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Meet you at Samhain

 

Ich habe Halloween nie sonderlich gemocht. Ich hielt es immer für amerikanischen Schnickschnack und versuchte, diesen leidigen Kostümpartys und Konsumzwängen auszuweichen. Ironischerweise war es bei genau so einer Party, als ich ihn kennenlernte.

Mira, meine beste Freundin, quatschte mir fast ein Ohr ab, damit ich sie begleitete. Widerwillig und missmutig machte ich gute Miene zum vermeintlich bösen Spiel und sagte zu. Mira war grade im Vampirfieberwahn, sie schwatze mir ein absolut lächerliches Vampirkostüm auf, damit ich zu ihrem Outfit passte. Also machte ich mich bereit, einen dieser Abende zu verbringen, die man am besten schnell wieder vergisst.

Ich lümmelte direkt hinter dem Buffet herum und beobachtete das bunte Treiben. Die meisten Gäste kamen schon leicht angeduselt herein. Auch ich plante, diesen Abend keinesfalls nüchtern durchzuziehen. Der Platz neben der Bowle war nicht zufällig so gewählt. Mira parkte mich dort und verschwand mit einem Kürbiskopf, kaum dass wir 15 Minuten geplaudert hatten. So blieb mir ausreichend Zeit mich zu fragen, warum sie nicht gleich mit dem elenden Kürbis zu dieser Party gekommen war.

Während ich mich also bemühte mein Selbstmitleid in der Bowle zu ertränken, fiel mein Blick auf einen Kerl im Teufelskostüm. Sein Gesicht war mit roter Farbe bemalt und zu einer hässlichen Fratze geschminkt. Ich fragte mich gerade, ob er es wohl darauf anlegte zum gruseligsten Kostüm des Abends gekürt zu werden, als mich ein Blick aus seinen Augen traf.

Genauso gut hätte mich auch ein Blitz treffen können ... mein Körper stand augenblicklich unter Strom. Diese Augenfarbe war wohl die ungewöhnlichste, die ich je gesehen hatte. Der erste Eindruck war ein strahlendes Blau. Doch sah man genauer hin, erkannte man rund um die Pupille einen silbergrauen Stern.

Ich war so von diesen Augen gefangengenommen, dass mir nicht auffiel, dass ihr Besitzer sich mir genähert hatte. Erst als er mich sachte am Ärmel meines weißen Rüschenhemdes zupfte, fuhr ich erschrocken zusammen.

„Ist die Bowle nun trinkbar?“

Irritiert sah ich ihn an, versuchte den Sinn der Worte zu erfassen. Irgendwie fühlte mein Hirn sich an wie Wackelpudding. Die Stimme schien perfekt zu den geheimnisvollen Augen zu passen, und ihr Klang sandte wohlige Schauer über meinen Rücken. Ich nickte nur, da ich peinlicherweise keinen Ton herausbekam.

Er drehte sich zu dem Tisch um, füllte sein Glas und offenbarte mir den Blick auf seine Kehrseite. Absolut Wow, knackige Rundungen wo sie sein sollten. Diese Jeans müssten verboten werden, dieser Anblick dürfte keinesfalls jugendfrei sein! Nun hatte ich ernsthaft Mühe, hier nicht loszusabbern.

Ich schätze, so ganz gelang es mir dann nur unzureichend meine Gefühle zu verbergen, denn als er sich mir wieder zuwandte, lachte er lauthals los. Das brach den Bann, und es wurde eine der besten Partys meines Lebens.

 

Die nächsten Wochen verbrachten wir im Rausch der Hormone. Verliebt bis über beide Ohren, hatte ich für niemand anderen mehr einen Blick übrig. Das änderte sich auch im Verlauf unserer fünf gemeinsamen Jahre, bis hin zum traurigen Schluss, nicht. Selbst als ich ihm im Krankenhaus beim Sterben zusehen musste. Er kämpfte bis zum bitteren Ende, doch gegen diese heimtückische Krankheit gab es keinen Sieg. Seine letzten, gehauchten Worte brannten sich tief in mein Gedächtnis ein. „Meet me at Saimhain…“

 

Nun, heute ist wieder Halloween, und ich habe das Haus in seinem Sinne geschmückt. In diesen wunderbaren Jahren mit ihm, lernte ich einiges über die Ursprünge dieser Nacht. Er hat felsenfest an die Magie dieser speziellen Zeit geglaubt. War fest davon überzeugt, dass die Schleier zwischen den Welten an Samhain dünn genug sind, um sie zu durchbrechen.

