Die letzten Stunden ihres Urlaubs waren angebrochen. Noch einmal Sonne tanken und das Meer genießen. Fenja lag in einer kleinen versteckten Bucht, hüllenlos am Strand. Ihre beiden Geschwister Maya und Chloe spielten im Wasser und ihre Eltern waren gerade schwimmen.
Fenja schreckte hoch, als sie etwas Nasses auf ihren Körper fühlte und hörte, wie ihre beiden Schwestern lachten. Sie hatten mit ihren kleinen Sandeimern Wasser aus dem Meer geholt und über die schlafende Fenja gegossen. Jetzt lachten sie, weil ihre Schwester sehr erschrocken hochkam. Kaum war Fenja auf den Beinen, rannten ihre Schwestern sofort weg und sie folgte ihnen. Am Meer hatte sie die beiden Kleinen eingeholt und jetzt gab es eine ordentliche Wasserschlacht. Fenja war viel stärker als die beiden kleinen Mädchen, aber diese bekamen Unterstützung von Mama und Papa.
„So Kinder, wir müssen jetzt ins Hotel und unsere Sachen holen. Das Urlaubsende ist leider erreicht", sagte der Vater und Fenjas Mutter war schon dabei, die Sachen einzupacken. Traurig liefen alle fünf zum Hotel, um ihr Gepäck aus den Zimmern zu holen und in der Hotelhalle auf den Shuttlebus zu warten.
Zuerst ging es zum Miami International und von dort nach Atlanta. In Atlanta hatten sie drei Stunden Wartezeit, bevor der Hopser über den "Großen Teich" erfolgen sollte. Über 8 Stunden sollte dieser Sprung dauern, aber man konnte in der Zeit schlafen, soweit es bei den engen Sitzreihen und den vielen Menschen möglich war. Fenja hasste Langstreckenflüge und besonders Nachtflüge. Auf ihren letzten Flug hatte sie einen Dauer-Schnarcher hinter sich sitzen und Schlaf war unmöglich gewesen. Hoffentlich hatte sie diesmal mehr Glück.
In Atlanta hatten Maya und Chloe wieder Hunger und entdeckten einen Burger King. Fenja wollte nur eine Cola und so saß man am Tisch, um die Wartezeit zu überbrücken. Die kleinen Mädchen nutzten die Zeit, um in der Spielecke noch einmal ausgiebig zu toben und Fenja machte mit. Sie waren richtig ausgelassen und nach mehr als einer Stunde waren alle drei geschafft.
Nachdem Boarding hatten sie ihre Plätze aufgesucht und zu ihrem Glück hatten sie Plätze an einen Notausgang bekommen mit mehr Beinfreiheit. Die beiden Schwestern freuten sich über die Fensterplätze, nur konnten sie sich nicht einigen, wer auf welcher Seite sitzen und welcher Elternteil neben ihnen sitzen sollte. Fenja sah es locker, da sie am Gang sitzen konnte. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Türen geschlossen wurden und die Aufforderung zum Anschnallen aufleuchtete. Gleichzeitig begannen die Flugbegleiterinnen die Sicherheitsvorschriften zu erklären und prüften, ob die Sicherheitsgurte angelegt waren,
Der Service konnte sich wirklich sehen lassen und das Abendessen schmeckte. Nach dem Essen hatten sich die beiden kleinen Schwestern hingelegt und schliefen, während Fenja mit den Eltern noch ein Video-Stream schauten. Danach stellten sie ihre Rückenlehnen in die Liegeposition und versuchten zu schlafen.
Fenja wurde wach, weil jemand sie an der Schulter anfasste und leicht schüttelte.
„Pass gut auf deine beiden Schwestern auf, hier stimmt etwas nicht. Tue weiter so, als ob du schläfst", flüsterte ihr Vater ihr ins Ohr und drückte sie wieder auf ihren Sitz, als sie sich aufrichten wollte.
„Was ist los, Papa?", fragte Fenja.
„Wir haben plötzlich die Flugrichtung geändert und sind in den Sinkflug gegangen. Pass auf deine Schwestern und dich auf, Fenja", flüsterte ihr Vater ihr noch einmal zu, bevor er wieder zu seinem Sitzplatz ging.
Fenja drehte sich zur anderen Seite, wo ihre Schwestern ruhig schliefen. Als sie sich wieder normal hingelegt hatte, sah sie im vorderen Teil des Flugzeuges drei Männer mit Sturmhauben und Pistolen stehen. Die Flugbegleiterinnen saßen ängstlich auf ihren Sitzplätzen und ihre Eltern saßen auf der anderen Seite des Flugzeuges. Ihr Vater deutete ihr an, dass sie ruhig sein sollten.
Zwei weitere Stunden war noch Ruhe im Flugzeug, bis ein schriller Ton alle Fluggäste aus dem Schlaf riss.
„Los! Macht sofort das Licht an", forderte einer der drei Maskierten und eine Flugbegleiterin beeilte sich die Forderung zu erfüllen.
„Aufwachen und zuhören! Unser Flugziel hat sich geändert. In zwanzig Minuten werden wir in Tripolis landen. Alle bleiben auf ihren Plätzen. Wer sich unseren Anweisungen widersetzt, bezahlt es mit seinem Leben!", schrie ein weiterer Maskierter.
Maya und Chloe sahen Fenja zitternd an und man konnte ihre Angst deutlich im Gesicht erkennen.
„Ich muss Pipi", sagte Chloe.
Fenja stand auf und reichte ihren beiden Schwestern die Hand.
„Hast Du mich nicht verstanden? Ich habe gesagt, dass ihr auf den Plätzen bleiben sollt!", schrie einer der Maskierten und hob seine Waffe in Fenjas Richtung.
„Meine beiden jüngeren Schwestern müssen auf die Toilette oder sollen sie auf den Sitz kacken und pinkeln?", sagte Fenja in einem scharfen Ton.
Der Maskierte wollte sofort zu Fenja laufen, wurde aber gehindert.
