Cover

Leseprobe

 

Der Fluch des roten Dogen erscheint bei erscheint bei Earl Warren, 63533 Mainhausen

 

www.earl-warren.de

 

© Copyright 2013 aller Textbeiträge by Earl Warren

 

Cover © Copyright Nejron Photo – Fotolia.com

E-Book-Erstellung: story2go

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Autor gestattet.

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

 

 

EARL WARREN

Der Fluch des roten Dogen

 

Romantic Thriller

 

 

 

1. Kapitel

 

Der Petersplatz träumte im Dunkel der Nacht. Das Mondlicht und der Widerschein der Lichtglocke über Rom schimmerte auf der Kuppel des Petersdoms. Von den Kolonnaden des riesigen Platzes hallten die Schritte der wachhabenden Schweizer Gardisten herüber. Um diese Zeit hatten Touristen und Unbefugte auf dem Petersplatz nichts mehr zu suchen.

Gianetta war trotzdem hergeschlichen, um ihren Geliebten zu treffen und endlich das Rätsel zu lösen, das sein und ihr Leben verdüsterte. Sie ging zu dem Obelisken in der Mitte des Platzes. Seine Spitze schien, als Gianetta direkt davorstand, die Sterne berühren zu wollen.

»Ist da jemand?«

Die junge Frau glaubte, ein Geräusch gehört zu haben. Es wiederholte sich nicht. Sie erhielt auch keine Antwort.

»Pietro?«, fragte sie.

Da trat eine Gestalt im roten Mantel hinter dem Sockel des Obelisken hervor. Gianetta wollte das Herz stehenbleiben, als sie in das fratzenhafte, zernarbte Gesicht schaute. Der Unheimliche näherte sich ihr mit lautlosen, schnellen Schritten.

Die junge Frau brachte kein Wort hervor.

»Du hast nicht geglaubt, dass es mich wirklich gibt,« zischte der Unheimliche. »Du hieltest mich für eine Ausgeburt von Pietros Martinellis überhitzter Phantasie, für etwas, das ihm einsuggeriert worden war. Doch ich lebe. Du sollst meine Pläne nicht länger stören.«

Entsetzt sah Gianetta, wie der Pockennarbige einen blitzenden Dolch unter seinem Radmantel hervorholte. Die dunkelhaarige junge Frau wich zurück. Sie stolperte über eine zum Sockel des Obelisken hinaufführende Stufe.

Der Unheimliche mit dem Narbengesicht sprang vor. Gianetta spürte den grässlichen Schmerz, als ihr der Dolch in die Brust drang. Sie schrie einmal kurz auf. Warm lief ihr das Blut über den Körper. Der Zeitablauf verlangsamte sie für sie. Eine kalte Hand im Lederhandschuh presste sich auf ihren Mund. Abermals holte der Mörder im roten Mantel mit seinem Dolch aus.

Gianetta wusste mit Sicherheit, dass sie sterben musste.

Das ist also der Tod, dachte sie. Nie hätte die geglaubt, innerhalb weniger Momente so viel denken und noch einmal vor ihrem geistigen Augen vorbeiziehen sehen zu können. An jeden trat der Tod anders heran – als Würgeengel oder als Erlöser, als Freund oder als grimmiger, böser Geist. Für Gianetta hatte er eine Fratze mit Pockennarben und trug einen roten Radmantel.

Die junge Frau hatte mal gelesen, im Sterben würde ein Mensch nochmals sein ganzes Leben durchlaufen, von der Geburt bis zum Augenblick seines Todes. Sie hatte das nicht glauben wollen. Doch jetzt erinnerte sie sich und erlebte noch einmal, was sie in jene Situation gebracht hatte, in der ein monströses Wesen, das nicht hätte existieren dürfen, sie erstach und ermordete.

Gianetta erlebte nicht ihre Geburt oder Kindheit. Für sie setzte das Nacherleben in jener Nacht vor wenigen Wochen ein, in der sie ein Erlebnis gehabt hatte, das ihr gesamtes Leben veränderte. In der sie zum ersten Mal Pietro Martinelli begegnet war und von Carpio Annavale gehört hatte, dem Gespenst, das ihr jetzt den Dolch in die Brust grub.

 

*

Es war eine laue Sommernacht. Gianetta Carlino schlenderte über die Piazza di Spagna zur Spanischen Treppe, die sich in prachtvollem Bogen hinauf zur Kirche der Heiligen Dreieinigkeit spannte. Von den malerischen Blumenständen am Fuß der Spanischen Treppe hatten nur noch wenige geöffnet.

