Ich war im 7. Lebensjahr und zu Hause war Verwandtschaftstreffen angesagt. Meine Tante, mein Onkel aus Weißensee/Thüringen und meine Oma aus Erfurt waren einige Tage auf Besuch.
Am Morgen, als ich Aufstand saßen meine Eltern, Onkel, Tante und Oma am Radio und hörten die Meldungen. Kaum einer hatte für mich Zeit und immer wieder hieß es leise sein. Es muss etwas sehr Wichtiges gewesen sein, dass die Erwachsenen so beschäftigte.
Viele Jahre später wurde mir das alles von meinen Eltern und in der Schule erklärt:
Nachdem immer mehr sogenannte Bürger der DDR, diesen Staat illegal verließen, sah Führung der DDR, unter Walter Ulbricht, keine andere Möglichkeit als die Grenzen nach West-Berlin zu schließen. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden die
S- und U-Bahn-Verbindungen unterbrochen, Straßen mit Volkspolizei und NVA gesperrt. Alles wurde mit Stacheldraht abgeriegelt. Es wrde auf der gesamten Grenzlinie zwischen West- und Ostberlin lediglich 7 Grenzübergangsstellen offengelassen. Wer nach Ostberlin wollte musste einen Passierschein haben.
Es gibt diverse Film- und Tondokumente von diesem Tag, welche man im Internet finden kann.
Meine Verwandtschaft hat lange beraten, ob diese hier in West-Berlin bleiben soll oder wieder zurück nach Thüringen fährt. Man traf die Entscheidung wieder nach Thüringen zu fahren, weil dort noch zu viel Verwandtschaft war. Schweren Herzens musste ich mich von meinem Verwandten und meiner geliebten Oma einen Tag später verabschieden. Es war ein Abschied auf sehr lange Zeit gewesen.
Nachdem aber auch diese Maßnahmen der Grenzabsperrung nicht den gewünschten Erfolg zeigten, begann man auf der Seite der DDR damit eine Mauer aus Hohlblocksteinen zu errichten, damit eine Flucht in den Westteil der Stadt Berlin nicht mehr möglich war. Aber, wie Ton und Filmdokumente zeigen brachte auch das die Fluchtwelle der DDR-Bürger nicht zum Stoppen. Man ließ sich aus den Fenstern mit Laken und Seilen auf die Westseite herab, durchschwamm die Spree oder die Oberhavel und buddelte Tunnel zur Westseite. Man versuchte auch mit Booten und Fluggeräten die DDR zu verlassen. Ja sogar mit einem Heißluftballon glückte in späteren Jahren die Flucht. Aber leider glückte nicht jede Flucht, weil.es den Schießbefehl gab, dass jeder Fluchtversuch auch mit der Waffe zu stoppen ist.
Insgesamt kamen zwischen 1961 und 1989, überwiegend durch Schießbefehl, 247 Menschen, darunter auch Kinder unter 10 Jahren, ums Leben.
Die erste Mauertote war Ida Siekmann (geboren 23. August 1902). Sie kam am 22 August 1961 bei einem Fluchtversuch ums Leben. Ida Siekmann sprang aus ihrer Wohnung in der Bernauer Str. 48 auf die Westseite von Berlin. Sie verletzte sich so schwer das sie noch am Ort verstarb. Und ein weitere Mauertoter sollte ebenfalls nicht vergessen werden.
Peter Fechter, 18 Jahre alt, wurde am 17.August 1962 in Berlin-Mitte, Zimmerstr., vor den Augen vieler Westberliner, durch Schüsse der Grenztruppen schwer verletzt und absichtlich verbluten lassen.
Mit der Zeit verschärfte die DDR ihre Grenzabsperrungen immer mehr und es wurde schwieriger die Grenze zu durchbrechen. Ganz hat es die DDR aber nie geschaft den sogenannten illegalen Grenzübertritt zu unterbinden.
Seit dem Mauerbau hat sich vieles verändert. Ich bin jetzt fast 36 Jahre alt, verheiratet mit zwei Kindern im Alter von 8 und 5 Jahren. Beruflich arbeite ich als Busfahrer bei der BVG auf dem Betriebshof Müllerstr.
Am Nachmittag hatte ich mich hingelegt, da ich heute Abend in den Nachtdienst von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr musste. So gegen 19:30 Uhr weckte mich meine Frau.
Im Flur lag der Telefonhörer neben dem Telefon und ich meldete mich. Es war eine Elternvertreterin aus der Schulklasse meiner Tochter
Frau P.: Hast du es schon im Radio oder Fernseher gehört?
Thomas: Was meinst Du denn? Bin gerade aufgestanden, weil ich in den Nachtdienst muss!
Frau P.: Die Mauer ist gefallen und auf der Seestraße sind die ersten Trabbys und Wartburgs unterwegs.
Thomas: Das ist doch nur ein Scherz? Den 1. April haben wir doch nicht?
