Ich stehe nun schon eine geschlagene Stunde am Bahnhof und warte darauf dass mich meine beiden Stiefbrüder endlich abholen. Das Wetter hat umgeschlagen und ich stehe nur mit T-Shirt und Hotpant bekleidet und zwei großen Koffern bepackt draußen in der Kälte.
Schlotternd sitze ich auf einer der vielen Bänke, welche alle leer sind. Ich streiche mir immer wieder ein paar meiner blonden Strähnen aus dem Gesicht und fixierte wie besessen den Eingang, aus dem jeder Zeit jemand kommen sollte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt doch ein Typ durch den Eingang gehetzt. Er hat hellbraunes Haar und durchgehend grüne Augen. Sein hellgraues T-Shirt spannt sich über seine Muskeln und er trägt eine schwarze Lederjacke dazu und eine lockere Jeans. Ich beachte ihn nicht weiter. „Zoey?!“, er bleibt stehen und sieht mich strahlend an. Ich sehe zu ihm auf und kneife meine Augen zusammen. Wer ist das? „Äh ich bin’s? Ben?“, er lächelt mich freundlich an. Das soll der kleine Ben von früher sein? Der hatte wohl die letzten Jahre reichlich Zeit im Fitnessstudio verbracht. Früher hatte er noch eine Brille, Zahnspange und war nur durch seine freundliche Art bei manchen Mädchen angekommen. Aber jetzt sieht er aus wie der perfekte Schönling. Ich stehe langsam und immer noch wütend auf. „Wieso holst du mich erst jetzt ab?“, presse ich dann irgendwann sauer hervor. Seine liebevollen Augen weiten sich schockiert: „Ich dachte dein Zug hat Verspätung?“. „Wie kommst du denn bitte darauf?!“, was für eine schlechte Ausrede. „Mat hat im Internet extra nach gesehen und gesagt dein Zug hätte eine Stunde Verspätung“, meint Ben sich verteidigend. Sie sind nicht reifer geworden. „Wetten dass er gelogen hat?“, das würde gut zu ihm passen, so war er immer. Ihm ging es erst gut, wenn ich gelitten habe, aber dafür wird er noch büßen!
„Du hast dich wirklich verändert Zoey“, lächelt Ben mich an während wir zusammen zu seinem Auto laufen. „In wie fern?“ „Du bist viel hübscher geworden, aber das warst du schon immer“. Schleimer. „Danke. Du hast dich auch verändert, du bist noch größer geworden“, sage ich nur als Strafe für die Verspätung. „Echt mehr nicht?“, er sieht mich gespielt traurig an. Ich grinse nur: „Doch, du hast zugenommen“. Damit setze ich mich in seinen roten Citroen auf die Fahrerseite. „Du wirst sicher nicht fahren Honey, du weißt gar nicht wo wir wohnen“, lächelt er mich fies an. Ich grinse nur zurück: „Du kannst es mir ja sagen und nenn mich nicht Honey!“. Die zwei hatten mir früher immer Spitznamen gegeben um zu testen welcher mich am meisten ärgerte. Ben war auf Honey gekommen, als ich noch ganz klein war und von Bienen Honig klauen wollte und die mich natürlich mehr als nur einmal dann stechen mussten. Wie war noch gleich der Spitzname gewesen den mir Mat zugewiesen hat?
Als sich Ben nun auch endlich gesetzt hat starte ich den Motor und fahre los, während er mir erklärt, wo lang ich fahren muss. „Sag mal, wieso genau ziehst du zu uns?“, frägt er neugierig, als wir angekommen sind. „Geht dich nix an“, sage ich kalt und steige aus um meine Koffer zu holen. „Na schön, ich werde es ohnehin irgendwann erfahren, lass mich die Koffer tragen“, damit nimmt er mir mein Gepäck weg und ohne das ich protestieren kann geht er ins Haus.
Ich folge ihm nur still und betrachte den Gang. Es ist ein ziemlich großes Haus für nur zwei Jungs und dann auch noch so schön dekoriert, ziemlich Modern. Dann gehen wir eine Treppe hoch und er zeigt auf eine weiße Tür: „Das ist dein Zimmer, mach’s dir gemütlich“. Ich nicke nur und laufe mit den Koffern hinein. Die Wand war in einem hellen Pfirsichorange und die Möbel waren weiß oder hellbraun. Es gibt mehrere Regale, Kommoden und Schränke. Insgesamt vier weiße Fenster und natürlich ein sehr großes weißes Bett auf das ich mich sogleich fallen lasse. Es ist fertig überzogen und ich genieße den Duft frischer Bettwäsche. Es war wunderschön weich und ich kann mir gut vorstellen ab sofort dort zu schlafen.
„Ey Giftzwerg, sagst du jetzt gar nicht mehr ‚Hallo‘ oder was?“, ein schwarzhaariger Junge mit hellen grauen Augen und einem neckischen grinsen lehnt sich am Türrahmen an. „Mat?“, ich sehe ihn überrascht an. Er trug einen schwarzen Pulli und war sehr schlank gebaut, auch er war wohl des Öfteren in ein Fitnessstudio gegangen und trug darunter eine normale Jeans. „Ja ich weiß das ich wunderbar aussehe anders als du habe ich mich zum guten verändert“, wieder grinst er so gemein. „Das stimmt überhaupt nicht, ich war nur so geschockt über deine Erscheinung das ich noch nicht viel mehr sagen konnte. Wirklich verändert hast du dich nicht. Ben sieht viel besser aus“, ich strecke ihm meine Zunge raus, „Und im Übrigen nenn mich nicht Giftzwerg!“. Stimmt, das war sein Spitzname für mich gewesen. Den hatte er mir gegeben, weil ich damals viel zu klein für mein Alter war. Aber jetzt bin ich viel größer als damals und somit trifft sein Spitzname überhaupt nicht mehr auf mich zu. „Oh doch, du bist und bleibst für immer mein kleiner Giftzwerg Zoey“. „Untersteh dich!“ „Was willst du dagegen tun das ich dich so nenne?“. Ich brauche gar nicht lange zu überlegen und werfe ohne Vorwarnung das größte Kissen nach ihm. Er fängt es nur lachend auf und schmeißt sich über mich auf mein Bett. „Was soll das denn werden?“, frage ich ihn wütend. „Deine Strafe dafür das du versucht hast mich mit einem Kissen zu bewerfen, ich meine das ist doch wirklich unkreativ oder?“ „Ach und wie soll meine Strafe bitte aussehen?“, ich ziehe meine Augen zu schlitzen. Er grinst mich nur überlegen an und plötzlich spüre ich seine Lippen auf meinen.
Was?! Ich bin so überrumpelt das ich im ersten Moment einfach gar nichts mache. Nach meiner kurzen Schockstarre schubse ich ihn dann aber mit meiner ganzen Kraft von mir weg. „Tss, du bist aber rot meine Liebe“, seine Augen sehen belustigt in meine. „Natürlich bin ich Rot! Wie kannst du mich auch einfach küssen?“, frage ich aggressiver als ich klingen wollte. „Das war deine Strafe und wenn du nicht artig wirst, dann gibt es noch viel mehr davon“, er lächelt amüsiert und man kann ihm eindeutig ansehen wie viel Spaß es ihm macht mich zu provozieren. Ich schlage ihm auf seine Brust, doch er bricht danach nur in schallendes Gelächter aus: „Es scheint mir als könntest du nicht genug davon bekommen“. Jetzt ist er mir wieder so nah. Viel zu nah. Das geht gestrichen zu weit! Er ist mein Stiefbruder und ich kenne ihn schon so lange. Außerdem kann ich ihn nicht leiden. Bevor er mich wieder küssen kann springe ich vom Bett und stelle mich in Kampfposition vor ihm auf. Ich war mal bei einem Selbstverteidigungskurs gewesen und jetzt finde ich das ziemlich nützlich.
„Was soll das werden Zwergenzoey?“ „So heiße ich nicht“, gebe ich nur giftig zur Antwort. Er kommt immer noch mit diesem gemeinen Grinsen auf mich zu. Ich weiche nicht zurück und versuche standhaft zu bleiben. Doch er drückt mich einfach auf den Boden, ohne dass ich viel dagegen ausrichten kann. „Jetzt entkommst du mir nicht mehr“, ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren und versuche mich von ihm los zu bekommen, doch er ist einfach viel stärker als ich. Wieder nähert er sich meinem Gesicht und ich presse meine Augen zu. Bitte nicht. Bitte lass mich los. Doch statt mich zu küssen knabbert er an meinem Ohr. Ohne zu wissen was ich tue trete ich ihn mit meinem Knie in die Magengegend und er hört augenblicklich damit auf und legt sich dann neben mich: „Das tat weh“. „Das sollte es auch!“, sage ich zickig und rapple mich auf. „Wo gehst du hin?“, er liegt immer noch da. „Weg von dir“, meine ich nur und sehe ihn wütend an. Er lacht: „Ach komm schon, als ob dir das nicht gefallen hätte“, er sieht mir tief in die Augen, doch das zieht bei mir nicht: „Tut mir leid, auch wenn ich dich damit verletzten sollte, aber ich will nichts von dir und ich werde auch nie etwas von dir wollen“. Ich zwinkere ihm noch kurz zu und gehe dann aus dem Zimmer.
