angestrengt zu Gott beten. „Hallo Alliara,“ sagte Kaan geschwollen zu ihr. Er wollte sie Küssen, auf den Mund, doch sie spuckte ihm ins Gesicht. „Du Miststück,“ schrie er und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Alli hörte ein Krachen und spuckte Blut und einen Zahn auf den Boden. Doch den Schmerz spürte sie kaum. Lediglich abgrundtiefer Hass brodelte in ihr. Wut, Hass und die Lust Kaan zu töten. Sie banden ihre Hände am Geländer neben Kaan fest. „Euer Hauptmann war nicht da, um euch zu schützen, dass hat Arazi mir berichtet und da dachte ich, einen besseren Moment könne es nicht geben. Dich zu erpressen wird ein Kinderspiel sein, aber euer Hauptmann ist eine harte Nuss.“ Er lachte. „So, Alliara. Womit fange ich denn an? Ach ja, du wirst meine Frau werden, weil ich ansonsten jeden einzelnen, der hier ist töten werde.“ „Alli, lass dich darauf nicht ein, er wird uns so oder so töten!“ „Sei ruhig, Lio. Ich will mir sein Angebot anhören.“ Alli spürte, wie alle ihre Freunde die Luft anhielten. Kaan grinste und tätschelte ihren Kopf. „Gutes Mädchen.“ Er griff an ihr Kinn. Das war ihre Chance. Sie biss zu, so fest sie konnte und riss gleichzeitig den Kopf nach hinten. Blut spritzte auf der tiefen Wunde an Kaan's Handgelenk. Mit einem Messer aus ihrem Ärmel löste sie die Fesseln und sprang von der Balkonbrüstung. Sie landete unsanft und krachend auf den Knien. Etwas brach, doch es interessierte sie nicht. Sie hörte Lupus hinter sich, der die Zähne fletschte und um sich biss, spürte Messer und Wurfsterne ihrer drei Freunde an sich vorbei sausen. Sie eilte zu der Wand, löste alle Fesseln der Dämonen, die sich teils schwach aufrappelten und teils am Boden liegen blieben. „Alli, duck dich,“ schrie Auri plötzlich panisch durch den Kampflärm. Doch zu spät. Jemand schubste sie um und sie spürte eine Menge Blut über sich laufen. Dann fiel ein Köper auf sie, der unkontrolliert zuckte. Alli blickte auf und sah überall auf sich Blut, welches nicht ihres war. Der Körper, der schwer und zuckend auf ihr lag, gehörte Nesil. Eine Machete ragte seitlich aus seinem Körper und auf der anderen Seite wieder heraus. „Oh Gott, Nesil.“ Er hustete. „Ist alles in Ordnung?“ keuchte er. „Ja, ja. Du hast mich gerettet.“ „Das ist meine Pflicht. Ich hab immer auf dich aufgepasst, aber jetzt bin ich müde und mir ist so kalt.“ „Nein, Nesil, bitte, bleib bei mir.“ Alli weinte. Weinte um den Jungen, der so viel erlebt hatte, aber noch so viel vor sich hatte. „Gebt ihm Blut,“ schrie sie Fynn an. „Es ist zu spät, Alliara.“ „Nein,“ kreischte sie. „Ist es nicht.“ Sie sah auf ihn hinab und seine starren Augen blickten zur Decke. Blau und weiß. Seine Pupille war groß, seine Haut bleich und kühl. „Nein,“ flüsterte sie. „Wieso hast du das getan, Nesil? Wieso?“ Sie blickte in das Kampfgeschehen und sah Auri, der verzweifelt mit Arazi kämpfte. Knurrend und kreischend sprang sie auf die Beine. Eines gab unter ihr nach, doch es war ihr egal. Sie hatte die Machete erhoben, die aus Nesil's Körper geragt hatte und schlug mit einer Wucht auf Arazi's Hals ein, die sie nie gekannte hatte. Mit einem Schlag flog ihr hässlicher Kopf, mit großen Augen von ihren Schultern und landete einige Meter weiter entfernt. Kaan wurde herunter geführt, als sie auch auf ihn zu sprinten wollte, wurde sie von hinten gepackt. Zwei Arme umschlossen sie fest, wie Schraubzwingen. Zuerst dachte sie an Dhiro, sah aber nicht den typischen Siegelring an seiner rechten Hand. Dieser Mann trug ein rotes Exemplar an seiner linken. Filandir. „Alliara, beruhige dich, er wird seine gerechte Strafe bekommen. Wir werden ihn verurteilen. Ich werde ihn persönlich verurteilen.“ Nun riss sie sich los und eilte zurück zu Nesil. Sie ließ sich auf den Boden fallen und zog ihn auf ihren Schoß. „Du warst nicht mal gewandelt, Nesil. Es tut mir so Leid. Ich hätte tot sein sollen, nicht du. Du hast das nicht verdient. Du hast immer alles richtig gemacht. Nur Gutes getan.“ Sie schluchzte und presste ihn an sich. Sein kleiner Körper war kalt und steif.
