Cover

Prolog

~VOR 17 JAHREN~

 

Das Spieleschloss hatten wir jetzt schon ein ganzes Jahr lang nicht mehr besucht. Es war mein Lieblingsort, weil es dort so viele schöne Sachen zum Spielen gab. Am liebsten spielte ich im Bällebad, aber auch der dunkle Tunnel zum Durchkrabbeln war nicht schlecht. Das einzige, was hier störte war mein sechsjähriger Bruder, der glaubte, er wäre der Tollste.     

Ich hatte gerade mit Mühe einen Turm aus Bauklötzen gebaut, da kam er angerannt und fuhr ihn mit seinem blöden Auto einfach um! War das zu fassen? Das war mit voller Absicht! »Maxwell! Das sag ich Mama und Papa!« Er nahm einen Bauklotz vom Boden und warf ihn mir an den Kopf. »Das hast du davon, wenn du mich Maxwell nennst.« »Ich werde dich für den Rest meines Lebens so nennen. Ganz einfach, weil du es nicht anders verdient hast!«     

Plötzlich tauchte ein blondes Mädchen auf, das ungefähr in unserem Alter sein musste und riss Max sein Auto aus der Hand. Er hatte es gar nicht gemerkt, da er mit dem Rücken zu ihr gestanden hatte. Erst als er es nicht mehr in seinen Händen hielt, drehte er sich um. »Ey, das ist mein Auto!« »Tja, Pech. Jetzt ist es meins.« Okay, ich beneidete das Mädchen. Ich hätte mich das nämlich nicht getraut. Max wurde jetzt ziemlich wütend, wusste aber nicht recht, was er in so einer Situation machen sollte. Er kannte das Mädchen immerhin nicht. Wäre ich das gewesen, hätte er es mir eiskalt aus der Hand gerissen. Jetzt stapfte er einfach nur wütend davon und würdigte uns keines Blickes mehr. »Was für ein Vollidiot«, sagte das blonde Mädchen und sprach mir regelrecht aus der Seele.     

»Wem sagst du das? Halte es mal Rund um die Uhr unter einem Dach mit ihm aus.« »Was? Das wäre ja die Hölle. Ist das etwa dein Bruder?« Ich verdrehte die Augen. »Ja, leider.« »Du arme! Manchmal bin ich echt froh, dass sich meine Eltern für eine Schwester entschieden haben.« »Och, ich will auch eine Schwester haben!«     

Ich grinste sie an. Wir verstanden uns auf Anhieb gut. Ich traf sonst nie Mädchen in meinen Alter, nur meine Cousinen, die allerdings auch schon acht Jahre und somit doppelt so alt wie ich waren. »Ich bin Alea und du?« »Justine. Kommt ihr oft hierher?« »Nein, leider nicht. Schon ein ganzes Jahr sind wir nicht mehr hergekommen.«     

»Schade. Ich würde nämlich gerne öfter mit dir spielen. Außerdem brauchst du mich doch, wenn dir dein Bruder wieder Probleme bereitet. Du weißt doch… Girls-Power! Zusammen sind wir stark!« Oh ja, ich würde Justine so gerne wieder sehen wollen. »Wir können ja mal unsere Eltern fragen. Wenn die sich sagen, wo ihr wohnt, können wir uns ja so mal besuchen kommen.«     

»Das ist eine gute Idee«, meinte auch Justine. »Aber was ist denn jetzt mit deinem Bruder? Wir können ihn doch nicht einfach ungestraft davonkommen lassen. Immerhin hat er dich mit Bauklötzen abgeworfen und meine Mama sagt immer, dass man das auf keinen Fall darf, weil das gefährlich enden könnte.« »Du meinst, wir denken uns einen Plan aus, um uns zu rächen?«, fragte ich und grinste über beide Ohren. Die Idee gefiel mir… sehr sogar.

~~~~~~~~~~

Justine und ich hatten es uns auf der Wiese, die sich bei unserem Schloss befand, gemütlich gemacht. »Was machst du da?«, fragte ich sie neugierig.     

»Ich mache uns Freundschaftsarmbänder aus Gänseblümchen.« »Aber Justine, dieses Armband wird nicht ewig halten.« »Stimmt… tragen können wir es jetzt nicht ständig. Aber weißt du was? So ist es mit Freundschaft ja vielleicht auch. Auch wenn man sie nicht rund um die Uhr sehen kann, so weiß man doch, dass sie da ist. Alea, wir werden also ewig beste Freunde bleiben, selbst wenn wir uns irgendwann auseinander leben sollten.«     

»Wir bleiben beste Freunde. Und wir werden uns auch nicht auseinander leben. Das weiß ich genau.« »Ich doch auch. Siehst du? Wir brauchen kein Armband, das ewig hält. Wir wissen auch so, dass wir immer Freundinnen bleiben werden.«     

Ich lächelte. Das hörte sich schon viel besser an. »Ich hoffe, dass ich bald meine Fähigkeiten entdecken werde«, murmelte ich vor mich hin. Sie lachte. »Darüber machst du dir jetzt schon Gedanken? Wir sind doch noch nicht mal auf dieser Schule.« »Mein Bruder kann auch schon ein paar Dinge und der geht auch noch nicht zur Schule.« Justine verdrehte die Augen. »Die Fähigkeiten hatten wohl Mitleid. Von wegen: Der wird eh nichts mehr aus sich machen. Der hat sein arrogantes Ego schon vollkommen entwickelt.«     

Ich musste lachen. Justine verstand mich einfach. »Weißt du was? Ich denke, einen Teil meiner Fähigkeiten werde ich wegen dir kriegen.« Lachend drückte sie mich kurz an sich. »Awww, du bist süß. Ich meine bestimmt auch wegen dir.«

Kapitel 1

 

~VOR 6 JAHREN~

 

»Alea, jetzt steh endlich auf!« Meine Mutter weckte mich jetzt bestimmt schon zum hundertfünfzigsten Mal. Das lag daran, dass ich am liebsten einfach weiter schlafen wollte. Denn heute war kein gewöhnlicher Tag, leider. Nein, heute sollte ich zum ersten Mal auf diese blöde Schule gehen, die Max bereits seit zwei Jahren besuchte, um meine Fähigkeiten zu erweitern.

Das, was meine Laune ein kleines bisschen heben konnte, war, dass es auch der erste Schultag von Justine und ihrem Cousin Jayden war. Wir drei verstanden uns echt gut, was bedeuten würde, dass ich zumindest schon mal nicht ganz alleine dastand. Ich konnte froh sein, dass ich zumindest schon ein paar Dinge mit Magie hinbekam. Sonst würde ich mich sicherlich total blamieren… und das machte mir am meisten Angst.

»Alea! Wenn du jetzt nicht aufstehst, muss ich zu härteren Maßnahmen greifen.« Oh nein. Ich wusste ganz genau, was meine Mum damit meinte – Dana, meine kleine Schwester. Mit ihren fünf Jahren konnte sie einen ab und zu echt in den Wahnsinn treiben. Sie würde sicherlich nicht zögern, um mich mit einem Eimer kalten Wasser aus dem Bett zu bekommen.

Aber immerhin ist sie erträglicher als Max es in seinem Alter war. Nicht, dass er jetzt erträglich wäre. Aber er ist inzwischen siebzehn Jahre, weshalb sich seine Ich-nerve-Alea-Phase in eine Ich-ignoriere-Alea-Phase gewandelt hatte. Wahrscheinlich fühlte er sich einfach zu cool, um sich mit seiner kleinen Schwester abzugeben. Okay, ich musste zugeben, dass ich vielleicht etwas übertrieb. Er hatte auch mal Momente, wo er nicht ganz so ätzend war. Vielleicht an Weihnachten…

Um also eine Dana-Attacke zu vermeiden, sprang ich aus dem Bett und machte mich auf den Weg Richtung Bad. Duschen brauchte ich glücklicher Weise nicht mehr, da ich das oft abends schon erledigte. Ein bisschen Wasser ins Gesicht, Zähne geputzt, fertig. Okay, nicht fertig. Ich sah echt total verschlafen aus. Ein wenig Schminke könnte da sicherlich nicht schaden. Ich benutzte mein Puder, das zugleich auch ein Make-up darstellte und etwas Concealer. Etwas Wimperntusche für die Augen sollte reichen. Immerhin wollte ich an meinem ersten Tag nicht aussehen als wäre ich in einen Farbtopf gefallen.

Schnell schlüpfte ich in mein schwarzes Kleid, griff zu der passenden Tasche und sprintete nach unten. Ich musste feststellen, dass Justine und Jayden bereits in der Küche auf mich warteten. »Du hast noch nichts gegessen, habe ich Recht?«, fragte Justine. »Ne, ich habe total verschlafen.«

Meine Mutter, die am Tisch mit einer Tasse Kaffee saß, lachte nur verachtend. »Verschlafen, genau. Ich habe dich schon um sieben Uhr geweckt, junge Dame. Du hast einfach nicht dein Bett verlassen.« »Das haben wir uns schon fast gedacht, Taylor. Immerhin ist das Schloss voller Leute, die Alea wecken würden«, sagte Jayden.

»Ist ja gut. Wir schaffen es doch noch rechtzeitig. Ich nehme mir den Apfel einfach in die Hand, okay?« »Und Blut hast du wahrscheinlich auch nicht getrunken«, sagte Justine im strengen Ton. »Gerade heute, wäre das sicher sinnvoll für deine Fähigkeiten.« »Dafür aber gestern, kurz bevor die Sonne aufgegangen ist. Das wird reichen. Los jetzt!«

Max hatte bereits das Haus verlassen, da er mit seinem Freund Benjamin mitgefahren ist. »Eigentlich hätte ich es cool gefunden, wenn wir an unserem ersten Schultag als Fledermäuse zur Schule geflogen wären. Aber da Alea ja heute Morgen kein Blut getrunken hat, halte ich es für sinnvoller, wenn sie sich ihre Kräfte noch aufhebt«, sagte Justine mit einem leicht grimmigen Blick in meine Richtung.

Genervt nahm ich auf der Rückbank Platz, da Justine den Beifahrersitz schon belegt hatte. Keine Ahnung, aber irgendwie hatte ich das Gefühl dieser Tag würde die reinste Hölle werden.

»Kopf hoch, Alea. Der Tag wird sicher super werden. Ich habe bis jetzt nur Positives von der Schule gehört«, strahlte Jayden zu mir in den Rückspiegel. Tja, vielleicht würden wir ja heute lernen, wie man etwas von seiner guten Laune an andere weitergeben kann. Das wäre echt perfekt.

Total verträumt schaute ich aus dem Fenster, sodass ich gar nicht bemerkte, dass der Wagen bereits hielt. »So, da wären wir«, verkündete Jayden. Als wir aus dem Auto stiegen, musste ich feststellen, dass der Parkplatz ziemlich leer war. Okay, vielleicht sind ja auch viele Schüler als Fledermaus gekommen. Gerade bei den fünfzehnjährigen, die anders als ich, nicht das Glück hatten einen schon sechzehnjährigen Kumpel zu besitzen. Justine war zwar auch schon sechzehn, aber noch nicht so lange wie Jayden, sodass sie noch dabei war ihren Führerschein zu machen. Ich war wie immer das Küken, das noch ein ganzes Jahr zu warten hatte.

Die Schule war echt total riesig. Gut, dass ich Jayden und Justine an meiner Seite hatte. Die kannten sich zwar auch nicht aus, aber so würden wir uns zu mindestens gemeinsam verirren.

Doch Justine hatte bereits weiter gedacht. Sie ging einfach auf das nächstbeste Mädchen zu und fragte diese: »Hallöchen, könntest du uns vielleicht weiterhelfen? Wir drei sind heute das erste Mal hier und haben keinen blassen Schimmer, wo wir jetzt hin sollen.« Natürlich hätten wir auch einfach Max fragen können, wenn er denn a: hilfsbereit wäre oder b: überhaupt hier aufzufinden.

Zum Glück war das Mädchen nicht abweisend uns gegenüber. »Also morgens gibt es erstmal immer den gemeinsamen Unterricht mit allen Schülern. Da arbeiten wir meistens immer an einem Projekt. Da heute viele neue Vampire dazukommen, beginnt auch wieder ein neues Projekt. Danach teilen die Lehrer euch neuen Schüler in die Klassen ein. Ihr könnt ja solange bei uns bleiben. Wir zeigen euch dann, wo es lang geht.«

»Okay, cool. Ich bin übrigens Justine.« »Ich heiße Caitlyn«, sagte das braunhaarige Mädchen, deren Haare untenhin ein immer helleres braun annahmen. »Und das ist meine Freundin Denice.« Sie zeigte auf ein eher unscheinbares rotbraunhaariges Mädchen neben ihr.

»Ich bin Alea«, stellte ich mich vor. »Jayden.« Die beiden lächelten uns zu. Sie wirkten auf mich total unterschiedlich. Denice eher ruhig, Caitlyn total aufgedreht. Aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an. »Wir können ja schon Mal langsam Richtung Aula gehen. Der Unterricht sollte nämlich in wenigen Minuten losgehen«, teilte uns Caitlyn mit, weshalb wir uns langsam auf den Weg machten.

Kapitel 2

 

»Wie lange geht ihr eigentlich schon zur Schule?«, fragte ich Caitlyn und Denice. »Auch noch nicht lange. Wir sind mit dem letzten Schwung Neustarter gekommen«, sagte Caitlyn. Denice wirkte auf mich noch ziemlich jung. »Wie alt bist du eigentlich, Denice? Du siehst noch sehr jung aus.« »Ja, ich bin erst vierzehn. Meine Eltern haben mich schon hingeschickt, weil ich noch keine Fähigkeiten entwickelt habe… und das macht ihnen anscheinend Angst.«

Puh, hatte ich ein Glück, dass meine Eltern deswegen nicht stressten. Nur ab und zu die Kommentare von Max, von wegen: In deinem Alter waren meine Fähigkeiten schon stärker. Ja, natürlich… wer’s glaubte.

Plötzlich ertönte das Quietschen des Mikrophons und wie durch ein Wunder war auf einmal jeder leise. Die Lehrerin da oben stellte wohl eine große Respektsperson dar. Sie räusperte kurz in Mikro, um zu testen, ob es wirklich funktionierte. Ihre blonden lockigen Haare waren wirklich unglaublich hübsch. Und die Brille auf ihrer Nase ließen sie auch gar nicht spießig wirken, eher intelligent.

»Herzlich Willkommen, liebe Schüler. Und besonders: Herzlich Willkommen, liebe Neulinge. Heute beginnt ein wichtiger Lebensabschnitt und ich bin froh dabei zu sein. Wie ihr vielleicht schon durch ältere Schüler wisst, beginnen wir immer mit einem Projekt. Um Fähigkeiten zu entwickeln, ist es besonders wichtig neue Kontakte zu knüpfen. Deshalb wird gleich jeder von euch einen Zettel ziehen, auf dem ihr den Namen eures Partners findet. Durch herumfragen solltet ihr diese Person dann irgendwann gefunden haben. Sie wird euch dann mit in ihre Klasse nehmen.«

Partnerarbeit mit einem völlig Fremden? Och nö. Darauf hatte ich nun echt keine Lust. »Und was müssen wir mit unserem Partner machen?«, flüsterte ich zu Denice, die neben mir stand. »Es gibt ein Protokoll mit Fragen, die ihr über die andere Person ausfüllen müsst. Ziel ist das bessere Kennenlernen, was schließlich zur Verstärkung deiner Fähigkeiten führen soll. Oder in meinem Fall, überhaupt mal welche zu entwickeln.«

Mist. Im Umgang mit Fremden war ich noch nie besonders gut. Vielleicht hatte ich ja Glück und würde Justine oder Jayden bekommen. Oder wenigstens Caitlyn oder Denice. Die schienen ja auch ganz nett zu sein. Aber meistens war mein Leben nicht so gnädig mit mir.

»Dann verteilt jetzt bitte die Zettel an die jüngeren, sodass sie zu ihren älteren Partnern gehen können.« Na toll. Mit älteren Vampiren also. Dann würden meine Favoriten schon mal entfallen. Und dann liefen Vampire, wahrscheinlich Lehrer, mit einem Körbchen durch die Menge, in dem sich viele kleine Zettel befanden. Mit zittriger Hand zog ich nun auch einen.

Bitte. Bitte. Bitte, dachte ich nur, während ich meinen Zettel entfaltete.

Nein. Nein. Nein. Das konnte doch jetzt nicht sein. Entgeistert starrte ich auf das Blatt Papier. Unter all den Schülern hier, musste das ausgerechnet sein? Ich senkte meinen Blick erneut, um mich zu vergewissern, ob ich mich nicht vielleicht auch nur verguckt hatte. Aber, nein. Da stand es wirklich: Maxwell Reeves. Super, als wenn ich nicht schon genug Zeit mit dem verbrachte.

»Was ist?«, fragte mich Jayden, der anscheinend meinen enttäuschten Blick bemerkt hatte. »Will vielleicht jemand mit mir tauschen?«, fragte ich. »Du kannst nicht tauschen, Alea! Bekommen das die Lehrer mit, könntest du von der Schule fliegen.« Eigentlich kein so schlechter Gedanke. Mit der Ausnahme, dass ich dann wohl nie meine Fähigkeiten entwickeln würde.

»Was ist denn das Problem? Wen hast du gezogen?«, fragte Caitlyn. »Meinen Bruder Max«, brummte ich. »Dein Bruder ist Max Reeves?«, wollte Denice wissen. »Ja, wieso?« »Nur so. Der gehört ja zu den beliebten Jungs…« Caitlyn unterbrach sie lachend. »Unsere liebe Denice ist in Max besten Freund Ben verliebt. Doch er scheint für sie unerreichbar.«

»Geh doch fragen, ob du mit jemanden tauschen kannst. Sag, du würdest gerne jemanden als Partner haben, den du noch nicht kennst. Damit deine Chancen höher sind, neue Fähigkeiten zu entwickeln«, schlug Justine vor. »Kommst du mit?«, fragte ich Justine flehend. Mir war die ganze Schule immer noch nicht so geheuer. »Na schön.«

Wir zwängten uns durch die Menge, bis wir schließlich vorne ankamen. »Entschuldigen Sie, aber wäre es möglich, wenn ich mit jemanden tauschen würde? Ich habe nämlich meinen Bruder gezogen und den kenne ich ja schon. Meine Fähigkeiten können sich doch nur durch neue Kontakte verstärken, habe ich nicht recht?« »Das habe ich nicht gesagt. Es kann auch der Kontakt zu alten Kontakten verfestigt werden.«

»Ich bitte Sie. Ich weiß echt schon alles über ihn. Da kann sich nichts mehr verfestigen.« Die Frau schaute nun zu Justine rüber, die neben mir stand. »Sie beide wollen tauschen?«

Justine verzog sofort ihr Gesicht. »Mit mir? Was? Nein. Ich kenne ihn ja auch schon. Alea ist nämlich meine beste Freundin. Sie müsste mit jemanden tauschen, der ihn noch nicht kennt.« »Ich sehe hier aber niemanden, der sich bereit erklärt.« Hoffnungsvoll suchte ich Denice Augen, die vielleicht tauschen würde, um so an Max Freund Benjamin ran zu kommen. Doch ich konnte sie in der Menge nicht finden.

»Außerdem denke ich nicht, dass sie Aleas Bruder so gut kennen wie Alea selbst. Hier bietet sich jetzt die letzte Möglichkeit eines Tausches oder die Partner bleiben wie sie sind.« Ich warf Justine einen flehenden Blick zu. Diese gab ein Murren von sich. »Na schön. Wenn ich jetzt keine gute Freundin bin, dann weiß ich auch nicht mehr.« »Du bist die Beste!«, entgegnete ich und zog sie grinsend an mich.

Nachdem wir dann schließlich die Zettel getauscht hatten, machte ich mich schließlich auf die Suche nach meinem neuen Partner. Hoffentlich jemand besseren als Max. So wie alle von den jüngeren, ging ich nun unsicher auf die Großen zu und fragte mich nach dem Namen Alissa Lester durch. Keiner kannte sie. Das war ja ganz große Klasse. Okay, dann war es wenigstens nicht so eine beliebte, arrogante Zicke – wie Max. Ja richtig, ich hatte Max wirklich Zicke genannt.

Irgendwann traf ich dann auf so einen Nerd, bei dem ich mein Glück versuchen wollte. Und sogar mit Erfolg! Nur leider entgegnete er nicht das, was ich erhofft hatte: »Oh, du arme. Das ist glaube ich das Depri-Girl. Vor der haben alle Angst.« Zögernd zeigte er auf ein braunhaariges Mädchen, das ein rotes Kleid trug. Ihr Gesicht war bleich und unter ihren Augen zeigten sich tiefe Augenringe. Klasse Tausch, Alea. Hättest du man Max behalten. Der hätte vielleicht wenigstens noch mitgearbeitet… auch wenn seine Antworten vielleicht nur Schrott wären. »Keine Ahnung. Vielleicht irre ich mich ja auch. Aber versuche es da einfach mal.«

Bitte, lass der Nerd sich irren. »Bist du Alissa Lester?« »Ja«, brummte sie schlicht. Okay, Alea, schön die Nerven bewahren. »Ich denke, dann bist du meine Projektpartnerin.« »Herzlichen Glückwunsch«, murmelte sie mit einem Hauch von Ironie.

»Äh ja, ich glaube, du musst mir jetzt unsere Klasse zeigen, wenn ich mich nicht irre.« Ohne ein weiteres Wort ging sie davon. Hofften wir doch mal in Richtung Klasse. Egal, ich folgte ihr einfach. Wo sollte sie sonst auch schon hin wollen?

Kapitel 3

 

Ich hatte schließlich doch das Glück, dass mich diese Alissa in eine Klasse führte. Auch wenn hier nur fremde Gesichter auf mich warteten. Halt, nein. Ein Gesicht kannte ich. Dieser Benjamin oder Ben, der beste Freund von meinem Bruder, von dem Denice anscheinend so schwärmte.

Schweigend setzte sich Alissa an einen Tisch, übrigens der letzte freie Platz hier, an dem ich mich zu ihr setzte. Echt große Klasse. Das einzige, was meinen Tag heute etwas Positives verliehen hatte, war die Tatsache, dass Justine und Jayden bei mir sein würden. Aber nicht mal das waren sie jetzt.

Es dauerte nicht lange, da schritt der Lehrer ins Klassenzimmer. Sie stellte sich vorne an das Pult und wünschte uns allen eine schöne Nacht. Er machte auf mich einen sympathischen Eindruck. Aber manchmal konnte der erste Eindruck ja auch täuschen, sagte ich mir.

Nach einer kleinen Vorstellungsrunde (ich hatte mir fast gar keinen Namen gemerkt), verteilte er an jede Gruppe die Projektmappen. Da ich noch überhaupt kein Plan hatte, was wir überhaupt machen sollten, Alissa aber anscheinend schon (immerhin war sie ja auch die ältere Generation), lies ich mir zunächst die Aufgabenstellung durch:

  1. Ausfüllen der Fragen in Gebiet 1 (Schulzeit + Freizeit)
  2. Testen der Fähigkeiten in den Trainingsräumen (Schulzeit)
  3. Anschließende Dokumentation der Ergebnisse (Schulzeit + Freizeit)
  4. Gemeinsamer Ausflug mit der ganzen Schule
  5. Ausfüllen der Fragen in Gebiet 2 (Schulzeit + Freizeit)
  6. Erneutes Testen der Fähigkeiten (Schulzeit) + Dokumentation (Schulzeit + Freizeit)
  7. Vorbereitung Präsentation (Schulzeit + Freizeit)

Na toll. Dann mussten wir uns auch noch besuchen kommen? Echt klasse. Man merke meine Ironie. Das einzige coole war der Ausflug, weil der mit der ganzen Schule sein würde. »Wie ihr die Ergebnisse anschließend notiert bleibt euch überlassen. Ziel ist nicht zu zeigen, dass man neue Fähigkeiten entwickelt hat, sondern wie. Auch wenn es euch am Ende nicht gelingt, ich möchte zumindest sehen, dass ihr euch bemüht habt. Wenn es dann keine Fragen mehr gibt, könnt ihr anfangen.«

Gerade als ich die Mappe umschlug, machte sich Alissa bemerkbar. »Ich kann dir ja schon mal sagen, wie es die Male davor abgelaufen ist. Eigentlich sollst du Fragen zu mir beantworten und ich Fragen zu dir, aber es ist einfacher, wenn ich meine ausfülle und du deine.« »Aber was hat das denn für einen Sinn? So lernen wir uns doch nicht kennen und können keine neuen Fähigkeiten entwickeln.«

»Tut mir ja jetzt echt Leid dir das zu sagen, aber du hast mit mir als dein Partner echt die Arschkarte gezogen. Ich habe nämlich keinerlei Interesse neue Fähigkeiten zu entwickeln. Meine Uroma zwingt mich zur Schule zu gehen.« »Naja, Lust habe ich ja auch nicht auf Schule. Aber Fähigkeiten will ich schon irgendwann besitzen. Nur so kommt man doch im Leben klar.« »Ich finde, man kommt auch ganz gut ohne Fähigkeiten zurecht.«

»Mir egal, ob du so denkst. Ich werde die Fragen über dich aber selber ausfüllen. Ende.« Sie schnaufte. »Fein, mach doch. Wir stehen vor der Klasse aber besser dar, wenn wir die Ergebnisse fälschen.« »Mir ist es egal, was andere über mich denken.« Sie schaute mich erstaunt an. »Ja, mir auch. Den meisten anderen Schülern bloß nicht. Denn Kontaktfreudig werde ich während dieses Projektes sicher nicht sein.«

Okay. Das konnte ja noch dauern mit meinen Fähigkeiten. Aber besser ich gab zu, dass sie sich noch nicht entwickelt haben, anstatt zu behaupten alles wäre super. Dann konnte mir sicherlich noch besser geholfen werden.

Missmutig schlug ich endlich die dicke Projektmappe auf. Manoman, waren das viele Fragen! Kein Wunder, dass da hinter Schulzeit noch + Freizeit stand. »Soll ich dir jetzt die Fragen über mich rüber reichen? Oder hast du weiterhin kein Bock?« »Doch, klar. Solange es dir nichts ausmacht, wenn wir uns blamieren.«

Und somit heftete ich den Teil für Alissa heraus und reichte ihn ihr. Danach schaute ich mir endlich die Fragen an. Die erste Frage würde ich dann wohl noch ohne Probleme hinbekommen: Name des Projektpartners. Obwohl ich gestehen musste, dass ich für ihren Nachnamen nochmal auf den kleinen Zettel schielen musste, den ich gezogen hatte.

Na schön. Zweite Frage: Was macht dein Partner für einen ersten Eindruck? Ehrliche Antwort? Hm… ob Alissa das nachher gerne lesen wollte, mochte ich zu bezweifeln. Aber das war mir eigentlich ganz egal. Also schrieb ich einfach drauf los:

Sie ist total in sich gekehrt und hat überhaupt keine Lust auf dieses Projekt. Nicht mal ihre Fähigkeiten will sie entdecken… ich meine welch ein Vampir will das nicht? Ich halte Erfolg für ausgeschlossen, da sie ja nicht kooperiert. Los Alea, schreib noch irgendetwas Positives. Damit es nicht ganz so hart klingt. Die Meinung anderer ist ihr egal, was wir somit gemeinsam haben.

Mehr fiel mir nun wirklich nicht ein. Als ich dann noch so fragen erblickte wie: Positive Eigenschaften,… war mir eins klar: »Ich denke, wir müssen uns erstmal etwas besser kennenlernen, um den Rest der Fragen zu beantworten können.« »Denk dir doch einfach was aus, wenn du es nicht weist.« »Nichts da. Wir treffen uns heute noch nach der Schule! Bei mir zu Hause. Ich schreib dir meine Adresse auf.«

Ich konnte schon ahnen, was sie bei erster Eindruck hinschrieb: Will immer ihre Meinung durchsetzen. Aber das war mir, wie gesagt, herzlich egal. Nachdem ich ihr den Zettel mit meiner Adresse gegeben hatte, steckte sie diesen einfach ohne ein weiteres Wort ein. »Ab drei Uhr hätte ich Zeit.« Gut, sie nickte. Das hieß zumindest, dass meine Botschaft zu ihr durchgedrungen war.

Für den Rest der Stunde studierte ich unseren Projektordner. Dabei hatte ich die ganze Zeit nur einen Gedanken: Das konnte doch nichts werden. Hätte ich mich man mit Max zufrieden gegeben. Da konnte ich wenigstens alle Fragen beantworten, auch wenn mir das keine neuen Fähigkeiten gebracht hätte. Aber die würde ich durch Alissa sicher auch nicht kriegen.

Der Klang der Glocke, die das Ende der Schulzeit signalisierte, erlöste mich schließlich. Dankend lief ich zurück zu Jaydens Auto, der schon auf uns wartete. Justine kam nur wenige Augenblicke nach mir zum Auto geschlendert. Ihr Tag musste wohl genauso ätzend gewesen sein wie meiner.

Kapitel 4

 

[erzählt von Justine Mayhew]

Erschöpft ließ ich mich auf mein Himmelbett fallen. Was für ein Tag! So hatte ich mir meinen ersten Schultag echt nicht vorgestellt. Ich dachte, dass Jayden und Alea die ganze Zeit bei mir sein würden. Stattdessen nur Fremde in meiner Klasse, außer Aleas ätzender Bruder, der zu meinem Glück auch noch mein Partner ist. Sehe das einfach positiv: Du kannst jetzt öfter nach der Schule zu Alea. Ja, aber ihr könnt nichts zusammen machen. Auch wieder war… Der Tag war echt Käse.

Ich war kurz davor einzunicken, da hörte ich plötzlich mein Handy vibrieren. »Hallo?«, sagte ich einfach. Ich hatte nicht mal nachgeschaut, wer mich da anrief. »Justine, ich bin’s.« Ah, Jayden. »Was gibt’s?«, fragte ich ihn, auch wenn ich es mir denken konnte. »Ich hätte es heute tun können. Wir waren noch eine ganze Zeit alleine bevor du gekommen bist.« »Aber?«, stöhnte ich, da mir bewusst wurde, dass er wieder zu feige war. »Ich kann’s einfach nicht. Was wenn sie nein sagt?« »Und wenn schon. Wie lange bist du jetzt in sie verliebt? Es wird mal Zeit, dass du sie um ein Date bittest.« »Aber wenn sie mich nur als einen guten Freund sieht?«

»Dann ist das halt so. Aber wenigstens hast du dann Gewissheit. Ich kann dieses ganze Rumgequengel nämlich nicht mehr ertragen: Alea hier, Alea da…« »Du hast leicht reden! Du hast das Problem ja nicht.« »Aber wenn ich jemanden lieben würde, würde ich ihm das auch sagen.« »Das kannst du in deiner Position nicht beurteilen, Justine.«

»Ach, mach doch was du willst. Aber bei mir ist das Gesprächsthema Alea von nun an tabu. Außer ich bekomme mal andere Infos von dir… wie zum Beispiel: Wir haben ein Date.« »Ist ja gut. Sehen wir uns heute noch?« »Leider nein. Ich muss gleich zu Alea.« »Du musst zu Alea?«

Ich brummte ins Handy, weil er sicherlich genau warum wusste. »Aleas Bruder ist mein Projektpartner. Schon vergessen?« »Nein. Ich wusste nur nicht, dass ihr euch schon heute trefft. Ihr hattet ja immerhin das Glück, dass ihr euch schon kanntet und somit schon einige Fragen in der Schule ausfüllen könntet.« »Könnten, ja. Aber Max hielt es für wichtiger mit dem Mädchen neben uns zu flirten.« »Hm, na dann viel Spaß. Meine Projektpartnerin macht einen ganz netten Eindruck. Aber mit den Fragen ist es ziemlich schwer, weil ich sie ja überhaupt nicht kenne.«

»Ja, geht Alea ja auch so. Ist vielleicht auch besser. Mensch, ich sollte einen Award für beste-Freundin-weit-und-breit bekommen. Wäre es nicht Alea zu Liebe, hätte ich niemals getauscht.« »Okay, dann bis morgen.« »Jap, Tschau.«

Und bevor ich nicht nochmal so gut wie einschlief, rappelte ich mich von meinem Bett, klatschte mir noch schnell etwas Wasser ins Gesicht und machte mich dann auf den Weg.

»Hi, Justine. Alea ist oben«, begrüßte mich Jasper, der Vater von Alea. »Und Max?«, fragte ich, woraufhin er mich verwirrt anstarrte. »Wir machen das Schulprojekt zusammen.« »Der sollte auch in seinem Zimmer sein.« Ich nickte und ging die Treppe ins erste Geschoss hoch. Die dritte Tür links, direkt gegenüber von Aleas Zimmer, befand sich das von Max. Ich blieb davor stehen und klopfte kräftig dagegen. Als niemand antwortete öffnete ich trotzdem die Tür.

Max tippte an seinem Laptop und trug dabei Kopfhörer, die er anscheinend auf volle Lautstärke gestellt hatte. Da er mich immer noch nicht wahrnahm, ging ich einfach auf ihn zu und zog ihm die Kopfhörer von den Ohren. »Ey!«, maulte er daraufhin. »Nichts ey! Wir werden jetzt endlich anfangen zu arbeiten.«

Er grinste mich breit an. »Eigentlich sollen wir uns vorher kennenlernen, bevor wir die Fragen beantworten.« »Wir kennen uns doch schon.« »Oh, aber nicht gut genug. Das ist doch auch der Grund, warum du und Alea getauscht haben.« »Wir haben getauscht, weil Alea unter keinen Umständen mit dir ein Projekt machen möchte.« »Ach, du also schon?« Wieder dieses arrogante Grinsen. »Nein, ich bin ihr nur eine gute Freundin.«

»Wenn du meinst. Wir werden es aber trotzdem wie alle anderen machen. Wir füllen zunächst nur erster Eindruck aus und werden wir uns besser kennenlernen.« Klar mussten wir nach seinen Regeln spielen. Genervt holte ich einen Stift hervor und schrieb drauflos:

Als ich Maxwell das erste Mal getroffen habe, dachte ich, dass er ein totaler Idiot ist, der seine kleine Schwester ärgert. Ich habe erwartet, dass er mit der Zeit erwachsen wird, doch Fehlanzeige. Er ist sogar arroganter geworden, kann kein Nein akzeptieren und muss immer seinen Willen kriegen. Und das sind nur ein paar von vielen Dingen…

Neugierig riss er mir die Mappe aus der Hand. »Echt jetzt? Das soll ein Eindruck sein? Du beschreibst mich ja schon!« »Tja, dann bist du eben nicht schwer zu durchschauen.« »Ich zeige dir mal was ein Eindruck ist: Die kleine Justine sah aus wie eine von den Barbiepuppen meiner Schwester. Kein Wunder also, dass sie beste Freunde wurden.«

»Das schreibst du jetzt nicht wirklich in unsere Mappe, oder?« »Doch, weil es mein erster Eindruck war.« Der Tag konnte ja noch ganz schön lang werden. »Dann komm jetzt mit.« »Wohin?«, fragte ich ihn irritiert. »Na wir brauchen doch eine Verabredung, wenn wir uns besser kennenlernen wollen.« »Dafür können wir aber auch hier im Schloss bleiben.« »Schon, aber ich bin lieber an der frischen Luft.« »Ich bin mit Auto da und habe somit keine Jacke mit.« »Dann nimm halt eine von mir.«

»Äh, nein. Hat Alea etwa keine Jacken?« »Klar, aber du mit deinen 1,80m passt eindeutig nicht in Aleas XS-Ponchos.« Okay, da war was dran. Also nahm ich schließlich die Lederjacke entgegen, die Max mir vor die Nase hielt. Klasse, dann hatte ich jetzt quasi ein Date mit Max Reeves. Damit hätte ich auch nie im Leben gerechnet.

Kapitel 5

 

Jetzt sind es schon zwei Stunden. Fünf Minuten konnte man ja zu spät kommen, aber zwei Stunden? Die hatte mich sicher sitzen gelassen. Und das, obwohl sie mir in der Schule versprochen hatte, dass sie kommen würde. Ich konnte förmlich spüren wie die Wut langsam in mir überkochte. Wenn ich doch nur ihre Adresse hätte… dann könnte die aber was erleben!

Wütend stapfte ich die Treppe hinunter. Ich brauchte jetzt echt frische Luft! Nachdem ich mir meine Schuhe angezogen hatte und eine Jacke übergeworfen hatte, war ich auch schon weg.

Brrr, die Nachtluft war heute aber besonders kalt. Ich musste jetzt irgendwo hin… nur wo? Ich wusste, dass Justine gerade nicht Zuhause war, da diese mit Max an ihrem Projekt arbeitete. Und Jayden? Der arbeitete wahrscheinlich mit seiner Partnerin… wie immer die nochmal hieß. Allerdings war ich mir bei ihm nicht hundertprozentig sicher und da ich sonst nichts zu tun hatte… warum nicht einfach mal nachgucken?

Das Schloss von Jaydens Familie war kleiner als unseres, trotzdem aber mindestens genauso schön. »Alea?«, fragte mich Jayden verwundert, als er mich vor seiner Tür erblickte. »Was machst du denn hier?« »Meine Partnerin hat mich sitzen lassen. Mir war langweilig und ich habe mich gefragt, ob du vielleicht Zeit hättest.« »Ja, du hast Glück. Meine Partnerin hatte heute keine Zeit, deshalb treffen wir uns erst morgen.« Ich grinste erleichtert. »Supi! Hättest du denn Lust was mit mir zu unternehmen?«

»Immer doch. Wo willst du denn hin?«, fragte mich Jayden neugierig, während er bereits in seine Jacke schlüpfte. »Keine Ahnung. Ein wenig durch die Läden bummeln. Brauchen uns ja noch nicht festzulegen.« »Okay, dann wollen wir mal«, entgegnete er und schlug die Tür hinter sich zu.

Da ich wusste, dass Jayden eigentlich nicht viel von shoppen hielt, im Sinne von Kleidern etc. hielt ich irgendwann vor einer kleinen Eisdiele an, die einen echt gemütlichen Eindruck machte. »Lust auf ein Eis?«, fragte ich. »Warum nicht?«, meinte er und hielt mir die Tür auf. Dankend trat ich ein.

Das innere der Eisdiele war eher schlicht gehalten. Weiße Wände, die an der rechten Seite ein grünes Blättermuster hatten. Auch die Stühle waren in diesem Grünton und standen neben einen braunen, geflochtenen Tisch. Kurz nachdem Jayden und ich uns gesetzt hatten, kam auch schon gleich die Bedienung. Der Service schien also auch top zu sein.

»Ein Erdbeerbecher, bitte«, bestellte ich. »Spaghettieis Nuss hätte ich gerne«, sagte Jayden. Die Kellnerin notierte sich das und verschwand hinter dem Tresen. »Deine Projektpartnerin hat dich also sitzen gelassen«, versuchte Jayden den Smalltalk zu starten. Ich nickte nur. »Ist deine denn wenigstens besser?« »Keine Ahnung. Kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Kenne sie ja noch nicht so gut.« Ja, das war Jayden. Klar hatte auch er gewisse Vorurteile gegenüber den Vampiren, aber er versuchte sie trotzdem nie zu zeigen.

»Warum waren wir hier eigentlich noch nie Eis essen? Mir gefällt das Lokal«, sagte ich. »Weiß auch noch. Vielleicht weil es etwas abgelegen ist.« »Ich finde, wir sollten hier in Zukunft öfter essen gehen.« »Sehe ich genauso.« Es dauerte nicht mehr lange, da hatten wir beiden schon unsere Eisbecher vor der Nase. Echt ein 1A-Service!

Ich kramte gerade in meinem Portmonee, hatte mir auch schon überlegt extra Trinkgeld zu geben, da hielt mich Jayden am Arm fest. »Schon gut. Ich bezahle.« Ich schaute ihn irritiert an. »Aber ich habe dich doch sogar quasi hierher eingeladen. Da wäre es doch unfair, wenn du bezahlen musst.« »Nein, ich mach das gerne.« Und kaum hatte er das gesagt, drückte er der Bedienung auch schon ihr Geld in die Hand. Da konnte man dann wohl nichts machen.

»Hast du eigentlich auch Fehler?«, fragte ich ihn lachend. »Wie Fehler?« Er verstand mich anscheinend nicht. »Mensch, Jayden. Du bist immer total nett – und da frage ich mich, ob du eigentlich auch Fehler hast.« »Klar habe ich Fehler. Ich bin zum Beispiel zu naiv.« »Ja, aber ich meine Fehler, die dich unsympathisch machen.« »Ich kann manchmal ganz schön nerven.« »Seit wann das denn?«, fragte ich. Das war mir echt neu. »Naja, Justine könnte dir das zum Beispiel bestätigen.« Ich grinste. »Wieso? Womit nervt du die denn?«

Bevor er mir antwortete, kaute er erst noch eine Weile auf seiner Nuss herum. Verständlich, dass er nicht antwortete. Immerhin hätte ich ihn mit vollem Mund schlecht verstanden. Mit gesenktem Blick antwortete er schließlich, wenn auch nicht direkt auf meine Frage. »Es gibt da was, was ich dir schon eine ganze Weile sagen möchte, doch irgendwie traue ich es mir nie.« Ich bog eine Augenbraue. »Komm schon, Jayden. Raus mit der Sprache. Wir sind doch schon beste Freunde seit… eine Ahnung? Wann hat Justine uns das erste Mal miteinander bekannt gemacht? Fünf vielleicht?«

»Also… ähm, Alea… ich… äh… mag dich sehr.« »Ich dich doch auch. Also nun spuck es aus. Egal wie schlimm es ist, ich werde dich weiterhin mögen. Obwohl ich mir ehrlich nicht vorstellen kann, dass du mir etwas schlimmes beichten müsstest.« »Nein, du verstehst mich nicht. Das wollte ich dir ja sagen: Ich mag dich sehr… also… ja äh… mehr als es Freunde sollten.«

Auch wenn ich das jetzt überhaupt nicht gewollt hatte: Ich konnte nicht anders als mich im nächsten Moment an meinem Eis zu verschlucken. Hatte ich das gerade richtig verstanden? »Ja, ich wusste, dass du so reagieren würdest. Ich meine, wir sind doch schon ewig Freunde. Es ist wahrscheinlich zu spät, um da jetzt umzuschwenken.« Er wirkte irgendwie traurig. Oh Mist, das hatte ich jetzt nicht gewollt.

»Nein, Jayden. So ist das nicht. Es kommt nur ziemlich überraschend. Ich fühle mich gerade irgendwie überfordert, weil ich echt nicht weiß, was ich antworten soll.« »Wie wäre es damit was du für mich empfindest?« »Keine Ahnung. Also ich mag dich auf jeden Fall sehr, Jayden. Aber ich war noch nie verliebt. Ich kann’s irgendwie nicht genau sagen, wie sich das anfühlt.« »Musst du vielleicht erst mal darüber schlafen?«, fragte Jayden schüchtern und unsicher. »Ich… eh, ich denke schon.«

 

Kapitel 6

 

Auf dem Rückweg von der Eisdiele brummte mir immer noch der Kopf. Was war da gerade passiert? Ich konnte es mir immer noch nicht zusammenreimen. Aber das größte Problem war ja: Was sollte ich machen? Ich hatte nämlich überhaupt keine Ahnung wie ich gegenüber Jayden empfand. Ich wusste nur, dass ich ihn total gerne hatte. Aber bedeutet das auch gleich, dass ich in ihn verliebt bin?

Obwohl ich Jayden und Justine als Freunde beide gleich gerne mochte, war die Freundschaft mit Jayden ja schon irgendwie immer auf einer anderen Ebene. Vielleicht konnte ich diese Ebene nur nie richtig deuten. Mensch, ich wusste echt nicht weiter! Und er würde schon bald eine Reaktion von mir erwarten.

Vollkommen fix und fertig kam ich endlich an unserem Schloss an und kramte den Schlüssel hervor, um die Tür aufzuschließen. »Bin wieder da!«, rief ich meinen Eltern zu. »Junges Fräulein, wo bist du gewesen?«, fragte mich meine Mutter. Hä? Was? Das hatte ich ihr doch gesagt…

»Mit Jayden weg, wieso?«, fragte ich total irritiert, bis ich meine Projektpartnerin Alissa hinter Mum hervortreten sah. Dann kochte Wut in mir hoch. »Wolltest du nicht an deinem Projekt weiterarbeiten?«, fragte Mum jetzt auch noch. »Klar doch, aber zwei Stunden warten fand ich ausreichend.« Ich durchbohrte Alissa mit Blitzen.

»Ich weiß, es tut mir auch total Leid. Ich habe mich noch mal kurz hingelegt und dann habe ich voll verschlafen. Das habe ich aber auch schon gesagt…« »Alea, auch wenn sie nicht mehr gekommen wäre, hättest du an diesem Tag doch noch zuhause bleiben können. Oder hatten Jayden und du etwas so Wichtiges zu bereden?«

Ohne dass ich es eigentlich wollte, stieg die Röte in mir auf. Schnell senkte ich den Blick. »Nein, aber Zuhause wäre es total langweilig gewesen.« »Dein Leben muss nicht immer aus Aktion bestehen, Alea. Wie oft noch!« »Ist ja gut, Mum. Ist ja nicht so, als hätte nur ich Mist gebaut.« »Aber du bist meine Tochter, die ich erziehen muss.« Ich verdrehte die Augen. »Ich bin ja jetzt da.«

~~~~~~~~~~

Oben in meinem Zimmer angekommen, trat erstmal unangenehmes Schweigen ein. Um das zu überbrücken holte ich die Projektmappe aus meiner Tasche und durchblätterte sie. Neugierig heftete ich meinen Blick auf den Teil, den sie über mich ausgefüllt hatte. Schnell überflog ich das, was sie für einen ersten Eindruck bei mir hatte:

Alea scheint anders zu sein als meine üblichen Projektpartner. Ob das positiv oder negativ ist, kann ich noch nicht sagen. Sie macht einen interessanten Eindruck, aber ich habe Angst, dass ich durch ihr tatsächlich Fähigkeiten entwickeln könnte.

