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1. Kapitel

Meine schnellen Schritte hallten durch den leeren U-Bahnhof, ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Die große Uhr über mir zeigte schon 2:45 Uhr an. Ich fröstelte in dem dünnen Oberteil, welches ich, ohne zu ahnen, dass ich nachts noch durch den kalten U-Bahnhof würde irren müssen, angezogen hatte. Meine Freundin Alex und ich hatten eigentlich vereinbart, dass sie außnahmsweise nüchtern bleibt und uns dann in ihrem schönen neuen Mini nach Hause kutschiert. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass sie sich nicht daran halten würde. Sie hatte sich natürlich nicht zurückhalten können, als sie von einem süßen Typen auf einen Drink eingeladen wurde. Schließlich war sie dann auch noch mit ihm mitgegangen, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich schimpfte vor mich hin, das sah ihr mal wieder ähnlich.

 

Während ich noch in Gedanken mit meiner Schimpftirade auf Alex beschäftigt war, nahm ich plötzlich leise Männerstimmen wahr. Ich folgte den Geräuschen und fand mich schließlich vor einem Bahnsteig wieder. Schnell kniete ich mich, den Gestank ignorierend, hinter einen Mülleimer und lugte daran vorbei. Einige Meter von mir entfernt standen zwei Männer. Der eine hatte einen teuer aussehenden schwarzen Anzug an, er war Mitte fünfzig. Seine schwarzen Haare waren leicht zurück gegelt. Sein zivilisierter Eindruck täuschte jedoch, denn er drückte einen anderen, ärmer gekleideten Mann an die Wand und raunte ihm etwas ins Ohr. Offenbar war es eine Drohung gewesen, denn der an der Wand klebende Mann wurde neichenblass. Der Anzugträger hatte eine kalte, berechnende Ausstrahlung, bei der ich schaudern musste. Ich wollte mich gerade aus dem Staub machen, da ich eine Begegnung mit ihm um jedenfall vermeiden wollte, doch da ließ er den armen Mann los. Dann trat er einen Schritt zurück und sagte bedrohlich: "Du weißt, wass passiert, wenn man mich verärgert, also legs lieber nicht drauf an. Morgen bringst du mir, was ich verlange, sonst füchte ich bleibt mir nichts anderes übrig, als deiner kleinen Tochter mal einen kleinen Besuch abzustatten." Der Unterlegene nickte eifrig und lief davon. Ich wagte kaum zu atmen, der Anzugträger stand keine zwei Meter von mir entfernt. Wenn jetzt auch nur mein Knie knackte, war ich geliefert. Als sich der Mann gerade umwandte und in die selbe Richtung davon gehen wollte wie der andere Mann, piepte mein Handy. Mir wurde eiskalt.

 

Blitzschnell drehte er sich um und starrte in meine Richtung. Ich erstarrte. Der Killer kam auf mich zu. Er kam immer näher und näher und verringerte mit jedem seiner Schritte meine Chance, das hier unbeschadet zu überstehen. Doch ich konnte mich immer noch nicht rühren. Als er keine fünf Meter mehr von mir entfernt war, sprang ich auf und sprintete mit wackligen Beinen los. Ich rannte so schnell ich konnte, die Schritte meines Verfolgers wurden immer leiser, anscheinend machte er sich nicht mal die Mühe, mir hinterher zu rennen. Trotzdem rannte ich mit keuchendem Atem weiter, bis ich plötzlich zum stehen kam. Eine Sackgasse. Panisch sah ich mich um. Der einzige Auweg war versperrt. Denk nach!, befahl ich mir. Verzweifelt rüttelte ich an der hohen Absperrung. Da fiel mir die Lücke zwischen Boden und dem Zaun auf und ich warf mich auf den Boden, um darunter hindurch zu robben. Etwas Spitzes stach in meinen Bauch, doch ich ignorierte den Schmerz und zog mich Zentimeter für Zentimeter nach vorne. Die Schritte meines Verfolgers wurden immer lauter werden und ich kam einfach nicht voran. Tränen der Verzweiflung schossen mir in die Augen. Nicht aufgeben, Natalie, streg dich an!, feuerte ich mich selbst an. Doch dann hörte ich seine Schritte ganz dicht hinter mir und einen Moment später wurde ich grob nach hinten gezogen. Ich schrie auf, denn das Scharfkantige, auf dem ich lag, ratschte meinen gesamten Bauch entlang. Mit einem Ruck zerrte er mich hoch und hielt mich fest. Ich versuchte den Schmerz, der in meinem Bauch tobte zu ignorieren, ebenso wie die Tränen, die sich einen Weg in meine Augen bahnen wollten. "Mit dir hättest du dich nicht anlegen sollen, Mädchen", flüsterte er mir mit kalter Stimme ins Ohr. Voller Panik schaute ich in die dunklen Augen des Verbrechers und wusste, dass er mich umbringen würde, wenn ich nichts unternahm. Also sammelte ich meine gesamte Kraft, drehte mich erst zur einen Seite, als würde ich mich losreißen wollen, schnellte dann zurück und rammte ihm meinen Ellenbogen in den Magen. Stöhnend lockerte er seinen Griff ein wenig. Das reichte mir, um mich losreißen zu können. Wieder rannte ich so schnell ich konnte. Doch meine Erleichterung verpuffte, als es ohrenbetäubend laut knallte und etwas meine Hose an der Seite aufschlitzte. Er schoss auf mich! Nun rannte ich in Zick-Zack Linien. Ich knickte ein paar mal um und streifte, zum Glück ohne viel Zeit zu verlieren, meine viel zu hohen Schuhe ab. Dies bereute ich jedoch kurz darauf wieder, als ich in eine Glasscherbe trat. Der Schmerz zog bis in mein Knie hinauf und ich keuchte auf. Kurz war ich versucht, mich einfach hinzusetzen und aufzugeben, aber ich riss mich zusammen. Die Schritte des Verfolgers, die diesmal nicht leiser wurden, ermahnten mich stetig zum weiterrennen. Endlich machte der Tunnel eine Biegung und dahinter lag die Treppe. Ich humpelte die Stufen hinauf. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Bein. Er hatte mich getroffen. Mein Bein knickte ein und ich fühlte mich außerstande weiterzulaufen. Der Killer hatte bereits die Treppe erreicht. Seine Pistole war auf mich gerichtet. Ich erstarrte.

 

"So ist gut. An deiner Stelle würde ich mich nicht bewegen.", sagte er in einem freundlichen Tonfall, fast als würde er mir einen gutgemeinten Rat geben. Er kam weiter auf mich zu, bis er direkt vor mir stand. Dann zog er mich abermals grob auf meine Beine, was mir einen heißen Schmerz durch den gesamten Körper jagte. Nur mit Mühe konnte ich einen Aufschrei unterdrücken. Der Verbrecher zerrte mich die Treppenstufen hoch, ohne Rücksicht auf mein angeschossenes Bein zu nehmen. Meine hellbraunen Haare fielen mir in mein Gesicht und Tränen rannen lautlos über meine Wangen. Hoffnungslosigkeit durchflutete mich und ich versuchte nur noch halberhezig, mich zu befreien. Per Knopfdruck entriegelte er das Auto und öffnete die Tür. Ich war zu erschöpft, um mir Gedanken darüber zu machen, wo er mich hinbringen würde. Plötzlich huschte eine kleine, braun getiegerte Katze unter dem Auto hervor, die genau in dem Moment hinter dem Mann vorbeihuschte, als dieser gerade einen Schritt nach hinten machte, um die Tür des schwarzen Autos zu öffnen. Mit einem Fluch fiel er über das Kätzchen, welches zu Tode erschreckt davon preschte, und schlug hart auf dem Hinterkopf auf. Einen Moment lang stand ich mit zitternden Beinen völlig bewegungsunfähig da, bis ich kapierte, dass der Verbrecher wohl ohnmächtig war. Das Adrenalin und die Hoffnung kamen zurück und schöpfte neue Kraft, die es mir erlaubte, wegzuhumpeln. Nach jedem qualvollen Schritt, musste ich mich zusammenreißen, um den nächsten zu machen. Mit mehr Willenskraft und Stärke, als ich es mit je zugetraut hätte, erreichte ich einen Kiosk, der noch offen hatte und öffnete die schwere Tür. Dann wurde alles schwarz.

 

2. Kapitel

 

 Ich kochte Wut, dieses Miststück war mir doch tatsächlich entkommen! Mir, Mauricio! Dem Boss einer der Mächtigsten Organisationen der Welt. Aber sie hatte ja keine Ahnung, wen sie sich da zum Feind gemacht hatte. Natürlich durfte dieses Missgeschick nicht in der Organisation bekannt werden. So etwas kostete einen schnell mal seinen Respekt. Ich müsste nur jemanden finden, den ich damit beauftragen konnte, das Mädchen aufzuspüren und zu beseitigen. Aber da fiel mir schon jemand ein.

~Mauricio~

 

                 

                            

Ich blinzelte, als grelles Licht mich blendete. Benommen wollte ich mich aufsetzen, doch ein scharfer Schmerz hinderte mich daran. Ich sog scharf die Luft ein. Wie eine Tsunamiewelle überrollten mich die Erinnerungen an die Nacht, in der ich fast gestorben wäre. Völlig hilflos war ich den Bildern, die auf mich einströmten ausgeliefert. Die grausamen Augen des Mannes, die Pistole, das Blut und das Kätzchen. Ich klammerte mich an diesem Bild fest, wie an einen Anker, der mich davon abhielt von der Panik weggerissen zu werden. Abermals rettete mich dieses kleine Geschöpf und ich konnte langsam wieder klar denken.

 

Plötzlich ging die Tür auf, ich erstarrte. War das der Killer? Doch ich atmete auf, als ich das vertraute Gesicht meiner Freundin Alex erblickte. "Nat!", rief sie und warf sich in meine Arme. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich meinen Spitznamen hörte. Ich konnte sie einfach nicht dazu bringen, mich Natalie zu nennen. Ihr vertrauter Duft beruhigte mich. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schwer mir das Atmen gefallen war. "Das ist alles meine Schuld. Ich hätte nicht abhauen und dich alleine lassen dürfen", schniefte sie in mein Krankenhausnachthemd. Behutsam streichelte ich ihr über den Rücken und flüsterte, " Es ist doch nicht deine Schuld, außerdem bin ich kein kleines Kind mehr", beschwichtigte ich meine beste Freundin. Obwohl ich meine Wut über ihr plötzliches Verschwinden nicht vergessen hatte, konnte ich es nicht ertragen, sie so voller Schuldgefühle zu sehen. Sie hätte ja nicht wissen können, dass mir außgerechnet das passierte, was man sonst im Tatort gespannt beobachtete. Sie löste sich von mir und sah mich voller Sorge an. "Was ist denn passiert, Nat?", fragte sie. Ich kniff die Augen zusammen und rang mit mir, ob ich es ihr erzählen sollte. Ich war mir nicht sicher ob ich bereit war, mich erneut der Flut von Erinnerungen zu stellen, die mich vorhin fast in eine Panikattacke gerissen hatten. Schließlich fasste ich den Entschluss, es ihr zu erzählen. Je früher ich lernte, mit den Bildern in meinem Kopf umzugehen, desto besser. Also fing ich an zu erzählen, wobei ich mehrmals eine Pause machen musste, um mich zu sammeln und Alex immer schockierter dreinschaute. Als ich geendet hatte, starrte Alex mich an. Einige Minuten herrschte Stille und dann fuhr Alex auf,  "Ach du heilige Scheiße! Ich kann mir gar nicht vorstellen, was du durchgemacht haben musst".