„Geh mit den beiden Kleinen auf die Toilette, aber macht keine Dummheiten, sonst werdet ihr und die anderen Fluggäste es bereuen", sagte der Maskierte, welcher seinen Partner zurückgehalten hatte.
Kaum war sie mit den beiden Mädchen wieder auf ihren Platz, setzte die Maschine zur Landung an.
Nach dem Aufsetzen rollte das Flugzeug nur kurz auf der Landebahn, bis es zum Stehen kam. Durch das Fenster konnte Fenja sehen, dass sie nicht am Terminal standen.
Ein vierter maskierter Mann tauchte auf und redete mit den anderen dreien. Er sprach in einer ihr unbekannten Sprache und ging wieder zurück zum Cockpit. Das wiederholte sich mehrmals, dann hörte man mehrere Fahrzeuge zum Flugzeug kommen und die vordere Tür links wurde geöffnet.
Eine Frau in Uniform betrat die Kabine, begrüßte die Maskierten, umarmte diese und sprach längere Zeit mit ihnen. Nachdem sie noch einmal aus der geöffneten Tür gesehen hatte, ging sie langsam durch das Flugzeug und ließ immer wieder Fluggäste aufstehen. Fenja und ihre Schwestern mussten ebenfalls aufstehen und stehen bleiben.
Als Fenjas Mutter sah, dass ihre Töchter standen, stand sie ebenfalls auf, wurde aber sofort von ihrem Mann wieder in den Sitz gezogen. Er sah seine Frau an und schüttelte den Kopf.
„Alle aufgestandenen Personen treten in den Gang heraus, aber jede Reihe nacheinander und verlassen das Flugzeug", rief die Frau in Uniform.
„Mama ist nicht aufgestanden", sagte Maya und schaute Fenja ängstlich an.
„Mama kommt mit Papa später nach", antwortete Fenja ihren Schwestern, trat in den Gang des Flugzeuges, um es zu verlassen. Sie drehte sich kurz vorher noch einmal um, um zu ihren Eltern zu sehen. Es war das letzte Mal, dass sie ihre Eltern sah.
Als sie mit ihren Schwestern aus der Flugzeugtür trat, spürte sie die enorme Wärme in Tripolis und gingen die Gangway hinunter. Sie sah die anderen Fluggäste in einen Bus einsteigen, folgte ihnen mit ihren Schwestern an der Hand und sah auf den Weg dorthin bewaffnete Soldaten stehen.
Im Bus setzte sie sich auf eine freie Sitzbank am Fenster und beobachtete das Aussteigen der anderen Fluggäste. Es waren nur junge Frauen mit Kindern, die das Flugzeug verlassen durften. Nachdem die letzten Fluggäste das Flugzeug verlassen hatten, stiegen die bewaffneten Männer wieder ins Flugzeug.
Der Bus schloss die Türen und fuhr zum Terminal.
Fenja! Bewege deinen Hintern aus dem Bett, du bist mit dem Frühstück an der Reihe", rief Ruth, eine Mitbewohnerin der Mädchen-WG und schlug mehrfach an die Zimmertür von Fenja.
Rückblick Anfang:
Nachdem Fenja und ihre Schwestern am Terminal ankamen, wurden sie in einen abgesperrten Teil geführt, wo sich zuerst Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes um sie kümmerten. Anschließend musste Fenja viele Fragen beantworten und einige Bogen ausfüllen. In einem Hotel wurden sie für eine Nacht untergebracht und am nächsten Tag zur deutschen Botschaft gefahren.
Nach fünf Tagen bekamen sie neue Reisepässe und wurden von Mitarbeitern des Roten Kreuzes auf einen Flug nach Frankfurt am Main begleitet. In Frankfurt wartete ein Mitarbeiter des Berliner Jugendamtes Berlin, Herr Otto, auf die drei Geschwister. In Berlin wurden ihre beiden Schwestern in zwei Pflegefamilien und Fenja in einer Mädchen-WG untergebracht.
Rückblick Ende!
Fenja stand auf, ging in die Küche und begann das Frühstück vorzubereiten. Der Geruch frischen Kaffees lockte die anderen WG-Bewohnerinnen aus ihren Zimmern. Schnell saßen Ruth, Jasmina, Lydia und Amelie mit am Tisch. Nach dem Frühstück ging Fenja ins Bad und zog sich an. Arbeiten musste Fenja im Moment nicht, da sie krankgeschrieben war. Heute hatte sie einen Termin beim Jugendamt, denn sie wollte zu ihren Schwestern, was ihr bisher nicht erlaubt wurde.
Im Jugendamt klopfte Fenja an die Tür des zuständigen Sachbearbeiters Herrn Otto und durfte eintreten.
„Fenja, was kann ich für Dich tun", fragte der Sachbearbeiter.
„Ich möchte Kontakt zu meinen beiden Schwestern haben. Geben Sie mir bitte ihre Anschriften", forderte Fenja.
„Ich werde dir die Anschriften deiner Schwestern nicht geben. Es wäre nicht gut, dass deine Schwestern wieder an diesen schrecklichen Tag erinnert werden", erwiderte Herr Otto.
„Ich bestehe auf den Umgang mit meinen beiden Schwestern. Nur gemeinsam können wir die Ereignisse aufarbeiten", antwortete Fenja dem Sachbearbeiter.
„Ich sagte Dir bereits, dass du die Anschriften deiner Schwestern von mir nicht bekommst. Du würdest deine Schwestern nur an diesen schrecklichen Tag erinnern und das kann ich nicht verantworten", sagte Herr Otto sehr energisch zu ihr.
„Darüber ist nicht das letzte Wort gesprochen, Herr Otto. Ich werde mein Umgangsrecht notfalls über das Familiengericht einklagen", schrie Fenja den Sachbearbeiter an.
Nach dieser Antwort wurde sie sehr unfreundlich gebeten, das Büro zu verlassen und der Sicherheitsdienst gerufen.