Ähm, was? Sie hatte Angst davor? Ich dachte, sie wäre einfach nur zu faul, um sich anzustrengen und dass ihr alles egal wäre. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. »Warum hast du Angst davor Fähigkeiten zu bekommen?« Ich konnte einfach nicht anders als nachzufragen. »Hm?«, fragte sie nur. »Naja, weil das hier steht.«

»Ich wüsste nicht, was dich das interessiert.« »Da du meine Projektpartnerin bist, sollte es das eigentlich.« »Tja, mir doch egal. Ich werde es dir trotzdem nicht verraten.« Schön, dann muss ich es eben selbstständig herausfinden.

[erzählt von Justine Mayhew]

Es war schon ziemlich spät und ich konnte somit beobachten, wie sich der Himmel langsam rot verfärbte. »Ich denke, wir sollten langsam wieder zurück gehen.« Der ganze Tag hatte doch sowieso nichts gebracht. »Zurück? Justine, kurz vor Sonnenaufgang ist doch die beste Zeit.« »Naja, jeder hat ja andere Meinungen.«

»Ja, das sagst du jetzt, weil wir noch nicht da sind.« Weil wir noch nicht da sind…. Ach ja…Wir liefen jetzt schon eine halbe Ewigkeit durch die Gegend, nur Max wusste wohin – wenn überhaupt, unterhalten hatten wir uns auch nicht wirklich. Aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. »Ich brauch das echt nicht sehen, was du mir da zeigen möchtest.« »Doch. Das muss jeder mal gesehen haben.« »Hat Alea das denn schon mal gesehen?« »Alea muss nicht alles bekommen.« Da war er wieder: Dieser bitterer Blick, den ich an Max so hasste. Mensch… wie sollte mir so jemand dabei helfen meine Fähigkeiten zu entdecken?

»Was müsst ihr beiden euch auch immer streiten? Schon das erste Mal, wo ich euch traf, war Streit das Erste was ich sah.« Max allbekannter Ich-bin-ja-so-toll-Blick verschwand und graue Gewitterwolken traten in sein Gesicht. »Da waren wir Kinder. Das war ein ganz anderes Kapitel.« »Hm… dafür dass ihr da noch Kinder ward, hat sich aber nicht viel geändert.« Max lachte bitter. »Oh doch, Justine. Es hat sich seitdem so einiges geändert.« »Und was?«, fragte ich neugierig. »Das tut nichts zur Sache.«

Ja, jetzt war es offiziell. Man konnte sich mit Max ja sowas von nicht unterhalten. Schweigend stapfte ich ihm hinterher, um den angeblich so wundervollen Ort zu erreichen. Meine Beine taten mir schon höllisch weh. Kein Wunder, immerhin hatte ich einen anstrengenden ersten Schultag hinter mir. Max Wandermarsch war da nicht gerade von Vorteil.

»Okay, Maxwell. Ich drehe jetzt um. Egal wie auch so toll-« Doch gerade dann, unterbrach er mich: »Wir sind da.« Vor uns befand sich eine große Steintreppe. »Wohnt hier oben wer?«, fragte ich ihn, woraufhin er nur den Kopf schüttelte. »Ben und ich haben den Ort mal irgendwann entdeckt.«

Weiterhin skeptisch folgte ich ihn nach oben. Aber… okay, einmal in meinem Leben musste ich Max mal recht geben. Dieser Ort war echt unglaublich! Wir befanden uns in einer Art Garten, allerdings wuchsen die Pflanzen hier wild. Sie sahen deshalb aber nicht wie Unkraut aus – im Gegenteil. Die Farben dieser Blumen strahlten umso mehr. Die Dachterrasse war von einem Holzzaun umgeben und dort hatte man einen umwerfenden Blick auf das Meer. Der rotgefärbte Himmel gab das perfekte Highlight ab.

Max setzte sich auf eine Bank, die zwischen einer Anhäufung von roten Rosen stand. Unsicher und langsam folgte ich Max und nahm den Platz neben ihn ein. Stille. Wie gewöhnlich, bis er diese irgendwann brach: »Bitte erzähl Alea nichts hiervon.« Ich lachte. »Warum ist dir das so wichtig?« »Keine Ahnung. Vielleicht werde ich diesen Ort eines Tages brauchen… auch wenn ich es nicht hoffe.« Auch wenn seine Antwort in meinem Kopf nur noch mehr Fragen aufwarf, nickte ich. Vielleicht weil er das erste Mal ernst klang bei einer Unterhaltung. Ich hatte nicht mehr das Gefühl er würde jeden Augenblick loslachen und Spaß schreien. »Schon okay. Ich behalte es für mich.«

Kapitel 7

 

Ich hatte Justine und Jayden kurz nach dem Aufstehen noch eine SMS geschrieben, dass ich heute alleine zur Schule fliegen würde. Vielleicht weil ich die peinliche Stille im Auto neben Jayden vermeiden wollte. Ich wusste natürlich, dass ich Jayden nicht für den Rest meines Lebens meiden konnte und auch nicht wollte, aber es herauszögern fand ich erstmal eine gute Idee.

In der Schule angekommen hielt ich nach einem bekannten Gesicht Ausschau. Okay, ich korrigiere, eine bekanntes Gesicht, zu dem ich mich auch gesellen wollte. Irgendwann entdeckte ich Justine und Jayden bei den Spinden und ging erleichtert zu ihnen. Denice und Caitlyn standen auch bei ihnen. Als ich mich ihnen näherte, grinste Justine schon von weitem. Aha, dann hatte Jayden es ihr also schon erzählt… natürlich.

»Hallöchen, Alea«, begrüßte sie mich weiterhin strahlend. »Hallo«, antwortete ich schlicht. »Und? Wie sieht’s aus?« Auch wenn das nicht die Antwort war, die sie hören wollte, sagte ich einfach: »Alles gut.« »Das ist schön.« Ihr Lächeln wollte einfach nicht verschwinden. Da wurde mir klar, dass sie nicht locker lassen würde.

»Wie sieht’s denn bei euch aus?«, fragte ich. »Oh, wir machen gerade große Pläne, Alea«, entgegnete Caitlyn. »Was denn für große Pläne?« »Bald gibt es doch diesen Tag der offenen Tür im Schloss von der Königin und dem König. Das Schloss, wo Ben wohnt, weil seine Eltern dort arbeiten.« Ah, jetzt wurde mir klar, was sie vorhatten. Grinsend schaute ich zu Denice rüber. »Deine große Chance?«

Sie schaute aber nur beschämt zu Boden. »Caitlyn denkt ich hätte eine Chance. Ich bin mir da nicht so sicher. Aber mehr als versagen kann ich auch nicht.« »Das stimmt. Geht nur ihr beide? Oder kommt ihr auch mit?«, fragte ich an Justine und Jayden gerichtet. »Was sollen wir denn da?«, fragte Justine, woraufhin Jayden zustimmend nickte. »Hallo? Das ist das Schloss. Muss man das nicht mal gesehen haben?« »Es ist auch nur ein Schloss wie jedes andere.« »Das kann nicht dein Ernst sein, Justine. Das ist das Schloss von der Königin und dem König. Vielleicht treffen wir die sogar!«

»Davon gehe ich nicht aus. Aber selbst wenn, bin ich nicht interessiert. Aber du warst ja schon immer mehr am Königreich interessiert als wir beiden. Caitlyn und Denice nehmen dich bestimmt mit.« »Klaro. Das wird sicher total spitzenmäßig«, trällerte Caitlyn, woraufhin Justine lachen musste. »Wann ist das denn?«, wollte ich wissen. »Muss ich noch mal nachgucken. Ich glaube in ein paar Wochen.«

~~~~~~~~~~

Unterricht. Spitze. Nicht. Am liebsten würde ich jetzt einfach wieder Nachhause gehen, doch dann würden mich meine Eltern mit Fragen durchbohren und darauf hatte ich noch weniger Lust.

Mürrisch setzte ich mich auf den Platz neben Alissa und wartete auf unsere Lehrerin. »Guten Morgen«, begrüßte diese uns, woraufhin wir ihre Begrüßung erwiderten. »Wir fangen mit einer kleinen Erzählrunde an, in der ihr mir mitteilt, wie die Projektarbeit bis jetzt so läuft.«

Och, ne. Jetzt fingen alle an zu erzählen wie toll alles ist … wie sie sich schon auf die weitere Arbeit mit ihrem Projektpartner freuten. Tja, und jetzt war ich dran: »Um ehrlich zu sein: Es läuft gar nicht gut. Meine Partnerin hat ja nicht mal Interesse daran ihre Fähigkeiten zu entdecken. Wie soll das bitte etwas werden?«

Jetzt herrschte Stille. Alissa schaute mich entsetzt an. Tja, es war die Wahrheit. »Ist das wahr, Alissa?« Sie nickte daraufhin. »Warum das denn?«, fragte die Lehrerin entrüstet. »Was bringen mir denn die Fähigkeiten? Ich komme in meinem Leben auch gut ohne sie klar.« »Die Welt ist nicht immer perfekt. Manchmal braucht man Fähigkeiten, um sich zu wehren.« Plötzlich fing Alissa lautstark zu lachen an. Kein fröhliches Lachen, es war ganz klar ironisch. »Darüber brauchen sie mir nichts erzählen! Denken Sie echt Fähigkeiten könnten mich vor Casses retten?« Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Unterricht.

Von irgendwoher stellte ein Schüler die Frage, die auch mir auf der Zunge brannte: »Wer oder was sind die Casses?« Die Lehrerin seufzte. »Naja, irgendwann in eurem Leben wäret ihr sowieso dahinter gekommen. Nicht alle Vampire sind wohlhabend und achten das Gesetz. Es gibt eine Unterschicht, die nennen sich die Casses, die achten keine Regeln und sind aus diesem Grund ziemlich gefährlich. Aber keine Angst: Eure Fähigkeiten können euch schon in gewisser Hinsicht beschützen. Außerdem… wenn ihr schön auf dieser Seite, bei unseren sicheren Schlössern bleibt, kann euch nichts passieren.«

Auch wenn die Lehrerin versuchte, uns mit diesen Worten zu beruhigen, hatte ich weiterhin ein mulmiges Gefühl. Vielleicht habe ich Alissa doch zu schnell verurteilt. Sie kannte die Casses, hatte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Sicherlich waren es nicht die schönsten Erfahrungen gewesen. Bestimmt hatte sie ihre Gründe, warum sie so war.

Sollte ich ihr nachlaufen? Sollte ich sie fragen, was passiert war? Klar sollte ich das! Doch das Problem war, dass ich dies ja bereits gefragt hatte. Und daraufhin hatte mir Alissa keine Antwort gegeben. Sie würde sich mir nicht öffnen. Das hatte sie klipp und klar gesagt.

Trotzdem würde ich nicht aufgeben. Nicht nur für meine Fähigkeiten, sondern auch für mich selbst – und vielleicht auch für Alissa.

 

Kapitel 8

 

[erzählt von Caitlyn Hathaway]

Ich gehörte noch nie zu der Sorte Mädchen, die ein Blatt vor den Mund nahmen. Denice war da anders. Nicht dass ich das schlimm fand, sonst wäre sie ja auch nicht meine beste Freundin geworden. Ich war nur eben einfach anders. Aus diesem Grund bereute ich es auch nicht, was ich jetzt tat. Auch wenn Denice mich später wahrscheinlich umbringen würde. Allerdings… was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.

»Hi Ben«, trällerte ich fröhlich. Auch wenn Ben zu den beliebten Jungs gehörte… und ich, naja eher nicht, hatte ich inzwischen diesen Ruf, sodass er mich trotzdem kannte. »Hi Caitlyn«, antwortete er lachend. Neben ihn stand ein schwarzhaariger Junge. Ob das wohl Aleas besagter Bruder war? Denice hätte es mir sicher sagen können. Die interessierte sich ja so für die beliebte Clique unserer Schule.

»Du bist doch sicher morgen auch im Schloss zum Tag der offenen Tür?« »Na logo!« Er schien sich anscheinend schon auf dieses Ereignis zu freuen. »Kennst du meine Freundin Denice? Denice Payne?« Er überlegte kurz. »Warte… ist das nicht diese ruhige rothaarige, die ständig neben dir steht?«

Ich verdrehte die Augen. Eigentlich hatte er Denice gar nicht verdient. Aber was sollte man machen. Denice war nun Mal in ihn verliebt… Das Herz macht schließlich was es will. Und da sie es selber nicht auf die Reihe bekam, musste eben ihre beste Freundin nachhelfen. »Ja, genau die. Sie möchte morgen auch so gerne hingehen. Allerdings findet sie, dass es doof aussehen würde, wenn sie alleine aufschlägt.«

Er beäugte mich skeptisch. »Und jetzt möchtest du, dass ich mit ihr hingehe?« »Bitte! Dann hättest du auch was bei mir gut.« Jetzt schien ich anscheinend wieder seine Aufmerksamkeit zu haben… Vollidiot. Was fand Denice nur an ihn? »Na schön. Ich werde sie um halb zwei abholen. Adresse?« »Rosenstraße 16… und sei pünktlich!«

Ich konnte noch leise wahrnehmen wie der schwarzhaarige Junge, wahrscheinlich Max, Ben fragte: »Warum machst du das? Die Rothaarige?« »Ach, das halt ich schon einen Abend durch. Hast du nicht gehört, dass Caitlyn dann was bei mir gut hat? Vielleicht kann ich dann endlich ein Date klarmachen.«

Ne oder? Davon konnte er noch träumen bis er hundertsiebzig war. Nie würde ich mich auf ein Date mit Benjamin Cort einlassen. Das konnte ich Denice einfach nicht antun. Die Arme…. Liebte einen Jungen, der ihre Gefühle nicht erwiderte. Hoffentlich bekam sie nicht mit, dass Ben vorhatte, mich zu einem Date einzuladen.

Ich kannte Ben eigentlich nur wegen Denice. Für mich wirkte er aber wie ein Arsch. Vielleicht kein ganz so großes wie sein zweiter Schatten… anscheinend Aleas Bruder… auch an Alea: Du Arme! – aber verdient hatte sie trotzdem jemand besseres.

~~~~~~~~~~

»Geht das wohl?«, fragte mich Denice unsicher mit einem Blick in den Spiegel. »Ob das geht? Denice, du siehst wunderschön aus und jetzt hör auf dich fertig zu machen!« Das grüne bodenlange Cocktailkleid saß echt perfekt an ihr. Ich war eine Person, die Komplimente nicht einfach so machte, um jemanden nicht zu verletzten.

Abschließend vollendete sie ihr Outfit mit einer silbernen Herzchenkette. Während sie in ihre schwarzen Highheels schlüpfte, fragte sie plötzlich: »Willst du dich denn gar nicht fertig machen?« Ach, das hatte ich ja total vergessen! Kam das nicht komisch rüber, wenn ich jetzt noch mitkam?

Bevor ich Denice antworten konnte, ertönte die Klingel. »Hä? Wer ist das denn jetzt noch?« »Ähm, ja. Bitte nehme es mir nicht übel, aber-« »Caitlyn Hathaway! Was hast du jetzt schon wieder angestellt?« Um der Situation zu entfliehen, sprintete ich in den Flur, um die Tür zu öffnen.

»Ben?«, fragte Denice verwirrt, da sie mir in den Flur gefolgt war. »Tolles Kleid. Können wir?«, sagte er vollkommen emotionslos. Denice schaute mich immer noch total entsetzt an. »Ja, äh, dann viel Spaß euch beiden«, brachte ich hervor. Schnell sagte ich noch zur Erklärung: »Jetzt weißt du wenigstens sicher, dass jemand mit dir tanzt.«

Jemand war natürlich nicht richtig. Dass Ben mit dir tanzt, wäre korrekt. Aber hätte ich das jetzt vor ihm gesagt, wäre mein Kopf eindeutig ab. Ich konnte Denice, was das anging, echt nicht verstehen. Wenn er wüsste, dass sie ihn liebte, hätte er ihr wenigstens Gewissheit geben können. Etwas hilflos folgte Denice schließlich Ben ohne dabei zu vergessen, mir noch schnell wütende Blicke zuzuwerfen. Genau, gern geschehen. Dann ging die Tür zu… und da stand ich nun. Allein im Flur unseres Schlosses. Ohne dass ich es kontrollieren konnte, breitete sich Traurigkeit in mir aus.

Vielleicht hätte Justine ja Zeit für mich, wenn Alea und Denice auf dieser Veranstaltung waren. Klar, ich hätte da auch hingehen können, doch das fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Das war quasi Denice und Bens erstes Date … da war ich nur fehl am Platz.

Kapitel 9

 

Das Schloss von der Königin und dem König war sogar noch atemberaubender als ich es mir erträumt hatte. Obwohl der Kronleuchter schon der Hit war, übertrumpften die bemalten Wände einfach alles. Der Künstler, der das gemalt hatte, musste echt talentiert sein.

Ich suchte den großen Saal schnell nach Denice und Caitlyn ab. Ich befand mich nie gerne vollkommen alleine – das fand ich irgendwie unangenehm. Beim Büffet erkannte ich schließlich Denice, jedoch an ihrer Seite nicht Caitlyn, sondern ein Junge mit etwas längeren braunen Haaren: Das musste wohl Ben sein. Da hatten sich aber zwei ziemlich schnell gefunden.

Immer noch verwundert darüber, ging ich auf die beiden zu. Denice wirkte ziemlich nervös beim Raufschaufeln des Essens auf ihren Teller. »Hey Denice! Wo ist denn Caitlyn?« Ihr Blick verfinsterte sich. Oh, oh, nicht gut. »Keine Ahnung. Anscheinend gab es in der letzten Sekunde noch eine Planänderung.« »Dann ist sie nicht hier?« Verdammt. Wo sollte ich denn jetzt hin? Denice blieb ja sicher bei Ben… Da wäre ich nur das dritte Rad am Wagen.

»Irgendwie kommst du mir bekannt vor. Kenn ich dich?«, fragte Ben. »Wahrscheinlich weil Max mein Bruder ist.« »Ach echt? Er redet ziemlich wenig über dich.« »Ja, das kann ich mir vorstellen. Dann euch beiden noch viel Spaß.« Denice lächelte mich schüchtern an und Ben machte den Eindruck als wollte er hier überhaupt nicht sein.

Tja, dann sah er ja so aus wie ich mich fühlte. Ganz alleine in diesem Schloss? Sollte ich vielleicht doch lieber gehen? Aber jetzt hatte ich mich extra zu Recht gemacht. Hatte extra noch ein neues rosafarbenes Kleid gekauft. Außerdem hatte man nicht jeden Tag die Chance dieses Schloss zu sehen.

Hm… bevor ich mir darüber weiter den Kopf verbrechen konnte, holte mich eine Stimme aus meinen Gedanken zurück. »Und? Wie gefällt dir das Königreich?« Erschrocken drehte ich mich um. Oh – mein – Gott! Ich glaube ich spinne! Vor mir stand König Lian höchstpersönlich! Der König Lian! Und er redete ausgerechnet mit mir! Wie sollte man nur in solch einer Situation reagieren, wenn der König plötzlich vor einem steht? Spontan entschied ich mich dazu mich einfach tief zu verbeugen.

»König Lian! Es ist atemberaubend.« Mit dem Grinsen, das nun sein Gesicht umspielte, wirkte er fast wie eine normale Person. Aber das war er nicht. Er war König Lian! »Das freut mich. Wie ist denn dein Name?« Wahrscheinlich interessierte ihn mein Name nur herzlich wenig. Er würde ihn sowieso bald wieder vergessen. Aber natürlich musste er höflich sein. »Alea Reeves. Ich wohne zusammen mit meiner Familie südlich dieses Schlosses. Ich dachte schon immer, dass wir ein großes Schloss haben, aber gegen dieses ist das echt nichts. Okay, wahrscheinlich verständlich. Immerhin leben hier der König und die Königin.« Ich konnte es immer noch nicht fassen. Eine Verbeugung würde sicher gar nicht reichen, deshalb verbeugte ich mich ein zweites Mal. »Wie gesagt… es ist mir eine unglaublich große Ehre, dass sie mich ansprechen.«

Er machte allerdings den Eindruck, als sei unsere Unterhaltung das normalste der Welt. Als wäre er ein ganz normaler Bürger anstatt der König. »Ach, ich bin gar nicht so wie du mich gerade darstellst. Du weißt ja sicher, dass ich nur wegen Lorena König geworden bin. Sie ist diejenige mit den atemberaubenden Fähigkeiten. Nur unsere Ehe machte mich zum König.« Ich musste mich wohl verhört haben? Was dachte er da über sich? »Ich habe aber trotzdem schon extrem coole Geschichten über Sie gehört.« Das war noch untertrieben. Also echt…

Eine kurze Pause entstand, in der er von seinem Getränk trank. »Alea Reeves… woher kenne ich diesen Namen nur? Aber natürlich! Ist dein Vater vielleicht Jasper Reeves? Ich kenne ihn aus Kindheitstagen. Zusammen mit Taylor haben wir damals schon im Sandkasten gespielt. Bis zu meinem achten Lebensjahr waren die beiden echt meine besten Freunde. Schade, dass wir irgendwie den Kontakt verloren haben. Aber grüß ihn bitte von mir.«

Okay, noch mal zum Mitschreiben. Mein Vater kannte König Lian? Warum hatte er mir das nicht gesagt? Wie kann man so was verheimlichen? Und was war das noch? Mit Taylor? »Warte… Taylor, so wie meine Mutter Taylor?« »Oh, das kann ich nicht sagen. Früher waren die beiden ja noch Kinder… allerdings hatte Jasper glaube ich schon immer etwas für Taylor übrig gehabt. Um deine Frage zu beantworten… wahrscheinlich schon.«

»Hm… okay. Irgendwie gruselig wie wenig meine Eltern mir über ihre Vergangenheit erzählen.« Jetzt wollte ich es aber wissen. »Aber… warum habt ihr den Kontakt abgebrochen? Warum hat er mir nie etwas darüber erzählt, dass er mit dem König befreundet gewesen ist – oder meine Mama?«

Er schaute zu Boden. War es ihm peinlich? Was war denn nur passiert? »Genau kann ich dir das leider nicht sagen. Ich weiß nur, warum der Kontakt abbrach. Ich musste wegziehen. Als ich als König dann wieder zurückkehrte war mein Leben leider ziemlich stressig, weshalb ich keine Zeit hatte, nach Jasper oder auch Taylor zu suchen.« »Naja, ich werde ihn Zuhause einfach selber fragen«, sagte ich einfach, obwohl ich es nicht so meinte. Wenn sie es mir bisher verschwiegen hatten, würden sie es mir jetzt auch nicht verraten. Ich musste es selber herausfinden.

»Tu das. Dann wünsche ich dir noch eine schöne restliche Feier, Alea. Und denk daran deine Eltern zu grüßen. Hoffentlich sehen wir uns irgendwann wieder.« Klar, als ob. Den König würde ich sicher eh nie wieder sehen. Ich nickte aber trotzdem.

»Danke, Ihnen auch.« Und dann war er auch schon in der Masse verschwunden. Die Masse, in der ich ausschließlich Paare entdeckte. Um nicht weiterhin unbeholfen im Weg rumzustehen, setzte ich mich an den Rand. Caitlyn würde morgen erstmal was von mir zu hören kriegen. Wie konnte sie mich nur im Stich lassen?

 

Kapitel 10

 

[erzählt von Benjamin Cort]

Es war schon schlimm genug, dass meine Eltern mich zwangen zu dieser Veranstaltung zu gehen. Kaum jemand, den ich kannte. Ich wäre lieber mit Max zu der angesagten Party gegangen, wo sich gerade fast alle beliebten Schüler aufhielten. Aber wie ich nun mal war, machte ich aus jeder Situation das Beste.

»Wie wär’s mit tanzen?«, fragte ich die Rothaarige. Wie zu erwarten nickte sie nur, anstatt mir vernünftig zu antworten. Klasse, wahrscheinlich würde sie mir gleich, ganz der Trampel, auf meine Füße treten. Egal, dann hätte ich wenigstens einen Grund den Tanz zu beenden.

Doch es passierte nichts. Kein Tritt auf meine Füße, im Gegenteil: Sie war nicht mal unbeholfen, was sie sonst ständig war. Es war, als wäre sie beim Tanzen eine ganz andere Person. »Wo hast du so gut tanzen gelernt?« »Caitlyn und ich haben einen Tanzkurs besucht… ziemlich lange.« Ich hatte schon immer vermutet, dass Caitlyn eine gute Tänzerin ist. Es würde einfach perfekt zu ihrer unglaublichen Persönlichkeit passen.

»Da hatte Caitlyn aber eine gute Idee«, sagte ich zu ihr. »Eigentlich ist es meine Idee gewesen. Caitlyn war noch nie besonders sportlich gewesen.« Was? Das hätte ich jetzt nicht vermutet. Ihr Körper sah nämlich total trainiert aus. »Aber nicht, dass du mich falsch verstehst. Inzwischen habe ich sie soweit, dass sie gerne tanzt.«

Trotzdem war ich noch verwundert. Ich hätte die Lage eher andersherum eingeschätzt. Dass Caitlyn ihre Freundin überreden müsste. Aber ich wusste genau, dass das eine meiner Schwächen war. Ich drückte den Leuten voreilig einen Stempel auf. Verdammte Vorurteile aber auch…

Automatisch entgegnete ich: »Ich denke wir hatten einen falschen Start. Ich habe dich total falsch eingeschätzt.« Sie schaute mich entgeistert an. »Und da kommst du jetzt drauf, weil ich tanzen kann? Ich meine, so abwegig ist das doch auch nicht. Ich bin immerhin ein Mädchen, die tanzen oftmals ziemlich gerne.« »Ich weiß. Du hast mich nur daran erinnert, dass ich allgemein weniger Vorurteile haben sollte. Also… was hältst du davon? Zurück auf Anfang?«

Anscheinend rasten ihre Gedanken, als würde sie gerade vor ihren Augen eine Pro und Contra Liste erstellen. »Na schön. Von mir aus.« Ich grinste und stoppte unseren Tanz. »Ich bin Benjamin Cort. Du kannst mich aber auch Ben nennen.« »Denice Payne«, sagte sie nur. Ich verdrehte die Augen. »Ich fände es gut, wenn wir ab jetzt offen und ehrlich miteinander reden würden. Also… zum Beispiel habe ich überhaupt keine Lust auf diese Feier heute. Ich bin nur wegen meinen Eltern hier. Was findest du nur an diesem Schloss?«

Ich konnte beobachten wie ihr Gesicht leicht errötete. »Immerhin wohnen hier die Königin und der König.« »Glaub mir, so besonders sind die gar nicht. Wenn du sie Rund um die Uhr sehen würdest, wüsstest du das.« »Ich finde, ihre Fähigkeiten machen sie schon zu etwas Besonderem.«

Ich seufzte. Sollte ich es ihr sagen? Sie war immerhin ein Niemand. Keiner würde sie anhören, wenn sie es in der Schule rumerzählte. Außerdem musste ich es unbedingt mal loswerden. Aus diesem Grund zog ich Denice von der Tanzfläche, hin zu einem ruhigen Ort. Nur zur Sicherheit, falls hier doch jemand von der Schule lauschte. »Ich weiß. Das ist aber inzwischen mein Standartspruch: So besonders sind die beiden gar nicht. Natürlich sind sie besonders. Das weiß ich ja. Ich sag das, weil ich denke, dass ich in der Schule nur beliebt bin, weil ich bei denen lebe. Dabei sehe ich sie gar nicht so oft… immerhin sind meine Eltern nur Angestellte.«

»Du denkst man mag dich nur wegen deinem Zuhause?« »Klar. Es ist nun Mal eine Klasse für sich. Du musst es doch wissen. Immerhin wolltest du heute unbedingt hier hin.« Denice Blick war gesenkt. War ihr Gesicht etwa schon wieder gerötet? »Die Wahrheit? Nein. Eigentlich interessiert mich dieses Schloss so gut wie gar nicht.« Hä? Jetzt verstand ich gar nichts mehr. »Warum wolltest du dann hier hin?«

Pause. Pause. Pause. Ich dachte schon, sie würde mir gar nicht mehr antworten. Bei ihrer Persönlichkeit gar nicht mal so unwahrscheinlich. Doch dann sagte sie schließlich doch etwas. Etwas, was meinen Herzschlag für einen kurzen Augenblick aussetzen ließ. »Ich bin wegen dir gekommen.«

Sie war wegen mir gekommen. Nicht wegen meines Zuhause. Ich glaube, niemand hat bis jetzt etwas nur für mich getan. Ich meine, nicht mal Max konnte mir an diesem Tag Gesellschaft leisten.

Dann sah ich sie einfach an und vergaß dabei alle Vorurteile. Ich vergaß, dass rothaarige Mädchen überhaupt nicht mein Typ waren. Ich schaute ihr einfach in ihre grünen Augen… ein unglaublich schönes grün. Und dann, ich konnte nichts dagegen unternehmen, befanden sich meine Hände um ihre Hüften. Der kleine Abstand, der unsere Lippen noch voneinander trennte, wurde im nächsten Moment zunichte gemacht.

»Stopp!«, sagte sie plötzlich. Wie jetzt? Hatte ich das falsch verstanden? Ich dachte, sie wäre wegen mir hergekommen. Sie musste meinen traurigen und verwirrten Blick wohl gedeutet haben, denn im nächsten Moment erklärte sie: »Nicht, dass ich es nicht möchte. Ich bin nur anders als andere Mädchen. Für mich hat ein einfacher Kuss große Bedeutung.«

»Ich weiß, dass du nicht wie andere Mädchen bist. Denn die anderen Mädchen lieben mich alle wegen meiner Herkunft. Gerade deshalb habe ich dich geküsst, weil du eben anders denkst.« »Oh«, murmelte sie wieder in ihrer typischen schüchternen Art, die ich nie ausstehen konnte. Doch dieses Mal war das anscheinend nicht alles: »Und was bedeutet das jetzt?«

»Na was wohl?«, fragte ich und küsste sie erneut. Dieses Mal länger, da sie nicht abblockte. »Und in der Schule? Ich könnte mir vorstellen, dass ich deinem Ruf schaden könnte.« »Dann hast du mich offenbar immer noch nicht richtig verstanden. Das ist doch der Punkt! Ich will, dass ich beliebt bin, weil sie mich mögen. Und wenn du ab jetzt ein Teil von mir bist, sollen sie gefälligst damit klar kommen.«

 

Kapitel 11

 

Tja, jetzt saß ich hier und konnte die anderen beim Tanzen beobachten. Ganz toll. Suchend schaute ich mich um, ob vielleicht noch jemand hilflos alleine herumstand. Doch ich konnte keinen Vampir entdecken. Wäre ich nur Zuhause geblieben… aber andererseits, dann hätte ich nie König Lian getroffen.

Doch dann, wie durch ein Wunder, nach einigen verstrichenen Minuten, tippte mich jemand von hinten an die Schulter. »Lust zu tanzen?«, fragte er mich. Ja! Ja! Ja! Endlich! Ohne lange zu überlegen ergriff ich die Hand des Vampires vor mir.

»Ich heiße Alea Reeves und du?«, fragte ich ihn, wobei ich ihn das erste Mal richtig in die Augen schaute. Er hatte wunderschöne haselnussbraune Augen, die meine Atmung für einen kleinen Moment aussetzten ließ. »Ich bin Daniel Wyler. Ziemlich beeindruckendes Schloss, findest du nicht?« Und wie! Ich nickte nur, da mir nicht die richtigen Worte von den Lippen gleiten wollten. Schließlich fragte ich einfach: »Besuchst du oft solche Veranstaltungen?«

»Ne, das ist meine erste. Wäre mir auch gar nicht möglich. Was glaubst du, wie schwierig es war in diese hier herein zu kommen?« Hä? Jeder konnte hier doch rein, immerhin ist das ein Tag der offenen Tür. »Wieso schwierig? Jeder kann kommen, wenn er möchte.« »Nein, nicht jeder. Jeder von den Feences kann kommen, aber wenn du zu den Casses gehörst sieht das anders aus.« Zu den Casses? Halt mal… waren das nicht diese Typen, die Alissa im Unterricht angesprochen hatte? Diese gefährlichen? Automatisch löste ich mich nun von ihm.

»Du gehörst du den Casses?« Ganz tolle Frage, Alea. Klar tat es das. Ich wusste aber nicht, wie ich sonst hätte reagieren sollte. »Ja, und wenn du möchtest, dass das hier für dich gut ausgeht, dass deinen Freunden und deiner Familie nichts passiert, tanzt du weiter mit mir.« Bitte was? Alissa hatte ja sowas von Recht gehabt. Diese Casses waren ja sowas von gruselig. Was sollte ich nun tun? Er wollte meinen Freunden und meiner Familie etwas antun? Wusste er überhaupt wer dazu gehörte? Klar wusste er das. Wenn Casses wirklich so gefährlich sind, machen sie vor Spionage sicher keinen Halt.

Als das Wort hand im Hintergrund der Musik erklang, fiel mir wieder ein, dass er Weitertanzen von mir erwartete. Schnell und ängstlich griff meine zittrige Hand die seine. »Was willst du von mir?« Einfach nur tanzen wollte er ganz sicher nicht. Es musste einen Grund geben, warum er diese Veranstaltung besuchte.

»Mein Vater hat kürzlich einen Zauber gelegt, der ihm die Zukunft zeigt.« Okay, er war nicht nur gefährlich, sondern auch verrückt. »Ich muss mich wohl verhört haben. Ein Zauber, der die Zukunft zeigt? Das geht nicht. Solche starke Zauber kann niemand wirken – egal wer dein Vater ist.« »Naja, nicht ohne Unterstützung. Es gibt mächtige Gegenstände, die euch bürgerlichen Feences wahrscheinlich nicht bekannt sind, weil eure Regierung es für sicherer hält euch im Dunkeln zu lassen. Aber bei den Casses ist das anders, wir können sie ohne Probleme benutzen.«

Plötzlich kamen mir die Worte unserer Lehrerin wieder ins Gedächtnis: Nicht alle Vampire sind wohlhabend und achten das Gesetz. »Ja, weil ihr Sachen gegen die Regeln macht. Regeln sind immer besser… seine Zukunft zu kennen kann nie gut sein.«

»Wie auch immer. Jedenfalls sagte uns die Zukunft, dass eine gewisse Alea Reeves eine Gefahr für die Casses darstellen wird.« Ich? Nein, das konnte nicht sein. »Das glaub ich nicht. Ich bin nicht gefährlich – für niemanden. Ich bin doch nur Alea Reeves.« »Tja, der Zauber hat uns aber etwas anderes gesagt.« Konnte das sein? Würde ich mich in Zukunft so verändern, dass ich für irgendjemand eine Gefahr darstellte? Ich konnte es mir eigentlich nicht denken. Ich konnte keiner Fliege etwas zu leide tun. Allerdings sind Fliegen auch nicht so bedrohlich wie diese Casses.

Ich atmete langsam aus. »Tollen Vater hast du da. Der seinem Sohn einfach die Arbeit in die Schuhe legt.« »So ist das nicht. Die Zukunft hat nämlich noch etwas anderes gesagt. Mein Vater hat mir mitgeteilt, dass ich quasi der Held für die Casses sein kann. Durch mich können wir gerettet werden.« Klar, Held. Bösewichte können doch keine Helden sein. Aber trotz alldem… stellte er sich gerade als mein persönlicher Feind und Gegner vor. Hm… wir waren beide ja noch nicht sonderlich alt, sodass wir in irgendeiner Weise einen Kampf antreten könnten. Meine Fähigkeiten waren noch total schwach.

»Ein Held also… Dann sag mir, Held, was planst du nun zu unternehmen?« Die Ironie in meiner Stimme war kaum zu überhören. »Also, ich würde dir ja raten, dass du uns Casses nicht tötest, sonst muss ich Held spielen und dich zur Strecke bringen.« »Um Himmels willen! Ich bin im Moment nicht Mal dazu in der Lage. Wer weiß, was ich in der Zukunft vorhabe. Es heißt nicht ohne Grund Zukunft. Es sollte auch in der Zukunft liegen.« »Ist ja gut. Ich will dich nur schon Mal vorwarnen.«

Und dann machte ich mir wirklich ernsthafte Gedanken darüber. Vielleicht sollte ich wirklich gegen ihn kämpfen. Diese Casses scheinen eine Bedrohung zu sein. Vielleicht hatte es ja einen Grund, warum ich mich in meinem Alter schon so für das Königreich interessiere. Möglicherweise bin ich ja tatsächlich für Größeres bestimmt. Natürlich durfte er das nicht wissen, dass ich das ernsthaft in Betracht zog. Sonst würde auch er sich auf diesen Kampf vorbereiten. Vielleicht war an dem Sprichwort ja was dran: Sei deinen Freunden nah und deinen Feinden noch viel näher.

Als die Musik verstummte verbeugte sich Daniel einmal ganz tief. »Hat mich gefreut. Ich schätze es war nicht das letzte Mal, dass wir uns begegnet sind, Alea.« Nein, sicher nicht. Dafür würde ich persönlich sorgen.

Kapitel 12

 

»Äh, Alea? Ich wollte fragen… ich meine es ist jetzt schon eine Weile her und ich habe immer noch keine Antwort von dir.« Jayden saß total nervös neben mir auf der Bank, die sich in der Aula unserer Schule befand. Ich wusste natürlich genau wovon er sprach… die Antwort. Mist aber auch. Ich war noch kein Stückchen schlauer.

Fakt ist: Ich mag Jayden sehr. Wenn ich ihm eine Abfuhr erteilen würde, wäre er sicherlich sehr verletzt. Vielleicht würde ich ihn dann sogar verlieren und das wollte ich unter keinen Umständen. »Ja«, brachte ich somit hervor. »Ja?« »Ja, ich erwidere deine Gefühle.«

Stille. Leider die Sorte von Stille, die peinlich statt angenehm ist. Glücklicher Weise bog in diesem Moment Justine um die Ecke, die uns somit aus der Situation rettete. Doch sie schenkte uns nur einen skeptischen Blick. »Ne, oder? Jetzt sprecht euch doch endlich aus!« »Haben wir doch«, protestierte ich. »Oh… und nein?«, fragte mich Justine geknickt. »Nein… ja.« Okay, das hörte sich komisch an, aber Justine wusste was ich meinte.

Justine seufzte. »Bor, dann versteh ich echt nicht was euer Problem ist. Ihr macht es euch doch nur unnötig kompliziert.« »Wir haben kein Problem«, sagte ich. »Ach nein? Und warum befindet sich dann diese unsichtbare Mauer zwischen euch?« »Da ist keine-«, doch ich unterbrach.

