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Gewisper und Verbrechen im Jahre 2021

Marinella Charlotte van ten Haarlen

 

 

 

 

 

 

Knochenberg

 

 

 

 

Science-Fiction Krimi

 

 

Deutsche Ausgabe

kasaan media publishers

ISBN: 978-3-96593-174-9

5.Ausgabe: April 2020

 

All Copyrights by Marinella Charlotte van ten Haarlen, 1980-2021

 

 

 

Für meine Eltern, Geschwister

FSK ab 18 Jahren

 

 

 

 

 

 

Gewisper und Verbrechen im Jahre 2021

 

In diesen Tagen war meine beste Jugendfreundin ermordet worden, einfach so. Sie war eine der bekanntesten Anchor-Women von Shy TV.

Lange hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Ich gestand mir selbst ein, dass ich den Kontakt nicht mehr suchte, nicht mehr pflegen wollte. Wie Sand in einer Uhr, der einfach durch das Glas in das Nichts gerieselt war.

Karen war tot. Der so unglaublich hübsche Körper hatte aufgehört zu funktionieren. Karen im Bikini, Karen beim Friseur, Karen im Sportstudio, alles war mir bekannt aus den einschlägigen Klatschspalten. Karen war schrill, aufdringlich. Karen war überall.

Der Maßstab aller Dinge geworden.

Natürlich hatte ich aus Neugier den weiteren Lebensweg meiner ehemaligen Klassenkameradin verfolgt.

Sie gedieh im Laufe der Jahre zur Superfrau in der etablierten Klasse der politischen Totengräber ganzer Völker.

Karen Colbe entblößte sich und ihre zynische Seele, die vor Gier nach mehr schrie. Nichts war genug. Gut genug. Dunkle, fast bizarre Bilder aus einer anderen Dimension. Still weinte ich, obwohl ich sie Jahrzehnte nicht mehr gesehen hatte. Aus Sentimentalität. Eine bizarre Tat eines augenscheinlich Wahnsinnigen, eines Reisenden in Sachen Tod. Einer geübten, planvollen Hand. Der Kollege von Systems TV wurde nicht müde, die böse Tat mit schneidender Stimme anzuprangern. Das ging schon Tage so.

Weder DNA war an der hässlichen Leiche gefunden worden noch ein Haar. Noch hinterließ er eine andere Spur, die zum Täter führen konnte. Kein Sperma oder Speichel, nur dieses riesige orangefarbene Kondom. Die Leiche lag auf ihrem Bett. Der Körper war blau, schillerte bis ins Violette. Ihre Kleidung war verbrannt worden, zerflossen zu kleinen unscheinbaren Punkten. Die edlen Fasern einer Boutique aus Mailand oder Paris, wie Kollegen geifernd vom Tatort berichteten. Ein Kissen mit einem Stoffarm war zerschnitten worden. Die Hand schmückte das Bett. Selbst der elektrische Impulsvibrator neben ihr wurde zu einem heiß diskutierten Thema in den Klatschspalten.

 

Mir zeigte es nur, dass Karen Colbe zum postmortalen Abschuss freigegeben worden war. Jeder, der etwas mit ihr zuvor zu tun hatte, verstand sich darauf, sich und seine Getreuen, die Lobbyisten und Lakaien des Systems zu distanzieren. Unscheinbar zu reden.

Wie eine glitschige Maske war das riesige Kondom über das Gesicht der Fernsehmoderatorin gezogen worden. Wie einen Fetisch quälte der Mörder sie. Von innen war das Präservativ mit einer ätzenden Säure gefüllt worden, die langsam die menschlichen Züge zu einem verzerrten Fleischball veränderte. Jedoch auf Gummi oder Kautschuk nicht reagierte. Es schien wie ein Mord aus dem Geheimdienstmilieu, aber es sollte nur den Anschein erwecken. Eine geschickte Finte. Von Karen blieb nur ein Blutklumpen, dort wo der Halsstumpf endete. Von Säure enthauptet. Geronnene Muskeln, zerrissene Sehnen, zersprungenes und verkohltes Gewebe durch die chemische Reaktion, die die nicht identifizierbare Säure hervorgerufen hatte.  Stunden musste der Kopf gedampft, gezischt haben. Das Leid musste für Karen unvorstellbar gewesen sein. Sie wurde buchstäblich bei lebendigem Leib aufgefressen. Kleine, unscheinbare schwarze Schatten zeichneten sich wie Wölkchen unter der weißen Decke ab. Ihr Körper war mit großen und kleinen Hämatomen übersät. Ein kräftiger Mörder oder einer, der sich so gebärdete, hatte sie entleibt. Das Wasserbett war an einigen Stellen löchrig, jemand hatte mit einem spitzen Gegenstand in das Reservoir gestochen. Mehrfach. Wütend und immer wieder.