Nachdem wir noch ein Problem in der Elternvertretung besprochen hatten, schaltete ich den Fernseher ein und sah die Nachrichten. Gleich die erste Meldung war das die Berliner Mauer zur DDR durchlässig geworden ist, seit dem heutigen Tage. Der genaue Wortlaut war: Ausreisewillige Bürger der DDR müssen, laut SED Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, nicht mehr den Umweg über die Tschechoslowakei nehmen. Dies kündige er am Abend auf einer Pressekonferenz an. Auf Nachfrage sagte Schabowski das dieser Erlass ab sofort gilt.
Ich konnte es kaum fassen. Seit 1961 bestand die Mauer in Berlin und auf einmal wird sie löcherig?
Gegen 21:30 Uhr habe ich mich von meiner Frau verabschiedet und bin zum Betriebshof in der Müllerstr. im Bezirk Wedding gefahren. Auf dem Betriebshof meldete ich mich beim Rangierer, welcher die Schichtleitung für den Nachtdienst hatte. Erst einmal war ein ganz normaler Dienst angesagt. Es gab noch keine Anweisungen und von der Nachricht der Maueröffnung hatten zwar alle was gehört, aber hielten es für Falschmeldung. Es sollte auch noch etwas dauern bis sich das ändern sollte im heutigen Dienst.
23:30 Uhr werde ich zum Schichtleiter (Rangierer) gerufen und gefragt ob ich auch die Linie zur Raststätte nach Stolpe bei Berlin fahren darf. Ich möchte bitte die notwendigen Unterlagen ausfüllen und mich wieder melden.
23:45 Uhr wieder werde ich zum Schichtleiter gerufen. Jetzt heißt es, dass ich mit einen Doppelstockbus zur Bornholmer Brücke fahren soll. Gegen 00:00 Uhr fahre ich mit dem Bus vom Betriebshof Richtung Endhaltestelle Bornholmer Brücke Auf den Weg dorthin habe ich auf der Gegenfahrbahn schon die ersten laut hupenden Trabbys (Trabant 601) und Wartburgs fahren sehen. An der Kreuzung Osloer Str. / Grüntaler Str. war erst einmal Schluss. Zu Endhaltestelle Bornholmer Straße konnte man nicht mehr Fahren. Die Polizei sperrte den Weg. Auf beiden Seiten der Fahrbahn, die durch eine breite Mittelpromenade geteilt war, kamen Menschenmassen gelaufen und Fahrzeuge waren ebenfalls dabei. Jetzt musste man erst einmal sehen wie man an eine Haltestelle heranfahren konnte. Und da ja Bürokratie in Deutschland alles ist, durfte man keine eigenen Entscheidungen treffen. Nach 20 Minuten war dann ein Verantwortlicher am Ort, welcher aber keine Ortskenntnisse hatte, da er aus dem südlichen Teil von Westberlin kam. In der Zwischenzeit standen hinter mir bereits etwa 5 weiter Busse, welche nicht weiterkamen.
Mit den anderen Busfahrerkollegen berieten wir, wie wir erst einmal umdrehen konnten und dass für die nächsten Stunden gefahrlos regeln konnten. Nach einiger Zeit hatten wir uns auf einen Weg geeinigt und mit Hilfe der Polizei konnten die Busse erst einmal umdrehen.
Kaum war der erste Bus an der Haltestelle und hatte die Türen geöffnet, war er auch schon besetzt bis auf den letzten Platz. Das Hauptziel der Fahrgäste bzw. DDR-Bürger war der Kurfürstendamm. Einige wenige fragten auch nach dem Notaufnahmelager in Berlin Marienfelde. Es war nur Freude und Begeisterung zu spüren. Alle freuten sich auf diesen plötzlichen Besuch im Westteil von Berlin, ohne einen Antrag stellen zu müssen. Gegen 01:00 Uhr kam dann die Meldung per Funk. Das die U-Bahn keinen Betriebsschluss machen würde. Normal wäre der Betrieb der U-Bahn jetzt beendet worden. Über Funk kamen Meldungen das sich an anderen Grenzübergängen das Gleiche abspielte. Bis um 05:00 Uhr war kaum eine Abnahme der neuen Berlin-Besucher aus dem Ostteil der Stadt sowie der DDR zu bemerken. Erst danach entspannte sich die Lage und die Tageslinien nahmen ihren Betrieb auf. Ich beendete meinen Dienst erst gegen 08:00 Uhr (Normal wäre 06:00 Uhr gewesen) und fuhr zurück zum Betriebshof.
Die nachfolgenden Tage und Wochen waren zwar anstrengend, aber trotzdem möchte ich diese Erfahrungen nicht vergessen. Nach 28 Jahre und 88 Tagen ist diese Mauer, welche viel Leid und auch Tod brachte, gefallen. Wer die Zeit der Trennung miterlebt hat und selbst Betroffene(r) war, wird sich keine Mauer, welche eine Stadt teilt und Menschen trennt, mehr wünschen. Schade ist nur das es immer noch Menschen gibt, die diese Mauer immer noch in den Köpfen haben und sich weigern diese Mauer ebenfalls einzureißen.
Texte: Thomas Berlin
Bildmaterialien: Pixabay
Cover: Thomas Berlin
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2019
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