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Christian & Gökan

Christian & Gökan (1): Eine unerwartete Bekanntschaft

 

Christian Fischer ging schnellen Schritts die Straße entlang. Eigentlich lief er schon. Gehetzt blickte er auf seine Uhr. Er war schon viel zu spät, und das bei seiner ersten Stunde des theoretischen Fahrunterrichts! Das war alles nur die Schuld seiner eitlen Schwester! Was musste sie denn auch unbedingt immer, wenn er es eilig hatte, stundenlang auf dem Klo sitzen! Andere Leute gehen rein, pissen oder kacken schnell, und dann sind sie fertig. Aber Lilli saß mindestens fünf Minuten da, meistens zehn. Der Rekord lag bei 32 Minuten und 19 Sekunden. Er hatte auf die Uhr gesehen. Lilli fand das gar nicht so witzig, als er dies in der darauffolgenden Zeit jedem erzählte, während sie anwesend war. Aber egal. Also ehrlich, was machte sie da nur immer?

Und er hatte ausgerechnet zuvor ein Nutellabrot gegessen, und dabei verschmierte er sich meistens das ganze Gesicht. Deshalb hatte er ja noch mal so dringend ins Bad gemusst. Und es stank auch immer so fürchterlich, wenn Lilli das Klo benutzt hatte. Hoffentlich hatte sich von dem Gestank nichts in seinen Kleidern manifestiert. Er wollte schließlich nicht als der Stinker gelten. Für eine Frau hatte Lilli schon einen extremen Scheißgeruch... Vielleicht war es falsche Ernährung?

Endlich hatte er die Fahrschule erreicht und öffnete die alte Holztür. Er musste erst einmal Luft holen, da er so gerannt war, um noch einigermaßen pünktlich zu erscheinen. Der Fahrschullehrer war zwar schon da, aber er war noch am Telefonieren. Wo sollte sich Christian denn jetzt hinsetzen? Er schaute, ob er irgendjemanden kannte, doch nur fremde Gesichter blickten ihn an. Links hinten der Tisch war voll mit kichernden Weibern, die ziemlich arrogant aussahen. Nein, dort wollte er nicht hin. Rechts hinten war ein Tisch mit den obercoolen Hiphoppern; Adidas-Schweißbänder, schief aufgesetzte Schirmmützen, weiße oder schwarze Muskelshirts und Gold- beziehungsweise Silberkettchen. Nein, das musste auch nicht sein. Rechts vorne waren nur Raucher, was er nicht mochte. Er hatte echt keine Lust heute auch noch vollgequalmt zu werden. Blieb noch der Tisch links vorne. Da saßen ein paar Türken. Na gut, würde er sich zu ihnen setzen, sie würden schon nicht beißen.

Sollte er hallo sagen? Sie sahen gerade in eine andere Richtung, also ließ er es. Als er sich gesetzt hatte, wurde er von den Türken bemerkt. Es war wohl eine ganze Familie, die den Führerschein auf einmal machen wollte. Sie bestand aus einer ungefähr vierzigjährigen Türkin, einer jungen Türkin, beide ohne Kopftuch, sowie drei jungen männlichen Türken.

Der Türke der neben ihm saß, sprach ihn an: „Hi.“ Er sah gut aus, ziemlich gut sogar. Dunkle braune Augen auf brauner Haut.

„Hi.“

„Wie heißt du?“

„Ich bin der Christian.“

„Ich bin der Ali, das ist der Gökan, das ist der Murat und das ist meine Schwester, die Yasemin.“

„Hi.“ Der Reihe nach schüttelten ihm die Leute die Hände. Bis auf die ältere Frau, die scheinbar gar nicht mitgekriegt hatte, dass sich jemand an den Tisch gesetzt hatte. Gespannt verfolgte sie den Monolog des Fahrlehrers, der nun mit dem Unterricht begonnen hatte.

„Stimmts, du fährst manchmal mit dem Motorrad rum?“, fragte Ali.

„Äh, nein.“, entgegnete Christian irritiert.

„Echt nicht? Dann hab ich dich wohl verwechselt. Machst du noch Schule?“

„Ja, bin gerade auf dem Gymnasium.“

„Wow, Gymnasium.“

„Kennst du den Orhan?“, mischte sich Gökan in das Gespräch ein.

„Nein, wieso?“

„Der geht auf das Kepplergymnasium.“

„Ich geh aber auf das Geschwister-Scholl.“

„Ach so.“

Eine Weile lauschten sie dem Unterricht, dann bekamen sie einen Übungsbogen ausgeteilt. Christian wusste einige Fragen, einige konnte er nur raten.

„Ey.“, flüsterte Gökan. „Chrissie! Was muss man denn hier ankreuzen?“

„Was? Wo? Zeig mal.“ Er sah rüber. „Ich glaub, das Zweite.“

„Und hier?“

„Ich denke mal, das Dritte und das Erste.“

„Ah, cool. Und was ist mit... Moment, ich hab sie gleich... die hier?“

„Oh, keine Ahnung.“

„Macht nichts.“, lächelte Gökan. Er hatte echt voll die schönen Augen.

Nachdem die Bögen eingesammelt worden waren, sagte er: „Danke nochmal.“

„Kein Problem.“

„Willst du vielleicht mal meine Nummer?“

„Was? Wieso?“

„Dann können wir vielleicht quatschen und so...“ Er blinzelte mit den hübschen Augen.

Hatte er etwa bemerkt, dass er schwul war? Oder machte er nur Quatsch, und wollte ihn ein bisschen verarschen? „Äh... Nein, wieso denn?“, antwortete er vorsichtshalber. Wenn Gökan schwul wäre, könnte er es jetzt ja sagen, aber Christian traute sich nicht, sich jetzt einfach so zu outen, indem er die Nummer annahm. Was wenn es nur Quatsch war? Aber dann könnte er ja sagen, er hätte sie einfach auch nur so aus Quatsch angenommen.

„Nur so. Ich kann sie dir geben.“

„Ich denke mal nicht...“ Er traute dem Ganzen immer noch nicht so ganz.

„Oder du gibst mir deine Handynummer.“

„Die weiß ich nicht auswendig.“, sagte Christian wahrheitsgemäß.

„Das ist aber schade.“ Der hübsche Türke schaute wieder nach Vorne zum Fahrschullehrer, der irgendetwas laberte.

Bis die Bögen zurückkamen, sagte Gökan nichts mehr. Christian strich sich gedankenverloren durch seine kurzen blonden Haare. Wenn er ihm jetzt nochmal seine Nummer anbieten würde, dann würde er sie annehmen! Was hatte er schon zu verlieren? Ach, warum war er bloß so schüchtern? Verdammt nochmal! Er könnte ihn ja auch theoretisch doch noch um seine Nummer bitten, doch auch das traute er sich nicht. Jetzt redete er sowieso mit Murat. Wenn er mit dem Gespräch fertig wäre...

Gut, jetzt also. Worauf wartete er noch? Zu spät, jetzt redete er mit Yasemin!

Dann hatten sie die Bögen endlich zurück. „Oh, so viele Fehler!“, jammerte Ali.

Christian selbst sah nun auch sein Blatt durch. 21 Fehlerpunkte. Naja. Beim ersten Mal ist jeder schlecht.

„Äh, Chrissie...“

„Hä? Was ist?“

Es war Gökan, der ihn angesprochen hatte. Wer nannte ihn auch sonst Chrissie? „Das was du mir gesagt hast, das ist alles falsch gewesen...“

„Oh, sorry.“, entgegnete Chrissie verlegen.

„Nicht schlimm.“, beruhigte ihn der süße Türke.

Schließlich war die Stunde zu Ende. Die Türken sagten tschüss zu Christian und er machte sich auf den Heimweg. Dabei ärgerte er sich die ganze Zeit hindurch und dachte an den hübschen Türken, der mit ihm zu flirten versucht hatte.

Wieder zu Hause dachte er immer noch an Gökan und er fasste einen Entschluss. Er schrieb seine Handynummer auf einen Zettel, den er sich in den Geldbeutel steckte. Wenn er ihn nächstes mal fragen würde, würde er ihm einfach die Nummer geben. Mal sehen, was dann passierte...