 

Da ging erneut die Tür auf, ich zuckte zusammen. Herein kamen zwei Polizisten, die Alex baten zu gehen. Bedauernd schaute ich sie an und sie umarmte mich nochmal. "Ich komm dich spätestens morgen besuchen, okay?", flüsterte sie mir dabei ins Ohr. Ich nickte und sah ihr hinterher. Dann wandte ich meinen Blick den zwei Polizisten zu. "Miss Jacobs wir hätten ein paar Fragen an sie", sagte der ältere der beiden Polizisten. Er hatte krauses, braunes Haar, in welchem sich jedoch schon erste silberne Strähnchen bemerkbar machten. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort, "Nun zuerst einmal möchten wir natürlich wissen, was überhaupt geschehen ist". Ich hatte damit gerechnet, dass sie das wissen wollen würden und begann nun zum zweiten Mal, zu erzählen. Nachdem ich geendet hatte, sah der jüngere, rothaarige Polizist mich zugleich anerkennend und erschrocken an, während der Ältere sich Notizen machte. Schließlich verabschiedeten die Polizisten sich höflich und etwas besorgt. Sie hatten noch einige Fragen gestellt und mich gebeten, sobald ich konnte zur Polizeitstation zu kommen, um ein Phantombild des Verbrechers zu erstellen. Außerdem hatten sie mir erklärt, dass ich von nun an unter polizeilichem Schutz stünde und immer ein Wachmann auf mich aufpassen würde.

 

Keine zehn Minuten nachdem sich die Tür geschlossen hatte, wurde sie abermals geöffnet und ein Arzt kam hinein. Er war ein rundlicher Mann mit nur noch ein paar grauen Haaren auf dem Kopf. Lachfalten bildeten sich um seine Augen und Mundwinkel, als er mich höflich anlächelte. Kurz schüttelte er mir die Hand und sah dann nach meinen zahlreichen Verletzungen. Nachdem er sichergestellt hatte, dass nichts entzündet war und alles gut verheilte, legte er mir einen neuen Verband an. Wenn alles gut lief, sagte er, würde ich in einer Woche nach Hause entlassen werden. Ich seufzte erleichtert auf, ich hatte schon befürchtet, mich hier zu Tode langweilen zu müssen. Außerdem schlug er mir vor, einen Psychotherapeuten aufzusuchen um die Ereignisse besser verarbeiten zu können. Nachdem er eine Visitenkarte auf meinem Nachttisch hinterlassen hatte, ließ er mich allein.

Erschöpft seufzte ich auf und kuschelte mich, so gut es ging in das steife Krankenhauskissen. Doch kaum hatte ich meine Augen geschlossen, strömten die schrecklichen Bilder auf mich ein. Ich kam mir unheimlich klein und schutzlos vor. In der Hoffnung, dass die Bilder verschwinden würden kniff ich meine Augen so fest zusammen, dass es weh tat, doch das bewirkte nur das Gegenteil, nähmlich, dass die Bilder noch intensiver wurden. Da half nur eines, und zwar eine dicke, kitschige Liebesromanze. Ich beschloss Alex anzurufen und sie zu fragen, ob sie mir ein paar Bücher vorbei bringen könne. Alex warme, seidige Stimme war wie Balsam, doch kaum war das Telefonat beendet, kehrte das Gefühl von Schutzlosigkeit zurück. Angestrengt versuchte ich meine Gedanken von jener Nacht wegzulenken. Langsam machte sich eine bleierne Müdigkeit in mir breit. Doch ich hatte furchtbare Angst, ihr nachzugeben. Denn ich fürchtete mich vor den Albtraümen, dich mich im Schlaf erwarteten. Mit allem Möglichen versuchte ich mich zu beschäftigen: Ich zählte die Kratzer an der Wand und die Deckenplatten. Dann prägte ich mir die Einzelheiten des Raumes ein und rief sie schließlich vor meinem inneren Augen wieder auf. Dies tat ich so lange, bis ich jeden einzelnen Kratzer in diesem kahlen, weißen Raum, vor meinem inneren Auge sehen konnte. Mein Widerstand gegen den Schlaf wurde immer schwächer und schließlich ließ ich mich fallen und schlief ein.

Ein Geräusch weckte mich. Das Geräusch einer sich schließenden Tür. Panisch schaute ich mich im Raum um, doch es war niemand hier. Das musste dann wohl unweigerlich bedeuten, dass jemand bei mir gewesen war. Bei der Vorstellung, der Killer könnte mich im Schlaf beobachtet haben, wurde mir schlecht. Da fiel mein Blick auf den Nachttisch und ich seufzte erleichtert auf. Denn dort lagen drei Bücher. Es war nur Alex da gewesen, sonst niemand. Erleichtert schnappte ich mir das oberste Buch und schlug es auf.

Mir flatterte ein Zettel entgegen:

 

Nat! Du hast so friedlich geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken. Hier sind die versprochenen Bücher. Ich komm dich morgen besuchen.

Deine Alex

 

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich fing an zu lesen.

 

1 Woche später:

 

Langsam humpelte ich die Treppenstufen vom Krankhausgebäude nach unten auf den Parkplatz. Suchend blickte ich mich um. Es dauerte nicht lange, bis ich Alex entdeckte, sie war kaum zu übersehen mit dem riesigen Blumenstrauß in der Hand. Grinsend ging ich auf sie zu. Alex entdeckte mich und kam mir entgegen. Als ich sie erreichte, zog sie mich in eine feste Umarmung und mein Lächeln wurde noch breiter. Ich war unendlich froh, endlich diesem öden weißen Krankenhauszimmer zu entfliehen. Meine beste Freundin legte mir den Arm um die Schulter und führte mich zu ihrem Wagen. Seufzend ließ ich mich auf den gepolsterten Sitz sinken und Alex nahm mir die Krücken ab und verstaute sie im Kofferraum. Dann lies sich neben mir in den Fahrersitz plumpsen. Der Motor startete und wir fuhren los. Ich war Alex wirklich dankbar dafür, dass sie mich nicht fragte, wie es mir ging, obwohl ich wahrscheinlich genauso schlecht aussah, wie ich mich fühlte. Die letzte Woche war kaum auszuhalten gewesen. Dieser weiße Raum hatte mich immer mehr eingeengt, bis ich schließlich das Gefühl hatte, die Wände würden auf mich zukommen. Ich hatte kaum schlafen können und meine Nerven lagen Blank.  Ich hatte das Gefühl, jeden Moment in Tränen auszubrechen.

Alex gab sich alle Mühe, mich zum Lachen zu bringen, mich aufzumuntern. Es gelang ihr auch ein paar Mal, doch kurz darauf war ich wieder in meiner Grube der Furcht versunken.

 

Der Wagen stoppte vor dem Haus, in dem Alex eine kleine, unheimlich gemütliche Wohnung gemietet hatte. Ich hatte ihr damals beim Wände streichen und einrichten geholfen. Vielleicht würde ich es ja in dieser vertrauten umgebung schaffen, wieder zu meinem alten Ich zurück zu finden. Meine Freundin öffnete die Beifahrertür und reichte mir meine Krücken. Summend schlenderte sie vor mir her und öffnete die Haustür.

Zum Glück wohnte Alex gleich im ersten Stock, sodass ich mich nicht zu viele Treppenstufen hinausquälen musste. Mein Bein tat immer noch ziemlich weh. Der Arzt hatte zwar gesagt, dass ich Glück gehabt hätte, dass die Kugel nicht meinen Knochen durchschlagen hatte, doch es war trotzdem eine tiefen Fleischwunde, die lange brauchen würde, um zu heilen.

Wir machten uns einen richtig schönen Abend: Wir kochten Spaghettie und aßen sie vorm Fernseher bei unser beider Lieblingsfilm Titanik. Davon bekam ich allerdings nicht mehr viel mit, denn ich war schon eingeschlafen, noch befor der riesige Ozeandampfer in See stechen konnte. Alex vertrauter Geruch und das immer leiser werdende Geräusch des Fernsehers gaben mir das nötige Gefühl von Sicherheit, um endlich in einen erholsamen Schlaf zu fallen.

                                                                                                                                                                     Am nächsten Tag wachte ich erst um 3 Uhr Nachmittags auf. Alex war schon wieder von der Uni zurück und machte mir "Frühstück". Um 4 Uhr fuhr sie mich nach Hause. Sie hatte mir zwar angeboten, bei ihr zu bleiben, doch ich hatte schwerenherzens abgelehnt. Natürlich wäre ich am liebsten in ihrer gemütlichen Wohnung geblieben, doch ich wollte ihr nicht zur Last fallen, sie hatte genug für mich getan. Als ich schließlich allein in meiner Wohnung war, hatte ich das Gefühl zu ersticken. Es erschien mir, als würden die hässlichen, schmutzig gelben Wände immer näher rücken. Als ich am Abend völlig genervt versuchte, eine Spannende Sendung im Fernsehen zu finden, reichte es mir.  Ich beschloss, dass es an der Zeit war, etwas zu verändern und nahm mir vor, am nächsten Tag zu Ikea zu fahren. Am Abend kam ich wieder nicht zur Ruhe. Ich trat hinaus auf meinen kleinen Balkon im dritten Stock und vergewisserte mich, dass da tatsächlich ein polizeiauto vor meinem Haus stand. Dies beruhigte mich schließlich soweit, dass ich es schaffte, einzuschafen. Doch natürlich warteten die Albträume schon. Mittlerweile konnte ich aber schon bessen mit ihnen umgehen. Ich wachte nicht mehr schreiend und schweißüberströmt nachts auf und brauchte Ewigkeiten, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Gespräche mit der Psychotherapeutin, zu der ich zweimal die Woche ging, hatten mir anscheinend ein wenig geholfen.

3. Kapitel

 Am nächsten Morgen wachte ich sogar einigermaßen ausgeschlafen auf. Ich sprang ersteinmal unter die Dusche und machte mich fertig. Ich hatte meinen Entschluss von gestern Abend nicht vergessen. Nach knappen 20 Minuten stieg ich auch schon erfrischt und voller Elan in meinen alten Käfer und fuhr zu Ikea. Dort verbrachte ich schließlich ganze drei Stunden in der Farbabteilung. Für mein Schlafzimmer hatte ich mir ein helles Taubenblau und ein etwas dunkleres blau ausgesucht. Mein Arbeitszimmer würde ich in einem hellen grün streichen. Für das Wohnzimmer hatte ich mir eine schöne englische Tapete ausgesucht, die einen ganz eigenen Charm versprühte. Dazu hatte ich mir ein zartes Flieder für die restlichen Wände ausgesucht. Zusätzlich kaufte ich noch ein schlichtes Weiß für die Decke und die Passepartouts. Ich wusste, dass ich mir sehr viel vorgenommen hatte, doch genau das hatte ich beabsichtigt mit der ganzen Aktion. Ich brauchte eine Beschäftigung und was war da besser, als meine Wohnung zu verschönern?