Meist hab ich nur gelacht, wenn er voll Euphorie darüber gesprochen hat. Seine Fantasie kannte keine Grenzen, doch er hätte mir auch Betriebsanleitungen vorlesen können. Ich wäre nicht weniger an diesen anbetungswürdigen Lippen gehangen, so geliebt habe ich es ihm zuzuhören wenn er ins Erzählen kam.

Nun hängt überall diese kitschige Halloweendeko herum. Draußen steht ein ausgehöhlter Kürbis, in dem eine Kerze munter ihr Licht verstrahlt, um die Fratze gruselig flackern zu lassen. Ich war sogar Süßkram einkaufen, den ich in einer Schüssel neben der Eingangstür bereithalte. Sollten kleine Geisterchen und Kobolde von dem orangefarbenen Monster im Vorgarten angezogen werden, so sollen sie nicht leer ausgehen. Darauf hat er auch immer großen Wert gelegt.

Aber eigentlich weiss ich nicht, was ich da gerade treibe, warum ich das alles veranstalte. Was erwarte ich mir wirklich? Ich fürchte, ich habe mich in meiner Trauer in Wunschdenken verrannt. Er hat mich verlassen, endgültig.

Bedrückt gehe ich ins Badezimmer. Kostüm habe ich mir keines angeschafft. Das ging dann doch über meine Kräfte. Aber ich trage die schwarze Jeans, die er so gern an mir gesehen hat, dazu ein weißes Rüschenhemd. Es ist dasselbe wie bei unserem ersten Treffen. Ich werde diese Nacht in Gedenken an ihn verbringen. Mein Blick fällt auf den Spiegel, und schon wieder bin ich den Tränen nah. Die Schrift darauf ist kaum mehr zu entziffern. Es ist sein letzter Gruß. Ich liebe dich, steht immer noch dort. Die magischen drei Worte. Dieser kleine Spleen von ihm, mir Nachrichten auf dem Badezimmerspiegel zu hinterlassen, der mich sooft zum Lächeln brachte. Nun zerreißt er mir das Herz. Ich musste extra einen abwaschbaren Marker dafür besorgen. Der wird hier auch noch irgendwo rumliegen. Ich habe die Botschaft nicht angerührt, seit er ins Krankenhaus gegangen und nicht wieder heimgekommen ist. Ob ich sie einfach nachziehen soll? Doch das Beste wäre sicher, sie endlich abzuwaschen, ihn gehen zu lassen. Morgen, ja, morgen werde ich den Spiegel putzen.

Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich erschreckt zusammenzucke als die Türglocke losschrillt. Noch mal tief Luft holen und lächeln. Niemand muss sehen wie elend ich mich fühle. Das Letzte, was ich sein will, ist ein Spaßverderber.

Wie erwartet steht eine Gruppe Kinder vor der Tür und trägt mir gutgelaunt ihr „Süßes, sonst gibst Saures“ vor. Zwei Mini-Zombies und zwei Geister, eine Hexe und irgendwas Undefinierbares, Grünes. Für einen Moment vergesse ich meinen Kummer, bewundere ihre Kostüme und biete ihnen die Schüssel an. Ich versichere ihnen, wie schrecklich gruselig sie aussehen. Jeder angelt einmal in den Süssigkeitentopf hinein, die Kleinen bedanken sich auch artig. Fröhlich plaudernd wandert die Gruppe zum Nachbarhaus.

Ich sehe ihnen zu, fühle mich erneut einsam und außen vor.