 

Im Laufe der Woche vergaß Christian diese Begegnung. Er hatte viel mit der Schule zu tun, doch am nächsten Montag, dem Tag der Fahrschule, war er wieder ganz aufegeregt. Er sah noch einmal in seinen Geldbeutel, um zu überprüfen, ob die Nummer da war. Ja, sie war noch da. Als er schließlich, diesmal pünktlich ankam, war Gökan nicht da. Er kam an diesem Tage auch nicht mehr. Wo er wohl war? Toll, alles umsonst.

Eine Woche später hoffte er, ihn endlich wieder zu treffen. Er war dieses mal wieder zu spät, wegen seiner Schwester. Als er eintrat suchte sein Blick gleich die Türkenfamilie, doch schon wieder fehlte die Person, die er zu finden gehofft hatte. Er setzte sich wieder neben Ali. Dann nahm er seinen Mut zusammen und fragte: „Wo ist Gökan?“

„Gökan? Der macht keinen Führerschein.“, klärte ihn Ali auf.

„Wie, der macht keinen Führerschein? Der war doch vor zwei Wochen dabei!“

„Ja, der war nur mal mit uns mitgegangen.“

„Wieso hat er dann den Bogen ausgefüllt?“

„Nur so.“

„Ach so. Nur so.“, sagte Christian leise enttäuscht. War schon ein verrückter Typ, dieser Gökan!

 

Die nächsten Wochen vergingen normal und er vergaß den Osmanen langsam wieder. Bis zu einem Tag. An besagtem Tag ging er wie so oft mit seinem Cockerspaniel Gassi. Der Hund hieß Camillo. Seine Mutter hatte ihm diesen Namen gegeben, da sie gerne die Don Camillo - Filme gesehen hatte. Camillo war aber eigentlich eine Hündin, doch das störte Frau Fischer nicht.

Als er da so ging, bemerkte er, dass ihm jemand mit einem Hund entgegenkam. Er hielt Camillo fest, damit die Hunde sich nicht angriffen.

„Hi, Chrissie!“ Es war Gökan, und er erinnerte sich noch an ihn! „Lass sie doch mal schnuppern! Die machen sich doch nichts! Meins ist ein Männchen. Stimmts, deiner ist ein Weibchen. Bei Männchen knurrt Rambo immer.“

„Äh, ja. Sie heißt Camillo.“, Christian war immer noch irritiert.

„Komm, wir gehen miteinander.“

„Hä?“

„Ei, mit den Hunden ein Stückchen.“, erklärte Gökan gut gelaunt.

„Ach so.“

Sie gingen dann miteinander, ohne was zu sagen. Dabei hatte Christian genug Gelegenheit, Gökans knackiges Hinterteil zu begutachten. Auch den Hund konnte er beobachten. Es war ein großer muskulöser schwarzer Hund. Wenn er ein Mensch wäre, dann...

Moment, hieß es nicht, Männer mit großen Hunden hätten kleine Penisse?

„Ich hatte auch mal einen Hund, der Rambo hieß.“, sagte Christian plötzlich.

„Ja, mir ist kein besserer Name eingefallen. Am Anfang sah er gar nicht aus, wie ein Rambo, da war er noch ganz klein. Ich hätte gar nicht geglaubt, dass er mal so groß wird...“

Puh, doch kein kleiner Penis.

„Weißt du, wenn man alleine ist, ist es schön, dass man einen Hund hat.“ Gökan lächelte und schaute irgendwohin zur Seite.

Ja, das konnte Christian nur bestätigen. Ob er nun schwul war, oder nicht? Wenn er es fragen würde, wüsste er es. Los, Christian, trau dich mal was!

„Bist... Bist du schwul?“

Gökans Schritt verlangsamte sich. „Ja, das ist wahr. Du etwa nicht?“

„Äh, doch.“

„Na also, ich hab es gleich gewusst.“

„Aber ist es bei euch nicht verboten, schwul zu sein? Ich meine, im Islam?“

„Normalerweise schon, aber normalerweise wäre es auch verboten, einen Hund ins Haus zu nehmen oder ihn zu berühren.“, sagte Gökan und streichelte Rambo.

„Ihr seid also moderne Türken.“

„Ja, so kann man es sehen. Ist es im Christentum nicht auch verboten? Oder bist du kein Christ?“

„Doch, aber das sieht man nicht mehr so streng. Nur der Papst ist noch ein wenig verrückt und erzählt Müll.“

„Hast du einen Freund?“

„Nein, du?“

„Leider nicht. Aber wir könnten uns ja mal treffen, wenn du Lust hast. Ich find dich nämlich sehr nett. Gib mir einfach deine Nummer, dann ruf ich dich an, wann ich Zeit habe.“

Die Nummer! Die hatte er noch im Portemonnaie! Er kramte sie aus und gab sie ihm.

“Okay, wir sehen uns dann.“, verabschiedete sich Gökan. „Tschüss.“

Wow, er hatte also ein Date! Allah schien ihm gnädig zu sein.

 

Christian & Gökan (2): Geschwisterliebe

 

Als er zuhause war, sah Christian als Erstes nach seinem Handy, ob der Akku aufgeladen sei. Er war noch ungefähr zur Hälfte voll. Er lud das Handy vollständig auf und schaltete gewohnheitsmäßig den Fernseher an, während er sich Brote mit Butter und Honig schmierte. Er sah sich zusammen mit Lilli die neueste Folge von Gute Zeiten Schlechte Zeiten an, doch er war so in Gedanken vertieft, dass er eigentlich gar nichts davon mitbekam und sich am Ende der Episode fragte, was denn eigentlich passiert war. Nicht schlimm, dachte er, er würde trotzdem leicht wieder mit der Story mitkommen. Allzuviel konnte ja eh nicht geschehen sein. Mit seiner Hand langte er auf seinen Teller, um sein zweites Brot zu essen und wunderte, dass es sich schon längst in seinem Magen befand.

Wann würde er ihn anrufen? Es war doch kein Witz von ihm, oder? Er würde es auch nicht vergessen, oder? Ein schrecklicher Gedanke bemächtigte sich seiner. Wenn man von jemandem nichts wollte und ihn einfach loswerden wollte, dann sagte man doch, ich rufe dich an... War es nicht so? Er konnte nur beten, dass es in diesem Fall nicht so war. Und vielleicht tat er das sogar wirklich: Beten, dass die Beziehung mit Gökan was wird. Was redete er da von Beziehung? Es war ja noch gar nichts passiert! Wie auch immer, er würde dafür beten. Gott ist ja schließlich Liebe und nicht so engstirnig, wie seine Menschen. Auch wenn im Alten Testament steht, Gott hätte Sodom und Gomorra unter anderem wegen Verkehr zwischen Männern vernichtet. Das alte Testament bestand ja sowieso zum Großteil aus Sagen. Die Story von David und Goliath beispielsweise war eine alte Sage eines anderen Volkes, die sie König David einfach angedichtet hatten. Vieles ist sowieso interpretiert worden, wie es der Kirche in den Kram passte. Und wenn Jesus einen Schwulen getroffen hätte, dann hätte er bestimmt auch gesagt, dass es nicht so schlimm ist. Sowie er es bei der Ehebrecherin und dem Zöllner getan hatte. Nur damals konnte man sich ja nicht so einfach outen, und deshalb hat er wohl keinen getroffen, oder es steht einfach nur nicht in der Bibel. Es war ja eine feststehende Tatsache, dass die Kirche sich gerade die Evangelien rausgesucht hatte, die ihnen am Besten in den Kram passten, und andere Evangelien einfach wegwarf. Und selbst die ausgewählten Evangelien wurden verändert, beispielsweise wurde der Satz „Du bist Petrus, der Fels, auf den ich meine Kirche bauen will“ nachträglich eingefügt, um die Kirche im Nachhinein zu legitimieren.

Solche Gedanken machte der Junge mit dem christlichen Namen sich bis er ins Bett ging. Dadurch hatte er von Wer wird Millionär und Frauenknast ungefähr genausoviel mitgekriegt, wie von GZSZ, nämlich gar nichts. Und in der Nacht lag er auch noch lange wach. Er wusste selbst, wie kindisch sein Verhalten war, doch er konnte es nicht ändern. Bei der Aussicht auf einen festen Freund war er total aufgedreht und es war für nichts Anderes mehr in seinem Gehirn Platz.