Was erlaubt der sich eigentlich?! Immer noch rot setze ich mich auf das schwarze Sofa im Wohnzimmer. Die Wand ist weiß mit ein paar schwarzen Verzierungen und schwarzen Fenstern. Auch hier stehen viele Regale und Kommoden herum, vor mir ist ein großer Flachbildfernseher. Das Geld hatten sie von ihrem Vater. Er leitet eine große Firma in der man Handys herstellt, da kommt schon einiges zusammen. Ich schalte den Fernseher an und zappe das Programm durch. Es kommt nichts gescheites, aber ich lasse ihn trotzdem bei irgendeinem Sender laufen. Ich brauche jetzt Ablenkung, deswegen bin ich ja auch eigentlich hergekommen, um mich abzulenken.
Dann klingelt es an der Tür. Ich bin unentschlossen, soll ich warten bis einer der Jungs aufmacht? Nach dem diese ungeduldige Person aber anfängt sturm zu klingeln mache ich dann doch auf. Entgeistert sieht sie mich an und auch mir steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Was will Vanessa Winston denn hier?! „Was suchst du denn hier?“, frägt mich die Brünette. Sie hat helle braune Augen und ihr ganzes Gesicht ist von Makeup zu betoniert. Sie trägt einen kurzen pinken Minirock, der mehr einem Gürtel gleicht als einer Kleidung und dann noch dieses bauchfreie kurze schwarze Oberteil und die hohen schwarzen Stiefel. Sie hat sich kein bisschen verändert. Giftig sehe ich sie an: „Ich wohne ab sofort hier und was willst du?!“. Sie mustert mich hochnäsig: „Ich will meinen Freund und dessen Bruder zum Schwimmen abholen“. Sie zieht ihre Lippen zu einem gemeinen und finsteren Grinsen. Wen meiner beiden Stiefbrüder darf ich umbringen?! Ich kann ihr einfach nicht glauben was sie da gerade gesagt hat. „Wer ist denn dran Giftzwerg?“, schreit Mat zu mir runter. „Eine Prostituierte meint jemand hätte sie herbestellt“, ich grinse sie fies an. „Was?! Das muss Ben gewesen sein“, lacht er und kommt dann aber zu mir runter. Als er die ‚Prostituierte‘ dann aber erblickt vergeht ihm sofort sein Lachen. „Na Süßer? Du hast mir gar nicht gesagt das deine ach so tolle Stiefschwester wieder da ist und außerdem hast du mal wieder unsere Verabredung vergessen wie ich sehe“, nun sieht sie gar nicht mehr arrogant aus sondern eher total verärgert. „Äh“, kommt es nur von ihm zur Antwort als ich ihn böse anstarre. Ich will gerade eine Predigt anfangen da verschwindet er auch schon wieder.
„Was ist hier los?“, kommt dann Ben zu mir und der Tussi im Türrahmen. „Ben? Kannst du mir das da erklären?“, ich zeige auf Vanessa, welche mich daraufhin noch wütender anblickt, wenn das überhaupt noch geht. „Oh, ähm“, er räuspert sich, „Stimmt ja, wir wollten heute schwimmen gehen, willst du mit?“, er frägt mich als wäre das das normalste der Welt mit seiner Erzfeindin aus Kindertagen schwimmen zu gehen. „Was?!“, geben wir beide wie aus einem Munde von uns und sehen uns nur wieder kalt an. „Naja, du kannst natürlich auch alleine daheim bleiben, aber mir persönlich wäre es lieber dich im Auge zu haben. Du kannst ja auch bei mir bleiben und die Turteltauben alleine lassen“, lächelt er mir zu. „Turteltauben?“, ohne dass ich es will ist meine Stimme total piepsig geworden. Ich bin total verwirrt und verstehe überhaupt nichts mehr. „Frag mich nicht wieso, aber seit kurzem sind Mat und Nessi zusammen“, sagt er dann mich aufklärend und meine Augen weiten sich. Dieser Arsch. Ich bringe ihn um. Ich bringe ihn ganz sicher um! „Nenn mich nicht Nessi, für dich immer noch Mrs. Winston“, befiehlt die Brünette, „außerdem will ich dieses… dieses Ungetüm gar nicht dabei haben“. Sie meint damit ja wohl nicht mich?! „Ungetüm?!“, ich werde heißer, nicht mehr lange und ich falle sie an. Dann kann ich für nichts mehr garantieren. „Ladys. Bitte seid doch nicht wie im Kindergarten, wir gehen jetzt alle zusammen ins Schwimmbad und Honey und ich lassen dann dich und deinen Süßen alleine, ist das so für beide genehm?“, versucht Ben auf freundliche Art und Weise zu schlichten. Das ist gar nicht genehm. Es ist einfach nur furchtbar wenn ich jetzt daran denke, das Mat sie geküsst hat und vorhin mich. Mir kommt mein Mittagessen wieder hoch.
„Na meinet wegen“, schnattert Vanessa und ich nicke nur und sehe keinen von beiden an. Nach kurzer Zeit kommt dann auch Mat mit gepackten Sachen zu uns. „Willst du dir nicht auch noch dein Badezeug holen?“, frägt mich Ben. Ohne Mat eines Blickes zu würdigen renne ich hoch in mein Zimmer und hole dort Bikini und Handtuch heraus. Da es draußen sehr kalt ist nehme ich an das wir in ein Hallenbad gehen werden. Unten angekommen sitzen schon alle in Bens Citroen. Ich reiße mich noch einmal kurz zusammen und steige dann auch ein.
Die ganze Fahrt über ignoriere ich alles um mich herum. Vor allem das Vanessa Mat ständig mit allerlei Zeug voll säuselt, auch wenn dieser nicht darauf anspringt. Es reicht dass die zwei zusammen sind. Wieso?! Endlich angekommen trennen sich sogleich unsere Wege in die verschiedenen Umkleidekabinen. Ich bin immer noch ganz enttäuscht von meinem Stiefbruder und total verwirrt. Liebt er diese Bitch wirklich?! Ich ziehe mir schnell meinen lilanen Bikini an und renne sofort zu Ben als ich ihm am Eingang stehen sehe. Er hat eine hellblau-weiß karierte Shorts an und sieht mit seinem muskulösen Oberkörper einfach nur göttlich aus. Ich würde ihn auf der Stelle vernaschen wenn er nicht mein Stiefbruder und bester Freund wäre. Die ganzen Jahre über hatten wir noch ein bisschen Kontakt gehabt und uns je nach dem wann der andere Zeit hatte, E-Mails geschrieben. Aber er hat mir nie gesagt zu welch heißem Typen er geworden ist, eigentlich klar, käme ja auch irgendwie komisch. „Hey Prinzessin, hat ja ziemlich lange gedauert“, er lacht mich an. Ich lache nur zurück, obwohl mir dieses auch sogleich vergeht als ich Mat und das Mädchen, welches sich an ihn fesselt zu uns kommen sehe. Mat hat eine schwarze Shorts an und auch er ist ziemlich muskulös, seine Haut sieht im Gegensatz zu Ben aus wie ein Babypo. Sein Flittchen hat natürlich einen Pinken fast nichts verdeckenden Bikini angezogen. Ich kann ihn immer noch nicht verstehen, vielleicht liegt das auch daran das ich das auch gar nicht will. Ich mustere ihn einfach nicht und ziehe Ben mit mir irgendwo hin.
„Sag mal Ben, das frage ich mich schon die ganze Zeit, wie könnt ihr verwand sein und doch so unterschiedlich aussehen?“, frage ich ihn. „Naja wir sind eigentlich nur zur Hälfte verwand“, ich sehe ihn perplex an. „Na gut ich erkläre es dir“, er macht eine kurze Pause, „Also, unser Vater hatte eine Frau und bekam mit dieser mich. Meine Mutter hat dann mit ihm Schluss gemacht, als sie erfahren hat dass er sie mit der Mutter von Matthew betrogen hat. Da seine Mutter für unseren Vater allerdings nur eine Affäre war, hat er dann mit dieser nichts Ernstes Angefangen und deine Mutter kennen gelernt, sich in sie verliebt und sie geheiratet“. Als er fertig ist sieht er mich fragend an. „Okay, das heißt euer Vater ist ein ganz großes Arschloch?“, stelle ich fest. Ben muss sofort anfangen zu lachen: „Stimmt, er ist ein total großes Arschloch! Wie steht es denn mit deinem Vater?“. Ich zögere kurz: „Er war ein wirklich guter Mensch“. „Was meinst du damit?“, erkundet er sich. „Naja, er hat sich immer um alle gekümmert, um kranke Kinder und Weisen. Er war wirklich ein guter Mensch“, antworte ich. „Kann es sein das er dich total vernachlässigt hat?“, er sieht mich nun mit großen Augen an. Ich weiche seinem Blick aus: „Vielleicht“.