Blauschwarz, mit zahllosen Sternen, spannte sich der Nachthimmel über der Ewigen Stadt Rom. Obwohl es schon auf Mitternacht zuging, herrschte noch reger Betrieb auf den Straßen im Zentrum und in den Lokalen. Die Luft war wie Sekt.

Gianetta hörte die anerkennenden Pfiffe einiger Hippies, die sich auf sie bezogen. Sie übersah diese Burschen, die auf den Stufen der Scala di Spagna saßen.

Dann fiel ihr ein junger Mann auf, der mitten auf der Treppe stand. Er war groß – Einsfünfundachtzig –, gut gekleidet, jedoch nicht zu schrill und modisch, und hatte ein blasses Gesicht und lange, dunkle Locken. Sie verliehen ihm etwas Melancholisches.

Er bewegte sich wie ein Traumwandler und schien die zahlreichen Passanten, darunter viele Touristen, überhaupt nicht wahrzunehmen.

Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht. Der Schweiß brach ihm aus – Gianetta sah es im Lampenschein deutlich. Er fing am ganzen Körper heftig zu zittern an.

»Da ist er,« keuchte er. »Der blatternarbige Tod, der schreckliche Rächer aus den Bleikammern von Venedig. Er will mich ermorden.«

Der gutaussehende junge Mann fuchtelte mit den Armen, wie um einen unsichtbaren Gegner abzuwehren.

»Weg!» schrie er. »Lass mich in Frieden, Carpio Annavale! Ich habe dir nichts getan.«

Passanten und auf der Treppe Herumlungernde wurden aufmerksam. Teils belustigt, teils erstaunt oder erschreckt verfolgten sie die Gebärden des jungen Mannes. Gianetta war die einzige, die zu ihm hineilte.

Sie fasste den Mann, der kaum noch bei Sinnen schien, am Arm.

»Was haben Sie denn?«, fragte sie ihn. »Ist Ihnen nicht gut? Wer bedroht Sie denn?«

Der junge Mann schluchzte vor Entsetzen. Noch nie hatte Gianetta in den vierundzwanzig Jahren ihres jungen Lebens so viel Angst im Gesicht eines Menschen gesehen. Der Jüngling packte sie bei den Schultern. Seine Hände schlossen sich wie ein Schraubstock.

Gianetta unterdrückte einen Schmerzensschrei.

»Sehen Sie Carpio Annavale nicht, den Rächer im roten Mantel?«, fragte er. »Da schleicht er heran, den Dolch im Gewand. Er will mich durchbohren. Aber was kann ich denn für das Unrecht, das ihm angetan wurde? Der Doge ließ ihn in die Bleikammern sperren. Es ist Jahrhunderte her. – Ich bin unschuldig! Ich will noch nicht sterben! Ich will nicht!»

Gianettas Gegenüber – er konnte etwas jünger sein als sie – brach fast zusammen. Die Zuschauer der Szene reagierten wieder verschieden. Inzwischen hatten sich Neugierige ober- und unterhalb von Gianetta und dem verstörten jungen Mann auf der Treppe angesammelt. Manche meinten, man solle die Polizei holen. Andere wieder tippten sich an die Stirn, lachten und spotteten, der junge Mann hätte wohl einen LSD-Rausch.

Gianetta war an sich niemand, der Szenen provozierte. Sie blieb lieber im Hintergrund. Süchtigen oder Geisteskranken ging sie aus dem Weg. Doch etwas an dem jungen Mann rührte die Referendarin an einer römischen Mittelschule. Sie hatte den Eindruck, dass der junge Mann vor ihr komplett hilflos sei.

Wenn sie ihn jetzt von sich stieß, würde er seinen Verstand verlieren oder zusammenbrechen. Dann konnte nichts Gutes mit ihm geschehen. Er würde in einer Nervenklinik landen, oder ihm würde noch Schlimmeres widerfahren.

Gianetta sprach beruhigend auf ihn.

»Niemand bedroht sie. Da ist keiner. Wirklich, beruhigen Sie sich doch. Nehmen Sie sich zusammen.«

Das Zittern ihres Gegenübers war für die junge Frau deutlich zu spüren. Der verstörte Mann schaute sich um. Tränen glitzerten in seinen Augen.