Der Grund dafür waren Denice und Benjamin, die Händchenhaltend durch die Tür schritten. Jeder hier heftete nun seinen Blick auf die zwei. Verständlich, immerhin war Benjamin einer der beliebtesten Jungs der Schule, während Denice eher den Loser-Ruf hatte. Selbst mir stand der Mund offen.

»Seit wann geht das bitteschön?«, fragte Justine. »Also sie waren auch schon zu zweit, ohne Caitlyn, im Schloss. Aber ich bin jetzt nicht davon ausgegangen, dass sie ein Paar sind.« Als dann der Gong erklang küsste Benjamin Denice sogar auf ihren Mund. Okay, das hätte ich echt nicht von ihm erwartet. Ich hatte ihn eher so wie Max eingeschätzt, der alles für einen guten Ruf tut.

Grinsend kam Denice auf uns zu und murmelte: »Hi.« »Hi«, antworteten wir. »Mensch, so viel Liebe heute in der Luft… da kann man ja kaum noch atmen«, lachte Justine, woraufhin ich ihr einen bösen Blick zu warf. Bevor sie ein weiteres Kommentar von sich geben konnte, machte ich mich auf den Weg zum Klassenraum. Heute würden wir nämlich die erste Testphase durchführen. Aber bei Alissa und meinen Fortschritten… wahrscheinlich hatten sich meine Fähigkeiten nicht mal minimal verstärkt.

Ich bewegte mich zur rechten Sitzreihe, dort wo Alissas und mein Tisch stand. Aus Langeweile vom Warten auf die Lehrerin verschönerte ich ein wenig unsere Projektmappe. Plötzlich lenkte sich meine Aufmerksam aber auf den Tisch links von mir. Irgendein Junge, den ich nicht kannte, hatte Benjamin mit einer Papierkugel beworfen.

»Hey, Ben! Was ist das eigentlich mit dir und der Rothaarigen? Hast du eine Wette verloren?« »Nein Mike, hast du ein Problem damit?« »Naja, denkst du nicht, dass du eine Hübschere findest?« Hatte er Denice gerade ernsthaft als hässlich bezeichnet? Das war sie nun wirklich nicht. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.« »Oh, tut es nicht. Aber wenn du die zur nächsten Party mitschleppst, brauchst du gar nicht erst aufzukreuzen.« »Zu deiner Party wäre ich eh nicht gegangen.« »Tja, ich glaube nur, dass die anderen das nicht anders sehen.«

Wütend drehte sich Ben um die eigene Achse. »Halt einfach dein Maul, ja?« »Ey, so redet man nicht mit mir. Du schon gar nicht.« Man konnte die Spannung zwischen den beiden förmlich spüren. Zum Glück betrat die Lehrerin im nächsten Augenblick den Raum, sodass die kleine Diskussion notgedrungen aufhören musste.

»So, liebe Schüler. Wir werden sofort beginnen, weil wir heute noch viel vorhaben. Tut euch bitte sofort mit eurem Projektpartner zusammen, um eure Fähigkeiten zu testen. Die eintretende Situation soll in eurer Projektmappe bitte äußerst genau dokumentiert werden.« Toll. Und was, wenn gar keine Situation eintritt? Wollen wir es einfach erstmal nicht hoffen…

Alissa und ich suchten uns einen abgeschiedenen Ort. Unsere Blamage musste ja nicht gleich jeder mitbekommen. Drei Zimmer weiter wurden wir fündig. »Und du willst immer noch die Wahrheit in diese Projektmappe schreiben?« »Natürlich. Sonst kann ich ja nie meine Fähigkeiten aufbessern.« »Gut, da du so eifrig bist kannst du auch anfangen.«

Na schön. Dann mal los. Stell dir was vor, denk an was, Alea. Vielleicht nicht unbedingt an Alissa, da dir das sowieso nichts bringen wird. Obwohl ich nicht mal richtig was gefunden hatte, erfüllte sich im nächsten Moment mein Körper mit Magie.

Ach – du – Kacke! »Stopp!«, brüllte Alissa entsetzt, da sich im nächsten Moment ein Blitz im Klassenzimmer auftat. Ich war erleichtert, dass es nur ein klitzekleiner war, sodass nichts in Flammen aufging. Trotzdem pochte mein Herz noch wie verrückt. Da war ich nicht die einzige. Alissas Blick war ziemlich entsetzt. »Das… diese Magie… die solltest du gar nicht beherrschen können. Die ist typisch für jemanden von den Casses. Du bist doch keiner, oder?« »Was? Nein! Ich kann auch den Raum nach Vanille duften lassen. Das können doch keine Casses, oder?« »Nein… aber irgendwie scheinst du beide Arten der Magie zu besitzen. Die Magie der Feences, die keine Gesetze bricht… und die der Casses, die Gefährliche. Das ist gar nicht gut, Alea.«

Eigentlich war ich mir da nicht so sicher. Wenn ich auch gefährliche Magie fabrizieren konnte, hätte ich vielleicht eine Chance die Casses zu besiegen. Ich musste bloß lernen damit umzugehen, damit ich niemanden damit Schaden zufügte. Plötzlich kam mir ein Gedanke: »Es könnte sein… Vielleicht hat sich meine Magie deshalb entwickelt, weil ich bei dem Tag der offenen Tür im Schloss Kontakt zu jemanden von den Casses hatte.«

»Du hattest was?«, fragte Alissa entsetzt. »Okay, wahrscheinlich nicht deshalb. Du kanntest du Casses schließlich auch.« »Naja, Kontakt kann man das nicht nennen. Gesprochen habe ich mit Niemand von denen… zum Glück. Aber… deine Vermutung ist gar nicht so abwegig. Immerhin haben Casses und Feences so gut wie keinen Kontakt zueinander. Deshalb ist mir das auch nicht bekannt, dass jemand beide Fähigkeiten entwickeln kann.«

»Soll ich meine Fähigkeiten geheim halten?«, fragte ich sie zögernd. »Das wird dir nichts bringen. Irgendwann wird es eh herauskommen.« »Du musst mir von deinen Erfahrungen mit den Casses erzählen, Alissa.« »Nein, muss ich nicht.«

Ach, was soll’s. Erzählte ich ihr eben alles. »Doch, musst du. Ich denke, ich habe diese Fähigkeiten nicht ohne Grund. Jetzt ergibt auch alles einen Sinn… das was der Junge von den Casses mir erzählte. Er meinte, dass sein Vater mit irgendeinem mächtigen Stein die Zukunft sehen konnte und sah, dass ich die Casses vernichten könnte. Mir ist auch schon klar, wie es klappen könnte. Ich muss das Vertrauen der Casses gewinnen. So tun, als wolle ich meinen Schicksaal und möglichem Tod entkommen, indem ich mich mit ihnen anfreunde. Dazu muss ich aber mehr über sie erfahren… Also, was weißt du?«

Sie schüttelte hektisch den Kopf. »So sind die Casses nicht. Der Plan wird nicht funktionieren. Das kannst du sofort wieder abharken. Eine gefakte Freundschaft werden die dir nicht abkaufen. Immerhin sind wir ihre natürlichen Feinde.« »Okay, ich werde es nicht tun. Aber nur, wenn du mir im Gegenzug deine Geschichte über die Casses erzählst.« »Tja, du wirst wohl nie aufgeben, oder? Na schön. Von mir aus. Wenn du dann Ruhe gibst.«

Auch wenn ich Alissa versprochen hatte, diesen Plan ein für alle Mal abzuharken… tief in mir hatte ich das noch nicht. Was, wenn es meine einzige Möglichkeit wäre? Immerhin ist der Gegner schwächer, wenn er mit keinem Kampf rechnet. Egal, ich brauchte es Alissa ja nicht erzählen, dass ich insgeheim doch meinen eigenen Kopf hatte. So bin ich halt.

Kapitel 13

 

~ VOR 10 JAHREN ~

 

[erzählt von Alissa Lester]

»Ururgroßoma Sarah? Wo sind Mama und Papa? Und was machen sie?« »Das kann ich dir leider nicht beantworten, Alissa. Aber keine Sorge, sie werden bald zurück sein.« »Kann ich in der Zwischenzeit noch nach draußen gehen?« Ururgroßoma Sarah nickte lächelnd. Sie kam ab und zu mal vorbei, wenn Mama und Papa wieder mit ihren Sachen beschäftigt waren. Dann passte sie sozusagen auf mich auf, auch wenn sie mir quasi fast alles erlaubte.

Doch heute war es anders. Ich hatte ein gewisses Alter erreicht, wo ich meinen eigenen Kopf durchsetzen wollte. Klar, meine Eltern hatten mir immer befohlen doch bitte bei Sarah zu warten. Aber sie konnte meine Eltern eben nicht ersetzen, weshalb ich zu ihnen wollte. Zugegeben, nicht nur weil ich sie vermisste, sondern auch weil ich skeptisch wurde. Irgendwas machten sie, was ich nicht wissen sollte.

Da stand ich nun. Meine gelbe Regenjacke mit den neonfarbenden Gummistiefeln übergezogen. Ich weiß, tolle Kombi, aber das waren eben die besten Sachen, die ich gegen den Regen hatte. Der Himmel sah nämlich überhaupt nicht schön aus.

Hilflos schaute ich mich um. Ich würde meine Eltern nie finden… jedenfalls nicht ohne Magie. Tja, da waren wir wieder an dem Punkt angekommen. Meine Magie… ich hatte einfach noch keine. Irgendwie eigenartig, wo meine Eltern doch beide so unglaublich mächtig sind.

Jetzt komm schon, Alissa, streng dich an. Jetzt oder nie! Der perfekte Moment, wo du deine Fähigkeiten wirklich gebrauchen kannst. Denk an deine Eltern. Stell dir vor wie du sie findest. Ach, das würde doch eh nicht funktionieren. Wie oft habe ich das jetzt schon versucht? Gefühlte Millionen Mal.

Doch gerade als ich wieder einmal aufgeben wollte, regte sich in meinem inneren so eine Ahnung. Eine Ahnung, wo meine Eltern vielleicht sein können. Als ich mich stärker darauf konzentrierte wurde diese Ahnung stärker, bis es sich irgendwann um Wissen handelte. Auch wenn ich den Ort zwar nicht kannte, meine Füße trugen mich automatisch zum richtigen Fleck.

Als ich eine alte Mühle erblickte, hielt ich inne. Man konnte Stimmen wahrnehmen, darunter unteranderem meine Eltern. Doch sie waren nicht allein. Da ich mir nicht sicher war, ob ich einfach in die Unterhaltung reinplatzen konnte (immerhin wollten meine Eltern nie, dass ich mitkam), verseckte ich mich hinter einer buschigen Hecke, die ganz in der Nähe stand. Sie wuchs so dicht, dass man mich sicher nicht bemerken würde.

»Ich weiß echt nicht, was das jetzt soll. Wir hatten doch eine Abmachung.« Die Stimme meines Vaters… eindeutig. Allerdings klang sie doch so fremd. Hörte ich da etwa Angst heraus? Mein Papa hatte sonst nie Angst… egal vor was. Bestimmt waren seine Fähigkeiten deshalb so stark. Klar, dass er sich deshalb eine starke Frau gesucht hatte, die mit ihm mithalten konnte. Bis vor kurzem dachte ich, das Wort Angst würde nicht in seinem Wortschatz existieren.

»Oh, das tut mir aber leid. Haben wir etwa die Regeln gebrochen?«, fragte ein Fremder meinen Papa, dessen Stimme aber um einiges selbstbewusster klang. »Aber warum? Was haben wir denn falsch gemacht?« Auch die Stimme meiner Mutter konnte man kaum verstehen – so unsicher war sie. »Nichts, meine Lieben. Ihr seid mir mit euren starken Fähigkeiten einfach zu mächtig. So mächtig, dass ihr eine ernsthafte Bedrohung darstellen könntet. Ich fände es besser, wenn wir uns besser gleich voneinander verabschieden als später, wenn eure Fähigkeiten nur noch stärker sind.«

»Verabschieden? Wie meinst du das genau? Ist unsere Freundschaft nicht stark genug-« Doch weiter kam meine Mama nicht. Anstatt dass meine Eltern sich weiter ruhig, wenn auch sichtlich nervös, mit der Person vor ihnen unterhielten, schrien sie aus vollem Halse. Was zur Höhle? Was passierte da gerade? Ich wollte nachschauen, doch dann würde ich das Risiko eingehen, dass ich gesehen werde.

Erst jetzt bemerkte ich, dass mir lautlos Tränen über meine Wangen liefen. Ich weinte doch sonst nie. Außerdem… weißt du gar nicht was da gerade passiert ist. Ein Schrei muss nichts bedeuten. Klar, der bedeutet Gefahr, sagte mir mein Unterbewusstsein. Doch ich wollte nicht darauf hören. Andernfalls würde ich mich hier nicht mehr halten können… würde auf mich aufmerksam machen und wäre möglicherweise die Nächste.

Nein. Vielleicht sind meine Eltern in Gefahr und ich muss sie retten. Wenn ich hier blieb, nur damit ich mich selbst schütze wäre das egoistisch. Kaum kam mir dieser Gedanke, stürmte ich auch schon aus meinem Versteck.

Da war sie: die Mühle. Der Wind hatte sich gelegt und ihre Flügel hatten aufgehört sich zu drehen. Da waren sie… Mama und Papa, jedoch vollkommen allein. Von einem Fremden war keine Spur mehr. Nein, so ist es nicht. Sie liegen auf dem Boden, weil sie verletzt sind. Obwohl ich mir diesen Satz immer wieder in Erinnerung rufen wollte, konnte ich nicht anders als auch die andere Option in Erwägung zu ziehen. Nein, nein, nein! Sie sind nicht tot.

Mit wackeligen Knien näherte ich mich meinen Eltern. Vorsichtig beute ich mich über sie, um den Herzschlag zu hören. Doch ich hörte nichts. Irgendwas musste ich falsch machen. Bestimmt war ich nur zu nervös, um die Situation richtig zu deuten. Aber der Brustkorb hob und senkte sich nicht. Warum? Vielleicht war die Atmung einfach nur schwach. Vampire heilen aber schnell. Sicher würden die beiden schon bald wieder fit auf den Beinen sein.

Ich wartete. Ich wartete selbst dann noch, als die Sonne mir meine Haut verätzen wollte. Irgendwann sah ich in der Ferne eine eingemummte Frau… Ururgroßoma Sarah. Sie zog mich fest in ihre Arme und endlich war ich in der Lage lauthals loszuheulen… das erste und hoffentlich letzte Mal in meinem Leben.

 

Kapitel 14

 

~ VOR 6 JAHREN ~

 

»So, jetzt weißt du es, warum ich keine Fähigkeiten entwickeln möchte. Meine Eltern hatten unglaublich starke und am Ende hat es ihnen auch nichts genützt. Ich bin lieber für mich alleine, so kann mir das nicht noch mal passieren. Die Schule besuche ich nur meiner Ururgroßmutter zuliebe.«

Im nächsten Augenblick wusste ich gar nicht wie ich reagieren sollte. Ich war immer noch dabei ihre Geschichte zu verdauen. Immerhin dachte ich bis vor kurzem, dass wir in einer heilen Welt ohne Casses leben. Irgendwann sagte ich einfach aus den Bauch heraus: »Dir ist etwas Schlimmes passiert, kein Zweifel. Aber schlimme Dinge passieren, selbst ohne die Casses. So spielt das Leben, aber wir müssen trotzdem weitermachen.«

»Das versuche ich doch. Ich versuche aber trotzdem aus den Fehler meiner Vergangenheit schlauer zu werden.« »Welcher Fehler bitte? Du hast doch ganz sicher keine Schuld am Tod deiner Eltern!« »Das meinte ich auch nicht. Mein Fehler war, dass meine Eltern für mich alles waren… und jetzt sind sie fort. Ich darf es einfach nicht zulassen, dass mir eine Person je wieder so viel bedeutet.«

»Aber jetzt bist du ganz alleine, was es sicher nicht besser macht. Was du brauchst ist eine Clique, völlig unverbindlich, mit der du ab und zu mal weggehen kannst, um dich besser zu fühlen.« »Ach ja? Als ob jemand wie ich in irgendeine Clique reinpassen würde.« »Du wirst es nie wissen, wenn du es nicht versuchst. Was würdest du davon halten, wenn du nach der Schule mit mir mitkommen würdest und ich dich ein paar Leuten vorstelle?«

Man konnte deutlich merken wie sie zögerte, doch schließlich murmelte sie: »Wenn du meinst. Aber ich garantiere nicht, dass das funktioniert. Ich war noch nie der Typ für Cliquen.«

~~~~~~~~~~

Justine und Jayden standen bereits auf dem Schulhof, auch Caitlyn hatte sich zu den beiden gesellt. Als sie mich und Alissa erblickten, stellten sie ihre Unterhaltung ein und sagten nacheinander: »Hi.« »Hi, ich würde euch gerne jemanden vorstellen. Leute, das ist Alissa. Alissa, das sind Justine, Jayden und Caitlyn.« Ich zeigte nacheinander auf jeden von ihnen.

»Alissa wie deine Projektpartnerin Alissa?«, fragte Jayden verblüfft und das zu Recht. Immerhin hatte ich ihnen nicht gerade das Beste über sie erzählt. »Ja. Ich denke, ich habe sie anfangs falsch eingeschätzt.« »Alissa heißt glaube ich auch meine Uroma. Wie wäre es denn mit Ali? Passt vielleicht besser zu dir«, schlug Justine vor.

Sie überlegte kurz. »Ali gefällt mir.« Justine lächelte. »Also dann, Ali. Wusstest du eigentlich schon, dass wir beiden eigentlich Projektpartner geworden, wäre ich nicht so unglaublich gnädig zu Alea. Sie wollte nämlich nicht mit ihrem Bruder zusammen arbeiten.« Alissa, nein Ali, hob eine Augenbraue. »Wieso? So schlimm?« »Und ob«, warf ich ein. »Ich bin Justine mehr als dankbar.« »Ich hätte gerne einen großen Bruder gehabt… oder überhaupt irgendwelche Geschwister«, sagte Ali leise. »Ich ja auch. Nur führt sich Max alles andere als wie ein großer Bruder auf.« »Und wie war euer Schultag?«, wechselte Justine plötzlich das Thema.

Und da musste ich sofort an die Neuigkeiten denken, die ich unbedingt loswerden wollte… bezüglich meiner Fähigkeiten. »Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe neue Fähigkeiten entwickelt! Aber nicht so wie ihr jetzt wahrscheinlich vermutet… andere.« »Was meinst du mit andere?«, fragte mich Caitlyn irritiert. Als ich nicht genau wusste, wie ich es erklären sollte, half mir Ali zum Glück auf die Sprünge: »Alea kann auch Magie einsetzen, die gegen die Regeln ist.«

Entsetzen breitete sich im Gesicht der drei aus. Verständlich. Aber wieder rettete Ali die Situation: »Das hört sich zwar anfangs ziemlich gefährlich an, aber wenn Alea lernt mit diesen Fähigkeiten umzugehen, können sie durchaus nützlich sein. Das waren die Worte unserer Klassenlehrerin und sie hat wahrscheinlich Recht.«

Die Angst verschwand aus ihren Augen. »Puh, ich dachte schon, dass dich das jetzt zu einem Casses machen würde«, lachte Justine. »Ne, ich habe ja auch noch meine Feences Magie. Außerdem habe ich den Blitz im Klassenzimmer ja nicht mal richtig hinbekommen.«

»Ich denke, ich muss dann mal Nachhause«, sagte Caitlyn. Ich drehte mich um. Weil Denice und Ben gerade das Schulgebäude verließen? Tja, bevor ich sie fragen konnte war sie auch schon als Fledermaus davongeflogen. »Ich versteh das nicht. Wollte Caitlyn Denice und Ben nicht sogar miteinander verkuppeln?«, fragte ich in die Runde. »Schon, aber als sie das vorhatte, stellte sich heraus, dass Ben nur mit Denice zu der Party gehen würde, wenn er mit Caitlyn ein Date bekommen könnte. Sie scheint jetzt ziemlich verwirrt zu sein«, erklärte mir Justine.

»Sie denkt also er spielt mit ihr?«, fragte ich. »Wahrscheinlich. Obwohl ich es mir persönlich nicht vorstellen kann, immerhin riskiert man nicht seinen Ruf für ein Mädchen, wenn es nicht echt ist.«

»Okay, ich werde dann jetzt auch mal gehen«, murmelte Ali und verabschiedete sich von uns. »Wollen wir auch? Alea? Fährst du dieses Mal mit Jayden und mir mit dem Auto mit?«, fragte Justine. Bevor ich antworten konnte, sagte Jayden: »Kannst du vielleicht schon mal vorgehen? Ich würde gerne noch mit Alea unter vier Augen reden.« Justine grinste, auch wenn man ihr ansah, dass sie gerne noch geblieben wäre. »Klar doch. Ich warte am Wagen.«

Als wir dann alleine waren, hatte sich Jayden gleich eine Rede zurechtgelegt: »Hör zu, Alea. Ich weiß, was du heute Abend geantwortet hast. Aber du kannst nicht leugnen, dass die Dinge zwischen uns immer noch total komisch sind. Wahrscheinlich war es ein Fehler von mir eine Antwort zu verlangen. Vielleicht sollten wir einfach wieder zu dem Punkt zurückkehren, wo wir vor ein paar Wochen waren.«

Ich schaute ihn entsetzt an. War das jetzt sein Ernst? Wie könnten wir jemals wieder einfach nur Freunde sein? Unmöglich. Ja, Alea. Und warum ist das unmöglich?, fragte mich meine innere Stimme. »Nein, Jayden. Das geht jetzt nicht mehr. Wir können keine Freunde mehr sein.« Er senkte seinen Blick. »Oh…«

Ich stöhnte. War er wirklich so doof oder tat er nur so? Ich hob seinen Kopf an, sodass er mir in die Augen gucken musste. So war Jayden, das wusste ich nur zu gut. Er war unsicher und würde nie den ersten Schritt machen. Leider war ich auch nicht der Typ für erste Schritte… eigentlich war ich generell total unerfahren was Jungs angeht. Aber das fand ich nicht schlimm, immerhin bin ich noch jung. Doch das war jetzt etwas anderes. Mir wurde bewusst, wenn ich jetzt nicht handelte, würde nie etwas zwischen uns passieren. Und ich musste mir eingestehen, dass ich das nicht wollte. Darum zog ich ihn im nächsten Moment an mich und küsste ihn… mein erster Kuss überhaupt, kam mir in den Sinn. Und ich stellte fest, dass es dafür gar nicht so schlecht war.  

Kapitel 15

 

[erzählt von Justine Mayhew]

Klopf. Klopf. Klopf. »Herein!«, sagte Max. »Justine? Bleibst du zum Essen?«, fragte mich Taylor. »Wenn es keine Umstände bereitet.« »Natürlich nicht. Du bist immer bei uns willkommen. Das weißt du doch. Ihr könnt runterkommen, wenn ihr fertig seid.« Ich lächelte sie an. »Danke, wir kommen gleich.«

»Wollen wir noch eine Frage ausfüllen und dann essen?«, fragte mich Max, woraufhin ich nickte. »Also gut, es ist eine Ankreuzaufgabe. Kannst du dir vorstellen…? lautet sie. Ich schaute auf mein Blatt und zückte den Stift.

auch nach dem Projekt noch Kontakt zu deinem Partner zu haben? Ja. … eine Art Beziehung zu dieser Person aufzubauen? Nein. … für längere Zeit mit deinem Projektpartner alleine zu sein? Gute Frage. Bis vor kurzem hätte ich definitiv nein angekreuzt. Aber irgendetwas schien das Projekt doch geändert zu haben, denn meine Hand ging nach links zum Ja-Kästchen.

»Fertig?«, fragte er mich und guckte neugierig über meine Schulter. »Wirklich? Gar keine Art von Beziehung? Nicht mal der heiße Bruder der besten Freundin?« Genervt schlug ich ihn mit der Projektmappe gegen die Schulter. »Heißer Bruder der besten Freundin ist keine Beziehungsart. Wieso? Siehst du das anders?«, fragte ich lachend und schaute nun auch auf seinen Zettel. Doch auch er hatte exakt dasselbe wie ich angekreuzt. »Nö, dachte nur, du vielleicht schon.«

Ich verdrehte die Augen. »Lass uns jetzt einfach essen gehen.« Er legte seinen Stift beiseite und stand auf. »Gute Idee. Mein Magen knurrt schon.«

Alea, Dana und ihre Eltern saßen bereits am Tisch als Max und ich den Speisesaal betraten. Es gab Taylors berühmt leckere Pfannkuchen. Aleas Mum machte echt die Besten weit und breit… ungelogen. Allein beim Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen. »Lecker, es gibt Pfannkuchen!«, jubelte Max und setzte sich sofort an dem Tisch, lud sich einen Pfannkuchen auf und begann zu essen – bevor ich überhaupt platzgenommen hatte.

»Ja, es gibt nämlich einen Grund warum ich Pfannkuchen gemacht habe. Alea? Jetzt sind ja alle da, darf ich es erzählen?«, fragte Taylor. »Kannst du. Justine weiß es auch schon.« Da dämmerte es mir wovon Taylor sprach. »Nun spann uns nicht so auf die Folter«, sagte Aleas Vater Jasper ungeduldig.

»Alea hat heute neue Fähigkeiten entwickelt! Und nicht nur irgendwelche. Vielleicht kann sie mit ihren neuen Fähigkeiten endlich gegen die Casses vorgehen.« »Mami? Was sind Casses?«, fragte die kleine Dana. »Das sind keine netten Vampire, Schätzchen. Zum Glück haben wir hier nur kaum Kontakt zu ihnen, aber verhindern kann man es nie. Alea könnte unsere Heldin sein!«, sagte Taylor stolz.

Mein Blick huschte zu Max, dem anscheinend der Appetit vergangen war. Er schien unglaublich wütend, aber auch … ich konnte es nicht genau deuten … verletzt? Ich musste an die Situation auf dem Gartendach denken. »Verstanden! Alea ist die beste Tochter, die man sich wünschen kann.« Mit diesen Worten stand Max vom Tisch auf und ging wieder nach oben.

»Ist er jetzt etwa eifersüchtig, weil seine Fähigkeiten doch nicht so besser als meine sind?«, fragte Alea lachend. »Ach, der kriegt sich schon wieder ein. In fünf Minuten kommt er wieder, um seinen Pfannkuchen aufzuessen«, meinte Jasper. »So ist Max eben. Anstatt sich für seine kleine Schwester zu freuen… Ich sag doch, dass er kein großer Bruder für mich ist«, murmelte Alea.

»Ach, so darfst du das auch nicht sehen, Alea. Er hat eben seine pubertäre Phase. Die geht auch wieder vorbei«, sagte Taylor. »Dann scheint die Pubertät aber ganz schön lange anzuhalten«, meinte ich.

Doch nach fünf Minuten kam Max nicht, um seinen Pfannkuchen aufzuessen… auch nicht nach fünfzehn Minuten. »Er wird sich ganz sicher nicht bei mir entschulden falls du das glaubst, Mum«, sagte Alea schließlich. »So wie er nicht mehr runterkommen wird.« »Ich guck mal nach ihm«, sagte ich als ich meinen Pfannkuchen aufgegessen habe.

»Das musst du nicht, Justine. Schulprojekt hin oder her. Das hätte er nicht verdient.« Doch irgendetwas in mir hatte Mitleid mit Max. Klar, hatte Alea Recht. Sein Verhalten war kindisch… Eifersucht ist generell total kindisch. »Egal, ich schaue trotzdem mal kurz nach dem Rechten.« Vielleicht weil ich in seinem Blick nicht nur Wut entdeckt hatte… keine Ahnung.

~~~~~~~~~~

Vorsichtig klopfte ich an Max Zimmertür. »Wer ist da?« »Justine«, antwortete ich. »Ich habe jetzt kein Bock das Projekt weiterzumachen.« »Deswegen bin ich auch nicht hier.« Einen kurzen Moment herrschte Stille, schließlich sagte er, so leise, dass ich es fast nicht verstanden hatte: »Okay, wenn du unbedingt musst kannst du reinkommen.«

Er saß nicht wie sonst an seinem PC und hörte Musik, sondern lag auf dem Bett und richtete sich auf als ich den Raum betrat. »Was willst du?« Bei seinem bissigen Ton hätte ich das Zimmer am liebsten wieder verlassen. »Gucken wie’s dir geht, aber ich kann auch gerne wieder gehen.«

Skeptisch hob er seine Augenbraue. »Warum das denn?« »Naja, als du aus dem Speisezimmer gerannt bist, warst du ziemlich aufgebracht.« »Ja, aber warum. Warum kümmert es dich?« »Vielleicht hast du es ja vergessen, aber ich nicht so ein Idiot wie du.«

Dass er darauf nichts erwiderte gab mir dann doch zu bedenken. »Was ist los? Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass du nur aus Eifersucht so drauf bist, oder?« »Warum kannst du das nicht? Denkt doch eh schon jeder.« »Sag mir einfach was los ist, Max.« Ich stockte. Und auch Max schaute mich verwirrt an. Ich hatte ihn noch nie in meinem ganzen Leben Max genannt. Immerhin hatten Alea und ich einen Pakt, dass wir ihn Maxwell nannten. Klar, wenn wir über ihn redeten, wenn er nicht im Raum war nannten wir ihn immer Max, aber um ihn zu ärgern hörte er von uns immer den Namen Maxwell.

Das schien ihn für eine Weile aus der Bahn zu werfen. Schließlich meinte er: »Warum sollte ich dir erzählen was los ist? Ich habe es niemanden erzählt, nicht mal Ben.« »Und vielleicht ist das das Problem. Vielleicht willst du es den Leuten, die dir nahestehen nicht erzählen, weil du Angst hast was sie dann über dich denken. Wenn du es mir erzählst kann es nicht schlimmer werden als es sowieso schon ist. Du weißt ja, was ich von dir halte.« »Na schön. Aber du musst schwören, dass du es niemanden erzählst.« »Einverstanden.« Und ich meinte es auch so.

Kapitel 16

 

~ VOR 9 JAHREN ~

 

[erzählt von Maxwell Reeves]

Unfair! Vollkommen unfair! Ich hatte echt nichts falsch gemacht. Okay, ich korrigiere mich: Ich trage nicht alleine die Schuld daran. Alea war auch in der Küche. Wer angefangen hatte, wusste ich selber nicht mehr genau. Fakt ist nur: Beim Kochen haben wir beide die Küche nicht ganz sauber gehalten. Dass ich Alea die Spaghetti in die Haare geschmiert habe, war als Witz gedacht. Und ich habe auch sie lachen gehört, als sie Rache geschworen hatte.

Aber so waren wir beide nun mal. So waren doch alle Geschwister, oder? Mum hat mal wieder sowas von überreagiert. Dass ich jetzt wütend von Zuhause abhaue, kein Scherz, aber nichts Ernstes. Mum soll einfach sehen, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie soll einsehen, dass Alea und ich beide die Küche versaut haben. Wir beide verdienten es angeschrien zu werden.

»Du musst mal Verantwortung zeigen, Max. Du bist Alea kein gutes Vorbild«, hörte ich sie noch deutlich in meinem Kopf. Man, manchmal ist es echt eine Qual der ältere Geschwisterteil zu sein. Bei den kleineren war alles noch in Ordnung, weil sie es nicht besser wussten. Aber ich musste immer Verantwortung übernehmen. Hallo? Ich bin doch nur zwei Jahre älter als Alea!

Um ehrlich zu sein, ich hatte keine Ahnung wo ich überhaupt hinlief. Egal. Irgendwann konnten mich meine Eltern eh mithilfe ihrer Fähigkeiten aufspüren.

Plötzlich entdeckte ich eine Treppe, die eine Steinmauer hochführte. Vielleicht eine Dachterrasse? Aber hier war weit und breit kein Schloss zu sehen. Keiner konnte hier leben. Allerdings… auch wenn das hier alles ziemlich öffentlich wirkte, konnte ich mir trotzdem nicht vorstellen, dass hier keiner zugehörte.

Guck doch einfach nach. Mehr als das du wieder weggeschickt wirst, kann nicht passieren. Immerhin kannst du nicht wissen, dass das kein öffentlicher Platz ist. Und vielleicht ist er ja sogar öffentlich. Was hast du zu verlieren?, riet mir meine innere Stimme.

Ich hatte zwar mit einen perfekten Ausblick auf das Meer gerechnet. So viel Orientierung hatte ich noch, dass es hier irgendwo sein musste. Das war ja auch der Grund gewesen, warum ich hier hoch wollte… um das Meer zu sehen. Doch ich bekam so viel mehr als ein Ausblick auf den Ozean. Ich befand mich mitten in einen wunderschönen Garten. Obwohl ich nicht der Typ war, der wegen Blumen oder solchen Kram schwach wurde, musste ich mir eingestehen, dass sie an diesem Ort doch was hermachten.

Doch das alles wurde zunichte gemacht, als ich den Eigentümer dieser Terrasse erblickte. »Tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass das hier jemanden gehört.« Der Mann mir gegenüber war total verlottert angezogen. Anscheinend konnte er sich nicht mal ein Hemd leisten. Ich meine, wer konnte sich in unserer Gesellschaft schon kein Hemd leisten? Lebte er etwa hier oben?

»Keine Angst. Das kann meinetwegen ruhig dein Ort sein. Ich bin sowieso nur hier, um mit dir zu sprechen.« Bitte was? Ich kannte diese Person ja nicht mal. »Sollte ich dich kennen?«, fragte ich. Fremde Leute duzte ich grundsätzlich immer, weil ich nicht einordnen konnte, ob sie über oder unter mir stehen. Aber die Vorstellung, dass sie unter mir standen, gefiel mir eindeutig besser.

»Nein, aber ich kenne dich. Woher? Tja, glaube es mir oder eben nicht. Ich nutzte einen überaus mächtigen Stein, um in die Zukunft zu blicken und in dieser Zukunft sah ich auch dich.« Ein Verrückter also. »Nichts ist so mächtig als dass man die Zukunft wissen könnte.«

»Wie gesagt, ob du mir glaubst ist mir sowas von egal. Mag sein, dass ich Maxwell Reeves von der letzten Kneipenparty kenne. Besuchst du denn Kneipen?« Ich antwortete nicht, weil ich immer noch verwirrt war, dass dieser Verrückte tatsächlich meinen Namen kannte. War er doch nicht so verrückt, wie ich glaubte?

»Eigentlich wollte ich dir jetzt über deine bevorstehende Zukunft berichten. Nicht, damit du sie verhindern kannst. Dieser Stein ist immerhin so mächtig, dass er nie lügt. Aber du könntest dich in gewisser Weise darauf vorbereiten. Dass du heute diese Terrasse entdeckt hast, ist der erste von vielen Schritten.« »Was für Schritte?« Ich hatte nicht den leisesten Schimmer wovon der Mann sprach. »Indem du die Terrasse als Zufluchtsort nutzt. Du wirst bald einen brauchen. Denn der Stein zeigte mir, direkt nachdem Alea dank ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten im Schloss bei der Königin leben durfte, wanden sich alle von dir ab. Verständlich. Deine Eltern hatten jetzt immerhin eine ganz besondere Tochter… und was hatte ihr Sohn erreicht? Nichts. Jedenfalls wirst du vollkommen alleingelassen auf dieser Bank sitzen.« Er zeigte auf eine Bank, von der man einen umwerfenden Ausblick aufs Meer hatte. »Jeder hat sich von dir abgewandt… oder eben andersherum. Einfach, weil du immer in Aleas Schatten stehen wirst. Jeder wird sie dir vorziehen.«

Ich schluckte. Das musste man erstmal verdauen. Er konnte einfach nicht richtig liegen. Jeder kann selber über seine Zukunft bestimmen. Andererseits… das Szenario war gar nicht mal so abwegig. Selbst jetzt, wo Alea noch keine richtigen Fähigkeiten entwickelt hatte, wurde sie von unseren Eltern ständig bevorzugt. War ja auch der Grund, warum ich von Zuhause weg bin.

Trotzdem wollte ich meine angeblich vorherbestimmte Zukunft herausfordern. Wenn meine Eltern sich von mir abwenden würden… okay, dagegen konnte ich nicht viel ausrichten. Aber ich würde nie allein auf dieser Bank sitzen! Ich suche mir einfach Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Auf der Schule werde ich der Beliebteste von allen sein… so einfach ist das! Allein werde ich jedenfalls niemals sein.

Kapitel 17

 

~ VOR 5 JAHREN ~

 

[erzählt von Justine Mayhew]

In der einen Hand meinen Koffer, in der anderen mein XL Kuschelkissen (es hat nicht mehr in den Koffer gepasst), stand ich nun mit all den anderen Schülern vor dem Schloss, indem wir dieses Wochenende übernachten würden. Das Schloss war ganz in der Nähe vom Strand, was auch der Grund war, weshalb wir uns für diesen Ort entschieden hatten.

»Natürlich machen wir diesen Ausflug, damit sich alle Schüler untereinander besser kennenlernen und ihre Fähigkeiten verbessern können. Trotzdem ist das alles noch immer im Rahmen des Projektes. Deshalb nimmt jeder ein Zimmer mit seinem Projektpartner, außer es gibt einen guten Grund warum das nicht geht. Auch Mädchen und Jungs können sich ein Zimmer teilen, da jedes Zimmer Badezimmer zum Abschließen hat und natürlich getrennte Betten.«

Na toll. Mit diesen Worten hatte mir die Lehrerin schon den Ausflug verdorben. Ich hatte gehofft, dass ich mir mit Alea ein Zimmer teilen könnte. Außer es gibt einen guten Grund warum das nicht geht. Was könnte ein guter Grund sein? Keine Ahnung. Aber fest stand, ich musste die Lehrerin unbedingt darauf ansprechen. Ich konnte mir mit Max kein Zimmer teilen. Nicht nachdem was vor ein paar Wochen passiert war.

»Ich möchte gerne mein Zimmer mit jemanden anderen teilen«, sagte ich, als ich mit meinem Koffer auf die Lehrerin zu steuerte. »Was ist der Grund, Justine?«, fragte sie, keinesfalls genervt – sondern freundlich und neugierig. Ja, Justine? Warum?, fragte mich jetzt auch mein blödes Unterbewusstsein.

»Ich glaube nicht-«, wollte ich sagen, doch dann trat jemand hinter mir. Ich erkannte die Stimme sofort… Max. »Gibt es hier ein Problem?« »Ihr wollt einen anderen Zimmerpartner?«, erkundigte sich die Lehrerin jetzt bei Max. Dieser schaute mich nun neugierig an. »Ach, wollen wir?«

»Als erstes müsste ich dazu einmal die Projektmappe sehen.« Missmutig holte ich sie aus meiner Tasche hervor. Nachdem sie die Mappe grob durchblättert hatte, sagte sie: »Ich weiß gar nicht was ihr habt. Bei der Frage, ob ihr euch vorstellen könnt für längere Zeit mit dem Partner allein sein zu können, habt ihr beide ja angekreuzt.« Tja, vielleicht hat sich meine Meinung jetzt geändert. »Diese zwei Tage werden sie schon überleben.«

Hierbei konnte ich nicht gewinnen, musste ich in Kürze feststellen. Somit zog ich meinen Koffer einfach wieder zurück zu den anderen. »Wow, Cousinchen. Ich habe dich selten so aufgebracht gesehen«, begrüßte mich Jayden. Ich antwortete nicht, sondern brummte einfach. »Kein Wunder. Wäre ich auch, wenn ich mir mit Max ein Zimmer teilen müsste«, meinte Alea und an Max gewandt, der zwei Schülerhaufen von uns entfernt stand: »Wehe du verhältst dich die zwei Tage nicht anständig, Maxwell!« Doch der beachtete Alea einfach nicht, wie immer.

Doch Jayden kannte mich einfach wie kein anderer. Er wusste, dass mehr dazu gehörte damit ich wirklich aufgebracht bin. Zum Glück sagte er aber nichts mehr.

~~~~~~~~~~

»Ich schlafe am Fenster«, sagte Max sofort nachdem wir unser Zimmer betreten hatten. »Wie immer ganz der Gentleman«, murmelte ich, sodass er mich nicht verstanden haben konnte.

Genervt stellte ich meinen Koffer auf der Wandseite ab. »Wehe du gehst an meinen Kleiderschrank.« Er lachte auf. »Was sollte ich da bitte wollen? Denkst du ich will mir da ein schickes Kleidchen von dir ausleihen?« Wütend wegen diesem Kommentar riss ich meinen Kleiderschrank auf, um meine Kleider einzusortieren. Als ich mich wieder zu meinem Koffer umdrehte, stand Max plötzlich direkt vor mir. Mir stockte der Atem.

»Was?«, brachte ich hervor. »Du versperrst den Weg zur Toilette«, murmelte er leise. »Oh.« Ich machte ihm Platz und bemerkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Verdammt, ich wollte es doch einfach nur vergessen. Doch das eben gerade ließ meine verdrängten Erinnerungen zurückkehren.

~~~~~~~~~~

~ VOR 6 JAHREN ~

 

»Du denkst jetzt bestimmt, dass das alles totaler Unsinn ist. Dachte ich ja auch, bis Alea uns gerade von ihren coolen neuen Fähigkeiten berichtet hat.« Ich war vollkommen sprachlos. Keine Ahnung was ich darauf jetzt erwidern sollte. »Ich habe immer versucht gegen mein Schicksaal anzugehen. Aber sein wir doch mal ehrlich. Meine Beliebtheit hat mir am Ende gar nichts gebracht. Ich habe nur Ben die Terrasse gezeigt, aber allein bin ich trotzdem. Der ist ja im Moment schwer mit seiner neuen Freundin beschäftigt.«

»Du hast die Terrasse auch mir gezeigt.« »Ja, aber das ist was anderes. Du bist Aleas beste Freundin.« Hä? »Was hat das jetzt damit zu tun?« »Wenn Alea und meine Familie mich verstößt, ist es dann echt noch eine Frage zu wem du halten wirst? Am Ende werde ich doch alleine sein. Alles ist bis jetzt so eingetroffen, wie dieser Typ es mir vorausgesagt hat.«

»Nein, Max. Du hattest Recht damit, dass man über seine Zukunft immer selber entscheiden kann.« »Du hast es schon wieder getan. Warum nennst du mich Max?« »Warum hast du mir die Dachterrasse gezeigt?« Wir gaben beide keine Antwort, weshalb wir uns für einen Augenblick stumm anstarrten.