„Ist ja auch egal, lass uns nass werden“, lacht Ben und wirft mich in ein fast leeres Becken. Ich realisiere es zu spät, so das ich mit voller Wucht auf das Wasser falle. „Na warte“, schreie ich lachend und spritze ihn Nass. „War das alles Honey?“, er grinst. Ich grinse auch und steige wieder aus dem Becken, dann stürze ich mich auf ihn und wir fallen zusammen in das erfrischend kühle Nass. „Das war unfair“, sagt er gespielt beleidigt und ich lache ihn nur neckisch aus. „Du bist immer noch wie früher, genauso frech und kindisch“, lacht er. „Ich dachte ich habe mich verändert“, frage ich und ohne auf seine Antwort zu warten tauche ich in unter. Leider kommt er mit Leichtigkeit aus meinem Griff: „Hast du auch, aber nur Äußerlich“. Er lächelt mich charmant an, so dass ich ein bisschen erröte und um das zu verbergen spritze ich ihn erneut nass. „Wofür war das denn? Das war ein Kompliment“, jetzt ist er plötzlich ganz nah an meinem Gesicht. „Das war dafür dass du mich so schamlos anlügst“, meine ich nur schnell und tauche kurz unter. Als ich wieder Oben bin ist Ben weg. Ich hatte die Augen geschlossen als ich unter Wasser war, das tue ich immer weil das Chlorwasser so stark brennt. „Ben?“, frage ich und will mich gerade umdrehen als zwei starke Arme sich um meinen Körper schlingen.
Ich quieke kurz vor Verwunderung auf und merke erst jetzt das Ben mich von hinten umarmt und seinen Kopf auf meine Schulter gelegt hat. „Ben? Was machst du da?“, ich muss anfangen zu kichern, weil er angefangen hat mich zu kitzeln. „Ach nix, ich wollte nur wissen ob du immer noch so kitzlig am Bauch bist und jap, das bist du“, er lächelt mich verführerisch an. „Tja, ich hatte niemanden der dafür sorgte, dass ich dagegen immun werde“, lächle ich. „Hast mich ganz schön vermisst, was?“, er lacht auf. „Immer doch, ich habe jede Sekunde nur an dich gedacht“, necke ich ihn, doch als ob er den Sarkasmus gar nicht verstanden hat hört er auf zu lachen und beginnt mich am Nacken entlang zu küssen. „Hey was soll das werden?“, frage ich ihn und drücke ihn weg. Er sieht mich nun an wie ein treuer Hund, der weiß dass er etwas Falsches gemacht hat. Dann sieht er weg und fährt sich durch sein nasses Haar. Doch ich kann trotzdem sehen wie rot er geworden ist. „Ups, Sorry, da sind wohl die Pferde mit mir durch gegangen“, er lacht so süß das ich ihm nicht böse sein kann und ihn in die Arme nehme: „Mein großes Riesenbaby“. Er lacht: „Ich bin dein was?!“ „Du hast schon richtig verstanden kleiner“, grinse ich ihn an. „Ich bin ja wohl älter als du, junge Dame“, nun kommt er mir wieder verboten nah, doch ich lächle ihn nur weiter an: „Äußerlich vielleicht, aber ich habe auch nicht davon geredet“ „Willst du gerade andeuten du seist reifer als ich?“, wieder kann er sich sein Lachen nicht verkneifen und ich muss dann auch noch mit einstimmen. Er hat so ein ansteckendes Lachen. „Ganz genau das wollte ich damit sagen“, lächle ich ihm zu. „Oho, das werden wir ja noch sehen“, dann legt er seine Lippen auf meine und beginnt mich leidenschaftlich zu küssen.
Ich sehe ihn überrascht an und als er diesen Blick bemerkt hört er augenblicklich auf: „Bewiesen?“ „Ja“, ich sehe ihn an und er ist wieder leicht rot angelaufen, aber ich möchte gar nicht wissen wie rot ich jetzt gerade bin. „Hast du auch eine Freundin?“, kommt es dann von mir. „Nein und ich hatte auch noch keine feste“ „Wieso das denn? Du siehst doch total gut aus“, ich kann meine Verblüffung nicht verstecken. „Haha danke! Aber vielleicht habe ich mich ja für eine bestimmte Person aufbewahrt?“, er zwinkert mir zu. „Stimmt, du musstest ja auf mich warten“, grinse ich gespielt arrogant. „Haha ja, du hast mich erwischt“, sagt er lachend. Ich schmunzle. „Und du? Hattest du einen Freund?“ „Ja“, ich merke wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht. „Wie war er so?“ „Wieso willst du das wissen?“ „Nur so, weil ich wissen will auf wen mein kleines Stiefschwesterchen so steht“, er lächelt mich freundlich an. „Ach das war nur so ein Arsch“, sage ich dann leicht abwesend. „Haha, du stehst also auf Arschlöcher?!“, er lacht wieder. Ich muss bei seinem Lachen wieder anfangen zu lächeln, ich kann in seiner Gegenwart so schlecht nicht gut gelaunt sein: „Ja, das kann wirklich sein“. „Na dann, bin ich das größte Arschloch das es gibt“, flüstert er mir in mein Ohr und ich merke wie ich wieder leicht rosa anlaufe: „Nein, du bist der beste Stiefbruder den man haben kann“. Damit umarme ich ihn wieder und drücke ihn ganz fest zu mir. Er wird auf mich aufpassen. Für immer. Das spüre ich.
„Oh Zoey, wenn du so weiter machst hab ich mich echt nicht mehr im Griff“, scherzt er. „Ja klar“, lache ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange: „Lass uns rutschen!“. „Klar, alles was die Dame will, wenn ich dann noch mal einen Kuss bekomme?“. Ich stoße ihn in die Seite, aber er lacht nur und zusammen gehen wir dann zu einer Rutsche.
Er setzt mich so vor sich, dass ich zwischen seinen Beinen sitze und dann geht es auch schon los. Es ist ziemlich dunkel in der Rutsche, doch das macht es noch viel lustiger und ich muss die ganze Zeit lachen, weil Ben mich ständig kitzelt. Unten angekommen will ich gleich noch mal und so fahren wir um die hundertmal mit der dunklen Rutsche. Irgendwann bekommen wir dann aber doch Hunger und begeben uns in eines der Restaurants. „Was darf ich dir bringen?“, lächelt er mich an. „Hm.. Pommes! Aber eine große Portion“, befehle ich und er geht mit seinem süßen Lächeln auf und davon Pommes holen. Ich sitze also alleine auf einem dieser weißen Plastikhocker und warte auf mein Essen, da sehe ich Mat und Vanessa auf mich zukommen: „Dürfen wir uns zu dir gesellen?“, Mat sieht mich an als würde er das wirklich ernst meinen. Ich sehe ihm nur hasserfüllt in die Augen und schüttele dann meinen Kopf. Er verdreht die Augen und will sich gerade hinsetzen, da zerrt ihn Nessi weg: „Hör zu Schatz, sie will uns nicht in ihrer Gegenwart haben und ich will sie nicht in meiner haben, können wir uns nicht da rüber setzten?“, sie sieht ihn mit einem ermahnenden Blick an. Er seufzt und blickt mit einem letzten irgendwie hilfesuchenden Blick zu mir. Doch ich sehe beleidigt nach oben und tue so, als wären die beiden gar nicht da. Somit gehen sie an einen Tisch, leider nicht weit weg genug von meinem. Er hat sich in die Scheiße reingeritten, er kann sie ausbaden. Immerhin hat ihn niemand dazu gezwungen mit dieser Schlampe zusammen zu sein.