Fenja liefen die Tränen und sie konnte das Jugendamt nicht verstehen. Wie konnte dieser Arsch von Sachbearbeiter sie von ihren Schwestern trennen?
Es gab noch weitere Probleme für Fenja, denn in das Haus ihrer Eltern konnte sie nicht, da ihre Schlüssel im Haus waren. Nur ihre Eltern hatten ihre Schlüssel mitgenommen. Sie kam nicht an ihre Kleidung und wichtigen Unterlagen für ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau heran. Mutlos lief sie zur WG zurück, wo sie bereits erwartet wurde.
Die Betreuerin der WG wartete, um mit ihr über das Gespräch beim Jugendamt zu reden. Der Sachbearbeiter hatte sich über ihr Verhalten beschwert. Es war jetzt bereits die dritte Beschwerde des Sachbearbeiters und es würde Folgen haben, wenn noch weitere kommen würden.
„Ich will zu meinen kleinen Schwestern, ob es diesen Sesselfurzer von Sachbearbeiter Otto passt oder nicht. Jeden Tag werde ich in seinem Büro stehen, bis ich zu meinen Schwestern darf. Ich bin volljährig und lasse mir das von keinem verbieten. Hören Sie …. Von Keinem !!", schrie Fenja die Betreuerin an, rannte in ihr Zimmer, warf die Tür zu und ließ sich auf ihr Bett fallen. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf und konnte sich nicht beruhigen. Erst nahm man ihr ihre geliebten Eltern und jetzt noch ihre kleinen Schwestern.
„So geht das nicht", sagte Frau Kreuznagel und betrat, ohne anzuklopfen, das Zimmer.
"Raus aus meinem Zimmer! Betreten sie nicht noch einmal mein Zimmer, ohne vorher anzuklopfen, Frau Kreuznagel", sagte Fenja in einen gefährlichen Ton, stand auf, schubste die Frau aus ihrem Zimmer und verschloss die Tür.
Sie muss vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn ein leises Klopfen an ihrer Zimmertür weckte sie. Noch einmal klopfte es leicht und sie stand auf und öffnete die Tür.
„Darf ich hereinkommen", fragte Amelie und Fenja ließ sie ins Zimmer.
„Ist die Kreuznagel noch da", fragte sie Amelie.
„Nein, sie ist vor einer Stunde gegangen. Sie war sauer gewesen und hat die ganze Zeit mit dem Jugendamt und dem Träger der WG telefoniert. Ich habe was von einem Umzug nach München gehört, wenn du noch einmal auffällig wirst", erzählte Amelie.
„Ich werde nicht freiwillig nach München ziehen und mich von meinen Schwestern trennen lassen. Wenn ich nur in das Haus meiner Eltern kommen würde, wäre ich weg von hier", sagte Fenja.
„Was ist mit dem Haus deiner Eltern", fragte Amelie und schaute Sie an.
„Ich komme nicht hinein, weil meine Schlüssel im Haus liegen und unser Nachbar, der unser Haus betreut hatte, am Tag unserer Abreise aus Amerika für drei Monate nach Australien geflogen ist.
„Kann man nicht durch ein Fenster ins Haus kommen", fragte Amelie.
„Alle Außentüren und Fenster sind alarmgesichert. Da kommt man nicht herein", antwortete Fenja ihr.
„Wo läuft der Alarm auf? Bei der Polizei oder beim Wachschutz?", fragte Amelie.
„Du willst aber ziemlich viel Wissen von unserem Haus, Amelie?", fragte Fenja lachend.
„Vielleicht kann ich dir helfen und dazu brauche ich Informationen", antwortete Amelie.
„Wie willst du das tun?", fragte sie.
„Ich habe acht Vorstrafen wegen Wohnungseinbruch. Bisher habe ich jedes Schloss knacken können. Bei dem Haus deiner Eltern wäre es nicht einmal strafbar, weil du die Verfügungsrechte hast, als Tochter des Eigentümers", antwortete die Mitbewohnerin der WG.
Das Gespräch hatte Fenja etwas aufgemuntert und gab ihr die Hoffnung, wieder in ihr gewohntes Umfeld gehen zu können. Sie wollte nicht in dieser WG bleiben. Amelie fand sie sympathisch, weil sie nicht so zickig und eingebildet war wie die anderen Mädchen hier.
„Warum bist Du in dieser WG, Amelie und wie alt bist du?", fragte Fenja neugierig.
„Ich bin vor fünf Wochen 18 geworden. Hier bin ich jetzt zwei Jahre, weil mich meine Eltern hinausgeschmissen haben, als ich aus dem Jugendknast kam. Ich hatte das zweite Mal einen Dauerarrest von 4 Wochen bekommen und diesmal musste ich ihn absitzen. Direkt aus dem Knast bin ich hierhergekommen. Meine Eltern haben mir verboten, sie zu besuchen. Meine Straftaten hätten ihren Ruf erheblich geschadet, war ihre Begründung gewesen. Mein Vater ist Schulleiter eines Gymnasiums und meine Mutter Schulleiterin einer Gesamtschule in Berlin, da passt eine kriminelle Tochter nicht ins Gesamtbild", erzählte Amelie und klang traurig, aber gleichzeitig auch wütend.
„Du bist auch nicht freiwillig hier, genauso wie ich. Aber warum bleibst du hier? Du kannst gehen, da du volljährig bist. Ich muss hierbleiben, bis ich wieder in unser Haus kann, dann bin ich hier weg und hole meine zwei kleinen Schwestern nach Hause", sagte Fenja zu Amelie.
„Wo soll ich hin? Ich habe keine Freunde, keine Arbeit, keine Wohnung. Freunde hatte ich nie, jedenfalls keine, die es ehrlich gemeint haben. Eine Arbeit oder Ausbildungsstelle? Woher soll ich die haben? Wer nimmt eine Jugendliche ohne Schulabschluss, die im Knast war und darum habe ich keine Wohnung", antwortete ihre Besucherin.