»Wie wär’s, wenn wir die restlichen Fragen ausfüllen? Wäre jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt«, schlug Max schließlich vor. Ich nickte nur. Immer noch schweigend schlug ich die Mappe auf und schaute auf den nächsten auszufüllenden Part. Was magst du an deinem Projektpartner? Na ganz klasse. Neugierig wollte ich bei Max über die Schulter linsen, um herauszufinden was er schrieb. Doch er hatte auch noch nichts geschrieben.

»Gar nicht mal so leicht, hm?«, grinste er. »Sollen wir vielleicht vorher erst mal zusammen überlegen, bevor wir es aufschreiben?« »Ja, bitte.« Ich hatte nämlich Angst entweder zu viele oder zu wenige gute Eigenschaften über ihn aufzuschreiben.

»Dann fang doch mal an.« Er hatte wieder sein arrogantes Grinsen aufgelegt. »Was magst du an mir?« »Naja, dein Lachen ist ganz okay, wenn es denn mal echt ist.« Max seufzte. »Also, Justine. Wir können hier doch nicht Lachen ist okay aufschreiben. Wenn schon denn schon: Sexy Lachen.« Ich konnte nicht anders als meine Augen zu verdrehen.

»Wenn du so gut Bescheid weißt, fang du doch an.« »Also ich hätte jetzt Justine ist keine Barbie aufgeschrieben.« »Was?« »Mein erster Eindruck von dir. Ich habe schon schnell erkannt, dass er falsch ist. Du bist schlau, gehst nicht mit der Maße, sondern hast deinen eigenen Kopf. Vielleicht habe ich dir ja deshalb die Terrasse gezeigt.« Ich schluckte. Okay, das hatte ich nicht erwartet. »Und du überrascht mich in letzter Zeit immer wieder… positiv. Vielleicht ist das der Grund warum ich dich Max genannt habe. Ich mag es, wenn jemand einen vielschichtigen Charakter besitzt.«

Wir schauten uns an. Zwei Augen… seine braunen, meine blauen. Sie konnten unterschiedlicher nicht sein, doch trotzdem zogen sie sich im Moment gewaltig an. Was zur Hölle denkst du da gerade, Justine? Einmal musste ich meinem Unterbewusstsein sowas von Recht geben. Hallo? Das vor dir war Maxwell Reeves. Du verabscheust ihn. Himmel, dieser Hass hat Alea und dich sogar erst zu besten Freunden gemacht.

Ich dachte schon, dass ich mir diese Anziehungskraft zwischen uns nur eingebildet hatte, doch dann rückte er mir plötzlich gefährlich nahe. Mein Herz schlug wie verrückt. Was war nur mit meinem Körper los? Bevor das Ganze noch merkwürdiger werden konnte, stand ich von seinem Bett auf. »Schreiben wir das auf?«

Er brauchte einen Moment, doch dann nickte er schließlich. Während ich schrieb, sagte er: »Ähm, also… wegen eben-« Doch ich unterbrach ihn: »Vergessen wir es einfach, ja?« Wieder nickte er nur.

~~~~~~~~~~

~ VOR 5 JAHREN ~

 

Was war nur los mit mir? Ich wollte das doch einfach vergessen. Warum konnte ich es nicht? Warum hatte ich gerade wieder dieses Kribbeln verspürt als wir uns so Nahe waren? Ich brauchte echt Hilfe. Doch dieses Mal konnte es nicht Alea sein, auch wenn ich sonst über alles mit ihr tratschte.  

Kapitel 18

[erzählt von Alissa Lester]

»Hast du Lust noch etwas mit ans Meer zu kommen?«, fragte mich Alea, nachdem wir die Betten in unserem Zimmer bezogen hatten. »Mit dem Rest der Clique?«, wollte ich wissen. Sie zuckte mit den Schultern. »Ja. Am Meer sind jetzt sicher die meisten.« »Sorry, aber ich passe. In der Maße fühle ich mich einfach nicht wohl. Ich sagte ja bereits, dass Cliquen nicht mein Ding sind.«

Doch anstatt einfach ohne mich das Zimmer zu verlassen, setzte sie sich jetzt neben mir aufs Bett. »Warum denn nicht?« »Ich kann wegen meiner Vergangenheit anscheinend keinen vernünftigen Kontakt mehr zu anderen Vampiren aufbauen. Ich bin einfach ein emotionales Wrack, das man echt niemand zumuten sollte.«

»Das stimmt doch nicht. Ich sehe dich nicht so. Außerdem kannst du Kontakt zu anderen Vampiren aufbauen… wie zu mir zum Beispiel.« Wenn du nur wüsstest, dachte ich mir. »Niemand verdient mich als Freundin.« »Warum denkst du so schlecht über dich? Jeder verdient Freundschaft. Was wäre das denn sonst für ein Leben?« »Es wäre einfach mein Leben. Seit dem Tod meiner Eltern ist es schon immer so. Ich habe mich daran gewöhnt.«

»Tja, Pech. Du wirst dich umgewöhnen müssen. Ich bin jetzt ein Teil deines Lebens. Ob du es willst oder nicht. Warum? Weil wir eine gemeinsame Mission haben.« Ich schaute sie verdutzt an. »Welche Mission?« »Na, die Casses natürlich. Wir werden sie aufhalten und somit deine Eltern rächen.«

Okay, diese Aussage machte mich für einen Augenblick sprachlos. Anscheinend war ich Alea mit meiner verrückten Vergangenheit nicht egal. War das jetzt gut oder schlecht? Schlecht, weil ich Aleas Freundschaft nicht verdiente. Aber vielleicht könnte ich mich für sie ändern.

Mein Blick fiel auf ihren Nachtisch, auf dem ein Bild stand, das sie mit Jayden und Justine im Arm zeigte. Ich musste schlucken.

War das nicht der Beweis gewesen? Der Beweis, dass ich keine gute Freundin für Alea sein konnte. Natürlich ist es das. Kein normaler Mensch verliebt sich in den Freund der Freundin. Alea stellte mir mit besten Absichten ihre Clique vor. Ich sollte Freunde dazugewinnen. Nur ein Wrack wie ich kann sich in so einer Situation in Aleas Freund verlieben. Alea wollte von mir, dass ich mich mit Jayden anfreunde. Ganz einfache Sache. Doch nicht mal das bekam ich hin. Cliquen sind eben nichts für mich.

»Was ist denn nun? Kommst du mit?«, holte mich Alea zurück aus meinen Gedanken. »Du weißt doch bereits, was ich von Cliquen halte.« Alea stöhnte und erhob sich. »Na schön. Dann bleib hier eben mutterseelend alleine. Aber betrachte es als deine letzte Chance. Und damit meine ich nicht nur die Clique, sondern auch unsere Mission.«

Gerade als sie weggehen wollte, kam ein Gefühl über mich. Ein Gefühl, das nicht wollte, dass sie geht. »Warte. Ich komme mit.« Sie lächelte. »Geht doch.«

~~~~~~~~~~

Am Meer hielten sich wirklich unglaublich viele Schüler auf. Naja, irgendwie kein Wunder. Das Meer war schließlich einer der Hauptgründe warum wir hier waren. »Ah, Alea und Ali sind dann auch mal endlich da?«, fragte Jayden zur Begrüßung. »Habt ihr schon auf uns gewartet?«, fragte Alea lachend, während sie sich in seine Arme warf.

»Wie sieht’s aus? Gehen wir ins Wasser?«, fragte Caitlyn in die Runde. Jetzt, wo Benjamin nicht in der Nähe war, schien die Stimmung zwischen Caitlyn und Denice wieder in Ordnung zu sein. Oder sie hatten ihre Auseinandersetzung bereits geklärt. Probleme zwischen Freunden schienen also normal zu sein. Aber das, was in meinem Kopf vor sich ging, gehört nicht mehr dazu. Ich könnte nicht, wie Caitlyn mit Denice, einfach mit Alea darüber reden. Dazu kannten wir uns noch nicht lange genug.

Außerdem… jetzt wo ich Alea wieder zusammen mit Jayden sah… sie wirkten wirklich glücklich. »Ich komme mit«, meinte Justine. »Noch wer?« »Ich könnte auch eine Abkühlung gebrauchen«, sagte Jayden. »Mir ist nicht so nach baden«, sagte ich. »Ich setzte mich in den Sand. Geht ihr ruhig schwimmen.« »Dann bleibe ich auch am Strand. Mir ist gerade auch nicht so nach Wasser«, sagte Alea. Ob sie das nur sagte, damit ich nicht wieder allein blieb? »Was ist mit dir, Denice?«

»Ich bleib bei euch beiden am Strand. Hier wollte ich Ben nämlich gleich treffen.« Wir setzen uns auf einen Felsen, während die anderen drei Richtung Wasser gingen. »Weißt du, auch wenn ich so wie Caitlyn nicht viel von Ben halte, weil er sich meinen Bruder als besten Freund ausgesucht hat, freue ich mich für dich. Jeder verdient es glücklich zu sein. Und wenn dich Ben glücklich macht, dann ist das so.«

Auf Denice Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Danke, Alea. Du bist die Erste, die das sagt. Ich freue mich auch für dich und Jayden.« Nachdem Alea eine Weile Richtung Meer gestarrt hatte, sagte sie: »Eigentlich war ich deswegen immer unsicher. Ich habe ihn schon immer als meinen besten Freund angesehen.« Ich musste jetzt einfach fragen: »Was hat deine Einstellung geändert?« »Die Vorstellung davon, dass da nie etwas sein wird. Dass wir uns irgendwann auseinander leben würden. Seitdem bin ich mir sicher, dass ich wirklich etwas für ihn zu empfinden scheine.«

Da wurde es mir plötzlich klar. Alea und Jayden sind einfach das perfekte Paar. Wahrscheinlich würde deren Liebe ewig halten. Wie konnte da jemand wie ich jemals eine Chance haben? Außerdem… wollte ich überhaupt eine Chance haben? Aleas Freundschaft ist mir einfach wichtiger.

Ich musste das Gefühl, das ich gegenüber Jayden empfand einfach verdrängen. So tun, als wäre es nie da gewesen. Es würde einfach werden, wenn ich mir immer wieder in Erinnerung rief, was für ein tolles Paar Alea und Jayden doch sind.

Aber… was stimmte eigentlich nicht mit mir? Immer empfand ich etwas für die falschen Leute. Nicht, dass meine Eltern falsche Leute gewesen sind. Seine Eltern zu lieben ist an sich natürlich nicht falsch. Aber sie haben sich selbst zu den falschen Leuten gemacht, indem sie sich mit Casses einließen und somit starben. In diesem Fall konnte ich nichts dafür, doch bei Jayden ist es meine Schuld. Ob der Tod meiner Eltern das mit mir angerichtet hat? Egal. Auf jeden Fall würde es ab sofort ein Ende nehmen.

Kapitel 19

[erzählt von Justine Mayhew]

Ich spürte das kalte Wasser gegen meine Beine platschen. Während ich den Blick auf den Mond geheftet hatte, genoss ich dieses Gefühl, weil ich endlich einmal in der Lage war vollkommen abzuschalten. Wasser ist ja mal sowas von mein Element. Ich kann’s echt nicht verstehen, warum Alea nicht mitwollte. Damit Ali nicht alleine ist? Bestimmt.

Den Vorteil hatte es, dass ich jetzt vielleicht mit Caitlyn über das bestimmte Thema reden konnte. Ich hatte lange überlegt, ob ich nicht doch lieber mit Jayden reden sollte… immerhin kannte ich meinen Cousin schon ewig. Aber vielleicht war genau das der Grund, warum ich es nicht wollte. Außerdem hatte ich Angst, dass er als Aleas Freund bei ihr irgendwie nicht dicht halten könnte.

Als Jayden gerade raus schwamm, um eine Runde Tauchen zu gehen (ich habe es ihm schlauerweise vorgeschlagen), stellte ich Caitlyn zur Rede. »Du Caitlyn, jetzt mal so von Mädchen zu Mädchen, warst du eigentlich schon mal verliebt?« Sie schien sichtlich über meine Frage überrascht. »Keine Ahnung. So richtig glaube ich noch nicht.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Wieso willst du das wissen?« Wie sollte ich am besten anfangen? »Naja, ich also…« Ganz klasse, Justine.

»Ist mein Cousinchen etwa verliebt?«, trällerte Jayden. Scheißdreck. Wollte er nicht tauchen gehen? »Nein, bin ich nicht. Ich frage nur mal so aus Interesse.« Er glaubte mir natürlich nicht. Dafür kannte mich Jayden inzwischen einfach zu gut.

»Warum hast du nicht mich gefragt? Du weißt, dass ich in jemanden verliebt bin.« »Weil du es gleich falsch verstehst, Jayden.« »Oh nein. Falsch verstehe ich da nichts, immerhin kenne ich dir schon mein ganzes Leben.« Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich wette, du hast es falsch verstanden.«

Er verdrehte genervt die Augen. »Wenn du die ganze Zeit nur an diese Person denken kannst. Wenn du mit der Person in einem Raum bist und deine Augen ständig seine Augen suchen wollen. Ach, und natürlich das altbekannte Schmetterlinge im Bauch, wenn du in seiner Nähe bist. Und? Jetzt sag schon. Wer ist es?« Wahrscheinlich ahnte er es sowieso bereits, wie ich Jayden kannte. Trotzdem konnte ich es einfach nicht über meine Lippen bringen.

»Wolltest du nicht tauchen gehen?«, fragte ich genervt. »Alleine? Will mich nicht doch jemand begleiten?« »Die paar Minuten wirst du schon aushalten«, zischte ich, während ich ihn mit einem Blick bedachte, der sagen sollte: Geh endlich! Jungs freie Zone.

Ich konnte nur hoffen, dass mein Blick nicht allzu finster war, da Jayden regelrecht zusammen zuckte. Naja, egal. Es bewirkte jedenfalls das, was es sollte. Jayden kehrte uns den Rücken zu und tauchte davon.

»Wow, ich fühle mich echt geschmeichelt, dass du es anscheinend mir erzählen möchtest, aber nicht deinen eigenen Cousin.« »Versprichst du dicht zu halten und es niemanden zu verraten?« »Niemanden? Nicht mal Alea?«, fragte sie verwundert, während sie ihren lilafarbenen Bikini zurecht zog. »Vor allem nicht Alea!«

»Okay, okay. Ich werde es ganz sicher für mich behalten. Ich schwöre.« Ich machte eine kleine Pause, um zu Überlegen wie ich es am besten formulieren sollte. Ich kam zu dem Schluss, dass es da keine geeigneten Möglichkeiten gab. Ich musste es einfach gerade heraus sagen.

Ich checkte noch einmal, ob Jayden nicht vielleicht doch hinter mir war und lauschte. Ich atmete tief durch, und murmelte: »Ich glaube, ich habe mich in Aleas Bruder verliebt.« »Du glaubst?« Ich brummte verärgert. Ja genau, hark ruhig noch nach. Damit ich mich unnötig lange mit diesem Thema auseinandersetzen musste.

»Naja. Also Jaydens Punkte haben alle gestimmt…« »Und wo ist dann dein Problem? Er ist doch noch zu haben, oder?« Okay, jetzt merkte man echt deutlich, dass Caitlyn mich nur halb so gut kannte wie Jayden. »Wir reden hier über Aleas Bruder! Er ist ein Vollidiot. Alea und ich haben einen Hass-pakt gegenüber ihn beschlossen.« »Und warum hast du dich dann in ihn verliebt, wenn er so ein Vollidiot ist?«

Gutes Argument. »Naja, er hat auch andere Seiten, die ich während unserer Partnerarbeit kennengelernt habe. Aber… Alea würde das sicherlich überhaupt nicht verstehen können.« »Also hast du nur Angst, was deine beste Freundin darüber denkt? Ist sie wirklich deine beste Freundin würde sie es akzeptieren.«

»Naja, Alea ist nur eines von vielen Argumenten, warum es nicht funktionieren wird.« »Es kommt gar nicht auf die Argumente an, Justine. Manchmal gibt es hunderte dagegen und nur einen Grund dafür. Aber wenn dir dieser Grund genügt, darf man all die Gründe vergessen, warum es nicht funktionieren würde.«

Ich seufzte. Verdammt aber auch. Ich weiß ja selber gar nicht, was ich will. »Er wird eh nicht das gleiche für mich empfinden.« »Es gibt nur einen Weg das herauszufinden. Du musst nur deine Ängste überwinden.« »Ich würde mich trauen, Caitlyn! Verdammt noch mal. Ich weiß ja noch nicht mal, ob die ganzen Gegenargumente es wirklich wert sind.«

»Irgendwann wirst du es schon herausfinden.« Dafür, dass Caitlyn, sowie ich, noch nicht viel in Sachen Liebe mitreden konnte, gab sie echt gute Ratschläge. »Danke, Caitlyn.« »Keine Ursache«, sagte sie ein wenig verträumt. Ihr Blick ruhte auf den weiten Ozean, aus dem jetzt auch Jayden wieder hochgetaucht kam. Er nährte sich uns nur sehr vorsichtig. Man, musste ich ihn verschreckt haben. Schnell winkte ich ihn zu, dass er wieder zu uns kommen kann.

Kapitel 20

 

»Und? Schon Wasser entdeckt?«, fragte mich Ali grinsend. »Na sicher doch. Denkst du, ich könnte nicht graben? Als Kind habe ich andauernd Sandburgen gebaut.« Im Sand war bereits ein kleiner Tümpel entstanden. »Und was machen wir jetzt mit der Pfütze?«

»Aber, Alea! Das ist viel mehr als nur eine einfache Pfütze. Für die kleinsten Lebewesen könnte es der weite Ozean sein.« Ich musste lachen. »Vielleicht sollten wir kleine Papierboote basteln und sie darauf schwimmen lassen«, schlug Ali vor. »Klar, sicher doch. Aber erst mal muss ich was trinken. Kommst du mit zur Strandbar?« Ali nickte und legte auch ihre Schaufel beiseite.

Wir setzten uns auf zwei Strandhocker, die noch frei waren. Und dann bestellte ich beim Kellner ein Glas Wasser, während Ali eine Apfelschorle nahm. »Hey, bist du nicht das Mädchen mit den unglaublichen Fähigkeiten?«, fragte mich plötzlich ein Typ, der direkt einen Hocker links von mir saß.

Beschämt nahm ich einen Schluck von meinem Wasser. »Äh, ich schätze die bin ich.« Sofort rutschte er einige Meter von mir weg. »Ach du kacke. Hör zu, Möchte-gern-Casses, komm mir bloß nicht zu nah mit deinen gruseligen Fähigkeiten.« Wie hatte er mich gerade da genannt? Ich musste mich wohl verhört haben.

»Ich bin doch keiner von den Casses!« Leider war meine Stimme total piepsig und alles andere als selbstbewusst. Deshalb brachen jetzt auch die restlichen Typen an den Hockern gemeinsam in Gelächter aus. Und wie konnte es anders sein? Einer dieser Typen war Max.

»Entschuldigt mal, aber was denkt ihr euch dabei?«, fragte Ali plötzlich eindringlich. Sie schäumte nur so vor Wut. Wow, ich hätte nie gedacht, dass sie so selbstbewusst sein konnte. Sonst war sie doch immer so in sich gekehrt gewesen. »Seid ihr neidisch, weil ihr das nicht könnt? Das gibt euch aber trotzdem kein Grund Alea als Casses zu bezeichnen. Denn glaubt mir, das ist sie nicht. Ich habe mal welche getroffen also weiß ich wovon ich rede. Das gerade war schon keine Beleidigung mehr. Selbst ihr Idioten würdet es nicht verdienen als Casses bezeichnet zu werden.«

Darauf folgte erstmal eine Weile Stille. Bis Max diese schließlich brach: »Aber sind ihre neuen Fähigkeiten nicht genau wie die von den Casses?« »Nur weil sie so sind, macht das Alea nicht zu einer von ihnen.« »Ach, richtig. Das macht sie ja zu was Besserem.«

Alis Augen wurden zu kleinen Schlitzen. »Bist du nicht ihr großer Bruder, oder irre ich mich da? Also verhalten tust du dich jedenfalls nicht so. Hätte ich noch Familienangehörige, die ich verteidigen könnte, würde ich das. Du hast das Glück und tust es nicht.« Ich dachte schon, dass Max Ali jetzt die nächste spitze Bemerkung an den Kopf werfen würde, doch er tat es nicht. Ich glaube, es war das allererste Mal in meinem Leben, dass Max tatsächlich sprachlos war.

~~~~~~~~~~

[erzählt von Justine Mayhew]

Meine Güte. Diese Nacht war echt anstrengend gewesen. Ich war total froh, dass ich jetzt endlich schlafen konnte. Ich war bereits fertig geduscht, bevor Max überhaupt das Zimmer betrat. Die Bettdecke war bereits bis über die Schultern gezogen und das Licht hatte ich auch schon ausgeknipst. Ich war so gut wie eingeschlafen, bis…

»Der Tag ist gerettet! Ich bin auch endlich da.« Genervt brummte ich in meine Bettdecke. »Mach das Licht wieder aus, Maxwell!« »Geht nicht. Ich brauche das doch noch.« Ich stöhnte. »Vielleicht hättest du einfach nicht so lange weg bleiben sollen.« »Ach so. Wenn du mich vermisst hast, hättest du es bloß sagen müssen.« Grrr, er machte mich noch wahnsinnig!

»Hast du heute eigentlich schon Blut getrunken?«, fragte er plötzlich. »Bitte was?« »Na weil wir doch nicht zuhause sind… und die Routine jetzt vielleicht etwas anders aussieht.« »Zufälligerweise habe ich heute wirklich noch nichts getrunken. Aber keine Sorge, Alea und ich hatten das gleich morgen vor.«

»Morgen könntest du schon wieder eine neue Portion vertragen. Du brauchst heute noch Blut. Wir wollen doch, dass sich deine Fähigkeiten auch hervorragend entwickeln können. Nicht, dass es nachher nur am Blut scheitert.« »Ein Tag ohne Blut ist nicht schlimm, das weißt du.« »Schlimm nicht, aber auch nicht optimal.«

Ich drehte mich um. Wollte er gerade ernsthaft, dass ich sein Blut trank? »Was guckst du denn so? Gibt es ein Problem?« Ja, dass ich dir wieder so verdammt nahe sein müsste, wenn ich dein Blut trinken müsste. Und das will ich nicht. »Es gibt kein Problem.« »Gut, dann komm rüber.« »Können wir nicht aber trotzdem einfach noch bis morgen warten?«

Er lachte. »Es gibt also doch ein Problem. Ist es immer noch wegen dem Vorfall vor ein paar Wochen? Mensch, Justine. Es ist doch nichts passiert. Außerdem dachte ich, wir wollten es einfach vergessen? Etwa doch nicht mehr?« Wollten schon. Konnten? Nicht wirklich. Aber das wollte ich ihm natürlich nicht sagen. »Na gut. Von mir aus. Dann trink ich halt dein Blut.«

»Na geht doch.« Ich wollte gerade aus meinem warmen Bett krabbeln. Doch das war gar nicht nötig, denn Max war bereits bei mir. »Lass es dir schmecken«, sagte er grinsend. Ich verdrehte noch kurz die Augen, bevor ich meine Zähne in seinen Hals schlug. Ich nahm lediglich einen Schluck, auch wenn ich meinen Kopf gerne noch länger auf seine Schulter gelegt hätte. Hör auf so zu denken, Justine! Ach, wem machte ich was vor? Seit neusten dachte ich ständig an solche unpassende Dinge. Aber hey. Zu den Fähigkeiten eines Vampires zählte es zum Glück nicht, Gedanken zu lesen. Also ist es eh egal was ich denke.

»Warte«, murmelte Max nachdem sich mein Kopf wieder gehoben hatte. Als er plötzlich seinen Finger hob und damit an meiner Lippe entlang strich, setzte mein Atem für einen Moment lang aus. »Du hattest da Blut kleben.« »Oh, danke.«

Kapitel 21

 

Im Nachhinein kann ich nicht leugnen, dass mir das Wochenende am Meer total Spaß gemacht hatte. Keine Ahnung, ob meine Fähigkeiten dadurch gestärkt wurden, aber um ehrlich zu sein, war mir das auch vollkommen egal. Ich hatte auf jeden Fall Spaß gehabt und es hat mir nur noch deutlicher gemacht, dass mein erster Eindruck von Ali total falsch gewesen ist. Inzwischen war ich froh sie als meine Projektpartnerin zu haben. In diesem Moment wird mir nur noch deutlicher bewusst wie dankbar ich Justine sein muss. Fast hätte ich mein Projekt mit Max statt mit Ali machen müssen.

Er sitzt mir übrigens gerade gegenüber… und obwohl es beim Gegenübersitzen eigentlich unvermeidlich sein sollte, schaffte er es trotzdem mir keines Blickes zu würdigen. »Maxwell, kannst du mir mal das Salz rüber geben?«, fragte ich ihn damit er zu mir gucken musste. Doch, den Kopf weiterhin auf seinen Teller geheftet, antwortete: »Wir haben den gleichen Weg zum Salzstreuer, Alea.« »Ja, aber dein Arm ist länger.«

»Hier, bitte, Alea.« Nein, natürlich nicht von Max, sondern von Dana. Es war wohl aussichtslos. Während ich mir das Salz auf meine Pommes streute, klingelte die Tür. »Ich geh schon. Das ist vermutlich Ali. Sie wollte noch zum DVDs schauen vorbei kommen.« Mein Blick glitt zu meiner Armbanduhr. »Obwohl sie noch ziemlich pünktlich ist.«

»Ist Ali jetzt deine neue beste Freundin?«, wollte Max von mir wissen. Seine Frage traf mich total unvorbereitet. »Ja«, musste ich feststellen. »Aber du weißt, dass auch Justine immer meine beste Freundin sein wird.« Er lachte. »Oh, aber es muss doch eine geben, die du lieber magst. Eigentlich hat man nur eine beste Freundin.« Die Worte klangen aus seinem Mund irgendwie komisch.

»Da kennt sich aber einer aus. Dass man sich festlegen muss, ist mir neu. Es wird Situationen geben, wo ich Justine brauche, bei anderen dann Ali. Eine beste Freundin zu haben ist kein Gesetz.« Bevor er mich weiter mit seinem komischen Gefasel aufhalten konnte, ging ich in den Flur, um die Tür zu öffnen.

Doch als ich diese öffnete, schaute ich nicht Richtung Ali. Nein, mir schockte der Atem. Vor mir stand Königin Lorena höchstpersönlich. Ihr glaubt mir nicht? Nun, kein Wunder. Ich glaube mir ja auch nicht.

Im ersten Augenblick wusste ich gar nicht wie ich reagieren sollte. Ich meine, das wusste ich ja auch schon nicht als ich König Lian traf. Königin Lorena war da noch eine Hausnummer größer. Vielleicht verbeugen? Das war dann auch das, was ich im nächsten Moment tat, auch wenn es total unbeholfen aussehen musste.

»Königin Lorena, wie komme ich zu der Ehre?« Sie winkte ab. »Ach bitte. Wenn das wahr ist, was ich gehört habe, sollte ich mich wohl eher vor dir verbeugen.« Ich musste mich wohl verhört haben. »Wieso das? Was gehört?« Plötzlich fiel mir auf, dass ich sie immer noch vor meiner Tür stehen ließ. »Aber, bitte. Kommen Sie doch erstmal herein.«

Dankend trat sie in unser Schloss ein. Sollte ich wohl ihren Mantel abnehmen? Ich wusste echt nicht wie ich in so einer Situation reagieren sollte. Ich meine, meine Erziehung beinhaltete nie: Was tun, wenn plötzlich eine Königin vor deiner Tür steht?

Doch schließlich erübrigte sich die Frage, da sie ihre Jacke einfach von alleine an die Garderobe hing. Kurz darauf folgte sie einfach den Stimmen, die von meiner Familie aus dem Esszimmer kamen. »Na dann lerne ich auch mal endlich die berühmte Taylor und den berühmten Jasper kennen. Lian hat mir schon so viel über euch erzählt… auch wenn er sich selbst wünschte, dass er mehr wüsste.«

Der Blick meiner Familie musste ähnlich aussehen wie auch meiner ausgesehen hatte. Sie konnten es nicht glauben, wer da vor ihnen stand – der Blick eindeutig geweitet. Selbst Max hatte den Blick von seinem Teller gehoben. »Äh ja. Das an der Tür war doch nicht Ali«, murmelte ich noch.

Die kleine Dana hatte anscheinend als erstes wieder die Fassung gefunden: »Was machst du hier?« Königin Lorena lachte. »Ich würde mich gerne mit euch unterhalten.« Jetzt kam auch Mum langsam wieder zu sich. »Ja, bitte. Nehmen Sie doch Platz.«

Lorena wählte den leeren Stuhl neben mir und Max. »Ja, also zum Grund, warum ich hier bin. Auch wenn ich euch schon immer mal gerne treffen wollte, so wie es auch meinem Mann geht, unser Zeitplan ist leider etwas gefüllt. Zum Glück kann ich es jetzt aber trotzdem tun, unter einem wichtigen Vorwand. Ich habe davon gehört, dass eure Tochter Alea besonders ist. Sie besitzt ebenfalls die Fähigkeiten von den Casses.«

Ich musste schlucken. Was würde sie jetzt mit mir machen? Tolerieren konnte sie es ja wohl kaum. »Es tut mir Leid, aber ich werde sie wirklich nicht einsetzen… ich schwöre.« »Ich bin mir sicher, dass du in der Schule lernen wirst mit diesen Fähigkeiten umzugehen. Deswegen bin ich nicht hier.«

»Weswegen dann?«, fragte ich skeptisch. »Wir haben später noch einiges zu besprechen, Alea. Aber jetzt erst eine Ankündigung, die ich an die gesamte Familie richten wollte: Aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten wäre Alea die perfekte Vampirprinzessin.« Eine Vampir… was?! Nein. Das konnte nicht sein. Doch nicht ich. Ich gehe zur Schule, habe mir vor kurzem noch Sorgen gemacht, dass ich überhaupt Fähigkeiten entwickeln würde.

»Und als Vampirprinzessin… fände ich es schön, wenn ihre gesamte Familie mit ihr zu uns in Schloss ziehen würde.« Ich hatte mich wohl geirrt. Es konnte doch noch verrückter werden. Meine Mutter schnappte nach Luft, und direkt danach stürmte sie auf mich zu und umarmte mich. »Ich bin ja so stolz auf dich, Alea. Und… Königin Lorena, vielen Dank für das Angebot. Das ist eine große Ehre und natürlich nehmen wir es an.«

Mein Vater reagierte da allerdings ein kleines bisschen anders: »Ach? Haben wir das bereits beschlossen?« »Natürlich haben wir das«, murmelte Max kaum hörbar.

Kapitel 22

 

[erzählt von Maxwell Reeves]

In allen Punkten hatte dieser Typ Recht gehabt. Meine Familie war sicher gerade dabei in dieses tolle Königsschloss einzuziehen. Ich war allein. Ich hatte niemanden. So wie es der Typ vorhergesagt hatte, hockte ich hier alleine auf der Bank der Dachterrasse und starrte auf das Meer. Warum habe ich überhaupt jemals gedacht, es könnte am Ende doch anders kommen? Ich bin ein Idiot.

Wo sollte ich jetzt hin? Meine Familie hatte mich offiziell zwar noch nicht verstoßen, aber das würde sicher auch noch kommen. Zu Ben vielleicht? Keine Ahnung. In letzter Zeit hatte ich auch eher das Gefühl wir würden uns auseinander leben. Hm… eventuell sollte ich wirklich einfach hier bleiben. Momentan war auch Sommer und was im Winter sein würde, würde ich eben dann sehen. Eine Decke würde mir sicherlich als Sonnenschutz genügen, wenn ich mich komplett verhüllte.

So darüber nachzudenken, machte mich tatsächlich etwas müde. Für einen kurzen Moment könnte ich wohl die Augen schließen. Obwohl sonst immer einer da gewesen ist, hatte ich jetzt keinen mit dem ich mich unterhalten könnte. Klar, wenn ich Ben angerufen hätte, wäre er wahrscheinlich auch gekommen. Aber irgendwie war mich da auch nicht nach. Er wollte sicher lieber etwas mit seiner neuen Freundin unternehmen. Wie sie hieß hatte ich vergessen. Ich wusste nur noch, dass sie mit Alea befreundet war… Ja, Alea mit dem ganzen Haufen von Freunden. Sie würde sicher niemals alleine sein.

Gerade als ich beinahe eingenickt war, hörte ich plötzlich Schritte hinter mir. Überrascht drehte ich mich um, während sich der Platz auf der Bank neben mir füllte. »Justine? Was machst du denn hier?«, fragte ich sie. »Ich habe dich gesucht und habe mir schon gedacht, dass ich dich hier finden würde.« »Aber warum hast du mich gesucht?«

»Keine Ahnung. Alea hat mir geschrieben, dass sie bald eine Vampirprinzessin sein wird und im Königsschloss leben wird. Naja, da dacht ich mir-« Das Ende dieses Satzes würde ich wohl nie erfahren, denn sie begann noch mal mit einem neuen Satz: »Du hast mir ja von dieser bescheuerten Zukunftsaussicht über dich erzählt…«

»Die war nicht bescheuert, immerhin ist sie ja, wie du siehst, eingetreten.« »Sie ist eingetreten? In wie fern? Du bist nicht alleine auf dieser Bank.« »Aber das war ich erst. Außerdem wird es nichts an der Tatsache ändern, dass mich meine Familie verstoßen wird.«

Nach einer kurzen Pause pustete Justine los: »Jetzt hör mir mal zu. Diese ganze Verstoßungssache wird nur eintreten, wenn du weiterhin so denkst. Dann schirmst du dich selber von deiner Familie ab. Deine Zukunft kann sich immer ändern. Vielleicht hatte dieser komische Typ Recht, zu dem Zeitpunkt eben warst du ja auch alleine auf dieser Bank. Aber wenn du selber dagegen angehst kann sich deine Zukunft im positiven Sinne verändern.«

»Und wie soll das bitte funktionieren?« »Zuerst solltest du Alea vielleicht mal ein besserer Bruder sein.« Ich musste lachen. Doch kurz darauf musste ich feststellen, dass an ihren Worten vielleicht etwas Wahres dran sein könnte.

Ich beäugte sie skeptisch. »Ich weiß immer noch nicht warum du hier bist. Warum kümmert es dich überhaupt? Denkst du, es ist wegen diesem Projekt deine Pflicht?« Ach du Schreck, ihre Miene wurde plötzlich total wütend. »Jetzt hör endlich mit diesem verdammten Projekt auf! Ich bin hier, weil ich dir helfen will.« »Ja, aber warum willst du mir helfen?« Wahrscheinlich nervte ich Justine jetzt mit meiner Fragerei. Aber ich wollte es einfach hören.

»Bor, Maxwell! Du kannst echt total nerven, weißt du das?« Bingo. »Weißt du, als ich Schritte hörte, dachte ich für einen kurzen Augenblick es wäre Ben.« »Ach? Was willst du mir jetzt damit sagen? Dass du enttäuscht bist?« »Nein, im Gegenteil. Ich will damit sagen, dass ich froh bin, dass es nicht Ben sondern du warst.«

Jetzt breitete sich wieder ein Lächeln in Justines Gesicht aus. »Und warum das?« Kurze Pause. »Tja, was du kannst, kann ich schon lange«, sagte sie lachend. »Mag sein. Ich habe aber zuerst gefragt.« »Echt jetzt?«, Justine konnte sich vor Lachen kaum noch halten. »Ich habe aber zuerst gefragt? Du bist echt noch in deiner Kindheit hängen geblieben, oder?«

Da war sie wieder. Die Justine wie ich sie kannte. »Das bringt uns jetzt nicht weiter«, meinte ich. »Nein, tut es nicht.«

»Beherzigst du denn wenigstens meine Worte?«, fragte mich Justine. »Ich kann’s versuchen. Aber ich garantiere nicht dafür, dass es klappt.« »Wird es schon. Vertrau mir einfach.« »Tu ich.«

»Du vertraust mir? Warum das?«, fragte sie mit einem dreisten Grinsen. »Fresse. Ich antworte nicht als erstes.« »Richtig. Das tust du ja nie.«

Verwirrt hob ich die Augenbraue. »Was soll das denn heißen?« »Ich meine einfach, dass es das ist was dich aus macht. Du bist einfach zu cool und beliebt, um auch mal nachzugeben und zu tun, was man dir sagt.« Ich musste schlucken. Ihre Worte hatten es in sich gehabt.

»Du willst eine Antwort? Warum ich erleichtert bin, dass du hier bist? Warum ich in diesem Augenblick gerade dich sehen wollte? Weißt du, Justine. Ich mag dich. Du bist anders als die anderen Mädchen die ich kenne. Und das kann ich nicht erst seit kurzem sagen, so wie du. Ich mag dich schon eine ganze Weile. Aber du bist nun mal Aleas beste Freundin, weshalb ich nie erwartet hätte, dass du tatsächlich hier bei mir bist, statt ihr beim Umzug zu helfen.«

Sie schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an. Man konnte ihre Nervosität deutlich spüren. Sie reagierte nicht. Warum antwortete sie mir nicht? Sonst war sie doch auch nicht so.

Auch wenn ich wusste, dass mich Justine wahrscheinlich im nächsten Moment von sich stoßen würde, zog ich sie nun zu mir und drückte vorsichtig meine Lippen auf ihre. Dort verweilte ich kurz, um mich auf die Abfuhr gefasst zu machen. Doch sie kam nicht. Und nicht nur das: Überrascht stellte ich fest, dass Justine anfing den Kuss zu erwidern.

Auch wenn ich sicherlich nicht ganz unerfahren war, was küssen angeht. Justine ließ mich jetzt echt wie einen Anfänger da stehen. Denn Himmel, konnte sie gut küssen. All die anderen Küsse wirkten dagegen wie Hundegesabber. Ihr Duft war so unglaublich gut und ihre Lippen schafften es irgendwie, dass ich die Zeit vollkommen vergas.

Erst als es langsam zu dämmern begann, lösten wir uns voneinander. »Wow, ähm… das war schön«, murmelte ich und konnte immer noch nicht glauben, dass ich das gerade wirklich laut gesagt hatte. »Ja…«, sagte sie lediglich. Sie schaute zu mir hoch. Man konnten diese blauen Augen einen vielleicht ablenken.

Kapitel 23

 

»Also nochmal zum Mitschreiben. Ich muss irgendwelche mächtige Steine finden, die sich im Besitz der Casses befinden und diese können nur mit meiner Magie zerstört werden? Sind die Steine zerstört, sind es auch die Casses.« Lorena stritt nervös durch unser Wohnzimmer. »Ich weiß, dass sich das jetzt für dich verrückt anhört. Immerhin würde das alle Casses töten. Aber du musst dir bewusst werden, was diese Casses für Vampire sind. Sie scheren sich überhaupt nicht um Regeln.«

»Ehrlichgesagt habe ich bereits einen Eindruck davon bekommen, wie diese Casses drauf sind. Haben Sie keine Sorge, Königin Lorena. Ich werde meine Aufgabe erfolgreich meistern.« »Das freut mich zuhören. Ach, und nenn mich doch bitte nur Lorena. Da du ja bald hoffentlich bei mir einziehen wirst, fände ich es schön, wenn wir uns duzen.«

Ich lächelte ihr zu. Lorena ist wirklich eine würdige Königin von Vellance. »Sehe ich genauso.« »Gut. Ich weiß, dass das alles nicht leicht aussieht… und das ist es auch nicht. Die Casses werden die Steine mit ihrem Leben beschützen.« Zum Glück hatte ich ja schon einen geheimen Masterplan. »Dann werde ich mich schon in Kürze auf den Weg zu ihnen machen.«

»Du musst aber vorsichtig sein. Setze dazu deine Fähigkeiten ein. Sie sind stärker als du vielleicht denkst. Und verrate niemanden, dass du tust was du tust. Kontakt zu den Casses wird dir niemand gutheißen. Ich ja eigentlich auch nicht, aber ich fürchte es ist unsere einzige Chance.«

Im Moment hatte ich eher diesen Umzug im Kopf. Was ist da zwischen meinem Vater und König Lian vorgefallen, dass er nicht mal bei ihm wohnen möchte, obwohl sie mal Freunde waren. »Entschuldige mich, aber ich sollte jetzt mal mit meinem Vater sprechen, damit wir schon bald bei euch wohnen können.« »Viel Glück, Alea. Und hoffentlich bis in Kürze.«

~~~~~~~~~~

Mein Vater hatte es sich mit der Zeitung am Küchentisch gemütlich gemacht. Als ich den Platz neben ihm einnahm, faltete er seine Zeitung allen Anschein nur ungern beiseite. »Du willst wegen des Umzugs mit mir sprechen«, schlussfolgerte mein Vater.

»Als ich im Königsschloss zum Tag der offenen Tür war, begegnete mir König Lian und er erzählte mir, dass ihr mal gute Freunde gewesen seid.« Stille. Auch wenn ich nicht wirklich eine Frage gestellt hatte, fand ich, dass Papa jetzt an der Reihe war etwas zu sagen.