Nach zwei weiteren Stunden stand ich endlich mit allerlei Malutensilien, einem neuen, großen Kleiderschrank, lichtundurchlässigen Vorhängen fürs Schlafzimmer, einer schicken Stehlampe und einem wunderschönem Wandbild, bei dem ich mich noch nicht entschieden hatte, ob ich es ins Schlaf- oder Arbeitszimmer hängen wollte. Gut gelaunt lud ich schließlich den ganzen Krempel in meinen Wagen, was mir meinem verletztem Bein ein etwas schwieriges Unterfangen war, da ich mich ohne Krücken noch kaum halten konnte. Doch ich schaffte es und ließ mich erschöpft, aber zufrieden in mein geliebtes Auto fallen.

Als ich endlich zu Hause ankamfing ich direkt an, die Möbel, die im Weg standen, in den Flur zu schieben, die Stellen, die keine Farbe abbekommen sollten, mit Klebeband abzukleben und den schönen Holzboden mit Zeitung auszulegen.

Dann machte ich es mir auf dem Boden vor dem Fernseher gemütlich, denn das Sofa stand ja schon im Flur. Morgen würde ich mit dem Streichen beginnen.

 

Gesagt getan, am nächsten Morgen sprang ich aus dem Bett, kaum dass ich die Augen aufgeschlagen hatte. Ich schlüpfte in ein altes T-Shirt und eine löchrige Jogginghose. Dann machte ich mich auch schon an die Arbeit. Ich fing mit dem Wohnzimmer an und war bis zum Abend fast fertig, nur dazu, die Möbel wieder zurückzuschieben, reichte meine Energie nicht mehr aus. Völlig erschöpft und mit schmerzenden Armen fiel ich ins Bett und schlief sofort ein. Sogar für Albträume war anscheinend keine Energie mehr übrig, denn ich schlief die ganze Nacht wie ein Baby durch. Und genau das war es, was ich erreichen wollte.

 

  Auch die nächsten vier Abende fiel ich komplett erledigt, aber zufrieden ins Bett. Von finsteren Gedanken und albträumen war keine Spur mehr und es wirkte, als würde ich langsam, aber sicher über den Schock hinwegkommen.

In der fünften Nacht schlief ich auf dem Sofa im Wohnzimmer, da es in meinem Schlafzimmer noch beißend nach Farbe roch. Schläfrig betrachtete ich die Schnörkel und Bögen der Tapete und nach kurzer Zeit fielen mir die Augen zu.

Mitten in der Nacht wurde ich von einem lauten Poltern aus dem Treppenhaus aufgeweckt. Was oder wer war das? War das der Verbrecher? Oder ein Mafia Komplize von ihm? Kam er jetzt um mich umzubringen? Angst lähmte meine Glieder für einige Augenblicke, doch dann erlangte ich wieder die Kontrolle über mich. Ich gab mir einen Ruck und schlich ängstlich den Flur entlang. Wie ein verschrecktes Kaninchen im Bett auf den Fuchs zu warten, würde mir auch nicht helfen. Langsam näherte ich mich der Haustüre, als wäre dahinter eine Bombe versteckt, die jeden Moment explodieren könnte. Als ich durch das Guckloch in der Tür schaute stellte ich erleichtert fest, dass es nur ein Nachbar war, der mal wieder völlig betrunken die Treppe hoch polterte.

Als ich wieder in meinem improvisierten Bett lag, eingekuschelt in meine Decke, konnte ich nicht mehr einschlafen, denn dieses Erlebnis hatte mir wieder meine ganzen Ängste ins Gedächtnis gerufen. Ich sah auf meinen Wecker, es war drei Uhr Morgens. Wie um mir selbst zu beweisen, dass ich sicher war, ging ich zum Fenster und schob den Vorhang ein Stück beiseite. Dort stand er. Mein Wächter. Er lehnte gelassen an seinem Auto und beobachtete wachsam das Wohnhaus, in dem ich lebte. Plötzlich zuckte der junge Mann leicht zusammen und schaute zu mir hoch. Unsere Blicke trafen sich. Nach einer Weile nickte er mir zu und wandte den Blick wieder ab. Siehst du? Alles gut, der beschützt dich!, redete ich mir selber gut zu und ließ mich wieder aufs Sofa plumpsen. Trotzdem konnte ich nicht wieder einschlafen. Nach gefühlten drei Stunden in denen ich bestimmt dreißig Mal die Schlafposition gewechselt und zig-mal die Decke wegstrampelt hatte, nur um sie kurz darauf wieder über mich zu ziehen, gab ich auf und nahm seufzend mein Buch vom Nachttisch.

 

Irgendwann muss ich wohl doch eingeschlafen sein, denn ich wachte mit einem Buch im Gesicht wieder auf. Ich gähnte und hätte mich am liebsten wieder hingelegt, so müde war ich, doch ich gab mir einen Ruck und lief ins Bad. Dort sprang ich erstmal unter die Dusche. Vom kalten Wasser wachgerüttelt, schlenderte ich in die Küche und machte mir einen Kaffe und ein paar Brote. Damit setzte ich mich ins Wohnzimmer und bewunderte die schöne Tapete. Sie verlieh dem Raum eine ganz andere Atmosphäre.

 

Nach ein paar Minuten verließ ich angezogen meine Wohnung und stieg in meinen Käfer. Damit fuhr ich zur Polizeistation, um das Phantombild anfertigen zu lassen. Vor einem Betonklotz parkte ich und ging auf das Polizeipräsidium zu. Innen sah es genauso aus, wie außen: Kalt, stillos und ungemütlich. Eine Frau bat mich, in einem kleinen Raum zu warten, mit dem Versprechen, es würde gleich jemand kommen und sich um mich kümmern. Gelangweilt blickte ich mich in dem kleinen Zimmer um. Hier befanden sich nur ein Schreibtisch, ein Computer, der Geräusche machte, als könne er jeden Moment explodieren, ein einelner Sessel und ein großer Aktenschrank. Meine Musterung wurde von einem jungen, schlaksigen Beamten unterbrochen, der hineingekommen war und sich nun mir gegenüber setzte. Geschäftig schüttelte er mir die Hand und weckte den Coputer mit einem Schlenker der Maus. Dann fing er auch schon an, mir verschiedene Nasen, Augen, Münder, Gesichtformen und Augenbrauen zu zeigen, von denen ich die auswählen sollte, die dem Mafiosi am ähnlichsten sahen. Nach einiger Zeit hatte ich ein Abbild meines Vefolgers vor mir, was mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Nachdem ich noch ein paar Kleinigkeiten verändert hatte, sprach ich den Polizisten auf meine Angst an, dass der Kriminelle bestimmt genug Leute hatte, die den einzigen Wachmann ziemlich leicht beseitigen könnten. Der junge Polizist wirkte unsicher und stand auf, um seinen Vorgesetzten zu holen.

Erneut wurde ich gebeten, zu warten und fuhr mit meiner Musterung der Raumes fort.

 

Nach etwa zehn Minuten kam der Kommissar hinein. Er war ein etwas rundlicher, gemütlicher Mann der zu meiner Überraschung noch relativ jung war. Ich schätzte ihn auf um die 40. Wie schon seinem jüngeren Kollegen schilderte ich ihm meine Angst. Er überlegte einen Moment und sagte dann, "Ich fürchte, ich muss Ihnen Recht geben, Ihre Befürchtung ist tatsächlich nicht ganz unbegründet. Leider haben wir nicht genug Mitarbeiter, um mehrere Wachposten aufstellen zu können. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, für eine Weile unterzutauchen, das wäre das Sicherste." Was? Untertauchen? Aber ich konnte doch nicht einfach hier weggehen! Ich würde ja ohnehin schon drei Wochen auf der Arbeit fehlen und mein Chef war sowieso schon verärgert darüber, dass ich so lange fehlte. "Nein, das geht nicht, das würde mich wahrscheinlich meinen Job kosten", seufzte ich. Der Kommissar nickte bedauernd und sagte, "Das habe ich mir fast gedacht, aber rufen sie mich bitte an, sollten sie sich doch noch dazu entschließen. Viel mehr kann ich leider auch nicht für sie tun. Ich werde heute noch einen Polizisten zu ihnen schicken, der einen Notfallknopf in ihrer Wohnung anbringt, wenn ihnen das Recht ist. Ist Ihnen noch irgendwas eingefallen, was bei der Suche nach dem Täter hilfreich sein könnte?" Ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Er nickte, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet und erhob sich. Ich tat es ihm gleich und folgte ihm aus dem stickigen Raum hinaus. Vor der Tür schüttelte er mir kurz die Hand und warf mir einen mitfühlenden Blick zu.

 

Den Rest der Woche verbrachte ich mit lesen, aufräumen und Fernsehn gucken.Ich besuchte zweimal meine Psychaterin und einmal fuhr ich zu einem Check ins Krankenhaus. Die Nächte, in denen Albträume mich quälten wurden immer seltener und auch meinem Bein ging es besser. Außerdem hatte ich mit meinem Cheff telefoniert und ausgemacht, dass ich morgen wieder anfange, zu arbeiten. Anfangs würde ich noch kurze Arbeitszeiten haben, die ich dann mit der Zeit steigern könnte. Ich freute mich, endlich wieder arbeiten zu gehen.

 

 

4. Kapitel

Das nervtötende Klingeln meines Handyweckers weckte mich zum ersten Mal seit Wochen wieder. Ich stand auf, streckte mich und schlurfte ins Bad, um mich mit einer kalten Dusche zu wecken. 

Wenig später schlenderte ich erfrischt in die Küche, um mir wie üblich ein Müsli zu machen. Leider musste ich feststellen, dass es weder Obst noch Milch gab. Frustriert überlegte ich, was ich jetzt essen sollte. Nicht mal Brot gab es mehr. Da blieb mir wohl nichts anderes übrig, als noch kurz beim Becker vorbeizufahren. Hastig schrieb ich mir einen Einkaufszettel, da ich gleich nach der Arbeit einkaufen gehen wollte.

 

Nun war ich spät dran und hetzte aus der Wohnung. Als ich aber vor meinem Mini stand, suchte ich vergeblich nach meinem Autoschlüssel. Laut fluchend rannte ich zurück zur Wohnung und kam völlig außer Atem wieder vor meinem Mini zu stehen. Mein Bein hatte angefangen zu stechen und ich ließ mich völlig erledigt in mein Auto plumpsen. Nachdem der Schmerz abgeklungen war, machte ich, dass ich schleunigst zur Arbeit kam. Ich wollte nicht schon am ersten Tag zu spät kommen. Zum Becker würde ich es jetzt wohl nicht mehr schaffen. Das war ja ein toller Start zurück in den Alltag. Naja nachdem mir so ziemlich jedes Missgeschick passiert war, konnte es ja nur noch besser werden. Auf dem Weg zur Arbeit besserte sich meine Laune.

