Sein Rücken brannte, das Kabel zischte wieder durch die Luft. Soo knurrte, doch das würde ihm nichts bringen, solange seine Hände in Eisenklammern steckten.
Der helle, ziehende Schmerz klatschte auf seine wunde Haut. Er biss sich auf die Lippen, bis seine Fangzähne Löcher hineinbohrten. Der Mistkerl würde keinen weiteren Laut von ihm hören.
„Schnapp noch einmal nach meinen Bein, Flohpelz, und du bist dran.“
Die Stimme des Mannes klang nach Gewittergrollen über der Ödnis. In derselben Tonlage hatte er mit den Nomaden um Soo gefeilscht. Sie hatten ihn behandelt wie ein Tier. Weil er noch ein Fell trug. Weil seine Ohren zuckten. Aber er war kein Tier, sondern ein Viku-Krieger.
Soo träumte sich in die Steppe zu seinem Rudel. Warum hatte er Wahrik verlassen? Das war ein Fehler gewesen. Der Kriegsherr war zwar auch ein Mensch, aber gedemütigt hatte er ihn nie. Wahrik war stolz auf sein Viku-Rudel. Er hatte es selbst gezüchtet.
Verdammte Neugierde. Dreimal verdammter Trotz. Nur um sich zu beweisen. Nur um ein Revier zu vergrößern, das nicht seines war. Wie ein Welpe war er den Nomaden in die Falle getappt.
Er musste sich befreien. Musste von diesem elenden Pfosten weg. Musste die Metallfesseln loswerden und vor allem musste er den Mann töten, der sie ihm umgelegt hatte. Boris war sein Name. Soo würde ihn erst dann vergessen, wenn er mit leerem Blick vor ihm lag.
Und dem Kerl, der mit zwei widerlich geifernden Hunden neben ihm stand, musste er auch an die Kehle gehen. Soo sah sie nicht. Seine Augen waren verklebt. Aber er roch sie.
Die Männer redeten über einen Zwinger. Über Kämpfe. Nur zu. Er besiegte jeden Gegner, wenn er erst wieder sehen konnte.
„Ist mickrig für einen Viku“, sagte der Mann neben Boris. „Ich gebe dir zweihundert Kredite für ihn. Dafür kriegst du ihn heute nicht mehr los.“
„Dreihundert. Immerhin bin ich das Risiko eingegangen und habe mit ihm die Ödnis durchquert.“
„Schwachsinn!“ Der Mann lachte zu laut. Soo zuckte zusammen. Sofort trauten sich die Hunde näher an ihn heran. Er knurrte sie an und sie wichen zögernd zurück.
„Ein Schwächling wie du betritt höchstens den Rand der Ödnis. Und daher hast du auch den Viku. Ich weiß, wo die Nomaden ihre Märkte abhalten, also spare dir das Prahlen.“
Es ging hin und her. Soo kauerte sich dicht an den Pfahl. Sein Magen schmerzte vor Hunger stärker als sein Rücken und seine blutenden Handgelenke.
„Hey, Kleiner.“
Eine freundliche Stimme kam näher. Sie wurde begleitet von Schweiß und einem Hauch Maschinenöl.
„Ich habe von Wesen wie dir gehört. Ich kenne jemanden, der dir helfen kann, aber du musst noch ein bisschen durchhalten und darfst dich auf keinen Fall verkaufen lassen.“
Soo war nicht nach Lachen. Sonst hätte er es getan. Gebunden wie er war, konnte er nichts verhindern. Seinen eigenen Verkauf schon gar nicht.
Der Mann stand auf und seine Schritte wurden schneller und leiser, bis sie im Gemurmel verschluckt wurden, das schon die ganze Zeit um Soo herrschte. Es kam von Menschen. Vielen Menschen. Viel mehr als in Wahriks Gefolge.
Soo bettete seinen Kopf auf die Arme. Ihm war furchtbar schlecht. Vor Hunger. Nicht vor Angst. Ein Viku kannte keine Schwäche.
***
Keine schöne Nacht. Coel blieb auf seiner Matratze liegen, obwohl sein Rücken schmerzte. Das Ding war alt und die Metallfedern stachen ihm ins Kreuz. Aber es war besser als auf dem nackten Asphalt zu schlafen. Max hob den dicken Kopf. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und streckte sich grunzend. Sam machte es ihm nach. Also hatten die beiden Hunde ebenso wenig Wache geschoben wie er selbst.
„Ihr seid mir zwei Helden. Hätte uns Merap Teus beim Pennen erwischt, hätte ich mir meine Kredite für diesen Monat in die Haare schmieren können.“
Gut, dass sich der Tycoon selten hier unten herumtrieb.
Coel zog den Schlauch von der Waschanlage vom Wasserhahn und füllte eine Plastikschüssel.
Sein Kinn war stoppelig. Wurde Zeit für eine Rasur.
Eigens für diesen Zweck hatte er für fünf Kredite einen Spiegel gekauft. Er hing zwischen der kaputten und daher zweckfreien Wasseruhr und dem Brett, auf dem Rasiermesser, Pinsel, Handtuch und Seife lagen.
Coel war aus der Zivilisation verbannt worden, doch das bedeutete nicht, dass er unzivilisiert aussehen musste.
Er schäumte die Seife in einer Tasse auf. Das Klacken des Pinsels, wenn er an den Tassenrand schlug, war ein schönes Geräusch. Wie damals in seinem Appartement im Zentrum. Von unten drang der Seifengeruch und aus der Küche der Kaffeeduft. Oft war Claire mit der ersten Tasse zu ihm ins Bad gekommen und hatte einen dritten Duft mitgebracht. Ihren.
Hinter seiner Stirn pochte es. Nicht denken. Was vorbei war, war vorbei. Claire sah er nie wieder. Er hatte damals gewusst, dass es passieren würde. Seine Entscheidung. Mit den Folgen musste er leben. Sie auch. Aber sie lebte zwischen schützenden Wänden und schlief in einem weichen und vor allem sauberen Bett.
Sam und Max fiepten. Ihre Blicke gingen zur Auffahrt und ihre Schwänze wedelten beinahe im selben Takt. Mike kam und die Hunde liebten ihn.
„Morgen, Coel!“
Mike schlitterte die Schräge hinunter. Es hatte geregnet und das Moos auf dem Asphalt war glitschig.
„Alles klar, oder hat ein Freak versucht, Meraps Karren und sein heiliges Benzin zu stehlen?“
Coel war als Chauffeur eingestellt worden, nicht als Parkplatzwächter, obwohl er im Moment genau das war. Seit Merap Teus eine Todesdrohung erhalten hatte, verließ er sein achtzehnstöckiges Imperium nicht mehr, unter dem Coel hauste.
Die Hunde trabten dem Security-Mann entgegen. Auch diesmal verschwanden seine Hände in seinen Hosentaschen. Was immer er den Hunden hinhielt, sie verschlangen es mit einem Happs.
„Boris ist im Bezirk.“ Mike kraulte vier Hundeohren, bevor er sich an den wackelnden Schwänzen vorbei einen Weg in Coels Verschlag bahnen konnte. „Er hat einen Viku.“
„Erzähle mir keine Geschichten.“
Die Viku ließen sich nicht fangen. Schon gar nicht von einem schmierigen Hänfling wie Boris.
„Ist keine Geschichte. Er hat ihn den Nomaden abgekauft.“
Dann musste das Exemplar entweder sehr jung oder sehr geschwächt sein.
