L O G B U C H
meines Lebens
Ges(t)ammelte Erzählungen aus dem Leben
von
Hans-Jürgen Spanhake
Vorwort
Nachdem ich schon einige Jahre meine Pension genießen konnte und ein Kochbuch für meine Frau zusammengestellt und jede Menge Photos von Wolkenformationen geschossen hatte, um daraus Schlussfolgerungen für eine Wettervorhersage ableiten zu können, fiel ich in das tiefe Loch der schöpferischen Leere.
Um mich da wieder herauszuholen, forderten Corinna und Bettina, unsere Kinder, mich auf, mein Leben in Form kleiner Erzählungen aufzuschreiben, damit sie einen zeitgenössischen Bericht ab 1929 bekommen und gleichzeitig Näheres über ihre Altvorderen erfahren könnten. Natürlich geht es hauptsächlich darum, ein unverfälschtes Bild meines Lebens zu erhalten.
Somit fing ich im Herbst 2005 an, meine Erinnerungen niederzuschreiben und widme sie meiner Frau Harriet, unseren Kindern Corinna und Bettina, nebst den Enkelkindern Vanessa und Julika.
Am Morgen des 26. Juni 1929 um 04.20 Uhr wollte ich unbedingt mein weiteres Leben bei Tageslicht und an der frischen Luft im Evangelischen Krankenhaus zu Oldenburg in Oldenburg fortsetzen. Meine Mutter war zu diesem Zweck extra von Varel zu ihren Eltern, meinen Großeltern, nach Oldenburg, der damaligen Landeshauptstadt, gefahren.
Hier musste das Problem der Namensgebung erst einmal beseitigt werden. Meine Mutter hätte mich zu gerne Jörg genannt, weil Martin Luther als Junker Jörg die Bibel auf der Wartburg in Eisenach übersetzt hat. (Vielleicht wären dann später meine Lateinkenntnisse besser geworden). Nun hatte sie aber nicht mit dem Protest ihrer Schwiegermutter gerechnet, die meinte:
„Du kannst den Jungen doch nicht Jöööaarrg nennen!“ und sie betonte mit besonders kehligen Lauten den Buchstaben Ö. „Du musst deinen Sohn Jürgen nennen, das klingt doch viel lieblicher. Und weil sein Vater Hans heißt, wäre es doch angebracht, ihn Hans-Jürgen zu nennen.“
So ging das Theater schon vor meiner Zeitrechnung los. Dieses Geplänkel interessierte mich im Augenblick überhaupt nicht, denn als sich zum ersten Mal in meinem jungen Leben meine Lungen mit Sauerstoff füllten, brüllte ich gleich los, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass das Leben an der frischen Luft so schmerzhaft sein kann.
Um jetzt den Behörden klar zu machen, dass ich existierte, wurde ich also doch als Hans-Jürgen Karl Spanhake im Grundbuchamt, oder besser gesagt beim Standesamt, mit Bindestrich im Rufnamen eingetragen. Meiner Mutter gefiel diese Vorgehensweise nicht und so schrieb sie meinen Vornamen kurzerhand, natürlich ohne behördliche Änderung, in einem Wort, also Hansjürgen.
Fortan wurden alle weiteren Eintragungen und Monogramme mit H.S. wie Hansjürgen Spanhake vorgenommen. Da ich von dieser Manipulation nichts wusste, war ich in gutem Glauben und schrieb meinen ersten Vornamen in einem Wort. Erst nach meinem Staatsexamen bin ich von einem Klassenkameraden, der mittlerweile Rechtsanwalt und Notar war, auf diesen Irrtum aufmerksam gemacht worden, als ich, mit seiner Absegnung, ein Grundstück in Dangast gekauft habe.
Da die Eltern meines Vaters auch in Oldenburg lebten, befanden wir uns alle in der wohlbehüteten Großfamilie.
Ich glaube, an dieser Stelle muss ich erst einmal etwas über meine Vorfahren erzählen, denn was jetzt in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren passierte, kann ich nur von Hörensagen berichten.
Außer einem Ereignis, welches wohl das Erste in meinem Erinnerungsvermögen ist: ich muss wohl circa drei Jahre alt gewesen sein, als ein Kugelblitz durch unsere Wohnung in Varel, Windallee 22 sauste, ohne Schaden anzurichten. Er flog ungefähr in meiner Kopfhöhe durch das Fenster in der Küche, die offenstehenden Türen des Flures und durch mein Kinderzimmer wieder nach draußen. Da ich mich rein zufällig im Flur aufhielt, war das für mich ein unverständliches, eindrucksvolles und spannendes Ereignis.
Mein Vater, geb. am 17. Januar 1900: Hans Wilhelm Ernst Spanhake war Staatlich geprüfter Dentist (1952 wurde mein alter Herr per Gesetz Zahnarzt). Er war der dritte Sohn, der zweite ist kurz nach seiner Geburt gestorben, des selbstständigen Malermeisters Carl Spanhake und seiner Frau Anna, geb. Siefken, wohnhaft in Oldenburg/Oldenburg, Bergstraße 18. Das waren also Oma und Opa Bergstraße.