In den nächsten beiden Tagen wartete Christian stündlich darauf, dass der nette Türke anrufen würde und war etwas traurig, als es am Ende des jeweiligen Tages nicht geschehen war. Am dritten Tage aber nun endlich kam der heiß ersehnte Anruf.

„Ja?“

„Hi. Ich bin es. Der Gökan.“

„Hi.“, freute sich Christian.

„Hast du am Samstag schon etwas vor?“

„Nein, hab ich nicht.“

„Wenn du willst, kannst du bei mir vorbei kommen. Aber nur, wenn du wirklich willst. Ich will dich zu nichts drängen.“

„Klar, will ich.“

Gökan erklärte Christian genau, wo er wohnte, und wie er dahin kam.

„Na, also dann bis am Samstag um vier Uhr.“, verabschiedete sich Gökan.

„Tschüss.“ Er wartete, bis der süße Türke aufgelegt hatte, erst dann drückte er ab. Damit er es ja nicht vergesse, sicher war sicher, schrieb er auf einen Zettel: Samstag vier Uhr: Gökan. Thoedor-Storm-Straße 21. Fröhlich verzierte er noch alles mit Herzchen. Er kam sich echt vor, wie ein kleines Mädchen. Wie sollte er denn noch solange warten können? Mann, war das noch lange...

Es war ja schließlich erst Donnerstag Abend. Um seine Herzgegend breitete sich ein aufgeregtes wohligwarmes Gefühl aus. Sein Vorfreude war unerträglich. Was wohl geschehen würde? Von einer unaufhaltsamen Unruhe getrieben ging er ins CD-Geschäft und suchte einige Minuten, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er nahm die CD von Mustafa Sandal aus dem Regal und bezahlte sie an der Kasse. Er legte sie in den CD-Player zu Hause ein und hörte sich genussvoll die Musik an. Besonders das Lied Isyankar hörte er sehr gerne. Wahrscheinlich weil es ihm schon vertraut war, da es irgendwann einmal die Single-Auskopplung war. Die Stimme von Mustafa Sandal drang tief in ihn ein. Sie hüllte ihn ganz ein, diese sanfte wundervolle Stimme, die in dieser fantastischen Sprache sang. Und dabei dachte er nicht an Mustafa, sondern an Gökan. Er drehte die Musik weiter auf, betätigte die Repeat-Taste und schloss die Augen. Er entspannte sich.

Ohne Anzuklopfen trat Lilli ins Zimmer und schaltete den CD-Player aus. „Mach dein dämliches Türken - Gedudel aus! Das ist ja nicht mehr zum Aushalten.“, schrie die sechszehnjährige Schwester aufgebracht.

„Das ist kein Gedudel, das ist sauschöne Musik!“, verteidigte Christian sich, gestört in seiner Ruhe.

„Die Scheiße kannst du bei den Kanacken hören, aber lass mir bitte mit dem Müll meine Ruhe!“

„Wie bitte?“, brauste der Junge auf. „Kanacken? Wen meinst du bitteschön mit Kanacken?“

„Ach, dieses dämliche Türkengesoggs! Sollen sie doch in ihr versifftes Land zurückgehen, und nicht uns auf den Sack gehen!“

„Halts Maul, du Scheiß - Nazi!“, schrie Christian sie an.

„Wie bitte?“, entgegnete Lilli wütend. „Überleg dir mal, was du da redest, du Arschloch.“

„Fuck you, Miststück.“

„Fick du dich doch, du Versager.“

„Maul zu.“

In diesem Augenblick kam Christians Mutter ins Zimmer. „Was ist denn hier schon wieder los? Ich will nicht, dass ihr solche Ausdrücke in diesem Haus benutzt.“, verkündete die 45-jährige braunhaarige Frau resolut.

„Der Penner hat mich Nazi genannt.“, beschwerte sich das Mädchen.

„Fresse.“, zischte ihr Bruder giftig.

„Geht das schon wieder los? Hört ihr überhaupt zu, was ich euch sage?“, fragte die Frau resignierend. „Man glaubt echt nicht, dass ihr so alt seid, denn ihr benehmt euch wie kleine Kinder.“

„Ich kann nichts dafür, dass sie immer mit der Scheiße anfängt.“, verteidigte sich Christian.

„Ich sags ja, wie im Kindergarten. Sie hat angefangen! Er hat angefangen! Warum gehst du darauf ein? Du bist ein Jahr älter.“

„Ich hab ja gar nicht angefangen!“, insistierte ihre Tochter.

„Und ob!“, widersprach ihr Bruder heftig. „Ich hab in Ruhe meine Musik gehört...“

„Die Scheiß – Assozialen - Musik, und viel zu laut!“

„Zieh doch aus, wenns dir nicht passt!“

„Würde ich ja gerne!“

„Schluss jetzt! Und zwar alle Beide!“, befahl die Mutter bestimmt mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Ich habs satt. Vertragt euch endlich!“ Als Lilli gerade etwas einwenden wollte, fuhr sie mit einem durchdringenden Blick fort: „Tut es einfach, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und verließ das Zimmer.

Lilli sah Christian noch einmal aus böse funkelnden Augen an, und drehte sich dann um und verließ ebenfalls das Zimmer. Christian schloss geräuschvoll die Tür, und drehte wütend die Musik wieder an.

 

Endlich war es Samstag. Nachdem er sich geduscht und die Zähne geputzt hatte, nahm Christian seinen Haustürschlüssel, steckte ihn in den Hosensack und war auf dem Weg zur Tür.

„Wo gehst du hin?“

Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die Stimme seiner Schwester gehörte. Konnte er denn kein liebes nettes Mädchen als Schwester haben, sondern ausgerechnet so eine arrogante und nervige Zicke? Ohne ihr den Gefallen einer Antwort zu tun, öffnete er die Haustür, trat heraus, schloss sie wieder hinter sich und machte sich auf den Weg. Den Tag heute würde er sich nicht vermiesen lassen. Nicht von dieser Schlampe! Als er diese Worte dachte, bekam er ein schlechtes Gefühl. Was Gökan wohl von ihm denken würde, wenn er wüsste, dass er seine eigene Schwester Schlampe nannte? Wie war es nur so weit gekommen, dass sie sich so regelrecht hassten? Andere Jugendliche, die er kannte, und die Einzelkinder waren, wären froh, wenn sie Geschwister hätten. Er selbst unter anderen Umständen wohl auch, aber nicht so. Lilli war so ein richtiges Miststück. Ja, ein Miststück. Schon als kleines Kind. Sie hatte ihm damals sein Spielzeug kaputtgemacht, ob mit Absicht oder nicht. Es hieß dann immer nur, er müsse Rücksicht nehmen. Sie sei schließlich seine kleine Schwester und als großer Bruder hätte er Verantwortung für sie. Aber hatte er sie etwa in die Welt gesetzt? Wieso sollte er Verantwortung haben? Lilli wurde mit den Jahren immer schlimmer. Sie hetzte verschiedene Leute gegen ihn auf und machte ihn vor ihnen lächerlich. Warum war er nur so gestraft?

Christians Füße hatten ihn unterbewusst die ganze Zeit, während er in Gedanken versunken war, in die richtige Richtung geführt. Nun stand er vor Gökans Haus. Er schüttelte sich, um die Gedanken an seine schreckliche Schwester loszuwerden, sich den Kopf für angenehmere Dinge freizumachen. Er betrachtete aufmerksam das Heim seines Angebeteten. Es war alt, aber nicht vermodert. Eigentlich im Grunde ein ziemlich normales Gebäude. Nichts besonderes, aber auch nichts Asoziales. Asozial, da war es wieder, dieses Wort, das sich ihm regelrecht aufdrängte. Was war das nur für eine Gesellschaft in Deutschland, dass einem gleichzeitig mit dem Wort Ausländer das Wort Asozial einfiel? Asozial, Asylant, illegal, heruntergekommen, versifft, Verbrecher, Drogen. Arbeitsscheues Gesindel, Sozialschmarotzer, sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Diese ganzen Vorurteile, wie er sie hasste! Nichts war tödlicher für eine Gesellschaft, wie Vorurteile. Und in diesem Moment fiel ihm auf, dass sich mindestens zwei Vorurteile widersprachen. Wie konnten sie denn den deutschen Arbeitsplätze wegnehmen, wenn sie angeblich arbeitsscheu waren und nur auf der faulen Haut lagen? Darüber hinaus sah die Realität anders aus. Wenn sich ein Deutscher und ein Ausländer um einen Arbeitsplatz bewerben, wird vermutlich der Deutsche genommen, auch wenn es unfair ist.