Nach gefühlten Stunden tat er es dann auch endlich: »Ja, deine Mutter, Lian und ich haben früher alle in derselben Gegend gewohnt.« Okay, das war’s dann auch. Mehr wollte er wohl nicht erklären. Egal, dann musste ich eben nachharken: »Wenn ihr Freunde wart, warum willst du dann jetzt nicht bei ihm wohnen?«

Er atmete einmal tief durch. »Keine Ahnung… einen vernünftigen Grund gibt es eigentlich nicht.« Aha. Er wollte es mir also nicht erzählen. »Papa, wenn du es mir anvertraust kann ich vielleicht helfen.« Er lachte. »Wo willst du helfen, wenn es eigentlich keine Sorgen gibt? Sie sind nur in meinem Kopf.«

»Weißt du, sowas hatte ich auch mal. Ich hatte wirklich panische Angst, dass ich meine Fähigkeiten nicht entdecken würde. Mehr als es nach außen vielleicht schien. Mag sein, dass Max einen Großteil der Schuld dafür trägt, aber ich habe mich auch selber verrückt gemacht. Nachdem ich es Justine erzählt habe, ging es mir etwas besser. Vielleicht musst du das Gleiche tun.«

Wieder starrte er eine Ewigkeit auf seine Zeitung. Gerade als ich aufstehen, aufgeben und meine Infos irgendwie anders bekommen wollte, meinte er plötzlich: »Lian ist nicht ohne Grund König geworden. Schon als Kind war er einfach nur perfekt. Es war mehr als offensichtlich, dass das auch deine Mutter fand. Ich weiß es ist verrückt, aber manchmal denke ich mir, wäre Lian nicht weggezogen, wäre vielleicht alles anders gekommen.«

Langsam ging mir ein Licht auf. »Das ist wirklich verrückt, Papa. Mama liebt dich. Das wird dieser Umzug nicht ändern. Nicht zu vergessen, dass König Lian glücklich mit Lorena verheiratet ist.« »Ja, nach außen scheint es für mich auch absurd. Aber in mir ist da trotzdem dieses verrückte Gefühl…« »Dann wird dir dieser Umzug Gewissheit verschaffen.«

Er war immer noch skeptisch. »Gewissheit? Ich glaube kaum, wenn mein Albtraum wirklich wahr werden würde, ich darüber in Kenntnis gesetzt werden würde.« »Überlass das nur mir. Wenn ich etwas herausfinden möchte, finde ich es auch heraus. Das gehört zu meinen Talenten. Ist da wirklich etwas, werde ich es wissen und du direkt im Anschluss.«

»Das weiß ich wirklich zu schätzen, Alea. Aber dann würde ich mir vorkommen als würde ich deiner Mutter nicht vertrauen, wenn du sie für mich im Auge behalten sollst.« »Na schön, dann mach ich es nicht für dich. Aber…«, ich zwinkerte ihm kurz zu. »… wenn ich durch Zufall etwas erfahren sollte, dann kann ich das natürlich nicht vor meinem eigenen Vater verschweigen. Schließlich wurde ich dazu erzogen nicht zu lügen.«

Jetzt musste er grinsen. »Von wem du das wohl geerbt hast. Von mir sicher nicht.« »Nicht zu lügen? Doch, das habe ich ganz sicher von dir.« »Du weißt genau, dass ich das nicht meine.« »Das du was nicht meinst?«

Lachend erhob er sich von seinem Stuhl. »Ist ja gut, Alea. Du hast gewonnen. Meinen Segen hast du.« »Heißt das, wir ziehen ins Königsschloss?« Ich konnte meine Vorfreude nur schwer unterdrücken. »Ich sagte, du hast meinen Segen. Was ist mit dem Rest?« »Hast du Mum nicht gehört? Sie war schwer begeistert von der Idee.« »Ich habe auch nicht von Taylor geredet.«

Oh… er meinte Dana und Max. Ich wusste, dass Dana kein Problem sein wird. Bei Max war ich mir da allerdings nicht so sicher. Eigentlich komisch… immerhin hätte er dann etwas, womit er in der Schule angeben konnte. Aber seine Reaktion am Essenstisch war eindeutig eine andere gewesen.

Kapitel 24

 

Diese Gegend war wirklich echt abstoßend. Leider verstärkte das meine Angst gegenüber den Casses nur noch umso mehr. Hier gab es keine Schlösser. Nein, es waren Bruchbuden, wo ich mir nicht mal sicher war, ob man hier überhaupt leben konnte.

Zum Glück hatte mich Ali in Sachen Tarnkleidung beraten. Sie hatte vollkommen Recht gehabt, auch wenn ich es anfangs für überflüssig hielt. Mit meinen Kleidern würde ich hier sicher total auffallen. Keine Ahnung, ob die Casses so glücklich sind, wenn sie einer Feences begegnen. So sah ich zumindest nicht wie eine aus.

Natürlich hatte ich keinerlei Ahnung wo ich genau hin musste. Lorena hatte behauptet, dass in dieser Gegend die Casses lebten. Doch diese Gegend war groß. Alles was ich hatte, war ein Name: Daniel Wyler. Vielleicht würde ich durch Rumfragen irgendwann fündig werden.

Ich betrat einfach wahllos die erstbeste Bruchbude. Der muffige Geruch erfüllte sofort meine Nase. Meinen Würgereiz konnte ich nur schwer unterdrücken. Wie erwartet war das Haus gefüllt. Die lachenden und lauten Stimmen hatte ich bereits aus der Ferne wahrgenommen.

Äh, ja. Das könnte jetzt ein Supermarkt sein, aber dafür gab es eindeutig zu wenige Lebensmittel. Da stand lediglich ein Typ an einem Minitisch und verkaufte Lebensmittel, die auf alten Holztischen verteilt lagen.

Fest entschlossen marschierte ich auf den Möchte-gern-Verkäufer zu. »Entschuldigung, kennen Sie zufälliger Weise einen Daniel Wyler?« Er lachte auf. »Sieht das hier für dich aus wie die Information? Kauf etwas oder verschwinde.« Man war der unhöflich. Ein einfaches Nein, tut mir leid. Da kann ich nicht weiterhelfen hätte ausgereicht. Aber was will man von einem Casses erwarten?

»Daniel Wyler? Möglicher Weise könnte ich dir weiterhelfen, aber das kostet was«, meinte plötzlich eine Frau hinter mir. Ihr Haar war so kraus, als hätte sie es monatelang nicht gebürstet. Obwohl sie mit etwas Pflege sicherlich ganz hübsch ausgesehen hätte, ihrem Gesicht nach zu urteilen.

»Wie viel?« Geld hatte ich genug. Das sollte nicht das Problem sein, wenn man bedenkt wie wichtig diese Sache war. »Was bietest du mir?« Genervt kramte ich in meiner Tasche, die ich mir zum Glück noch umgeschlungen hatte. Mit hatte ich genug. Immerhin steckte mein gesamtes Portmonee in dieser Tasche. Aber sie war eine von den Casses. Sie würde sich mit weniger zufrieden geben.

»30 Goldstücke?«, fragte ich, wohlwissend, dass das mehr als genug sein müsste. Natürlich weiteten sich ihre Augen bei diesem Betrag. Mit so viel hatte sie gewiss nicht gerechnet. Hoffentlich kaufte sie sich davon eine Bürste. Dann war mir das Geld es sogar wert.

»Einverstanden«, versuchte sie möglich lässig zu erwidern, doch es gelang ihr nicht. Schnell kramte ich die 30 Goldstücke heraus, doch gab ihr nur 15. »Die restlichen Goldstücke bekommst du, wenn du mich zu ihm geführt hast.«

»Also… ich kann dich zu einer Kneipe führen, die im Besitz der Familie Wyler ist. Da müsstest du fündig werden.« Ich nickte und folgte ihr nach draußen. Es war gerade Vollmond. Ich liebte Vollmond, nicht nur weil dann die Fähigkeiten der Vampire am intensivsten sind. Bei Vollmond ist der Mond vollkommen, brauchte nichts mehr von sich verstecken. Ein kleiner Teil von mir fühlte sich dann genauso.

»Da, auf der rechten Seite ist es.« »Ich hoffe für dich, du lügst mich nicht an«, und überreichte ihr mit diesen Worten die restlichen 15 Goldstücke. Sie lächelte glücklich als sie das Geld in ihren Händen hielt. »Keine Sorge. Ich habe keinen Grund zu lügen.« Und dann war sie auch schon wieder verschwunden. Ja, war auch nett dich getroffen zu haben, dachte ich und verdrehte innerlich die Augen.

Die Tür zur Kneipe öffnete sich mit einem Quietschen. Nicht mal für ein wenig Öl reichte das Geld. An sich wirkte diese Kneipe eher wie eine Kneipe als der Supermarkt vorhin. Überall standen Tische, an denen hauptsächlich Männer Bier tranken. An der langen Theke befand sich sogar ein Bierzapfhahn. Aber anscheinend gab es hier nicht nur Bier im Repertoire.

Ich räusperte mich. »Entschuldigung, aber gibt es hier auch Cocktails? Ich steh nicht so auf rustikale Sachen.« Der Mann an der Theke drehte sich um. Nicht Daniel Wyler… okay, egal. Vielleicht würde er ja noch auftauchen. Oder ich müsste nachfragen.

»Aber sicher doch. Ich kann nahezu alles mixen. Was hätten sie denn gerne?«, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen. »Einen Swimmingpool, bitte. Den trinke ich am liebsten.« Das Mixen meines Cocktails hatte er echt drauf. Das musste man ihm lassen.

»Sonst noch einen Wunsch?«, fragte er, stets am Dauergrinsen. »Ich wüsste gerne, wo ich Daniel Wyler finde.« Er schien über meine Bitte keinesfalls überrascht. »Oh, ich fürchte, dass das nicht möglich ist.« »Wieso nicht?«

»Was wäre ich denn für ein Vater, wenn ich ihm seinen persönlichen Feind ins Schlafzimmer schicken würde?« »Ah, dann spreche ich also mit dem Verrückten, der glaubte, die Zukunft vorhersagen zu müssen?« Ob ich zu weit ging? Vermutlich schon. Tja, jetzt war es zu spät. Lag bestimmt am Vollmond. Da nahm ich echt kein Blatt vor den Mund. Oder wenn ich fünf bis zehn Swimmingpools intus hatte. Aber das war ja noch nicht der Fall.

»Ich bevorzuge Jared. Und wie verrückt war es wirklich? Immerhin hat es sich am Ende ausgezahlt. Sonst wüsste ich nichts von dir und deiner Absicht uns alle zu vernichten.« »Wie gut, dass ich dann hier bin, um gerade das zu verhindern. Ich hasse es, wenn man mir sagt wie mein Leben ablaufen soll. Deshalb bin ich hier, um genau das Gegenteil zu machen. Ich habe vor mich mit meinem persönlichen Feind anzufreunden«, log ich. »Dann können mich Ihre Wundersteine mal.«

Er brach in einen Lachanfall aus. »Anfreunden? Dir ist schon klar, dass du eine von den Feences bist.« »Ja, ich weiß. Es erforderte Überwindung. Aber ich hasse die Festlegung meines Schicksaals nun mal mehr als die Casses.« Nur langsam bekam er sich wieder ein. »Aber, liebe Alea Reeves. Diese Freundschaft wäre gegen die Regeln.«

Ja und bei diesem Gedanken wurde mir schlecht. Aber ich freundete mich ja nicht wirklich mit Daniel Wyler an. Ich tat nur so. »Wäre das für Sie nicht ein Grund dafür zu sein?« »Der Grund reicht mir nicht. Deshalb lasse ich jemanden wie dich nicht in die Nähe meines Sohnes.«

»Wie gesagt. Ich will nur das Schicksaal herausfordern. Und das kommt euch Casses doch gelegen. Dann ist niemand da, der euch vernichten kann.« »Das ist ein Argument. Na schön, ich lasse dich zu ihm. Aber sei gewarnt: Ich schwöre dir hiermit, dass ich dir nie vertrauen werde. Ich werde alles hinterfragen müssen, was du tust.« Kluger Vampir. Allerdings war schauspielern schon immer mein größtes Talent. Ich konnte ziemlich überzeugend wirken, wenn ich nur wollte. Damit würde ich auch Max zum Umziehen bewegen können… irgendwie.

Kapitel 25

 

Mit polternden Schritten hörte ich jemanden die Treppe herunter gehen, die von der Tür in der Bar kam. Wahrscheinlich sowas wie der Wohnbereich könnte ich mir vorstellen.

Als Daniel direkt vor mir stand machte er wieder diese komische Sache mit seinen Augen. Konnten Casses das etwa? Gut möglich, immerhin waren sie für solche Dinge bekannt. Wie fesselnd sein Blick sein konnte, machte mir furchtbare Angst.

»Ah, so sieht man sich wieder«, sagte er zur Begrüßung. »Darf ich den Grund erfahren?« Nö. Nicht den wahren. »Ich bin hier, um das verfluchte Schicksaal zu ändern. Irgendwelche komischen Steine bestimmen nicht über mein Leben.« »Ah, ich verstehe schon. Da ich dein Feind sein sollte, willst du jetzt, dass wir Freunde werden.«

Ich konnte anscheinend überzeugender lügen als ich gedacht hatte. Zustimmend nickte ich. »Da haben wir nur ein kleines Problem. Wer sagt, dass ich mich auch mit der anfreunden möchte?«

Wusste ich doch, dass die ganze Sache doch nicht so einfach werden würde. Wäre ja auch zu schön gewesen… »War ja klar, dass ihr Casses Krieg und Zerstörung Frieden und Freundschaft vorziehen würdet.« »Äh, hallo? Die Steine sagten eindeutig, dass du uns Casses vernichten würdest, nicht dass ich euch vernichten würde. Ich kann es lediglich verhindern.« »Indem wir uns anfreunden. Das ist doch der Grund überhaupt! Sonst sieht es bald nicht sonderlich gut für euch aus.« Würde es eh nicht, aber das brauchte ich ja nicht zu erwähnen.

»So ungern ich es zugebe, aber irgendwie klingt das logisch.« Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. »Na geht doch.« »Keine Ahnung ob es geht. Man kann Freundschaft nicht erzwingen. Und du bist immer noch eine Feences.« Ja, was war daran bitte schlimm? Ich musste schließlich so tun, als würde ich mich mit Mördern anfreunden. Alis Geschichte bereitete mir immer noch Albträume. Und jetzt stand dieser Albtraum wieder vor mir… und in Zukunft bedauerlicher Weise noch öfter. Aber als amtierende Prinzessin war es meine Aufgabe.

»Dann sollten wir es herausfinden. Irgendeine Idee, was wir unternehmen könnten?«, fragte ich. Er zuckte mit den Schultern. »Wir haben einen Billardtisch. Kannst du Billard?« »Ne, noch nie gespielt.«

Er grinste. »Gut. Dann kann’s ja los gehen.« Ich schaute ihn irritiert an. »Hä?« »Ich will natürlich gewinnen.« War ja klar. »Pass auf. Ich lerne schnell. Frag meine Lehrer.« Und spielte dabei auf meine besonderen und Casses-vernichtenden Fähigkeiten an. Sein Blick verfinsterte sich. Tja, gegeben!

»Wir werden sehen wie schnell du wirklich lernst.« Mit diesen Worten ging er auf eine Tür links von uns zu. Sie stand bereits offen. Der Billardtisch war das einzige, was sich in diesem Raum befand… mit Ausnahme eines Sofas.

Anfangs legte er die Kugeln in ein dreieckiges Plastikgestell. »Aber so kann man die Kugeln doch gar nicht weg schießen.« Er musste sich das Lachen verkneifen. »Die Kugeln werden gestoßen, nicht geschossen. Und zweitens: Wenn die Kugeln erstmal richtig liegen entferne ich es ja auch wieder.«

Ich biss mir auf die Lippe. Ups, peinlich. »Du musst mir das Spiel aber schon auch etwas erklären.« »Mach ich ja noch. Also, siehst du die schwarze Kugel? Das wichtigste ist es erstmal, die nicht zu versenken. Erst am Ende.« »Das ergibt keinen Sinn. Erst darf man etwas nicht… und am Ende dann doch?«

»Natürlich ergibt das Sinn. Hinterfrag jetzt nicht alles. Also… mit der weißen Kugel musst du gleich die anderen Kugeln versenken. Die Kugel, die man als erstes einlocht entscheidet, ob dir die halben oder die ganzen gehören.« »Können wir das nicht schon vorweg entscheiden. Vielleicht können wir uns einigen. Ich will zum Beispiel die Ganzen. Wenn du die Halben willst-«

Doch ich konnte meinen Vorschlag nicht beenden, denn Daniel unterbrach mich abrupt. »Nein, können wir nicht. So geht das Spiel nicht.« »Wieso kann man die Regeln nicht ein wenig abändern?«

Er lachte. »Und das aus dem Mund einer Feences.« »Es geht um ein Billardspiel.« »Ich möchte aber auch die Ganzen.« Wollte er sicher nicht. Er machte eigentlich sogar den Eindruck als wäre es ihm ziemlich egal. Ich durfte meinen Willen einfach nicht durchsetzen. »Na schön. Dann erklär weiter.«

»Dann gibt es diese hier. Damit schlägt man die weiße Kugel an. Etwa so«, erklärte er und demonstrierte es anschließend. Sah eigentlich ganz leicht aus. »Okay, ich versuch’s mal.«

Kaum hatte ich den Schläger angesetzt, hatte er wieder etwas daran auszusetzen. »Du hältst den ja ganz falsch. So brichst du dir noch was.« Er trat hinter mich. »Die rechte Hand muss weiter nach hinten. Und leg den Stab am besten zwischen deine Finger. Warte…« Er legte meine Hände so wie er es für richtig hielt. Dabei war er mir gefährlich nah. »Siehst du. Jetzt kann sich der Stab prima bewegen.«

Jetzt bewegte er den Stab auf die weiße Kugel zu und lochte sie ein. »Na guck mal. Wir haben sogar getroffen.« Endlich löste er sich von mir. Diese Nähe fühlte sich echt komisch an. Immer wieder musste ich daran denken wer die Casses sind und was sie Alis Eltern angetan hatten. Verständlich, dass man verrückt bei dem Gedanken wurde, wenn so jemand deine Hand berührte.

»Mal sehen, ob du auch noch so gut ohne meine Hilfe bist.«

~~~~~~~~~~

»Sehe es ein. Du hast verloren. Du kannst ohne meine Hilfe nicht gewinnen.« Idiot. Am liebsten würde ich ihm sein eingebildetes Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Der würde sich noch wundern, wenn mein Plan erstmal funktionierte. Doch ich musste mir eingestehen, trotz Arroganz, hatte er Recht. Ich hätte nur mit seiner Hilfe gewinnen können. Mist aber auch.

Kapitel 26

 

[erzählt von Justine Mayhew]

Jetzt ist es wohl offiziell. Ich hatte vollkommen meine Kontrolle verloren. Und das alles nur wegen ihm und seinen unwiderstehlichen Lippen. Ob sie wohl eine Art von Droge waren?

»Stopp! Was, wenn uns jemand sieht?«, schaffte ich es endlich hervorzustoßen. »Der Unterricht hat noch nicht angefangen. Hier kommt schon keiner her.« Kaum hatte Max die Worte ausgesprochen, befanden sich seine Lippen wieder auf meinen. Dieses Mal schaffte ich es glücklicherweise früher zu wiederstehen.

»Aber es ist nicht unmöglich, dass hier jemand vorbei kommt.« Max seufzte auf. »Nein, natürlich nicht. Aber… was soll’s?« »Ich dachte wir seien uns einig, dass das zwischen uns geheim bleibt.« »Schon, aber dir ist schon klar, dass das nicht für immer ein Geheimnis bleiben kann?«

Für immer hatte ich Max noch nie im Zusammenhang mit einer Frau sagen hören. Auch wenn er es wahrscheinlich nicht so gemeint hatte, musste ich trotzdem grinsen. »Ich bin einfach noch nicht bereit, okay?« »Und das ist, wie gesagt, total in Ordnung für mich. Ich habe dich schließlich nicht gezwungen hier zu sein.«

»Ich weiß«, sagte ich und grinste in den Kuss hinein, den ich Max anschließend gab. »Aber wir sollten trotzdem gehen. Die anderen wundern sich sicherlich wo ich bleibe. Ich wollte doch nur meine Bücher holen.« »Tja, dann musst du eben sagen, dass dir ein unglaublich attraktiver Typ dabei geholfen hat.«

Urgh, das war ja mal wieder typisch. Ich kam nicht drüber hinweg meine Augen zu verdrehen, allerdings huschte auch ein Lächeln über mein Gesicht. Trotzdem rief mir das wieder ins Gedächtnis wer da vor mir stand. Konnte man mit jemand wie Max überhaupt eine Beziehung führen?

»Dann bis in ca. zehn Minuten«, sagte er. Moment, was? »Wieso das?« »Naja, ich denke es würde komisch kommen, wenn wir da zusammen runter gehen.« »Ja, klar. Aber warum sehen wir uns in zehn Minuten? Bist du nicht bei deiner Clique?«

»Natürlich, aber ich werde trotzdem noch kurz bei euch vorbei scheinen. Ich schulde Alea noch eine Antwort, die ich ihr erst noch nicht beantworten konnte. Bis jetzt hatte ich Zeit die Sache zu durchdenken.« »Welche Sache?« »Die Sache, wo ich entscheiden soll, ob wir demnächst im Königsschloss leben werden.«

Ach, die Sache. Ja, Alea hatte mir davon erzählt. Ich fand das Angebot von Königin Lorena immer noch unglaublich. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass Max da was mitzureden hatte.

»Na siehst du. Du wirst nicht außen vor gelassen.« »Kann mir aber gut vorstellen, dass das nicht Aleas Idee war.« »Mit dieser Einstellung wird das nie was.« Auch wenn ich mich inzwischen mit der Fehde zwischen den beiden abgefunden habe, hatte ich meine Hoffnung noch nicht aufgegeben. Vielleicht… irgendwann… wenn ihre Urenkel schon Kinder haben… Oder auch nicht.

»Jedenfalls… kannst du anscheinend ziemlich überzeugend sein. Ich habe beschlossen dem eine Chance zu geben.« Er zog mich noch ein letztes Mal an sich. »Wir sehen uns.« Er beugte sich vor, doch anstatt mich zu küssen wie ich vermutet hatte, murmelte der dicht vor meinem Mund: »Bye.« Grinsend drehte er sich um und verschwand in die entgegengesetzte Richtung wie ich.

~~~~~~~~~~

»Herzlichen Glückwunsch, Justine«, begrüßte mich Jayden. Verwirrt starrte ich in die Runde. »Hm… was?« »Du hast den neuen Rekord aufgestellt im Wer-am-längsten-zum-Bücher-holen-braucht.« »Naja, ich habe mich schon mal ein wenig eingelesen. Jetzt wo das Projekt langsam zu Ende geht, kommt an manchen Stellen wirklich trockene Theorie, wusstet ihr das?«

»Wir mussten damals sogar etwas über die Geschichte der Vampire lernen. Ich wäre fast eingeschlafen«, verkündete Caitlyn. Na toll. Es kam also wirklich Theorie. Gut geraten, Justine.

»Oh, guckt mal wer da kommt«, sagte Denice, ihre Worte aber hauptsächlich an Alea gerichtet. »Ich weiß. Habe schon vermutet, dass er irgendwann auftaucht und meine restliche Nacht zerstört.« Das waren aber weniger als zehn Minuten gewesen, oder?

»Hallo Clique meiner Schwester.« Keine Antwort. Okay, bei dieser Begrüßung hätte ich auch nicht geantwortet. Was sollte das bitteschön? Hatten wir keine Namen?

Alea kam gleich zum Punkt: »Bevor du etwas sagst, solltest du ablehnen werde ich persönlich dafür sorgen, dass dein Leben die reinste Hölle wird.« »Nett. Bei all der Nettigkeit könnte ich vielleicht sogar meine Meinung ändern. Aber sei unbesorgt: Du kannst ruhig in deinem Traumschloss leben. Ich werde dir dabei nicht im Weg stehen.«

Das ließ Alea anscheinend sprachlos werden. Während sie so vor sich hin starrte, konnte sich Max anscheinend vor Lachen kaum noch einkriegen. Was war daran bitte lustig? »Da ein Danke anscheinend zu viel verlangt wäre, werde ich euch jetzt wieder alleine lassen.«

Ich spürte wie sein Blick auf mir ruhte. »Sonst kannst du dich auch bei Justine bedanken. Das wird dir sicherlich leichter fallen.« »Hä?«, brachte ich hervor. Dieser Idiot. Dass er es wagte… »Na wir müssen doch nachher noch mal unsere Präsentation durchsprechen. Da wir uns dann sehen, könntest du mir Aleas Dank weiterreichen.« Oh. Okay. Verdammt. Ich bemerkte plötzlich, wie sich mein Gesicht leicht rötete. Nein, stopp! Aufhören!

Zum Glück hatte es keiner bemerkt, obwohl Caitlyn mich mit einem neugierigen Blick musterte. Was sich allerdings auch daraus ergründen ließ, dass ich ihr ja anvertraut hatte, dass ich mich möglicherweise in Max verliebt haben könnte. Ihre Blicke schrien praktisch die Worte: Ich brauche ein Update!

Kapitel 27

 

Nicht, dass mir das Projekt keinen Spaß gemacht hat, aber ich war trotzdem froh als es dann zu Ende war. Seien wir mal ehrlich: Im Moment hatte ich wichtigeres zu tun als irgendein Schulprojekt. Ich musste an diese Steine gelangen, die sich anscheinend im Besitz von Jared Wyler befanden. Sicherlich kein Zuckerschlecken.

»Er glaubt mir nicht, oder?« »Jared? Nein. Aber das ist kein Wunder. Wahrscheinlich wird er nie irgendwem vertrauen außer sich selbst. Wenn selbst ich nicht weiß, ob ich dir glauben soll, wie soll er es?«

Wir hatten es uns an einem Tisch in der Kneipe gemütlich gemacht. Jared schaute andauernd skeptisch zu mir rüber. »Warum nennst du ihn Jared?« »Weil er so heißt?« »Nennt man seinen Vater nicht für gewöhnlich Papa? So mach ich das jedenfalls.«

Es machte tatsächlich den Eindruck als müsste er eine Weile über meine Worte nachdenken. »Manchmal könnte ich eher sein Papa sein.« Ich lachte kurz auf. »Ach ja?« »Naja. Der Tod meiner Mutter hat ihn ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich sehe es manchmal als meine Aufgabe ihn wieder aufzurichten.«

Ich musste schlucken. Okay, Alea. Das ist ein Trick. Stark bleiben. Erst schüttet er dir dein Herz aus und im nächsten Moment bist du einen Kopf kürzer.

Natürlich blieb ich trotzdem in meiner Rolle. Sonst würde er mir nie vertrauen. Mitfühlend tätschelte ich ihm kurz die Schulter. »Das sollte aber nicht deine Aufgabe sein.« Er schnaufte. »Ja, richtig. Meine Aufgabe ist es dich davon abzuhalten uns alle zu töten.«

»Ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich finde, dass du deine Aufgabe im Moment ziemlich gut machst.« Und dann stemmte er plötzlich seine Hände in sein Gesicht. »Hör einfach auf, ja? Du bist eine von den Feences, ja? Das weiß ich. Ich weiß was du vorhast. Du willst mich nur schwächen. Damit ich ein leichterer Gegner bin. Aber ich werde dir immer einen Schritt voraussein.«

Mist. »Wenn du das denkst, warum machst du dann überhaupt mit?« »So erbärmlich wie das jetzt klingen mag, aber sonst sind meine Samstage nicht so unterhaltsam.« »Hast du denn keine Freunde mit denen du dich treffen könntest?« Ging ich zu weit? Vermutlich schon. Egal.

Sein Blick senkte sich. »Also… ich … schon, aber-« »-irgendwie auch nicht? Warum suchst du dir denn keine echten Freunde … anstatt an dieser Fakefreundschaft festzuhalten?« »Wie denn? Ich habe dazu keine Zeit. Auf meinem Rücken lastet eine so große Aufgabe auf die ich mich vorbereiten muss. Nicht nur mein Vater, sondern auch der Rest der Casses, wären mehr als enttäuscht von mir, wenn ich versagen würde. Man sollte meinen du würdest das kennen. Immerhin ist deine Aufgabe ähnlich.«

»Kleiner Unterschied: Ich weiß davon erst seit ein paar Wochen. Ich tippe mal, bei dir ist es ein wenig länger.« »Ein paar Jährchen kommen zusammen«, sagte er grinsend. Sein Lächeln war wahrscheinlich seine größte Waffe. Wenn er einen dann erstmal in seinen Bann gezogen hatte… Zack! Ich musste jetzt Verstand walten lassen und mir in Erinnerung rufen, dass das vor mir mein persönlicher Feind ist.

»Irgendwie unfair, dass du viel länger Zeit hattest, um dich vorzubereiten.« »So sollte es ja auch sein. Obwohl man mich darum keinesfalls beneiden sollte.« »Keine Freunde, verrückter Vater… kann man auch mal positivere Sachen über dich erfahren?«

Er nahm noch einen Schluck Bier bevor er meinte: »Ich finde ja, du könntest jetzt auch mal was über dich erzählen. Ziemlich unfair, wenn nur du die Schwächen deines Feindes kennst, oder?« »Liegt daran, dass ich keine Schwächen habe.«

Fast hätte er sich an seinem Bier verschluckt. »Ah, an Selbstbewusstsein mangelt es dir anscheinend nicht. Tut mir leid für die Enttäuschung, aber jeder hat Schwächen.« »Mag sein, aber ich weiß, wie man sie gut versteckt.«

Er nahm einen großen Schluck, indem sich sein Glas leerte. Dann erhob er sich von seinem Stuhl. »Dann lass uns ein Spiel spielen. Du erzählst zwei Geschichten über dich, wobei aber nur eine davon wahr ist.«

»Und woher weißt du, dass ich nicht lüge?« »Da muss ich dir dann wohl einfach vertrauen.« »Alles schön und gut, aber warum stehst du?« »Manchmal muss ich einfach mal raus, weißt du?«

Komischer Weise wusste ich genau wovon er redete. Wahrscheinlich brauchte jeder Mal eine Abwechslung und Ablenkung von seinem normalen Leben. Außerdem war der Nachthimmel wunderbar klar. Zu dieser Zeit draußen zu sein, wäre unglaublich entspannend gewesen, wenn der Typ an meiner Seite kein Casses gewesen wäre.

»Fang ruhig an«, sagte er. Als ob ich das nicht wüsste. Nur war es gar nicht mal so einfach sich was auszudenken. »Story Nummer eins: Ich habe eine Freundin, die behauptete auch schon mal nette Casses getroffen zu haben. Das ist ein weiterer Grund, warum ich dir eine Chance geben wollte. Nicht nur wegen meinem vorherbestimmten Schicksaal.«

Während wir so durch die Straßen gingen, erreichten wir irgendwann ein kleines Modegeschäft. Eine der Schaufensterpuppen trug eine hübsche Silberkette mit einem Unendlichkeitszeichen. Eigentlich wollte ich zuerst eine andere Geschichte erzählen, doch spontan entschied ich mich um.

»Siehst du diese Kette da?«, fragte ich, woraufhin Daniel nickte. »Sie ist sehr schön.« »Was hat das mit deinem Leben zu tun?« »Vor kurzem hat mir mein bester Freund gesagt, dass er in mich verliebt wäre. Das beschäftigt mich seitdem die ganze Zeit. Wir kennen uns in und auswendig und ich bin mir sicher, dass da vielleicht wirklich etwas wie Liebe zwischen uns ist. Aber trotzdem würde er mir wahrscheinlich niemals diese Kette kaufen.«

»Warum das nicht?« »Weil er denkt, ich würde etwas Besseres verdienen.« »Ah, verstehe. Und es muss nicht immer das Beste sein. Manchmal ist eine gewöhnliche, unauffällige, nicht besonders teure Kette das Beste.«

Wow, mit dieser Reaktion hätte ich jetzt nicht gerechnet. Gutes Schauspiel. Zum Glück zeigte er nur Sekunden später wieder sein wahres Gesicht: »Okay… das heißt also, entweder ist deine Freundin deine Schwäche oder dein schrecklicher Geschmack für Billigschmuck.«

Kapitel 28

 

Wahrscheinlich hätte ich die Casses Gegend schon viel früher verlassen sollen. Die Sonne würde schon bald aufgehen. Aber irgendwie lief in diesem Moment alles nach Plan. Ich hatte das Gefühl, dass Daniel langsam weich wurde. Klar, er könnte es auch einfach nur vorgeben. Immerhin meinte er, er wüsste genau, dass ich eine Feences bin und mir nicht zu trauen ist. Aufgeben würde ich trotzdem nicht.

So kam es, dass ich die Tür der Kneipe erst hinter mir verschloss als es schon ein wenig dämmerte. Glücklicherweise waren die Sonnenstrahlen noch so schwach, dass sie keinesfalls unangenehm waren.

Moment… war da… raschelte da etwas im Gebüsch? Oh Gott, eigentlich war ich ja nicht paranoid, aber das kam mir dann doch etwas seltsam vor. Ja, eindeutig. Da war etwas. Ich hatte es mir nicht nur eingebildet.

Mit langsamen Schritten… ganz vorsichtig… ging ich auf das Gebüsch zu. Nichts zu sehen. Vielleicht eine Maus oder so. Hilfe, ich musste mich echt mal entspannen. Gerade wollte ich mich schon wieder umdrehen, da kam mir ein weiterer Gedanke: Was wenn es eine Fledermaus ist? Die würde man dann nämlich auch nicht erkennen. Hatte ich etwa einen persönlichen Spanner?

Oh, oh. Das wäre gar nicht gut. Gerade jetzt, wo ich mich in der Unterwelt herumtrieb. Was würde man von mir denken?

»Sei kein Feigling und zeig dich!« Natürlich wusste ich, dass man als Fledermaus keine Vampirsprache verstehen konnte. Aber immerhin würde die Fledermaus erkennen, dass ich Laute von mir gab. Und hier war kein anderer Vampir weit und breit. Vielleicht konnte sie dann schlussfolgern, dass ich mit ihr sprach. Ein wahrer Spion würde sich natürlich trotzdem nicht zeigen, aber vielleicht hatte ich ja Glück und…

Tatsächlich! Plötzlich hockte da die Gestalt eines Vampires im Gebüsch. Ich konnte jedoch nur wage Haut erkennen, die sich nun anscheinend mit einer schwarzer Anzugjacke überdeckte. Mist, dann war es kein Zufall. Feences kommen nicht hier her. Dieser hier wollte mich tatsächlich beobachten. Aber anscheinend hatte er kein Problem damit, dass ich das auch wusste.

»Wer bist du?«, fragte ich, leider mit einer ziemlich piepsigen und ängstlichen Stimme, sodass derjenige hinterm Busch zu lachen anfing. »Jetzt hör endlich auf zu lachen!«, dieses Mal klang meine Stimme zum Glück um einiges selbstbewusster.

Der Vampir hinter dem Busch türmte sich nun auf, wobei er sich immer noch nicht wirklich eingekriegt hatte. Hatte sich meine Stimme wirklich so unglaublich komisch angehört? Als der Vampir mich mit beiden Augen anschaute, musste ich feststellen, dass ich ihn kannte.

»Maxwell?«, fragte ich entgeistert. »Der einzig Wahre, Schwesterherz«, sagte er in seinem üblichen Tonfall. »Wie hast du mich gefunden?«, fragte ich ihn.

»Ganz einfach. Mit Hilfe meiner unglaublich superstarken Fähigkeiten.« »Was? Das geht? Das heißt, jeder könnte mich jetzt finden?« »Nein. Nur die Feences, die dich kennen und gute Absichten haben.« »Ach, du hattest gute Absichten?«

»Glaub es oder nicht, aber ich wollte dich nur suchen, weil es bald hell wird und du immer noch nicht Zuhause warst.« Nach einer kurzen Pause meinte er: »Da ich zu meiner Überraschung aber sehe, dass du auch Kontakt zu den Casses hast, könnten die dich nur mit bösen Absichten finden. Ziemlich gefährlich, weshalb man auch keinen Kontakt zu Casses haben sollte. Warum bist du also hier?«

Ich schluckte. Er würde ja sowas von nicht dicht halten. Meine geheime Mission würde ein kleines bisschen weniger geheim werden. Nur die Wahrheit hätte mich jetzt noch retten können. Aber machen wir uns nichts vor… vor mir stand Maxwell Reeves. Er würde mir nie und nimmer einen Gefallen tun.

»Eine geheime Mission, im Auftrag von Königin Lorena. Ich brauche Steine, die die Casses vernichten könnten. Sie soll allerdings geheim bleiben, da die Öffentlichkeit es nie gut heißen würde, dass jemand wie ich Kontakt zu den Casses sucht. Sie würden Lorenas Art zu regieren in Frage stellen.« »Und da hätten sie wahrscheinlich auch Recht.«

»Bitte! Du darfst es niemanden sagen.« »Weiß das sonst gar keiner?« »Äh, doch. Ali weiß es. Aber sonst keiner! Und ich würde es gut finden, wenn es auch so bleiben würde.«

»Ich weiß ja nicht. Was hätte ich davon?« Ich verdrehte die Augen. War ja klar, dass er was dafür haben wollte. Er hätte wahrscheinlich nicht mal ein Problem mit diesem Geheimnis. Bestimmt dachte er: Dann soll sie doch Kontakt zu den gefährlichen Casses haben. Ist ihr Problem. Sorgen machte er sich sicherlich auch nicht. Sorgen machen ist ja total uncool.

»Was willst du?« »Dass du aufhörst mich Maxwell zu nennen.« Ich musste lachen. Echt jetzt? Machte ihm dieser Name wirklich so sehr zu schaffen? Ich konnte einfach nicht aufhören zu grinsen. Na gut, wenn es weiter nichts ist. »Einverstanden.«

»Okay. Flieg du schon mal Nachhause. Ich muss vorher noch etwas erledigen.« Was erledigen? Was wollte er denn bitte noch kurz vor Sonnenaufgang erledigen? »Wo musst du denn noch ganz hin? Die Sonne geht gleich auf.«

Max grinste über beide Backen. »Machst du dir etwa Sorgen?«, neckte er mich. »Quatsch. Ich brauche nur Antworten auf die Fragen, die unsere Eltern stellen werden.«

»Ist ganz in der Nähe. Jetzt flieg schon los.« Ganz in der Nähe? Das war doch bestimmt gelogen. Immerhin befanden wir uns mitten in der Unterwelt. Okay, vielleicht lag Max Zwischenstopp auf dem Weg, sodass er nicht große Umwege machen müsste. Doch als ich mich zur Fledermaus gewandelt hatte, konnte ich noch schwach aus der Höhe erkennen, dass Max immer noch ein Vampir war.

Kapitel 29

 

[erzählt von Maxwell Reeves]

Vom Hören und Sagen kannte ich diese Unterwelt selbstverständlich schon. Doch wie abscheulich es hier wirklich war, wurde mir erst jetzt klar. Schöne Vorgärten konnte man hier lange suchen. Stattdessen gab es überall heruntergekommene Bruchbuden.

Nachdem Alea, die Fledermaus, nicht mehr am Himmel zu erkennen war, setzte ich zügig einen Schritt nach dem anderen. Hier wollte ich nun wirklich nicht länger bleiben als notwendig.

Ich hatte genau beobachten können wie Alea dieses Haus verlassen hatte. Hier mussten bestimmt Casses wohnen. Hätte Alea doch nur früher dieses Haus verlassen. Dann wäre ich jetzt nicht so in Zeitdruck. Bevor ich die Tür öffnete wechselte ich noch schnell meine Kleidung. Zwar besaß ich keine Casses-Kleidung, aber ich hatte ein Hemd, das nicht ganz so fein aussah. Irgendwie musste das gehen. Sonst würde ich eben ein bisschen aus der Masse hervorstechen.

Verdammt. Ich musste feststellen, dass meine Hand doch ganz schön zitterte als sie die Klinke runterdrückte. Komm, Max! Stell dich nicht so an! Sei kein Weichei! Das bist du nicht.

Als ich mich hier genauer umschaute, musste ich feststellen, dass das wohl eine Art Kneipe zu sein schien. Die Blicke richteten sich sofort auf mich als ich den Raum betrat. Bestimmt war das so ein Lokal, wo jeder jeden kannte. Und ein Fremder wie ich sorgte nun mal für Aufmerksamkeit. Oder es war mein Hemd… Vielleicht auch beides.

Sollte ich mich jetzt zu den anderen an den Tisch setzen? Oder sollte ich erst zur Theke und mir etwas bestellen? Letzteres wäre wahrscheinlich sinnvoll. Deshalb befand ich mich jetzt auf direkten Weg dorthin.

Aber… Moment mal! Das Gesicht kannte ich doch. Das war doch der Casses, den ich auch auf dem Dach getroffen hatte. Er schien mich auch noch zu kennen: »Ah, so sieht man sich wieder.«

Eigentlich umso besser, wenn ich ihn jetzt hier traf. »Natürlich. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.« »Und was führt dich zu mir?« »Ich habe nicht speziell dich gesucht. Obwohl es ja eigentlich klar war, dass du da irgendwie mit drin steckst.«

Er musste lachen. »Dass ich wo drin stecke?« »Du hast mir mein Leben versaut.« Natürlich wusste ich, dass ich den Großteil der Schuld bei mir selbst finden würde. Doch es fiel mir einfacher ihn dafür zu beschuldigen. In gewisser Weise hatte er ja auch Schuld.

»Entschuldigung? Wie kann ich dir dein Leben versaut haben, wenn wir uns nur einmal über den Weg gelaufen sind?« »Ganz einfach. Du mit deiner Zukunftsvision, die sagte, dass ich am Ende ganz allein sein würde und meine Familie mich verstoßen würde.« »Das kann ja wohl kaum meine Schuld sein. Ich habe dich lediglich gewarnt.« »Ja, aber diese Warnung brachte Sorge… möglicherweise sogar Angst mit sich.« Das erste Mal, dass ich es wirklich zu gab. »Mein ganzes Leben habe ich Alea dafür die Schuld gegeben. Dabei warst du der eigentliche Schuldige.«

Der lachte immer noch, während er mir ein Bier zapfte. »Hier, trink erstmal zur Beruhigung. Und dann überleg mal, ob es vielleicht nicht einfach deine schuld sein könnte. Dass es deine Eifersucht auf Alea war.« »Ich sage ja nicht, dass ich völlig unschuldig bin. Aber durch deine Vision von der Zukunft wurde das alles ins Extreme verstärkt.«

»Tja, ups. Kann sein, dass es auf zum Teil meine Schuld war. Und? Was willst du jetzt dagegen machen? Was geschehen ist, ist geschehen.« »Deshalb bin ich nicht hier. Den Fehler meines Lebens kann ich nicht ändern, höchstens wieder gut machen. Aber ich weiß genau, dass Alea vorhin hier gewesen ist. Sie hält all das für eine wichtige Aufgabe und übersieht dabei gänzlich, dass das der Fehler ihres Lebens ist.«

»Auch hier: Das hat sich allein Alea zuzuschreiben.« »Und wieder: Nur zum Teil. Ich rate dir, ihr Leben dieses Mal nicht zu versauen sowie du es mit meinem gemacht hast. Bekomme ich anderes mit, dann wird Alea mit ihrer Fähigkeit die Casses zu vernichten, nicht dein größtes Problem sein. Das schwöre ich dir.«

Wieder dieses dreckige Lachen. »Oh. Als ob ich Angst vor jemanden wie dir hätte.« »Vielleicht kann ich dir körperlich keinen Schaden zufügen. Aber, Rache ist süß, dein Leben wird die Hölle auf Erden werden.« »Witzig, dass das derjenige sagt, dessen Leben im Vergleich zu meinem eine Blumenwiese ist. Glaub mir, es braucht einiges, um es noch schlimmer zu machen.«

Oh mein Gott. Drückte er jetzt ernsthaft auf die Mitleidstaste? Das hätte vielleicht bei einem kleinen Schulmädchen funktioniert, aber nicht bei mir.

