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1.Kapitel

Russisch Roulette

Das Spiel mit dem Glück einer Familie

von

René Lieske

 

 

 

© 2019 by René Lieske, Bernau

Umschlaggestaltung: Andreas Wagner

Korrektorat: E. Friedrichs

Lektorat: I. Kleemann

E-Mail: Rene.Lieske@online.de

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendwelcher Form (Fotokopie, Mikrofilm oder anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung von René Lieske reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, oder verbreitet werden. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschrift und Zeitung, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen. Sollte sich eine der handelnden Personen in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt sehen, bitte ich um sofortige Mitteilung unter der oben genannten Mailadresse.

 

 

Für Alisa

 

Liebe Alisa,

ich weiß, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem du uns, als deine Eltern, die Frage stellen wirst, warum wir deine Adoptionsgeschichte und deine Erkrankung in einem Buch öffentlich gemacht haben und diese Frage möchte ich dir hier beantworten.

Von der ersten Sekunde an, in der deine Herzmama und ich dich gesehen haben, wussten wir, dass wir dich als unsere Tochter von Herzen lieben und alles was in unserer Macht steht tun würden, um dir ein Leben in Liebe und Geborgenheit zu ermöglichen.
Uns war bewusst, dass du trotz deines jungen Alters schon einiges Negatives erlebt haben musstest und das dies mit Sicherheit Spuren in deiner kleinen Seele hinterlassen haben würde. Aber das war nichts was uns Angst machen konnte, denn wir waren uns sicher, dass es uns mit ganz viel Liebe gelingen würde, deine Seele von den Schatten zu befreien.

Als du älter wurdest haben wir sehr offen mit dir darüber gesprochen, dass du adoptiert worden bist. Uns war es immer wichtig, dich nicht anzulügen. Wir haben dir erklärt, dass du eine Herz- und eine Bauchmama hast und das war für dich von Anfang an in Ordnung. Worüber wir mit dir allerdings nie gesprochen haben, waren die Umstände deiner Adoption. Leider gibt es keine staatlichen Vermittlungsstellen für Auslandsadoptionen, alles liegt in der Hand privater Vereine.

 

Wir waren sehr entsetzt, als wir im Laufe des Adoptionsverfahrens festgestellt haben, dass es der Agentur gar nicht unbedingt darum ging, potentielle Eltern mit den passenden Kindern zusammenzubringen, sondern dass dieser Verein in erster Linie mit dem Leid der Eltern und Kinder Geld verdienen wollte. Und wir sprechen hier wirklich von sehr viel Geld! Diese Menschen schrecken auch nicht davor zurück, Kinder zu vermitteln, die unter schweren und unheilbaren Beeinträchtigungen leiden. Das war diesen Menschen offensichtlich egal.

 

Du kannst dich bestimmt erinnern, wie viele Termine wir immer mit dir wahrnehmen mussten, und auch immer noch müssen, damit du die bestmögliche Förderung bekommst.

Oft waren Mama und ich an der Grenze unserer Kraft angelangt. Aber für dich würden wir alles tun, damit es dir besser geht, denn du bist unser Sonnenschein und eine unglaubliche Bereicherung für unser Leben. Und das, obwohl wir immer gesagt haben, dass wir es uns nicht zutrauen, ein Kind mit solch schweren Einschränkungen großzuziehen.

Deshalb hat es uns auch zutiefst schockiert, dass die Agentur ganz offensichtlich Kinder nach Deutschland vermittelt, die zum Teil schwer krank sind, diese Krankheit aber verschweigt. Und das nur, damit auch weiterhin die Kasse klingelt. Dabei hat keiner das Recht, über die Zukunft eines anderen Menschen zu bestimmen.

Dem möchten wir gerne ein Ende bereiten, denn wir kennen einige Eltern, die mit ihren Adoptionskindern völlig überfordert sind. Einige dieser Kinder sind sogar mittlerweile in einem deutschen Kinderheim gelandet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine andere Familie finden, ist leider gering.

Diese Eltern stehen vor den Scherben ihres Lebenstraumes. Sie wollten eine glückliche Familie sein, um einem Kind ein liebevolles Zuhause zu geben, es zu lieben und zu beschützen. Deshalb sind wir mit deiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. Wir möchten auf diese Missstände aufmerksam machen und die Menschen darüber informieren. Vielleicht haben wir so die Chance, etwas zum Positiven zu verändern. Deine Geschichte, meine liebe Alisa, hat dann ganz maßgeblich dazu beigetragen und darauf kannst du stolz sein.