Alli saß auf der Terrasse. Lupus' Kopf ruhte auf ihrem Schoß. Die Hände ihres Bruders auf ihren Schultern. Gleich würde die Beerdigungszeremonie für Nesil statt finden. Der Schneefall hatte an seinem Todestag aufgehört und war strömendem Regen gewichen, der nun den weißen Schnee in trostlosen, grauen Matsch verwandelte. Die schmatzenden Geräusche des Rollstuhls, den ihr Bruder mit ihr darin schob, verursachten ihr Übelkeit. Es klang nahezu genauso heute noch in ihren Ohren nach, wie sich das Geräusch anhörte, als die Machete in seinen kleinen Körper drang. Die Wirbelsäule hatte die Machete aufgehalten, ansonsten wäre er sofort in zwei Teile zerteilt worden. Ihr Onkel war sorgenvoll zu ihr gestürzt. Er war am Abend des Angriffes nicht zugegen gewesen. Alli's Knie war zertrümmert, aber das würde heilen. Ihr war ein Zahn ausgeschlagen und weitere Zähne locker geschlagen worden. Doch das alles brannte und schmerzte nicht halb so sehr, wie das Erlöschen des Lebenslichtes in Nesil. Ein Junge, der gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Gewesen war, dachte Alli. Sie wollten ihn in seinem Blumengarten begraben, den er immer so sauber und ordentlich gehalten hatte. Jetzt war er nur ein Schlammfeld, auf dem Fußspuren zu sehen waren und ein tiefes Loch. Ein Sarg, der viel kleiner war, als der für einen Erwachsenen stand daneben. Filandir stand neben Myrancor. Er hatte ihn und seine Bastion der Nachtkrähen zur Hilfe gerufen. Doch das meiste hatte die Bastion alleine geschafft. Sonst waren weiter keine Verluste zu beklagen. Außer des kleinen Nesil's. Sie vermisste ihn nun jeden Morgen in der Küche. In der Nacht des Angriffes hatte Alli es abermals versucht, Dhiro anzurufen. Direkt meldete sich die Mailbox. Sein Handy war aus. Ausnahmslos alle weinten. An diesem Tag sah Alli Rhed zum ersten Mal ohne seine Sonnenbrille. Lio hatte Recht gehabt, seine Augen waren wirklich klein. Sie war die Einzige, die nicht weinte, aber sie hatte noch etwas zu erledigen. Als ihr Onkel und Filandir die dämonische Zeremonie beendet hatten, versuchte Alli schwankend aus dem Rollstuhl aufzustehen. Sie trat neben das Grab, in dem bereits Nesil's Sarg ruhte. „Nesil hat Musik geliebt, so wie Herr der Ringe. Er liebte die kleinen Hobbits und deren Abenteuer. Und er liebte das Lied May it be, von Enya. Jedes Mal, wenn wir den Film sahen, hatte Nesil Tränen in den Augen und sagte: „So ein schönes Lied überdauert den Tod aller Wesen. Und nun soll es deinen Tod überdauern, Nesil. Ich werde dich vermissen.“ Sie hatte sich in der Nacht dazu entschlossen, dass sie dieses traurige Lied singen würde. Es war nicht ganz ihre Tonart, aber sie gab ihr Bestes. Daria weinte an Laila's Schulter und Alli war sich sicher, dass sie nicht alleine wegen Nesil weinte. Alle sahen betreten nach unten, die Hände gefaltet und als Alli den letzten Ton sang, sank sie auf die Knie und strich über den Sarg aus dunklem Mahagoni. „Finde Ruhe. Sei frei, ich vermisse dich. Jeden Tag.“ Eine Träne fiel auf den Sarg und Auri hob Alli schluchzend in seine Arme und brachte sie zurück in den Rollstuhl. Nun weinte sie ebenfalls, stumm und viel. Aber all das brachte Nesil nicht zurück und Dhiro ebenfalls.
Alli verbrachte die nächsten Tage nur in ihrem Zimmer. Laila versuchte sie dazu zu bewegen raus zu gehen. Daria wollte mit ihr trainieren, aber Alli hatte zu nichts Lust. Immer wieder starrte sie auf das Foto von sich und Dhiro, sowohl auf ihrem Handy, als auch das, welches sie unter ihrem Kissen aufbewahrte. Er war nun vier Monate weg. Zwei ohne sich zu melden. Alli hatte sämtliche Hoffnung verloren. Die Krieger waren schweigsam. Es kamen keine neuen Rekruten mehr. Ihr Onkel war wieder viel auf Reisen, was Laila ihr erzählte. Nur um mit Lupus zu gehen, verließ Alli ihr Zimmer. Sie magerte ab. Wenn sie etwas zu Essen herunter bekam, war es nur wenig. Der Fernseher lief den ganzen Tag und die ganze Nacht, nur um ihr zu suggerieren, dass sie nicht alleine war. Müde schleifte Laila sie nun hinunter in die Küche. „Indira schneidet dir die Haare und dann gehen wir etwas Essen.“ „Wenn's denn sein muss.“ Ihr Bein war weitestgehend verheilt. Keine weiteren Anhaltspunkte für ihre Verwandlung. Sie waren sogar wieder verschwunden. Wahrscheinlich war sie schlichtweg zu schwach. „Und was wenn es wieder passiert?“ Laila blieb stehen und Alli lief in sie hinein. „Wenn was wieder passiert?“ Alli steckte die Hände in die Hosentaschen. „Na, wenn wir wieder angegriffen werden.“ Sie zuckte die Achseln und sah sich um. Die Eingangshalle war größtenteils wieder hergestellt. Aber es lag immer noch der Geruch von Bleiche enthaltenden Reinigungsmitteln in der Luft. Alli schauderte bei dem Gedanken an den Kopf von Arazi, der durch den Raum flog. Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung daran zu vertreiben. „Glaubst du,“ begann Laila und packte Alli fest an den Schultern. „dass Dhiro wollen würde, dass du dich so gehen lässt? Er hat versucht das Leben immer positiv zu sehen. Und glaub mir, er hat viel Elend gesehen. Ich glaube nicht, dass er wollen würde, dass du dich so gehen lässt. Bestimmt nicht.“ Alli sah auf ihre Füße. Ihr Hose schlabberte um ihre Beine, genau wie ihr Shirt. „Du hast Recht,“ flüsterte sie. „ Er würde es nicht wollen. Aber wird nicht bald die Zeit kommen, in der ich mich entscheiden muss?“ Laila zuckte die Achseln. „Dieses Thema kam lange nicht mehr auf, also lass es ruhen.“ „Ja, außer dass Zurdak und Filandir ständig hier herum laufen.“ „Sie versuchen zu helfen. Besonders Filandir.“ „Dann nimm du ihn doch.“ Laila lachte. „Willkommen zurück, alte Alli.“ Widerwillig ließ sie sich von Indira ihre Haare waschen, schneiden und flechten. Dann fuhr sie Essen mit Daria und Laila. Ein mulmiges Restgefühl blieb. Sie fuhren zurück zum Haus und die Gespräche verstummten schlagartig, als sie auf die Straße einbogen, in der die Bastion lag. Alles sah normal aus. „Also wart ihr beide auch angespannt?“ „Natürlich,“ nickte Daria. Sie seufzten, als die das Haus betraten und alles in Ordnung schien. Ein normaler Abend, der erste seit etwa einem Monat.