Ich freute mich wahnsinnig, endlich wieder meinem heißgeliebten Beruf nachgehen zu können. Ich arbeitete in einer kleinen, aber erfolgreichen Grafikfirma, die ihren Sitz in einem der riesigen Bürohochhäuser in London hatte.

 

Gerade rechtzeitig fuhr ich in die Tiefgarage und parkte auf meinem Stammparkplatz. Ich hiefte mich ächzend aus meinem roten Mini und ging zügig zum Fahrstuhl. Nervös sah ich auf meine Uhr, ich hatte noch vier Minuten Zeit, wenn nur dieser blöde Fahrstuhl sich endlich hierher bequemen würde. Ich betete, dass er nicht vo irgendjemandem blockiert wurde, denn dann konnte ich ewig warten. Vor meinem "Unfall" hätte ich ja die Treppen genommen, doch mit meinem Bein schaffte ich es noch nicht in den zehnten Stock hoch.

Erleichtert sah ich auf, als ich das vertraute Pling des Fahrstuhls hörte und stieg ein.

Um Punkt acht öffneten sich die Fahrstuhltüren und ich wurde herzlich von meinen Kollegen begrüßt. Alle wollten sie wissen, warum ich so lange gefehlt habe und wie es mir ginge. Ich hatte meinen Chef gebeten, es niemandem zu erzählen, was der Grund für meine Abwesenheit war und er hatte Wort gehalten.

Nun erzählte ich allen, dass ich einen Fahrradunfall gehabt hätte. Keiner der Kollegen hatte mich je mit einem Fahrrad gesehen und doch schienen sie alle zufrieden mir der Erklärung. Nach einer Weile eiste ich mich von den besorgten Gesichtern los und lief zum Büro meines Chefs. Dabei gab ich mir Mühe, mein leichtes Humpeln zu verbergen, doch ganz konnte ich noch nicht vermeiden, dass ich mit demverletzten Bein kürzer auftrat.

Vor der Tür atmete ich einmal kurz ein und klopfte entschieden. "Herein", ertönte es in dem etwas mürrischen Tonfall, den ich mittlerweile überall erkennen würde.

Als er mich sah hellte sich seine Miene auf und er kam auf mich zu, um mir herzlich die Hand zu schütteln. Dann deutete er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und ich setzte mich.

Wie üblich herrschte auf seinem Schreibtisch ein kleines Chaos, was ich sehr sympathisch fand, denn auch ich war nicht die ordentlichste.

Nachdem er sich nach meinem Befinden erkundigt hatte, stellte er mir auch schon mein nächstes Projekt vor, welches ich wie immer voller Begeisterung empfing.

Er merkte mir an, dass es mir schon in den Fingern juckte und entließ mich an die Arbeit.

 

 

In Gedanken noch bei meinem Projekt schlenderte ich durch die Tiefgarage zu meinem Auto. Viel zu früh hatte ich mich von meinem Schreibtisch losreißen müssen, da der Arzt mir empfohlen hatte erstmal mir kürzeren Arbeitszeiten wieder anzufangen.  Als ich bei meinem Wagen angekommen war und gerade die Tür öffnen wollte, hielt ich plötzlich inne. Mir war so, als hätte ich ein leises Geräusch hinter mir wahrgenommen. Ich drehte mich um und erschrak. Tatsächlich, keine drei Meter entfernt lehnte ein Mann an einer Säule. Wie hatte ich den übersehen können? Der Mann war groß und trug einen Anzug. Eigentlich sah er ganz normal aus, wie die anderen Büroangestellten, wenngleich er auffallend gut aussah. Doch irgendwas erschien mir seltsam. Sein Blick war eine Spur zu lauernd und sein Anzug saß zu perfekt, als sei er maßgeschneidert. Denn das konnten sich nur die wenigsten in diesem Gebäude leisten. Seine ganze Haltung erinnerte an einen Jäger. Als ich dann auch noch eine Wölbung unter seinem Jacket ausmachte, bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich war mir plötzlich ganz sicher, dass eine Pistole in seinem Gürtel steckte. Mein Puls beschleunigte sich, dennoch versuchte ich so normal wie möglich, die Autotür zu öffnen und einzusteigen. Als ich im Auto saß, vergaß ich vor lauter Erleichterung fast, die Türverriegelung einzuschalten. Doch dann hatte ich mich wieder im Griff und fuhr mit quietschenden Reifen aus dem Parkhaus. Erst als ich mit 100 km/h auf der Autobahn fuhr, konnte ich wieder einigermaßen denken. War er etwa vom Killer geschickt worden? Aber wenn ja, wieso hat er nicht seine Pistole gezückt und mich erschossen? Wieso hat er mich nicht am wegfahren gehindert?

Je klarer ich denken konnte, desto unsicher wurde ich. Hatte ich etwa überreagiert? War er doch ein ganz normaler Büroangestellter gewesen?

Vor lauter grübeln hätte ich fast die richtige Autobahnausfahrt verpasst. Als ich endlich in meiner Wohnung war, streifte ich mir schon im Gehen die Klamotten ab. Was ich jetzt brauchte, war ein schönes heißes Bad, damit ich in Ruhe nachdenken konnte.

Doch was sonst mein Wunderheilmittel gegen Unruhe war, half mir heute kein bisschen. Im Gegenteil. Meine Gedanken kreisten immer wilder. Mein Instinkt und mein Verstand lieferten sich einen erbitterter Zweikampf. Mein Instink war felsenfest davon überzeugt, dass mit diesem Mann aus der Tiefgarage irgendwas nicht gestimmt hat, während mein Verstand das alles als Einbildung abtat.

Gernervt ließ ich das Wasser aus der Badewanne und wickelte mich in meinen dicken Bademantel ein. Da half nur Ablenkung ich schaltete den Fernseher an und kuschelte mich in eine warme Wolldecke. Der Tag hatte mich mehr erschöpft, als ich mir eingestehen wollte. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie mein Kopf wegsackte und meine Augen zufielen. Schließlich ergab ich mich und schlief ein.

 

Ein lauter Knall weckte mich. Mit weitaufgerissenen Augen saß ich aufrecht auf dem Sofa. Mein Atem ging hecktisch und ich sah mich panisch nach der Ursache des Geräusches um. Es dauerte eine Weile, bis ich schnallte, dass das Geräusch aus dem Fernseher gekommen war.

Es lief gerade ein Krimi und der Knall war ein Schuss gewesen. Nur langsam beruhigte ich mich wieder. Mir war plötzlich viel zu heiß. Zittrig stand ich auf und stürzte auf den Balkon.

Die klare Nachtluft beruhigte mich ein wenig und so langsam fand mein Atem wieder in seinen normalen Takt zurück. Unten auf der Straße lehnte ein Mann an seinem Auto und rauchte. Ich war erleichtert, denn das musste mein Beschützer sein. Als hätte der Mann meinen Blick gespürt, sah er zu mir  hinauf. Als ich sein Gesicht sah, erstarrte ich. Ich konnte ihn zwar nicht genau erkennen, dafür war er zu weit weg, doch ich war mir ganz sicher, dass er der Mann aus der Tiefgarage war. Abermals beschleunigte sich meine Atmung und ein ganz ungutes Gefühl machte sich in mir breit.

Also hatte sich mein Instinkt nicht getäuscht, mit dem Mann in der Tiefgarage hatte tatsächlich etwas nicht gestimmt. Denn dass ein harmloser Büroangestellter nun zufällig nachts vor meinem Haus eine Zigarette rauchte, war höchst unwahrscheinlich.

Er musste vom Killer geschickt worden sein, da war ich mir nun ganz sicher. Wahrscheinlich hatte er mich schon den ganzen Tag verfolgt. Ich verfluchte meine Dummheit, auf der Autobahn hatte ich gar nicht nach einem möglichen Verfolger Ausschau gehalten. Wie konnte ich nur so naiv sein! So schnell ich konnte rannte ich in die Wohnung und suchte nach meinem Handy. Hecktisch kramte ich in meiner Handtasche, doch da war es nicht. Panisch überlegte ich wo es sein könnte. Als mir gerade einfiel, dass ich es in meine Lederjacke gesteckt hatte, hörte ich einen startenden Motor. Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich nur noch, wie der Killer in seinem silbernen SUV davon fuhr.

Erleichterung überwältigte mich und ich sackte auf dem Boden zusammen. Erst als es schon viel zu spät war, fiel mir ein, weshalb ich mein Handy gesucht hatte. Ich wollte den Komissar anrufen. Doch jetzt war der Kerl schon über alle Berge. Es machte keinen Sinn mehr, den Kommissar um die Uhrzeit aus dem Bett zu klingeln. Ein Blick auf die Küchenuhr verriet mir, dass es bereits nach Mitternacht war.

Nach dem Schrecken war nun alle Energie aus meinem Körper gewichen und ich konnte mich nur noch mit allerletzter Kraft in mein Bett schleppen. Doch trotz meiner Erschöpfung konnte ich nicht schlafen. Der Killer wusste jetzt, wo ich wohnte. Was, wenn er nochmal zurückkam, um mich endgültig zu erledigen?

 Egal, wie ich es drehte, ich konnte mir nicht mehr weißmachen, noch in Sicherheit zu sein. Bis jetzt hatte ich verdrängt, dass der Killer wahrscheinlich Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde um mich, eine lästige Zeugin aus dem Weg zu räumen.

Da kam mir der Vorschlag des Kommissars in den Sinn. Damals hatte ich ihn noch entschieden abgelehnt, da mir da noch nicht klar war, in was ich da hineingeraten war. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Weile unterzutauchen. Gleich morgen früh, würde ich meinen Koffer packen und zum Flughafen fahren. Vielleicht konnte ich sogar mit meinem Chef vereinbaren, dass ich im Ausland weiterarbeitete. Zufrieden mit meinem Plan schlief ich ein.

5. Kapitel

Den ganzen Tag hatte ich sie beobachtet und ich musste zugeben, die Kleine war nicht dumm. Sie hatte sofort meine Tarnung durchschaut und gemerkt, dass ich kein normaler Büroangestellter war. Als sie mich dann auch noch nachts vor ihrem Haus entdeckt hatte, war es ihr endgültig klar geworden. Mein Vater, der Boss einer der angesehensten Agentur für Auftragskiller, würde sie nicht so einfach davon kommen lassen. Doch in mir sträubte sich alles dagegen, eine Frau umzubringen, die nichts getan hatte, außer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Doch ich hatte keine Wahl, wenn ich es nicht tat, würde es ein anderer tun und mich gleich mit erledigen. Für Schwächlinge gab es kein Erbarmen, auch nicht für Söhne.

 

 

Am nächsten Morgen stand ich um acht mit gepackten Koffern am Flughafen. Wohin es gehen würde, wusste ich noch nicht. Dementsprechend groß war mein Koffer, ich hatte für so ziemlich jedes Wetter, von Hitzewelle bis Schneesturm, Klamotten eingepackt. Ich rollte meinen Monsterkoffer zu einem Informationstresen und fragte eine Frau nach den nächsten noch verfügbaren Flügen. Leicht genervt, da ich die Dame bei der Betrachtung ihrer Fingernägel unterbrochen hatte, sah sie mich an. Dann begann sie auf ihren Computer einzuhämmern und ratterte die nächsten Flüge hinunter:

"Also in 5 Minuten geht ein Flieger nach Kairo, aber für den dürfte es wohl schon zu spät sein. In einer Stunde fliegt einer nach Moskow, 20 Minuten später einer nach New York. In drei Stunden fliegt einer nach Barcelona und in..." 