 

So stolz, wie wir auf dich sind. Auch wenn du uns, durch deine Krankheit manchmal an unsere Grenzen bringst, sind wir stolz darauf, dass du unsere Tochter bist.

 

Egal was noch kommen wird, wir werden immer für dich kämpfen!

Alisa du bist wundervoll und wir lieben dich!

 

Deine Herzmama und dein Herzpapa

 

Was ist FASD?

 

Wenn werdende Mütter während der Schwangerschaft Alkohol trinken, besteht ein hohes Risiko, dass sie ein behindertes Kind zur Welt bringen. Fetale Alkoholspektrum-Störungen (Fetal Alcohol Spectrum Disorders, FASD) zählen zu den häufigsten angeborenen Behinderungen in Deutschland. Nach Schätzung der Bundesdrogenbeauftragten kommen hierzulande jährlich ca. 10.000 Kinder auf die Welt, die unter einer Form von FASD leiden.

 

Das Fetale Alkohol Syndrom ist in seiner Variabilität sehr vielgestaltig und reicht von

ausgeprägten Verhaltens- und Lernstörungen bis hin zu schweren körperlichen und geistigen

Behinderungen sowie irreparablen Schädigungen des Zentralen Nervensystems. Zu den äußerlich sichtbaren Schäden zählen Kleinwuchs, Untergewicht, Mikrozephalus und Fehlbildungen im Gesichtsbereich. Hinzu kommen oftmals Fütterstörungen, motorische Unruhe und ausgeprägte Schlafstörungen in der Säuglingszeit. Mit dem Heranwachsen neigen die Betroffenen zur ADHS/ADS-Symptomatik; oft haben sie kognitive Einschränkungen und Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion.

 

Unter dem Begriff FASD wird ein ganzes Spektrum von Folgeerscheinungen zusammengefasst, die auf den mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft zurückzuführen sind. Am bekanntesten ist das Fetale Alkoholsyndrom (FAS).

 

Das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) ist die ausgeprägteste Form Fetaler Alkoholspektrum-Störungen und entsteht durch häufigen mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Doch auch geringere Trinkmengen rufen Schädigungen beim Kind hervor, die vielfach nicht äußerlich sichtbar sind. Dennoch haben diese Kinder im Alltag mit gravierenden Handicaps zu kämpfen. Sie zeigen Entwicklungsstörungen, haben Merk- und Lernschwierigkeiten, eine eingeschränkte Impulskontrolle, neigen zu sozial unangemessenem Verhalten und Hyperaktivität. Ihre Fähigkeit, Handlungen zu planen, ist eingeschränkt, und vielfach können sie aus Fehlern nicht lernen.

 

(Quelle: fasd-fachzentrum.de und Professor Dr. Spohr)

 

 

Vorwort

 

Es war Dienstag, 16:30 Uhr und ich habe es mit meiner Tochter Alisa gerade noch rechtzeitig zu einem ihrer zahlreichen Ergotherapie-Termine geschafft. Da saß ich nun im Wartebereich der Praxis, während Alisa ihre Therapiestunde hatte. Außer einer Frau, die offensichtlich auch auf ihr Kind wartete, war sonst niemand da. 

 

„Ihre Tochter ist aber zierlich“, begann sie ein Gespräch. Ich war froh über etwas Unterhaltung während der sonst so langweiligen Wartezeit und erzählte Ihr freimütig, dass Alisa adoptiert sei. Als ich das Interesse in ihren Augen sah, erzählte ich ihr schließlich unsere Adoptionsgeschichte. Natürlich waren da die 45 Minuten der Therapiestunde nicht ausreichend und so kam es, wann immer wir uns in der Praxis trafen, dass ich ihr ein bisschen mehr davon erzählte, was wir alles erleben mussten, nachdem wir uns entschlossen hatten, ein Kind aus Russland zu adoptieren. „Da können Sie ja ein Buch darüber schreiben. Was sie alles erlebt haben, ist einfach unglaublich“, stellte meine aufmerksame Zuhörerin an dem Tag fest, an dem ich mit meinen Erzählungen im Hier und Jetzt angekommen war. 