»Weißt du, jetzt habe ich nur noch mehr Lust mich an dich zu rächen. Da der Rest meiner Familie gerade total im Umzugsfieber ist und ich somit jede Menge Freizeit habe, dank dir, werde ich nicht aufgeben bis ich meine Rache bekommen habe.« »Ah, also ziehst du wirklich nicht mit ins Schloss?«, entgegnete er lediglich, obwohl ich ihm gerade meinen Racheplan aufgetischt hatte.

»Doch, doch. Natürlich. Aber Alea möchte mich beim Einrichten der Zimmer nicht dabei haben. Und meine Sachen bekomme ich in Sekundenschnelle in mein neues Zimmer geräumt. Du hast also nicht gänzlich gewonnen.« »Du denkst es erfreut mich, dass es da diese Fehde zwischen Alea und dich gibt? Glaub mir. Das ist mir eigentlich vollkommen egal.«

»Und warum hast du mich dann damals überhaupt gewarnt?« »Nun. Desto weniger Verbündete Alea hat, desto besser.«

Da wurde mir klar: Wenn Alea die Casses tatsächlich vernichten würde, dann wäre er einfach tot. Keine Rache, er würde gewinnen. Nein. Ich musste einen Weg finden, wie Alea zwar gewinnen konnte (denn davor hatte er am meisten Angst), er jedoch am Ende als einziger weiter leben durfte. Ohne Freunde, Familie…

Aber wie zum Teufel ist das nur möglich?

 

Kapitel 30

 

[erzählt von Caitlyn Hathaway]

»Welche Farbe gefällt dir besser?«, fragte ich Denice, indem ich ihr beide Nagellacktöne vor die Nase hielt. Der eine in einem dunklen, feurigen Rotton. Der andere würde Denice sicher besser gefallen, weil er in einem süßen, zarten Rosa war. »Nehm den linken«, meinte sie, ihren Blick aufs Handy gerichtet. »Du hast ja nicht mal richtig hingeguckt.«

Hätte sie das, hätte sie sich nämlich für den rechten entschieden. Sie verdrehte die Augen. »Klar, habe ich das. Du fuchtelst mit dem Nagellack schon eine gute viertel Stunde rum. Klar, mag ich den rechten lieber. Aber du solltest trotzdem rot nehmen, weil der dir besser steht.«

Okay, klare Ansage. Ihr Blick glitt trotzdem nicht von ihrem Handy. Ich konnte mir schon denken mit wem sie da am Schreiben war. »Okay, Denice. Ich denke, wir sollten uns mal unterhalten.« »Schieß los.« Auf Blickkontakt konnte ich natürlich weiterhin noch lange warten.

»Kann es sein, dass wir uns auseinander leben? Ich meine jetzt nicht unsere unterschiedlichen Interessen. Wenn ich meine Fußnägel lackiert habe, hast du mich dann immer über den neusten Tratsch informiert. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass ich mich mehr mit Justine unterhalte, obwohl ich sie nur halb so oft sehe. Was bei ihr los ist weiß ich,… während ich bei dir nur rätseln könnte.«

»Naja. Bei dir weiß ich ja auch nicht mehr was ich sagen kann und was nicht. Ich könnte dir jetzt sagen, dass ich Morgen ein Date mit Ben habe. Aber möchtest du das überhaupt wissen?« Sie wusste genau was ich von ihr und Ben hielt.

Gerade wollte ich ihr die nächste Sache an den Kopf werfen, da wurde ihre Miene etwas weicher und sie meinte: »Weißt du was? Ich akzeptiere es ja, dass du meinen Freund nicht ausstehen kannst. Du musst ihn ja gar nicht mögen, immerhin ist er ja auch mein Freund.«

Ich wünschte, ich könnte ihr ähnliches sagen, aber wahrscheinlich würde nichts davon der Wahrheit entsprechen. »Aber Ben scheint jetzt ein ziemlich wichtiger Teil deines Lebens zu sein. Du willst dich darüber unterhalten… ich hingegen habe da keine Lust zu… Teufelskreis.«

»Warum ist das plötzlich so ein großes Problem geworden? Ich habe schon früher über Dinge geredet, die dich eigentlich nicht interessieren. Neue Bücher, die ich lesen möchte. Du hast dir sogar Musik angehört, die du zum Einschlafen findest. So wie ich mit dir shoppen gegangen bin. Was hat sich also geändert? Ben ist doch nur ein weiterer Unterschied zwischen uns.«

Ja, was hatte sich geändert, Caitlyn? »Vielleicht habe ich diese Unterschiede einfach satt. Vielleicht brauche ich im Moment einen, mit dem ich auf einer Wellenlänge bin… sowie mit Justine.«

Ihr Gesicht wirkte so unendlich traurig, dass mir meine Worte irgendwie Leid taten, auch wenn sie gesagt werden mussten. »Ich verstehe es einfach nicht, Caitlyn. Früher wolltest du immer nicht mit solchen Mädchen abhängen. Du sagtest zwei Mädchen, die auf Mode stehen, gehen schnell die Gesprächsthemen aus.«

»Aber uns gehen ja jetzt wohl auch die Gesprächsthemen aus.« Ich wandte mich von Denice ab. Vermutlich sollte ich gehen. Ich konnte es ihr doch ansehen, dass sie im Moment lieber bei Ben wäre. Daran wollte ich sie nicht hindern. Gerade als ich die Türschwelle passieren wollte, rief sie mir nach: »Warte, Caitlyn!«

Als ich sah, wie Tränen über ihr Gesicht liefen, zog sich alles in mir zusammen. »Wir finden einen Weg, okay? Irgendwie….Mir fallen andere Dinge ein über die wir reden können. Nur… wir sind schon so lange beste Freunde… und ich brauche dich weiterhin in meinem Leben.«

So war Denice einfach. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir uns gestritten haben. Es dauerte nie lange, bis sie sich wieder mit mir versöhnen wollte. Und das war unser Problem. Ich konnte ihr einfach nie lange böse sein. Auch dieses Mal nicht. Mir war bewusst, dass das unsere Probleme nicht aus der Welt schaffen würde, aber bei diesen Worten… wie konnte ich ihr da nicht verzeihen?

»Okay. Du hast Recht«, sagte ich also. »Du aber auch. Mag sein, dass ich dich wirklich in letzter Zeit etwas vernachlässigt habe. Möglicherweise, weil das mit Ben neu war. Du bist für mich inzwischen irgendwie selbstverständlich geworden. Aber so sollte es nicht sein… ich weiß.«

Jetzt konnte ich meine Tränen auch nicht mehr zurückhalten. Verdammt. Ich brachte nur noch ein ersticktes »Okay« hervor. »Du kommst bei mir immer an erste Stelle, Caitlyn. Da kann selbst irgendein gutaussehender Typ nichts dran ändern.«

Leider gab es da einen Teil in mir, der sich Denice Worten nicht ganz sicher war. Klar gab es da diesen berühmten Satz, den sich Freundinnen gerne gegenseitig auftischten: Männer kommen und gehen, aber beste Freundinnen bleiben ein Leben lang. Oder so ähnlich… Langsam fing ich an den Satz mit völlig anderen Augen zu sehen.

»Alles wieder gut?«, fragte mich Denice, woraufhin ich nickte. Sie kam, wie nach jedem Streit, einige Schritte auf mich zu, um mich in eine Umarmung einzuschließen. Und wieder… breitete ihre Nähe dieses angenehme Gefühl in mir aus. Das Gefühl, das mir sagte: Mir geht es gut. Tja, alles so wie immer. Auch das Thema unseres Streites, unsere unterschiedlichen Interessen, war immer das Gleiche. Doch obwohl alles seinen gewohnten Weg ging… seit einer Weile interpretierte ich Denice freundschaftliche Wärme, die mich nun umgab, ganz anders. Ob das Gespräch mit Justine daran schuld war?

Kapitel 31

 

~VOR 4 JAHREN~

 

Wenn er mich in seinen Armen hält, dann kann ich für einen klitzekleinen Augenblick all die Probleme vergessen, die noch auf mich zukommen würden. Am liebsten würde ich einfach für immer in seiner Wärme eingehüllt bleiben. Aber das war nun mal nicht die Realität. Würde es die Casses und meine unglaublich wichtige Bestimmung nicht geben, dann…

Wiederwillig löste ich mich langsam von ihm. »Willst du wirklich schon gehen?« »Nein. Aber ich muss. Das weißt du doch.«

»Nein, Alea. Um ehrlich zu sein weiß ich gar nichts. Klar weiß ich, dass du immer plötzlich von mir weg musst, um eine superwichtige Aufgabe nachzugehen, die dich zur Prinzessin von Vellance macht. Tja, aber wobei es darum geht… keinen Schimmer.«

Wie gerne ich es ihm sagen würde. Aber Lorena meinte, ich sollte es für mich behalten. Wobei… Ali wusste es auch. Sogar Max! Obwohl ich dafür nichts konnte. Zum Glück hatte ich inzwischen gelernt, wie man sich gegen den Ortungszauber schützen konnte. Warum konnte es dann nicht auch Jayden erfahren? Immerhin war er mein fester Freund.

»Eigentlich darf es keiner wissen. Lorena meinte-« Doch Jayden unterbrach mich bereits: »Dann wird sie es eben nicht erfahren, dass ich es weiß. Ich kann dicht halten, Alea.« Davon war ich überzeugt. Nur hatte ich es mir eigentlich vorgenommen niemanden sonst noch davon zu verraten. Umso weniger Leute es wussten desto besser. Aber bei Jaydens flehendem Blick wurde ich einfach schwach.

»Es gibt eine Möglichkeit für Frieden in Vellance, Jayden. Wir können die Casses vernichten… oder eher ich kann es. Mit meinen außergewöhnlichen Fähigkeiten. Es gibt nämlich spezielle mächtige Steine, an die ich irgendwie ran gelangen muss, um sie anschließend zu vernichten.«

~~~~~~~~~~

Tja, die besagten Steine. Bis jetzt habe ich sie noch mit keinem Wort gegenüber Daniel erwähnt. Auch wenn ich inzwischen glaubte, dass ich ihn genügend getäuscht habe. Aber kleine Zweifel gab es natürlich immer. Immerhin würde ich ihn darum bitten mir die Steine zu übergeben, die ihn und seine Angehörigen töten könnten.

Der Halbmond leuchtete hell auf den großen Felsen, auf den Daniel und ich uns niedergelassen hatten. »Weißt du, dass die meisten Casses mich für naiv halten, weil ich mich mit meinem Feind angefreundet habe?« Ja, stell dich ruhig als schwach da. Du denkst, du wärest mir einen Schritt voraus? Tja, falsch. Ich bin immer zwei Schritte weiter.

»Das ist nicht naiv, sondern einfach nur schlau.« Er lächelte mich wieder an. Mit dem Lächeln bei dem ich, wie er sicherlich plante, eigentlich dahinschmelzen sollte. Aber, so schlau wie ich war, ließ es mich einfach nur kalt.

»Glaubst du immer noch, dass das unsere Freundschaft ist: Schlau? Weil wir das Schicksaal überlisten?«, fragte er mich. Hä? »Wieso? Hast du deine Meinung geändert?« Verdammt. Plante er jetzt etwa unsere Feindschaft eine Ebene zu verschieben und sie doch öffentlich zu machen? Mit kämpfen und so? Himmel! Ich wusste nicht ob ich das konnte.

Deshalb versuchte ich jetzt so geknickt wie möglich auszusehen, sodass er mir meine Naivität vielleicht doch abkaufte. Und… sogar mit Erfolg: »Also ich habe den anderen Casses gesagt, auch wenn sie es nicht hören wollten, es ist nicht nur schlau, sondern auch praktisch.«

Ich musste damit kämpfen, nicht in einen totalen Lachanfall auszubrechen. Praktisch? Da wusste er sich wohl nicht anders zu behelfen. Bestimmt hatte er es sich in der letzten Sekunde doch anders überlegt. »Was ist daran bitte praktisch?« Ha, jetzt sollte er sich mal was überlegen.

Überraschender Weise kam seine Antwort viel schneller als erwartet: »Dass wir so unterschiedlich sind. Und damit meine ich nicht nur, dass du mir zum Geburtstag teure Geschenke kaufen könntest. Auch die Tatsache, dass du Ordnung in mein Chaos bringen könntest. Oder andersrum… ich bringe das Chaos in dein Leben. Wie unsere Freundschaft. Die ist ja auch gegen die Regeln.«

Ja, bis auf die Tatsache, dass sie nicht existierte. Aber glaubte er seine Worte wirklich? Im Moment klang es so. Aber vielleicht konnte er auch einfach gut schauspielern. Egal. Irgendwann musst du es wagen. Jetzt oder nie.

»Daniel?«, fragte ich vorsichtig. Er schaute zu mir auf. »Hm?« »Ich habe Angst.«

Wirkte fast so als wäre sein Mitleid echt. »Warum?« »Du weißt, dass ich im Schloss lebe? Nun, ich habe den König und die Königin reden gehört. Sie wollen bei euch einbrechen, um euch Steine zu klauen. Steine, die sie vernichten wollen, was dann auch euch vernichten würde.«

»Der König und die Königin brechen wo ein? Seit wann machen sie denn so was? Das ist doch gegen die Regeln.« Tja, ganz einfach: Weil sie es gar nicht machen. Es war eine Lüge. Ich zuckte mit den Schultern. »Sie glauben, euch zu vernichten wäre so richtig, dass es das falsche Einbrechen wieder gut macht.«

Jetzt wirkte er sichtlich nervös. Gut, mein Plan funktionierte. »Was machen wir denn jetzt?« »Mir kam die Idee, dass wir die Steine an einen Ort bringen, wo sie nie damit rechnen würden.« »Und wo wäre das?« »Bei mir. Weil ich dein größter Feind bin, schon vergessen? Jemand wie ich sollte die Steine nicht beschützen, wenn er sie hätte. Er hätte sie schon längst vernichtet.«

Daraufhin nickte er. Er nickte?! Also entweder die ganze Sache war wirklich so einfach und der besagte Retter der Casses war ein Idiot. Oder… eine Falle. Er würde mir eine Falle stellen.

»Da gibt es bloß ein Problem. Die Steine, die du bestimmt meinst, befinden sich im Besitz meines Vaters. Er würde es für falsch halten, sie dir zu geben.«

Kapitel 32

 

»Tja. Dann würde ich vorschlagen, dass wir auf seine Meinung verzichten und uns die Steine einfach ohne seine Erlaubnis nehmen.« Daniel schaute mich entgeistert an. Okay, vielleicht bin ich etwas zu weit gegangen. Schnell fügte ich hinzu: »Oder hast du eine bessere Idee? Möglichst bald, weil Lorena sicher bald ihren Plan in die Tat umsetzen wird.«

Er entspannte sich wieder. »Das nicht. Aber Diebstall würde er bemerken.« »Schon. Aber dann sind sie wenigstens erstmal in Sicherheit.« »Er wird dich als erstes verdächtigen. Und auch als erstes bei dir suchen… Er wird wütend sein.« Tja, dann sollte er die Steine erstmal finden, wenn ich sie bereits zerstört hatte. Ihn mit eingeschlossen.

»Wenn ihr dann in Sicherheit seid, nehme ich seinen Zorn gerne auf mich.« Wie gut ich inzwischen in diesem Spiel geworden war. Ich glaubte mir fast selbst. »Du kennst ihn nicht so gut wie ich ihn kenne. Glaub mir. Du willst ihn nicht als Feind haben.« War er das nicht bereits?

»Tja. Manchmal muss man eben Opfer bringen, Daniel. Ich kann diese Steine nicht ohne deine Einwilligung nehmen. Das wäre sonst irgendwie falsch. Ich kann also nur hoffen, dass du mitmachst.« »Gibt es keinen anderen Weg?«, fragte er eher zu sich selbst, doch ich antwortete trotzdem. »Ich fürchte nicht. Und denk daran: Uns bleibt nicht ewig Zeit. Je früher desto besser.«

Eine Zeit lang war es still um uns. Aus der Ferne hörte man nur leises Klopfen gegen Holz. Vermutlich irgendein Tier. »Also gut. Gehen wir’s an.«

Ich konnte nicht anders als ein breites Grinsen aufzusetzen. »Weißt du wo er die Steine aufbewahrt?« »Bei uns Zuhause im Flur… in der Kommode. Wir sollten es vielleicht noch heute Nacht versuchen. Er ist momentan nämlich nicht Zuhause.« »Sicher?«, fragte ich unsicher.

»Vollkommen sicher. Dienstags hat er immer so eine verrückte Sache, die er machen muss. Frag besser nicht.« Verrückte Sache? Also jetzt war ich wirklich neugierig. »Was denn?« »Glaub mir. Das willst du gar nicht wissen.«

»Doch. Immerhin sind wir doch Freunde. Freunde wissen alles voneinander.« Ich bemerkte schnell, dass ich bei dieser Diskussion gewinnen würde. »An einem Dienstag ist Mum gestorben.«

»Und jetzt ist er auf dem Friedhof?« »Schön wäre es. Nein. Er sucht sie. An dem Ort, wo er sie das letzte Mal gesehen hatte.« »Ich dachte sie wäre tot…« »Ist sie ja auch. Er konnte es nur nie richtig akzeptieren.«

Vermutlich erklärte das seinen kleinen Schaden. Zum Glück konnte ich noch nicht aus Erfahrung sprechen. Aber der Tod brachte nie Gutes mit sich.

»Okay. Du hast Recht. Das ist irgendwie gruselig«, meinte ich und stand auf. »Wir sollten uns jetzt aber auf den Weg machen, bevor er von seiner Suche zurückkehrt.« »Auch wenn er das erst kurz vor Morgendämmerung tun wird, bin ich voll und ganz deiner Meinung.«

~~~~~~~~~~

Das Geschlossen-Schild konnte ich bereits an der Tür erkennen. Daniel holte den passenden Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete die Tür. Irgendwie war das ein komisches Gefühl, die Kneipe in vollkommen leeren Zustand zu betreten. Es war fast so als vermisste ich dieses betrunkene Gelächter der Casses. Fing ich langsam an durchzudrehen? Es wurde wohl echt Zeit, dass ich diese dämlichen Steine in meinen Händen hielt.

Obwohl mir Daniel ja versichert hatte, dass Jared nicht Zuhause war, schlich ich trotzdem auf die Tür zu. Ich wurde das Gefühl einfach nicht los, dass mich Daniel hier in eine Falle führte. Dass seine Naivität einfach nur gespielt war.

»Kommst du endlich?«, fragte er gedehnt, da ich wahrscheinlich viel zu langsam über den Holzboden schritt. Nach einem kurzen Kopfnicken meinerseits, stand Daniel bereits mit einem Fuß in der Türschwelle. Er deutete mir ihn zu folgen, was ich daraufhin auch tat.

Die Dunkelheit löste normaler Weise in mir immer ein entspanntes Gefühl aus, doch hier war es anders. Sie schien mich verschlucken zu wollen. Vielleicht war das der Grund, warum ich unbeholfen mit meinem Bein gegen die Stehlampe stieß.

»Alles in Ordnung?«, fragte mich Daniel verunsichert. »Ja. Ich bin nur etwas nervös.«

Er zeigte nach rechts, wo sich eine Kommode befand, in der sich wohl die besagten Steine befinden sollten. Ich atmete einfach tief durch. Bitte, lass es eine Falle sein…

Vorsichtig öffnete ich die oberste Schublade… und Volltreffer! Da drin lagen wirklich jede Menge braune Steine. Nicht die Sorte von braunen Steinen, die man am Straßenrand liegen sehen könnte. Sie hatten eine glatte Oberfläche und die Form der Steine war bei jedem davon identisch.

»Da sind sie«, flüsterte ich noch, bevor ich den durchsichtigen Plastikbeutel anhob. Typisch Casses, dass sie solch wichtige Objekte in einer einfachen Tüte aufbewahrten.

»Okay. Wir haben sie. Nichts wie weg.«

Doch kaum hatten diese Worte meine Zunge verlassen, fiel der Beutel mit den Steinen auf den harten Boden. Warum? Weil ich ihn fallen ließ. Ich war nicht mehr länger in der Lage den Beutel zwischen meinen Fingerspitzen zu halten. Sowieso… befand ich mich nicht mehr länger auf festen Untergrund.

Mein Umfeld nahm ich kaum noch wahr, weil ich wie eine Verrückte durch die Gegend geschleudert wurde. Ein Schleudern, das nur Casses Magie hervorrufen könnte. Das Problem: Stoppen konnte man es nur mit Feences Magie. Doch im Moment war ich nicht in der Lage irgendwas zu tun. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich mein Bewusstsein verlieren würde… oder schlimmer.

Wie Alis Eltern hatte auch ich mich von den Casses täuschen lassen und war geradewegs in ihre Falle gelaufen. Und das, obwohl ich es besser wissen müsste. Ali hatte mich ja bereits gewarnt…

Schließlich fiel ich in eine unendliche Dunkelheit, aus der man unmöglich wieder herausfinden könnte. Denn eine Taschenlampe gab es hier nicht.

Kapitel 33

 

Überall Dunkelheit um mich herum, die sich tatsächlich wie das Ende anfühlte. Als wäre das Schwirren in meinem Kopf nicht genug, wurde mein Körper auch noch irgendwo gegen geschmettert. Das gab mir dann den Rest. Finito.

Die passende Atmosphäre bot mir dann der Schrei, der von irgendwoher ertönte. Könnte meiner gewesen sein, vielleicht aber auch nicht. Dafür war mein Verstand zu weit entfernt.

»Bist du verrückt geworden?!« Eine Stimme, die ich leider nicht zuordnen konnte, mich jedoch etwas klarer werden ließ. Kannte ich sie möglicher Weise sogar doch? Was auch immer. Fakt war, es war im Moment noch zu viel für mich.

Ich spürte nun wie jemand meinen Körper durchschüttelte. Dieses Mal war es aber erträglich. Kann sein, dass es sogar etwas Sanftes und Beruhigendes an sich hatte. Sollte ich den Versuch wagen und die Augen öffnen? Ja, natürlich sollte ich. Aber es ging nicht… verdammt!

»Dass du so dumm bist, um nicht zu wissen, dass diese Steine mit Magie belegt wurden, hätte ich mir ja denken können. Aber… dass du ihr vertraust und das Mittel, um uns zu töten aushändigst, dass hätte ich nun doch nicht erwartet.« Diese Worte zogen mich dann endlich aus meiner Abwesenheit. Was zur Hölle passierte hier gerade?

Sobald sich meine Augen wieder an die Umgebung gewöhnt hatten, starrte ich entgeistert auf die Szene vor mir. Ich befand mich wieder auf festem Untergrund. Warum? Weil Jared nicht mehr dazu in der Lage war Magie anzuwenden.

So wie ich eben wirbelte nun auch er durch die Luft… nur vielleicht nicht ganz so heftig, da er noch bei Verstand war. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Wand sich Daniel gerade wirklich gegen seinen eigenen Vater… wegen mir?

In diesem Augenblick drehte sich Daniel zu mir um. »Gut, du bist wach. Alea, nimm schnell die Steine und verschwinde! Ich weiß nicht wie lange ich ihn noch oben halten kann.« Wie schaffte er es überhaupt ihn so lange unversehrt oben zu halten? Normaler Weise war Casses Magie unkontrollierbar.

»Nein, du Idiot! Wie kann man nur so blöd sein? Sie ist dein persönlicher Feind, verdammt noch mal! Du überlieferst ihr die ultimative Waffe.« In der Tat. Wirklich schön blöd. »Nur weil du keiner Person mehr über den Weg traust, heißt das nicht, dass jeder so verbittert sein muss.«

Zwar konnte ich sein Gesicht nicht sehen, doch der Stimme nach, musste Jared mehr als wütend sein. »Du wendest dich gegen deinen eigenen Vater! Wegen was? Wegen einer Feences?« »Ich wende mich nicht gegen dich. Auch wenn es nicht so aussieht, möchte ich dir helfen.«

Sein Lachen war unglaublich tief und überhaupt nicht herzlich. »Helfen?! Wenn du sie jetzt mit diesen Steinen gehen lässt… dann gibt es uns bald alle nicht mehr. Und ich garantiere dir, gibt es eine Hölle, in der wir dann alle sein werden, wird deine Hölle noch ein kleines bisschen schlimmer als die der anderen. Und glaub mir: Ich werde dann nicht zu dir halten. Ich werde dich wie alle anderen verstoßen!«

Oh, das war hart. Doch Daniels Miene veränderte sich bei diesen Worten gar nicht. »Dazu wird es aber nicht kommen. Am Ende werdet ihr mir alle danken, weil Königin Lorena hier keine Steine findet wird, weil Alea sie sicher versteckt.«

Jared versuchte seine Finger nach mir auszustrecken. »Du! Ich wusste von Anfang an, dass du Ärger mit dir bringst. Was hast du mit meinem Sohn angestellt?« Ja, das fragte ich mich gerade auch. War er wirklich so naiv, um mir die Steine einfach zu überreichen? Cool, dass der Superheld der Casses so schwach ist.

»Nichts. Mein Verstand ist sicherlich klarer als deiner. Aber jetzt verschwinde endlich von hier, Alea!«