"Perfekt, wie viel kostet der Flug nach New York?", unterbrach ich sie, denn ich hatte mich bereits entschieden.

 

Um 22 Uhr landete mein Flieger in New York. Der Flug hatte 17 Stunden gedauert, die Hälfte der Zeit hatte ich geschlafen, die andere Hälfte hatte ich das kostenlose Filmprogramm ausgekostet. In London wäre es jetzt 3 Uhr morgens und ich war hundemüde. Ich hoffte, mein Jetlag würde nicht zu schlimm sein, damit ich so früh wie möglich New York erkunden konnte. Als die Frau am Tresen neben all den anderen Städten New York heruntergerasselt hatte, hat mein Herz vor Freude einen Hüpfer gemacht. Schon seit ich klein war, wollte ich nach New York. Doch jetzt, als sich mein Traum erfüllt hatte, kam mir alles seltsam unreal vor. Das einzige, woran ich denken konnte, war an ein schönes, weiches Bett. 

An einem Informationstresen ließ ich mir ein Hotel buchen und ein Taxi bestellen. Für diese Nacht war mir der Preis egal. Ab morgen würde ich anfangen, auf meinen Geldbeutel zu achten.

Die Wartezeit in London hatte ich dafür genutzt, meinen Chef und den Kommissar anzurufen. Alles war geregelt. Ich hatte extra meinen Laptop mitgenommen und mein Chef würde mir meine Projekte per E-Mail zuschicken.

Der Kommissar hatte meine Entscheidung gut gehießen und mir noch einige Tipps gegeben. Sicherheitshalber sollte ich es vermeiden, mit EC-Karte zu zahlen und so oft, wie möglich mein Hotel wechseln. Doch er schien sich nicht wirklich Sorgen zu machen, dass man mich finden könnte. Erst jetzt, wo ich langsam anfing, mich sicher zu fühlen, merkte ich unter was für einer Spannung ich die ganze Zeit gestanden hatte.

 

Im Hotel begrüßte mich ein netter junger Mann und zeigte mir, nachdem ich alle Check-In Formulare ausgefüllt hatte, mein Zimmer. Ich schaffte es gerade noch, die Tür abzuschließen, bevor ich mit Anziehsachen aufs Bett fiel und sofort einschlief.

 

Als ich aufwachte, war ich immer noch völlig erschöpft. Ein Blick auf den Wecker, der neben mir auf dem Nachttisch stand, verriet mir den Grund. Es war erst fünf Uhr morgens, ich hatte keine sechs Stunden geschlafen. Ich sah auf meine Uhr, die noch die Zeit in London anzeigte. Dort war es jetzt zehn Uhr morgens, kein Wunder also, dass ich aufgewacht war. Grummelnd drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte, wieder einzuschlafen. Zu allem Überfluss machte sich auch noch nagender Hunger in meinem Bauch breit. Meine letzte Mahlzeit hatte ich gestern Mittag im Flugzeug zu mir genommen. Noch eine Stunde zwang ich mich, liegen zu bleiben, doch an Schlaf war nicht zu denken. Frustriert richtete ich mich auf. Mir war klar, so würde ich nicht wieder einschlafen können. Erstmal musste ich etwas essen, vielleicht könnte ich ja mit einem Mittagsschlaf mein Schlafkonto etwas aufbessern. Ich genehmigte mir eine kurze Dusche und nachdem mein Gesicht Bekanntschaft mit dem Concealer gemacht hatte, sah ich fast schon ausgeschlafen aus und fühlte mich auch fast so.

 

Eine halbe Stunde schlang ich im gemütlichen Frühstückssaal der Pension ein köstliches Frühstück hinunter. Ich hatte Glück, dass das Hotel auch für Geschäftsreisende war und so das Frühstücksbuffet schonab halb sieben geöffnet hatte. So schnell ich konnte, stopfte ich das Essen in mich hinein, denn plötzlich konnte ich es kaum erwarten, endlich die Stadt zu erkunden, von der ich schon so lange geträumt hatte.

Für diese Uhrzeit war auf den New Yorker Straßen erstaunlich viel los. Ich nahm mir nicht die Zeit, einen Blick auf die Karte zu werfen, die ich mir vom Empfangstresen geschnappt hatte, sondern stiefelte gleich los. Irgendwann gelangte ich in eine dieser riesen Straßenschluchten, die so typisch für New York waren. Alle paar Meter musste ich stehen bleiben und mir vergewissern, dass ich nicht träumte. Es war genauso, wie man es in den Filmen immer sah, wenn nicht sogar noch eindrucksvoller. Hinweisschildernfolgend gelangte ich schließlich ins Zentrum und schlenderte eine Weile an Souvenierläden und Shoppingzentren vorbei. Als ich an einem Frisörsalon vorbeikam, hatte ich plötzlich eine verrückte Idee.

Zögernd betrat ich den Laden, der gerade erst aufgemacht hatte und fragte nach einem Termin. Ich hatte Glück, so früh am Morgen waren noch alle Termine frei und so führte mich ein Mann mit schwarzen, silber gestränten Haaren zu einem Platz am Fenster. Als ich ihm auf seine Frage danach, was ich mir vorschwebe, antwortete, dass ich mich einfach überraschen lassen wollte, breitete sich ein vorfreudiges Lächeln auf seinem Gesicht aus. Geschäftig begann Jimmy, wie sich der Friseur vorgestellt hatte, alles vorzubereiten. Ich versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen, auch als immer mehr Haare von mir zu Boden rieselten.

 

Nach ungefähr einer Stunde riss mich Jimmy aus der Beobachtung eines winzigen Chihuahuas, der sich ängstlich an die Beine seines Herrchens drückte, um nicht zertrampelt zu werden. Der Friseur nahm das Handtuch vom Spiegel, mit welchem er verhindert hatte, dass ich sehen konnte, was er mit mir angestellt hatte, bevor er fertig war. Mir blieb die Luft weg und ich musste zweimal hinsehen, bevor ich die Frau vor mir im Spiegel erkannte. Das war ich! Ich mit honigblonden, glatten Haaren, die mir bis zum Schlüsselbein reichten. Die Stufen waren herausgeschnitten, doch entgegen meiner Vermutung, sahen meine Haare nicht total platt aus, sondern sie umschmeichelten unglaublich edel meine Schultern. Ich sprang auf und fiel Jimmy lachend in die Arme. Dieser gluckste auch und strahlte mich an. Bevor wir uns verabschiedeten und mich wieder an die Erkundung von New York machte, steckte er mir noch seine Visitenkarte zu. 

Mit meinen nun blonden und nicht mehr braunen Haaren, fühlte ich mich wie ein ganz anderer Mensch. Die Leute warfen mir andere Blicke zu und ich fühlte mich einfach pudelwohl.

In einem Drogerieladen besorgte ich mir noch blaue Kontaktlinsen. Vielleicht würden mich die Killer dann gar nicht mehr erkennen. Als es dunkel wurde stieg ich mit schmerzenden Beinen in eines der gelben Taxis und ließ mich zurück ins Hotel fahren.

 

 

Angekommen in meinem Hotelzimmer stieg ich ersteinmal unter die Dusche, denn meine Haut war ganz klebrig von meinem Schweiß. Danach fletzte ich mich auf das King-Size Bed und begann, im Reiseführer zu schmökern, den ich heute in einem Buchladen erstanden hatte.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als es an der Türe klopfte. Unschlüssig stand ich vor der Tür, und überlegte, ob ich die öffnen sollte. Zu meinem Bedauern gab es weder einen Türspion, noch eine Türkette. Schließlich entschloss ich mich, die Tür zu öffnen, vielleicht war es ja der Zimmerservice.

Doch kaum hatte ich die Türklinke hinuntergedrückt, wurde die Tür aufgerissen. Jemand griff meinen Arm und zog mich auf den Flur hinaus. Ich riss die Augen auf und holte Luft um zu schreien, doch der Mann war schneller und presste mir die Hand auf den Mund. Er drückte mich gegen die Wand und ich sah ihm erschrocken ins Gesicht. Es war der Jäger aus der Tiefgarage.

 

6. Kapitel

Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Ich war so in Panik, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Er beugte sich vor und raunte ganz nah an meinem Ohr, "Du kommst jetzt mit nach draußen und wehe du versuchst zu fliehen. Dann hast du ganz schnell eine weitere Kugel im Bein." Sein Atem roch nach Lakritze und Bitterschokolade. Eine Mischung, die in mir Übelkeit verursachte. Ich ließ meinen Kopf nach unten sacken. Ich saß in der Falle. "Mhh deine neue Harrfarbe gefällt mir", schnurrte er und nahm eine Haarsträhne zwischen zwei Finger, "dachtest du wirklich ich würde dich nicht wiedererkennen?" Ich presste die Augen zusammen. Wie hatte ich mich nur so in Sicherheit wiegen können, nichtmal die Tür hatte ich abgeschlossen. Ich hätte mich ohrfeigen können für meine Dummheit.

 

 Er hatte sich seine Jacke so über den Arm gelegt, dass sie die Pistole verdeckte. Kein Mensch schöpfte Verdacht, keiner Eilte mir zu Hilfe. Wie ein Lämmchen musste ich mich von ihm zu Schlachtbank führen lassen. Widerstandslos ließ ich mich von dem Verbrecher aus dem Hotel ziehen und in seinen silbernen SUV schubsen.   Auf der anderen Seite ging die Autotür auf und der Killer setzte sich auf den Fahrersitz. Die Türveriegelung schnappte zu, der Motor startete. Verzweifelt ließ ich meinen Kopf gegen das Fenster sacken und versuchte so weit, wie möglich von ihm wegzurutschen. Im Fenster sah ich mein eigenes Spiegelbild, ich war Leichenblass. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Wenn ich das hier überleben wollte, dann musste ich mich jetzt zusammenreißen. Ganz ruhig ließ ich meinen Atem werden und tat so, als würde ich schlafen. In Wahrheit jedoch, kämpfte ich gegen eine Panikattacke an.

 

Nach gefühlten Ewigkeiten hatte ich es endlich geschafft, meinen Puls zu verlangsamen und wieder in normalem Tempo zu atmen. Im Kopf ging ich verschiedene Fluchtpläne durch, doch keiner schien mir vernünftig. Ich überlegte immer noch angestrengt, als der Motor stoppte. Der Verbrecher entriegelte die Tür und stieg aus. Sofort witterte ich meine Chance. Adrenalin durchflutete mich. Ich riss die Tür auf und rannte, ohne mich nach dem Entführer umzuschauen los. Er hatte auf einem verlassenen Parkplatz geparkt. Keine Menschenseele war zu sehen. Ich hörte nur die Autos, die auf der Autobahn davonrauschten. So schnell ich konnte, rannte ich zur Straße, vielleicht konnte ich ja ein Auto zum Anhalten bringen. Hinter mir hörte ich, wie der Mann fluchte und sich in Bewegung setzte. Ich traute mich nicht, nach hinten zu blicken, konzentrierte mich nur auf mein Ziel, die Straße. Meine Füße flogen förmlich über den Boden, trotzdem schrumpfte mein Vorsprung immer weiter.