 

Ich weiß nicht, ob unsere Geschichte unglaublich ist, aber ich weiß, dass wir alles so erlebt haben, wie ich es hier in diesem Buch zusammengefasst habe.

 

Ich habe lange überlegt, ob ich mit der Adoptionsgeschichte unserer Tochter an die Öffentlichkeit gehen möchte, denn mir ist bewusst, dass  dies ein sehr sensibles Thema ist und ich damit vielleicht auf einigen Widerstand stoßen könnte. Allerdings bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass das Thema zu wichtig ist, um es zu verschweigen und ich hoffe, dass ich mit diesem Buch auch andere Adoptiveltern sensibilisieren und ein Stück weit warnen kann, damit Ihnen unser Schicksal (welch dramatisches Wort) erspart bleibt.

 

Eines vorweg: Wir lieben unsere Tochter Alisa und ich möchte sie nicht einen einzigen Tag missen. Auch wenn man uns in dem Kinderheim in Russland bewusst belogen hat, was Alisas Gesundheitszustand angeht. Russland übrigens deshalb, weil es sich bei Alisas Adoption um eine Auslandsadoption handelt.

 

Meine Frau Delia und ich waren beide schon Anfang vierzig, als wir uns zu einer Adoption entschlossen haben und damit zu alt, um auch nur den Hauch einer Chance auf ein deutsches Kind zu haben. Aber das war uns nicht wichtig. Wir hatten so viel Liebe zu geben und wollten endlich gerne Eltern sein. Einem russischen Kind eine Perspektive und Geborgenheit zu schenken, war für Delia und mich völlig in Ordnung.

Delia und ich werden wohl nie den Tag vergessen, an dem wir in dem Bewusstsein zu dem russischen Kinderheim gefahren sind, dass dies unser letzter Weg zu zweit sein würde. Wir hatten so viele Anstrengungen unternommen, endlich eine vollständige Familie zu werden und konnten unser Glück gar nicht fassen, dass es nun endlich soweit sein sollte.

 

Allerdings ahnten wir zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass man uns ganz bewusst in dem Glauben ließ, dass Alisa bis auf einen Herzfehler und einer Fehlstellung der Augen (die durch eine spätere Operation erfolgreich geheilt wurden), ein gesundes Mädchen wäre, obwohl sie von Geburt an, an dem unheilbaren Fetalen Alkoholsyndrom (kurz FAS) litt.

 

Diese Erkrankung beeinflusst unser aller Leben in einer massiven Art und Weise. Niemand hat uns jemals gefragt, ob wir kräftemäßig dazu in der Lage sind, uns unser restliches Leben lang den Herausforderungen zu stellen, vor die uns diese Krankheit tagtäglich stellt. Wie diese Herausforderungen aussehen, möchte ich Ihnen in diesem Buch aufzeigen und andere adoptionswillige Paare für diese Erkrankung sensibilisieren.

 

                                                                                       1.Kapitel    

 

Als ich meine Frau kennenlernte, war ich Mitinhaber einer kleinen Firma. Meine heutige Schwiegermutter war damals meine Sekretärin. Als ich kurzfristig auf der Suche nach einer Begleitperson für einen Großeinkauf in der Metro war, stellte mir meine Sekretärin den Kontakt zu ihrer Tochter Delia her und es dauerte nicht lange und wir wurden ein Paar.

 

Am 11.11.1995 gaben wir uns schließlich das Ja-Wort. Ich war unglaublich glücklich. Zwischen Delia und mir passte es einfach und ich fühlte mich in meiner Rolle als Ehemann sehr wohl.
Kinder waren für uns beide zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Thema. Wir wollten zunächst unser Leben genießen und uns etwas aufbauen, bevor wir unsere Liebe mit einem gemeinsamen Kind krönen würden.

 

Ich hatte mich zwischenzeitlich von meinem Geschäftspartner getrennt und meine eigene Firma eröffnet. Dies war natürlich zeitintensiv, aber auch Delia hatte in ihrem Job als Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft gut zu tun.

 

So zogen die Jahre ins Land und wir realisierten erst sehr spät, dass etwas nicht stimmen konnte, da Delia, auch nach vielen Jahre ohne Verhütungsmittel, immer noch nicht schwanger war. Wir hatten uns in dieser Hinsicht nie Stress gemacht und eher nach dem Motto gelebt: „Wenn es passiert, dann passiert es.“ Aber nach so langer Zeit war nun doch der Zeitpunkt gekommen, an dem wir einen Arzt konsultieren wollten.