Weitere Monate vergingen. Es ging stark auf den Frühling zu. Es regnete häufig, aber die Tage an sich wurden langsam heller. Es war Mitte März. Der Garten, in dem Nesil beerdigt lag begann zu blühen, als würde er ihn willkommen heißen. Alli versuchte sich zu entspannen. Sie hatte es gestern beim Training mit Fynn übertrieben. Sie hatte mehrere blaue Flecken und Kratzer, er hatte eine Stichwunde an Arm und Bein davon getragen. Sie trainierte für einen Ernstfall. Für den Ernstfall, dass sie ein Dämon werden würde und dass sie sich gegen ihren Mann würde wehren müssen. Es war Fynn's Idee. Sie verstanden sich nun sehr gut. Der Schwede hatte die Fähigkeit Alli aus ihrem Zimmer zu locken, ohne Magie oder gutes Zureden. Er trieb sie zur Weißglut, machte sie rasend und forderte sie heraus. Einfach so zum Spaß. Er tat ihr gut. Er lenkte sie ab. Auch wenn sich der Schmerz und die Trauer, die nachts über sie herein brachen, nicht verdecken ließ. Sie lag in ihrer Badewanne, als es klopfte und ihr Bruder herein kam. „Ähm? Auri?“ „Hi, mit dir wollte ich sprechen.“ „Ich liege in der Badewanne und das auch nackt, wie sich das gehört.“ Dreist setzte sich ihr Bruder auf den Rand. „Sag mal willst eine Kriegerin werden? Denn eigentlich sollst du eine Gebärmaschine und Friedenswahrerin sein.“ Alli knurrte ihn an. „Aurindur, verschwinde! Hat das nicht Zeit, bis ich fertig bin mit meinem Bad?“ Er schürzte die Lippen. „Aber, aber, Alli!“ Sie bespritzte ihn mit Wasser und er floh. Nachdem sie gebadet hatte, schlang sie ihre Haare zu einem hohen Zopf zusammen, zog eine schwarze Jeans und ein schwarzes Shirt, mit längeren, engen Ärmeln an und eine Fellweste von Dhiro. Bisher hatte niemand sie darauf angesprochen. Auri wollte sie nur aufziehen. Er fand es nicht gut, dass ihr Körper immer mehr Wunden davon trug. Sie war so schön. Alli hatte ihm dafür die Zunge herausgestreckt und Daria erwidert, dass Frauen mit Narben auch schön sein könnten, als plötzlich ein lautes Getöse aus dem Eingangsbereich zu hören war. Alle stürmten mit gezückten Waffen hinein in den großen Saal. Doch es war lediglich ihr Onkel, umgeben von einer Rauchwolke. „Entschuldigt. Ich bin mit einem Zauber gereist.“ Er hustete und Auri eilte zu ihm. „Der Gebieter hat eine Nachricht erhalten und ich sollte sie sofort überbringen.“ Er holte tief Luft, sah Alli strahlend an und verkündete: „Nächsten Monat wirst du die Verbindung mit Filanidr eingehen. So wünscht es der Gebieter.“

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 Alli fiel die Kinnlade herunter. Niemand freute sich sichtlich, alle bemühten sich weg zu sehen. Alle außer Seven. „Warum? Sie ist nicht mal gewandelt!“ Myrancor's Blick richtete sich unfreundlich auf ihn. „Weil der Gebieter es befiehlt. Sie wird sich wandeln. Das ist schon fast sicher. Und Filandir hat so viel für unsere Bastion getan, gerade in letzter Zeit, da findet er es angebracht, wenn wir ihm mit Frieden für immer danken.“ „Ach, so ist das, das ist fast sicher? Das sehe ich anders. Sie zeigt keinerlei Anzeichen ein Dämon zu sein. Eher im Gegenteil.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Spiel dich nicht auf. Nur weil deine Eltern mal einer der größten und mächtigsten Bastionen angehört haben,“ „Ich vertrete den Hauptmann, so lange er auf Reisen ist, Myrancor.“ Sie hatte Seven noch nie so mit Myrancor reden hören und seine silbrigen Haare und Augen glänzten gefährlich. „Und? Sie ist meine Nichte und der Gebieter bestimmt über uns alle.“ „Gibt es eine schriftliche Nachricht?“ Es war Fynn's Stimme, die die Stille durchbrach. Ihr Onkel starrte ihn böswillig an. „Wie ihr das mit euren heidnischen Gebietern regelt ist mir gleich,“ fauchte er. „Nein, Onkel. Er hat Recht.“ Alli wirbelte zu Auri herum. „Gibt es eine schriftliche Nachricht? So ein fester, wichtiger Befehl wurde doch sicher mit seinem Siegel versehen und du solltest ihn uns überbringen. Außerdem, du sagtest ER habe eine Nachricht erhalten. Von wem bekommt unser Gebieter denn neuerdings Befehle?“ Myrancor war mehr als entgeistert, auf so viel Widerwillen zu treffen. Er tobte bei den nächsten Worten. „Wenn ich euch sage, dass es sich so zugetragen hat und das der Gebieter es wünscht, dann ist das so. Stellt ihr etwa meine Autorität in Frage?“ Die Wände bebten und niemand sagte mehr ein Wort. Alli hatte es schlichtweg die Sprache verschlagen. „Ich versuche es erst gar nicht mehr, an dich zu appellieren, dass ich deine Familie bin und dass es vielleicht mehr zählen sollte, was ich will. Ich habe ja gesehen, zu was das führt.“ Mit diesen Worten drehte Alli sich herum. „Ab heute,“ rief sie laut. „Will ich nichts mehr zu essen haben, keinen Haarschnitt, keine Störung in meinem Zimmer. Fynn, wir trainieren nun acht Stunden am Tag. Laila, ich möchte, dass du dich um Lupus kümmerst.“