Der oder die Mörder waren vom Wahnsinn besessen.

Die weit gespreizten Beine waren wie in schillerndes Wachs eingegossen. Eine Plastik-Silikonverbindung, die relativ schnell aushärtete, sich nicht mehr lösen ließ. Wie Stein. Der Meuchelmörder zeigte seine filigrane Handschrift.

Auf dem flauschigen Teppich verteilten sich tausende verschiedener Zündhölzer, herausgerissen aus Päckchen, die am Tatort nicht zu finden waren. Auf einem Berg der Schwefelköpfe stand, wie verloren in einem tödlichen Stillleben, ein hölzerner selbst gebauter Schemel.

Darauf eine Batterie aus der Vergangenheit. Eine simple Mignonzelle, wie der spindeldürre Kriminaltechniker einräumte. Produziert worden war dieses außergewöhnlich gut erhaltene Stück Anfang des Jahrtausends, vielleicht auch ein paar Jahre davor. Es kam aus einer Großhandlung in Villach in Österreich.

Ein Zeitungsartikel, ausgeschnitten aus der Ausgabe des Hamburger Abendblattes 1995, zeigte die Flüchtlinge in Bosnien. Afrikanische Holzköpfe waren überall verteilt, abgeschlagen oder abgesägt. An diesen hing silbrig glänzendes Lametta. Der Tatort befremdete.

Einige Meter weiter ein Buch über das Leben, das andere über den Tod aus dem 19. Jahrhundert. Von unserem Staat verbotene und indizierte Lektüre. Seite 61 im Buch des Todes war entfernt worden. Sie fehlte.

Einige Stücke bemoosten und morschen Holzes lagen in der Mitte des Zimmers, ein Haufen roter Sand daneben.

 

Wie nach einer wirren Liste war der Mörder vorgegangen, vollendete seinen Plan, indem er aus der ganzen Wohnung Spiegel aufstellte, die die Tote reflektierten.

Es war ein Zeichen, dessen Sinn der leitende Ermittler nicht verstand.

Der erste Schritt zum Übertöten war getan.

Schmale, dünne Ritzen sägte er nach Vollendung der Tat in das Plastik der Beine. Darin verankerte er Angelhaken und an der Zahl 60 Reißzwecken in einem seltsamen Muster. Die Metallstifte gab es seit Jahren nicht zu kaufen. In einem porzellanenen Köcher sammelte sich der endlose Fluss des Blutes, der nicht versiegen wollte. Die Fußnägel waren verschmort. Dann parfümierte er die Leiche aus einem großen, achteckig geschliffenen Flacon. Wie ein Meister seines Faches. Der bearbeitende Kriminalist schwieg, wusste er nur zu gut, dass die Tat nicht das erste Verbrechen des Täters war.

Aber die Datenbank brachte nichts vergleichbar Grausames.

Zwei weitere aufgezogene Glasspritzen mit Säure, die sofort die hölzerne Kommode verätzten, lagen noch seitlich neben dem Bett. Ein Mixer mit einer Solarladeapparatur daneben. Ein Kartoffelschälmesser und eine Dose Haarspray aus dem Anfang des Jahrhunderts, beides war ungebraucht. Der Täter schien das Verbrechen seit Jahrzehnten geplant zu haben.

 

Der eigentliche Akt des Tötens musste über Stunden gegangen sein. Genau wusste das niemand. Es konnte auch nicht rekonstruiert werden. Moderne Technik konnte nicht alles. Das rote gebündelte Licht des Lasers wirkte wie eine klägliche Taschenlampe. Das Genick war gebrochen, stumpfe Gewalt, verätzte Brandwunden, die wie tiefe Glutmale von Zigarettenspitzen aussahen. Produkte aus Tabak waren längst verboten, konnten nur über den Dealer bezogen werden. Die Zigaretten dagegen stammten aus alten Beständen, die unter der Hand abverkauft wurden. Wahrscheinlich von der Regierung.

 

Der Tod war zwischen 20 und 22 Uhr am Vorabend eingetreten. Niemand hatte den Täter gesehen. Die Reinigungsfachkraft im Erdgeschoss, die mit dem Ultraschallbesen den Flur zum Glänzen brachte, zuckte gleichgültig mit den Schultern. Sie schien auch nicht sonderlich interessiert an einer Beobachtung.

Karens fachgerecht abgeschnittenen Hände klebten an der gegenüberliegenden Wand. Diese wirkten wie ein letzter, wenig freundlicher Gruß der Moderatorin an die Nachwelt.