Die Zimmertür wurde aufgestoßen und Ruth stand im Zimmer.
„Los! Ab in die Küche und Abendessen machen, ihr faulen Weiber! Wir haben Hunger! Beeilung, ihr seid spät dran!", brüllte Ruth.
„Hast Du einen Hirnschaden oder warum spielst du dich so auf. Mach dir selbst etwas zu essen. Ich koche heute nicht und morgen auch nicht", brüllte Fenja im gleichen Ton zurück.
„Ich koche heute und die nächsten 7 Tage ebenfalls nicht", ergänzte Amelie Fenjas Worte und sah, wie Ruth ein wütendes Gesicht bekam.
"Lydia ist voll besoffen, wer soll sonst kochen, außer Euch beiden lesbischen Schnepfen?", fragte Ruth und stemmte die Hände in ihre Seiten.
„Du und deine Freundin Jasmina zum Beispiel. Solange ich hier in der WG bin, habe ich Euch nicht einmal Küchenarbeit machen sehen. Also bewege deinen Hintern aus meinem Zimmer oder ich helfe dir den Ausgang zu finden", sagte Fenja mit einer sehr gefährlich wirkenden ruhigen Stimme.
Sie stand auf und lief auf Ruth zu, die langsam rückwärts Richtung Zimmertür ging und sagte:
„Ich werde es Frau Kreuznagel erzählen, dass ihr die Gemeinschaftsarbeit verweigert. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt!"
„Du kannst gleich von meinem Handy die Kreuznagel anrufen, wegen der Telefonkosten und so. Ach ja, Du kannst ihr sagen, dass sie uns beide kreuzweise am Arsch lecken kann, und jetzt raus hier!", sagte Amelie, ging auf Ruth zu, schob sie aus dem Zimmer und schloss die Zimmertür. Sie schaute Fenja an und beide fingen an zu lachen.
Amelie sah ihr genau in die Augen. Beide hörten auf zu lachen und erforschten gegenseitig ihre Augen, bis Fenja ihre Hand nahm, mit ihr zu ihrem Zweisitzer ging und sie sich hinsetzten. Immer noch schauten sie sich in die Augen, bis Amelie sagte:" Du bist gar nicht so eingebildet und hochnäsig, wie ich dachte. Du liegst voll auf meiner Wellenlänge. Schön, dass ich dich hier getroffen habe!"
„Ich finde dich sehr sympathisch. Mit dir wird der Aufenthalt in der WG bestimmt nicht langweilig, Was machen wir heute noch", fragte Fenja.
Bevor Amelie eine Antwort geben konnte, riss Ruth erneut die Tür auf und rief: „Ihr sollt sofort Essen für uns machen, sonst gibt es Ärger, hat Frau Kreuznagel gesagt!"
Amelie wollte sofort etwas sagen, aber Fenja hielt sie zurück, stand auf, nahm ihre Hand und ging mit ihr in die Küche. Ruth folgte ihr und beobachtete sie. Zuerst sah Fenja in das Gefrierfach und entdeckte einen großen Beutel Spinat. Sie wusste, dass der Inhalt portionierbar war. Aus der Kartoffelkiste nahm sie sechs kleinere Kartoffeln, die sie unter fließend Wasser mit einer Bürste sauber machte. Sie stellte zwei saubere Teller auf den Tisch, legte Besteck dazu und stellte Salz sowie Pfeffer auf den Tisch. Es folgten zwei Gläser mit kaltem Wasser, in die sie jeweils einen Teebeutel gab und den Zucker auf den Tisch stellte. Auf den Tellern richtete sie die rohen, gewaschenen Kartoffeln, jeweils vier gefrorene Portionstaler Spinat und ein rohes aufgeschlagenes Ei an und rief: "Euer Essen ist fertig, guten Appetit, ihr Schnepfen!!"
"Was soll das sein? Das ist alles roh und kalt!", sagte Ruth.
"Kartoffeln, Spinat, Ei und Tee! Ich sollte Essen für Euch machen. Von Kochen habt ihr nichts gesagt und ich liebe die "Kalte Küche"! Man kann alles ohne Schaden kalt essen. Solltet ihr es warm essen wollen, wisst ihr ja, wie man etwas warm machen kann", sagte Fenja und nahm Amelie, die sich das Lachen krampfhaft verkneifen musste, an der Hand mit aus der Küche und sagte dann zu ihr:
„Amelie hole dir eine Jacke und schließe dein Zimmer ab. Wir gehen jetzt Pizza essen. Ich lade dich dazu ein!"
„Aufstehen! Schließe sofort die Tür auf, Fenja", rief Frau Kreuznagel vor der Tür und schlug immer wieder dagegen.
Fenja schlug ihre Augen auf und fasste sich an den Kopf. Sie hatte starke Kopfschmerzen und schlecht war ihr ebenfalls. Als sie aufstehen wollte, wurde sie festgehalten. Sie sah neben sich und sah Amelie, die ihren Arm um sie gelegt hatte und schlief. Vorsichtig befreite sich Fenja aus der Umarmung von Amelie und schlug die Bettdecke zurück. Beide hatten sie ihre Unterwäsche noch an und sie atmete auf. Da es weiter an der Tür klopfte, ging sie und öffnete die Tür einen Spalt.
„Machen sie nicht so einen Radau, Amelie schläft noch. Was wollen sie, Frau Kreuznagel?", fragte sie die Betreuerin, die sie mit großen Augen ansah.
„Ich will sofort in dein Zimmer, mach also Platz, damit ich die Tür öffnen kann", forderte Frau Kreuznagel und drückte gegen die Tür, um diese weiter zu öffnen.
„Nein dürfen sie nicht. Wenn wir angezogen sind, dürfen sie das Zimmer betreten, aber nicht vorher", antwortete Fenja und warf sich mit ihrem Körpergewicht gegen die Tür. Als die Tür wieder ins Schloss fiel, drehte sie den Schlüssel erneut herum und ging zu Amelie, welche langsam wach wurde.