Endlich hatte ich die Autobahn erreicht. Als gerade eine Lücke war, sprang ich auf die Fahrbahn und wedelte mit den Armen. Das Auto legte genau in dem Moment eine Vollbremsung ein, in dem mein Verfolger mich erreicht hatte. Mit lautem Hupen wechselte das nächste Auto die Fahrspur und düste an uns vorbei.

Der Killer packte mich am Arm und wollte mich gerade wegziehen, als sich ein etwas dicklicher Herr aus dem Auto hievte und rief, "He, was ist hier los? Sie können doch nicht einfach auf die Fahrbahn rennen!".

"Helfen Sie mir! Dieser Mann will mich töten, bitte helfen Sie mir!", schrie ich verzweifelt.

Der Mann sah ungläubig zu meinem Verfolger, der nun lässig neben mir stand. "Entschuldigen Sie vielmals. Meine Schwester hat psychische Probleme, wir sind gerade auf dem Weg zu einer bekannten psychatrischen Klinik.", sagte er ruhig. Dabei legte er einen Arm um mich und tat so, als würde er beruhigend auf mich einreden. Ich versuchte, mich loszureißen, doch er hielt mich mit eisernem Griff fest. Nun verunsichert, sah der Mann zwischen uns beiden hin und her. In seinen Augen konnte ich förmlich sehen, wie er zu dem Schluss kam, dass ich wohl eher verrückt, als dass dieser freundliche, junge Mann ein Mörder sei. "Bitte, glauben Sie mir doch! Er hat mich mit einer Pistole bedroht und gezwungen, in sein Auto zu steigen. Er will..." Weiter kam ich nicht denn Killer fuhr nun verärgert dazwischen, "Das reicht jetzt Anna! Komm wieder ins Auto. Ich will dir doch nur helfen". Fast hätte ich gelacht über seine Kaltblütigkeit, doch ich war viel zu verzweifelt. In einem letzten Versuch, den Mann zu überzeugen, dass ich die Wahrheit sagte, hob ich die Anzugjacke des Killers an, in der Hoffnung, dass seine Pistole wieder in seinem Gürtel steckte. Das erste Mal an diesem Tag hatte ich Glück. Der Mann riss die Augen auf und überlegte, was er nun tun sollte. Mein Verfolger nahm ihm die Entscheidung ab. Er ließ seine Deckung fallen und zielte mit der Pistole auf den Herrn. "Sie steigen jetzt in Ihr Auto und fahren weiter, als sei nichts geschehen. Wenn sie umkehren, sind sie tot", sagte er bedrohlich.

Zögernd wich der Mann zu seinem Auto zurück und stieg wieder ein. Mit einem letzten bedauernden Blick auf mich, gab er Gas und fuhr mit quietschenden Reifen davon.

 

Ich nahm kaum wahr, wie der Verbrecher mich grob zurück zu seinem Auto zerrte.

Doch als er die Autotür öffnete, überwältigte mich die Panik. Ich schlug und trat um mich, wie ein Tier. Der Killer hatte einige Mühe, mich festzuhalten. Trotz meiner erbitterten Gegenwehr, wurde ich zurück auf den Beifahrersitz gedrückt. Als ich hörte, wie die Verriegelung einrastete, verlor ich endgültig die Kontrolle. Besinnungslos trommelte ich gegen die Tür, stämmte mich gegen die Decke und versuchte sogar mit meinen Ellenbogen das Fenster einzuschlagen. Plötzlich spürte ich einen Pieks an meinem Hals und die Welt verschwamm.

7. Kapitel


Ich war völlig erschöpft. Mit so einem starken Widerstand hatte ich nicht gerechnet und ihre Panikattacke hatte mich völlig überfordert. Ich weiß nicht, was ich ohne die Betäubungsspritze getan hätte, die ich mir vorsorglich eingesteckt hatte. Sie hat mich ganz schön zugerichtet. Ich hatte eine aufgeplatzte Lippe und eine dicke Beule an der Stirn davongetragen. Die Kleine konnte ganz schön zuschlagen.

Desorientiert und mit dröhnenden Kopfschmerzen wachte ich in einem fremden Raum auf. Verwirrt sah ich mich um, wo war ich hier? Die Wände waren blassblau und ich lag auf einem bequemen Bett. Langsam stand ich auf und lief schwankend zur Tür. Verschlossen. Mit einem Schlag war ich hellwach. Der Killer hatte mich entführt. Er hatte mir ein Betäubungsmittel verabreicht und mich hierher gebracht. Daher also die unerträglichen Kopfschmerzen. Mist, jetzt wusste ich nicht mal, wie lange die Fahrt gedauert hatte. Drei, sechs oder zehn Stunden? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich mich befand. War ich überhaupt in noch in England? Beklemmung machte sich in mir breit. Ich war eingeschlossen in einem fremden Zimmer und hatte keinen blassen Schimmer, wo ich mich befand geschweige denn, was mein Entführer mit mir vorhatte. Es machte absolut keinen Sinn, mich zu entführen. Ich dachte, ich sei eine lästige Zeugin, aber dann hätte er mich doch schon längst umgebracht. Es gab niemanden, von dem man Lösegeld erpressen konnte. Meine Mutter war tot, mein Vater abgehauen, als ich klein war. Sonst gab es niemanden in meinem Bekanntenkreis, den man als reich bezeichnen könnte.
Diese Ungewissheit machte mir besonders Angst. Ich sah mich um. Es zwei kleine Fenster, beide waren mit weißem, leicht transparenten Papier zugeklebt und fest verschlossen. Keine Chance, hier rauszukommen.  Plötzlich musste ich mich an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Zitternd sank ich auf den Boden. Ich atmete tief ein und aus und versuchte, mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Nach einigen Minuten wurde ich ruhiger. Ich stand unsicher auf und ging noch einmal den ganzen Raum ab, in der Hoffnung, dass ich irgendetwas übersehen hatte. Der einzige mögliche Ausgang, war die Türe. Mein Freund auf der Highschool hatte mal versucht mir beizubringen, wie man ein Schloss mit einem Draht knackte. Doch ich sah weit und breit keine Büroklammer, eine Haarnadel oder sonst etwas, das mir helfen konnte. Auf allen Vieren kroch ich den ganzen Raum ab. Ich zog die Schubladen aus dem Nachtschränkchen. Vergeblich. Ich fand nichts.
Ich ließ meinen Kopf auf die Knie sinken und raufte mir die Haare. Da piekste mir plötzlich etwas in den Finger. Verwirrt tastete ich nach der Ursache und stöhnte auf. Na klar, mein Ohrringe! Als ich nach dem zweiten suchte, musste ich feststellen, dass der wohl verloren gegangen war. Aber egal, einer reichte.

 

 So leise wie möglich stocherte ich im Schlüsselloch herum, doch es half nichts. Die verdammte Tür wollte einfach nicht aufspringen. Ich atmete drei mal tief durch und konzentrierte mich. Nach etlichen Versuchen hörte ich endlich einen Klick und die Tür war offen. Für einen Moment, konnte ich es kaum glauben, dann musste ich mich zusammenreißen, um nicht laut aufzujuchzen. Leise drückte ich die Klinke nach unten und trat auf den Flur. Ich sah mich um und entdeckte die Wohnungstür. Schnell lief ich darauf zu und drückte die Klinke hinunter. Abgeschlossen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut zu fluchen. Wie blöd war ich eigentlich? Natürlich war die Wohnungstür auch abgeschlossen. Und deren Schloss würde ich nicht knacken können. Ich hatte mal wieder vorschnell gehandelt. Nun war zwar meine Zimmertür offen doch ich saß noch mehr in der Falle, als davor. Denn abschließen konnte ich die Tür nicht wieder. Mein Entführer würde also sofort von meinem Fluchtversuch erfahren und dann... Ja was dann, würde er mich umbringen?  Fest stand jedenfalls: Ich war geliefert.

Naja jetzt konnte ich nur noch das Beste aus der Situation machen. Vielleicht konnte ich einen Blick aus einem Fenster erhaschen. Das könnte mir beim nächsten Fluchtversuch helfen, vorrausgesetzt, der Killer brachte mich nicht sofort um, wenn er herausfand, dass ich aus meinem Zimmer ausgebrochen war.

Auf Zehenspitzen schlich ich mich den Flur entlang. Im Flur gab es vier Türen, die Haustür, die Tür zu meinem Gefängnis und zwei weitere. Ich lauschte an der Tür, gegenüber von meinem Zimmer. Als ich sicher war, dass der Entführer sich nicht in dem Raum dahinter befand, wagte ich es, die Klinke hinunterzudrücken. Abermals verschlossen. Die zweite Tür ließ sich öffnen. Dahinter lag ein stilvoll eingerichtetes Badezimmer, jedoch, zu meiner Enttäuschung, ohne Fenster. Als ich die Tür wieder schließen wollte, rutschte meine Hand von der Klinke, wodurch diese nach oben schnalzte. Das laute Geräusch zerriss die Stille und ich hatte das Gefühl, dass es noch minutenlang durch die Wohnung hallte.

Ganz still stand ich da und wartete darauf, dass der Verbrecher aus einer der Türen stürmte und seine Pistole auf mich richtete. Doch nichts passierte. Zögernd ging ich den Flur entlang und gelangte in ein großes Wohnzimmer. Schnell scannte ich den Raum, er war leer. In der hinteren, linken Ecke stand ein großes, graues Sofa und an der Wand gegenüber davon hing eine Leinwand. Eine Stimme, kalt wie Eis unterbrach mich in meiner Musterung, "Suchst du etwas?". Ich fuhr zusammen und drehte mich um. Dort stand mein Entführer mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. Ein Schauder jagte mein Rückrad hinunter.

Seine grauen Augen durchbohrten mich förmlich und stolperte ein paar Schritte zurück. Er machte einen Schritt vorwärts, ich wich zurück. Der Verbrecher runzelte die Stirn, als würde er sich wundern, dass ich überhaupt versuchte, vor ihm zu fliehen, da sowohl er als auch ich genau wussten, dass ich keine Chance hatte. Ich wich immer weiter zurück, bis ich gegen die Wand stieß. Er stand nun ganz dicht vor mir.

Wie hypnotisiert starrte ich in seine sturmgrauen Augen. "Was willst du von mir?", stieß ich hervor, "Wieso hast du mich entführt und nicht schon längst beseitigt? Wozu die Mühe?" Er antwortete nicht. Plötzlich fasste er mich grob am Arm und zog, nein schleifte mich fast zurück in meinen Raum. Dort ließ er mich aprupt los und landete hart auf meinem Steißbein. Mühsam rappelte ich mich auf und wich weiter zurück, als der Verbrecher die Tür schloss und wieder auf mich zu kam.