Coel legte das Rasiermesser zur Seite und wusch den restlichen Schaum von seinem Gesicht. Ein Viku im Süd-Ost-Bezirk. Als ob es hier nicht genug Schwierigkeiten gab.
„Boris ist ein Schwein.“ Mike stellte eine Tüte mit Tomaten aus Meraps Dachgarten auf den Tisch. „Egal was ihm in die Hände kommt, er sorgt dafür, dass es sein Leben verflucht.“
„Warum erzählst du mir das?“ Was ein Schurke wie Boris tat oder unterließ, war ihm gleichgültig. Früher oder später würde er einem der Tycoone, die die Außenbezirke untereinander aufteilten, lästig werden und mit einer Kugel im Kopf am Straßenrand enden.
„Max und Sam hast du damals auch von ihm gekauft.“ Mike schob die Tüte näher. Frisches Gemüse und Obst war selten und unverschämt teuer. Außer, man arbeitete für einen Tycoon, dessen Gärtner regelmäßig zur Mittagszeit einschlief, statt auf die Beete zu achten.
Der würzig herbe Duft der Früchte ließ Coel das Wasser im Mund zusammenlaufen.
„Der Viku ist fast noch ein Welpe.“
„Komm mir nicht so, Mike. Ein Viku ist kein Hund. Du kannst ihn nicht erziehen.“ Halb Mensch, halb Wolf. Eine fatal eigensinnige und vor allem gefährliche Mischung.
Mike gab nicht auf. „Boris sagt, er will ihn in den Zwingern kämpfen lassen.“
„Damit kommt der Viku klar.“ Und wenn er noch so jung war.
„Mit dem Zwinger kommt niemand klar.“ Mike pflückte sich eine Tomate von der Rispe und biss hinein.
„Du isst mir meine Bestechung weg?“
Mike zuckte die Schultern. „Ich war bei einem Hundekampf. Ist schon etwas länger her. Was ich da gesehen und gehört habe, will ich nie wieder sehen und hören. Jetzt stell dir mal vor, sie sperren einen Viku in den Zwinger.“
„Pech für die Hunde.“
Die Zwitterwesen waren für den Kampf gezüchtet worden.
Künstliche Viren schleusten die Gene des Raubtieres in menschliche Zellen und der Brüter sorgte dafür, dass zumindest jeder hundertste Embryo überlebte.
Die Wahl fiel auf den Wolf, weil er sich in der Gegend neu angesiedelt hatte und daher für die ersten, nicht genehmigten Versuche unauffällig und in ausreichender Anzahl zur Verfügung stand.
Ob Häuserkämpfe oder Überfälle auf die Verstecke der Kriegsherren in der Ödnis. Den Viku gedachte man einen ausgedehnten Wirkungsbereich zu. Auch auf die Tycoone, die die Außenbezirke der Städte in ihren kriminellen Händen hielten, wollte man die Rudel loslassen. Doch dann verlor ein Idiot mit Sicherheitscode Rot fünf die Nerven und setzte den geimpften Virus frei. Innerhalb der nächsten Jahre stieg die Mutationsrate der Neugeborenen um sechzig Prozent. Viele Eltern retteten ihre mit Fangzähnen und Fell versehenen Kinder vor bewaffneten Regierungsbeamten. Sie brachten sie nicht in die Außenbezirke, wo die behördlichen Jäger noch Zugriff hatten, sondern in die Ödnis. Mittlerweile kannte kein Institut die tatsächliche Populationsdichte der neugeschaffenen Gattung. Aber sie war groß genug, dass niemand, der es verhindern konnte, die Ödnis betrat.
Fortan wurden die Viku gezüchtet, um gegen ihre wilden Brüder und Schwestern zu kämpfen. Auch das ging daneben.
Bereits in ihren ersten Lebenszyklen bewiesen die Viku, dass sie keinen Gehorsam kannten. Er ließ sich nicht einprügeln, nicht einstreicheln und weder rohes Fleisch noch üppige Kredite konnten die Wolfsmenschen zähmen.
Wen sie mochten, mochten sie, wen sie nicht mochten, den bissen sie aus ihrem Revier.
Sie fielen über ihre Wärter her, die das nicht begreifen wollten und schließlich wurde das Projekt abgebrochen.
Am Tag, als die Rudel getötet werden sollten, flohen die Viku in die Ödnis.
Eine beachtliche Leistung für Wesen, die sowohl Tier als auch Mensch waren und sämtliche Sicherheitszonen durchdringen mussten. Auch wenn Coel ihnen dabei geholfen hatte.
Das letzte Rudel in Gefangenschaft hatte er betreut. Als der Befehl zur Eliminierung durchgestellt wurde, quittierte er seinen Dienst. Seine Protestschreiben beachtete keiner seiner Vorgesetzen und die Drohung, den zugeordneten Projektleiter zu erschießen, wenn der Befehl nicht rückgängig gemacht wurde, brachte ihm den Rausschmiss aus der urbanen Gemeinschaft ein.
Es gab schlimmeres.
Die Außenbezirke waren verwildert aber nicht chaotisch. Es galt das Gesetz des Stärkeren oder desjenigen, der sich den Stärksten leisten konnte.
Merap Teus zählte zur zweiten Kategorie. Der dürre Mann mit dem schütteren Haar stand in dem Ruf, mit den Kriegsherren nicht nur Geschäfte zu machen, sondern sie auch noch zu überleben. Er hatte Coel nach seiner Verbannung aus der Zivilisation aufgenommen.
„Boris hat ihn angekettet.“
„Wen?“ Bevor Mike alle Tomaten selbst aß, packte Coel sie auf seinen Vorratsschrank.
„Den Viku. Er gibt ihm nichts zu essen und zu trinken.“ Mikes trauriger Blick glitt zwischen Coel, Sam und Max hin und her. „Sicher hat der Welpe sein Rudel verloren. Du weißt ja wie das ist, allein in der Ödnis. Niemanden, der einem hilft. Auch dann nicht, wenn man krank und hungrig ist.“ Seufzend fuhr er mit der Hand durch Max’ zottiges Fell. „Ist schon tragisch was passieren kann, wenn hilfloses Leben in brutale Hände gerät.“
„Ein Viku ist nicht hilflos. Sie sind Bestien. Rate, warum wir uns hinter einem Schutzwall mit Selbstschussanlagen und Starkstrom verschanzen.“ Es war ohnehin ein Wunder, dass Boris den Viku durch die Umzäunung hatte schleusen können. Er musste die Wachen bestochen oder ihnen eingeredet haben, dass ein einzelner Viku-Welpe nichts ausrichten konnte.
„Und wenn Boris den Kleinen an einen Kriegsherren verkauft?“
„Aus deren Händen werden ihn die Nomaden gestohlen haben.“
Die Viku kamen ihnen gerade recht. Mutige, taktisch auch ohne Kommunikationstechnik wie ein Mann agierende Rudel, die an Effizienz jede menschliche Einheit übertrafen. Bessere Einsatztruppen für die Ödnis gab es nicht.
Die Kriegsherren lockten die Viku mit zwei von drei Dingen, die sie interessierten: Kampf, geschürt durch ihren Instinkt, ihr Revier zu verteidigen, und Beute. Das dritte war Gemeinschaft, aber das wusste nur derjenige, der mit ihnen lange Zeit gelebt hatte.