Schwitzend und keuchend brach Alli auf Fynn zusammen. Seine Lederrüstung schimmerte rot vor Blut, genau wie ihre. Seven beobachtete die beiden aufmerksam, während er Alli zeichnete. Er hatte sich angewöhnt, seit Myrancors Anfall, Bilder von ihr zu erstellen, wann immer er sie zu Gesicht bekam. Er wusste nicht wie viele Nachrichten er an Dhiro übermittelt hatte. Über sämtliche Wege, Feuerbotschaft, Gedanken, eine Brieftaube, SMS, Whatsapp und E-Mail. Nichts, keine Reaktion. Er hatte Mojow und Misha ausgesandt, ihn zu finden, doch seine Spur verlor sich irgendwo zwischen Schweden und Jordanien. Es war, als sei er einfach vom Erdboden verschluckt. „Weiter,“ keuchte Alli, als sie sich mit zitternden Armen hoch stemmte. Das wenige Fett, dass sie hatte, hatte sie abgenommen und ersetzt durch pure Muskeln. Manches Mal erbrach sie sich vor Anstrengung nach dem Training. Sie nahm nur Sportlerdrinks, Wasser und Kaffee zu sich. Seit etwa einer Woche hatte sie tiefe Schatten unter den Augen und ihre Lippen waren spröde. Seven wollte es ihr sagen. Ihr sagen, dass dieses Ekel von Botschafter nicht ihr Onkel war, dass es den Anschein hatte, dass sie kein Dämon war, nie einer werden würde. Er hatte gesehen, was für eine kleine Fähigkeit sie bisher entwickelt hatte. Es war nichts, im Vergleich zu dem, was ein junger Dämon in der Zeit vor seiner Wandlung entwickelte. Er seufzte und zog seine Füße ein, als Fynn's Gesicht vor im auf dem Boden landete. Alli hatte ihm einen Karatetritt verpasst. „Alli, lass gut sein, für heute.“ „Nein, morgen werde ich von hier weg müssen. Verheiratet sein mit einem Dämon, den ich nicht liebe. Und ich will, dass es ihn anwidert mich zu haben, es ihm so schwer wie möglich machen. Und bei dem Versuch ihn immer und immer wieder fort zu stoßen, sterben.“ Fynn kniete auf dem Boden, keuchend und blutend. Seven blätterte um und zeichnete genau dieses Bild. Sehr eilig mit Hilfe seiner Fähigkeit. Sie stand vor Fynn, blutend, schwer atmend, aber mit dem ernsten Blick einer Herrscherin. Als er sie nun musterte, stellte er fest, dass sie eine Kette um den Hals trug, die ihm vorher nie aufgefallen war. Abrupt stand er auf. Sie erhob das Schwert. „Darf ich?“ Er streckte langsam die Hand aus, wie bei einem scheuen Tier. Sie ließ das Schwert sinken und sah ihn mit traurigen Augen an. „Nun macht es eh keinen Unterschied mehr. Es ist alles verloren.“ Er zog an der Kette und zum Vorschein kam die Hauptmann-Kette dieser Bastion. Seven's Augen weiteten sich. „Ihr?,“ begann er, doch Fynn unterbrach ihn. „Das ist die Kette eures Hauptmanns.“ „Falsch, unseres Hauptmannes. Es ist auch deiner. Oder er war es. Wie auch immer.“ Sie seufzte und zuckte die Achseln. Dann griff sie in ihre Tasche und zog ein Armband hervor, welches silbrig strahlte. Seven nahm es in die Hand. Es war warm, als hätte sie es gerade erst ausgezogen. Er sah sich sie Runen an und erstarrte. „Oh mein Gott. Du hast bei unserem Hauptmann gelegen?“ Alli sah auf ihre Füße. Dann nickte sie. „Mehr als das ja.“ Sie griff nach einem Handtuch und wischte sich über das Gesicht. „Okay, ich bin wirklich überrascht, obwohl ich so eine Vermutung hatte, aber unser Hauptmann hatte nie eine Frau.“ Die beiden Männer sahen sie an, als sei sie eine Heilige. „Was ändert es schon? Gar nichts.“ Müde strich sie sich einige Strähnen aus dem Gesicht. „Er kommt nicht wieder. Und besonders nicht, bevor ich diesen Trottel heiraten muss.“ „Aber der Gebieter liebt Dhiro. Als wäre er sein eigenes Fleisch und Blut.“ Alli zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht.“ „Alli, ich muss dir,“ begann Seven und machte einen Schritt auf sie zu. Doch lautes Fußgetrampel und das laute Läuten der Türklingel unterbrachen ihn. Eilig liefen die drei nach oben, wobei Alli und auch Fynn es nicht für nötig hielten sich umzuziehen oder zu säubern. „Oh, toll. Die Hochzeitsgäste.“ Indira zog Alli aus der Menge in ihr Zimmer und dort warteten Myrancor und Filandir auf sie. „Wie siehst du denn aus?