Meine Mutter, geb. am 27. September 1902: Emma Juliane Johanne Spanhake, geb. Spilker, erstgeborene Tochter von den vier Kindern des selbstständigen Schlachtermeisters Karl Spilker und seiner Frau Helene, geb. Oltmanns, wohnhaft in Oldenburg/Oldenburg, Ofener Straße 13, und somit waren diese Oma und Opa Ofener Straße.
Da meine Eltern beide in dieser schönen Stadt geboren wurden, musste natürlich auf meinem Geburtsschein der gleiche Ort eingetragen werden. So viel zu meinen direkten Vorfahren.
In der weiteren Verwandtschaft waren Berufe wie Soldaten, Beamte, Fischer, Kaufleute, Malermeister und Stuckateure, Bäckermeister und nicht zu vergessen Zinngießer und das über zwei Generationen. Es war die Siefken Glockengießerei Varel, vormals Johann Siefken aus Westerstede bei Oldenburg. In der mündlichen Überlieferung wurde von einem der beiden gesagt, sie hätten aus der freien Hand Motive, die der Kunde wünschte, hinter der Ladentheke stehend freihändig in die Teller oder Krüge gestichelt.
Mein Urgroßvater Friederich Siefken aus Varel war, bevor er Zinngießer wurde, Krabben- und Muschelfischer und hatte eine ganz beachtliche Flotte von Fischerbooten. Außerdem lag sein Schlepper namens ‚Delphin‘ im Vareler Siel.
Meine Urgroßmutter Elise, seine Frau, war die Erste in Deutschland, die Versuche mit der Konservierung von Krabben gemacht hat. Mein Vater erzählte mir, wenn er zu Besuch bei seinen Großeltern in Varel war, seien dort von Zeit zu Zeit immer mal einige Behälter im Keller explodiert. - Das muss doch fürchterlich gestunken haben.
Da mein Urgroßvater kein guter Geschäftsmann war, wurde er von seinem Prokuristen von hinten und vorne betrogen und so ging die ganze Flotte baden und er wurde auch Zinngießer, wie sein Vater. Noch heute befinden sich einige Arbeiten von ihm in unserem Familienbesitz.
Zu den entfernteren Verwandten gehörten sogar mehrere Zahnärzte, besonders aus dem Zweig der Elise Siefken, geb. Ehlers. (z.B. Zahnarzt Dr. Ehlers in Varel)
Dieser besagte Kugelblitz war also der Anfang zu meinem Erinnerungsvermögen. Vorher hat sich, wie mir später erzählt wurde, aber noch Folgendes ereignet:
Wie es früher wohl so üblich war, stand mein Kinderbett in den ersten Jahren quer vor dem Doppelbett meiner Eltern. Zum Entsetzen der ganzen Familie und des Freundeskreises meiner Eltern war ich schon immer ein Frühaufsteher und so auch an diesem besagten Morgen: Ich stand in meinem Kinderbett und muss mit großen Augen, leicht entsetzt zu der frisch dauergewellten Haarpracht meiner Mutter geschaut haben. Dieses hat mein alter Herr beobachtet und fragte mich ganz vorsichtig:
„Pussi“, mein Spitzname bis ins hohe Alter, „was ist denn da? Das ist doch Deine Mami.“ Darauf hätte ich voller Entsetzen geantwortet: „Ich denkte, da liegt ein Löwe!“
Zu dieser Zeit muss es auch wohl gewesen sein, dass wir irgendwann am Abendbrotstisch gesessen haben und mein Vater sich eine Leberwurststulle geschmiert und genussvoll zu Gemüte geführt hat. Auf die Frage meiner Mutter, was ich für einen Brotbelag haben möchte, wollte ich natürlich das Gleiche wie mein Vater haben. Meine alte Dame meinte aber, es wäre nicht gut für mich, es wäre Bä-bä! Darauf hätte ich gesagt: „Bä-bä guuut!“ Dieses hat sich über Jahrzehnte als Schlagwort in der Familie behauptet, besonders wenn etwas sehr gut geschmeckt hat. Da dieser Ausspruch noch meistens mit hopsenden Bewegungen im Zusammenhang stand, war es für meine spätere Frau, als sie es zum ersten Mal miterlebte, vollkommen unverständlich und irritierend, zumal ich ihr vorher nichts davon erzählt hatte.
Meine Kindheit verlief sonst in ruhigen Bahnen. Morgens kam Adele, unser Hausmädchen, und brachte mir als Erstes meine geliebte Pulla mit warmem Kakao ans Bett, welches mittlerweile im Kinderzimmer stand.
Dieses ging über Jahre, bis es den Alten wohl irgendwie lächerlich vorkam und dieser Zustand, zu meinem größten Bedauern, abgestellt wurde. Es war immer sehr gemütlich, im warmen Bett zu liegen und an einem Fläschchen zu nuckeln und vor sich hin zu träumen und zu überlegen, was man wohl alles an diesem Tag anstellen könnte.
Mindestens einmal im Jahr, das war Satz, bekam ich den Hintern versohlt,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2019
ISBN: 978-3-7487-2397-4
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Frau Harriet, sowie meinen Kindern Corinna und Bettina und meinen Enkelinnen Vanessa und Julika.