„Was war das eben? Hat die Kreuznagel einen an der Waffel?", fragte Amelie verschlafen.
„Sag mir lieber, wie wir in mein Bett gekommen sind. Ich weiß nur, dass wir in der Pizzeria waren und nach dem Essen diesen gut schmeckenden Rotwein getrunken haben. Ich weiß nicht einmal, wie wir hier angekommen sind. Nur mein Kopf sagt mir, dass es reichlich Rotwein gewesen sein muss", sagte Fenja.
„Oh ja, das war es! Vier Karaffen a 0,5 Liter. Du warst Oberkante Unterlippe abgefüllt. Auf dem Heimweg hast du zweimal den Würfelhusten gehabt und hier oben wolltest du mehr Rotwein haben. Mit Mühe habe ich dich ausgezogen und ins Bett gelegt, aber du wolltest immer wieder aufstehen. Es blieb mir nichts anders übrig, als mich ebenfalls auszuziehen, mich neben dich zu legen, um dich festzuhalten. So sind wir beide eingeschlafen", erzählte Amelie, während sie sich anzogen.
Immer wieder klopfte es an der Zimmertür, aber sie ließen sich Zeit. Nach etwa sechzig Minuten schloss Amelie die Tür auf und die Betreuerin stürmte ins Zimmer und meckerte sofort los. Es wäre eine Unverschämtheit, dass sie so lange warten musste. Sie sei eine Respektsperson und man hat ihre Anweisungen zu befolgen. Und da wäre noch die Sache mit dem Abendessen. Eine bewusste Verschwendung von Lebensmitteln und eine absichtliche Verweigerung der Gemeinschaftsarbeit wäre es gewesen. Amelie konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen. Fenja fiel es ebenfalls schwer, trotzdem blieb sie ruhig, bis die Betreuerin mit ihrer Gardinenpredigt fertig war.
„Ich sehe, dass sie ihre Ausführungen beendet haben, Frau Kreuznagel! Sie hätten nicht warten müssen, wenn sie sich vorher angemeldet hätten. Wir sind volljährig und haben so etwas wie Privatsphäre und Schamgefühl, was ihnen als Frau bekannt sein sollte. Respekt bekommen nur Personen, die mir und vermutlich Amelie gegenüber Respekt entgegenbringen, was Sie bisher nicht getan haben. Nun zum Thema Gemeinschaftsarbeit. Wie das Wort es schon sagt, ist es eine Arbeit der Gemeinschaft. Alle hier in der Wohngruppe bilden diese Gemeinschaft. Dazu gehören auch Ruth und Jasmina. Solange diese beiden Mitbewohnerinnen sich nicht an dieser Arbeit beteiligen brauchen, werden Amelie und ich keine Gemeinschaftsarbeit mehr machen. Wir werden unsere Zimmer sauber halten. Wenn wir die Küche benutzt haben, werden wir diese aufräumen. Das Gemeinschaftszimmer werden wir nicht mehr nutzen und der Flur wird einmal im Monat von uns gereinigt. Mehr ist nicht drin, solange wir hier noch wohnen. Sollten Ruth und Jasmina ebenfalls ihren Teil der Gemeinschaftsarbeit leisten, können wir noch einmal darüber reden. Haben sie noch Fragen? Wenn es keine Fragen gibt, dürfen sie jetzt bitte mein Zimmer verlassen, denn ich habe heute noch wichtige Termine", antwortete sie der Betreuerin, welche sie mit offenem Mund ansah.
„Was heißt hier, solange wir noch hier wohnen? Sie können hier beide nicht einfach ausziehen. Sie brauchen die Einwilligung des Jugendamtes, vom Träger der WG und von mir. Ich verweigere Euch diese Genehmigung", erwiderte die Betreuerin.
„Was wir benötigen, um diese WG zu verlassen, werden wir zur gegebenen Zeit feststellen. Jetzt verlassen sie mein Zimmer oder ich zeige ihnen gern, wo die Maurer ein Loch gelassen haben, Frau Kreuznagel!", beantwortete Fenja die Frage, ging zur Zimmertür, öffnete diese und machte mit einer Handbewegung deutlich, dass die Betreuerin das Zimmer verlassen sollte, welches diese nur zögernd tat.
Fenja besprach mit Amelie, was sie heute machen wollten und nach einem kurzen Frühstück machten sich die zwei neuen Freundinnen auf den Weg. Unterwegs fiel Fenja etwas Wichtiges ein und sie änderte die Fahrtroute. In einem Berliner Industriegebiet stiegen sie aus dem Bus und mussten einige Zeit laufen, bis sie am Bestattungsunternehmen Kaldeweit ankamen.
„Was willst Du hier, Fenja?", fragte Amelie.
„Das ist das Unternehmen meiner Eltern. Mir ist eingefallen, dass hier eventuell ein Ersatzschlüssel für mein Elternhaus sein könnte ", antwortete Fenja und betrat mit Amelie das Gebäude.
In der zweiten Etage war das Büro ihres Vaters. Normalerweise saß im Vorzimmer ihre Mutter, aber zurzeit war es Frau Seliger. Ohne anzuklopfen, betraten die beiden Freundinnen das Vorzimmer.
Erschrocken sah Frau Seliger auf und war sprachlos, bis sie sich nach einigen Minuten gefasst hatte und fragte: „Fenja, Du lebst? Was ist mit deinen beiden Schwestern? Weißt Du etwas von deinem Vater oder deiner Mutter?"
„Von meinen Eltern weiß ich nichts. Meine Schwestern und ich hatten Glück, das wir in Libyen das Flugzeug verlassen durften. Ich habe einige Zeit gebraucht, um wieder klar denken zu können, weil ich hier in Berlin von meinen Schwestern getrennt wurde. Ich bin heute hier, um zu fragen, ob mein Vater hier einen Satz Schlüssel für unser Haus liegen hat. Ohne die Schlüssel komme ich nicht ins Haus und unser Nachbar ist für längere Zeit in Australien", antwortete Fenja, der Sekretärin.