“ Ihr Onkel sog die Luft ein. Und Filandir's Augen weiteten sich kurz. Eilig versteckte Alli die Kette unter dem Brustpanzer ihrer Lederrüstung. „Ich habe gekämpft. Trainiert, Onkel. Ich werde von Tag zu Tag besser.“ „Nun,“ erwiderte er sichtlich verwirrt. „Ab morgen wirst du gut beschützt werden. Die Nachtkrähen haben ein eigenes System von Wachen und ein Gericht. Vor dem ja auch Kaan zum Tode verurteilt wurde.“ In Alli brodelte es vor Wut. „Ich werde mich selbst verteidigen können.“ Ihr Onkel atmete tief durch und das Lächeln, dass Filandir aufgesetzt hatte, begann zu bröckeln. „Indira? Hol dir Hilfe und badet sie die ganze Nacht. Parfümiert sie, wenn es sein muss. Morgen früh um zehn Uhr will ich meine Nichte als die schönste Braut der Welt sehen.“ Er wandte sich an Filandir. „Nach dir? Du magst doch Brandy?“ Alli warf einen Wurfstern hinter ihrem Onkel her, der ihn bewusst knapp verfehlte. „Das wird ein Nachspiel haben,“ knurrte er. „Was willst du mir schon antun? Ab morgen bin ich doch so wohl behütet.“ Er knallte die Türe hinter sich zu. Alli brach zusammen. Weinend lag sie zitternd auf dem Boden. „Dann passiert es also,“ schluchzte sie. Indira hielt sie und sagte dann: „Tut mir Leid, ich muss dich wirklich baden, ansonsten wird der Botschafter sehr böse.“ „Ich weiß, du tust nur deine Arbeit.“
Alli ließ alles über sich ergehen. Mehrmals wurde sie gebadet, mit Duftölen eingerieben, ihr wurden sämtliche Haare gezupft und die, die man nicht zupfte färbte man ihr. Auch ihr Kopf bekam nochmal eine Tönung, damit ihre Haare mehr strahlten. Sie wurde geschminkt, mit Make-Up versehen. Sogar ihre Narben von den jüngsten Kämpfen wurden weg geschminkt. Dann half man ihr in eine hautfarbene Strumpfhose, zwängte sie in ein Korsett und danach in ein bauchiges weißes Kleid. Es bestand nur aus Spitze, Perlen und Seide. Der Tüllrock war einfach pompös. Alliara fühlte sich furchtbar. Von Minute zu Minute wurde ihr übler. Sie wurde zu guter Letzt frisiert, mit Haarspray besprüht und dann wurden ihr Schuhe übergestreift. Als Indira's Helferinnen gingen, kam sie allein zu ihr zurück. Alli starrte finster ihr Spiegelbild an. Und obwohl sie so böse sie konnte schaute, sah sie einfach schön aus, wie ein Kunstwerk. Sie sah zwar nicht mehr aus, wie sie selbst, aber sie musste sagen, dass sie traumhaft aussah. Indira drehte sie zu sich herum. „Ich habe dafür gesorgt, dass das Kleid eine Tasche am Herzen hat.“ Sie zog das Korsett ein Stück nach vorne und schob die Hauptmann-Kette in ein kleines Fach über Alli's Herzen. „Ich vermisse ihn so, Indira. Es tut einfach so weh. Ich werde ihn nie wieder sehen, selbst, wenn er noch lebt. Sie werden mich heute mitnehmen und vermutlich nie wieder heraus lassen. Nie.“ „Nicht weinen, bitte.“ Alli nickte bedrückt. „Ich werde dich vermissen. Wir alle hier werden dich vermissen. Und wenn der Hauptmann zurück kommt, dann wird er durchdrehen.“
Leise Geigenmusik lief im Haus, als Auri zu ihr kam, gemeinsam mit Fynn. Beide würden sie zum Altar bringen. Aber übergeben wurde die Braut standesgemäß vom Hauptmann der jeweiligen Bastion. Doch da dieser nicht hier war, musste dies nun Seven vornehmen. Er hatte seine langen Haare zu einem Zopf gewunden und trug einen dunkelblauen Anzug. Fynn sah großartig aus, mit seinen hellblonden Haaren, den hellblauen Augen und dem schwarzen Anzug mit blauem Hemd. Die Unterlippe ihres Bruders zitterte und sie wusste, dass er mit ihr litt. Vielleicht noch viel mehr als sie. Denn sie wusste, sie würde über kurz oder lang sterben. Ab heute begann der Rest ihres Lebens oder die Flucht in den Tod. Wie man es auch immer betiteln wollte. Sie sah Filandir. Er trug einen Anzug, der ihn hübsch erscheinen ließ, doch Alli ahnte, dass das alles nur Fassade war. Er sah aus, wie ein klassischer Pianist. Sie spürte nur wage, dass sie immer langsamer wurde, je näher der Bogen aus Rosen kam. Fynn küsste ihr Hand und Auri ihre Wange. „Es tut mir so Leid, Alli.“ Ungerührt ließ sie sich an Seven übergeben. Er hielt die Augen geschlossen, während er sie führte. Plötzlich hörte Alli seine Stimme in ihrem Kopf. „Es tut mir Leid, Alliara. Hätte ich vorher gewusst, was Dhiro dir bedeutet, dann hätte ich dir vielleicht früher erzählt, dass ich weiß, dass du!“ Ein ohrenbetäubendes Geheul und Schreie unterbrachen seine Rede. Er riss die Augen auf und starrte mit glühenden Augen zum Eingang. „Zu den Waffen,“ rief er. „Wir werden angegriffen.