Christian trat vor die Haustür und klingelte. Kurz darauf öffnete eine junge hübsche Türkin die Tür. Es war Yasemin aus der Fahrschule.

„Oh, hallo.“, sagte sie überrascht.

„Ich will zu Gökan.“, sagte er, wie zum Schutz.

„Ah, der ist auf seinem Zimmer. Also, du musst jetzt da die dünne Treppe hoch, und dann das zweite Zimmer, wenn du wieder in die Richtung runter gehst.“

„Ähm, okay.“ Schüchtern trat Christian ein. Ein Hund bellte von weiter hinten im Haus.

„Das ist nur Rambo.“, erklärte Yasemin freundlich. „Der macht nichts.“

„Ich weiß. Ich kenne ihn schon.“

„Ja?“ Yasemin schloss die Haustür und kümmerte sich nicht mehr weiter um den Gast. Sie verschwand in einem der Zimmer im Erdgeschoss.

Christian ging langsam die Treppe hoch. Eine wahrscheinlich etwas ältere Steintreppe. Die Stufen waren mit Teppich ausgelegt. Langsam setzte er einen Fuß vor den Anderen, bis er oben angekommen war. Das zweite Zimmer. In Gedanken zählte er die Zimmertüren. Eins. Zwei. Er klopfte an. Von innen drang Soulmusik. Wahrscheinlich Alicia Keys oder jemand ähnliches. Vielleicht auch Katie Melua, er kannte sich nicht so gut darin aus. Er klopfte wieder, diesmal lauter. Dann trat er vorsichtig ein, da niemand reagierte. Gökan saß auf seinem Bett im Schneidersitz, las in einem Buch und sah auf. Sein Blick war erst überrascht, dann erkannte er ihn und sein Gesicht strahlte reine Freude aus.

„Hi, Chrissie. Cool, dass du da bist! Komm rein.“

„Ich hatte angeklopft...“, meinte Christian und schloss die Tür hinter sich wieder.

„Jo, das hatte ich wohl nicht gehört. Setz dich doch.“, entgegnete der junge Türke freundlich, klopfte ermutigend auf den Platz neben sich auf dem Bett und legte das Buch zur Seite. Es war ein Mangaband, soweit Christian es erkennen konnte.

„Okay.“, sagte Christian leise und setzte sich auf den ihm angebotenen Platz. Er sah sich im Zimmer um. Es hatte eine alte Tapete, dunkelgrün mit Muster, wahrscheinlich noch von der Nachkriegszeit. Dennoch war das Zimmer schön eingerichtet. Poster von Eminem und anderen Stars hingen an der Wand, außerdem seltsame bunte Tücher, die dem Ganzen eine orientalische Note verliehen. Dann sah er Gökan an. Er sah genau in seine dunklen Augen, dann wanderte sein Blick schnell woanders hin.

„Na, alles fit, Chrissie? Willst du was Trinken?“

„Äh, ja.... Nein. Will nichts trinken.“ Er sah ihm wieder in die dunklen osmanischen Augen. Hübsch und geheimnissvoll. Gökan grinste breit.

„Nene, du bist schon was.“

„Was? Was hab ich denn gemacht?“

„Ach, nichts. Du bist irgendwie ein cooler Bursche.“

„Ja?“, Christian war über das Kompliment erfreut.

"Ich mag so verpeilte niedliche Jungs.", grinster er.

"Ja, super.", entgenete Christian sarkastisch.

"Nee, das mein ich ehrlich." Gökan lachte. Nach einer Weile sagte er: „Nachher geh ich mit meinen Leuten in die Disco. Willst du mit?“

„Klar.“ Christians Blick fiel auf den Manga. Er versuchte den Titel zu erkennen.

Gökan nahm das Manga in die Hand und zeigte es ihm. „Ist ein cooles Manga. Anatolia Story. Spielt fast in meiner Heimat. Aber in der Vergangenheit. Damals war das noch Hethiterreich. Die Hethiter waren sehr streitlustig, hatten manchmal Zoff mit den Ägyptern, aber ich glaube, Ramses der Zweite hatte Frieden geschlossen.“

„Du bist aus Anatolien?“

„Nein, ich bin in Deutschland geboren. Meine Familie kommt aus Istanbul, also eine ganz andere Ecke, als Anatolien. Anatolien ist das, was die Deutschen über die Türkei im Allgemeinen denken, da geht es manchmal noch recht brutal zu, doch Istanbul ist westlicher als der Westen hier. Ich war allerdings erst einmal dort, Verwandte besuchen. Ist ganz cool. Aber die Deutschen wissen das nicht, sie denken immer nur an die ländlichen Gegenden.“

„Stimmt.“, stimmte Christian zu. „Es kursieren viele Vorurteile über euch.“

„Ja, Scheiß-Nazis.“

„Äh, wie...?“

„War doch nur ein Joke. Sind ja nicht alle so.“

„Ich bins auf jeden Fall nicht.“

Gökan hob seinen Arm und fuhr durch Christians Haare. „Und das, obwohl du wunderschönes blondes germanisches Arier-Haar besitzt.“, witzelte er.

Christian musste lächeln. Dann sah Gökan ihn wieder mit seinen Augen an, und Christian schien sich mit seinem Blick in Gökans schwarzen Augen in der Tiefe zu verlieren. Er spürte immer noch die Warme Haut von Gökans Hand, der nun an seiner Wange entlangfuhr. Dann sagte dieser, immer noch grinsend: „Komm her.“

Christian Oberkörper beugte sich vor, Gökans ebenfalls. Die Lippen des Türken berührten seine eigenen, er öffnete leicht den Mund und die Zunge des jungen Osmanen fuhr sanft hinein und spielte liebevoll mit Christians Zunge. Er fühlte Gökans andere Hand an seiner Taille, dann setzte er sich auf ihn und drückte ihn vollständig aufs Bett. Christian strich über Gökans Wange und durch sein tiefschwarzes Haar. Mit der anderen Hand strich er über seinen Rücken und zu seinem Hintern hinunter. Genussvoll streichelte er ihn. Die Zungen berührten sich weiter zärtlich und Christian schmeckte den Geschmack, den nur diese dunkelhäutigen Türken besaßen und atmete auch ihren unverwechselbaren Duft ein. Er umfing ihn ganz. Behutsam drang Gökans Zunge weiter ein, und Christians Zunge spielte weiter mit ihr. Er spürte sehr stark, dass sein Penis vor Erregung ganz steif war. Wie weit würde dieser stürmische junge Türke heute gehen? Wie weit war Christian bereit, sich darauf einzulassen?

Christian fühlte die Muskeln Gökans und fuhr über dessen starke Brust. Er erspürte unter dem dünnen T-Shirt die steifen Nippel. An Gökan war soviel dran. Er war nicht dick, aber die kompakte Masse, diese Muskeln, dieses feste und dennoch irgendwie weiche Fleisch, erregte ihn nur noch mehr. Er selbst war so dünn, fast dürr. An ihm war nichts dran. Was fand Gökan an ihm nur? Nun küsste Gökan seinen Hals. Seine Erregung war scheinbar kaum mehr zu übertreffen. Dann küsste ihn Gökan wieder sanft, und nun kam erneut die Zunge zum Einsatz. Gökan hatte eine Hakennase, doch sie passte zu ihm und gab seinem Aussehen noch mehr Erotik. Dann fiel Christians Blick auf Gökans Ohren. Diese wunderschönen dunklen Ohren. Er musste sie einfach anfassen. Er rieb in ihnen und fuhr die verschiedenen Konturen nach.

Gökan richtete sich etwas auf. „Was tust du mit meinen Ohren?“, fragte er lachend.