Plötzlich merkte ich, dass mein Fuß sich in etwas verfangen hatte, doch es war zu spät. Ich näherte mich bereits dem Boden. Beim Aufprall knallte mein Kopf hart gegen die Ecke des Regals und das letzte was ich sah, war, wie der Entführer kalt auf mich hinunter starrte.

8. Kapitel

Ruhelos tigerte ich in meinem Zimmer herum. Ich konnte es einfach nicht. Ich konnte sie nicht töten. Ich war gerade erst mit meiner Ausbildung zum Auftragskiller fertig und hatte noch niemanden umgebracht. Nun war es wohl soweit. Mein erster Auftrag. Eine Bewährungsprobe von meinem Vater. Er hatte mich schon immer zu weich gefunden. Vielleicht hatte er Recht, ich war einfach zu schwach.  Ich hatte es mehrmals versucht, als sie geschlafen hatte. Es war einfach lächerlich. Nur eine winzige Bewegung des Fingers war nötig. Trotzdem konnte ich es nicht. Jede Faser meines Körpers streubte sich mit aller Macht dagegen.

Außerdem gefiel die Kleine mir. Ihr lodernder Blick, obwohl die Angst ihr ins Gesicht geschrieben stand.

Vielleicht gab es ja eine andere Möglichkeit, als sie zu töten...

 

Schon zum zweiten Mal in zwei Tagen wachte ich mit einem Brummen im Kopf auf. Ich hatte es doch tatsächlich geschafft, mich in meiner Bettdecke zu verheddern und mit dem Kopf auf die Kante des Regals zu knallen! Vorsichtig befühlte ich meinen Hinterkopf und stellte fest, dass ein Verband meinen Kopf zierte. 

Aber das bedeutete ja, dass der Entführer mich verarztet hatte. Wieso zu Hölle sollte er das tun?

Wieso brachte er es nicht endlich zu Ende, tötete mich. So musste doch sein Auftrag lauten. Warum also kümmerte er sich um meine Verletzung? Das ergab für mich einfach keinen Sinn und je mehr ich darüber nachdachte, desto verwirrter wurde ich. Schließlich gab ich auf und ließ mich zurück auf das Bett sinken. Daneben stand ein Glas Wasser, welches ich sofort gierig trank. Hunger hatte ich keinen, wesshalb ich den Teller mit ein paar Broten ignorierte.

 

Ich lag auf dem Boden in meinem Gefängnis und grübelte.

Ich war jetzt schon seit einigen Tagen hier gefangen und es war nichts passiert. Der Entführer brachte mir nur zweimal am Tag etwas zu Essen und ließ mich auf Klo gehen.

Doch sonst tat er nichts. Ich wurde immer ratloser. Warum entführte er mich, wahrscheinlich mit dem Auftrag mich zu töten, nur um mich dann hier schmoren zu lassen? Ich schnaubte. Spielte er etwa ein krankes Spiel mit mir? Wollte er, dass ich mich in Sicherheit wog, nur um mich dann doch zu ermorden?

Plötzlich klopfte es an der Tür. Verwundert runzelte ich die Stirn, das war das erste Mal, dass er klopfte, bevor er in mein Zimmer kam. "Herein", sagte ich unsicher. Ohne mich anzuschauen kam er hinein und blieb unschlüssig stehen. Schließlich sagte er, "Ich hab ein Angebot für dich." Fragend sah ich ihn an. Was war das denn jetzt?

"Du hast... Potential.", sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen, "Es wäre eine Vergeudung, dich umzubringen."

Ich zog eine Augenbraue hoch, da ich immer noch nicht verstand, worauf er hinaus wollte. Was sollte das? Potenzial? Wofür?

"Ich gebe dir die Chance, zu leben."

Ich ahnte nichts gutes und sah in fragend an.

"Du trittst in meine Organisation ein und lässt sich von mir ausbilden und dafür bringe ich dich nicht um. Vorrausgesetzt natürlich, du stellst dich nicht zu blöd an.", sagte er in einem geschäftlichen Tonfall.

"Ausbilden?", fragte ich nervös.

"Zum Auftragskiller", erklärte er, als sei das offensichtlich.

Ich zuckte zurück. Auftragsmörderin.

Als er sah, wie überfordert ich war, wandte er sich zum gehen.

Als er gerade die Tür schließen wollte, rief ich, "Wieso?"

"Warum ich dir das anbiete? Nun, du gefällst mir.", raunte er und grinste diabolisch.

Ich erschauderte, als sein Blick über meinen Körper schweifte und verschränkte meine Hände vor der Brust.

Angeekelt verengte ich die Augen und fauchte, "Du bist widerwärtig."

Wütend sah er mich an und sagte bedrohlich, "Überleg es dir gut. Es ist deine einzige Chance, am Leben zu bleiben. Morgen früh will ich deine Antwort hören."

 

Völlig verwirrt ließ er mich zurück. Meine Gedanken kreisten um das Angebot. Sollte ich zur Mörderin werden, nur um zu überleben?

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es fertig bringen würde einen Menschen zu töten. Und doch hatte er Recht, es war meine einzige Chance, am Leben zu bleiben. Ich könnte mir Zeit kaufen, auf eine Gelegenheit zur Flucht warten. Doch mir wurde kalt bei dem Gedanken an seinen Blick, der begehrlich über meinen Körper gewandert war.

Wenn ich nein sagte, hätte ich nur noch weniger als einen Tag zu leben. Wenn ich ja sagte, hätte ich länger zu leben und vielleicht die Chance zu fliehen. Vielleicht würde er ja auch nie dazu kommen, dass ich jemanden umbringen müsste. Vielleicht würde er mir gelingen, vorher zu fliehen. Doch die Zeit würde nicht spaßig werden, da war ich mir sicher. Wer weiß, was er mit mir anstellen wird? Er wird versuchen, mich zur Mörderin zu machen. Komischerweise machte mir das am meisten Angst.

Und wenn es mir trotzdem nicht gelänge, zu fliehen? Dann konnte ich mich immer noch selbst umbringen.

In mir pochte der Wunsch, zu leben. Und ich wusste, solange es die leiseste Hoffnung für mich gab, würde ich mich nicht leichtfertig für den Tod entscheiden.

 

 

9. Kapitel

Als ich wach wurde, hörte ich schon die Schritte des Killers. Und sofort wusste ich, dass er mich gleich nach meiner Entscheidung fragen würde. Und ich wusste, dass meine Antwort mein Leben verändern würde.

Wie erwartet ging die Tür auf und er sah mich einfach nur fragend an. Doch mehr war auch nicht nötig, ich wusste ja, was er wollte. Desswegen sagte ich einfach nur, "Ja." Wortlos drückte er mir einen Stapel Kleidung in die Hand und sagte knapp, "zwei Minuten". Ich nickte und zog mir die Sportsachen an, während er im Flur wartete. Zu meinem Erstaunen,  war es eine lange Jogginghose und ein normales Shirt. Ich hätte eher erwartet, dass er von mir verlangen würde, in einer knappen Hose und  einem durchsichtigem T-Shirt vor ihm antanzen zu müssen. Ich zuckte die Schultern und ging auf den Flur. Ohne mich anzusehen, maschierte er los und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Wir liefen einmal quer durch ein großes, sparsam möbiliertes Wohnzimmer hinein in einen großen Raum der mich in wenig an ein großes Tanzstudio erinnerte. Jedoch mit dem Unterschied, dass man in einem Tanzstudio wahrscheinlich nicht alle möglichen Trainingsgeräte, Hanteln, Waffen und einen Boxsack in der Mitte des Raumes vorfinden würde. Ich musste schlucken, das würde definitiv eine sehr harte Zeit für mich werden.

Daran hatte der Killer anscheinend auch gerade gedacht, denn er sagte, "In den nächsten Monaten wirst du durch die Hölle gehen. Du wirst dir oft wünschen, mein Angebot abgelehnt zu haben."

Ich nickte bloß und sah in abwartend an.

"Nun, dann sehen wir mal, wie es mit deiner Willenskraft aussieht. In die Liegestützposition."

Ich kam seinem Befehl nach und sogleich fuhr er fort, "Du wirst es 5 Minuten aushalten müssen, fürchte ich."

"Und wenn nicht?", fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen, denn ich wusste, dass meine Arm-, Bauch- und Rückenmuskeln in keinem trainierten Zustand waren.

Er schmunzelte und flüsterte verheißungsvoll, "Wir werden sehen."

Mit einem Kopfnicken bedeutete er mir, dass es los ging. Er kniete sich so vor mich, dass er mir ins Gesicht sehen konnte.

Die Zeit verging quälend langsam, meine Muskeln begannen schon nach 30 Sekunden zu brennen. Mein Entführer genoss es sichtlich, zu beobachten, wie ich mit mir rang und den Schmerz meiner Muskeln mit der drohendenden Strafe abwog.

Nach drei Minuten fühlten sich meine Arme wie Pudding an und ich fürchtete, sie würden einfach wegknicken. Die Strafe erschien mir immer verlockender. Trotzdem machte ich weiter. Diesen Sieg wollte ich dem Killer nicht gönnen. Ich wollte nicht vor ihm auf dem Boden zusammenbrechen.

Ich sah mich im Raum um und versuchte, mich nur darauf zu konzentrieren. Ich sah eine Glasvitrine voller Messer, Pistolen und sogar Schwertern. Dann entdeckte ich ein Fenster und musste feststellen, dass das Haus in dem ich gefangen war, mitten im Wald lag. Also noch schlechtere Chancen für mich, zu fliehen.

"Noch drei Minuten", rief der Killer.

Als es im Raum nichts mehr gab, auf das ich mich konzentrieren konnte, fing ich an, Rechenaufgaben im Kopf zu lösen. Doch nichts konnte mich mehr von meinen Brennenden Muskeln ablenken. Schweiß floss in Strömen meinen Rücken hinunter. Die Verlockung, einfach aufzugeben, wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Ich wusste, lange würde ich es nicht mehr aushalten.

Und dann gab ich auf.

Zitternd sank ich auf den Boden. Ich rang nach Luft und hatte das Gefühl, in meinem eigenen Schweiß zu ertrinken. Mehr gab mein Körper einfach nicht her.

" Du irrst dich.", sagte er scharf, "Das liegt nicht an deinem Körper, nicht daran, dass deine Muskeln nicht stark genug sind. Du hast 30 Sekunden zu früh aufgegeben. Und eine Sache kannst du mir glauben:

Das ist reine Kopfsache. Und jetzt kenne ich deine Schwäche. Nach nicht mal 10 Minuten."

Damit ging er aus dem Raum und ließ mich zitternd vor Erschöpfung zurück. Ich stöhnte und machte mich gefasst auf die Strafe. Keine 10 Minuten später kam er zurück. "Du erwartest jetzt wahrscheinlich eine Strafe. Die bekommst du auch, nur anders als du es wahrscheinlich erwartest. Von nun an werde ich alle Übungen so gestalten. Alle Aufgaben werden auf diese Schwäche abzielen, bis du dir wünscht, du hättest sie nie preisgegeben."