„Der Kleine wird verhungern.“
„Mike! Tu nicht so, als sei ein Wolfsmensch ein Schoßhund.“
„Oder im Kampf zerfetzt werden.“
„Mike!“
„Du kennst dich mit den Wolfsmenschen aus, Coel. Du hast mit den Welpen gearbeitet. Du hast es mir selbst erzählt. Ich weiß auch, warum dich die Weißkittel verbannt haben. Tu nicht so, als hättest du kein Herz.“
Er hatte mitten unter ihnen gesessen. Sie waren auf seinen Schoß gekrochen und hatten ihm an den Haaren gezogen. Kleine, pelzige Kinder. Die Krallen an ihren Händchen waren noch elastisch, der Bauch noch frei von Fell.
Coel goss das Waschwasser in den Ausguss. Seine Erinnerungen an Kinderlachen und prahlendes Knurren-Üben schwemmte er damit nicht aus seinem Kopf. Die Mütter hatten zugesehen. Sie kannten Coel und mochten ihn. Die Väter interessierten sich nicht genug für die Jungen, um sie rund um die Uhr im Auge zu behalten. Sie pirschten durchs Gelände und kontrollierten nebenbei die Zäune, statt sich von ihren Ausbildern trainieren zu lassen. Coel hatte in den zehn Jahren mit den Viku nie zu seiner Waffe greifen müssen. Sie reagierten auf das, was ihnen geboten wurde. Zorn mit Zorn. Gelassenheit mit Gelassenheit. Nur zähmen ließen sie sich nicht.
„Geh zu Merap und rede ihm ein, dass du an einen Viku kommen könntest. Verkaufe es ihm als Statussymbol.“
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass der Viku bleibt?“
„Muss er nicht.“ Mike zwinkerte mit einem breiten Grinsen. „Wenn er abhaut, wird er sich einen Weg durch die Absperrung suchen und wieder dahin verschwinden, wo er hingehört. In die Freiheit. Und du sagst Merap die Wahrheit. Er sei dir entlaufen. Merap kürzt dir die Kredite für ein paar Monate, aber dann ist alles wieder gut.“
Mike hielt ihm seinen Kommunikator hin. „Mach. Du rettest ein Leben damit. Ich weiß, dass dir das etwas bedeutet.“
Einen Dreck tat es.
Oder nicht?
Mikes Hand samt Kommunikator schwebten vor seiner Nase. „Vielleicht gehörte der Kleine zu deinem Rudel? Stell dir das mal vor! Dann kennst du ihn, hast ihn vielleicht auf dem Schoß gehabt und ihn gebürstet.“
Der moralische Tiefschlag traf. Mike bemerkte es und grinste. „Ruf Merap an. Sag ihm, wenn er einen Viku in seinen Dienst nimmt, wäre er fast so gut ausstaffiert wie ein Kriegsherr. Das wird ihn überzeugen.“
Es funktionierte.
Merap gestand ihm dreihundert Kredite für den Viku zu. Das war viel. Einzige Bedingung: Er sollte ihn zähmen. Coel log, das sei kein Problem für ihn.
„Boris ist in der Unterführung bei der Oase.“ Mikes Mundwinkel erreichten fast seine Ohren. „Beeil dich. Sonst kauft ein anderer Tycoon Meraps neues Statussymbol.“
Coel zog sich einen Pullover und eine Jacke über und hangelte sich am rostigen Geländer die Auffahrt hinauf. Um die Straßen und Plätze kümmerte sich in den Außenbezirken niemand mehr. Das Gras in den Asphaltrissen und die Blumen in den Mauernischen war das einzig Bunte und lenkte von den Müllbergen und ihrem Gestank ab.
„Du hast was bei mir gut, Coel“, rief ihm Mike nach.
Das konnten nicht die Scherereien aufwiegen, in die ihn ein heranwachsender Viku stürzen würde.
Bis zur Oase, einer Ansammlung einer Handvoll Bäume und Sträucher inklusive einer funktionierenden Trinkwasseranlage, waren es knappe dreißig Minuten Fußmarsch. Öffentliche Verkehrsmittel in den Außenbereichen gab es schon lange nicht mehr. Im Zentrum gondelten die Mitglieder der urbanen Gemeinschaft mit Magnetschwebebahnen von A nach B.
Coel wischte den Anflug Melancholie aus seiner Seele. Nur weil das Zentrum glitzerte, war es kein Gold. Korruption war ebenso an der Tagesordnung wie in den Außenbezirken, aber wenigstens war es hübscher verpackt.
Hochhausruinen und Wellblechbaracken gähnten ihn gleichermaßen an, als er sich mit vielen anderen einen Weg zur Oase bahnte.
Ein Viku-Welpe. Wieder einmal. Der Kerl würde ihm alle braunen Haare kosten, die er noch besaß. Es waren nicht mehr viele. Das Leben im Außenbezirk war nerven- und kraftraubend.
Er musste ihn in sein Rudel integrieren, das zurzeit nur aus ihm, Sam und Max bestand. Und er musste ihm klarmachen, dass die nach altem Öl stinkende Tiefgarage ein lohnendes Revier war.
In der Passage eines ehemaligen Einkaufszentrums reihten sich die Verkaufsstände aneinander. Die Bauern der Grenzgebiete boten ihre Waren an, die sie der Ödnis abgetrotzt hatten. Fleisch, Obst und Gemüse zu Schwarzmarktpreisen, aber frisch. Die Landleute überlebten deshalb da draußen, weil sich die Kriegsherren ihrer angenommen hatten. Zwangsabgaben, dafür Schutz vor plündernden Nomadenhorden und feindlichen Krieger Clans.
Das Zeug schmeckte besser als der hochgezüchtete Mist aus den Gewächshäusern der Zentren, doch man musste es sich leisten können.
Coel kaufte in einer der mobilen Garküchen ein grässlich aussehendes, aber gut riechendes Gemisch aus Gemüse, Mais und Fleisch. Der Mann mit der Schöpfkelle in der Hand wollte sich, was das Fleisch anging, nicht festlegen. Im Zweifel war es Ratte oder Nutria oder beides.
Als ihn Coel mit M-T-Krediten bezahlte, leuchteten seine Augen. Innerhalb des Süd-Ost-Bezirks bekam er dafür alles, was er wollte.
Im hinteren Bereich der Passage waren die Stände mit Kleidung, Werkzeugen und allem, was man meinte, hier draußen zu brauchen. Noch weiter hinten wurden die Waren lebendig und nur die vierbeinigen waren für den Kochtopf bestimmt.
Für die Zweibeinigen durfte keiner aus Meraps Gefolge Kredite ausgeben. Privatvergnügen wurden aus eigener Tasche bezahlt. Coels Taschen waren leer, also blieb er an einem Stand mit Kutten und Mänteln stehen.
Einem erwachsenen Viku sah man die wölfische Abstammung zwar weniger an, da die menschlichen Gene sich im Laufe ihrer Entwicklung durchsetzten, doch Augen, Fangzähne, ein kräftiger Haarwuchs und Krallen blieben erhalten. Und die Entschlossenheit im Kampf gepaart mit einem messerscharfen Instinkt.
Bei einem Welpen spross das graue Fell sogar noch auf dem Rücken und an den Ohren. Er musste den Kleinen auf dem Weg zur Garage vor neugierigen Blicken verbergen. Aufsehen zu erregen war nie sein Ding gewesen.
Ein Mantel mit weiter Kapuze war genau das Richtige. Wie alt mochte der Viku sein?