Es kommt mir viel zu lange vor, als Ben endlich wieder zu meinem Tisch kommt. Doch meine schlechte Laune ist sofort wie weggeweht als ich den großen Teller Pommes in seiner Hand sehe. „Magst du Ketchup immer noch mehr als Majo?“, er sieht mich forschend an. „Klar! Nichts geht über genug Ketchup auf Pommes!“, sage ich und hoffe, das ich nicht zu sabbern anfange. So lecker sieht das Essen in seiner Hand aus. „Okay, ich kenne dich wohl zu gut“, er lacht und stellt den Teller vor mir ab. Ein Haufen Ketchup ist auf der einen Seite und ich strahle ihn überglücklich an. „Na dann guten Appetit“, lächelt er mir zu und ich beginne sofort die Portion in mich rein zu schaufeln, so das er wohl deutlich weniger davon abbekommt als ich. „Haha, du hast dich wirklich kein Stück geändert, immer noch genauso verfressen wie eh und je“, lacht er. „Tja, ich stehe nicht so auf Diäten und Salat!“, grinse ich nur und trinke meine Cola. „Okay, dann erzähl mir mal von deinem Leben nachdem du hier weggezogen bist“ „Naja da gibt es nichts Besonderes zu erzählen. Die Stadt war Scheiße, die Menschen dort waren Scheiße und alles dort war Scheiße“ „Okay, deswegen hast du dich entschlossen wieder zu uns zu ziehen?“, grinst er. „Na klar! Warum sonst?“, ich lächle. Er grinst immer noch: „Auf was hat die Dame jetzt Lust? Und bitte nicht noch mehr rutschen“ „Auf noch mehr essen?“ „Bist du immer noch nicht satt?!“ „War nur Spaß! Lass uns in einen der Whirlpools gehen“. Er nickt mir zu und wir gehen in den am wenig vollsten Whirlpool, obwohl auch dieser ziemlich besetzt ist. „Echt schön hier“, sage ich total entspannt und schließe meine Augen. „Stimmt, es ist echt schön hier“, äfft mich Ben nach und kassiert dafür einen kleinen Schlag auf seinen Oberarm.
Dann öffne ich wieder meine Augen und sehe ein Mädchen ungefähr in meinem Alter zu Ben hinüberstarren. Sie hat kurzes schwarzes Haar und schöne dunkelblaue Augen. Irgendwie macht mich dieser Blick ganz verrückt. Ich weiß nicht wieso, bin ich etwa eifersüchtig? Nein doch nicht wegen meinem Stiefbruder! Ich schlage mir den Gedanken sofort wieder aus dem Kopf, aber trotzdem gefällt es mir nicht, wie dieses fremde Mädchen meinen Bruder anstarrt. „Willst du wo anders hingehen?“, will Ben dann wissen, wahrscheinlich hat er bemerkt das ich irgendwie leicht gereizt bin und das ohne wirklich guten Grund. Ich nicke leicht und wir gehen wieder raus. Ich will weg von diesem Mädchen und ihrem Blick, der sofort verraten hat dass sie scharf auf ihn ist. „Was ist denn los?“, frägt er mich mit seiner sanften tiefen Stimme. „Ich weiß nicht, ich glaube ich bin einfach etwas müde wegen der Reise gestern“, lüge ich, aber er scheint mir das abzukaufen und nickt nur freundlich lächelnd.
Vielleicht glaubt er mir auch nicht und meint einfach dass es besser ist, mich fürs erste in Ruhe zu lassen, aber danach ist er verdächtig ruhig. „Und mit dir?“, versuche ich die nervende Stille zu durchbrechen. Er zieht seine Augenbrauen nach oben: „Was soll mit mir sein?“ „Du bist so ruhig“, lache ich. „Ach so, ist das etwa schlecht?“, ärgert er mich. „Ja“, gebe ich zu. „Okay, dann werde ich dich jetzt mit den verschiedensten Ereignissen konfrontieren, was du alles so in deiner Abwesenheit verpasst hast“, fängt er daraufhin sofort an zu plappern. „So viel musst du nun auch nicht reden“, lache ich weiter. Er grinst: „Ich wollte nur dein hübsches Lachen noch länger genießen“. Wieder werde ich rot und boxe ihm in die Seite: „Sag sowas nicht“ „Warum?“ „Weil… keine Ahnung“, ich fühle mich plötzlich so ertappt. „Haha, okay“, er schmunzelt, „Willst du nach Hause? Wenn du so müde bist ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn du dich erst mal aufs Ohr legst“ „Das ist eine gute Idee“, gebe ich ihm recht. „Gut, dann geh dich schon mal umziehen, ich suche noch die anderen beiden. Wir treffen uns dann vor dem Ausgang“, damit geht er in Richtung Restaurant zurück und ich laufe in die Umkleidekabine.
Fertig umgezogen warte ich dann draußen und setze mich auf eine der dort stehenden Bänke. Ich hasse es lange stehen zu müssen. Aber nochmal zurück zu Mat. Wie kann er mir das antun?! So ein Idiot!! Ich lege meinen Kopf in den Nacken und beobachte die grauen Wolken am Himmel. Sie passen gerade ganz gut zu meiner Laune, hoffentlich bleibt das nicht so. Vielleicht will mich dieser Trottel auch nur ärgern und ist in Wirklichkeit gar nicht mit Vanessa zusammen. Ich weiß dass ich mir nur versuche etwas einzureden, aber ich kann mir wirklich beim besten Willen nicht vorstellen wie er so eine Schlampe lieben kann, aber vielleicht ist sie genau sein Typ. Sie war schon immer so arrogant, durch ihre reichen Eltern hatte sie viel Geld und musste das auch immer wieder betonen. Ich war eine der wenigen die das nicht als Grund empfanden sie zu verehren und somit war ich sofort untendurch bei ihr. Sie war diejenige die hauptsächlich Schuld war das ich damals weggezogen bin, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe dort gemobbt zu werden. Ich war damals 13. Jetzt bin ich 19 und war bis vor kurzen noch Studentin an einer Schule. Bis zu dem Tag, an dem ich von ihr geflogen bin. Ich hatte gehofft es hätte sich hier im Laufe der Zeit verändert. So dass ich hier vielleicht glücklich werden kann. Das ich endlich nicht mehr weinen muss. Aber ich bin mir nicht sicher ob ich jemals wirklich glücklich sein kann. Vielleicht ist mir das einfach nicht vergönnt, wer weiß. Als Ben endlich im Schlepptau mit Mat und seinem Klammeräffchen ankommt stehe ich sofort auf und steige auch sogleich in den Wagen. Wieder ohne den schwarzhaarigen anzusehen. Ich ertrage es nicht ihn so mit Vanessa zu sehen. Zu Hause renne ich sofort auf mein Zimmer und ziehe mir meinen Pyjama an. Damit lege ich mich in mein Bett und presse meine Augen zu. In der Hoffnung sofort einschlafen zu können.
Dann geht die Tür auf: „Wie lange willst du mich denn noch ignorieren?“. Ich weiß natürlich sofort wer es ist und sehe dies als Grund die Decke über meinen Kopf zu ziehen. „Hey! Hör mir doch erst mal zu bevor du mich hasst“, sagt er leicht aggressiv und zieht mir meinen Schutz wieder weg. „Ich hab genug gesehen um mir ein Bild machen zu können!“, knurre ich ihn nur an, ohne meine Augen zu öffnen. „Oh man du kleine Dramaqueen“, seufzt er und plötzlich spüre ich etwas Weiches auf meinem Mund. Sofort reiße ich meine Augen auf und schmeiße ihn von mir. „Was fällt dir eigentlich ein!“, schreie ich ihn an und spüre wie mir die Tränen kommen, halte sie aber mit ganzer Kraft zurück. „Jetzt sei doch nicht sauer, du sahst halt so niedlich aus wie du da so ganz ohne Schutz rumlagst“ „Und das ist natürlich eine Entschuldigung“, ich kann immer noch nicht verhindern lauter zu sein als ich es will. „Ich liebe Vanessa nicht“, sagt er dann auf einmal. Was hat das jetzt mit dieser Situation zu tun?! „Und wieso bist du dann mit ihr zusammen?!“ „Weil sie etwas weiß, dass sie nicht wissen soll und mich damit erpresst“, er sieht jetzt gar nicht mehr so kräftig aus, eher als wäre ihm die ganze Kraft genommen worden. Er sieht sogar total fertig aus und mit einem mal bin ich gar nicht mehr ganz so wütend auf ihn: „Was kann sie denn schon gegen dich in der Hand haben“. Ich rede nun wieder leiser und sogar ziemlich liebevoll.
„Das ist unwichtig“, er sitzt zusammengekauert auf dem Boden und versteckt sein Gesicht in dem er es auf seine angewinkelten Knie abstützt. „Wäre es unwichtig könnte sie dich nicht erpressen“, stelle ich fest. „Dann ist es eben so wichtig, dass ich es dir nicht sagen kann“ „Wieso kannst du es mir nicht sagen?“ „Kann ich dir auch nicht sagen“ „Kannst du mir überhaupt etwas sagen?“ „Ja, nämlich das ich sie nicht liebe und das nicht freiwellig mache, also bitte hör auf mich so zu hassen, das macht mich ganz fertig“. Das macht ihn fertig?! Ich sehe in verdutzt an. Nun sieht er auch direkt in meine Augen. In seinen erkenne ich Verzweiflung und irgendetwas sanftes, was ich nicht beschreiben kann.