»Er weicht zurück. Er droht mir, doch er geht in den Schatten, aus dem er hervorschlich. Heute Nacht verschont mich Carpio Annavale noch einmal, weil Sie bei mir sind. Doch bald wird mich mein Schicksal ereilen.«

Der Mann entspannte sich ein wenig. Der stählerne Griff an Gianettas Schultern lockerte sich. Die bildschöne junge Frau war gertenschlank, zierlich und hatte große dunkle Augen sowie lange dunkle Locken. Das schicke, weiß und blau gepunktete Sommerkleid mit dem großen Gürtel betonte ihre Figur. Die Umhängetasche rutschte ihr von der Schulter, als sie die Hände ihres Gegenübers abstreifte..

»Geht es jetzt wieder?«, fragte sie ihn freundlich, ohne sich um die teils feixenden, teils verständnislosen Zuschauer zu kümmern.

Der blasse Mann nickte.

»Ja, schon. Bitte entschuldigen Sie. Ich... Sie würden es nicht verstehen, wenn ich es Ihnen erklärte. Ich bin nicht verrückt. Ich nehme auch keine Drogen.«

»Niemand hat das behauptet,« erwiderte Gianetta freundlich. »Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein?«

»Bitte, lassen Sie mich nicht allein. Gehen Sie ein Stück mit mir. Lassen Sie uns irgendwo einen Capuccino trinken, ein Glas Wein, irgendwas. Ich muss mit jemandem reden, sonst verliere ich komplett den Verstand.«

Gianetta ließ sich erweichen. Sie forderte den blassen, verstörten Mann auf, sich bei ihr einzuhängen. An den Zuschauern vorbei gingen sie hoch zur der Kirche Trinità dei Monti und wandten sich zur Piazza Barberini. Hier gab es jede Menge Lokale. Die beiden jungen Leute setzten sich in ein Straßencafé an der Via del Tritone.

Wer sie sah, hätte nicht geglaubt, dass der junge Mann unter enormem psychischem Stress stand und die Frau ihn gerade unter höchst merkwürdigen Umständen kennengelernt hatte. Gianetta bestellte einen Traubensaft für sich und für ihren Begleiter einen Grappa. Der starke Tresterschnaps sollte seine aufgeputschten Nerven beruhigen, eine Rosskur zwar, aber Gianetta stammte von Land, aus einem Dorf in Apulien.

Obwohl sie es schon lange verlassen hatte, hatte sie sich eine gewissen Bodenständigkeit und den praktischen Sinn für Hausmittel bewahrt. Der blasse junge Mann orderte zudem einem Café leche, also mit viel Milch.

»Wegen der Nerven,« sagte er, als die Kellnerin wegging. »Damit liegt es bei mir im Argen.«

Gianetta lächelte. Sie stellte keine Fragen. Ihr Gegenüber würde sich von selbst erklären. Sie merkte, dass er eine Aussprache wollte.

Auf der Via del Tritone rollte der Verkehr fast wie zur Mittagszeit. Gianetta nahm den Lärm und die Abgase hin. Der Blick ihres Gegenübers flackerte jedoch.

»Wollen wir woanders hingehen?«, fragte die hübsche Lehrerin.

»Nein.«

Als die Kellnerin die Getränke brachte, kippte der blasse Mann den Schnaps hinunter. Seine Hand zitterte. Er schaute sich um, als ob er abermals ein Auftauchen seines Gespensts erwartete, das anscheinend nur er sehen konnte – jenes Carpio Annavale.

»Wofür halten Sie mich?«, fragte der blasse Mann die Lehrerin.

»Für jemanden, der Probleme hat.«

»Für einen Irren?«

»Wenn es so wäre, würde nicht mit Ihnen gegangen sein. Wie heißen Sie eigentlich?«

»Verzeihung, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Pietro Martinelli. Ich wohne hier in Rom im Palazzo Umbertini in der Lungotevere Farnesina.« Das war auf der anderen Seite des Tiber an einer Uferstraße. »Ich bin 22 Jahre alt und war Student der Rechte.«

»Ein Jurist also. Ich bin Pädagogin, zurzeit als Referendarin im praktischen Jahr tätig.« Gianetta nannte die Schule nicht, an der sie zu unterrichten hatte, ehe sie ihr Staatsexamen ablegen konnte. Sie nannte jedoch ihren Namen. »Weshalb haben Sie mit dem Studium ausgesetzt? Oder haben Sie es ganz abgebrochen?«

»Ja. Weshalb wohl? Es ist wegen Annavale.«

»Sie fühlen sich verfolgt. Haben Sie diese Zustände öfter?«

»Seit dem Tod meiner Eltern, die ihm zum Opfer fielen. Dem Geist der Rache.«

»Woher kennen Sie seinen Namen, Signor Martinelli? Hat er sich Ihnen vorgestellt?«

Die freundliche, verständnisvolle Art, in der Gianetta die Frage stellte, ließ sie nicht als Spott erscheinen. Pietro Martinelli schaute sich um, bevor er antwortete, als ob er fürchtete, das Gespräch könne seinen unheimlichen Verfolger herbeiholen.