“ Filandir packte Alli am Arm und zog sie zu sich. Ob er es tat, um sie zu schützen oder sich zu verstecken vermochte sie nicht zu sagen. Alle Gäste wurden in den Raum gedrängt. Auch Seven kam zurück. „Verdammt!“ „Was ist es?“ „Die Auslöcher. Wir sind ihnen ausgeliefert.“ „Sehr richtig,“ ertönte eine Stimme, die vor Arroganz troff. Alli sah sich nach der Stimme um. Die Menge vor ihr teilte sich. Ein Mann in einem schwarzen Achselshirt, mit muskulösen tätowierten Armen, auf denen sich deutlich die Adern abhoben stand vor ihnen. Er war schlank, groß und sah einfach nur bösartig aus. An seinem Hals prangte eine rote Tätowierung und Alli war es so, als würde sie ihn kennen. Seine kalten, schwarzen Augen passten zu seinen rabenschwarzen Haar. „Ihr seid uns ausgeliefert.“ Er zeigte um sich. Überall standen Männer und Frauen, komplett schwarz gekleidet, mit Masken und Waffen. „Aber das stimmt nicht ganz. Wir bieten euch einen Handel an. Beziehungsweise wollen wir etwas von euch und eine Bestätigung, dass die Gerüchte wahr sind.“ Er pfiff auf den Fingern und ein Mann kam nach vorne und warf etwas genau vor Alli's Füße. Es zog ihr den Boden unter den Füßen weg. Doch es war Daria, die schrie. Dhiro's Siegelring!
„Was habt ihr mit ihm gemacht?“ Ihre Stimme war ein Kreischen, als sie nun vor dem blutigen Ring mit dem Wappen der Bastion kniete. Mehrmals streckte sie die Hand aus und zog sie wieder zurück, als würde sie sich nicht trauen ihn anzufassen. „Gar nichts, wir haben ihn auseinander genommen, wieder zusammen gesetzt, ihn gefoltert, ihn geheilt, ihn dazu bringen wollen uns Informationen zu geben, aber leider war er nicht sehr kooperativ.“ „Ist er tot?“ „Nein, nur ein wenig schwächlich.“ „Ihr Bastarde,“ rief Daria und Fynn, Seven und Auri hielten sie zurück. „Danke, das war das Erste, was ich wissen sollte.“ Er schnippte mit den Fingern und drei breitschultrige Männer packten Seven, Auri und Fynn. Sie versuchten sich zu wehren, aber sie kamen nicht los. Daria weinte, die Hände in die Hände gestützt. „Holt ihn,“ zischte der Mann. „Wer bist du?“ fragte Seven, mit gepresster Stimme. „Mein Name ist Dragar. Man meint ich sei der Hölle selbst entsprungen. Ich bin das oberste Mitglied der Auslöcher.“ Er starrte unverwandt auf Daria, was Alli gar nicht gefiel. Ein anderer düster wirkender Mann mit Tattoos und Narben über Gesicht und Körper schleifte etwas zu Dragar's Füßen. Der Beutel darum wurde entfernt und man sah eine Gestalt, die zerschlagenden und gebrochen wirkte. Alli suchte nach Anzeichen für das, was sie nicht hoffte. Dann fiel ihr Blick auf die Reste einer Fellweste sowie einer Einkerbung am Ringfinger der rechten Hand. Sie schloss die Augen. Der Mann, der zu Füßen dieses Dämons lag war Dhiro. Oder das, was von dem einstigen Hauptmann der Bastion des Blutaugenmondes übrig war. Man hatte ihm den Schädel rasiert oder den Narben nach zu urteilen skalpiert. Er besaß keinen Fingernagel mehr, kaum noch gesund wirkende Haut. Er stank penetrant nach metallischem Blut und Schweiß. „Nein, oh Gott, Dhiro.“ Als Daria sich erhob, um zu ihm zu stürzen, packten sie zwei Männer, die wie aus dem Nichts erschienen und Dragar presste ein Messer aus Kupfer gegen ihre Kehle. Kupfer, dachte Alli, wie ungewöhnlich. „Daria,“ schrie nun Laila. Alle standen da, wir gebannt. „So und nun sagt mir, was sie ist. Ist sie so außergewöhnlich, wie man munkelt?“ Alli sah sich zweifelnd um. Niemand antwortete. Was sollte an Daria außergewöhnlich sein? „Keine Antwort?“ Er wartete nochmal kurz ab, bis er sagte. „Gut, dann werden wir ihr nun einen Finger abschneiden, bis ich eine Antwort habe oder sie keine Finger mehr.“ Er hielt die zappelnde Daria mühelos fest. Dhiro versuchte sich herum zu drehen, um zu sehen, was vor sich ging, doch er brach immer wieder zusammen, zu schwach, auch nur den Kopf zu heben. Dragar hatte eine Zange an Daria's Finger gelegt. Jetzt reicht es, dachte Alli. Und plötzlich durchfuhr sie die Erkenntnis. Seven, der nun zwei mal versuchte ihr zu sagen, was sie war. Ihre Vermutung, dass sie kein Dämon werden würde. Es machte auf einmal alles Sinn. Der vermeintliche Geist, der Frau, die an der Decke ihres Zimmers aufgetaucht war, dass ihr Blut Mila verletzt hatte. Sie war der Schlüssel und sie war kein Dämon und würde nie einer werden. Entschlossen machte sie einen Schritt nach vorne.