Schnell sehe ich wieder weg: „Okay“. „Okay?“, er sieht mich erstaunt an. „Ich werde dich nicht weiter hassen“. Er kommt auf mein Bett gekrabbelt und haucht mir ein ‚Danke‘ in mein Ohr. „Schlaf Schön Zoey“, sagt er lächelnd und geht aus dem Zimmer. Er hat mich nicht Zwerg oder so genannt. Ich krieche wieder unter meine Bettdecke und lege mich auf die Seite. Ich bin doch ziemlich müde von dem ganzen und irgendwann fallen mir dann meine Augen zu.
Es ist der kühle Herbstwind der mich aus meinem Schlaf reißt. Irgendein Trottel hat das Fenster aufgemacht. Schlotternd stehe ich auf und schließe es. Dann lege ich mich zurück in mein Bett und versuche erneut ein zu schlafen, da mir ein Blick auf die Uhr verrät, das es gerade erst sechs Uhr ist. Ich drehe mich auf die eine Seite und dann wieder auf die Andere, doch auch das scheint nichts zu bringen, denn ich bin immer noch wach. Trotz Heizung und dicker Decke fröstelt es mich und ich wickele mich noch mehr in den weichen Saum ein. Nach ein paar weiteren Minuten bin ich einfach zu unruhig um weiter nur da zu liegen und nichts zu tun, weswegen ich mich dafür entscheide mir etwas im Fernsehen anzuschauen. Um die Uhrzeit kommt bestimmt nichts Gutes mehr und aus lauter Langeweile werde ich bestimmt wieder schlafen können. Ich schleiche mich also über den Linoleumboden hinunter in das Wohnzimmer. Dort schalte ich wie immer durch die verschiedenen Programme und sehe fast schon mit leerem Blick auf den Bildschirm.
„Kannst du auch nicht schlafen?“, ich drehe mich erschrocken um und sehe in die warmen Augen von Ben. Ich nicke nur zur Antwort. „Auch einen Kaba?“, frägt er. „Gute Idee, davon werde ich immer müde“, lächle ich und könnte mich Ohrfeigen, das ich da nicht selbst drauf gekommen bin. „Ich weiß“, grinst er nur und geht in die Küche, welche vom Wohnzimmer nur durch einen Bogen in der Wand getrennt wird. „Weswegen kannst du nicht schlafen?“, frage ich ihn neugierig. „Ach nichts Besonderes, hatte einen Alptraum von einem Bobby Car“ „Und jetzt hast du Angst davor, wenn du wieder einschläfst, dass er dich überfährt?“, ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Genau und warum bist du wach?“, er sieht grinsend zu mir. „Ein Idiot hat bei mir das Fenster aufgemacht und durch den kalten Wind bin ich aufgewacht“, sage ich etwas miesepetrig. „Das war bestimmt deine Mutter“. Ich sehe entgeistert zu ihm: „Was?“. „Mein Dad und deine Mutter waren gestern Abend noch da, aber du hast so tief geschlafen das sie dich nicht aufwecken wollten“, er ist gerade dabei das Kakaopulver in die warme Milch zu rühren. „Und was wollten sie hier?“ „Sie haben uns dazu verdonnert Morgen mit ihnen auf einen Wandertag zu gehen“ „Mit Wandertag meinst du nicht wirklich einen Tag an dem wir wandern werden, also ich meine Laufen“, ich sehe ihn hoffend an, aber er lacht nur: „Doch, Morgen werden wir einen Berg hinauflaufen auf dem eine alte große Burg steht, eigentlich ziemlich cool, denn sie ist noch ziemlich gut erhalten und wirklich riesen groß, das reinste Labyrinth“, sagt er schon voller Vorfreude. Ich gebe zu das ich faul bin, aber wer nutzt den bitte einen ganzen Tag dazu nur zu laufen? Ich sicher nicht. „Kannst du mich dann hochtragen?“, seufze ich und er kommt nur grinsend zu mir und überreicht mir meine Tasse heiße Schokolade.
„Ich denke dass ich das nicht schaffe“ „Willst du damit sagen dass ich dir zu schwer bin?“ „Wenn man mal davon ausgeht das wir den ganzen Berg hoch laufen müssen, ja“, er hat sich die Fernbedienung gegriffen und schaltet nun anstelle von mir durch die Sender. „Pfff, du bist doch stark?“, eigentlich weiß ich das das nichts bringt und außerdem meine ich das ja gar nicht wirklich ernst, aber mir ist gerade einfach danach mit ihm zu reden. „Das weißt du doch noch gar nicht Honey“, er sieht mir tief in die Augen. „Und jetzt musst du sie küssen, Idiot!“, wir zucken beide zusammen und er ist etwas rot geworden. Dieser Ausruf kam gerade von einem Mädchen im Fernsehen, welche ihrem Freund befohlen hatte seinen Schwarm zu küssen, was er nun auch tat. Schnell schaltet Ben den Fernseher aus und beginnt verlegen zu lachen: „Das war doch mal ein Scheiß“. Ich stimme ihm lächelnd zu und trinke den letzten Schluck meines Kakaos aus. „Wie war dein erster Tag?“, ich habe befürchtet das er mich noch danach fragen würde, er macht sich immer so große Sorgen. „Abgesehen von Mat und seinem Toygirl und das du mich hast warten lassen eigentlich ganz gut“, ich muss gähnen. „Das freut mich, also abgesehen von den schlechten Dingen“, grinst er süß. Wann habe ich eigentlich aufgehört ihm die Wahrheit zu sagen?
Licht blendet mich so stark, das ich anfange zu blinzeln und meine Augen aufreiße. Die Helligkeit durchflutet das Zimmer in dem ich auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich reibe mir Schlaftrunken die Augen und blinzle erneut. Ich habe einen komischen Traum gehabt. Darin hatte ich zuerst ganz normal in meiner alten Schule gesessen und dann hat ein Mann, den ich nicht erkennen konnte, da es in der Klasse so Dunkel war, begonnen mich zu küssen. Merkwürdiger Traum. Ich schlurfe in die Küche und schütte mir Schokocornflakes mit Milch in eine Schale. Mit meinem Frühstück bepackt mache ich mich auf in das große Speisezimmer gegenüber der Küche und beginne dort mein Müsli zu verschlingen. Dann klingelt es an der Türe und ich springe sofort auf um zu öffnen. Zuerst halte ich inne, da ich mich an Gestern zurückerinnere und kurzzeitig erschleicht mich die Vermutung, dass es Vanessa sein könnte. Aber draußen stehen zwei große Menschen, Nessi kann es also unter keinen Umständen sein, da diese ziemlich klein ist. Ich öffne also die Türe. „Hallo Schätzchen“, begrüßt mich meine Mutter freudig und zieht mich zu sich in eine innige Umarmung. Ihr blondes Haar ist ganz kurz geschnitten, da sie findet, das sie damit jünger aussieht, was nicht unbedingt meine Meinung ist, aber wenn sie meint. Ihr Gesicht ist wie immer nur dezent geschminkt, aber umso besser sieht man ihre Lachfältchen wenn sie wie jetzt strahlt. George, mein Stiefvater, sieht wie immer ziemlich durch den Wind aus. Sein braunes Haar weist einige weiß-graue Strähnen auf und seine mausgrauen Augen sind voller Energie und Enthusiasmus. Er ist in Sachen Sport so ziemlich das Gegenteil von mir. Beide haben ihre Wanderklamotten und Rucksäcke schon an und scheinen dies auch von uns erwartet zu haben, denn Mr. Brook mustert etwas überrascht und mit gerunzelter Stirn mein Auftreten. Immerhin bin ich gerade erst aufgestanden, was erwartet er?