„Die sind so geil! Ich liebe Ohren. Manche sind Fußfetischisten, ich bin ein Ohrfetischist. Ich muss sie einfach anfassen, sie sind so cool!“

„Du bist verrückt.“, grinste Gökan. „Und genau das mag ich. Ich wusste doch, dass ich mich in dir nicht getäuscht hatte.“

Gökans Oberkörper traf wieder auf Christians Körper und seine Zunge fand wieder die seine. Christian konnte es noch immer nicht richtig fassen. Da war er nun, er, der noch nie einen Jungen geküsst hatte, und es sich immer nur vorgestellt und davon geträumt hatte, und knutschte nun in der Realität. Und zwar mit dem geilsten Türken, den es auf der Welt nur gab!

 

Christian & Gökan (3): Erstes Annähern

 

Gökan schmeckte so gut! Christian wollte ihn für immer schmecken. Sie küssten sich viele Minuten lang ohne etwas zu sagen und streichelten sich ganz nah aneinander geschmiegt über ihre Körper. Was wollte Gökan nur? Christian war noch Jungfrau, er wollte nicht direkt beim ersten Date Sex haben. Das fand er irgendwie nicht richtig. Außerdem befürchtete er, dass, wenn es jetzt zum Geschlechtsverkehr kommen sollte, Gökan das Interesse verlieren würde. Er schien zwar sehr nett zu sein, doch wer konnte sagen, was wirklich in seinem Kopf vorging. Gökan war so selbstbewusst und strahlte dies auch aus. Vielleicht wollte er nur mal einen wegstecken und sich dann direkt den Nächsten suchen. Christian war so voller Sorgen und Zweifel, dass er nicht ganz bei der Sache war und diesen schönen Augenblick mit dem jungen Türken nicht in vollem Umfang genießen konnte.

Gökan sah ihn irritiert an. "Hast du keine Lust mehr? Gefällt dir nicht, was ich mit dir mache?"

"Doch, das gefällt mir. Sehr sogar." Christian wusste nicht, ob er ehrlich sein sollte, beziehungsweise wie viel klug war, von seinem inneren Gefühlsleben Preis zu geben. "Das geht alles sehr schnell."

"Dann machen wir halt etwas langsamer.", grinste Gökan lausbübisch. "Dann hab ich mehr von dir."

Gökan küsste Christian wieder und Christian lief ein wohliger schauer durch seinen ganzen schlanken Körper. Vor Erregung keuchte er leicht. "Keine Angst, Chrissie. Ich bin nicht so Einer, der dich direkt fickt und dann fallen lässt, um zum nächsten zu gehen. Klar, wenn es von Anfang an nur auf Sex hinaus läuft, ist es etwas Anderes, aber ich bin an dir sehr stark interessiert. Vielleicht verstehst du es besser, wenn ich es direkt anspreche, wie es ist."

Christian konnte sein Glück kaum fassen. Er war tatsächlich an ihm interessiert! Das hatte er gesagt! Aber er hatte ebenfalls durchdringen lassen, dass er schon öfters Sex gehabt hatte. Gökan war ihm auf allen Gebieten weit voraus. Christian wusste, dass er für sein Alter allgemein sehr kindisch war und wenig Erfahrung allgemein hatte. Er hoffte, dies würde kein so großes Problem darstellen.

Aber Christian wollte noch viel mehr über den hübschen Türken erfahren. "Die Leute damals in der Fahrschule... War das deine Familie?"

"Ja, Yasemin ist meine Schwester. Ali und Murat sind meine Cousins und die Frau war ihre Mutter, also meine Tante. Ich selbst lebe hier mit Yasemin, meinen Eltern und den Eltern meiner Mutter zusammen. Aber meine Großeltern haben eine separate Wohnung. In diesem Haus wohnen wir seit etwa sechs Jahren. Davor hatten wir eine andere Wohnung gemietet. Das Haus hier haben wir nun gekauft. Und du so?"

"Ich wohne mit meinen Eltern und meiner Schwester in einem Haus, was, ich glaube, mein Opa damals gebaut hat. Aber der ist schon tot."

"Tief verwurzelt im Ort eben."

"Ja." Christian lag noch eine Frage auf dem Herzen, die er gerne loswerden wollte. "Bist du eigentlich geoutet?"

"Ja klar, schon zwei Jahre oder so. Wie gesagt, wir sind eine moderne türkische Familie, das ist jetzt keine so große Sache. Ich weiß, dass es bei fast allen anderen türkischen Familien in Deutschland anders aussieht. Da traut sich niemand zu outen. Ich hab eben einfach riesiges Glück gehabt. Und bei dir? Weiß da jeder Bescheid?"

"Nein, leider nicht.", gestand der blonde Junge. "Meine Familie hat sehr konservative Ansichten. Wir sind alle katholisch und das ist da ja angeblich alles Sünde. Wenn das irgendwann rauskommt, gibt das den größten Krach überhaupt. Ich wollte mit dem Outing zumindest warten, bis ich nicht mehr dort wohne. Die Frage ist eben nur, wann das sein wird. Das kann noch sehr lange dauern, leider."

"Dann ziehen wir zwei zusammen, Chrissie.", grinste Gökan und zwinkerte Christian zu.

"Ja, das wäre voll cool", rief dieser aus, und wurde plötzlich rot, weil es ihm peinlich war, so unreif reagiert zu haben.

Aber Gökan lachte nur kopfschüttelnd. "Du bist mir ja echt Einer... Aber süß." Langsam erhob er sich von dem Bett. "So, dann lass uns mal los in die Disco."

 

Die Disco, in die sie schließlich gingen, war eine unauffällige kleine Dorfdisco. Nichts Besonderes, nichts Tolles, aber das Einzige, was man ohne Probleme erreichen konnte, wenn man keinen Führerschein besaß, denn die Busverbindungen waren in dieser Gegend auch nicht besonders gut. Hin käme man bestimmt in eine größere und bessere Discothek, aber zurück war dann das Problem. Man musste entweder jemanden haben, der einen mit zurück in den Ort nahm, ein Taxi bestellen (was sehr kostspielig war), oder bis zum nächsten Tag durchmachen. Dies war nicht besonders einfach wenn man noch minderjährig war und um 24 Uhr rausgeschmissen wurde. Also blieb die Dorfdisco die einzige realistische Alternative.

Christian war nur ein bis zweimal zuvor drin gewesen, da sie ihn nicht besonders interessierte. Die Musik war nicht besonders, die Leute waren nicht besonders und das Ambiente war quasi nicht vorhanden. Trotzdem hatten die Discothekenbesitzer das unübersichtliche Lochkartensystem eingeführt, welches einen den Überblick über das eigene Geld verlieren ließ, was man ausgegeben hatte. Alles in allem war die Location nur aus Mangel an Alternativen besonders vom jüngeren Publikum besucht.

Der Innenraum war sehr stickig. Man sah aufgrund des mangelnden Lichtes sehr wenig. Im hinteren Bereich, wo getanzt wurde, war soviel Nebel aus der Nebelmaschine gekommen, dass es aufgrund des flackernden Stroboskoplichtes sehr schwer war, überhaupt zu sehen, wohin man lief. Irgendwie hatte Christian keine Lust zu der seltsamen RnB und HipHop – Musik zu tanzen. Irgendwie war es lediglich der gleiche Einheitsbrei, der im Radio oder auf VIVA und MTV lief. 50cent, Usher und wie der ganze Rotz hieß. Christian kam sich sehr verloren vor und sah sich nach Gökan um, der gerade zwei Bier für sich und ihn von der Theke entgegen nahm. Der hübsche Türke reichte ihm das knapp bis zum 0,4 - Liter – Strich gefüllte Glas.

"Du trinkst?", fragte Christian ihn dicht am Ohr.

"Ich sag ja, meine Familie sieht das alles relativ locker. Alkohol wäre ja eigentlich verboten, da wir Moslems sind." Er grinste und stieß mit dem blonden Jungen an.

Christian trank langsam. Es war zwar bislang nicht der große Biertrinker gewesen, aber die Sorte schmeckte nicht besonders. Es war trotz allem das beliebteste Bier in dieser Region. Saarländer tranken meistens Karlsberg Ur-Pils. Und der Rest Bitburger. Das war nur minimal besser.