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Schnell schnappte ich mir den Beutel mit den Steinen und verließ die Kneipe. Puh! Gleich, wenn ich in der Morgendämmerung wieder Zuhause in meinem Zimmer war, würde all das endlich ein Ende nehmen. Casses waren Geschichte!

~~~~~~~~~~

[erzählt von Jared Wyler]

»Ich würde ja jetzt an deiner Stelle meilenweit flüchten.« Endlich hatte ich wieder Boden unter meinen Füßen. Erstaunlicher Weise ging es mir sogar recht gut. Doch das Warum kümmerte mich jetzt herzlich wenig. Ich hatte andere Sorgen.

Daniel schnaubte. »Als ob du mir was tun würdest…« »Sei dir da mal nicht so sicher. Ich war noch nie so sauer auf dich. Aber vor allem bin ich enttäuscht.« »Kommt mir bekannt vor. Du weißt genau, dass du keinen Deut besser bist. Auch wenn deine Wut jetzt groß ist, deine Schuldgefühle sind immer noch größer.«

Was bildete er sich jetzt eigentlich ein? Ja, ich wusste selber, dass ich mich jeden Tag schuldig fühlte, weil ich ein besserer Vater für Daniel sein müsste. »Nein. Das was du heute getan hast… nichts könnte das entschuldigen! So habe selbst ich dich nicht erzogen.«

Das einzige, was mich nicht vollkommen verzweifeln ließ war, dass ich einen Stein von den anderen getrennt aufbewahrt hatte. Aber trotzdem! Der Rest wäre futsch. Unsere mächtigste Waffe… ganz zu schweigen davon, dass sie auch bald den letzten Stein finden könnten.

»Ganz genau. So hast du mich nicht erzogen. Menschen zu vertrauen hättest du mir nie beigebracht. Also habe ich das… wie so vieles andere auch, selbst in die Hand genommen.«

Indirekt hatte Daniel es ja schön öfter mal gezeigt, aber noch nie hatte er so offen gesagt, dass ich in der Erziehungssache versagt hatte. Er hatte sich deswegen immer verständnisvoll gezeigt, weil er wusste was ich durchmachte. Aber jetzt… wo er zurückhaltender denn je sein sollte, schließlich hatte dieses Mal er den Fehler gemacht, war Dreistigkeit alles was ich sah. Sicherlich hatte auch hierbei diese Alea Schuld…

»Die Zukunftsvision des Steins besagte, dass ich diesen Krieg für die Casses gewinnen kann.« Worin er mehr als versagte… »Aber den Krieg, Feences gegen Casses, können wir nie gewinnen. Er läuft schon seitdem wir denken können. Immer haben die Feences uns unterdrückt, weil sie einfach mächtiger mit ihren Reichtümern sind… und sie können ihre Magie kontrollieren. Glaubst du wirklich, dass ich das ändern könnte?« Jetzt sicherlich nicht mehr.

Doch Daniel hatte die Frage anscheinend eh rhetorisch gemeint, da er sofort fortfuhr: »Ein Krieg kann nur durch Frieden enden. Chaos ist kein Frieden. Ordnung schon. Deshalb denke ich, dass es in Aleas Hand liegt und nicht in meiner.« Sah er denn nicht, dass es nie Frieden zwischen zwei so unterschiedlichen Vampiren geben könnte? Doch, natürlich sah er es. Er hatte es selbst gesagt: Ordnung ist Frieden. Für Frieden durften wir also seiner Meinung nach nicht mehr existieren? Hatte er gerade von Selbstmord geredet? Was hatte das Mädel nur mit seinem Gehirn angestellt?

Kapitel 34

 

»Alea? Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?«, die süße Stimme meiner kleinen Schwester riss mich aus meinen Gedanken. Nein, tat ich vermutlich nicht. Dazu waren meine Gedanken gerade einfach zu aufgewühlt.

»Tut mir Leid, Dana. Was wolltest du sagen?« »Ob du mir mal den Ketschup rüber geben kannst.« Ups. Schnell griff ich danach und fuhr anschließend damit fort meine vermutlich schon etwas abgekühlten Pommes zu essen.

Mein Blick fiel rüber zu Lorena, die mich ebenfalls neugierig anstarrte. Vermutlich ahnte sie schon, dass der heutige Tag anders als die anderen war. Ich konnte ihr endlich mitteilen, dass sich die Steine in meinem Besitz befanden und die Casses in Kürze Vergangenheit wären.

»Irgendwie habe ich heute nicht so wirklich Hunger. Macht es euch etwas aus, wenn ich schon mal aufstehe?«, fragte ich in die Runde. Da kein Einspruch kam, erhob ich mich. Ein gewöhnliches Abendessen mit der Familie kam mir jetzt nicht in den Kram. Ich hatte Wichtigeres zu tun. Ich würde diese Steine jetzt zerstören. Dann hatte ich es wenigstens hinter mir.

Meine Zimmertür fiel ins Schloss und das geheime Fach in meinem Schrank öffnete sich stattdessen. Vor mir lag ein Beutel voll Steine. Braune Steine, die aussahen als hätten sie nichts an sich… dabei bestimmten sie inzwischen mein Leben.

Ich griff nach dem Beutel und holte den ersten Stein heraus. Zwischen meinen Händen fühlte er sich ziemlich rau an. Mit dem passenden Gegenstück könnte dieser hier die Zeit anhalten, vermutete ich auf Grund der Berührung dieses Steines. Zumindest sagte er mir das.

Also dann. Lasst es uns hinter uns bringen. Durch Ali wusste ich ja nur zu gut, dass man keinen von denen trauen kann. Dass man sie austricksen musste, bevor sie es mit dir taten.

Aber Daniel vertraut dir! Er hat sich dafür sogar gegen seinen Vater gestellt. Und jetzt hintergehst du ihn. Das macht dich kein Stückchen besser als der Rest der Casses, sagte mir da eine Stimme, tief in mir.

Ja, das war doch alles sein hinterhältiger Plan! Er wollte, dass ich diese Gedanken jetzt hatte… dass ich weich werde und schwach. Nur dann hat er einen Vorteil in unserem Kampf und ich verliere. Ich muss diese Steine endlich vernichten!

Klar, toller Plan. Wäre es wirklich alles nur ein Plan, dann hätte er sich keinen so riskanten ausgedacht. Keiner, der den Zorn seines Vaters auf ihn lenken würde, der lebensgefährlich wäre.

Wer immer sich mit mir streiten wollte, er sollte gefälligst verschwinden. Das machte die Sache nämlich nicht gerade leichter.

Da saß ich nun auf meinem weichen Ledersofa. In der rechten Hand die Lösung all meiner Probleme. Einfach nur Magie wirken lassen, Alea. Die Magie, die ich eigentlich nicht besitzen sollte. Warum besaß ich sie trotzdem? Hatten mein Bruder und seine dämliche Clique am Ende Recht? Wie ich Daniel so hinterhältig hintergehen wollte… das war typisch für Casses.

Der Gedanke ließ mich zusammenzucken. Ich saß echt in einer Zwickmühle. Daniel zu hintergehen wäre falsch, ihn zu vertrauen allerdings auch. Will vielleicht jemand sein Leben mit mir tauschen?

Plötzlich klopfte es an meiner Tür. Ich fuhr hoch und ließ schnell den Stein in seinen Beutel verschwinden. Als ich die Steine wieder sicher in meiner Geheimschublade verstaut hatte, rief ich laut: »Ja?« und schmiss mich anschließend aufs Sofa als wäre nichts gewesen.

Wie ich bereits vermutet hatte war es Lorena, die die Tür öffnete. »Alea, wie war dein Tag heute?« Ich wusste genau, dass das keine beiläufige Frage am Rande war, auf der ich mit gut oder ganz okay (für den Fall, dass er mal nicht so gut war) antworten musste.

»Vermutlich möchtest du wissen wie es heute bei den Casses lief.« Sie nickte kurz und setzte sich anschließend zu mir. Okay, Alea. Das war der Moment, an dem du ihr lächelnd sagen kannst, dass du deine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen hast.

»Ich schätze mal, dass der heutige Tag mir nur noch mehr ins Gedächtnis gerufen hat, dass das alles überhaupt nicht leicht werden wird. Sein Vater hat vierundzwanzig Stunden lang ein Auge auf mich gerichtet. Von Vertrauen kann man da noch lange nicht sprechen.« Was zum Teufel redete ich da? So sollte das Gespräch doch nicht ablaufen! Was war nur plötzlich in mich gefahren?

Möglicher Weise habe ich ja doch etwas bei dir bewirkt, meinte die lästige innere Stimme stolz.

Lorena atmete langsam aus und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. »Hattest du je anderes erwartet? So kannst du bei denen nicht vorgehen. Casses können nicht vertrauen, erst Recht nicht der Feences, die ihr persönlicher Feind ist. War das etwa die ganze Zeit dein Plan gewesen? Dass du ihr Vertrauen gewinnst?«

»Ich schätze schon«, murmelte ich leise. Lorena gab es zwar nicht zu, aber in diesem Augenblick musste sie mich für ein dummes Schulmädchen halten… nichts weiter. Keine würdige Prinzessin. »Aber ich denke die Lage hat sich jetzt geändert.«

»Krieg?«, fragte mich Lorena total direkt. »Krieg. Ich wüsste keine andere Lösung«, log ich. »Also gut. Dann werde ich es öffentlich machen. Und wir sollten einen Termin für einen Kampf ausmachen.« »Was für ein Kampf?« Hilfe, wo hatte ich mich denn nur da wieder reingeredet? Ich höre nur Kampf und öffentlicher Krieg. Alles ziemlich unschön…

»Der Kampf zwischen dir und deinem persönlichen Feind. Der möchte-gern-Anführer der Casses hat es mir mitgeteilt. So hat es die Zukunft vorher bestimmt, so wird es sein.« »Ich verstehe immer noch nicht ganz warum ausgerechnet wir beide gegeneinander kämpfen müssen.«

»Du weißt es noch nicht?«, fragte Lorena erstaunt. »Was weiß ich noch nicht?« Hä? »Du bist nicht die einzige mit diesen außergewöhnlichen und starken Fähigkeiten. Der Junge hat sie auch. Zum Glück ist unser System geregelter und die Steine sicher im Schloss versteckt. Dadurch haben wir einen Vorteil.«

Plötzlich kam mir in den Sinn, dass er mir deshalb vielleicht so blind vertraut haben könnte. Er besaß Feences Magie. Feences, so wie Alis Eltern, vertrauen anderen leider zu schnell.

Dass wir Feinde sind hat die Natur also vorherbestimmt. Unsere Fähigkeiten machen uns dazu. Denn zum ersten Mal können Vampire sich an beiden Kräften bedienen… was es zu einem fairen Kampf machen würde.

Möglich also, dass der Feencesteil von Daniel mir wirklich vertraute, genauso wie es bei uns beiden immer den Cassesteil geben würde, der Zweifel hegte. Bei mir war es nicht nur der, sondern auch Alis Vorwarnung gegenüber Casses. Vielleicht ging es nur darum ein gesundes Mittel zu finden. Ach, all das natürlich, während ich mich auf einen Kampf mit meinem persönlichen Feind oder Freund vorbereitete.

Kapitel 35

 

[erzählt von Justine Mayhew]

Mein Blick ruhte auf Alea, die mit Ali lachend am Süßigkeiten Automaten stand und sich gerade einen Twix oder irgendwas zog. Wie wir uns so entfremden konnten? Keine Ahnung. Es kam irgendwie schleichend. Wenn ich mein Handy in der Hand hielt habe ich immer seltener die Nummer von Alea gewählt, stattdessen die von Caitlyn.

Und wer hatte die Schuld? Ich allein. Ich mied den Kontakt zu ihr, weil ich dann jedes Mal Schuldgefühle hatte. Ich hatte ihr die Sache mit Max nämlich immer noch nicht gesagt. Es ging nicht. Die Angst war zu groß wie sie reagieren würde.

Tja… und dann war da noch Max. Nach außen zeigte er sich zwar geduldig, aber ich wusste dass meine dämliche Angst auch unsere Beziehung gefährdete. Er versuchte, wenn auch bislang irgendwie erfolglos, die Sache mit Alea wieder auf die Reihe zu kriegen. Geheimnisse vor ihr zu haben, spielte ihm da nicht gerade in die Karten.

»Du weißt schon, wenn du mit ihr sprechen möchtest, du einfach rüber gehen kannst. Alea hat schließlich nicht den Kontakt abgebrochen«, wies mich Caitlyn drauf hin. »Ich weiß, aber ich möchte es ja gar nicht. Alea hat ja Ali. Und ich finde Ali ist ihr eine gute Freundin, eine bessere als ich im Moment.«

»Würdest du einfach die Wahrheit sagen, könnten sich so viele Probleme in deinem Leben einfach in Luft auflösen«, meinte Caitlyn, woraufhin ich lachen musste. Ja, könnten. Wenn das Glück auf meiner Seite war, sonst könnten sie nur noch größer werden als sie eh schon sind. »Irgendwie ironisch das ausgerechnet aus deinem Mund zu hören. Oder hast du Denice jetzt doch von deinen Gefühlen für sie erzählt?«

Sie schüttelte hektisch mit dem Kopf. »Natürlich nicht. Aber Justine, findest du nicht auch, dass das eine ganz andere Liga ist?« Ich zuckte mit den Schultern. »Heißt trotzdem nicht, dass ich nicht Recht habe.«

Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, kam Denice im selben Moment um die Ecke auf uns zu geschlittert. Zu meiner Überraschung ohne ihre bessere Hälfte. Ein breites Lächeln spiegelte sich auf ihrem Gesicht wieder.

Stürmisch griff sie nach Caitlyns Hand und sprang auf und ab. So aufgedreht hatte ich Denice noch nie gesehen. Das war eigentlich eher Caitlyns Part. »Wir müssen shoppen gehen, Caitlyn!«

»Shoppen? Seit wann schlägst du das denn von dir aus vor?«, fragte Caitlyn verdutzt. »Seitdem mein Kleiderschrank keine schicken Kleider mehr aufweist.« »Wofür brauchst du das denn?«, stellte Caitlyn die Frage, die ich auch gerade stellen wollte.

»Dort gibt es doch diese wichtige Veranstaltung vorm Schloss.« Denice wand sich kurz mir zu. »Alea wird sicherlich auch da sein. Das weißt du bestimmt schon.« Nein… eigentlich nicht. »Ihr solltet auch kommen!«

Nach einer kurzen Pause fuhr Denice fort: »Jedenfalls… ihr wisst ja, dass Bens Familie im Schloss lebt. Deshalb ist seine ganze Familie da natürlich anwesend. Und… er hat mich eingeladen, um sie kennenzulernen!« Jetzt wo ich es wusste, wurde mir klar, dass bei dieser ganzen Energie, die Caitlyn ausstrahlte, möglicherweise auch ein wenig Nervosität mitschwang.

Ihr Blick ruhte immer noch auf Caitlyn, die einen Ausdruck aufgelegt hatte, den ich nicht deuten konnte. Vermutlich würde sie gleich zornig werden. So von wegen: Dann willst du einmal mit mir shoppen gehen und dann nicht wegen mir, sondern wegen Ben.

Doch ich hatte mich anscheinend geirrt. Ohne mit der Wimper zu zucken sagte sie: »Dann treffen wir uns wohl morgen Nachmittag in der Mall. Nimm dein dickes Portmonee mit, ja?« War das jetzt etwa ein Grinsen auf ihrem Gesicht? Was zur Hölle…?

Denice lächelte zurück. »Supi! Ich freu mich schon. Endlich mal wieder einen beste-Freundinnen-Tag, nur du und ich. Die Veranstaltung ist zwar noch eine Weile hin, aber es kann ja nicht verkehrt sein, wenn ich mein Kleid jetzt schon habe.«

Der Gong ertönte, was bedeutete dass wir alle gleich wieder Unterricht hatten. Wir waren alle nicht in einer Klasse, weshalb sich unsere Wege hier trennen würden.

Nachdem ich links um die Ecke gebogen war, zückte ich sofort mein Handy heraus.

02:45_Was war das denn gerade?

Zum Glück war Caitlyn der Typ Mädchen, der sein Handy in der Schule trotzdem benutzte, auch wenn es nicht gerne gesehen wurde. Die Lehrer wollten lieber, dass wir Kontakte knüpften indem wir uns unterhielten. Scheiß drauf. War im Moment eben nicht möglich. Ihre Antwort kam in Kürze:

02:45_Was genau?

Als ob sie das nicht wusste…

02:46_Verdammt, Caitlyn! Natürlich… warum gehst du mit Denice shoppen wenn es für Ben ist?

02:47_Weil ich es langsam akzeptieren sollte, Justine. Denice liebt Ben. Er macht sie glücklich. Ich denke das reicht mir…

Ich seufzte. Aber tief in ihr würde sie es nie akzeptieren. Sowie Alea es nie akzeptieren würde, wenn sie das mit mir und Max wüsste. Max hatte sie verspottet, weil sie anders war… ihre Fähigkeiten anders waren. In der Schule war er in der Gruppe ganz oben, die Alea als Casses bezeichnet hatten.

Er versuchte es wieder gut zu machen. Allerdings wusste er nicht wie. Er wusste nicht was er machen konnte, um es wieder gut zu machen. Eine einfache Entschuldigung würde nicht reichen… und anders als ich glaubte Alea nicht einfach, dass Max sich geändert hatte.

Am Ende des Gangs wartete Max bereits vor unserer Klasse auf mich… wie jedes Mal. Jedes Mal hatte er dieses wunderschöne Lächeln auf seinen Lippen. Und jedes Mal wurde dieses Lächeln ein kleines bisschen schwächer.

Kapitel 36

 

~VOR 3 JAHREN~

 

Ich wusste nicht was ich davon halten sollte, dass Lorena für die Ankündigung eines Krieges, eine große Party gab. Natürlich wusste ich irgendwie, dass sie nicht den Krieg an sich feierte, sondern eher die Chance auf einen Sieg und einen ewigen Frieden. Trotzdem fühlte es sich irgendwie falsch an.

Während Jayden und ich so im Takt der Musik tanzten, hatte ich irgendwann wie von selbst meinen Kopf auf seine Schulter gelegt. »Ich glaube nicht, dass ich diesen Krieg anführen kann… als Vampirprinzessin, Jayden.«

Er tätschelte mir behutsam die Schulter. »Ich weiß, dass das Angst machen muss. Aber ich bin mir ganz sicher, dass du das packst.« Ich liebte ihn ja dafür, dass er so an mich glaubte, auch wenn er die Sache dabei vielleicht nicht immer ganz realistisch betrachtete.

Plötzlich bemerkte ich, wie Lorena mir von hinter der Bühne zu winkte. »Ich muss dann jetzt mal los.« Ich wollte nicht weg, aber ich musste. »Viel Glück. Ich drücke dir die Daumen.«

Kurz nachdem ich Lorena erreicht hatte, überreichte sie mir das Mikrophon, das sie in der Hand hielt. Dann ging ich mit wackeligen Knien die Bühne hoch.

»Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«, fragte ich, woraufhin sich die Gespräche sofort einstellten. »Mein Name ist Alea Reeves. Wie ihr alle ja inzwischen sicherlich mitbekommen habt, können wir einen Krieg mit den Casses nicht länger vermeiden. Ich kann verstehen, dass einige von euch jetzt Angst haben. Dass die Casses Vellance tatsächlich in Schutt und Asche legen könnten.

Hiermit möchte ich euch beruhigen. Mit meinen besonderen Fähigkeiten kann ich die Casses tatsächlich aufhalten. Die Welt wäre nicht gerecht, wenn die Casses nicht ebenfalls solch eine Person besitzen würden. Aber ich kann es mit ihr aufnehmen. Und so haben Lorena und ich gemeinsam beschlossen, dass es das Beste wäre, wenn ihr davon selbst Zeuge werden könntet. Damit ihr frei von jeglichen Bedenken seid.

Vermutlich müsst ihr euch noch ein wenig gedulden, aber bald wird ein Datum feststehen, an dem ihr live vom Fernseher mitverfolgen könnt wie unsere Bedrohung von der Bildfläche verschwindet.« Ich ratterte diese Worte herunter wie auswendig gelernt. Irgendwie waren sie das auch fast, da Lorena die Rede genau mit mir durchgegangen war.

Beim Gedanken, dass das irgendwann tatsächlich eintreten würde, bekam ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Wollte ich nicht das immer verhindern? Einen Kampf? Hatte ich deshalb nicht Daniels Vertrauen gewonnen? Um das zu verhindern.

Aber die Wahrheit ist, dass ich diesen Kampf längst verhindern könnte. Ich hatte diese Steine bereits, die ich brauchte. Warum konnte ich es einfach nicht über mich bringen sie zu zerstören? Weil ich Schuldgefühle wegen Daniel hatte. Er hatte sich für mich sogar gegen seinen eigenen Vater gestellt.

Ich musste es einsehen. Seitdem hatte sich einiges in meinem Leben geändert. Ich konnte nicht mehr so tun als würde ich unbedingt meiner Bestimmung nachgehen wollen. Als würde ich diesen Kampf wollen, um die Feences zu beschützen. Das konnte ich nicht.

Als ich mit diesen Gedanken in die jubelnde Menge schaute, konnte ich einfach nicht anders – ich musste hier runter. All diese Leute bauten auf mich… vertrauten mir. Ich würde sie am Ende doch eh enttäuschen.

Also lief ich davon. Weg… keine Ahnung wohin. Bis ich plötzlich eine Stimme hörte, die mir nachrief: »Alea!« Und mit dieser Stimme hätte ich als aller letztes gerechnet. »Daniel? Was machst du hier? Wie bist du hier rein gekommen?«

»Ist ja nicht so als würde irgendjemand wissen, dass ich derjenige welche bin, gegen den du bald kämpfen wirst. An schicke Kleidung ist nicht allzu schwer ranzukommen.« Mist. Er hatte die Rede also mitgekriegt. »Hör zu…«, fing ich an.

»Ein Kampf, der im Fernseher ausgestrahlt wird? Wann hattest du vor mir das zu sagen?« Mist, Mist, Mist! »Ich hatte keine andere Wahl. Irgendwann sicherlich… Vorher wollte ich mir nur selbst eine Lösung für dieses Schlamassel ausdenken.«

»Schlamassel. Das kannst du laut sagen. Wird das alles jemals ein Ende nehmen?« »Warum hasst du das alles eigentlich so sehr? Lieben Casses normaler Weise nicht den Krieg und das Chaos?« Eine Frage, die mich schon so lange interessierte.

»Ich habe gelernt, dass zu viel Chaos nie gut sein kann. Als meine Mutter starb brachte sie jede Menge Chaos in unser Leben. Seitdem sehe ich vieles anders.« Ich musste schlucken. Warum musste er auch immer so sein? Wäre er so wie er sein musste, dann würde mir vieles leichter fallen. »Keine Angst. Wir werden dieses Schlamassel irgendwie lösen. Aber… nicht jetzt, nicht hier. Du solltest nicht hier sein. Das ist zu gefährlich. Warum bist du überhaupt gekommen? Doch nicht wegen meiner Rede.«

»Nein«, er grinste. »Ich lebe nicht hinter dem Mond. Vom Krieg habe ich selbstverständlich schon gehört. Ich wusste also, dass du heute hier sein würdest.« »Ich bin immer hier«, sagte ich augenverdrehend. »Warum willst du mich sehen… jetzt, wo so viele Leute hier sind?«

Er biss sich auf die Lippe. Anscheinend war es ihm irgendwie peinlich. »Mein Vater wollte es. Ich sollte mir alles anhören… und ich sollte dir sagen, dass er dich sehen möchte.« Was? »Warum?«, fragte ich entsetzt. Unser letztes Treffen endete übel. Außer, dass er mich persönlich erwürgen wollte, konnte ich mir keinen Grund vorstellen.

»Das wollte er mir nicht sagen.« Klar wollte er das nicht. Andererseits… wenn er mich wirklich töten wollte, würde ich einfach zurückschlagen. Ich war mächtiger als er. Nicht nur wegen meinen Fähigkeiten, sondern auch wegen den Steinen. »Richte ihm aus, dass ich da sein werde. Morgen um Mitternacht. Und jetzt geh endlich!«

Warum machte es mir so viel aus, dass er hier in Gefahr war? Würde er geschnappt werden, hätte ich einige Probleme weniger in meinem Leben. Wahrscheinlich, weil er selbst eins darstellte. Weil… weil ich ihn mochte? Hilfe, nein. Ich rann durch den Flur, hoffte somit meine Probleme irgendwie hinter mir zu lassen.

Suchte mir die nächstgelegene Tür, um mich in diesem Zimmer von der Welt, die mich so sehr hasste, zu verstecken. Ups. Vielleicht nicht unbedingt in diesem Zimmer, denn auf dem Bett knutschte gerade ein Pärchen rum. »Tut mir leid. Falsches Zimmer.« Ich wollte mich gerade wieder abwenden als ich bemerkte, dass mir der Junge und das Mädchen unheimlich bekannt vorkamen.

Das Chaos für Heute war ja noch nicht groß genug. Wie ich mein Leben doch liebte!

Kapitel 37

[erzählt von Denice Payne]

Meine zittrige Hand zwischen Bens fühlte sich ziemlich schwitzig an. Aber trotzdem brauchte ich sie, um nicht völlig durchzudrehen. Immer wieder redete er mir Mut zu, allerdings klang er dabei selbst nicht allzu selbstbewusst… und gerade das machte mir Angst. Bislang hatte Ben noch nicht viel über seine Familie geredet.

Schließlich hielten wir vor einem großwüchsigen dunkelhaarigen Mann und einer Frau mit schwarzen Haaren, die ziemlich hübsch war, obwohl ihre Statur eher kräftiger war… so wie meine. Mit Caitlyns schlanken Körper konnte ich noch nie mithalten.

Würde sie lächeln, hätte sie durchaus Modelqualitäten. Aber ihre Miene war bitterböse. »Ben! Da bist du ja endlich. Du bist total unpünktlich.« Irritiert schaute sich Ben auf die Armbanduhr. »Wir sind genau pünktlich.«

»Auf die Sekunde genau ist nicht pünktlich. Ein anständiger Vampir hat eine viertel Stunde früher da zu sein. So habe ich dich nicht erzogen.« Er senkte den Blick. Die ganze Situation war ihm anscheinend unglaublich peinlich. Er schien die nicht vorhandene Verspätung tatsächlich zu bereuen. Hatte er nicht ein Alter erreicht, wo man seinen Eltern auch mal die Meinung geigen konnte?

Irgendwie sah ich es als meine Aufgabe, als seine Freundin, ihn zu verteidigen. »Entschuldigen Sie, aber Ben hat nichts falsch gemacht. Pünktlich ist pünktlich. Außerdem haben wir nichts verpasst.«

Seine Mutter drehte sich mit giftigen Augen zu mir um. Zum Glück können Blicke nicht töten… »Und du bist…?« »Mum… Dad… Das ist meine Freundin Denice«, stellte Ben mich vor. Jetzt erhielt ich von beiden Elternteilen skeptische Blicke… von oben bis unten. Und das Ergebnis schien für die beiden alles andere als erfreuend zu sein.

Rümpfte sein Vater da tatsächlich die Nase? »Warum suchst du dir denn sowas aus? Bist du inzwischen so weit gesunken, dass es nichts Besseres mehr auf dem Markt gibt?« Hatte ich richtig gehört?! Hatte mich sein Vater gerade wirklich eiskalt beleidigt?

Dass rothaarige Mädchen bei vielen Leuten nicht gerade als die hübschesten Sterne im Universum angesehen wurden, war mir durchaus bewusst. Aber noch nie hatte jemand die Dreistigkeit gehabt mir das direkt ins Gesicht zu sagen.

Was sollte ich darauf denn jetzt erwidern? Vermutlich gar nichts. War es nicht Bens Aufgabe seinen Eltern zu sagen, dass ich wunderschön bin und dass sie gefälligst ihren Mund halten sollten? Doch wie schon beim ersten Mal, hatte er immer noch nicht den Mumm dazu.

Also machte stattdessen seine Mutter weiter: »Du machst ja ständig Fehler. Vermutlich ist das Mädchen am Ende nur hinter unserem Geld her.« Okay. Jetzt reichte es mir! Auch wenn ich ein braves Mädchen bin und nie die Eltern meines Freundes anschnauzen würde, das ging einfach zu weit.

»Ich soll hinter seinem Geld her sein?! Bitte was? Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.« »Denice!«, zischte mir Ben zu. »Was?!«, funkelte ich ihn böse an. »Ich mache hier nichts falsch. Und hättest du genügend Eier in der Hose, dann hättest du das hier übernommen.« Oh mein Gott! Was redete ich da? Ich hätte nie gedacht, dass diese Worte überhaupt meinen Mund verlassen konnten. Was stellte Ben nur mit mir an?

»Ah. Jetzt verstehe ich es. Sie ist genauso unerzogen wie du. Was haben wir nur falsch gemacht?«, fragte die Mutter Bens Vater. »Nichts, Schatz. Das liegt an unserem Kind und der Pubertät.« »Ich hoffe du hast Recht und es wird noch was aus ihm. Was würde das für einen Ruf auf uns werfen, wenn dem nicht so wäre.«

»Auf jeden Fall kann ich dir schon mal sagen, dass das nicht unsere Schwiegertochter wird, mein Sohn. Du hast uns doch gesagt, dass du an der Schule beliebt wärest. Warum schleppst du dann keine anständigen Mädchen mit Nachhause? Diese Alea Reeves scheint mir für dich besser geeignet.« Bei der Erwähnung von Aleas Namen musste ich kurz zusammenzucken. Würde ich sie nicht so sehr mögen, könnte ich jetzt eifersüchtig werden. Erneut.

»Sie kann wohl kaum für Ihren Sohn geeignet sein, wenn sie einen Freund hat«, konterte ich. Die Rabenmutter lachte spöttisch. »Wenn er in der Schule wirklich so toll ist wie er immer behauptet, dann könnte er diesem Freund ganz leicht das Mädchen ausspannen.«

»Ach so. So wollen Sie ihren Sohn also erziehen? Dass er anderen die Freundin ausspannt?«, entgegnete ich höhnisch, woraufhin Ben mir aufgebracht in die Seite stieß. Was war bitte sein Problem? Ich würde mir das nie gefallen lassen. Wahrscheinlich färbte Caitlyn dafür zu stark auf mich ab… und dafür war ich ihr im Moment mehr als dankbar.

»Wie kannst du es wagen so mit mir zu sprechen? Lass mich raten… vorher hat dich kein Typ von der Seite angeschaut, oder? Ben nimmt dich doch auch nur, weil er sonst keine abbekommt.« Das war einfach zu viel. Darauf konnte ich nichts mehr erwidern. Darauf konnte ich nur von hier verschwinden. Genug ist genug.

Denn anders als bei den anderen hitzigen Bemerkungen, erkannte ich in dieser den kleinen Funken Wahrheit. Ich war bei den Jungs noch nie besonders angesehen gewesen. Das war immer Caitlyns Part gewesen. Und während ich Hals über Kopf durch den Saal stürmte, konnte ich die Tränen schließlich nicht mehr zurückhalten.

Ich spürte wie jemand nach meinem Arm griff… Ben natürlich. »Ich weiß… meine Eltern können manchmal echt hart sein.« Ich lachte bitter. »Das ist ein Witz, oder? Sowas nenne ich einfach nur unhöflich. Wie konntest du einfach nur da stehen und kein Wort sagen?«

»Weil sie meine Eltern sind. Auch wenn sie fies sind… Das alles tun sie doch nur, weil sie mein Bestes wollen.« »Dann geh doch zu denen! Sie scheinen dir nämlich wichtiger zu sein als deine eigene Freundin!« Mit diesen Worten war ich endgültig weg von hier. Als ich einen Nebengang erreichte, drehte ich mich kurz um… in der Hoffnung, dass Ben mir doch gefolgt war. Doch er war es nicht.

Hilflos sackte ich die Wand runter… und weinte in meine Knie. Keine Ahnung ob Ben gerade mit mir Schluss gemacht hatte, aber selbst wenn nicht… wahrscheinlich hatte mein Traumtyp gerade etwas viel schlimmeres gemacht.

Kapitel 38

Ich musste noch ein zweites Mal hingucken, um das was sich da vor meinen Augen abspielte wirklich glauben zu können. Justine… und Max? Die Justine, mit der ich in meiner Kindheit ein Hasspackt gegenüber Max geschlossen habe? Dass sie in letzter Zeit irgendwie anders war, hatte ich ja bereits bemerkt. Aber damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Vollkommen überfordert mit der Situation, stolperte ich einfach aus dem Zimmer ohne irgendein Wort loszuwerden. Max Worte halten noch durch den Flur zu mir durch: »Warte, Alea! Es ist nicht so wie du denkst.« Das hatte er gerade nicht ernsthaft gesagt, oder?

Wütend drehte ich mich jetzt doch um, wo ich sowohl Max als auch Justine vor der Tür stehen sah. »Es ist nicht so wie ich denke? Also habt ihr beide euch gerade nicht geküsst? War das nur eine Halluzination in meinem Kopf?«

»Doch, aber wir haben nichts miteinander. Auch wenn es einmal passiert ist wird es nie wieder vorkommen.« Dass das eine Lüge war, wusste ich nicht nur als ich Justines entsetztes Gesicht bemerkte. »Ist das dein Ernst?«, zischte sie ihm zu.

Max erwiderte diese Worte nicht nur mit seiner typischen Verwirrung im Gesicht. Er schien auch ein kleines bisschen wütend auf Justine zu sein. »Was? Das war doch deine Idee!«, flüsterte er leise, wenn auch eindringlich.

»Nein. Stopp. Schluss mit den Lügen«, sagte Justine und wand sich anschließend zu mir, indem sie ein paar Schritte in meine Richtung setzte. »Das war kein einmaliger Kuss. Max hat das gerade nur gesagt, weil ich es so wollte. Ich wollte nicht, dass du von uns weißt. Das Warum kannst du dir sicher denken. Du hast schließlich so reagiert wie ich es vermutet hatte.«

»Wie hätte ich sonst auch reagieren sollen? Du bist meine beste Freundin, Justine! Meine beste Freundin, die Max hasst. Selbst wenn du es nicht tun würdest… eine Beziehung mit ihm würde eh kein Happy End haben. Ich reagiere so, weil du mir Leid tust! Ich meine es nur gut.«

»Du regst dich auf, weil Max immer noch so ein Scheiß-bruder wie früher ist… weil er dich immer noch ärgert? Dann mach mal die Augen auf, Alea! Du bist selber nicht besser. Du verabscheust ihn auch noch wie eine Zehnjährige! Du bemerkst nicht mal, dass er sich Mühe gibt es wieder bei dir gut zu machen.«

»Jetzt hat er also auch noch deinen Verstand vernebelt.« »Gut möglich. Was wäre so falsch daran?« Ich ignorierte ihre dumme Frage einfach. »Auf unserer Schulreise, die übrigens noch gar nicht so lange her ist, hat er mich noch als Casses beleidigt. Die Schulreise, wo ihr euch ein Zimmer geteilt habt. Ich wette, dass du ihm dort auch schon verfallen warst.«

Der Ausdruck auf dem Gesicht der beiden sagte mir, dass ich Recht hatte. »Dass ich dich als Casses beleidigt habe tut mir Leid. Aber ich-« Schnell unterbrach ich Max Gefasel. »Nein! Nicht! Soll ich ernsthaft glauben, dass deine Liebe zu Justine deinen Charakter komplett verändert haben? Unser Leben ist kein beschissener Liebesfilm. Schlimm genug, dass es dir nur deshalb Leid tut.«

Im Moment wirkte er wirklich verletzt. Aber ich wollte seine Entschuldigungen nicht, weil irgendein Mädchen ihn zur Vernunft gebracht haben sollte. Immer noch erschreckend, dass das Mädchen Justine sein sollte. Denn… gäbe es sie nicht, würde er mich immer noch hassen. Also… liebte er Justine vielleicht wirklich, aber wie könnte das bitte etwas an unserer Beziehung zueinander ändern?

»So ist es nicht…«, versuchte er noch zu sagen, doch seine armseligen Wiedergutmachungen wollte ich gar nicht hören. Er wollte mich mögen, weil man die beste Freundin seiner Freundin nun mal nicht hassen konnte. Und dann tat ich etwas, was ich sonst eigentlich nie tat. Ich zeigte den beiden meinen Mittelfinger. »Ihr könnt mich mal.«

Und dann ließ ich die beiden endgültig hinter mir. Ich rannte zurück in dem überfüllten Saal, wo mich jeder mit einem strahlenden Lächeln begrüßte. »Ich weiß, dass du diesen Krieg gewinnen kannst. Du wirst uns unseren Frieden bringen.« Überall wurde ich mit diesen Worten übersät.

Aber wie sollte man diesen Worten glauben schenken, wenn man gerade einen Krieg mit der besten Freundin und dem Bruder entfacht hatte? Wie konnte so jemand Frieden bringen? Ich fühlte mich momentan nämlich überhaupt nicht nach Frieden.

Und das war der Moment wo mir klar wurde, dass ich von hier fort musste. Hier waren überall Leute, die mich nicht verstanden. Nicht mal meine eigene Familie verstand mich mehr. Ich wollte keine Vampirprinzessin sein. Mit so einer großen Verantwortung konnte ich noch nicht umgehen. Dafür war ich einfach noch zu jung.

Aber wer konnte das schon verstehen? Er könnte es, weil er im Moment das Gleiche durchmacht, sagte eine Stimme in mir. Obwohl ich wollte, dass sie verstummte, wusste ich dass sie Recht hatte. Ich bin echt ein hoffnungsloser Fall.

Als ich so schluchzend durch die Straßen lief, bemerkte ich erst in letzter Sekunde, dass mich meine Füße direkt zu seinem Haus getragen haben… zu dieser beschissenen Kneipe. Aber das war mir jetzt egal. Ruckartig riss ich die Tür auf. Dass ich jetzt von allen angestarrt wurde, war durchaus verständlich. Ich meine, da stand ein heulendes Mädchen in einem hübschen Kleid… und das in der Unterwelt. Das hatte ich wohl nicht so ganz durchdacht.

Ich bereitete mich darauf vor, dass sie jetzt alle auf mich losgehen würden. Stattdessen hörte ich von überall nur Gemurmel wie: »Ist sie das?« Ja, Leute. Selbst die Casses wussten bereits, dass ich die besagte Vampirprinzessin bin. Schlimm genug. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis jeder einzelne auf mich losgehen würde. Daniel hatte da in vielerlei Hinsicht Vorteile, dass er bei den Feences nicht bekannt war. Und ich musste ja so dumm sein und dem Feind direkt die Tür einrennen.

Jetzt kam auch noch der Casses an, den ich im Moment am wenigsten gebrauchen konnte… Daniels komischer Vater Jared. »Alea Reeves. Ich dachte, wir hätten erst morgen Mitternacht das Vergnügen.« Sein Tonfall machte mir höllische Angst. Das er mir ein Problem werden würde, war nur noch eine Frage der Zeit.

»Ich…« Verdammt, Alea! Hör endlich auf zu weinen. Wie kommt das bitte rüber? »Ich wollte zu Daniel.« Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Schön. Aber erst reden wir, wenn du schon mal hier bist.« Ohne dass ich hätte Wiedersprechen können, zog er mich mit sich, durch die Tür hinter der Theke. Wir waren vollkommen allein. Ich bereitete mich dann schon mal auf mein Ende vor.

Kapitel 39

 

»Du hast unsere Steine gestohlen«, waren seine ersten Worte, als wir das Zimmer betreten hatten. So etwas hatte ich schon vermutet. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie meine Strafe jetzt aussehen würde. Also stand ich da einfach nur mit eingezogenem Kopf herum.

»Warum hast du sie nicht bereits zerstört?« Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet, auch wenn sie berechtigt war. Allerdings kannte ich die Antwort darauf ja selbst nicht. Schnell log ich irgendwas zusammen: »Äh, also… Das habe ich, aber seltsamerweise lebt ihr noch. In dem Beutel mussten nicht alle braunen Steine gewesen sein.«

»Du bist eine schlechte Lügnerin, Alea Reeves. Vor allem, weil ich weiß, dass selbst wenn in dem Beutel nicht alle Steine gewesen wären, ich es gespürt hätte, wenn du welche zerstört hättest.« Mist aber auch… Ergebend schlug ich die Hände über meinen Kopf. »Okay. Dann habe ich sie nicht zerstört. Das sollte dich glücklich machen, weißt du?«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass er darauf nicht hinaus wollte.

»Du weißt genau, dass mich das Warum interessiert.« Das interessierte mich auch. Wegen Daniel? Weil er sich so für mich eingesetzt hatte? Aber diese Antwort würde mich erbärmlich klingen lassen.

Plötzlich fiel mir eine weitere gute Ausrede ein: »Ich möchte diesen Kampf zwischen Daniel und mir. Bis dahin brauche ich die Casses noch lebend. Die Öffentlichkeit soll nämlich erfahren, was für eine würdige Vampirprinzessin ich für unser Volk bin.«

Daraufhin fing er doch tatsächlich zu lachen an. »Was ist daran witzig?«, fragte ich ein kleines bisschen beleidigt. »Du musst wissen, dass ich eine Gabe habe. Ich weiß ganz genau, ob jemand lügt oder nicht. Dazu kommt noch, dass du eine schlechte Lügnerin bist.« »Nein. Ich bin eine Meisterin im Lügen.« Das war die Wahrheit. Ich musste immerhin alle Leute, die mir nahe stehen, anlügen.

»Für das Fußvolk vielleicht, aber nicht für mich. Also. Jetzt will ich die Wahrheit wissen.« Ich seufzte. Na gut, dann eben die Wahrheit. »Die Wahrheit ist, dass ich darauf selber keine Antwort weiß. Mir ist bewusst, dass ihr Casses Meister im Austricksen seid. Deshalb habe ich die Freundschaft zwischen Daniel und mir nie ernst genommen, was du ja mit deiner komischen Gabe mitbekommen hast. Aber inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Er war immer so nett zu mir…«

Jared ließ sich auf das Sofa links neben uns fallen. Dann war es eine Weile lang ruhig, weshalb ich schließlich versuchte die Stille auszufüllen. »Ich weiß. Du kannst mich jetzt ruhig auslachen. Ich bin schwach. Ich falle auf einen Trick rein. Auf einen Trick, obwohl ich doch weiß, dass unsere Feindschaft vorherbestimmt ist.«

»Eigentlich dachte ich das immer von Daniel. Ich war enttäuscht von meinem Sohn, weil er den Kampf so leicht verlieren wollte.« »Also… dann ist es wirklich kein Trick?« »Ich fürchte nicht…«

Meine Gedanken explodierten. Was sollte das heißen? Dass es auch liebe und nette Casses gab? Aber jeder hatte ihr doch erzählt, dass es das nicht gab. Natürlich verdienten die meisten von ihnen den Tod. Aber wenn es wenige gab, sei es auch nur eine Handvoll, war es dann nicht unfair, wenn man auch deren Leben beendete? »Hör zu… Wenn du mir nichts tust, dann brauchst du dir um mich keine Sorgen machen.«

»Aha. Aber da wird doch Königin Lorena irgendwann hinter kommen. Wenn du es nicht tust, dann wird sie es tun. Am Ende macht es keinen Unterschied.« »Dazu braucht sie die Steine… und meine Fähigkeiten. Sie wird beides nicht bekommen.« »Sie wird dich an diesem Punkt sicher erpressen, sodass du es doch tust. Auch wenn du es nicht willst, bleibst du unser größter Feind.«

»Und was dann?«, fragte ich ihn. Ich hatte keinen Schimmer, was er damit aussagen wollte. »Zwischen Casses und Feences kann niemals Frieden herrschen. Aber für uns gilt trotzdem das gleiche: Auch wir können euch auslöschen. Zwar sind eure Steine besser bewacht, aber wir finden eine Möglichkeit, damit Daniel die gelben Steine vernichten kann.« Er atmete kurz durch. »Kurz gesagt: Am Ende gibt es entweder euch Casses oder uns Feences.«

»Ziemlich unklug von dir mir das zu sagen, wo ich das Mittel dafür doch bereits besitze.« »Es erfordert Lorena und jede Menge mehr, bevor diese Steine zerstört werden.« Wie konnte er sich da so sicher sein? Anschließend lieferte er die Erklärung: »Sonst hättest du sie nämlich bereits zerstört.«

»Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein. Aber: Selbst wenn ich mich mit Daniel angefreundet habe, wir kennen uns nicht lang genug. Im Gegensatz zu meinen anderen Freunden, die alle samt Feences sind.« »Dann würdest du sie also Daniel vorziehen. Gut zu wissen. Noch ein Grund mehr dich weiterhin zu hassen.« Ja, alles sprach dafür dass ich sie bevorzugte. Warum also, fühlte sich die Entscheidung trotzdem so schwer?

»Sind wir dann fertig?«, fragte ich ihn mit zusammengepressten Lippen. »Sieht so aus«, sagte er grinsend. »Und lass mich raten, du hast immer noch vor zu Daniel zugehen. Darf ich fragen warum? Wäre es nicht einfacher im Schloss zu sein und für die Feences zu kämpfen?«

»Natürlich sagst du das! Wie jeder andere. Es ist nämlich alles andere als einfach. Die ganze Vampirprinzessin-Sache bringt einfach zu viel Verantwortung mit sich. Und obwohl es uns trennen sollte, verbindet es uns, weil nur Daniel wirklich verstehen kann, was ich gerade durchmache. Er hat dieselbe Verantwortung.«

Mehr wollte ich von Jared nicht mehr hören. Er wäre der letzte, der es je verstehen könnte. Schnell öffnete ich die Tür und schaute mich in der Kneipe um. Daniel war nicht dort. Dafür aber andere Casses, die mich normalerweise immer hasserfüllt angestarrt hatten. Jetzt hörten sie aber nicht auf zu lachen und riefen mir sogar zu: »Hey, da ist Alea! Die rebellische Feences-Prinzessin.« »Hey, Alea! Du gefällst mir von allen Feences am meisten, weil du die einzige bist, die auch mal die Regeln bricht.« Stimmt ja. Sonst wurden Regeln bei uns nur gebrochen, wenn es sein musste. Um zum Beispiel einen Massenmord durchzuführen.

Kapitel 40

 

»Wer ist da?«, hörte ich Daniels Stimme hinter der Tür. »Alea. Kann ich rein kommen?«, fragte ich, während ich meine schweißgebadeten Hände unbeholfen in meine Hosentasche steckte. Als sich dann die Tür öffnete, sah ich direkt in Daniels überraschtes Gesicht. »Solltest du nicht bei dieser Feier im Schloss sein?«

Schön, dass er mich daran erinnerte. »Ich sollte schon. Genauso wie ich diesen Krieg anführen sollte. Aber ich fühle mich dazu einfach nicht in der Lage.« Er seufzte. »Ich weiß was du meinst. Ich doch auch nicht.«

Ich brachte ein schwaches Lächeln hervor. »Deshalb bin ich jetzt auch hier. Nur du kannst mich in der Sache wirklich verstehen.« »Wollen wir Spazierengehen?«, fragte er mich. Ich musste lachen. Spazieren… unsere Lieblingsbeschäftigung. Wenn auch nur an den Orten, wo sich kaum jemand aufhielt. Höchstens ein paar einzelne Casses, wenn wir Pech hatten.

»Warum willst du eigentlich immer mit mir Spazierengehen? Wir bleiben nie einfach hier«, fragte ich somit. »Naja. Du hast mein Zimmer noch nicht gesehen. Ich sage nur, dass es einer Prinzessin nicht würdig ist.«

Ich musste lachen. »Umso besser. Schließlich fühle ich mich im Moment nicht wie eine.« »Na gut. Dann bleiben wir hier. Aber ich habe dich gewarnt.« Damit öffnete er die Tür komplett und zog mich mit sich. »Ich sag’s doch. Der reinste Schrottplatz in deinen Augen, oder?«

Ich schaute mich um. Mein Zimmer passte hier bestimmt vier Mal rein. Im Zentrum des Raums stand ein alter Holztisch mit einem Sofa. Auch die restlichen Möbel wie Bett, Schrank und Stehlampe wirkten als kämen sie aus einem anderen Jahrhundert. »Nein, ich finde es… gemütlich.« Ein Schrottplatz war es nämlich wirklich nicht. Für einen Casses hielt Daniel sein Zimmer nämlich einigermaßen in Ordnung.

Daniel schmunzelte aufgrund meiner Bemerkung ein wenig und ließ sich anschließend aufs Sofa nieder. Mit einer Handbewegung deutete er mir, dass ich mich neben ihn setzten sollte. »Und jetzt?«, fragte ich, während ich etwas hibbelig mit meinen Füßen tippelte. Wären wir man doch spazieren gegangen. Dann hätten wir wenigstens was zu tun. Ich hasste es einfach nur dumm herumzusitzen. Andererseits hatte ich so wenigstens Mal sein Zimmer zu Gesicht bekommen.

»Weißt du, ich habe mir gefragt… wir beiden haben diese Fähigkeiten, die wir eigentlich nicht besitzen sollten. Ich habe mich bislang nur in meinen Casses-fähigkeiten geübt, hauptsächlich weil es niemanden gab, der sich mit dem anderen Teil auskennt. Wenn es dir ähnlich geht, könnten wir uns gegenseitig unterrichten.«

Eigentlich sollte man meinen, dass es unklug ist seinen Feind zu unterrichten. Aber im Moment hatte ich nicht das Gefühl, dass er deshalb üben wollte. Immerhin bot er auch an meine Fähigkeiten zu stärken.

»Ich meine… nur um das Bestmögliche aus sich herauszuholen. Nicht weil ich dann für den Krieg stärker wäre…«, erklärte er noch abschließend. Früher hätte ich ihm das wahrscheinlich nicht abgekauft. Aber seine Augen wirkten einfach zu ehrlich um zu Lügen. Ich musste mir langsam eingestehen, dass ich in Daniel wirklich einen wahren Freund finden könnte. Er war schließlich auch anders als andere Casses.

»Eine gute Idee«, sagte ich deshalb. »Super«, meinte er grinsend und erhob sich dann wieder vom Sofa. »Also… ich dachte immer, dass ich wenn ich Feences-fähigkeiten einsetze, an Ordnung und Reichtum denken muss. Weil euch das ausmacht. Ist das denn richtig?« Äh, was?

»Also ich denke nicht an Ordnung und Reichtum, wenn ich meine Fähigkeiten einsetze. Ich denke einfach daran, was ich bewirken möchte. Der Rest hat ja etwas damit zu tun was ein ausmacht.« »Ja, aber das ist ja das Problem. Ich bin nun mal kein Feences. Das macht mich nicht aus.«

So wie ich keine Casses bin. Aber trotzdem konnte ich ein wenig von dieser Magie einsetzen. »Naja. Auf mich wirkst du aber auch nicht wie ein normaler Casses. Dein Zimmer ist zum Beispiel ordentlicher als ich es erwartet hätte.«

»Dann werden meine Fähigkeiten also stärker, wenn ich mein Zimmer in einen Palast verwandele?« Darüber musste ich lachen. »Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.« Aber die richtige Antwort auf diese Frage kannte ich trotzdem nicht.

Eine Weile war es still im Zimmer. Bis Daniel plötzlich anscheinend eine Idee hatte: »Wann hast du deine Casses-fähigkeiten entdeckt?« Und ich dachte, jetzt würde ein genialer Einfall kommen. So hatte es zumindest in seinem Gesicht ausgesehen. Aber eine weitere Frage konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen. Erst Recht keine, auf der ich wieder keine Antwort wusste.

»Keine Ahnung. Das war glaube ich als ich mit meiner Projektpartnerin meine Fähigkeiten testen wollte.« »Und das war nach was?« Er stellte die Frage so als wüsste er selbst die Antwort darauf. Als wäre das so selbstverständlich. Ich stand allerdings auf dem Schlauch. »Keine Ahnung. Das ist schon eine Weile her, Daniel. Ich erinnere mich nicht.«

»Ich aber. Ich habe meine kurz nachdem ich dich getroffen habe entdeckt. Könnte bedeuten, dass unsere Fähigkeiten etwas mit uns zu tun haben. Vielleicht muss sich unser Verhältnis zueinander kräftigen. Das geht natürlich auf zwei Weisen. Entweder indem wir wirklich geschworene Feinde werden…«

Warum kam er plötzlich mit diesem Bockmist? Hatten wir das nicht bereits geklärt? Müsste er nicht längst wissen, dass es nur noch eine Option für uns gab? Auch wenn jeder anderes verlangte. Aber ich fühlte mich einfach noch nicht in der Lage einen Krieg zu führen.

»Ich wäre ja dafür, dass wir Option zwei wählen und lieber unsere Freundschaft festigen.« Er nickte als würde er meine Stellung verstehen können. Trotzdem murmelte er zu meiner Überraschung: »Ich denke nicht, dass ich das möchte.«

Was war plötzlich mit ihm los? Warum wollte er plötzlich wieder auf Feinde machen? Bestimmt lag es an seinem Vater. Er hatte es ihm eingeredet. Das war ganz bestimmt nicht seine eigene Meinung. Man konnte ihm das ansehen.

»Weißt du, Daniel. Es kann klappen, auch wenn jeder anderes behauptet. Frieden sollte stärker sein als-« Weiter kam ich nicht, da Daniel mir seine Finger an die Lippen legte. »Stopp. Das meinte ich gar nicht.«

Was zum…? Die nächsten Augenblicke wirkten auf mich irreal… eher wie aus einem Traum. Hätte ich Daniels Atem nicht ganz nah bei mir gespürt, dann hätte ich es sogar schwören können. Es ergab für mich einfach keinen Sinn, dass wir jetzt nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Was hatte er vor? Natürlich wusste ich irgendwo was er vorhatte. Doch in diesem Moment wollte ich es nicht wahr haben.

Sonst hätte ich doch reagiert, oder? Dann wäre ich schon längst von ihm gewichen. Daniel ließ mir nämlich genug Zeit. Ich hätte es somit verhindern können. Doch das tat ich nicht.

Und aus diesem Grund spürte ich schließlich seine Lippen auf meinen. Es war nur ein Kuss. Jayden konnte auch küssen, er sollte mich eigentlich küssen. Seine Küsse waren immer etwas Besonderes gewesen. Doch jetzt, wo Daniel mich an sich zog, waren sie alle vergessen. Die Schmetterlinge, die Jayden sonst in meinem Bauch entfachte, flogen plötzlich Achterbahn.

Kapitel 41

 

[erzählt von Caitlyn Hathaway]

 

Wo sind denn nur alle? Nicht mal Alea, die bei dieser Veranstaltung eigentlich die Gastgeberin war, war aufzufinden. Inzwischen hatte ich den Saal verlassen. Ob sie sich alle gemeinsam in Aleas Zimmer zurückgezogen hatten? Von diesem Gedanken geleitet begab ich mich in den Flur, um die Treppe zu dem Wohnbereich einzuschlagen.

Fast wäre ich weitergegangen, doch dann vernahm ich im letzten Augenblick doch noch ein leises Schluchzen von links unten. Was zum…? War das etwa Denice, die da alleine in der Ecke rum saß und weinte? Natürlich war sie es, doch was war passiert, dass ich sie so hier vorfand?

»Denice? Alles in Ordnung?« Was für eine bescheuerte Frage, Caitlyn! Wenn alles in Ordnung wäre, dann würde sie hier nicht weinend rumsitzen. Etwas verunsichert hockte ich mich neben ihr. Ich wollte sie irgendwie trösten, wirklich. Doch ich war verunsichert, dass es mir nach alldem was zwischen uns vorgefallen war, nicht mehr gelingen würde.

»Nichts ist in Ordnung… Seine…« Vor lauter Schluchzern konnte ich sie kaum noch verstehen. »Seine Eltern hassen mich. Und er… er tut nichts! Es ist fast so als wäre er sogar auf deren Seite!« Ehrlich gesagt überraschte mich das nicht. Es tut mir ja leid, aber ich hatte schon geahnt, dass Ben ihr bald das Herz brechen würde.

Aber das konnte ich ihr nicht sagen. Das würde sie nur noch trauriger machen. So viel stand fest. Ich wusste genau, dass ich sie jetzt nur wieder aufmuntern konnte, indem ich ihr zu flüstern würde: Alles wird gut. Es wird ihm leidtun und er wird seinen Fehler einsehen. Doch die Worte wollten mir einfach nicht über die Lippen kommen. Nicht, weil sie nicht wahr waren. Ein großer Teil von mir glaubte sogar, dass es so sein würde – und das war ja das Problem.

Also nahm ich sie einfach, etwas unbeholfen, in meine Arme und murmelte einfach: »Alles wird gut.« Ohne den zweiten Teil, stattdessen wiederholte ich diesen Satz immer und immer wieder, bis ich ihn irgendwann selber glaubte.

»Du hattest die ganze Zeit Recht gehabt, Caitlyn«, meinte sie dann nach einer Weile. »Du weißt immer was das Richtige ist, noch bevor ich es selber weiß.«
»Nein… nein! Weißt du was? Vergiss das einfach. All die Zweifel die ich wegen euch hatte. Das hatte gar nichts mit euch beiden sondern eher mit mir selbst zu tun gehabt.« Ich wollte jetzt nicht auch noch Schuld daran sein, dass Denice so traurig war.

»Mit dir selbst? Wieso das?« Mist. Hätte ich doch nur meine Klappe gehalten. »Ach, weil du selber Single bist?«, riet sie. Eigentlich gar keine so schlechte Erklärung. Also nickte ich einfach.

»Mach dir da mal keinen Kopf, Süße. Hast du dich mal umgeguckt? Fast jeder Typ sabbert dir hinterher. Deine Auswahl ist also um einiges größer als meine.«

Ich lachte trocken auf. »Tja, das bringt aber alles nichts, wenn unter dieser riesen Auswahl nicht die richtige Person dabei ist.«
»Irgendwann läuft dir schon jemand über den Weg.« Vielleicht. Vielleicht würde ich wirklich eines Tages auf jemanden treffen, der Denice ersetzen könnte. Aber das konnte sicher nicht dann passieren, wenn Denice ständig um mich war.

Und da wurde es mir klar, dass es nichts mehr nützte. Wie lange sollte ich dieses Spiel noch weiter spielen? Justine hatte Recht. Es brachte weder Denice noch mir etwas.
»Ja, nur beginne ich langsam zu glauben, dass ich diesen jemanden nicht in Vellance finden kann.«

Schockiert hefteten sich ihre roten und noch etwas feuchten Augen auf mich. »Was redest du da? Du kannst Vellance doch nicht verlassen. Ohne dich wäre es hier-«
»Noch genauso wie vorher. Ich bin keine Vampirprinzessin, Denice. Mich kann man ersetzten.«

»Rede keinen Unsinn, Caitlyn. Niemand könnte dich für mich ersetzen! Weißt du was? Ich werde einfach mit dir kommen. Dann quecken wir gemeinsam die heißen Typen in der neuen Stadt ab. Die hier in Vellance habe ich nämlich gehörig satt.«
»Nein, das geht nicht.« Warum musste sie es auch immer so kompliziert machen?

»Warum denn nicht?«
»Weil ich jede neue Person, die ich dort kennenlerne mit dir vergleichen werde. Und ich mir bei jeder Berührung wünschen würde, dass sie von dir käme.« Ich schluckte. Jetzt war es raus. Mein Blick war gesenkt, weil ich zu große Angst vor Denice Reaktion hatte.

»Was… was meinst du?«, fragte sie, obwohl sie sich schon denken konnte wovon ich sprach.
»Ich habe mich in dich verliebt«, erklärte ich trotzdem noch mal, damit jetzt offiziell alle Karten auf dem Tisch lagen.

»Aber… ich meine, ich liebe dich doch auch… weil wir Freunde sind. Das ist doch etwas ganz anderes. Denkst du nicht, dass du deine Gefühle einfach nur falsch interpretierst und du mich eigentlich freundschaftlich liebst? Weil du eben noch nie richtig-« Will sie mich verarschen? Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit nun wirklich nicht.

»Ich interpretiere hier gar nichts falsch! Wären meine Gefühle für dich rein freundschaftlich, dann würde ich dich jetzt nicht am liebsten küssen wollen.«

Der Ausdruck in ihrem Gesicht veränderte sich. Sie schien entsetzt zu sein. Entsetzt und verzweifelt. »Bitte, Caitlyn. Bitte mach unsere jahrelange Freundschaft dadurch nicht kaputt.«
»Ich habe es die ganze Zeit versucht, Denice. Aber jetzt schaffe ich es nicht mehr. Ich werde Vellance verlassen und zwar ohne dich, da du mich offensichtlich nicht auf die gleiche Weise liebst.«

»Ja! Ich liebe dich auf eine bessere Art und Weise. Auf die Art, die keine Freundschaften zerstört, die einem nicht weinend in der Ecke mit einem gebrochenen Herzen zurücklässt.«
»Ich schätze wir sind uns einfach zu unterschiedlich, um eine ewige Freundschaft zu pflegen.«

»Sieht so aus.« In ihrer Stimme klang Wut mit, während ihr neue Tränen über die Wangen liefen. Bevor ich noch irgendetwas erwidern könnte, war sie bereits auf und davon – so wie ich es bald sein werde.

Kapitel 42

 

Was zum Teufel tat ich da nur? Erst jetzt schien mein Verstand langsam wieder an die Oberfläche zu gelangen. Das kann doch nicht mein Ernst sein! Schnell entzog ich mich aus Daniels Armen, obwohl sie sich eben noch so gut angefüllt hatten... Aber das ging einfach nicht. Eine Freundschaft zu ihm wäre schon heikel. Was wäre das hier bitte?

»Stopp! Was zur Hölle denkst du tust du da?«, herrschte ich ihn an.

Sein Gesicht färbte sich Schlag auf Schlag rot, fast schon tat er mir leid. Okay, lassen wir das fast mal weg. »Ehrlich? Eigentlich habe ich gar nicht wirklich nachgedacht.«

»Hättest du aber tun sollen. Das geht nämlich gar nicht.« Ich war unsicher, ob ich jetzt einfach den Raum verlassen oder doch noch hier bleiben sollte. Letztendlich blieb ich, auch wenn ich mich einige Meter von ihm entfernte. Ich brauchte einfach noch eine Erklärung für sein Verhalten.

»Warum geht es nicht? Ich habe doch mitbekommen wie du den Kuss erwidert hast. Erkläre es mir.« Dummerweise kam er jetzt wieder mit den Schritten auf mich zu, die ich eben absichtlich rückwärts gesetzt hatte.

»Ich muss es dir wirklich noch erklären? Echt jetzt? Und so jemand soll die Casses retten können?« Ups. Das war schon irgendwie fies. In Daniels Miene machte sich Traurigkeit breit. Schnell versuchte ich meine vorherigen Worte zu entschärfen. »Ich meine, du weißt doch wie es um uns steht. Wir sind persönliche Feinde-«

Daniel unterbrach mich: »Denkst du das weiß ich nicht? Aber wir wollten doch Freunde sein. Und wenn wir schon diese Richtung einschlagen, was wäre so schlimm wenn-«
»Was schlimm wäre? Lass mich überlegen! Ich habe einen Freund, Daniel. Einen, den ich über alles liebe. Einen, den ich sogar über alles lieben darf.«

Daniel wand sich von mir ab. Ich konnte merken, dass er in diesem Augenblick gekränkt war. »Ach so. Das wusste ich nicht.«

Er hatte sich an die Heizung gelehnt und starrte aus dem Fenster. Vermutlich dachte er nach... so wie ich gerade nachdachte. Konnten wir jetzt, nachdem dieser verwirrende Kuss zwischen uns geschehen ist, überhaupt da weitermachen wo wir aufgehört hatten? Zurück zu unserer nicht ganz legalen einfachen Freundschaft? Sicherlich nicht.

Meine Bedenken: Was würden wir dann sein, wenn keine Freunde mehr? Normale Vampire würden sich in dieser Situation wahrscheinlich bitterböse Blicke zuwerfen. Würden wir als geschworene Feinde dies auch machen, könnte das allerdings fatale Folgen haben. Die Angst darüber, dass Vellance am Ende tatsächlich ihren Krieg bekommen würden, stieg bei mir gerade bis ins Unermessliche.

Okay ruhig, Alea. Ihr habt euch nur geküsst und du hast dich darüber aufgeregt. Für Krieg müsste doch weit mehr nötig sein, oder?

Nach ein paar Minuten des stillen Anschweigens, drehte sich Daniel schließlich doch wieder zu mir um. »Kleiner Tipp für den nächsten Jungen, den du küsst. Bist du vergeben, dann solltest du den Kuss nicht erwidern. So könnten falsche Hoffnungen entstehen.«

Es war dann wohl offiziell. Ich hatte Bockmist angerichtet, sowohl gegenüber Daniel als auch bei meiner Familie und meinen Freunden. Was ist nur mit der Alea Reeves passiert, die ich kannte? Unschuldig, tat stets das richtige, nachdem sie die Sache noch zehntausend Mal überdacht hatte. Es gab sie definitiv nicht mehr.

»Ich... Ich mache alles kaputt. Nichts ist so wie es sollte. Das ist nicht deine Schuld. Es... Es tut mir Leid.« Und ohne mich noch einmal umzublicken oder auf Daniels Reaktion zu warten lief ich aus dem Zimmer.

Zwar hörte ich noch wie er mir etwas hinterher rief, was sich so ähnlich wie »Warte, Alea!« anhörte. Ich machte trotzdem keinen Halt, nicht mal als ich die Kneipe wieder erreicht hatte. Erst die irritierenden Blicke der Casses-Gäste ließen mich erkennen, dass mir gerade Tränen über die Wangen rannten.

Es war mir egal. Sollten sie doch sonst was über mich denken. Die alte Alea wäre jetzt tiefrot angelaufen, doch sie ist von uns gegangen. Ich bahnte mir den Weg entlang der Theke vorbei, wo ich von Jareds Augen durchbohrt wurde. Einfach weiter, Alea. Der Ausgang war bereits in Sicht.

Als meine Hand auf der Türklinke lag, riss ich die Tür mit Schwung auf. Ich blickte nicht zurück, stürmte einfach nach draußen. Meine Tränen wollten einfach nicht aufhören zu laufen. Vermutlich stimmte es, das man nicht leichtfertig in eine Kneipe gehen kann, ohne anschließend leicht fertig wieder heraus zu kommen. Dazu war nicht mal Alkohol nötig.

Wo sollte ich jetzt nur hin? Zurück zum Schloss, wo alle auf Prinzessin Alea warteten? Vorhin bin ich noch von diesem Ort geflohen, aber was blieb mir anderes übrig? Natürlich könnte ich auch erst wieder aufkreuzten, wenn diese dämliche Party ein Ende gefunden hatte. In der Zwischenzeit gab es hier in der Unterwelt sicher gute Möglichkeiten unterzutauchen.

Somit schlenderte ich noch eine Weile planlos durch die Gegend. Ich suchte mir die dunkelste aller dunklen Gassen und atmete einfach die frische Luft ein. Bis ich schließlich an der Mauer gelehnt eine dunkle Gestalt erblickte. Irgendwie hatte ich ja schon Angst, dass das ein Krimineller sein könnte, aber in dieser Haltung sah die Person eher hilfebedürftig als gefährlich aus.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, vorsichtig näherte ich mich der Gestalt. Schwarze kurze Haare sprangen mir entgegen. Ihr Gesicht war so verdreckt, dass ich nicht mal sagen könnte, ob das hier ein Mädchen oder Junge war.

Überrascht sah mich der Jemand an. »Kannst du nicht. Aber was verschlägt dich zu solch später Stunde hierher?«
»Ich bin auf dem Weg Nachhause«, log ich.
»Und warum trägst du Feences-Kleider?« Irgendwie hatte ich nicht das Bedürfnis mitzuteilen, dass ich eine war. Die Person vor mir war definitiv eine Casses. Und was für eine! Ich hätte nicht gedacht, dass manche Casses es sogar noch schlechter haben könnten. Casses hassten Feences ja für gewöhnlich.

Deshalb antwortete ich: »Ist geklaut. Habe mich auf eine Feences-Party geschlichen.«
»Schön für dich.« Der Blick sank wieder zu Boden. Man konnte die Hände ziemlich stark zittern sehen.

»Du frierst ja ganz schön.« Vom Mitleid getrieben setzte ich mich direkt neben dem Vampir.
»Nimm meine Jacke. Ich brauche sie nicht so sehr wie du, wenn ich eh gleich Zuhause bin.«
»Du gibst mir deine Jacke?« Die Ungläubigkeit war deutlich rauszuhören. Klar, Casses würden das vermutlich nie machen. Doch das konnte ich mir einfach nicht länger mit ansehen.

»Ich bekomme eh bald eine Neue. Ich bin übrigens Jenny und du?«, fragte ich. Vermutlich wäre es besser, wenn ich ihr meinen echten Namen nicht nannte. Wenn der Name Alea Reeves bald sogar in diese Bereiche von Vellance vordringen würde… Daran wollte ich gar nicht denken.
»Kayla. Du bist ziemlich merkwürdig, weißt du das?«

»Ja, das habe ich schon öfter gehört.«
»Was willst du von mir?«, fragte mich Kayla, die mich vermutlich gerade selbst für einen komischen Kriminellen hielt.
»Nichts. Ich finde es nur ziemlich eigenartig, was ein junges Mädchen wie du hier auf der Straße macht. Wo ist denn dein Zuhause?«

»Eigenartig? Warum eigenartig? Das hier ist mein Zuhause. Meine Familie kann sich kein richtiges Haus leisten. So ist das eben. Ist ja nicht so als wäre meine Familie mit diesem Problem allein. Aber vermutlich solltest du jetzt gehen. Mein Vater kommt bald zurück und wenn er getrunken hat, dann kann er ziemlich unausstehlich werden. Und nochmal danke für die Jacke. Auch wenn ich immer noch nicht ganz verstehe, warum du das getan hast.«

Kein Haus? Wie ging das denn? So entfernt habe ich ja schon mitbekommen, dass es die Casses nicht ganz so gut wie wir haben. Aber das ist ihre eigene Schuld, wurde mir immer eingetrichtert. Aber Kayla hier wirkte ziemlich unschuldig. Das hatte sie nicht verdient. Und ich lebte in einem riesigen Palast, wo hunderte von Kaylas Sorte Platz hätten. Man, wie ich das alles hasste…

Kapitel 43

 

[erzählt von Maxwell Reeves]

Da war sie auch nicht. Wo zur Hölle steckte Alea denn nur? Es konnte doch wohl nicht so schwer sein den Gastgeber auf seiner eigenen Party zu finden. Obwohl, vermutlich wollte sie einfach nicht gefunden werden. Es war schon immer so bei uns gewesen. Wollte Alea mich nicht sehen, dann bekam ich sie auch nicht zu Gesicht.

Aber das hier war doch was anderes. Dieses Versteckspiel konnte sie doch nicht auf solch einer wichtigen Veranstaltung bringen und würde sie auch nicht - so gut kannte er Alea dann doch. Im Mittelpunkt stehen hatte sie schon immer geliebt. Aber hier, zwischen all den Vampiren, war sie nirgends zu entdecken.

Dann hat sie sich wohl doch irgendwo zurückgezogen, sagte meine innere Stimme. Diese Möglichkeit war mir schon öfter durch den Kopf gegangen, nur konnte ich es mir einfach nicht vorstellen. Klar, das mit Justine muss ein Schock für sie gewesen sein. Aber keinesfalls ein so großer, dass sie dafür ihre eigene Party verpassen würde.

Da mir aber allmählich die Möglichkeiten ausgingen, machte ich mich dann doch auf den Weg nach oben. Also... Mal überlegen. Wo könnte sie sein? Das Naheliegende wäre wohl ihr Zimmer. Deshalb schlug ich oben angekommen den Weg rechts runter ein. Aleas Zimmer befand sich direkt gegenüber von meinem.

Ich weiß, es war dumm von mir anzuklopfen. Selbst wenn sie da gewesen wäre, hätte sie mir nicht geantwortet. Trotz alledem öffnete ich die Zimmertür, nur um Sekunden später festzustellen, dass es leer war. Wenn man aber mal richtig drüber nachdachte, Aleas Zimmer war riesig. Damals als kleines Kind hatte sie sich auch immer vor mir versteckt. Eigentlich sollte man meinen, dass sie aus dem Alter raus war, aber man konnte sich ja nie sicher sein.

Ich suchte überall: Unter ihrer Rutsche, die vom Hochbett weg führte... Am Ende kam ich sogar auf die blendende Idee in ihrem Kleiderschrank nachzuschauen. Aber hey, gar nicht mal so die schlechte Idee von mir, immerhin war der so gigantisch, dass die schmale Alea da locker rein passte.

Mit einem Ruck zog ich die Kleiderbügel beiseite. Nichts. Fast hätte ich den Schrank auch wieder geschlossen, hätte sich der Schlag des Bügels gegen das Holz nicht so hohl angehört. War da etwa noch etwas hinter? Hätte ich ganz großes Glück, dann wäre da jetzt ein zweiter Raum hinter, wo sich Alea versteckt. Allerdings ging ich da jetzt nicht von aus.

Vorsichtig drückte ich gegen das Holz - und tatsächlich, es löste sich. Aber anders als erhofft verbarg sich dort kein zweites Zimmer zum Verstecken, sondern lediglich ein Regal auf dem ein kleiner Beutel stand. Ein kleiner Beutel hinter einer geheimen Wand? Was zum Teufel versteckte Alea nur darin? Ich weiß, mein Plan war es Aleas Vertrauen zu gewinnen und Frieden zu schließen. In ihren Sachen rumzuschnüffeln war da sicherlich kein Schuss in die richtige Richtung.

Andererseits hatte ich Aleas Heimlichtuerei allmählich satt. Außerdem war sie bekanntlich nicht hier, um hätte dahinter zu kommen.

Bevor ich mein Vorhaben noch mal überdenken konnte, zog ich die Schnüre des Beutels vorsichtig auf, um freien Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Und...

Steine? Aleas gut bewahrtes Geheimnis waren Steine? Lachend wollte ich den Beutel wieder zu ziehen, doch in letzter Sekunde entschied ich mich dagegen. Irgendwas muss doch mit diesen an sich gewöhnlich aussehenden Steinen sein, dass Alea so gut verschlossen hatte. Außerdem waren es nicht gerade wenige, die zudem noch alle gleich aussahen. Dass sie sie einfach nur gesammelt hatte, konnte ich deshalb ausschließen.

Neugierig holte ich einen der braunen Steine aus dem Sack. Sie waren rund und liefen am Ende spitz zu. Sie waren nicht mal besonders schön. Als ich ihn dann aber in meiner Faust umschlossen hatte, wurde es mir klar: Das waren die mächtigen Steine, die den Casses ihre Existenz sicherten. Nur ihre Magie wäre in der Lage sie zu zerstören. Und Aleas. Weil sie die einzige Feences ist, die Casses-Magie ausüben konnte.

Jetzt ergab alles einen Sinn! Das hatten Alea und Königin Lorena geplant. Alea sollte mit ihrer Magie die Casses also tatsächlich komplett auslöschen. Aber warum hatte sie das noch nicht getan? Fehlten ihr noch Steine? Schwer vorzustellen bei dieser enormen Menge.

Im nächsten Moment wurde mir dann auch klar, was dieser spezielle Stein konnte. Er würde den Casses zu einem größeren Reichtum verhelfen, als es sich die Feences je erträumen können. Automatisch musste ich schlucken. Wie schlimm es wäre, wenn das wirklich passieren würde. Zum Glück schien es nicht so leicht zu sein die Kraft des Steines zu aktivieren, sonst hätten die Casses das sicherlich schon längst gemacht.

Was die restlichen Steine wohl alles bewirken könnten? Neugierig nahm ich einen nach dem anderen in meine Hand, um dies herauszufinden. Von Gesundheit bis Krankheit war alles dabei. Aber nichts, was mich sonderlich interessierte. Diese Steine würden eh nie aktiviert werden. Vor allem nicht dann, wenn sie nicht länger im Besitz der Casses waren.

Doch mein Desinteresse änderte sich schlagartig, als ich einen Stein in meinen Händen hielt, der Casses in Feences verwandeln konnte. Sofort musste ich an ihn denken. Der Casses, der an allem Schuld war, was in meinem Leben schief gelaufen ist. Er verdiente es eine Feences zu werden, wenn alle Casses tot waren. Verdiente es, dann mutterseelenallein zu sein. Denn als Ex-Casses wäre er dann bei den anderen Feences sicher alles andere als angesehen.

Nur die Frage aller Fragen: Wie aktivierte man diese Steine? Ob Alea es weiß? Vermutlich nicht. Dafür ist sie einfach noch zu jung. Bis vor kurzem wusste sie nicht mal über die Existenz von Casses Bescheid. Aber er könnte es wissen, der Casses. Nur würde er es mir nie sagen.

Außer... Ich ging zu ihm und tat so als wüsste ich bereits wie man diesen Stein aktivierte. Vielleicht, wenn ich Glück hatte, würde er dann seine Zunge lockern.

Oder ich sprach Alea auf diese ganze Sache an. Selbst wenn sie es nicht wüsste, vielleicht könnten wir es gemeinsam herauszufinden, was uns dann sicherlich auch zusammenschweißen könnte. Und das ist es doch was ich eigentlich wollte.

Trotzdem konnte ich nicht diese warnende Stimme in mir ignorieren, die mich ständig daran erinnern wollte, dass Alea dann bestimmt wissen wollte, woher ich überhaupt von den Steinen wusste. Hilfe! Das alles stieg mir langsam aber sicher über den Kopf. Gekommen war ich um mit Alea das mit Justine und mir zu klären. Nicht nur, dass sich das noch nicht geregelt hatte. Neue Probleme mussten natürlich auch noch dazu kommen.

Schnell verriegelte ich die Steine wieder hinter der Wand. Das letzte was ich jetzt noch gebrauchen konnte wäre, dass Alea mich beim Rumschnüffeln auf frische Tat ertappte.

Kapitel 44

 

~VOR 2 JAHREN~

 

Dass Caitlyn einfach die Stadt verlassen hatte, konnte ich noch nicht glauben. Zum Glück hatte ich Daniel noch überreden können die Sache zwischen uns zurückzuschrauben. Damit wollte ich mich jetzt nicht auch noch beschäftigen.

Was zurzeit mein aktuelles Problem war: Jaydens Skepsis bezüglich den Casses. Ich hatte ihn nun schließlich einmal zu dem Ort mitgenommen, wo ich mich immer aufhielt. Sprich: Wir standen gerade vor Jareds Bar. Natürlich würde ich es nie so weit kommen lassen, dass er auch noch mit rein kam.

»Ich verstehe es immer noch nicht ganz. An diesem heruntergekommenen Ort hältst du dich auf? Und du gehst da tatsächlich rein und sprichst mit denen?«

»Natürlich tue ich das. Ich kann sie nur vernichten, wenn sie mir vertrauen. In gewisser Weise ist das sogar einfacher als ich erwartet hatte. Dieser eine Casses, den ich vernichten soll, der ist so naiv. Der würde fast alles für mich tun«, meinte ich lachend zu Jayden. Ein Teil seiner Skepsis schien dahin zu schmelzen. Tja. Wäre ich keine Weltretterin geworden, dann vermutlich Schauspielerin.

Bumps. Was zur Hölle war das denn? Hörte sich fast wie eine Tür an, die zugeschmettert wurde. Verdammt. Was ist mir entgangen? Stand da gerade etwa jemand, während ich mich mit Jayden unterhalten hatte? Ich ahnte Böses.

Ohne lange darüber nachzudenken, folgte ich dem Flüchtling in die Bar. Jayden rief mir noch hinterher: »Was hast du vor?«

»Das musst du noch Fragen? Wer immer das gerade war, kennt die Wahrheit. Er wird sicher nicht zögern den anderen Casses davon zu erzählen.« Doch das konnte kein gewöhnlicher Casses gewesen sein, der Mal eben in der Bar einen trinken war. Den Hintereingang durften nur die Besitzer benutzen: Jared oder Daniel. In beiden Fällen mehr als katastrophal für mich.

Ich stolperte in den Flur und setzte meine Schritte direkt in den Wohnbereich. Ich konnte mir einfach eher vorstellen, dass ich hier fündig wurde als in der Bar.

In der Küche fand ich dann Daniel vor, der gerade vor dem Kühlschrank stand und was zum Essen suchte. Allerdings erblickten sowohl er als ich dort nur eine Flasche Bier und... keine Ahnung. Waren das irgendwelche Kräuter? Jedenfalls nichts, was satt machte. Wütend knallte er daraufhin den Kühlschrank wieder zu.

»Du hast uns belauscht, oder?«
Er schaute mir jetzt direkt in die Augen. In ihren lag ein Hass, den ich bislang nur von unserer ersten Begegnung kannte. »Belauscht?! Oh nein. Du drehst das jetzt nicht so als müsste ich mich hier für was entschuldigen. Ich habe dich lediglich durch das Fenster entdeckt. Konnte ja nicht ahnen, dass du in Begleitung warst.«

»Hör zu, Daniel. Ich musste all das sagen.«
»So wie du diese Worte jetzt zu mir sagen musst, damit du gewinnen kannst? Es wäre schön, wenn du mir einmal die Wahrheit sagen könntest. So schnell wie wir uns angefreundet haben... Das muss doch Teil deines Plans gewesen sein! Du hast mein Glauben an das Gute in jedem Vampir ausgenutzt. Aber du bist nun mal eine Feences und die können nie gut sein! Ist es nicht so?«

Ich schluckte. Wollte er jetzt ernsthaft die Feences als die Bösen darstellen? »Schön. Ich gebe es zu. Es war anfangs ein brillanter Plan für mich gewesen, ist es noch.« Bei meinen Worten trat er wütend gegen den Tisch.

Ich ignorierte seine Aggressionen und fuhr fort: »Kannst du mir das verübeln? Ich wollte mich selbst schützen. Aber... Warte!«, als Daniel einfach so ohne Worte verschwinden wollte, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Das hatte gerade alles versaut! »Es ist die Wahrheit wenn ich jetzt sage, dass du mich in letzter Zeit besser als jeder anderer verstanden hast. Ich will nicht diese große Verantwortung tragen müssen... als Vampirprinzessin.«

»Du bist achtzehn Jahre alt! Werde erwachsen. Aber egal. Das spielt sowieso alles keine Rolle, weil ich dir auch nur was vorgemacht habe, um dich leichter besiegen zu können. Wen machen wir was vor? Das Beste wäre wenn wir uns langsam einfach auf den bevorstehenden Kampf vorbereiten.«

»Aber ich will keinen Kampf!«, versuchte ich ihm verzweifelt zu erklären.
»Richtig. Du willst am liebsten, dass wir Casses gleich alle auf einmal vernichtet werden. Und dann sollt ihr auch noch die Guten sein!«

Mit diesen Worten verschwand er, zurück in die Bar. Er hatte Recht. Die gesamten Casses zu töten, konnte doch nicht richtig sein. Aber man erwartete dies von mir. Tief drinnen wusste ich, dass alles erst ein Ende nehmen würde, wenn ich meine Aufgabe erledigt hatte. Also, ja. Das wäre mir am liebsten. Kein Kampf, alle Casses einfach tot. Das machte mich zu einem schlechten Vampir, ich weiß. Aber die gesamte Vampirbevölkerung in Vellance war doch schlecht. Dieser ständige Krieg... Ich musste ihn beenden, da hatte Lorena Recht.

Die Steine. Ich musste sie endlich vernichten. Unkontrolliert ließ ich meine Beine mich einfach aus diesen schrecklichen Ort tragen. Ich hatte keine Ahnung wohin. Einfach nur weg.

Gerade hatte ich die Freiheit erreicht, dort wo Jayden noch ganz geduldig auf mich wartete. Da hörte ich eine Stimme hinter mir: »Was ist passiert?« Jared stand dort, wirkte wirklich besorgt. Der sollte doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst! Bald würde er eh tot sein, wegen mir.
»Mein Sohn war schon oft schlecht gelaunt, auf die unterschiedlichsten Arten. Aber so aufgelöst habe ich ihn noch nie gesehen.«

Ein Teil von mir hatte gewusst, dass er all diese Worte nur genutzt hatte, weil er verletzt war. Aber der andere Teil wollte es nicht glauben, weil ein böser Daniel für alle Beteiligten einfacher wäre.

Es war wieder nur meine Schuld. Ich hatte alles falsch gemacht, alles verdorben. Und das war der Moment, indem meine Stärke mich nicht mehr halten konnte. Ich fiel in mir zusammen. Zwar nicht körperlich, aber geistig.

»Ich... Das ist alles meine Schuld! Anfangs... Da war es ja wirklich einfach nur ein... ein dummer Plan. Ich hätte ja nicht wissen können, dass ich wirklich... wirklich anfange ihn zu mögen. Jetzt ist alles zu spät... Und was soll ich jetzt tun? Ich weiß nicht... Wie soll es weitergehen? Wir müssen uns töten, aber ich-« Ich brach ab, weil mein Schluchzen zu stark wurde. Ich war offiziell am Boden angelangt.

Vor lauter Tränen nahm ich erst im letzten Moment war, dass mich starke Hände in den Arm hielten. Sie gaben mir tatsächlich etwas Halt und ich fühlte mich nicht mehr ganz so verloren. Die kalten Tränen liefen aber weiterhin über meine Wangen.

Als meine verschwommene Sicht langsam wieder klarer wurde, entzog ich mich der Umarmung. Die restlichen Tränen blinzelte ich beiseite. »Warum tun Sie das? Hassen Sie mich nicht?«

»Naja. Ich war der einzige Vampir in der Nähe, der das machen könnte. Und du hast das dringend gebraucht. Ich rede da aus Erfahrung.«
»Danke.«

Kapitel 45

 

Was war das gerade bitteschön gewesen? Hatte Jared, Daniels Idiot von Vater, gerade so etwas wie Mitgefühl gezeigt? Mein Gehirn fühlte sich an wie eine einzige Matschepampe. Was sollte ich von der Aktion nur halten? Einfach gar nicht mehr darüber nachdenken. Endlich hatte ich meinen Weg aus dieser verfluchten Bar gefunden. Ein freier Kopf stand mir mehr als zu.

Vor der Tür wartete Jayden immer noch auf mich. In seiner Miene spiegelte sich Besorgnis wieder. »Was ist passiert? Wo warst du so lange?«
»Uns hatte jemand belauscht und darum habe ich mich gekümmert.«

Jayden zog skeptisch die Augenbraue hoch. »Gekümmert?«
»Du weißt schon... Gedroht was passiert, wenn er mich verraten würde. Ich denke, er hat verstanden und wir brauchen uns keine Sorgen mehr machen. Danke, dass du hier draußen gewartet hast.« Die meisten anderen Vampire wären mir vermutlich neugierig gefolgt.

»Keine Ursache.« Jayden war so ein lieber Freund ... Ich verdiente seine Liebe gar nicht. Deshalb war er bislang auch der einzige, der von meinem näheren Kontakt zu den Casses wusste. Er verurteilte mich nicht. Ali und Max wussten zwar auch davon, aber nicht, was ich genau anstellte, um am Ende die Casses zu besiegen ... Und Lorena natürlich, aber sie zählte ich als selbstverständlich.

»Geht es dir gut? Du siehst so fertig aus.« Und er bemerkte sofort, wenn etwas nicht stimmte. Verdammt.
»Vermutlich sollte ich mich gleich einfach schlafen legen.« Genau, das wird es sein. Weil ich vorher ja auch schon so müde gewesen war - Ironieschalter wieder aus.

Zwar schien er mir das noch nicht so ganz abzukaufen, aber anschließend schwangen wir uns trotzdem in die Lüfte. Der frische Wind um mich entspannte etwas, machte den Kopf frei. Als Fledermaus musste man einfach nicht so viel denken wie als Vampir. Das kostete ich erstmal aus.

Problematisch wurde es nur, als wir Jaydens Haus erreicht hatten. Um mich von ihm zu verabschieden, musste ich zwangsläufig wieder Vampir werden. Da wurde es mir Schlag auf Schlag klar: Daniel und ich würden nie mehr diese Gespräche führen. Die Gespräche, die ich nur mit ihm führen konnte. Klar, dass er mich jetzt hasste und bekämpfen wollte war auch unschön, unproduktiv für meinen Plan. Allerdings musste ich feststellen, dass das nur halb so schlimm war, als ihn nie wieder auf diese Weise zu treffen.

Diese Weise, die ich eigentlich immer verhindern wollte, denn sie könnte mich im Kampf schwach machen. Aber jetzt so mir klar wurde, dass das was immer da zwischen Daniel und mir war, gelaufen war, konnte ich es nicht mehr leugnen. Ich brauchte ihn, ich mochte ihn... Ich könnte ihm nie etwas antun. Tja. Ziemlich großes Problem, wenn er genau das mit mir vorhatte.

»Alea? Was genau ist bei den Casses passiert?« Dieses Mitgefühl in seiner Stimme... Er würde ganz bestimmt nicht lockerlassen. Warum musste er mich auch so gut kennen?

»Äh... ja. Möglich, dass meine Tarnung aufgeflogen ist. Krieg, so wie ihn alle wollen, lässt sich wohl nicht mehr vermeiden.«
Daraufhin zog er mich fest an sich. Der Duft seiner Haare beruhigte mich ein wenig, weil er mir so vertraut war. »Egal, Alea. Auch wenn du den Vertrauensbonus nicht mehr hast, bist du trotzdem stärker als die.«

Es stimmte, bei Jayden fühlte ich mich geborgen, aber er würde mich nie wirklich verstehen können. Unbehaglich löste ich mich von ihm. Wie jeder in Vellance würde er nicht mit der Wimper zucken, um den Feind zu vernichten. »Ich sollte jetzt gehen, Jayden.« Doch er ließ mich nicht gehen ohne mich vorher noch einmal zärtlich zu küssen.

Oh. Oh. Dieser Kuss, er fühlte sich mit einmal so anders an als unsere üblichen. Technisch gesehen jetzt nicht. Jayden wusste immer noch was er tat. Doch das Kribbeln in meinem Bauch war erloschen. Aber warum? Doch bitte nicht, wegen seinem Hass gegen die Casses. Das ist doch was ganz Normales!

Auch Jayden schien zu spüren, dass ich seinen Kuss nicht wie üblich erwiderte. Doch schien er dafür den falschen Grund zu finden: »Okay. Flieg jetzt nach Hause und mach deinen Kopf frei. Du wirst das schon packen.«

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Fliegen bedeutete endlich wieder einen freien Kopf zu besitzen.