Viel Auswahl gab es nicht. In den zusammengeflickten Stoffmantel passte er selbst. Wenigstens hatte der Viku damit auch gleichzeitig eine Decke für die Nächte.
Je näher Coel der Oase kam, desto betriebsamer wurde es. Boris’ Fang musste sich herumgesprochen haben.
„Erschlagen sollte man ihn, solange er noch jung ist“, brabbelte neben ihm ein gedrungener Mann mit Grind auf der kahlen Kopfhaut. „Das sind wilde Tiere. Sie zerreißen alles, was ihnen vor die Fänge gerät.“
„Er ist noch ein Welpe“, schnatterte eine Frau mit dickem Bauch.
„Unsinn. Er hat vier Nomaden die Kehle durchgebissen, bevor sie ihn endlich in Ketten legen konnten.“
„Vier? Zehn!“
„Zwanzig!“
„Ab in den Zwinger mit ihm, dann haben wir alle etwas davon.“
„Mich verfolgt das Pech. Auf wen ich auch setze, er krepiert.“
„Das dünne Kerlchen wird es auch tun, wenn sich der Zwingermeister nicht an die Gewichtsklassen hält.“
Schadenfrohes Lachen aus stinkenden Mündern.
Über einen jungen Viku hinter Gittern konnten sie spotten. Doch eine Nacht in der Ödnis würde keiner von ihnen überleben.
In der Unterführung roch es nach Pisse und Tier. Aus den Serviceschächten klang Bellen. Hundekampf-Wetten waren eine beliebter Zeitvertreib. Nach Sonnenuntergang würde hier nichts mehr bellen, nur noch knurren und jaulen.
Coel kämpfte sich an den Schaulustigen vorbei, die gaffend einen Betonpfosten umstanden. Daneben kauerte ein Bündel aus grauem Fell und Gestank. Die Hände waren zusammengekettet und machten den Eisenring um den Hals sinnlos.
Er war schmächtig, aber längst kein Welpe mehr. Das Fell auf dem Rücken wurde bereits dünner. Mike hatte ihm einen Bären aufgebunden. In ein bis zwei Jahren war der Viku ausgewachsen.
Umdrehen und verschwinden, bevor sich ihre Blicke trafen. Danach war es zu spät.
Boris stand ein paar Schritte weiter, ein altes Kabel lässig in der Hand, und feilschte mit einem bulligen Mann. Zu dessen Füßen saßen zwei Hunde. Massig wie ihr Herr, das kurze Fell von Narben übersäht.
Coel kannte den Kerl flüchtig. Er organisierte Hundekämpfe und schickte hin und wieder auch selbsternannte Gladiatoren in den Zwinger. Wer nicht das Glück besaß, unter den Fittichen eines Tycoons untergekommen zu sein, musste sehen, wo er blieb.
Der Viku rührte sich nicht. Nur die Ohren zuckten, wenn eine Fliege ihnen zu nah kam.
Die Haut auf dem Rücken war aufgeplatzt und die Wunden entzündeten sich schon jetzt. Das Fell starrte vor Dreck.
Umdrehen und gehen. Was dort an der Kette hing, war kein Schoßhund und würde sich nicht an der Leine durch den Bezirk führen lassen.
Welpe. Von wegen.
Verdammter Mike.
Der Viku hob den Kopf, witterte in seine Richtung. Seine Augen waren vor Eiter verklebt.
Armer Kerl.
***
Futter. Der Duft kam von links. Am liebsten hätte Soo nachgesehen, aber seine Augen gingen immer noch nicht auf.
Es roch gut. Richtig gut. Sein Magen krampfte vor Hunger. Der Duft wurde intensiver. Mischte sich mit dem Geruch alten Öls und Hundefell. Und Mensch. Und etwas, das komisch roch. Nicht unangenehm. Nur komisch.
„Woher hast du den Viku?“
Eine gute Stimme. Tief, befehlend. Käme sie von einem Rudelführer und nicht von einem Menschen, wäre sie vertrauenerweckend.
„Geht dich nichts an“, blaffte Boris.
„Doch. Ich will ihn kaufen.“
Soos Herz holperte an seine Rippen. Kaufen? Wozu? War der Mann ein Kriegsherr?
„Du hast ihn geschlagen?“, fragte der Mann.
„Und wenn?“
„Dann bist du dumm und bald tot. Ein Viku vergisst nie, wer ihm Unrecht getan hat.“
Das würde er gewiss nicht. Gedanklich fiel Soo Boris an und ließ nicht von ihm ab, eh die Beine mit Zappeln aufhörten.
„Kennst dich mit den Viechern wohl aus?“
Er war kein Vieh!
Der Mann antwortete nicht, aber sein Geruch wurde stärker. An Soos linker Gesichtshälfte wurde es warm. Seine Hand?
*
Ein Häufchen Elend mit räudigem Fell. Coel hockte sich zu dem Viku und hielt ihm die Hand hin. Ganz leicht ging der Kopf nach links und er schnupperte.
„Kannst du mich verstehen?“
Der Junge nickte. Er war in einem erbärmlichen Zustand.
Fürs Umkehren war es zu spät. Nur durch seine Nähe hatte Coel Hilfe in Aussicht gestellt. Sie jetzt wieder wegzunehmen, wäre grausam.
Der Viku war kein Wildwuchs. Er verstand die Normsprache, war demnach menschliche Gesellschaft gewohnt. Das machte die Lage nicht rosig, aber wenigstens war sie nicht mehr völlig aussichtslos.
Die Augen sahen schlimm aus.
„Was hast du mit ihm gemacht?“
Boris zuckte die Schultern. „Sand und Fliegen. Was sonst? Der Weg durch die Ödnis ist weit und die Nomaden werden nicht dazu gekommen sein, ihm unterwegs das Fell zu striegeln.“ Er lachte gehässig. „Ist vielleicht ganz gut, wenn er blind ist. Dann bemerkt er nicht, was in den Zwingerecken auf ihn wartet.“
„Gar nichts. Ich habe dir gesagt, dass ich ihn kaufen werde.“ Er reichte Boris das Bündel Kreditscheine und der Händler pfiff durch die Zähne. „Willst du nicht feilschen?“
„Ich will dich nicht länger als nötig in meiner Nähe ertragen müssen.“ Und dabei Gefahr laufen, doch noch einen Rückzieher zu machen.
Boris spuckte aus. „Du gehörst Merap Teus. Deshalb fühlst du dich sicher. Aber das bist du nicht.“ Grinsend wandte er sich dem Zwingermeister zu. „Nicht wahr, Raik?“
„Um Kerle wie den hinter meine Gitter zu sperren, brauche ich keinen Muttizettel seines Tycoons.“ Der Koloss tätschelte die breiten, narbenzerfurchten Schädel seiner Hunde, ohne Coel aus den Augen zu lassen. „Ich nehme ihn mir, und wenn er wieder aufwacht, kämpft er.“
Raik. Namen und Gesicht musste er sich merken.
„Was ist jetzt, Boris? Verkaufst du mir den Viku? Um die Gebote nach oben zu treiben, ist er zu schmächtig. Er taugt nichts für den Zwinger.“ Coel wandte sich zu Raik. „Ebenso wenig wie ich. Deine Prügelknechte hätten mir in zwei Minuten das Genick gebrochen. Denkst du, das fänden die Zuschauer spannend?“
Verdammt, donnerte sein Herz. Wegen eines verlausten Wolfsjungen setzte er sein Leben aufs Spiel.