„Dann solltest du dich erst einmal umziehen, wir wollten eigentlich sofort los“ „Das konnte sie nicht wissen George“, sagt meine Mum und zwinkert mir zu. Ich lächle sie an und gehe dann hinauf mich fertig machen. Auf einmal geht dir Tür auf und Ben steht im Türrahmen, schließt aber sofort wieder die Tür, nachdem er gesehen hat, das ich gerade nur in einer ausgewaschenen Jeans und in meinem weißen bequemen BH dastand und ihn etwas verwirrt angesehen hatte. „Sorry, ich wollte dich nur bitten Mat zu wecken, mein Dad hat mich gerade dazu verdonnert unsere Brote zu schmieren“ „Kein Problem“, sage ich freundlich und schlüpfe in einen lockeren dunkelgrünen Pulli. Dann werfe ich schnell mein Handy in den Rucksack und mache mich auf in Mats Zimmer. Ich klopfe an, als ich aber keine Antwort bekomme trete ich einfach ein. Ich werde ihn total erschrecken, einfach aus Rache für Gestern, nehme ich mir vor. Der Raum ist eigentlich ziemlich hell, weshalb ich mich wundere, dass er bei diesem Licht noch schlafen kann, aber ich nehme an das er es gewohnt ist. Die Wand ist in einem monotonen weiß und die schwarzen Schränke und Regale sehen wirklich sehr unordentlich aus. Auch auf dem Boden liegen überall Kleidungsstücke und neben seinem in der rechten Ecke stehenden großen Bett steht ein Schreibtisch mit Laptop. Die fade Wand ist über und über mit Postern von Bands die ich nicht kenne und halbnackten Mädchen zu tapeziert. Außerdem riecht es hier nicht besonders gut, ich reiße deswegen eines der vielen Fenster auf und gehe dann näher zu ihm ans Bett. Er sieht ziemlich friedlich aus wie er da so liegt und seine schwarzen Locken hängen ihm wild übers Gesicht. Er sieht sogar ziemlich sexy aus, stelle ich fest. Beginne aber sofort diesen Gedanken zu verscheuchen und will mir die gemeinste Methode ihn aufzuwecken überlegen. Letzen Endes springe ich einfach nur auf ihn drauf, so dass er ruckartig aufwacht und sich aufsetzt: „Was soll das denn“. Er klingt wie ein grimmiger Bär und ich stehe wieder von seinem Bett auf. „Ich sollte dich aufwecken“ „Hättest du das nicht anders machen können?“, er fährt sich durch seine Locken und gähnt erst einmal herzhaft, bevor er mit seinen großen silbergrauen Augen zu mir aufsieht. „Wie hätte der gnädige Herr es denn gerne gehabt?“, ich stemme mir meine Hände an die Hüfte und sehe in neugierig an. „Einen Gutenmorgenkuss zum Bespiel?“, lacht er, doch als sein Blick über seinen Wecker huscht verstummt er schlagartig und springt wie von einer Tarantel gestochen aus dem Bett. „Verdammt! Ich bin duschen!“, schreit er noch, bevor er hoch stürmt.
Ich verdrehe nur genervt die Augen und mache mich mit dem Rucksack auf nach unten. Dort kralle ich mir eine der großen Wasserflaschen und eine der Brotzeiboxen, mit denen Ben gerade fertig geworden ist. „Wo bleibt Mat?“, erkundigt er sich und fingert währenddessen an seiner Jacke herum, da anscheinend der Reisverschluss kaputt ist. „Der meint noch duschen zu müssen“, sage ich in einem Ton, der etwas herablassend klingt. „War ja klar, alles wartet auf Sir Mat“, er grinst mich triumphierend an, da er es geschafft hat seine kaputte Jacke zu reparieren, zumindest halbwegs, denn unten geht der Verschluss schon wieder etwas auf, doch ich sage es ihm nicht, denn dann würde er aufhören so unglaublich süß zu strahlen. „Kommt Vanessa eigentlich auch mit?“, frage ich etwas skeptisch und ziehe mir auch meinen warmen hellblauen Anorak über. „Nö, ist doch ein Familienausflug“, er grinst, „Oder wäre es dir lieber, wenn sie mit käme?“. Ich sehe ihn gespielt entrüstet an, woraufhin er anfängt zu lachen: „Wartest du auf Mat? Ich gehe schon mal vor den anderen Bescheid sagen“, meint der braunhaarige und verschwindet ohne auf meine Antwort zu warten durch die Haustür.
Ich sehe immer wieder auf die Uhr und jede Minute die versteift werde ich noch wütender. Ich bin ja kein Freund vom Wandern, aber umso schneller wir hier losfuhren und wandern gingen, umso früher waren wir auch wieder daheim. Wütend rase ich nach oben. So lange braucht doch kein Mensch um zu duschen. Ich schwinge die Türe auf und sehe einen nackten Mat vor mir, der sich gerade die Haare mit einem Handtuch abtrocknet und mich entgeistert ansieht. Ich sehe verstört zurück und pfeffere die Türe einfach wieder zu. Ich weiß nicht wie lange ich wie erstarrt rumgestanden bin und einfach in die Luft gestarrt habe und ich weiß auch nicht wie knall rot ich war. Aber als die Tür wieder aufgeht schlägt die Realität sofort wieder auf mich ein. „Hast du gesehen was du wolltest, du Perverse?“, er grinst schellmisch. Sein Haar tropft immer noch und er hat sich nur schnell ein graues Sweatshirt und eine dunkle Jeans übergezogen. „Ganz bestimmt nicht, und ich bin nicht pervers“, antworte ich und gehe mit ihm im Schlepptau nach unten. Ich werfe mir den Rucksack über meine Schultern und stehe ungeduldig am Türrahmen. Er stülpt sich eine schwarze Mütze und seinen grauen Mantel über: „Du bist sehr wohl pervers, du wusstest doch das ich dusche“. „Ich dachte du wärst schon lange fertig und wollte dich dazu bringen dich etwas zu beeilen“, sage ich, bestimmt immer noch mit hochrotem Kopf. „Klar“, sein Grinsen verrät mir, das er mir das nicht glaubt, aber das ist mir jetzt auch egal. Diese Situation war mir peinlich genug, er soll nicht auch noch Öl ins Feuer gießen.
Endlich nehmen auch wir in dem schwarzen Carpio platz. Mr. Brook fährt ohne ein Wort los. Ich stecke mir die Kopfhörer meines Handys in meine Ohren und höre etwas Musik um mich zu entspannen und zumindest zu versuchen nicht mehr über die vermeintliche Situation nachzudenken. Jetzt denke ich wieder an den ach so tollen Ausflug. Dieser besteht doch bestimmt nur aus laufen, klettern und Brotzeit in einer großen Burg zu machen. Obwohl es vielleicht auch spannend werden könnte, diese zu erkunden. „Zu welcher Burg fahren wir denn?“, will ich wissen und löse einen meiner Ohrstöpsel, damit ich die Antwort auch mitbekomme. Die Fenster sind mittlerweile etwas beschlagen. Der Herbst neigt sich dem Ende zu und es wird immer kälter. „Zur Gruselburg, zumindest nennen sie alle so, ihren richtigen Namen habe ich gerade vergessen“, sagt meine Mutter. „Burg Shanagar“, antwortet George knapp, er ist wahrscheinlich immer noch etwas beleidigt, weil wir erst jetzt losfahren konnten. „Wieso Gruselburg?“, jetzt fange ich mich ernsthaft an für diesen Wandertag zu interessieren. „Du weißt schon, total verlassen, alt und riesen groß“, antwortet sie erneut. „Danke“, damit lausche ich weiter der Musik und sehe zu meinen Stiefbrüdern. Mat hat die Augen zu und versucht zu schlafen. Ben liest gerade ein Buch. Mir persönlich wird immer schlecht wenn ich während der Fahrt etwas lese, aber ihm schien das nichts auszumachen.
Nach einer Ewigkeit halten wir auf einem Parkplatz vor einem hohen Berg. Es stehen auch noch andere Autos hier, anscheinend wollen mehrere Leute heute wandern, dass manche das freiwellig machen. Der Berg ist voller Tannenbäume, so dass man von Unten nichts außer diesem Wald erkennen kann, nur dass er sehr hoch war und ich gut darauf verzichten konnte, ihn zu erklimmen.