Gökan griff nach Christians Hand und zog ihn zu einem Tisch, um welchen auf Bänken mehrere Türken saßen. Sie setzten sich zu ihnen. Gökan stellte die Personen gegenseitig vor. Ali und Murat kannte er bereits aus der Fahrschule, das waren die Cousins Gökans. Die anderen zwei waren ebenfalls hübsche Südländer. Orhan und Ümit hießen sie und Gökan erklärte, dass diese beiden seine besten Freunde seien. Orhan ging in Lebach, einem Nachbarort, aufs Gymnasium während Ümit ebenfalls wie Gökan eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker absolvierte. Beide waren zuvor auf der Realschule gewesen. Christian erinnerte sich vage, sie mal gesehen zu haben. Bevor er aufs Gymnasium gewechselt war, hatte er an der gleichen Schule den mittleren Bildungsabschluss erworben. Allerdings waren sie damals in verschiedenen Klassen gewesen, sodass er nichts mit ihnen zu tun gehabt hatte. Ümit war bereits 19 Jahre alt. Er war einmal sitzen geblieben und war spät eingeschult worden. Orhan war gerade achtzehn Jahre alt geworden, während Murat und Ali, genau wie Gökan und Christian selbst, siebzehn Jahre alt waren.

Alle langten beim Bier gut zu und tranken ein Bier nach dem anderen. Zwischendurch ein Mixery, ein Cola – Bier, ebenfalls von Karlsberg, was allerdings schon genießbarer war.

"Also, den Ümit hab ich damals in der fünften Klasse kennen gelernt.", erzählte Gökan zu Christian gewandt, schon leicht lallend. "Hab mich dann direkt neben den gesetzt und seitdem sind wir die besten Freunde. Und den Orhan hier, den kenne ich schon seit dem Kindergarten. Wir waren damals in unserer Kindergartengruppe, den Mäusen, die einzigen Türken. Ein paar Russen und ein Italiener waren noch da, sonst alles Deutsche. Da musste man natürlich zusammen halten, hehe. Wir haben damals immer die Mädels geärgert. Und die Kindergärtnerin. Auf der Toilette konnte man untendrunter durch krabbeln. Wir haben von innen zugesperrt und sind dann unten wieder raus. Und wenn jemand auf Toilette musste, kam niemand rein und die Kindergärtnerin bestimmte dann immer ein Kind, was ebenfalls drunter durch krabbeln musste, um aufzumachen. Das war schon witzig damals."

Und so verging der Abend in der Disco eigentlich relativ entspannt. Gökan und seine Freunde erzählten von der Vergangenheit oder auch aktuelle Sachen aus der Gegenwart. Hin und wieder fragten sie Christian ein paar Dinge, aber generell hörte er meistens nur zu. Das Bier machte ihn müde und weil die Musik so laut war, musste er sich etwas zu den Anderen rüber beugen und genau zuhören, damit er etwas verstand. Christian fühlte sich angenommen und das freute ihn sehr. Diese Menschen hatten so eine offene und freundliche Art ihm gegenüber. Generell hatte er schon ein wenig Angst vor dem Abend gehabt, wie er sich eingestehen musste, doch nun war er froh mitgekommen zu sein.

Langsam aber sicher ging es auf Mitternacht zu. "Langsam müssen wir hier raus.", meinte Gökan zu Christian gewandt. "Gleich kommen die Kontrollettis und kehren alle unter achtzehn Jahren raus. Und wenn man Theater macht, gibts nen Monat Hausverbot. Hab ich alles schon durch. Lass uns zu Ümit nach Hause. Da ist es sowieso viel chilliger und keiner stresst rum. Hier gibts immer, beziehungsweise sehr oft, eine Schlägerei, je später der Abend und je voller die Leute hier werden. Darauf hab ich keinen Bock."

"Alles klar." Christian bezahlte seine Karte am Ausgang und schickte seinem Vater aufs Handy eine SMS, dass er heute länger weg bleiben würde und später in der Nacht erst nach Hause kommen würde. Anschließend schaltete er das Mobiltelefon aus, damit er seine Ruhe vor nervigen Kontrollanrufen hatte.

 

Ümit hatte eine kleine abgetrennte Kellerwohnung im Wohnhaus seiner Eltern. Die Wände waren relativ dick und außerdem waren im Erdgeschoss keine Schlafzimmer, wie Ümit erklärte, so dass man nicht so besonders leise sein musste, sondern bis spät in die Nacht zwar nicht so laut wie man wollte, aber normal laut sein konnte.

Das Zimmer war mit großen Sitzkissen ausgestattet, welche um einen kleinen, alt wirkenden Tisch lagen. Auf dem Tisch selbst war eine beeindruckend große Shisha aufgestellt. Ümit erklärte, er habe sie aus dem letzten Türkei – Aufenthalt mitgebracht, genauso auch die verschiedenen Sorten Tabak, welche man gar nicht mit denen in Deutschland zu erwerbenden vergleichen könne. Die Shisha hatte in der Tat einen besonderen orientalischen Touch und erstrahlte in einem schimmernden Saphirblau.

"Schon einmal türkischen Raki probiert?", wollte Ümit wissen und holte eine Flasche mit durchsichtigem Inhalt hervor.

"Nein, wie schmeckt der denn?" Christian beäugte skeptisch das sich füllende Glas.

"Nach Anis. Ist ein Anisschnaps. So ähnlich wie Ouzo."

"Hab ich auch noch nicht getrunken. Mal sehen." Christian probierte vorsichtig. Der Geschmack war einmalig und gefiel ihm gut. Er wusste, er musste langsam machen, sonst wäre er schneller voll, als er bis drei zählen könnte.

"Hast du noch von der Schoko – Minze?", fragte Orhan aufgeregt seinen guten Freund.

"Ach, Schoko – Minze.", wiegelte Ümit unwillig ab. "Jetzt gibts leckeren Apfel und danach kann man noch Erdbeere rauchen. Melone hab ich auch noch." Er bereitete sorgfältig die Wasserpfeife vor und zog am Schlauch die Luft ein, bis die Kohle zu seiner Zufriedenheit glühte.

In der Zwischenzeit hatte Murat etwas türkische Musik aufgelegt. Sertab Erener wechselte sich mit Tarkan und Mustafa Sandal ab. Gökan reichte Christian einen der vier Shisha – Schläuche und Christian sog daran. Weil es noch etwas ungewohnt für ihn war, verschluckte er sich leicht und musste husten, doch nach und nach ging es und er konnte den angenehmen Geruch genießen. Er lehnte sich auf den bunten Sitzkissen zurück und Gökan lehnte sich an ihn. Liebevoll ergriff der junge Türke seine Hand und spielte mit seinen Fingern. "Gehts dir gut, Chrissie? Fühlst du dich hier wohl?"

"Ja, es ist sehr schön hier. So wohl hab ich mich schon lange nicht mehr gefühlt." Christian meinte es ehrlich. Diese chillige Atmosphäre ließ ihn zufrieden lächeln.

Gökan beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn sanft mit seinen weichen Lippen auf den Mund. Chistian streichelte sachte über Gökans Wange. Er öffnete kurz danach seinen Mund und ihrer beiden Zungen fanden sich. Dann lehnte sich Gökan an Christians Brust und murmelte, dass er sehr gemütlich sei. Christian fand das sehr schön. Empfand er sich selbst doch als viel zu knochig. Seine Großtante nannte ihn oft ein Rippengestell und dass er mehr essen müsse. Eigentlich aß er jedoch normal, er war eben einfach sehr schlank.

Als Gökan zur Toilette musste, beugte sich Ümit dezent zu Christian hinüber. "Sag mal, was ist das eigentlich mit euch Beiden?"

"Was soll mit uns sein? Ich denke, wir werden sehen, was die Zuunft bringt."

Ümit dachte kurz nach. "Ist Gökan schwul?"

Christian überraschte diese Frage. "Ja, klar. Er hat doch gesagt, dass er geoutet wäre? Wusstet ihr das etwa nicht? Ich ging davon aus, dass das allgemein bekannt war."