Weil es warm in dem Zimmer war, hatte die Verwesung bereits eingesetzt. Es stank, die Beamten konnten ihre Übelkeit auch nicht vor laufenden Kameras verbergen, würgten, ob des unaufhaltsamen Zersetzungsprozesses. Die inneren Organe zeigten die ersten untrüglichen Anzeichen. Die Milz, wie auch der Magen, waren verletzt, wahrscheinlich durch einen Schlag oder mehrere Schläge. Auch an der Lungenoberfläche zeigten sich lange Risse, der rechte Herzbeutel war verletzt. Verzweifelt versuchte die Polizei, die Tat zu rekonstruieren.

Der Fall war mysteriös, erregte in allen Bürgern eine unheimliche Furcht, dass eine Bestie in Menschengestalt hinter jeder Ecke lauern konnte. Ein jeder von uns konnte Opfer eines weiteren Verbrechens werden.

Es lief über alle elektronischen Ticker jeder Zeitung.

Ein geheimer Zirkel von sexuell Abartigen wurde hinter der grausamen Tat gewähnt. Wilde Orgien, in denen Sodomie noch das harmloseste Übel der Zeit war, wurden dahinter gemutmaßt. Sex mit einem altersschwachen Leoparden, der aus einem Zoo ausgebrochen sein sollte, glaubte man den wilden Vorstellungen meiner Zeitgenossen.

 

Das riesige tennisballgroße Auge, das in einer geschwungenen Glasflasche über dem Bett hing, hatte sich schwarz verfärbt. Karen hatte es auf einer Auktion vor einigen Jahren erworben. Einst war das Auge an einem Strand in der Bretagne anspült worden. Keinem Tier konnte es auch nach jahrelanger Untersuchung zugeordnet werden, so nahm man an, dass in der unerforschten Tiefsee Spezies lebten, die kein Wissenschaftler je zu Gesicht bekommen hatte.

Bezeichnenderweise waren Menschenopfer und grausame Rituale, die von einem russischen Wunderheiler praktiziert wurden, die liebste Beschäftigung Karens. Diese Gewohnheiten trafen den blutigen Geschmack der jungen Witwe.

Die Fantasien des Boulevards überschlugen sich. Wilde Orgien inmitten von Blut und Tod.

Selbst eine kaiserliche Gesellschaft aus der Zeit des Ersten Weltkrieges wurde mit Karen in Verbindung gebracht.

Das war mehr als lächerlich, schon grotesk. Degenfechter, Burschenschafter und Damen in langen Röcken.

Jedes Wochenende kämpften die selbst ernannten Picklhauben ein interaktives Schlachtgetümmel an der künstlichen Mar-ne,  Lobbyisten der Geld- und Politmafia, die uns seit Jahren regierte, bauten ihre tödlichen Fantasien in einem Wald ab, in mehreren Schützengräben, die sie extra zu diesem Zweck ausgehoben hatten.

Kunstblut wurde in die imitierte „Knochenmühle“ gegossen. Dann beackerte die Artillerie das Schlachtfeld. Kugeln wurden aus einer computergesteuerten Maschine abgefeuert.

Gummigeschosse trafen die einfachen Soldaten, Gas wurde versprüht. Es machte nur bewusstlos, verätzte nicht die Lungen.

Die Ermittler fanden digitale Aufnahmen, die der „Rote Baron“ aus luftiger Höhe gemacht hatte, sie zeigten Karen auf der Flucht vor einem Unbekannten. Später lag ein Körper im Graben, der kurz darauf zugeschaufelt wurde.

Der „Rote Baron“ war mit einem Elektroflieger über die rauchenden Trümmer eines nachgebauten Forts gekreist. Dann schoss man das Ass der Lüfte ab.

Er konnte sich später an nichts mehr erinnern. Abgestürzt in einer der Bars, wo der Whiskey, das Glas 40 US$ kostete. Der Beruf der Prostituierten forderte blutjunge Mädchen, die die Reichen, die im umzäunten Gelände des Stacheldrahtes lebten, aussuchen konnten, wie dereinst Anzüge von der Stange. Dort war es erlaubt zu rauchen, obwohl das Volk dafür hart bestraft wurde, erlesenste Weine und feine Speisen wurden von zackigen Ordonnanzen im angrenzenden Casino gebracht.

 

Karen war immer, sofern sie zu Lebzeiten konnte, dort, inmitten der vielen Aktienhändler, der fachsimpelnden Derivatmafia und der politischen Elite gern gesehen.

Das Ermorden von politischen Gegnern kam zwar wieder in Mode, aber alles geschah nicht offensichtlich, sondern eher im Verborgenen.

Die allgemeine Wut auf Wirtschaftsminister Happe ließen unbekannte Täter von einem Elektromotorrad aus geschehen. Die schwere Limousine explodierte und die neue Partei der Nationalen Freiheit verlor ihren Kopf. Wie eine Warnung, die aber niemand außer den Initiatoren

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 23.11.2021
ISBN: 978-3-7554-0095-0

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