Mein Stiefvater hat nach einem Blick auf dieses Monstrum, welches in die Höhe ragt, sofort wieder seine schlechte Laune verloren und beginnt mit meiner Mutter neben sich den steilen Weg entlang mit großen Schritten zu gehen. Mat und Ben sind gut darin mit ihnen Schritthalten zu können, doch ich muss mich wirklich abmühen und schnaufe schon nach 20 Metern wie ein Walross kurz vor dem Sterben. Immer mehr Abstand befindet sich zwischen mir und den Anderen, durch mein Hecheln und unaufhörliches Luftschnappen komme ich auch gar nicht erst dazu ihnen zu sagen, dass sie gefälligst warten sollen. Ich beschließe hier einfach kurz eine Pause zu machen und etwas zu trinken. Wenn sie merken dass ich fehle werden sie sicher auf mich warten. Wieder etwas gestärkt laufe ich weiter, aber noch immer reicht mein Tempo nicht. Ich kann sie nicht einmal mehr sehen. Erst jetzt, so ganz alleine, kommt mir dieser Wald sehr schaurig vor. Die dunklen Nadelbäume türmen soweit nach oben, das ich ihre Kronen gar nicht erkennen kann, was wohl auch daran liegt, das sie alle so dicht aneinander gereiht sind. Das Laub unter mir ist matschig und erschwert den Weg nur noch mehr, da man dadurch immer wieder 5 Millimeter zurück rutscht und das sind mir 5 Millimeter zu viel. Abgesehen von den Bäumen ist neben mir auch noch eine Wand aus festem Stein. Der Himmel hat sich grau verfärbt und die Wolken hängen so tief, dass ich jederzeit mit Regen rechnen musste und meine Schritte deswegen verschnelle. Ich habe wirklich keine Lust nass zu werden und einen Schirm musste ich natürlich vergessen. Immer wieder mit kurzen Pausen komme ich dann doch voran. Aber die anderen treffe ich irgendwie nicht. Entweder sind sie schon da und warten dort auf mich oder sie sind so mit laufen beschäftigt, dass sie mich ganz vergessen haben. Ich kann mir beides vorstellen. Der Wind ist nun kälter geworden und der Luftdruck hat sich auch verändert, so dass mein linkes Ohr immer wieder mal kurz zugeht.
Ich mache wieder eine kurze Pause. Es ist ziemlich neblig geworden und ich kann noch weniger sehen. Trotzdem laufe ich etwas weiter vom Weg ab und bleibe aber stehen bevor der Boden aufhört. Es ist sehr hoch und das Problem: Ich bin noch nicht einmal bei der Hälfte. Denke ich jedenfalls. So genau weiß ich das gar nicht mehr, es kommt mir vor als hätte ich eine Ewigkeit für Nichts gebraucht, aber das könnte auch daran liegen dass alles hier so gleich aussieht. Durch den dicken Nebel kann ich nicht einmal die Aussicht bewundern, denn ich sehe nur Umrisse von noch mehr Bäumen, also mache ich mich zurück auf den Weg. Moment mal. Wo ist der Weg gleich noch mal gewesen? Das kann jetzt wohl nicht mein ernst sein. Ich massiere mir die Schläfen, als ob mir das den Weg wieder vor Augen bringen würde. Ich sehe mich um und mache das schlechteste was ich nur tun kann. Ich renne einfach los. Aber ich weiß einfach nicht was ich sonst tun soll. Hier stehen bleiben und darauf warten bis der Nebel verschwindet kann Stunden dauern. Meine Schritte lassen das Laub aufrascheln und ich umklammere meinen Körper, da ich sonst anfangen würde zu zittern. Die kalte Luft brennt stark in meiner Kehle und ein schmerzhaftes Stechen in meiner Taillie bringt mich dazu stehen zu bleiben. Ich lehne mich an einen der vielen tausend Bäume und schnaufe Hastig die eisige Luft aus. Ein Tropfen fällt vom Himmel direkt auf meine Stirn und ich sehe nach Oben. Es kommen vereinzelt immer mehr. Schlauerweise habe ich mir eine Jacke ohne Kapuze mitgenommen. Wieder laufe ich los. Es kann nur besser werden, rede ich mir zumindest ein. Es ist noch windiger als ohnehin und ich kneife meine Augen zu, da sie schon anfangen zu Tränen. Ob sie wohl nach mir suchen? Das würde bestimmt nichts bringen, immerhin bin ich hier in einem tiefen großen Wald mit Nebel, der einem die ganze Sicht nimmt. Ich bin verloren. Dieser Gedanke breitet sich immer mehr in meinem Gedächtnis breit. Die einzelnen Tropfen haben sich nun in eine Schar aus unendlich vielen Tropfen weiterentwickelt und prasselnd nur so auf mich ein, als wollten sie mich zu Boden drücken. Ich halte mir meine Hände über den Kopf, doch das bring nichts. Das Wasser rinnt mir über mein Haar und von meinem Armen. Ich bin schon jetzt ein Teil des Regens. Ich bleibe stehen und presse meine Augen zu, immer noch meine Arme um mich geschlungen. Das wird nichts mehr. Ganz bestimmt nicht.
Aber einfach hierzubleiben wäre noch schlechter, immerhin habe ich dann überhaupt keine Chance irgendwo unter zu kommen. Warum gibt es hier eigentlich weit und breit Nichts außer Bäume? Ich bewege mich langsam wieder weiter und langsam gewöhne ich mich an den Regen. Oder meine kalten Hände fühlen sich nur so taub an, dass ich ohnehin nichts mehr spüre. Ohne es bemerkt zu haben bin ich wieder schneller geworden und ohne etwas zu sehen renne ich so durch den Wald. Ich hätte niemals vom Weg abkommen dürfen. Aber jetzt ist es zu spät. „War doch klar. Hast du nicht gelernt das man nie vom Weg abkommen soll?“, höre ich die hämische Stimme von Mat in meinem Kopf. „Klar hab ich!“, knurre ich nur leise vor mich hin. „Dann bist du also einfach nur dumm?“. Ich will dass er aufhört, ich weiß selber dass ich etwas falsch gemacht habe. „Sei still!“, schreie ich. Super, jetzt führe ich schon Selbstgespräche, nicht mehr lange, dann halluziniere ich! „Wer soll hier still sein du Zwerg?“, jetzt ist es wirklich soweit. Ich halluziniere. Jetzt sehe ich Mat schon an einem Baum gelehnt stehen. „Hast du dich verlaufen? Wir haben dich überall gesucht“, die Halluzination kommt auf mich zu. Ich weiche reflexartig ein paar Schritte zurück und knalle leicht gegen einen Baum. Ich reibe mir meinen Kopf. „Du bist wirklich unverbesserlich“, Mat beginnt zu lachen. Er hat einen Regenschirm und stellt sich so zu mir, dass ich nicht mehr nass werde. Komisch, können Halluzinationen dafür sorgen dass man nicht mehr nass wird? „Alles Okay?“, er sieht mich ernst an. Ich packe seinen Arm.
Er ist echt. Keine Halluzination. „Jetzt schon“, ich lächle überglücklich. „Du kannst von Glück reden das ich dich gefunden habe. Georgy hat ja gesagt wir sollen dich erst Suchen wenn das Unwetter und vor allem der Nebel weg ist, aber Ben ist wie verrückt los gerannt um dich zu suchen. Also habe ich mich auch erweichen lassen, außerdem haben wir eine Wette am Laufen. Wer dich zuerst findet bekommt fünf Euro. Also werde ich dank dir reicher". „Idiot“, murre ich heiser. „Sagst du dass zu jedem der dich rettet?“ „Nö, nur zu dir“, sage ich immer noch beleidigt. „Uh, cool. Ich bin was Besonderes“, wieder sein Grinsen. „Können wir jetzt zurück gehen?“, frage ich schlotternd. „Äh ja also, das wollte ich dir ja noch sagen. Du hast Glück das ich dich gefunden habe, weil ich mich nämlich auch verlaufen habe“, er kratzt sich verlegen am Hinterkopf und sieht dabei in die Luft. „Aber mir sagen dass ich dumm bin…“ „Tja, was machen wir jetzt?“. Ich würde es niemals zugeben, aber ich bin froh dass er hier ist. Ich meine an meiner Lage hat sich nichts geändert. Aber nicht mehr alleine zu sein gibt mir irgendwie wieder etwas Mut. „Lass uns einfach weiter gehen“. Er nickt.
Wir laufen ein paar Schritte, dann muss ich anfangen zu Niesen. „Gesundheit“, lächelt er. „Danke“, bringe ich gerade so noch hervor und putze mir die Nase mit meinem durchnässten Ärmel ab. „Hier halt mal“, er gibt mir den Regenschirm und zieht dann seinen Mantel aus. „Was genau machst du da?“. Ohne zu antworten will er mir meine ebenfalls ausziehen. „Spinnst du?! Ohne die erfriere ich!“, quietsche ich auf. „Gib sie mir! Mein Mantel ist trocken, ich will nicht das du noch ernsthaft krank wirst“. Ich werde etwas rot, weil ich niemals damit gerechnet hätte, dass er ihn mir deswegen auszieht. Ich dachte es sei nur wieder eine seiner perversen Streiche. Ohne ein weiteres Wort gebe ich ihm meine Jacke und er gibt mir seinen Mantel. Er sieht schon lustig aus mit dem viel zu kleinen hellblauen Anorak. Sein Mantel ist wunderbar warm und fühlt sich unglaublich kuschelig innen an. mir geht es sofort besser. Also psychisch. Dann rutsche ich auf einmal ab und stürze in die Tiefe.