"Naja.", sprach Ümit in einem etwas verlegen Ton. "Gesagt hat er das tatsächlich mal und er hat auch mal den einen oder anderen Jungen geküsst, aber wir dachten eigentlich alle, dass er nur mal wieder Quatsch macht. Typisch Gökan eben. Ehrlich gesagt, hat keiner von uns ernst genommen, dass er auf Typen stehen könnte. Auch wenn er es gesagt hatte. Aber anscheinend scheint das ja tatsächlich zu stimmen. Krasse Sache."

"Habt ihr etwa was dagegen?", wollte der blonde Jugendliche wissen.

"Nein, nein. Ich meine, jeder kann machen, was er will. Wenn er einen Mann anstatt einer Frau will, kann er es von mir aus tun. Umso mehr Girls sind schließlich für uns Andere da. Also, wie gesagt, kann er machen wie er will. Obwohls ja eigentlich Schande ist. Also, mit einem Mann... Ich weiß nicht, wäre jetzt nichts für mich, muss ich sagen. Aber wie er will. Jeder nach seiner Vorstellung. Solange ich da nicht mitmachen muss, ist es mir egal. Aber wenn das wirklich etwas Ernstes zwischen euch Beiden werden sollte, muss er schon wissen, worauf er sich da einlässt. Ich glaube nicht, dass seine Familie das so begeistert aufnehmen wird."

"Ja, keine Ahnung. Wie gesagt, ich dachte, er sei komplett geoutet. Und seine Familie wäre modern. Hat er schließlich selber gesagt, dass sie eine moderne Türkenfamilie sind."

"Ja, das mag schon sein. Und ich glaube, seinen Eltern hat er auch mal gesagt, dass er nur noch Jungs daten will. Aber ich glaube, die haben das genauso wenig Ernst genommen. Ich bin mir nicht so sicher, wie liberal die Eltern wirklich sind, wenn er die Sache durchzieht. Modern hin, modern her. Es ist eine Sache, wie die Einstellung zu einem Thema generell ist, aber wenns der eigene Sohn ist, sieht die Sache nochmal ganz anders aus. Und man darf nicht vergessen, dass Gökan der einzige männliche Erbe ist. Der sollte eigentlich den Stammbaum fortführen. Naja, ich wünsche euch Beiden viel Glück, auf jeden Fall. Irgendwie seid ihr zwei zusammen ja schon süß."

"Ähm, ja, danke..." Irritiert zog Christian an der Shisha.

Ümits Worte hatten ihn stark verunsichert. Gökan kannte ihn erst so kurz. Ob er wegen ihm sich tatsächlich, sollte es hart auf hart kommen, mit seiner Familie anlegen würde? Wegen ihm? Und vielleicht machte Gökan ja auch nur mit ihm selbst Spaß? Was, wenn er nur mal ein wenig Spaß mit Jungs wollte, aber im Endeffekt eine Frau an seiner Seite suchte? Gökan hatte ihm zwar gesagt, dass er homosexuell sei, aber vielleicht hatte er das ja nur so gesagt und in Wahrheit war er bi. Darauf musste Christian noch einen guten Schluck von dem Raki nehmen.

In diesem Augenblick kam Gökan zurück. "Sorry, dass es so lange dauerte, ich hatte Verstopfung, Schatz.", sprach er ungezwungen und gab Christian einen kurzen Kuss. Dann legte er sich wieder neben ihn und zog am Schlauch. "Ich glaube, das ist langsam alle. Mach mal jetzt Melone rein, Ümit."

Christian drehte sich zu dem Türken um und sprach leise: "Meinst du es ehrlich mit mir?"

Gökan sah ihn verwundert an. "Was meinst du? Klar, mein ich es ehrlich mit dir."

"Ist das mit uns etwas Ernstes?" Christian sah Gökan tief und ernst in seine braunen Augen.

"Chrissie, jetzt mach dir mal keine Gedanken. Ich weiß doch jetzt noch nicht, ob das was Ernstes zwischen uns ist, aber ... Aber ich wünsche es mir auf jeden Fall, dass es so sein wird. Und das meine ich ehrlich."

Christians Augen wurden feucht. Er freute sich, diese Worte zu hören und seine Herzgegend wurde wohlig warm, wie auch sein Gesicht vom Alkohol brannte. Langsam beugte er sich zu Gökan rüber und küsste ihn zärtlich.

 

Später bot Ümit an, bei ihm zu übernachten, doch Christian lehnte ab, da er nun doch nach Hause müsse. Inzwischen war es schon ziemlich spät in der Nacht. Er begleitete noch Gökan bis zu dessen Haus, da dieser ebenfalls zu Hause schlafen wollte und gab ihm noch einen langen Abschiedkuss. Den ganzen Weg nach Hause hatte er ein Grinsen auf dem Gesicht. Schließlich kam er zu Hause an und schloss auf. Als er die Treppe betrat, um in sein Zimmer zu gelangen, quietschte die Treppenstufe, wie sie es immer tat. Sofort wurde die Tür im Esszimmer aufgerissen und sein Vater stand dort.

"Was fällt dir eigentlich ein?", sprach er mit einem wütenden Gesichtsausdruck.

"Was ist denn jetzt schon wieder los?", fragte Christian und verdrehte genervt die Augen.

"Was los ist? Das fragst du auch noch? Guck mal auf die Uhr! Halb vier, fast viertel vor vier! Wo du dich so lange rumgetrieben hast, würde ich gerne mal wissen."

"Ich hab dir doch eine SMS geschrieben?"

Ja, dass du später kommst, aber so spät, das ist schon unverschämt. Wir, ich und deine Mutter, haben uns Gedanken gemacht, was passiert sein könnte. Hättest ja auch abgestochen worden sein oder vom Auto überfahren. Ich war kurz davor, die Polizei anzurufen und eine Vermisstenmeldung rauszugeben. Dein Handy hattest du ja ausgeschaltet. Wüsste mal gerne, für was wir dir das gekauft haben."

"Ähm, hallo? Ich wollte nur mal meine Ruhe und dass ihr nicht dauernd nervt. Ich bin siebzehn Jahre, kein kleines Kind mehr. Kann ich ja wohl am Wochenende so lange wegbleiben wie ich will."

"Sonst warst du nie so lange weg. Ich möchte nicht, dass das noch einmal vorkommt."

"Und ob das vorkommt!", entgegnete der Junge seinem Vater ärgerlich. "Ich bin jetzt älter, da ändert sich eben Einiges. Und die anderen Kinder, ich meine, die anderen Jugendlichen, sind oft das ganze Wochenende unterwegs, schon seit die sechzehn oder vierzehn sind. Kannst du froh sein, dass ich so brav bin."

"Jaja, brav. Frech bist du, sonst nichts. Mach noch ein bisschen, dann hol ich dir das Handy wieder weg, wenn du es ja sowieso nicht benutzt..."

"Oh, Mann! Ich habs doch benutzt! Was soll denn die ganze Scheiße schon wieder? Immer behandelt ihr mich wie ein kleines Kind und macht wegen jedem Scheiß Theater."

"Wie sollen wir dich denn sonst behandeln, wenn du dich wie ein kleines Kind aufführst? Hol dir lieber mal ein Beispiel ein deiner Schwester Lilli, die sagt Bescheid, wo sie mit wem hingeht."

Christian schnaubte verächtlich. "Das glaubt auch nur ihr... Die ist nicht die brave Tochter, wie du sie immer siehst. Die ist ein ganz hinterlistiges Miststück. Ne doofe Schlampe, mehr nicht."

Christians Vater trat ein paar Schritte auf die Treppe hinauf und hatte bereits einen hochroten Kopf. "Christian, ich möchte nicht, dass du in einer solchen Art und Weise über deine Schwester redest!"

"Ist nur die Wahrheit, aber egal jetzt. Ich will endlich ins Bett schlafen."

"Ja, jetzt bist du plötzlich müde und willst schlafen..."

"Gute Nacht.", entgegnete Christian schroff, drehte sich um und ging die Treppe weiter nach oben.

"Ich bin noch nicht fertig mit dir!" Christians Vater zitterte vor Wut.