„Das kann Ihnen nur der Geschäftsführer Herr Dehmel beantworten. Ich weiß nur, dass es eine Notfallverfügung und ein Testament gibt. Soll ich Herrn Dehmel rufen lassen?", fragte Frau Seliger.
„Ja, das wäre nett. Ich werde im Büro meines Vaters auf ihn warten", antwortete Fenja und ging mit Amelie in das Büro ihres Vaters.
Als Herr Dehmel kam, berichtete er, dass es eine Notfallverfügung gibt, die beim Notar und Rechtsanwalt Dr. Spahn hinterlegt war. Da keiner wusste, dass Fenja und ihre Schwestern noch lebten, sollte diese in vier Wochen geöffnet werden.
Nach diesem Gespräch ließ sie sich mit dem Rechtsanwalt verbinden und machte für den nächsten Tag einen Termin in dessen Kanzlei aus. Der Rechtsanwalt wollte ihr auch mit dem Jugendamt helfen, da er keinen Grund für die Trennung der Kinder sah.
„Amelie über das, was du hier gehört und gesehen hast, rede bitte nicht, besonders nicht in der WG. Ich möchte gern die dummen Gesichter sehen, wenn ich eine Bombe platzen lasse und ich glaube, dass es sich zu einer Bombe entwickelt. Morgen werde ich allein zu dem Termin in die Kanzlei gehen. Du kannst mich auf dem Weg begleiten, aber beim Gespräch bitte nicht", bat sie Amelie, die zustimmend nickte.
Fenja war früh aufgestanden und betrat Amelies Zimmer. Leise schlich sie zu ihrem Bett, setzte sich darauf und beobachtete ihre schlafende Freundin. Vorsichtig strich sie mit ihrer Hand über die Wange ihrer Freundin und flüsterte:
„Amelie, bitte wach auf meine Süße!"
Noch zweimal wiederholte sie es, aber Amelie schien fest zu schlafen. Sie gab ihrer Freundin einen leichten Kuss auf die Wange, erhob sich und wollte das Zimmer wieder verlassen.
„Bleibe bitte hier, geh nicht weg, Fenja", flüsterte Amelie und öffnete ihre Augen.
Sie ging wieder zum Bett von Amelie und setzte sich neben sie.
„Mache das bitte noch einmal, was du gerade getan hast, Fenja" forderte Amelie sie auf.
Fenja lächelte, beugte sich über sie und gab ihr noch einmal einen leichten Kuss auf ihre Wange.
„Danke, jetzt weiß ich, dass ich nicht geträumt habe. Weißt du, was noch besser ist?", sagte Amelie, setzte sich auf und schaute ihr tief in die Augen.
Fenja sah sie an und schüttelte den Kopf. Amelie legte ihre Arme um ihren Nacken, zog sie etwas zu sich und ihre Lippen berührten leicht die Lippen von Fenja.
Nur einige Sekunden dauerte die Berührung ihrer Lippen, aber es war wie ein Stromschlag, der Fenja traf. Noch einmal berührten die Lippen von Amelie ihre Lippen und sie hatte das gleiche Gefühl wie davor.
„Noch einmal?", fragte Amelie und Fenja wollte den Kopf schütteln, aber sie nickte.
Amelie küsste Fenja etwas fester und bewegte ihre Lippen leicht auf Fenjas Lippen. Erst blieben Fenjas Lippen unbeweglich, aber nach kurzer Zeit erwiderte sie die Bewegungen der Lippen. Amelie beendete den Kuss und erhob sich.
„Wie hat sich das angefühlt? Fühlt es sich besser an wie der Kuss eines Mannes?", fragte sie Fenja.
„Das hat sich gut angefühlt. Ich weiß nicht, wie der Kuss eines Mannes sich anfühlt. Mich durfte nie ein Mann küssen oder berühren, weil ich es nicht wollte", antwortete Fenja ehrlich.
„Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du mit 18 Jahren noch Jungfrau bist?", fragte Amelie und schaute sie an.
„Ich bin noch Jungfrau, du nicht? Sex mit einem Mann oder einer Frau hatte ich noch nie", antworte Fenja und schaute Amelie an.
„Mit 14 hat ich mein "erstes Mal". Ich war betrunken und am nächsten Tag konnte ich kaum laufen. Hinterher hat man mir erzählt, dass ich es mit mehreren Jungen getan hatte, aber ich wusste von nichts. Mit 15 hatte ich meinen ersten Sex mit einer Frau und das war unvergesslich. Ich habe keinen Mann mehr an mich herangelassen. Mit 16 habe ich es meinen Eltern gestanden. Es war ein weiterer Grund, warum ich hier gelandet bin. Ja, ich bin lesbisch und stehe nur auf Frauen. Ich kann es verstehen, wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest", beantwortete Amelie ihre Frage.
„Ich habe nichts gegen Menschen, welche homosexuell oder lesbisch sind. Warum sollte ich dich ablehnen, Amelie? Ich mag dich, sonst hätte ich dir keinen Kuss gegeben und deine Küsse nicht zugelassen", erwiderte Sie auf Amelies Antwort.
„Wir haben wohl sehr viel zu besprechen, Süße. Lass uns aber erst frühstücken und zu deinem Termin gehen. Vielleicht haben wir heute Abend Zeit, unser Gespräch fortzusetzen, wenn du es möchtest", sagte Amelie, ging ins Bad und zog sich danach an, wobei es ihr nichts ausmachte, sich vor Fenja nackt zu zeigen.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit waren sie in der Kanzlei. Als Fenja aufgerufen wurde, wartete Amelie geduldig im Wartezimmer.