Ich falle ungefähr 5 Meter tief. Alle sagen immer dass sie sich fühlen als würden sie in Zeitlupe fallen. Hier war es definitiv nicht der Fall. Mit rasender Geschwindigkeit bin ich hinuntergefallen und unsanft auf meinem Rücken gelandet. Zuerst bekomme ich keine Luft mehr, dann fühlen sich meine Lungen an, als würden sie gleich explodieren und der stechende Schmerz in meinem ganzen Körper macht es mir nicht unbedingt leichter. Mein rechter Ellenbogen ist aufgeplatzt und eine warme Flüssigkeit rollt langsam über meine Haut. Blut. Ich zittere mit meinen aufgeschürften Händen und versuche mich aufzurappeln, dann spüre ich einen unglaublichen Schmerz in meinem linken Knöchel und knicke unsanft um, so dass ich auf meinem Hintern lande. „Zoey! Alles Okay?!“ „Ich lebe, wenn du das meinst“, gebe ich gequält von mir. Mat antwortet nicht, weswegen ich auf sehe. Dieser verrückte Idiot ist gerade dabei den Abhang von dem ich gefallen war, hinunter zu klettern. Überraschenderweise schafft er es sogar. „Kannst du aufstehen. Ich nicke und stehe auf, allerdings so, dass ich mein ganzes Gewicht nur auf meinem rechten Fuß habe und mich an die Steinwand lehnen muss. „Was ist mit deinem Fuß?“ „Alles Okay“, lüge ich und versuche ihn etwas auf dem Boden abzustellen, allerdings nicht ohne die Wand loszulassen oder mein Gewicht vom anderen gesunden Bein zu nehmen. Er mustert mich misstrauisch: „Sicher?“ „Sicher“. Damit macht er mir eine Handbewegung, welche deuten sollte, dass wir nun weiter gehen sollen. Ich nicke stumm, hebe den neben mir liegenden Regenschirm auf und wir beginnen zu laufen. Der Schmerz pocht unnachgiebig in dem linken Fuß, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen und fixiere eisenfest irgendeinen Punkt im Nirgendwo. Dann bleibt Mat stehen, schüttelt seinen Kopf und setzt sich in die Hocke: „Ich trage dich“. „Was? Wieso?!“ „Stell dich nicht dümmer als du bist! Dein Fuß ist bestimmt geschwollen, glaub ja nicht das ich das nicht bemerkt habe!“, er sieht mich so finster und fordernd an das ich einfach nachgebe und mich auf seinen Rücken setze: „Ich bin aber schwer“. Mit einem Ruck stellt er sich wieder auf. Zuerst schwankt er noch etwas und versucht das Gleichgewicht zu finden. Aber nach kurzer Zeit geht es weiter. Er ist wirklich stark geworden. „Ich sagte ja ich bin schwer“ „Bist du nicht, ich bin nur etwas benommen vom vielen rennen“, sagt er.
Erst jetzt bemerke ich Kratzer und Schürfwunden auf seinen Unterarmen, da mein Anorak viel zu klein ist und nur bis kurz nach den Ellenbogen geht. Wie hat er sich da überhaupt reinbekommen? „Was hast du gemacht? Deine Arme sind ja total zerkratzt“ „Ach nichts Schlimmes“, das sagt er so. Aber es muss ihm beim Klettern passiert sein. Denn davor hatte er den Mantel an, die Äste hätten also unmöglich seine Arme zerkratzen können. Es ist also schlussendlich meine Schuld. „Tut mir leid“, sage ich benommen. „Was?“ „Das hier. Alles“. Zunächst ist er still. Er überlegt sich was er darauf Antworten soll. „Gib dir nicht die Schuld daran, immerhin haben wir dich verloren“ „Aber ich hätte nicht vom Weg abkommen dürfen“, diesen Satz schreie ich hysterisch und beginne zu weinen. Durch den Regen und den Sturz ist mein Gesicht ohnehin schon so taub das ich sie gar nicht mehr spüre. Wieder Stille, allerdings nur kurz. „Du dummer perverser Zwerg! Wie kannst du nur so bescheuert sein und vom Weg abkommen! Man und dann hast du auch noch meinen Mantel dreckig gemacht und meine Arme sind auch zerkratzt weil ich wegen dir runterklettern musste. Das ist alles deine schuld!“. Mit diesen kalten Worten habe ich nun wirklich am wenigsten gerechnet. „Du hast dich doch auch verlaufen! Außerdem hättet ihr ja mal nach hinten schauen können um nach mir zu gucken! Ihr habt mich immerhin verloren und das ist ganz bestimmt nicht alles nur meine Schuld du… du… du Vollpfosten!“, etwas Besseres fällt mir gerade nicht ein und ich schluchze kleinlaut. Ich höre auf zu weinen, denn jetzt bin ich nur noch wütend. Er Antwortet nicht. Das ist merkwürdig für ihn. Normalerweise würde er jetzt sofort zurückschießen. „Ich weiß“, kommt stattdessen von ihm. „Was?“ „Ich weiß das du nicht alleine Schuld bist du Zwerg“, wiederholt er. „Aber…hä?“, ich bin vollkommen verwirrt, aber er gluckst nur und versucht nicht mich aufzuklären. Ist er gerade nett zu mir gewesen?!
„Warte mal“, sage ich und er bleibt stehen. Ich krame in meinem Rucksack herum und ziehe mein Handy heraus. Mit geweiteten Augen sieht Mat mich an. Ich selbst bekomme wohl auch gleich einen Anfall. Wieso komme ich erst jetzt auf die Idee meine Mutter anzurufen und nach zu fragen wo sie eigentlich sind! Mat hat sich wieder umgedreht und schüttelt nur verständnislos den Kopf. Ich ignoriere dies und wähle die Handynummer meiner Mutter. „Zoey?!“, ihre Stimme ist weich aber laut. „Ja, äh. Ich hab mich verlaufen“ „Wieso rufst du erst jetzt an?“ „Weil der Regen ihre Gehirnzellen weggespült hat“, mischt Mat sich ein. Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu, den er aber leider nicht sehen kann und antworte: „Ich hab vergessen das ich mein Handy dabei hatte“ „Naja, wo seid ihr denn ungefähr?“ „Wenn ich das nur wüsste“, ich seufze. „Was könnt ihr denn sehen“ „Bäume“, kommt es wieder von dem schwarzhaarigen. „Okay, das hilft eigentlich gar nichts“ „Ich weiß“. Dann sehe ich sie. Die dunkle Mauer der Burg ragt hoch in die Luft empor. „Wir sind da!“, ich freue mich so sehr das ich ausversehen auflege. Ich stopfe mein Handy zurück in den Rucksack und nach nur ein paar weiteren Schritten sind wir auch schon in der Burg. Sie ist wirklich gut erhalten und all die Möbel stehen noch darin. Zwar sind die Sachen, welche aus Holz bestehen, ziemlich faulig und morsch und Gold oder andere wertvolle Sachen gibt es auch nicht, trotzdem ist die Burg wirklich cool.
Meine Mutter kommt schreiend auf uns zu gerannt und nimmt mich in den Arm. Ich bekomme fast keine Luft. So fest umarmt sie mich. Mat zieht meinen Anorak aus und wringt diesen aus. Ich befreie mich aus der Umklammerung und ziehe den Mantel aus, er duftet unglaublich gut. Ich kann nur nicht beschreiben nach was, aber es war Mats Duft. „Ist Ben da?“, frägt Mat. „Ja“, meldet sich sein Halbbruder, „Ich bin gerade zurückgekommen, wie geht’s dir Honey?“, er hat eine besorgte Miene aufgelegt und seine smaragd grünen Augen glänzen voller Sorge. „Naja ganz gut. Allerdings habe ich nun schnupfen und ein paar Schürfwunden, zudem tut mein Fuß weh“. Als meine Mutter das hört mustert sie mich von oben bis unten: „Du blutest“, stellt sie fest und schleift mich dann zu einer Bank. Warm ist es hier nicht unbedingt und ich strecke Mat der zu uns kommt seinen Mantel hin, meinen Anorak trägt er eingeklemmt zwischen seinem Brustkorb und seinem Arm. Er schüttelt den Kopf: „Behalte ihn, du bist doch krank, willst du dir eine Lungenentzündung holen?“ „Also… wir kommen hier wohl nicht mehr so schnell weg“, mischt sich Mr. Brook ein. „Wieso?“, will meine Mum wissen. „Ich habe gerade einen Kollegen angerufen, damit er uns den Wetterbericht sagen kann, er meinte, das dieses Unwetter wohl noch bis morgen früh so weiter gehen wird“ „Dann werden wir eben eine Nacht hier übernachten“, sagt sie und versucht ermutigend zu klingen, was ihr gründlich misslingt.
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2014
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