»Er verfolgt mich im Traum und im Wachen,« antwortete Martinelli. »Er setzt mir fürchterlich zu. Falle ich Ihnen wirklich nicht lästig, und halten Sie mich tatsächlich nicht für verrückt?«

»Sprechen Sie sich nur ruhig aus, Signor Martinelli.« Gianetta legte die Hand auf die Rechte des Mannes und berührte sie kurz. »Mir können Sie vertrauen. Auf mich machen Sie keinen gefährlichen Eindruck. Reden Sie sich alles von der Seele, was Sie bedrückt.« Gianetta wollte seine Geschichte hören. Sie hätte sonst keine Ruhe mehr gefunden. Sie musste wissen, was es mit Pietro Martinelli und seinem Verfolgungswahn, wie sie es der Einfachheit halber nannte, auf sich hatte. Dass sie ihm versichert hatte, sie halte ihn nicht für einen Irren, war nur teilweise deshalb geschehen, um ihn nicht zu reizen.

Der andere Teil erklärte sich daraus, dass Gianetta über ein feines Gespür für Situationen und Menschen verfügte. Martinelli hatte für sie keine bedrohliche, zerrüttete Ausstrahlung, wie sie bei einem gefährlichen Irren hätte vorhanden sein müssen. Bei Gianetta mischten sich Mitleid und Neugierde zu einer Faszination, zu der Pietro Martinellis Aussehen beitrug.

Seine düstere, melancholische Schönheit zog die Lehrerin an. Er war für sie der verwunschene Prinz, den böse Mächte bedrohten und der tragisch verstrickt war. Mitunter war Gianetta eine Träumerin und romantisch veranlagt. Sie erfasste Dinge, die andere nicht sahen, und mochte nicht nur skeptisch und nüchtern durchs Leben gehen.

Pietro Martinelli lächelte sie ungläubig an. Seine Augen strahlten. Impulsiv ergriff er Gianettas Hand, hob sie an die Lippen und küsste sie.

»Sie machen mich überglücklich. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Vielleicht gibt es doch noch eine Rettung für mich. Aber nein, ich kann es nicht glauben. Die Geister sind zu stark. Carpio Annavale – die Stimmen, die Träume. Die düsteren Schatten, die sich auf meine Seele legen und sie ersticken. – Kennen Sie Poes Gedicht The Raven – Der Rabe? Es endet mit dem Refrain: Und aus diesen schweren Schatten hebt sich meine Seele nimmer. – So ergeht es auch mir. Ich bin ein Verdammter und von einem grausamen Schicksal heimgesucht. Dabei trifft mich im normalen Sinn überhaupt keine Schuld, ebenso wenig wie meine Eltern, die vor mir dahinscheiden mussten, von dem Rächer getötet.«

»Was hat es mit Carpio Annavale auf sich?«, fragte Gianetta, aufs Äußerste gespannt. »Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter.«

Pietro fasste sich an die Stirn. Seine Miene verkrampfte sich. Es war, als ob er einen starken inneren Widerstand überwinden wolle.

»Ich – kann es nicht sagen. Etwas lähmt mir die Zunge.«

»Sie haben vorhin von einem Dogen gesprochen, von den Bleikammern von Venedig, in die jemand eingesperrt worden sei. – Carpio Annavale?«

Pietro stöhnte auf.

»Bitte, dringen Sie nicht weiter in mich. Mein Kopf schmerzt zum Zerspringen. Lassen Sie uns von einem anderen Thema sprechen.«

Pietro tat Gianetta leid. Sie lächelte ihn an.

»Na gut, wenn es Ihnen hilft. Was treiben Sie denn tagsüber so, wenn Sie mit Ihrem Studium aussetzen?«

»Ich werde es nie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Der Fluch des roten Dogen erscheint bei erscheint bei Earl Warren, 63533 Mainhausen www.earl-warren.de © Copyright 2013 aller Textbeiträge by Earl Warren
Bildmaterialien: Cover © Copyright Nejron Photo – Fotolia.com E-Book-Erstellung: story2go
Lektorat: Walter Appel
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2825-4

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /