Bruder Tak?
Gefühlte tausend Mal waren wir bereits in Dänemark. Trotzdem: das einzige dänische Wort, das ich kenne, ist „Tak – Danke“. Vielleicht schreibt es sich auch „Tac“. Oder „Tuck“, wie „Bruder Tuck“. Keine Ahnung.
Jetzt fahren wir zum eintausendundeinten Mal. Mit dabei sind Ma, Pa, Schwester, Bruder, anderer Bruder, Hund … ja, und ich.
Ephraim Kishon im Gepäck
Gepackt habe ich bereits zwei Tage vor der Abfahrt – bis auf die Dinge, die man eben noch benötigt. Bürste, Zahnbürste und so weiter.
Ich glaube, ich habe mehr eingepackt, als man für eine Woche tatsächlich braucht. Trotzdem bin ich noch die mit dem wenigsten Gepäck. Wo die anderen ein Boot mitnehmen, ist es bei mir bloß Ephraim Kishon – also nicht Ephraim Kishon selbst, nur eins seiner Bücher.
Ein ungewöhnlich gutes Gefühl
Innerhalb von etwas über einer Stunde waren dann auch alle Taschen, Kisten, Koffer und Boxen in den zwei Autos verstaut.
Zumindest hoffe ich, dass es alle waren. Aber ich habe ein ungewöhnlich gutes Gefühl, dass wir nichts vergessen haben …
Der Mais-Vergleich
Die Fahrt verläuft bis jetzt unspektakulär. Ein bisschen Stau, ein paar abartig dreckige Rastplatztoiletten und ein Maissortenvergleich auf einem Feld. Für mich sahen alle Maisstauden in etwa gleich aus. Wahrscheinlich schmecken sie auch gleich. Mais ist Mais.
Alte Timer
Ma freut sich über eine quietschgelbe Corvette. Bereits vorhin haben wir ein paar antik ausschauende Wagen gesichtet. Jahrgang weiß ich nicht. Kenne mich mit Autos nicht aus. Kamen mir aber doch gefühlsmäßig wie 80er vor. Oder 90er? Na, jedenfalls Oldtimer.
Apropos Timer: Im Moment stehen wir mehr, als dass wir fahren und kommen kaum mal ein paar Millimeter voran. Auf der anderen Seite der Autobahn läuft natürlich alles flüssig. Ist ja immer so!
Aha, jetzt scheint es weiterzugehen. Auch mein Kugelschreiber hat sich endlich warm geschrieben. Anfangs musste ich ziemlich mit ihm kämpfen – habe schon fast einen Krampf bekommen.
Brustschwimmende Fadenknüpfer
Da sich der Verkehr auf der A-Sowieso weiterhin recht schleppend dahinzog und einigen Teilnehmern unseres Reiseunternehmens bereits der Geduldsfaden riss, haben wir zur Auflockerung der Atmosphäre, zum Heben der Laune, zum Wieder-zusammen-knüpfen der erwähnten Fäden einen Zwischenstopp an einem See gemacht, mit dem Fernglas ein paar Seeadler, Seemöwen und einen halbglatzigen Brustschwimmer beobachtet und dabei ein wenig schleswig-holsteinische Luft geschnuppert.
Zunächst schien der Plan aufgegangen und die Stimmung aller gehoben zu sein. Die ersten paar Meter, die wir anschließend auf der Autobahn zurücklegten, gestalteten sich auch recht angenehm. Doch nach drei- oder vierhundert Metern gerieten wir in den nächsten Stau – die Ursache für dessen Existenz war wie bei all den bisherigen unklar.
Phlegmatische Geschwindigkeit
Im Moment fragt sich wohl ein jeder, ob wir heute noch am Zielort ankommen – und wenn wir ankommen, ob die Zuständigen die Schlüssel für unsere Ferienwohnung zu so später Stunde noch herausrücken werden. Andernfalls müssten wir im Auto nächtigen. Kein Weltuntergang, aber der guten Stimmung sicher nicht zuträglich. Und gute Stimmung will man ja schließlich haben im Urlaub.
Ich für meinen Teil bin erstaunlich entspannt. Aber so erstaunlich ist das eigentlich auch wieder nicht. Ich bin gebürtige Phlegmatikerin; und unser lahmarschiges Geschleiche über den Asphalt entspricht meiner persönlichen Geschwindigkeit ohnehin sehr viel besser, als diese ewige Raserei, wie man sie auf der anderen Seite der Autobahn beobachten kann. Dort herrscht nach wie vor freie Fahrt und gutes Vorankommen.
Zwischenstand
Pa ist seit geraumer Zeit genervt, Ma studiert den Atlas, um eine geeignete Ausfahrt zu finden; was Schwester, Bruder, anderer Bruder und Hund machen, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, da sie sich im anderen Fahrzeug befinden.
Vorüberziehende Pinkschöpfe
Weiterhin nichts wirklich Interessantes. Da, eine Frau mit pinkfarbenen Haaren an einer vorüberziehenden Raststätte. Das heißt: Eigentlich sind wir es, die vorüberziehen, nicht die Raststätte; aber aus meiner Perspektive sieht es eben so aus, als wenn die Raststätten und Verkehrsschilder und all die Bäume und noch mehr Bäume an uns vorüberziehen.
Auf Schnupperkurs
„Andere Luft hier“, meint Ma, „Flensburger Luft.“ Ich schnuppere, bin aber nicht sicher, ob ich einen Unterschied zur heimatlichen Luft erschnüffeln kann. Ich hatte noch nie einen besonders guten Geruchssinn. Egal, ob auf dem Acker neben uns gerade Gülle ausgefahren wird oder ob das Essen anbrennt – ich bin stets die letzte, die es merkt.
Baden ohne Anzug?
Oh-oh! Ma ist gerade eingefallen, dass sie ihren Badeanzug vergessen hat. Dabei hatte ich so ein gutes Gefühl.
Vielleicht sollte mir das zu denken geben. Bei unseren letzten Urlauben war mir nämlich beim Gedanken ans Gepäck immer ein wenig mulmig zumute gewesen – und dennoch hatten wir nichts vergessen. Jetzt – wo ich mir doch so sicher war, dass wir alles eingepackt haben – vergessen wir etwas.
Naja, nun ist es zu spät; für einen Badeanzug fahren wir nicht zurück. Zumal wir sowieso bald da sind. Die Ortsbezeichnungen im Atlas und auf den Abfahrtsschildern klingen zunehmend ausländisch.
Kolonne fahren ist nicht schwer
Upps! Kurzzeitig anderes Fahrzeug mit Geschwistern und Hund drinnen aus den Augen verloren;
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: Canva
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2015
ISBN: 978-3-7396-1595-0
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