Raik nickte träge. „Kannst den Viku haben. Wenn du ihn aufgepäppelt hast, komme ich wieder und kaufe ihn dir ab. Sei klug und treibe dann den Preis nicht in die Höhe.“ Er schnippte und seine Hunde trotteten hinter ihm her.
So weit war es noch nicht. Der Süd-Ost-Bezirk war bekannt für seine Fähigkeit, Schicksale abrupt zu beenden. Morgen war Raik vielleicht schon tot.
Coel hielt seine Hand näher an die nur noch leicht bepelzte Nase. Das Gesicht war sehr menschlich. Trotz der gespaltenen Oberlippe und der breiten, flachen Nase, von der sich kurzes Fell bis über die Stirn zog.
„Ich kann dir helfen. Du musst dich aber benehmen.“
Der Viku schnupperte wieder.
Die Ohren zuckten vor.
„Ich würde dich nicht an einen Pfahl binden. Nahrung und Wasser bekämst du auch.“
Der Junge kroch näher zu ihm. Die aneinandergebundenen Hände tasteten sich nach vorn, bis sie Coels Bein berührten.
„Tatzen weg!“ Boris trat dem Jungen in die Seite. Keuchend krümmte sich der Viku zusammen.
War er von allen guten Geistern verlassen?
Verdammt! Der erste Kontakt war wichtig und der Bastard hatte ihn versaut.
„Tritt ihn noch einmal, und ich wickele die Ketten um deinen erbärmlichen Hals, bis du blau wirst.“
Boris sah ihn verständnislos an. „Der beißt. Aber bitte, ist ja nicht mein Bein.“
Nach drei Anläufen hatte Coel seine Wut soweit bezwungen, dass er wieder ruhig reden konnte. Er blendete Boris aus seinem Bewusstsein aus und achtete nur auf den gekrümmten Rücken des Jungen. Er war es wert, gerettet zu werden. Ebenso wie seine Artgenossen es damals wert gewesen waren. Tatsachen verdrängen zu wollen, nur weil sie unbequem waren, brachte nichts. Er hatte geholfen, die Viku in die Welt zu setzen. Dass die Wolfsmenschen ihr nicht gefielen, war nicht deren Schuld. Sie waren so, wie sie kreiert wurden. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein neuer Versuch. „Ich will dich in meinem Rudel. Du hast deines verloren. Ich weiß, dass du die Einsamkeit nicht magst. Was sagst du?“
„Reden musst du mit dem nicht.“ Boris hielt ihm das abgeschnittene Kabel hin. „Wenn er nicht pariert, schlag zu.“
„Ich bin nicht lebensmüde.“ Jetzt, wo der Viku seine Witterung hatte, konnte er ihn überall finden. Kurz flackerte Angst in Boris’ blassen Augen. Überlebte der Junge, war er früher oder später dran.
„Hat mir niemand gesagt, dass die Biester Mimosen sind.“
„Sind sie nicht. Sie sind konsequent. Sei friedlich, dann sind sie es auch. Sei aggressiv, dann hast du selbst Schuld.“
Ein Wesen schlagen, dessen Gelenke bereits bluteten? Coel konzentrierte sich auf die bepelzten Hände, die die Kette umklammerten. Das war besser, als sich herumzudrehen und Boris die Faust aufs Kinn zu rammen.
Boris rief einem abgerissenen Kerl zu, Wasser zu holen. Als der mit einem aufgeschnittenen Plastikkanister zurückkam, nickte Boris zu dem Viku. Ohne Vorwarnung klatschte der Kerl das Wasser auf den wunden Rücken.
Der Junge sprang knurrend auf ihn zu, bis die Kette sirrte. Der Eisenring schnitt in seinen Hals und er ging keuchend in die Knie.
„Idiot! Das Wasser hättest du ihm besser zum Trinken gegeben.“ Wie sollte er das Vertrauen des Viku gewinnen, wenn er in seiner Gegenwart ständig gequält wurde? Er würde den Schmerz nicht nur mit Boris in Verbindung bringen, sondern auch mit ihm.
„Willst du ihn dreckig mitnehmen?“, fauchte Boris. „Ich wollte dir nur die Ware herrichten.“
Der Viku schüttelte sich mit gefletschten Lefzen. Seine Ohren waren angelegt und sein Knurren war erstaunlich tief für seine Jugend. Boris ging einen Schritt zurück. Es würde ihm nur für den Moment etwas bringen.
Keiner der Wärter aus der Zuchtanlage hatte seine Grausamkeiten den Viku gegenüber überlebt. Sie hatten sie eingekreist und angefallen. Die Regierung hatte das milliardenschwere Projekt nicht umsonst abgebrochen.
„Essen und Wasser.“ Coel hielt einen Sicherheitsabstand zu dem Wolfsjungen ein. „Einen Platz in meinem Rudel und damit geschützten Schlaf. Dafür kommst du mit mir, ohne Ärger zu machen.“ Das überzeugendste Argument hatte er noch nicht präsentiert: die Schachtel mit dem Gemüse-Fleisch-Brei. Coel nahm sie aus seinem Rucksack und öffnete sie.
Sofort gingen die Ohren des Viku nach vorn. Er schnupperte, schluckte. Coel schob die Schachtel noch ein Stück näher.
„Wenn du mir deinen Namen verrätst, muss ich nicht immer Viku oder Junge denken und sagen. Ich bin Coel.“ Wieder hielt er dem Jungen die Hand hin.
„Soo.“ Seine Stimme klang kratzig und jung. „Ich weiß, wie du riechst. Kannst die Hand wegnehmen. Gib mir das Futter.“
Trotz und Stolz. Coel berührte Soo an der Schulter. Der Junge hielt still. Das erste Eis war gebrochen.
„Soll ich dir die Augen auswaschen? Dann kannst du sehen, was du isst.“
Soo reckte den Kopf in seine Richtung. „Mach. Aber dann will ich essen.“
„Kannst du.“
Boris war für einen Mistsack zu gut gekleidet. Coel riss ihm ein Stück aus seinem Hemd heraus.
„Hey!“
Um ihn zum Schweigen zu bringen, genügte ein Blick. Training aus seinem alten Beruf. Mit den männlichen Viku hatte er sich oftmals Blickduelle liefern müssen, um ihnen klarzumachen, dass es sein Revier war, das sie mit ihm teilten.
Die Methode funktionierte auch bei Boris. Ohne Raik im Rücken fühlte er sich offenbar weniger stark.
„Ich mache das selbst.“ Soo tastete wegen der Ketten mit beiden Händen nach dem Tuch. „Musst es nur nass machen.“
Coel tränkte den Lappen in der Pfütze, die noch im Kanister war, und reichte ihn Soo.
„Flöhe habe ich auch“, nuschelte er, während er die Krusten auf seinen Lidern einweichte. „Und mein Rücken brennt schlimmer, als wenn Wahrik mir sein Eisen aufdrückt.“
„Ist Wahrik dein Herr?“
Soo sah ihn aus entzündeten Augen blinzelnd an. „Geht dich nichts an.“
„Warum bist du ihm entlaufen?“ Angeblich waren die Viku loyal, wenn sie einen Kriegsherrn akzeptiert hatten.
Soo kniff die Lippen zusammen und drehte den Kopf weg.
Sie hatten Zeit. Soo würde in den langen Tagen und noch längeren Nächten zwischen Beton und rissigem Asphalt dankbar für jedes Wort sein, das sie wechselten.
Coel löste die Kette vom Pfosten.