22

 

„Halt!“ Dragar hielt in der Tat inne. Alli's Stimme hallte laut von den Wänden wieder. Es war nun totenstill, bis Fynn flüsterte: „Was zum Teufel tust du da?“ Sie wusste, dass sie nun auf sich gestellt war, komplett unbewaffnet und schutzlos. Aber wenn sie Dhiro dadurch retten konnte, dann würde sie es tun. Seine blauen Augen richteten sich zittrig auf sie. Er schien durch ihr Band etwas zu spüren. Sie sandte ihm Kraft oder sagte sich das zumindest, dass sie das tun wollte. „Bitte, ich töte keine Bräute,“ sagte Dragar säuerlich. „Ich will nur die Friedenswahrerin.“ Der Raum hielt die Luft an. Ihr Onkel flüsterte zwar: „Nein,“ rührte sich aber nicht. „Das ist schön und gut, aber das ist nicht sie.“ Verdattert sah er sie an. Das Messer an ihrer Kehle hinterließ einen Kratzer. Er schüttelte lachend den Kopf. „Netter Versuch. Ich wäre beinah darauf herein gefallen.“ „Nicht, Alli,“ flüsterte Daria. „Halt die Klappe, du Monster.“ Alli hob die Augenbrauen. „Monster? Das ist aber nicht nett.“ „Langsam nervst du mich, Braut wider Willen.“ Sie schnaubte. „Wider Willen ist gut. Nah dran.“ „Alliara, bitte.“ Es war die Stimme ihres Onkel. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Dragar fragte nochmals: „Also ist sie so außergewöhnlich?“ „Nein,“ antwortete Alli und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte keine Angst. Er starrte sie an. Wage konnte sie Pupillen in seinen düsteren Augen erkennen. „Süße, wenn du nichts weiter zu sagen hast, dann verschwinde, bevor ich deinem Kleid einen neuen Anstrich verpasse.“ Als er zudrücken wollte und Daria quietschte vor Schmerz, sagte Alli: „Sie ist ein Dämon, so wie du. Nicht mehr. Sie ist die Schwester vom Hauptmann. Sieh genau hin.“ Dhiro zitterte vor Anstrengung, weil er sich aufsetzen wollte. Seine blauen Augen weiteten sich, als er Alli erblickte. Dragar sah in Daria's von Tränen verschmiertes Gesicht und dann in das von Dhiro. „Mist, die Schlampe hat Recht.“ Er schubste Daria auf die Beine, dann jedoch überlegte er es sich grinsend anders. „Gut, dann machen wir es anders. Übergebt mit das Mädchen, dessen Blut in den Adern dieses Bastards fließt!“ „Gütiger Gott,“ hörte sie Myrancor seufzen. Er ritzte Daria's Hals auf und sie winselte leise, die Augen fest zusammen gepresst, dann holte er plötzlich aus. Alli warf ihre Hand dazwischen. Blut rann an ihrem Arm entlang und sie holte tief Luft, wegen des stechenden Schmerzes. Es brannte, aber nur eine Winzigkeit mehr, als eine normale Wunde. „Du,“ knurrte er. Er packte sie am Arm und sein Blick richtete sich auf die Kette, die an Alli's Hand baumelte. Dann starrten seine Schlangenaugen sie direkt an. „Brennt es sehr, Kleines?“ Sie spuckte ihm ins Gesicht. Zischend ließ er sie fallen und sie riss Dhiro mit sich. Zurück in die Mitte der Ihren. „Alli, bist du verrückt geworden?“ Dragar begann Verse auf Latein immer wieder zu wiederholen. Die Luft wurde heiß, ein Sturm zog auf. „Dhiro,“ flüsterte sie. „Ich dachte, du wärst tot.“ „Beinah, Alliara.“ Er sah sie an. „Du siehst toll aus.“ „Halt den Mund.“ Sie presste ihr Handgelenk, dass ohnehin blutete auf seinen Mund und er trank. Gierig, wie ein Verdurstender. Plötzlich begann der Boden zu beben, Deckenplatten rieselten herunter. Ein riesiger Hund, mit ledriger Haut erschien vor Dragar, der aufgehört hatte zu reden. Er breitete ebenso ledrige Flügel aus und kreischte laut und hoch. Dhiro ließ von ihr ab. Seine Augen glühten. Er hatte Fieber, überall Wunden, war abgemagert. Es brach ihr das Herz und die ganze Zeit über hatte er nichts verraten. „Sie haben mein Blut getestet. Dann haben sie herausgefunden, dass ich von diesem mysteriösen Wesen, dass sie suchen getrunken habe.“ „Was bin ich? Wer bin ich?“ Er schüttelte den Kopf. „Die Frau, die ich liebe.“ Alli küsste seine schmutzige Stirn und erhob sich. „Was hast du vor?“ Alli drehte sich herum. Blut troff von ihrer Hand. Ihr Kleid war schmutzig und zerrissen. Ihr Gesicht war ernst, und schmutzig. „Kämpfen!“