~~~~~~~~~~

»Ali! Wir müssen üben, dringend. Für diesen Kampf muss ich mich vorbereiten.« Mein Handy in der einen Hand, den Löffel für meine Eiscreme in der anderen (ja, das brauchte meine Psyche jetzt einfach) lag ich auf meinem Bett und telefonierte mit meiner besten Freundin. Mit der anderen wollte und konnte ich darüber eh nicht reden. Die hatte ja jetzt eh meinen bescheuerten Bruder.

»Ach? Jetzt auf einmal? Woher der Sinneswandel?«
»Einfach so. Vorbereitung kann nie schaden.«
»Dann brauchst du einen richtig guten Privatlehrer. Soll ich das Internet mal durchsuchen?«
»Wenn du möchtest. Ich kann ja später auch noch mal nachschauen. Gleich wollen wir erst essen.«

Eine kurze Pause entstand. »Ali?! Noch da?«
»Hm? Ja. Ich sehe nur gerade wie viel der Spaß kostet. Aber das Königsschloss hat das Geld sicher über, oder?«

Ich zuckte mit den Schultern, obwohl Ali das natürlich nicht sehen konnte. »Manche machen das ja vielleicht auch freiwillig, wenn sie den Grund erfahren und somit einen Teil zu Vellances Rettung beitragen können.«

Rums.

Ach du Scheiße! Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf. Was zur Hölle war das denn? Selbst Ali schien es durchs Telefon gehört zu haben, so laut hatte es wiedergehallt. »Welche Bombe ist denn bei dir eingeschlagen?« Sie sagte es scherzhaft, weil sie einfach vermutete, dass ich in meinem Zimmer etwas umgeschmissen hatte.

Da dies nicht der Fall war, murmelte ich ins Handy: »Ich weiß es nicht. Ich muss Schluss machen und informiere dich hinterher.« Eilig schlug ich die Zimmertür auf und rannte nach unten. Jetzt war klar, dass irgendwas Schlimmes passiert sein musste. Ich konnte Dana schreien hören.

»Dana?!«, verzweifelt rief ich ihren Namen und sprang drei Stufen gleichzeitig nach unten. Unten angekommen realisierte ich, dass jemand versuchte die Mauern von außen zu zertrümmern. Wo waren denn bitte die Wachen, die so etwas verhindern sollten?

Ohne lange zu überlegen sprintete ich durch die Eingangstür. Warum stoppte das denn niemand? Ich würde es, ohne Frage.

Im Vorhof unseres Schlosses fielen mir sofort die Wachen auf, die ausgeknockt auf dem Boden lagen. Was? War das da etwa... Lorena? Was zur Hölle konnte die mächtige Lorena bitte außer Gefecht setzen? Okay, ich war geliefert. Gegen so etwas hatte ich keine Chance.

Steinkugeln, Maßen an Steinkugeln, brachten die Wand des Schlosses bereits zum Bröckeln. Sie wurden von einem Vampir angetrieben, der vor Energie nur so glühte. »Aufhören!«, schrie ich verzweifelt, auch wenn das sicher nichts bringen würde und ich die Nächste wäre, die auf dem Boden lag.

Anscheinend lag ich mit meiner Vermutung abgrundtief daneben. Es kam viel schlimmer. Der Angreifer drehte sich zu mir um und offenbarte sein Gesicht.

Ich hatte immer darüber schmunzeln müssen, dass jemand wie Daniel mein persönlicher Feind sein sollte. Doch jetzt änderte ich meine Meinung. Wir Feences waren so was von geliefert.

Kapitel 46

 

»Wurde aber auch Zeit. Ich dachte schon Vellances große Vampirprinzessin würde sich drücken.« Seine Worte schmerzten. Er wusste genau, dass ich mich nicht als solche bezeichnen wollte... nur er wusste das. Scheint, als hätte ich alles zerstört.

»Hör bitte auf das Schloss zu zerstören. Ich werde dann auch mit dir kämpfen«, flehte ich.
»Das trifft sich gut. Deshalb bin ich auch nur hier.« Er grinste mich hämisch an, woraufhin mir einen Schauder über den Rücken lief. Er wirkte auf mich plötzlich wie ein komplett anderer Mensch.

Für einen kurzen Augenblick spielte ich mit den Gedanken einfach meine Augen zu schließen und zu warten, dass es vorbei war. Aber was sagte das über mich aus? Schwäche, möglicherweise war ich schwach. Dennoch würde ich mein Bestes geben, auch wenn es nicht genug war.

Seine Feuerkugel rollte auf mich zu, die ich aber zu meiner Verwunderung perfekt gelöscht bekam. Doch als ich das tat, geschah etwas total Seltsames. Sowohl Daniels Casses Magie als auch meine Feences Magie schnürte sich irgendwie ineinander und leuchtete grell auf.

Wir zuckten beide zurück, da das etwas war, was nicht normal sein könnte. »Was tust du da?«, fauchte Daniel mich an.
»Gar nichts! Was tust du?« Schließlich hatte er mich angegriffen.

Plötzlich kam mir ein Gedanke: »Vielleicht liegt es daran, dass die Magie von uns beide Magieformen anwenden kann. Wozu immer das auch führen mag.«
»Dann finden wir es heraus.« Und ehe ich mich versah, schickte er die nächsten Feuerbälle auf mich los.

Ich bildete um mich herum eine große Wand aus Wasser, die das Feuer nicht an mich heran ließ. Im nächsten Augenblick umschlang sich das Wasser mit dem Feuer, auch wenn sie nicht mehr nach diesen Elementen aussahen. Sowohl Feuer als auch Wasser leuchtete wieder auf, nur stoppten wir dieses Mal kein Stück. In Ansammlung an Licht wurde immer gewaltiger, sodass sich in der Mitte eine große Lichtkugel bildete.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt hörte sie auf zu wachsen, was das Licht schwarz werden ließ. Meine erhobene Hand wurde mit einmal unglaublich schwer, so dass sie weg knickte. Die riesen Kugel konnte nun ungehindert auf mich zu rollen, um mich in Finsternis einzuhüllen. Das letzte was ich wahrnahm, waren Daniels Augen, die mich wie hypnotisiert musterten.

~~~~~~~~~~

[erzählt von Daniel Wyler]

 Rache, Wut, auf all das musste ich mich jetzt fokussieren. Würde ich das nicht, dann würde ich zwangsläufig mit Verzweiflung und Traurigkeit konfrontiert werden. Das konnte ich jetzt noch viel weniger gebrauchen, wo ich doch ganz klar der Schwächere von uns beiden war. Weil ich so naiv gewesen bin und Vertrauen zugelassen hatte.

Aber jetzt nicht mehr. Ich hatte aus meinen Fehlern gelernt. Zwar war da noch dieser Teil in mir, der Alea am liebsten glauben würde, wenn sie behauptete, dass sie jetzt anders zu der Sache stand. Doch wer garantierte mir, dass das nicht auch wieder eine bittere Lüge war? Denn eins wusste ich mit Sicherheit: Als ich beabsichtigte mich tatsächlich mit Alea anzufreunden, spielte sie mir nur was vor. Das Fundament unserer Freundschaft ist eh zerstört.

War es davor zugegebenermaßen auch schon, nur nicht so schwerwiegend. Die Tatsache, dass mir immer ganz schwummerig wurde, wenn ich in ihrer Nähe war, hätte ich einfach verdrängen können, wenn dafür der Kontakt zwischen uns weiter bestehen könnte.

Aber allein diese Gedankengänge bewiesen doch, was für ein Idiot ich war. Alea ist der Feind schlechthin! Schlimmer noch als jeder andere der Feences, da es ihre Aufgabe war uns zu vernichten. Und meine.

Und meine! Auch wenn ich nicht etwa der Prinz der Casses war (mit solch einem Schwachsinn hielten wir uns gar nicht auf), bauten die Casses alle auf mich. Meine Freunde, meine Familie, die ich selbstverständlich nicht enttäuschen konnte... wie Alea nicht ihre.

Entschlossen, dass ich das wirklich machen wollte, feuerte ich nur noch mehr Casses Magie in Aleas Richtung. Ja, das war definitiv richtig. Als die Kugel irgendwann schwarz statt weiß war, war alles schwarz.

Die Ausnahme bildeten die schwachen Umrisse von Aleas Gesicht. Es wirkte bedrückt, so lange bis die schwarze Kugel sie über den Haufen rollte. Und da wusste ich es: Von dem Moment an gab es keine Hoffnung mehr, Alea ist tot.

Die Sicht klarte sich auf und die Kugel rollte erneut. Ob das eben nur eine Art Vorwarnung gewesen ist? Klar war, würde ich diese Kugel jetzt nicht bremsen, dann würde diese Vision wahr werden.

Was wäre eigentlich so schlimm daran? Dann hätte all das endlich ein Ende und die Casses wären nicht länger in Gefahr.

Doch dann wurde mir bewusst, dass Alea es auch einfach hätte beenden können. Dank meiner bescheuerten Leichtgläubigkeit hatte ich ihr die Steine gegeben. Spätestens da hätte ich es doch eigentlich ahnen sollen. Wie dumm ich damals war!

Aber wir lebten alle noch. Sie hatte sie nicht zerstört. Warum auch immer. Es wäre nicht fair, wenn ich sie jetzt sterben lassen würde.

Also bremste ich die Kugel im letzten Moment. Zwar knockte sie Alea dennoch aus, aber aufgrund ihres Tempos dürfte sie das überlebt haben.

Nennt mich schwach, aber ich werde meine Aufgabe wohl nie erfüllen können. Nicht nur wegen Alea, einfach auch weil ich nicht so viele Vampire in den Tod reißen konnte, selbst wenn sie Feences waren. Die Casses würden diesen Krieg wohl verlieren.

Warum soll ich überhaupt dafür ausgewählt sein? Der Stein, den mein Vater eingesetzt hatte, musste sich geirrt haben. Jeder hätte diese Aufgabe besser erfüllt als ich. Alea würde sicher keine Scheu haben uns alle zu vernichten. Deshalb stellte sie ja auch diese Gefahr für uns da. Und nur ich konnte sie aufhalten? Wohl kaum.

In Zukunft würde ich ihr einfach aus dem Weg gehen. Sollte sie doch das machen, was sie für richtig hielt. Nicht mit mir.

Ohne zu zögern entfernte ich mich vom Schloss und ließ Alea hinter mir. Endgültig. Jedes Mal wenn ich sie sah, würde sie mich nur daran erinnern, was für ein Versager ich war. Besser ich machte einen klaren Abschnitt und beendete dieses Kapitel meines Lebens.

Wir brauchten keinen bescheuerten Kampf, davon war nicht mal in der Zukunftsvision die Rede gewesen. Wenn sie uns vernichten möchte, dann muss sie lediglich die Steine in ihren Händen zerquetschen. Die Steine, die ich ihr beschafft hatte. Also bitte, Zukunft. Jetzt sag mir mal, wie ich die Gefahr entschärfen kann, wenn ich sie erst verursacht habe?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die das Übernatürliche einfach lieben :)

Nächste Seite
Seite 1 /