Nachdem der Rechtsanwalt Fenjas Ausweis geprüft hatte, stellte er einige Fragen zu den Ereignissen der Rückreise, bevor er den großen versiegelten Umschlag mit der Aufschrift "Nur im Notfall öffnen, nicht im Todesfall" öffnete. Es befanden sich neben diversen Schlüsseln noch drei kleiner Umschläge in dem großen Umschlag. Einer mit der Aufschrift 1. Maria, Fenja und weitere leibliche Kinder. Auf dem zweiten Umschlag stand 1a "Sollte das älteste lebende Kind noch minderjährig sein" und auf den dritten Umschlag "Sollte Umschlag 1 oder 1a nicht zutreffen."
Der Anwalt öffnete den Umschlag mit der 1 und gab Fenja den Brief und sie begann zu lesen.
Meine geliebte Maria
Du wirst mich vermissen, aber ich bin noch nicht tot, sonst würdest du diesen Brief nicht lesen können, sondern mein Testament würde eröffnet werden. Bitte kümmere dich gut um unser(e) Kind(er) und übernimm die Führung der Firma, bis ich es selbst wieder kann. Du weißt, wo sich alle Codes befinden, und kennst die Zugänge zu den Konten. Mehr muss ich dir nicht sagen, weil du meine rechte Hand in der Firma bist.
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Fenja, meine geliebte Tochter,
Du bist volljährig und deine Mutter kann meine Vertretung nicht übernehmen. Ich habe dir ab deinem 16. Lebensjahr viele Dinge im Betrieb gezeigt, obwohl du gern etwas anderes lernen wolltest. Ich hoffe, du konntest deine Ausbildung erfolgreich beenden. Sollte das nicht der Fall sein, tut es mir leid, aber der Betrieb braucht dich jetzt, bis ich selbst wieder die Führung übernehmen kann. Folgenden Personen kannst du vertrauen. Frau Seliger, Herr Dehmel sowie Rechtsanwalt und Notar Dr. Spahn. Das Bestattungsgewerbe ist hart umkämpft, besonders durch ausländische Unternehmen. Lasse neue Geschäftspartner über eine Detektei prüfen. Herr Dehmel hat ein entsprechendes Verzeichnis. Verträge lasse bitte immer über Dr. Spahn prüfen. Bei den Schlüsseln befindet sich ein versiegeltes Buch, was dir helfen wird, die Schlüssel richtig zuordnen zu können. Ebenfalls befindet sich noch ein Schließfachschlüssel bei unserer Hausbank in diesem Umschlag. Dort befinden sich wichtige Codes, welche du benötigen wirst. Bitte gebe die letzte Seite dieses Briefes Dr. Spahn. Er weiß, was er zu tun hat. Ich hoffe bald selbst wieder in der Lage zu sein, den Betrieb zu leiten. Bis deine Mutter und/ oder ich wieder die Führung der Firma übernehmen können, übertragen wir dir das Sorgerecht für eventuell vorhandene minderjährige Geschwisterkinder unserer Familie. Sorge gut für sie. Dein dich liebender Vater!
Nach dem Lesen liefen Fenja die Tränen und sie konnte nicht aufhören. Zögern und unter Tränen gab sie die letzte Seite dem Rechtsanwalt, welcher zwei Schreiben aus einem Ordner nahm. Ein Schreiben musste Fenja unterschreiben und das zweite Schreiben unterschrieb der Notar zusammen mit Fenja.
„Frau Kaldeweit, ich werde ihre uneingeschränkte Prokura beim Handelsregister eintragen lassen. In dem von mir unterschriebenen Schreiben habe ich bestätigt, dass sie gemäß der Notfallvereinbarung ihres Vaters berechtigt sind, die Firmenleitung allein verantwortlich zu übernehmen. Eine Kopie bekommen sie mit und das Original wird hier abgelegt", erklärte Dr. Spahn.
Nachdem Fenja sich etwas beruhigt hatte, besprachen sie zuerst, ob sie ohne Genehmigung die WG verlassen konnte, was möglich war, weil sie volljährig war. Das Jugendamt hatte keine Befugnis, ihr den Auszug zu verbieten. Das Gleiche galt für Amelie.
Über die Trennung von ihren Schwestern war der Rechtsanwalt sehr verärgert und versprach umgehend mit dem Sachbearbeiter Herrn Otto zu reden. Der Kontakt durfte nicht länger verweigert werden.
Über zwei Stunden hatte es gedauert, bis Fenja wieder aus dem Büro des Notars kam. Amelie sah Fenja nur kurz an und zog sie in ihre Arme. Zuerst weinte Fenja, aber als sie Amelies Hand auf ihren Rücken spürte, beruhigte sie sich wieder und sie konnten die Kanzlei verlassen.
Mit einem Taxi fuhren die beiden jungen Frauen zu Fenjas Elternhaus.
Mit wackeligen Beinen stieg Fenja aus dem Taxi und ging auf die Eingangstür zu. Sie nahm den Schlüsselbund für das Haus aus ihrer Tasche und schaltete zuerst die Alarmanlage aus, bevor sie die Haustür öffnete. Amelie sah sich um und folgte Fenja von einem Raum zum anderen, wo sie erst einmal die Rollläden hochzogen, und die Fenster öffneten.
„Würdest du hier zusammen mit mir wohnen wollen? Du könntest eines der Gästezimmer bekommen, was auf der gleichen Etage ist, wo auch mein Zimmer ist. Was meinst Du, Amelie", fragte sie ihre Freundin.
„Du machst jetzt einen Scherz mit mir, oder", antwortete Amelie.
„Nein, ich meine es ernst. Ich habe keine Lust auf diese blöde Mädchen-WG. Das Jugendamt und die Kreuznagel können uns nicht zwingen, dort zu wohnen. Wollen wir heute hierbleiben? Morgen oder übermorgen fahren wir in die WG, um unsere Sachen zu holen. Machst du mit", fragte Fenja.
"Ich bin dabei, Schatz", antwortete Amelie.
„Gut, dann machen wir das so und gehen erst einmal einkaufen für uns", sagte Fenja und fing an, die Fenster wieder zu schließen.