Für mein Umfeld funktioniere ich scheinbar wieder. Ich gehe regelmäßig zur Arbeit, treffe mich ab und an sogar mit Freunden. Doch meistens bleibe ich alleine Zuhause. Sie meinen es gut, das weiss ich schon, aber ich bin es leid ihre aufmunternden Sprüche zu hören. „Alles wird gut, Dimitri. Das Leben geht weiter, Dimitri.“

Nix wird wieder gut. Mein Herz ist mit ihm gegangen, ich fühle mich kalt und leer. Zweimal war ich in einem Club, versuchte mich mit anonymen Sex abzulenken. Die Idee war keine der Besten, denn es endete beide Male in einem Desaster. Inzwischen habe ich resigniert. Dem Vergleich zu ihm hält keiner Stand. Selbst Mira hat es aufgegeben, mich erneut verkuppeln zu wollen. Allerdings erst, nachdem ich ihr klipp und klar erklärte, dass es das Ende unserer Freundschaft bedeuten würde, wenn sie mir noch einen einzigen Kerl anschleppt.

Nur nachts in meinen Träumen bin ich glücklich, denn da ist er noch bei mir. Doch die Erinnerungen verblassen langsam, und immer öfters wache ich am Morgen mit tränennassem Gesicht auf. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Einen Scheiß tut sie... Mir kommt es vor, als würde meine Sehnsucht täglich größer. Die Angst zu vergessen wie er aussah, sich anfühlte oder roch raubt mir fast den Verstand.

Betrübt schließe ich die Tür, schlendere lustlos ins Wohnzimmer. Ich überlege gerade, ob ich mir ein Häppchen zu Essen machen soll. Die Alternative wäre, mir einfach eine alte Schnulze im Fernsehen anzusehen und Cola mit Popcorn dazu zu verdrücken.

Plötzlich bleibe ich wie angewurzelt stehen. Nun ist es so weit... Mein Sehnen nach ihm gaukelt mir Trugbilder vor. Ich meine, ihn auf dem Sofa sitzen zu sehen. Er sieht mich so zärtlich an, dass mir schwindlig wird vor Liebe. Wie zur Salzsäule erstarrt, betrachte ich ihn. Wage es kaum zu atmen oder mich zu bewegen, aus Angst das Bild könnte verschwinden. Mein Herz klopf wie verrückt, meine Hände schwitzen und ich wische sie mir an den Jeans ab. Bewege mich unendlich langsam, als könnte eine zu schnelle Bewegung die Erscheinung verjagen. Doch er lächelt.

„Hast du vor dort Wurzeln zu schlagen, Dimi, oder magst du dich nicht doch zu mir setzen?“

Es wirkt so echt, ich kann die geliebte Stimme deutlich hören. Sosehr habe ich ihren sanften Klang vermisst, mich danach gesehnt. Ist es so, wenn man den Verstand verliert? Nach wie vor starre ich ihn einfach an, erfreue mich an diesem realen Bild meiner Fantasie.

Er steht auf, kommt mit fließenden, kraftvollen Bewegungen auf mich zu. Ganz so wie vor dem Ausbruch der Krankheit, die ihn am Ende so schwer gezeichnet hatte. Direkt vor mir bleibt er stehen, zögerlich streifen seine Finger mein Gesicht. Ich schließe die Augen, sauge den ihm eigenen Duft ein. Ich kann die Berührung spüren, als wäre er wirklich bei mir, und ein leises Schluchzen entringt sich meiner Kehle. Als ich stürmisch in seine Umarmung gezogen werde, gebe ich einen überraschten Aufschrei von mir. Kurz kämpfe ich gegen ihn an, schaffe es mich loszureißen und bleibe keuchend einen Schritt von ihm entfernt stehen.

Das kann nicht sein. Er ist nur ein Produkt meiner ausgehungerten Sehnsucht. Trotzdem steht er vor mir, in Fleisch und Blut.

„Alec?“, hauche ich verstört. „Wie ...? Du bist in meinen Armen gestorben, das kann nicht sein. Was ...?“

Wieder lächelt er mich an, geheimnisvoll und ein bisschen wehmütig.