„Und die Hände?“ Soo streckte sie ihm hin.
„Läufst du mir weg?“
„Ja. Aber nicht heute. Erst will ich etwas zu essen und auf einer Decke schlafen, die nicht nach meinem eigenen Scheiß riecht.“
Das tiefe Geräusch aus seiner Kehle war ein Knurren. Sein Blick zu Boris passte dazu.
„Kann ich dir trauen? Dann kommt die Kette ab.“
„Kannst du nicht“, knurrte Soo. „Ich bin eine Bestie. Schon vergessen?“
Eine, die am Verhungern war und sich nicht allein auf den Beinen halten konnte.
„Schließ die Kette auf.“
Mit im Spott verzogenem Mund warf ihm Boris den Schlüssel zu. „Das machst du selbst.“
Leichtsinnig. Coel befreite die dünnen Handgelenke und hoffte, dass er keinen Fehler beging. Wieso hatte er seine Pistole nicht dabei? Jeder, der für Merap Teus arbeitete, war in der Lage, sich selbst zu beschützen. Sie lag in seinem Vorratsschrank. Ein guter Platz für ein Ding, das er hasste.
„Die Leute sagen, du hättest zwanzig Nomaden angefallen, bevor sie dich festsetzen konnten.“
In Soos bernsteinfarbenen Augen glühte blanker Stolz. „Sagen sie das?“ Soos Gebiss war ebenso beeindruckend wie seine Krallen. Sein Grinsen betonte seltsamerweise beides.
„Dann wird es wohl richtig sein.“
Die Fesseln schleuderte er von sich und fixierte die Schachtel mit Essen.
Coel reichte ihm den Fleischbrei. Soo aß mit den Fingern. Gierig, aber menschlich.
Bevor sie gingen, humpelte Soo auf allen Vieren in Boris’ Windschatten und sog tief seinen Geruch ein. Sein Grinsen dabei war eindeutig wölfisch. „Man sieht sich immer zweimal.“
Der Mann wurde blass. „Komm mir nur einen Schritt zu nah, und ich erschlage dich wie einen Straßenköter.“
Soo grinste noch breiter, drehte sich um und ließ den Mann stehen.
Zwischen den Gaffern bildete sich eine breite Gasse, als Coel Soo den Mantel überlegte und ihm die Kapuze tief ins Gesicht zog. So würde er wenigstens auf dem Heimweg seine Ruhe haben.
„Eine halbe Stunde Fußmarsch. Schaffst du das?“ Soo ging es nach dem Essen zwar besser, aber einen topfitten Eindruck machte er nicht.
Der Junge nickte verbissen und ging in Coels Geschwindigkeit neben ihm her.
Keine zehn Minuten später schlurfte er. Nach zwanzig Minuten blieb er stehen und lehnte sich an. „Muss mal pinkeln.“ Wacklig drehte er sich mit dem Gesicht zur Wand.
„Du kannst zugeben, wenn du eine Pause brauchst.“ Verdammt, was redete er da? Ein schwacher Viku war nichts wert. Soos menschliche Züge hatten ihn dazu verleitet, ihn wie einen Menschen zu behandeln.
Der kalte Blick aus schmalen Augen traf ihn wenigstens nicht unvorbereitet.
„Ich gebe zu, dass ich pissen muss“, fauchte Soo. „Geh weiter. Ich hole dich ein.“
Coel schlenderte weiter. Selbst wenn Soo versuchen würde zu fliehen, hätte er ihn schnell wieder eingefangen. Davon abgesehen hatte ihn das Futter mit Sicherheit überzeugt.
Nach einer Weile tappte es hinter ihm und Soo schloss auf. Um es ihm leichter zu machen, ging Coel langsamer. Soo hechelte dennoch.
„Da vorn ist es.“ Meraps Hochhaus ragte weit über die umstehenden Gebäude. Soo starrte an der grauen Fassade hinauf.
„Ich soll da hoch?“ Am Rand seiner Kinnbehaarung zur Wange hin wurde es blass.
„Nein, du sollst runter. Ich bewache Meraps Autos, sein Benzin und passe auf, dass keiner durch die alten Fahrstuhlschächte ins Haus eindringt.“ Dass das der Job der Security war, brauchte Soo jetzt noch nicht zu wissen. Bis er sich eingelebt hatte war es sinnvoll, dass er Coel für einen Typen mit verantwortungsvollen Aufgaben hielt.
Kaum passierten sie den Grenzbalken der Garageneinfahrt, da kamen Sam und Max angerannt. Kläffend umkreisten sie Soo mit gesträubtem Fell. Soo duckte sich und fletschte die Zähne.
Coel stellte sich vor ihn. „Max! Sam! Aus!“
Aus den Hundekehlen drang nur noch ein dumpfes Knurren. Aus Soos ebenfalls. Das konnte ja heiter werden.
„Die zwei Köter sind dein Rudel?“, fauchte Soo. „Dass ich mich denen unterordne, kannst du vergessen.“
Er schlitterte an ihnen vorbei und ging schnuppernd zwischen den Betonpfeilern entlang.
Solange er die Ecken nicht markierte, war es Coel egal.
Das übernahm Max. Er stolzierte hinter dem Neuzugang her und stellte mit einem kurzen Heben des Hinterlaufs klar, in wessen Zuhause sie sich befanden. Kurz flackerte der Gedanke in Coel auf, überzumarkieren. Nur um die Frage des Ranges ein für alle mal für sich zu entscheiden. Allerdings stank es schon genug.
„Wenn du schlafen willst, kannst du das hier tun.“ Coel zeigte zu seinem Verschlag. Der Kasten aus Glas und Metall heuchelte wenigstens mental Abgeschiedenheit vor.
„Dein Lager?“ Soo nickte zu der einzigen Matratze. „Was ist mit meinem?“
„Du hast einen Mantel. Nutze ihn.“ Wo war das Problem?
Soo zuckte die Schultern und rollte sich auf dem Boden zusammen. Schnaufend bettete er seinen Kopf auf die Arme und schloss die Augen.
„Beiß mich heute Nacht und ich bringe dich persönlich zu Raik und seinen Zwingerkötern.“ Er hatte nie neben einem Viku schlafen müssen und schon gar nicht so dicht.
Soo grunzte in seine Armbeuge. „Mach ich nicht.“
Einen Moment später war er eingeschlafen.
Coel streute den Hunden Futter hin. Mike sorgte dafür, dass es nie ausging. Die getrockneten Brocken rochen leckerer als manches Gericht, was man in den Garküchen kaufen konnte. Für ihn selbst gab es Zwieback, Gurkenscheiben und zwei Tomaten. Er hatte schon schlechter gegessen.
Draußen wurde es dunkel und von Soo kam bis auf ein gelegentliches Grunzen kein Ton.
Drei Quadratmeter mit einem Viku teilen. Ade, entspannter Schlaf. Coel pfiff die Hunde zu sich. Im Notfall mussten sie ihn verteidigen.
Coel wickelte sich in seine Decke. Soo blieb friedlich. Nur zum Test die Augen schließen. Fühlte sich gut und schwer an.
Das Aufklatschen der Wassertropfen, die in regelmäßigen Abständen durch die Risse der Betondecke sickerten, schläferte ihn ein.