Fenja hatte sich bequemere Sachen und andere Schuhe angezogen. Im Flur öffnete sie einen kleinen Safe, in dem Fahrzeugschlüssel und die notwendigen Papiere lagen. Mit Amelie ging sie zur Garage hinüber und schloss den kleinen grünen Twingo auf, stieg ein und fuhr ihn aus der Garage. Amelie stieg wortlos ein und sie fuhren zum Einkaufszentrum.
Nach dem Einkauf parkten Sie in die Nähe der Mädchen-WG, wo sie ihre Handys ausschalteten, und die Akkus herausnahmen.
Nachdem die Einkäufe ins Haus gebracht und eingeräumt waren, zeigte Fenja ihrer Freundin das Haus. Amelie war begeistert, besonders als sie den Keller sah. Hier waren ein Fitnessraum, eine Sauna und ein kleines Schwimmbecken.
„Können wir heute Abend in die Sauna gehen? Ich war eine Ewigkeit nicht mehr in einer Sauna", fragte Amelie und schaute ihre Freundin an.
Fenja nickte, schaltete die Sauna ein und die Umwälzanlage des Schwimmbeckens auf Badebetrieb. Sie griff die Hand von Amelie und zeigte ihr das Gästezimmer, was sie Amelie geben wollte
.
„Das Bett beziehen wir neu, denn das ist nur die Schutzwäsche, wenn das Zimmer nicht genutzt wird. Alles was du brauchst an Handtüchern usw. ist im Schrank und das Bad ist gegenüber. Gehst du jetzt in die Küche und machst etwas zum Essen für uns? Ich sehe die gesammelte Post der letzten Wochen durch", sagte Fenja und ging hinunter in das Arbeitszimmer ihres Vaters.
Auf dem Schreibtisch stapelte sich schon die Post, die während des Urlaubes eingegangen war und Fenja hatte noch einmal die gleiche Menge aus dem großen Briefkasten genommen. Leider waren auch Zustellungen dabei, was sie an den gelben Briefumschlägen sah. Diese würde sie an Dr. Spahn weiterreichen, da bestimmt einige Fristsachen dabei waren. Ein Brief fiel ihr besonders auf, da er von der Grundschule ihrer Schwester Maya kam. Sie öffnete den Brief und las:
Sehr geehrte Frau Maria Kaldeweit,
sehr geehrter Herr Peter Kaldeweit.
Ihre Tochter Maya Kaldeweit fehlt seit mehr als 10 Tagen unentschuldigt am Unterricht der Klasse 2a.
Es liegen uns keine ärztlichen Bescheinigungen über eine Erkrankung,
noch andere schriftliche oder telefonische Informationen vor,
welche das Fernbleiben am Unterricht entschuldigen würden.
Wir bitten um eine Begründung, warum Ihre Tochter Maya nicht zum Unterricht erscheint.
Für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr bis zum 18. Lebensjahr besteht eine Schulpflicht.
Sollten wir in den nächsten Tagen keine Antwort erhalten,
so sehen wir uns gezwungen, das Schulamt zu unterrichten.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Thiesfeld
Schulleiterin
Fenja rief sofort in der Schule an und erfuhr, dass ihre Schwester nicht abgemeldet oder eine andere Schule den Schülerbogen angefordert hatte. Von dem Verschwinden ihrer Eltern sei der Schule nichts bekannt. Die Schule brauchte jetzt dringend eine Entschuldigung, sonst muss die Schule das Schulamt informieren.
„Ich werde sofort unseren Rechtsanwalt informieren. Der Anwalt muss sowieso mit dem Jugendamt reden, da meine Schwestern in Pflegefamilien untergebracht sind und mir die Anschriften verweigert werden. Diese Information ist daher sehr wichtig für mich. Ich danke ihnen, Frau Thiesfeld", sagte Fenja, beendete das Gespräch und sah weiter den Posteingang durch.
Anschließend hörte sie den Anrufbeantworter ab, der ständig blinkte. Die 25 gespeicherten Nachrichten waren alle aus der Urlaubszeit und unwichtig, aber der AB zeigte 25+ an. Es mussten noch mehr Anrufe eingegangen sein, welche aber nicht aufgezeichnet werden konnten.
In der Fritzbox sah sie, dass mehr als 100 Anrufe eingegangen waren, wovon ca. 50 von einer unbekannten Rufnummer waren. Der letzte Anruf war gestern gewesen. Es fiel auf das diese Anrufe immer täglich nach 18:00 Uhr erfolgt sind. Ob auch heute ein Anruf erfolgte? Fenja hoffte es und sah sich jetzt erst einmal die Schlüsselsammlung an, welche sie heute bekommen hatte.
Viele der Schlüssel hatte sie schon gesehen, kannte aber ihre Funktion nicht. Das kleine versiegelte Buch half ihr dabei. Es waren überwiegend Schlüssel aus dem Betrieb, aber auch für das Arbeitszimmer ihres Vaters. Gerade als sie sich mit dem Schreibtisch ihres Vaters befasste, klingelte das Telefon erneut. Es war die unbekannte Rufnummer, welche anrief und sofort nahm sie das Gespräch an.
„Fenja Kaldeweit", meldete sie sich und hörte erst einmal nichts. Noch einmal fragte sie nach, wer der Anrufer sei und wieder kam keine Antwort, aber es war zu hören, dass die Verbindung nicht unterbrochen war. Fenja achtete auf die Hintergrundgeräusche. Ein lautes Klappen einer Tür war zu hören und wieder keine Stimmen.
Gerade kam Amelie in das Arbeitszimmer und Fenja zeigte ihr, dass sie ruhig sein sollte und schaltete den Lautsprecher ein.
„Hallo....... Fenja, bist du am Telefon", fragte eine zarte Mädchenstimme.
„Maya? Bitte sage etwas! Maya......", rief Fenja in das Telefon.
„Ja, ich bin es, Maya.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Thomas Berlin, I.C. Körner
Bildmaterialien: Pixabay
Cover: Pixabay, Thomas Berlin, I.C. Körner
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2022
ISBN: 978-3-7554-1320-2
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