Eilig riss sie weitere Stücke ihre Kleides ab und schmiss die Schuhe von den Füßen. Sie spürte Fynn neben sich, der ihr ein Schwert und einige Wurfsterne in die Hand drückte. „Bleib zurück,“ sagte sie. „Ich bitte dich. Wir kämpfen immer zusammen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht dein Kampf.“ Sie rammte einen Wurfstern in seinen Fuß und nutze seinen Aufschrei, als den Moment, in dem sie auf den Höllenhund zusprang. Instinktiv wusste sie, was er war und wie er zu töten war. „Greif an!“ Das Tier kreischte und rannte trampelnd auf Alli zu. Ein Dolch schoss an Alli vorbei und traf den Höllenhund mitten ins Gesicht. Wieder kreischte es und änderte seine Richtung. Auf Fynn zu und die anderen, schoss es ihr durch den Kopf. „Nein,“ rief sie und ließ ein Stück Decke auf den Kopf des Höllenhundes fallen. Obwohl sie keinerlei Ahnung hatte, wie sie es tat. Dhiro starrte sie an. Der Höllenhund drehte sich zu ihr herum und sie rannte los, auf ihn zu. In großen Sprüngen setzte auch er auf sie zu. Kurz bevor er sie erreichte, rutschte sie unter ihm durch und schnitt ihm mit dem Schwert in ihren Händen in das Bein zu ihrer Rechten. Das Wesen jaulte auf und donnerte auf der Seite zu Boden. Alli kletterte auf den Rücken des Höllenhundes und sagte: „Mehr hast du nicht zu bieten?“ Dragar grinste. Er materialisierte sich neben ihr und rammte ihr ein Kupfermesser in den Bauch. Alli hustete, sah ihn kühl an und rammte seinerseits ihr Schwert in den Kopf des Höllenhundes und einen Wurfstern in seinen Bauch. Sie zog ihre blutverschmierte Hand heraus und landete unsanft auf dem Boden, als sich der Höllenhund in Luft auflöste. Plötzlich ragte Dragar über ihr auf. „Du hast keine Ahnung, wen du vor dir hast.“ „Nein,“ hörte sie plötzlich eine Frauenstimme. „Aber ich.“ „Euphoria?“ Dragar hatte sichtlich Angst. Dhiro war urplötzlich bei ihr. Ihr war so heiß, sie verglühte innerlich. Über Dhiro's Gesicht rannen Tränen. „Alliara, bitte, sieh mich an. Bleib bei mir.“ „Ich werde euch alle vernichten,“ rief die Frauenstimme. „Wer Hand an eines meiner Kinder legt, wird noch im Reich des Todes, ob Himmel oder Hölle dafür bezahlen. Ihr habt die Wahl. Verschwindet sofort oder ihr werdet qualvoll sterben und noch im Tod Qualen leiden.“ Alli hörte, dass viele Füße sich bewegten. Sie hörte Dragar husten. „Ich komme wieder,“ knurrte er. Dann blitzte er auf und verschwand. „Alliara, meine Liebe. So lange haben wir dich gesucht. Man hat dich uns immer wieder genommen.“ Dhiro knurrte. „Schweig, du Bastard. Du weißt selbst, was für eine Mischung du bist. Und wenn es dabei bleiben soll, dass nur du es weißt, dann schweig.“ Sie seufzte. „Es gibt nur einen Weg, du musst mit uns kommen und sie müssen vergessen. Ansonsten wirst du sterben und sie alle in Gefahr bringen.“ „Aber, ich liebe ihn.“ Alli hustete. „Und wer bist du überhaupt?“ „Ich bin Euphoria. Deine Mutter. Ich bin ein Engelsmensch. Und ich muss dich mitnehmen, in unser Reich. Ansonsten wirst du dich von dieser Verletzung nicht mehr erholen.“ „Wir können sie heilen, sie bleibt bei uns,“ rief Auri. „Sie ist meine Schwester, sie können sie nicht mitnehmen.“ „Hast du mir zugehört, Aurindur? Sie ist meine Tochter, aber du nicht mein Sohn. Ich würde ja sagen, du sollst deinen Onkel fragen, aber wir werden keine Wahl haben, eure Gedächtnisse zu verändern.“ „Nein, bitte, ich will bei ihm bleiben. Wenn du meine Mutter bist,“ Doch Alli konnte den Satz nicht beenden, dass Feuer in ihren Adern ließ sie schreien. „Ich muss mich beeilen, es verbrennt sie.“ „Warte.“ Es war Dhiro's Stimme. Sie holte Alli für einen Augenblick zurück ins hier und jetzt. „Vergiss nicht, Alliara. Für jetzt und für ewig. Ich werde immer, immer an dich denken. Ich liebe dich. DU bist mein Licht.“ „Ich liebe dich, Dhiro, ich werde alles tun, was ich kann, um zu dir zurück zu kommen. Vergiss mich bitte nicht. Ich liebe dich wirklich, über alles.“ Eurphoria murmelte und sie begann weißes Licht auszustrahlen. Alli spürte, wie sie den Halt auf dem Boden verlor. Dhiro blinzelte gegen das helle Licht an. Tränen standen in seinen Augen. Seine geschundene Haut wirkte dünn, fasrig und doch war sie das Einzige, was sie berühren wollte. Dhiro sah, wie Alli die Hand hob und nochmals die Worte „Ich liebe dich“, formte und dann war alles verschwunden. Er wandte sich um und ein weiterer gellender Lichtblitz ließ ihn zu Boden fallen. Dann umfing ihn Dunkelheit.

 

Ende Die Friedenswahrerin

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Tag der Veröffentlichung: 07.03.2016

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