Träume aus seinem alten Leben. Das schlichte Appartement, das Angebot, für die Regierung zu arbeiten, der Moment, als er den ersten Viku-Welpen in Händen hielt. Bis hierher war der Traum auszuhalten. Der Rest versank in hilfloser Wut, entlud sich darin, dass er einem der Wachposten die Waffe an die Schläfe hielt und ihn zwang, die elektronisch verriegelten Tore der Zuchtstation zu öffnen.
Wochen im Gefängnis, Tage vor Gericht, dann der Rausschmiss. Claire hatte er nur über eine überwachte Telefonleitung Lebewohl sagen dürfen. Er hatte ihr verboten, ihm in die Außenbezirke zu folgen. Das Leben im Zentrum der urbanen Gemeinschaft war kein Paradies, aber es war sicher.
Claires Schluchzen war das Letzte, was er von ihr gehört hatte. Wer in den Außenbezirken landete, befand sich in einem anderen Universum. Keine Möglichkeit, ins Zentrum zurückzufinden. Auch nicht per Kommunikator. Das Zentrum schirmte sich vor allem ab, was auch nur ansatzweise bedrohlich war.
Etwas Hartes, Warmes drückte sich gegen ihn. Soo. Er war auf die Matratze gekrochen und bohrte Coel den spitzen Ellbogen ins Kreuz.
„Hey, verschwinde! Das ist mein Bett.“
„Rücken an Rücken“, murmelte Soo und quetschte sich zwischen die Hunde und ihn. „Ist so, bei einem Rudel. Bewachter Schlaf. Du hast es mir versprochen.“
Wahrscheinlich würde er morgen früh mit Flohstichen aufwachen. Bevor er sich darüber tiefere Gedanken machen konnte, lockte ihn das Plätschern der Wassertropfen wieder in den Schlaf. Diesmal ohne Träume.
***
Rütteln an seiner Schulter. Soos Kopf rollte hin und her. Es roch nicht nach Boris. Das war gut. Öl, Hund und Regen. Und dieser Mann, der ihn gestern mitgenommen hatte. Coel.
Soo blinzelte in das Flackern einer Neonröhre. Coels Gesicht schob sich davor.
„Du bist ein Langschläfer.“
„Ich bin müde.“ Wenn Coel Arbeit für ihn hatte, musste die warten. Soo rollte sich auf der anderen Seite zusammen.
Weg von Boris. Schlafen können, ohne Angst zu haben. Das Rudel war mickrig, aber es war besser als allein zu sein. Und Coel war nett für einen Menschen.
Wieder rüttelte Coel an ihm. Das Licht war anders. Kam von draußen.
Neben ihm stand ein Teller mit Brot und Gurkenscheiben.
„Mit freundlichen Grüßen von Merap Teus. Deinem neuen Besitzer. Iss das. Das ist gesund.“
Grünzeug. Soo schnupperte. Nicht der winzigste Tropfen Speichel bildete sich in seinem Mund. „Ich bin kein Kaninchen.“
„Dann würdest du auch nicht auf meiner Matratze liegen, sondern in meinem Topf schmurgeln.“
Wenn es nichts anderes gab, musste es gehen. Bei Boris hatte er nur Fraß bekommen und davon zu wenig.
Coel nickte zu einem Gaskocher. „Besorge uns ein Abendessen nach deinem Geschmack. Wo wir eben bei Kaninchen waren, das wäre nett. Gern auch zwei oder drei. Kriegst du das hin oder lässt du dich von deinen verwilderten Kumpeln fressen?“
„Du schickst mich in die Ödnis?“ Wenn er einen der stillgelegten Abwasserkanäle fand, durch die Wahrik seine Rudel zum Plündern schickte, war das Rein- und Rauskommen aus dem Außenbezirk kein Problem. Er musste sich nur vor den Nomaden in Acht nehmen. Sie waren lästiger als die wilden Viku, die nicht einmal sprechen konnten.
„Ich helfe dir, du hilfst mir. So ist das bei einem Rudel.“ Coel zwinkerte. Na gut. Soo schmerzten zwar alle Knochen, aber er war mit der Futtersuche dran.
Coel reichte ihm den Mantel. „Zeige niemandem dein wahres Gesicht. Dann kriegst du auch keinen Ärger. Jedenfalls nicht innerhalb des Schutzwalls.“
Menschen. Soo schnaubte. Wie konnten sie sich nur auf ihre nackten Gesichter etwas einbilden?
***
„Den sehen wir nicht wieder.“ Coel kraulte Sam den Kopf. „Früher oder später wäre er ohnehin verschwunden. Dann soll er es lieber gleich tun, bevor wir uns an ihn gewöhnen.“
Um das seltsame Gefühl von sich abzuschütteln, zog er mit den Hunden eine Runde um den Block. Danach übernahm er für Merap ein paar Botengänge und fuhr dessen Schläger zu einem Treffen mit einem Konkurrenten, zwecks handgreiflich überbrachter Mahnung, nicht mehr Merap Teus’ Wege zu kreuzen. Danach hatten die sonst stillen Kerle gute Laune.
Sie aßen gemeinsam an einer Garküche, plauderten über ihre Leben, bevor sie im Außenbezirk gelandet waren.
Ein guter Tag.
Auch ohne etwas Felligem den Hintern zu retten.
Der Abend kam und mit ihm das Bedürfnis, sich hinter schützende Mauern zurückzuziehen. Wer sich jetzt noch draußen herumtrieb, hatte es nicht anders verdient.
Soo war in der Ödnis. Auf der Suche nach seinem Rudel. Er würde es finden. Warum nicht? Er war ein Viku.
Die Nacht war kalt und ihre Feuchtigkeit zog in Coels Decke. Mit geschlossenen Augen klangen die Geräusche von draußen auch nicht freundlicher. Er konzentrierte sich auf das warme Hundefell an seiner Wange. Ob Soo einen sicheren Platz zum Schlafen gefunden hatte?
Ein leises Tappen. Von der Einfahrt. Es kam näher. Max wedelte mit dem Schwanz, als Soo in den Verschlag kam.
„Hier.“ Drei schlaffe Kaninchen landeten neben dem Gaskocher, etwas Blutiges vor dem Bett. „Ich habe sie unterwegs ausgenommen. Dann haben deine Hunde auch was davon.“
Max und Sam sprangen vom Bett. Schmatzen und Schlingen, dann hopsten sie wieder auf die Matratze und legten ihre Schnauzen zwischen die Vorderpfoten.
„Hast gedacht, ich komme nicht mehr, hm?“
Im matten Schein der Notfallbeleuchtung schimmerte ein Fangzahn.
„Brauchst es nicht leugnen. Ich rieche, dass du schon gegessen hast.“ Soo schüttelte die Regentropfen von seinem Mantel und legte sich seufzend zu den Hunden. „Ich nehme es dir nicht übel. Die Fellviecher kannst du auch zum Frühstück kochen. Ich hatte unterwegs ebenfalls einen Snack.“
Soo blieb.
Coel bat um eine zweite Matratze für ihn und in dem Verschlag wurde es zwar enger, aber wärmer.
Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze schloss sich Soo nach ein paar Tagen Meraps Schlägertrupp an. Merap war begeistert. Seine Leute auch. Niemand lehnte im Süd-Ost-Bezirk Verstärkung ab. Schon gar keine, die so effizient wie Soo war.
Meist fuhr Coel die Männer. Das war gut, denn dann konnte er ein Auge auf Soo werfen, und musste sich nicht allein in der Garage langweilen.
Der Viku war unkompliziert. Im Umgang mit Meraps Leuten und im Töten von Meraps Feinden.