Ich erstarrte. Im ersten Moment war ich erleichtert, doch dann wurde mir die Tragweite meines Versagens bewusst. Er wird mich jetzt immer so quälen, genau mit dieser Schwäche spielen.

"Du bist bestimmt durstig", säuselte er. Ich sah zu ihm auf, doch er hielt kein Glas Wasser in seiner Hand.

Diabolisch grinste er auf mich hinab. Er drückte mir zwei Hanteln in die Hand. Dann legte er eine Hand auf meine Schulter und ließ sie bis zu meiner Hand gleiten. Ich bekam eine Gänsehaut denn seine Hände waren rau wie Schmirgelpapier. Dann führte er meinen Arm nach oben, bis er zu meinem Körper einen rechten Winkel bildete. Das gleiche machte er mit meinem anderen Arm. "10 Minuten", hauchte er mir ins Ohr.

 

10. Kapitel

Die Qual fing von neuem an.

Dieses mal schaltete ich meinen Kopf ganz aus. Ich zwang mich an nichts zu denken. Ich konzentrierte mich auf den Schmerz in meinem Armen. Und je genauer ich ihn spürte, desto erträglicher war er. Ich war überrascht, wie leicht es mir nun fiel, meinen Arm oben zu halten. Es war, als würde ihn eine Stahlstange stützen. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. Fühlte nichts weiter, als die Luft, die in meinen Körper hinein und wieder hinaus strömte.

Plötzlich hörte ich die Stimme des Verbrechers, "Die Zeit ist um, geht doch". Damit verließ er den Raum. Kaum war ich aus meiner Konzentration gerissen, spürte ich meine Arme wieder. Mit einem Stöhnen ließ ich die Hanteln fallen. Meine Arme brannten höllisch. Trotzdem schlich sich ein lächeln auf meine Lippen, ich hatte es geschafft. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Die Tür ging auf und der Killer kam mit einer großen Wasserflasche in der Hand hinein. "Ich bin beeindruckt. Ich habe nicht terwartet, dass du das schaffst.", sagte er anerkennend und hielt mir die Wasserflasche hin. Dankbar nahm ich sie engegen und trank gierig die ganze Flasche aus.

Er hatte mich die ganze Zeit mit einem wissenden Grinsen beobachtet und kam nun auf mich zu. "Jetzt wird gerannt.", sagte er, als er vor mir stand.

Ich hatte das Bedürfnis mich selbst zu schlagen für meine Dummheit. Die riesige Wasserflasche war natürlich nur wieder eine Falle gewesen. Jetzt musste ich mit einem Bauch voll Wasser laufen.

Der Killer führte mich zu dem Laufband in der Ecke und schaltete es ein. Dann bedeutete er mir mit einem Kopfnicken, anzufangen. Ich stieg darauf und begann zu rennen.

Das Tempo war viel schneller, als ich es vom Sonntags-Joggen mit Alex gewohnt war. Alex. Bei dem Gedanken an Alex wurde ich plötzlich traurig. Würde ich sie je wiedersehen? Und wenn ja wäre ich dann immer noch ich selbst? Ich wusste es nicht. Energisch schob ich den Gedanken an meine beste Freundin beiseite und konzentrierte mich auf meine Füße.

Nach nichtmal 20 Minuten lief mir der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter und ich keuchte.

"Wie lange noch?", rief ich dem Killer zu, der lässig an der Wand lehnte und mir zuguckte. Er tat so, als hätte er mich nicht gehört und antwortete nicht.

Frustriert schüttelte ich den Kopf. Bei jedem Schritt gluckerte das Wasser in meinem Bauch. Mir war übel, ich bekam kaum noch Luft und meine Waden brannten. Mit jedem Schritt wurde es schlimmer. Nach ein paar Minuten wurde mir schwindelig, doch das Laufband wurde nur noch schneller. Schließlich sprintete ich fast.

Und dann passierte es. Ich stürzte.

Mir wurde schwarz vor Augen.

 

 Meine Knie brannten höllisch, als ich aufwachte. stöhnend hob ich den Kopf und sah mich um. Ich lag direkt vor dem Laufband und der Killer lehnte wieder lässig an der Wand. Ich setzte mich auf und seufzte, als ich meine Knie sah. Sie waren komplett aufgeschürft. Er kam auf mich zu und kniete sich vor mich. Aus einer Tasche holte er Verbandszeug und begann schweigend meine Wunde zu versorgen. Ich hielt ganz still und wusste nicht, was ich machen sollte. "Du warst eine Minute ohnmächtig. Nach nur 30 Minuten laufen. Daran arbeiten wir, das verspreche ich dir.", sagte er beiläufig. Ich nickte einfach nur, es hatte keinen Sinn zu widersprechen oder mich zu rechtfertigen. Als er fertig war stand er auf und holte etwas aus einem großen Schrank. Ich stand unsicher auf, meine Beine zitterten noch vor Anstrengung. Der Killer kam mit einer seltsamen Puppe, die genauso groß wie er selbst war, auf mich zu. Sie war aus hautfarbenem Plastik, doch an den Ellenbogen und Knien sah man Metallgelenke. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was wohl als nächstes kam.

Als hätte mein Entführer meine Gedanken gehört, sagte er, "Jetzt bringe ich dir das Kämpfen bei."

Und das tat er dann auch. Er zeigte mir, wo man am besten wie hinschlagen und treten sollte, um jemanden zu verletzen oder außer Gefecht zu setzten. Ich war mir sicher, irgendwann, würde er mir auch zeigen, wo man hinschlagen musste, um jemanden zu töten. Ich hoffte, dass mir bis dahin noch Zeit blieb. Also übte ich den ganzen Tag die Handgriffe und Bewegungsabläufe, die mein Entführer mir zeigte, bis es draußen dunkel  wurde und er das Licht einschalten musste, um noch was sehen zu können.

Am Abend fiel ich nach ein paar Broten und einem Apfel völlig erschöpft ins Bett und spürte schon den höllischen Muskelkater, den ich morgen garantiert haben würde.

 

Die nächsten Tage und Wochen verliefen fast genauso, wie dieser erste Tag.

Es war nun drei Wochen her, dass ich entführt wurde und ich hatte mich verändert. Ich war kräftig und hart geworden. Und hatte gelernt, mich zu kontrollieren, ich kannte nun alle möglichen Varianten, wie ich jemanden außer Gefecht setzen konnte, jemanden festhalten konnte, ohne dass er auch nur die geringste Chance hat zu entkommen und wie man jemandem Schmerzen zufügt.

Wie immer war ich schon fertig angezogen, als der Killer in den Raum kam. Er hatte am Anfang gesagt, er wolle seinen Spaß mit mir haben und ich wollte nicht unnötig riskieren, dass er gerade hereinplatzt, wenn ich mich gerade umzog und seine Worte in die Tat umsetzt. Denn bis jetzt hat er mich soweit in Ruhe gelassen. Er war immer noch extrem vorsichtig und ich hatte keine Gelegenheit zur Flucht. Doch meine Chance wird kommen, das spürte ich.

 

Ich stand auf und ging ihm hinterher in die Küche, wo mein Frühstück stand. Er ließ mich immer noch nicht mein Brot selber schmieren, denn das würde ja bedeuten, dass er mir ein Messer geben müsste.

Als ich aufgegessen hatte, wollte ich wie immer in den Trainingsraum gehen, doch er hielt mich an der Schulter zurück. "Wir gehen raus", sagte er. Schnellen Schrittes ging er in den Trainingsraum. ich blieb etwas verwirrt stehen und hörte, vier leise Pieptöne und dann das Geräusch von einem sich entriegelnden Tresors.

 Kurz darauf kam er mit einer Pistole zurück. Ich zuckte leicht zusammen, blieb jedoch wo ich war, bis er vor mir stand und mit der Waffe auf die Wohnungstür deutete. Scheinbar ungerührt ging ich zur Tür, doch in mir jubelte es. Endlich frische Luft und endlich eine Chance wenigstens meinen Aufenthaltsort genauer zu bestimmen. Das Lächeln, das sich auf meine Lippen schleichen wollte konnte ich nur mit Mühe unterdrücken.

11. Kapitel

Mein Entführer drängte sich an mir vorbei, fischte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss die Tür auf. Die plötzliche Nähe hatte mich aus dem Konzept gebracht und mein Herzschlag war minimal beschleunigt. Bevor ich das richtig realisieren konnte, war der Moment auch schon vorbei und ich spürte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder frischen Wind auf meinem Gesicht. Ich schloss die Augen und sog gierig die frische Luft ein. Sie durftete nach Harz und Erde gemischt mit leichtem Blütenduft. Als ich blitzelnd die Augen öffnete, sah ich grün. Mein Gefängnis war mitten in einem riesigen Wald. Ich war überwältigt von dieser Naturpracht. Das Licht drang nur schwerfällig durch das dichte Blätterdach und wurde zu einzelnen Lichtstrahlen gebündelt, fast wie Scheinwerfer auf einer Bühne. Die Luft war angereichert mit lauter kleinen Partikeln, die dem Bild einen matten Filter überzogen. Das Zwitschern der Vögel klang fast schrill in meinen Ohren, überall knisterte und knackte es. Im Wald erblühte das Leben. Hier, im Herzen der Natur, sangen die Vögel und tanzten die Schmetterlinge. Plötzlich spülte eine Welle der Hoffnungslosigkeit die anfänglich empfundene Euphorie weg. Ich war hier völlig allein. Niemand würde mir hier zu Hilfe eilen. Wenn der Entführer beschloss, mich doch zu erschießen, würden die Tiere vielleicht kurz in ihrem munteren Getreibe innehalten. Doch nach wenigen Augenblicken ging das Gezwitschere und Getanze wieder mit ursprünglicher ausgelassenheit weiter.

 

Er bedachte mich mit einem wissenden Blick, so als hätte er genau gesehen, was mir eben durch den Kopf gegangen war. Ich erkannte, dass der wirkliche Zweck unserer kleinen Exkursion war, mir meine aussichtslose Lage vorzuführen. Selbst wenn ich es schaffte, zu fliehen, würde ich kläglich im Wald verhungern. Ich hatte nicht die geringste Chance. Es sei denn, ich ließe die Maske zu meinem wahren Gesicht werden. Fast glaubte ich, ein wenig Mitleid in seinem Blick zu sehen, doch dann tauchte wieder das diabolische Glitzern auf, das nie etwas gutes verhieß. Mit dem Schaft seiner Pistole bedeutete er mir, vorzugehen. Schweigend ging ich voraus. Der Killer schlich, nein schwebte, so leise hinter mir her, dass ich mich nach einigen Minuten fragte, ob er überhaupt noch da war. Mich umzudrehen, wagte ich jedoch nicht. Schließlich wurden mir seine Existenz und die der auf mich gerichteten Waffe schmerzhaft zurück ins Bewusstsein gezerrt, als er mir mit einer stählernen Hand auf meiner Schulter befahl, stehen zu bleiben. Ich sah mich um. Für mich sah es hier immer noch genauso aus, wie die Stelle, von der wir losgelaufen waren. Doch anscheinend waren wir an unserem Ausflugsziel angekommen.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die das Buch gerade gelesen haben oder noch lesen werden.

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