 

Delia hatte zu diesem Zeitpunkt leichte Unterleibsbeschwerden und suchte aus diesem Grund ihre Frauenärztin auf. Diese wurde auch fündig, denn eine halbe Stunde später hielt meine Frau eine Überweisung für ein MRT in ihren Händen, auf der die Verdachtsdiagnose „Tumor“ eingetragen war.

 

Völlig aufgelöst rief mich meine Frau an und weinte bitterlich. Ich konnte sie kaum verstehen. Delia bat mich sofort nach Hause zu kommen. Dort angekommen, drückte sie mir die Überweisung in die Hand. Als ich das Wort „Tumor“ las, rutschte mir das Herz in die Hose und eine unglaubliche Angst machte sich in mir breit. Obwohl ich mich hundeelend fühlte, versuchte ich meiner Frau Mut zu machen. Aber auch ich konnte nicht verhindern, dass ich einen dicken Kloß in meinem Hals spürte.

 

Vierzehn elendig lange Tage mussten wir warten, bis wir endlich einen MRT Termin bekamen. Mit bangem Herzen begleitete ich Delia zu der Untersuchung.

Ein Ergebnis bekamen wir an diesem Tag nicht mitgeteilt. Die Diagnose wurde direkt zu Delias Frauenärztin geschickt.

 

Ein paar Tage später hatten wir dann erneut einen Termin bei der Frauenärztin. Natürlich begleitete ich meine Frau an diesem Tag. Wir waren auf das Schlimmste gefasst, aber die Ärztin überbrachte uns die erlösende Nachricht: Delia hatte keinen Krebs! Es hatten sich aber mehrere Myome in ihrer Gebärmutter gebildet. Wir waren über diese positive Nachricht unendlich erleichtert. Die gutartigen Geschwülste waren zwar unangenehm, aber nicht bösartig. Dies war das Wichtigste!

 

Laut der Frauenärztin sollten diese Myome auch dafür verantwortlich sein, dass wir bisher noch kein Kind bekommen hatten. Die Aussage der Ärztin war unmissverständlich: Wenn wir die Chance auf eine Schwangerschaft haben wollten, musste sich Delia operieren lassen.

 

Nach kurzem Überlegen entschieden wir uns, die Operation in einem Kinderwunschzentrum in Berlin vornehmen zu lassen. Dort wurde dann auch meine Zeugungsfähigkeit getestet. Dabei stellte sich heraus, dass ich nur sehr eingeschränkt zeugungsfähig war. Laut der Ärzte schien es fast aussichtslos, dass wir auf normalem Wege ein Kind bekommen würden.

 

Nachdem Delia die Operation ihrer Myome erfolgreich hinter sich gebracht hatte, entschlossen wir uns dazu, unsere ungewollte Kinderlosigkeit mit Hilfe einer künstlichen Befruchtung zu beenden. Delia und ich waren schon immer ein gutes Team, aber diese Zeit schweißte uns noch enger zusammen.

 

In den letzten Jahren hatten wir die Tatsache, dass Delia nicht schwanger wurde, gar nicht bewusst wahrgenommen. Nun aber war der Wunsch nach einem Kind in uns beiden stark vorhanden. Dazu kam, dass unsere biologische Uhr tickte. Wir waren mittlerweile beide über vierzig Jahre alt und hatten nicht mehr unbegrenzt Zeit, uns den gemeinsamen Traum von einer kleinen Familie zu erfüllen.

 

Im Kinderwunschzentrum wurden uns alle Möglichkeiten einer künstlichen Befruchtung vorgestellt. Wir entschieden uns für die ICSI-Methode. Bei einer ICSI wird eine einzelne Samenzelle mit einer sehr feinen Nadel direkt in eine Eizelle eingeführt (injiziert), die zuvor dem Eierstock der Frau entnommen wurde. Inzwischen wird ICSI in Deutschland bei unerfülltem Kinderwunsch häufiger eingesetzt als die herkömmliche In-vitro-Fertilisation (IVF).

 

Eine Adoption oder eine Pflegschaft war für uns damals ausgeschlossen, wir hatten ja die Hoffnung, dass unser Wunsch bald erfüllt werden würde.

 

Im

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 11.10.2019
ISBN: 978-3-7487-1765-2

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