Das Angebot, ein paar Stockwerke hinaufzuziehen, lehnte Soo ab. Er wollte kein eigenes Zimmer, sondern bei seinem Rudel bleiben. Als Soo ihm seine Beweggründe genannt hatte, war es Coel warm im Innern geworden.
Die Tage vergingen.
Für ein Leben im Süd-Ost-Bezirk war Coels verhältnismäßig schön geworden. Daran konnte auch der Herbst mit nasskaltem Regen nichts ändern.
Merap war kein Unmensch und ließ einen Eisenofen in die Tiefgarage bringen. Soo sorgte für das Brennholz, ohne zu verraten, woher er es hatte. Ziemlich oft wanderten Stühle und Tischbeine in die Feuerluke.
Nach seiner Schicht leistete ihnen Mike hin und wieder Gesellschaft. Je kälter es draußen wurde, desto öfter kam er mit einer Thermoskanne Tee und einem Kartenspiel in die Garage. Wie immer trollte sich Soo nach einer Weile.
„Will er sein Revier vergrößern?“ Mike sah ihm nach, wie er die Ausfahrt hinauf huschte. „Nicht dass er Ärger mit der Konkurrenz bekommt.“
„Bis jetzt ging es immer gut.“ Ein paar Kratzer, mehr nicht. Soo war schnell mit Krallen und Fängen.
Mike rührte in seinem Tee. „Wann lässt du ihn gehen?“
„Er hat nicht gesagt, dass er es will.“ Wozu auch? Er hatte einen Job, den er freiwillig machte, bekam Kredite dafür und sparte sich die Brandzeichen der Kriegsherren. Auch wenn sie eine Auszeichnung für gewonnene Kämpfe waren, nach dem, was Soo bei ihrem ersten Treffen gesagt hatte, riss er sich nicht darum.
„Boris ist im Bezirk. Er plant, mit Raik im großen Stil ins Wettgeschäft einzusteigen. Hundekämpfe sind die kleinste Hausnummer. Es heißt, er hätte auf dem Schwarzmarkt ein Rudel Viku-Welpen gekauft. Zur Zucht, angeblich. Aber alle, die Bescheid wissen, behaupten, es sei Wildwuchs.“
Verdammt. Raiks Drohung lag ihm noch ihm Ohr.
„Soo ist groß und stark geworden, in den paar Monaten bei dir. Lass ihn zurück in sein altes Leben, bevor er Raiks Wege zum zweiten Mal kreuzt.“
Coel wurde schlecht. Der Bastard wollte die Viku gegeneinander hetzen? In den Steppen und der Wüste der Ödnis war der Kampf zwischen ihnen eine Notwendigkeit, aber auf engstem Raum? Ohne die Möglichkeit zur Flucht?
Mike sah ihn eindringlich an. „Für Soo ist das hier Ersatz. Merap ist kein Kriegsherr und weder du noch Meraps Jungs sind ein Rudel. Soo muss zurück. Er braucht seinesgleichen. Hier im Bezirk kommt er eines Tages unter die Räder.“
Mike hatte recht. Verdammt. Aber über die Konsequenz seiner Worte wollte Coel nicht nachdenken.
Einen halben Sommer, einen Herbst, einen halben Winter. Diese Zeit hatte ausgereicht, um sich an Soo zu gewöhnen. Wieder allein mit den Hunden? Coels Herz sackte nach unten, so schwer war es.
In dieser Nacht kam Soo spät zurück.
„Habe den breiten Kerl mit den beiden Kötern getroffen“, murmelte er, als er sich neben Coel zusammenrollte. „Bin ihm in die Unterführung nachgeschlichen.“
„Und?“ Coel kannte die Antwort.
„Habe einen Zwingerkampf gesehen.“
Mehr sagte er nicht, aber in der Zeit, in der Coel wach neben ihm lag, wurde Soos Atem weder gleichmäßig noch tief.
In der folgenden Nacht wurde es wieder spät. In der darauffolgenden noch später.
Coel fragte nicht, was er trieb. Er fürchtete sich vor der Antwort.
Eines Nachts kam Soo nicht mehr zurück.
Meraps Jungs wussten nicht mehr als Coel. Zuerst murrten sie, dann vermissten sie ihn. Merap spie Gift und Galle und verbot ihnen allen, etwas über Soos Verschwinden nach draußen zu tragen.
„Es ist okay“, sagte Mike, nachdem Soo über eine Woche fort war. „Du wusstest, dass das passiert.“
Das machte es nicht besser.
Zorn, Traurigkeit und das leere Gefühl der Einsamkeit nisteten sich in Coels Verschlag und in seinem Herzen ein. Nach zwei Wochen gab er Mike Soos Matratze zurück. Die Hunde schliefen nachts dafür zu seinen Füßen und dachten nicht daran, sich aus seinem Bett verdrängen zu lassen.
Coel hielt eine weitere Woche durch. Dann fiel ihm die Betondecke auf den Kopf.
Er musste wissen, was mit Soo passiert war. Sonst fand er keine Ruhe mehr.
Lebte er noch? Hatte er sich einem Kriegsherrn angeschlossen? Wenn er nur nicht im Zwinger gelandet war.
Es half nichts. Er musste zur Oase, auch wenn ihn allein die Erinnerung an den Gestank der Unterführung den Magen verkrampfte.
Er rannte durch den halben Bezirk, bis die Grünanlage endlich vor ihm auftauchte.
Am Treppenabgang zur Unterführung stand kein muskelbepackter Kerl, der Coels Taschen nach Waffen kontrollierte. In den Gängen und auf den Plattformen waren keine blutgierigen Zuschauer. Der Käfig war leer.
Mike hatte Wache, als Coel zurückkam. „Hast du es schon gehört?“
„Was?“ Sein Herz klopfte zwei Takte schneller.
„Sie haben Boris gefunden. Vor vier Nächten. Mit herausgerissener Kehle. Jemand hat die Viku freigelassen und Raik hat kalte Füße bekommen. Er hat Angst, dass ihn ein Kriegsherr als Konkurrent ansieht und ein Rudel auf seine Fährte gesetzt hat.“
Kein Kriegsherr.
Soo.
Dass er fort war, fühlte sich nur noch halb so schlimm an. Zum ersten Mal seit vielen Nächten ging Coel mit einem halbwegs guten Gefühl ins Bett. Einsam? Ja. Das war er immer noch. Aber die Angst um Soo hatte nachgelassen.
Der Regen prasselte auf den Asphalt. Bächeweise floss das Wasser über die Schräge und sammelte sich in den Schlaglöchern.
Es war zu laut. Coel bekam kein Auge zu.
Plötzlich hoben Max und Sam gleichzeitig die Köpfe. Sie schnupperten und wackelten mit den Schwänzen.
In der Einfahrt tauchte ein Schatten auf, schlich leise zum Verschlag.
Soo.
In der Tür blieb er stehen, sah sich um.
Die Matratze war weg. Verdammt, warum hatte er nicht noch ein paar Tage gewartet?
„Tut mir leid.“
„Ist nicht schlimm.“ Soo klang angestrengt. Er zog seinen Mantel aus, stieß Sam und Max an und die Hunde machten ihm Platz. Seufzend rollte er sich neben Coel zusammen.
„Rücken an Rücken“, murmelte er. „Ist so, in einem Rudel.“ Dann waren nur noch seine tiefen Atemzüge zu hören.
Cover: Swantje Berndt
Tag der Veröffentlichung: 26.08.2019
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