„Ja, Dimi. Du erinnerst dich doch, was ich immer über diese Nacht erzählt habe? Ich hatte recht. Ich bin real, doch nur für diese Nacht. Willst du die kurze Zeit wirklich damit vergeuden mir Fragen zu stellen, auf die ich dir ohnehin keine Antwort geben kann? Oder sollte ich mich getäuscht haben... Willst du, dass ich verschwinde?“

Er sieht mich verunsichert an, und mir ist plötzlich egal wie oder warum. Ich werfe mich mit einem Aufschrei in seine Arme. Mein Herz rast vor Freude, und schluchzend versinke ich in seinen Küssen.

„Schhhhh... nicht weinen, Dimi. Ich habe dir versprochen dich nicht zu verlassen, solange du mich haben willst. Ich weiß, es ist nicht wie wir es uns ausgemalt haben. Aber du musst wissen, ich bin immer bei dir und passe auf dich auf. Daran wird sich erst etwas ändern, wenn du es so willst. Doch nur heute Nacht, an Samhain, kann ich in dieser Form für dich da sein. Wir sollten die wenigen Stunden also sinnvoll nutzen.“

Er lacht leise, seine Hände sind bereits dabei mich zu entkleiden. Ich denke nur kurz daran, dass seine Hülle eigentlich seit Monaten tot und kalt unter der Erde liegt. Doch Alec ist nicht kalt, und sein Körper macht gerade einen äußerst lebendigen Eindruck auf mich. Als wir das Bett erreichen, liegt unsere Kleidung bereits verstreut, wie eine Brotkrümelspur, am Boden. Alecs Hände, seine Küsse, die rauen aber zärtlichen Liebkosungen lassen mich in dieser Nacht all den Schmerz und Kummer über meinen Verlust vergessen. Wir lieben uns, bis ich vor Erschöpfung, sicher in seine Arme geborgen, einschlafe.

 

Die Sonne scheint mir ins Gesicht und weckt mich. Ich liege im Bett, allein. Diesmal jedoch ohne Tränen vergossen zu haben. Es war so ein lebhafter, real anmutender Traum... Ich fühle mich auf sonderbare Weise getröstet in meinem Kummer, empfinde es sogar ein Stück weit so, als wäre sein Geist wahrhaftig bei mir.

Seufzend stehe ich auf, um auf die Toilette zu gehen. Meine Fantasie lässt heute scheinbar keine Wünsche offen, mein Hintern fühlt sich an, als hätte ich tatsächlich diesen wilden, wunderbaren Sex mit meinem Liebsten gehabt. Erstaunt stelle ich fest, dass meine Kleidung am Boden verstreut liegt...

Achselzuckend und mit einem Grinsen im Gesicht, betrete ich das Badezimmer und erstarre. Der Spiegel ist blitzblank geputzt und zeigt mir gleich zwei Dinge, die mich beben lassen. Auf meinem Hals sind ganz deutlich Knutschflecke zu erkennen, die gestern noch nicht dort waren. Eindeutige Zeugen, dass die letzte, stürmische Liebesnacht nicht nur ein schöner Traum gewesen ist. Auf dem sauberen Spiegel steht zudem, in großen Buchstaben, eine Nachricht für mich. Die Handschrift ist mir fast so vertraut wie die Eigene. Die Worte lassen mein Herz vor Freude hüpfen. Ich habe ihn nicht verloren. Warum und wie auch immer, eine Nacht im Jahr wird er mein Geliebter bleiben, den Rest der Zeit immer nahe bei mir sein. Die eisernen Bänder, die mein Herz umklammert hielt, mir fast die Luft zum Atmen nahmen, sind locker geworden. Ich werde diesen Spiegel betrachten und wissen, dass Unmögliches wahr werden kann. Dass Liebe Zeit und Raum überdauert.

„Meet me at Samhain“, steht in dicken Buchstaben darauf geschrieben. Er hat mir bewiesen, dass er sein Versprechen einhält, hat es sogar erneuert. Es ist nicht das Leben mit ihm, das ich mir gewünscht habe. Doch die Aussicht ihn wieder zu sehen, eine weitere Nacht mit ihm zu verbringen, gibt mir Kraft genug das nächste Jahr zu überstehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Shan, ohne deren Schubs ich es gelassen hätte. Danke Rigor Mortis für das schöne, passende Cover.

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