"Ich aber." Christian kanllte die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett. Anschließend zog er sich komplett aus und verkroch sich in seiner Decke. Na super. Es war so ein schöner Abend gewesen und seine Eltern mussten ihm natürlich mal wieder alles versauen. Konnten die nicht endlich mal akzeptieren, dass er sein eigenes Leben hatte und nicht leben wollte, wie sie es ihm vorschrieben? Er hatte andere Vorstellungen, was das Leben anging. Diese Atmosphäre des Hasses war ein kompletter Gegensatz zu der chilligen Atmosphäre in Ümits Zimmer gewesen. Zwei Welten.

 

Christian & Gökan (4): Gökans Welt

 

Zufrieden wachte Gökan am nächsten Morgen in den späten Morgenstunden auf. Als Allererstes gähnte er nochmals herzhaft und streckte sich, dann stand er langsam auf und schlurfte in Boxershorts ins Badezimmer, wo er sich die Zähne putzte und zur Toilette ging. Anschließend sorgte eine kurze Dusche dafür, dass er wach und sauber war. Er musste an den gestrigen Abend denken, welcher sehr schön gewesen war. Und an Christian. Dieser blonde schlacksige Junge ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er mochte den verpeilten Bengel jetzt schon sehr gerne.

Der junge Südländer dachte über sein jetziges Leben nach. So wie es jetzt stand, konnte er sehr zufrieden sein. Er hatte den mittleren Bildungabschluss mit einem relativ guten Schnitt geschafft, hatte eine Ausbildungsstelle als KFZ – Mechatroniker, was ihn sehr interessierte und war dort bereits Anfang des zweiten Lehrjahres. Den Führerschein würde er auch bald beginnen. Für das Motorrad hatte er bereits einen, ebenfalls ein kleines Mofa.

Das war nicht immer so gut in seinem Leben gewesen. Bereits als Kind hatte er mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Im Kindergarten ging es noch, in der Grundschule ging es langsam los und dann auf der Realschule wurde es ganz schlimm. Viele Deutsche und Russlanddeutsche hatten was gegen ihn. Oft wurde er als Kanacke beschimpft oder musste sich sonstige entwürdigende Spottnamen anhören. Dabei war er durch und durch Deutscher, da er bereits hier in Deutschland geboren wurde. Aber alle sahen in ihm nur den Türken. Zwangweise hatte sich in dieser Zeit eine Art Subkultur gebildet, denn er hing meist, so wie heute auch noch, mit den anderen Türken und Deutschen mit türkischen Wurzeln ab. Sie verstanden ihn und sein Leben am Besten und er musste sich keine blöden Sprüche anhören.

Allerdings hatten diese ihn schon früh abgehärtet. Er war es irgendwann gewohnt, Kontra zu geben. Am Anfang hatte er noch immer so getan, als würde er nichts davon mitbekommen und hatte die Sprüche einfach überhört und ignoriert, aber irgendwann wurde ihm klar, dass es nicht aufhören würde. Und so gab es ab diesem Zeitpunkt immer eine gepfefferte Antwort. Oder auch mal gleich eins auf die Fresse von den Schandmäulern. So musste er zwar das eine oder andere Mal nachsitzen oder zum Direktor, aber das nahm er in Kauf. Irgendwann hatten fast alle Respekt vor ihm. Er hatte bei vielen seiner ehemaligen Mitschüler den Ruf eines Schlägers, doch das war ein Irrtum. Er wehrte sich schließlich nur und ließ sich nichts mehr gefallen. Und dieser Ruf wurde irgendwann auch wieder weniger, als es irgendwann nicht mehr nötig gewesen war, zuzuschlagen, da ihn die Spötter nach und nach in Ruhe ließen.

Inzwischen hatte er auch einigen Kontakt zu Nicht – Türken, vor allem durch die Ausbildung und den Sport. Gökan spielte in einem Fußballverein und das ziemlich erfolgreich und diszipliniert. Dreimal in der Woche war Training und meist einmal in der Woche ein Spiel. Auf dem Feld zählte nur der Erfolg, wie gut man war. Nationalität, Hautfarbe, Religion oder andere Merkmale, welche einen vom Rest trennen konnten, verloren ihre Bedeutung und waren komplett unwichtig. Deshalb liebte er das Spielen so sehr.

Nach dem Frühstück legte sich Gökan kurz auf die Couch und legte barfüßig die Beine hoch. Dann schnappte er sich seinen Lieblingsmanga. Dies war selbstverständlich Dragonball. Momentan liebte jeder, oder fast jeder, Junge diesen Manga und natürlich auch den Anime Dragonball Z. Nachdem er den japanischen Comic durchgeblättert hatte, widmete er sich einem weiteren Hobby von ihm. Videospiele, aber auf Konsolen, nicht auf dem PC. Playstation, Super Nintendo und Nintendo64 warens einige seiner heimlichen Leidenschaften. Natürlich vorzugsweise Games rund um Dragonball.

Zwischendurch musste er immer wieder an Christian denken. Er rief ihn an und fragte, ob sie sich heute wiedersehen könnten. Christian sagte sofort zu. Zufrieden widmete sich Gökan wieder seinem Spiel.

 

Es war eine sternenklare Nacht, wie sie nur selten zu sehen war. Gökan und Christian trafen sich erst bei Gökan zu Hause, dann gingen sie auf den Stauden, einen Hügel, auf dem man über ganz Schmelz, den Ort, in dem sie lebten, sehen konnte.

"Gab es gestern noch Stress von deinen Eltern? Du hattest da am Telefon was erzählt?", wollte Gökan wissen. Er wollte nicht, dass der Junge wegen ihm Ärger bekam.

"Ja, aber die machen immer Stress. Die beiden Alten gehen mir sowas von auf den Sack. Und dann noch meine Schwester, die dumme Hure..."

"Chrissie, wie redest du denn über deine eigene Schwester?" Der junge Türke war sehr überrascht, dass Christian plötzlich solche Sachen sagte.

"Sie ist aber wirklich so eine richtig blöde Kuh, ganz ehrlich. Sie kann machen was sie will, alles ist in Ordnung. Aber wenn ich dann irgendwas mache, wird gleich ein Riesen – Aufriss gemacht. Das ist sowas von unfair. Ich hasse die doofe Tussi."

Gökan sah ihn ernst an. "Chrissie, das ist deine Famlie. Die einzige Familie, die du hast. Und deine einzige Schwester. Ihr müsst euch echt besser vertragen. Das ist nicht gut, wie ihr miteinander umgeht."

Christian seufzte. "Ja, ich weiß. Aber was soll ich machen? Mir alles gefallen lassen und zu Allem Ja und Amen sagen? Verdammt, ich will auch endlich mal anfangen zu leben..."

Gökan nahm ihn zärtlich in den Arm und hielt ihn fest. "Das wirst du, das wirst du."

Zärtlich trafen sich ihre Lippen. Im hellen Schein des Vollmondes küssten sie sich minutenlang und Gökan genoss die spürbare Sehnsucht und das Verlangen, das von Christian ausging. Er hatte das Gefühl, dass der blonde Junge ihn wirklich brauchte. Aber er brauchte Christian ebenfalls. Irgendwie hatte irgendetwas gefehlt in der Vergangenheit. Als er noch nicht gewusst hatte, dass er auf Typen stand, war er dreimal mit Mädchen in einer Beziehung. Zweimal nur sehr kurz und einmal etwas länger, fast ein Jahr. Aber es hatte ihm immer irgendetwas gefehlt. Es war so, als ob er mit denen zusammen gewesen war, nur weil man es eben so machte. Wenn man in einem bestimmten Alter war, wurde von einem Jungen regelrecht erwartet, dass er sich für Mädchen interessierte und sich mit ihnen traf und schließlich mit welchen ging. Für Gökan war dies alles nicht nachvollziehbar und die Mädchen, mit denen er zusammen war oder sich traf, waren ihm eher lästig, anstatt dass sie sein Leben in irgendeiner Art und Weise bereichert hätten. Und ob die Brüste groß oder klein waren, war auch immer vollkommen irrelevant für ihn. Und jetzt wusste er auch warum. Irgendwie war Christian genau das, was er brauchte und was ihm sein ganzes Leben gefehlt hatte. Jetzt, wo er ihn kannte, wo er ihn ganz nah bei sich spürte, jetzt, da er ihn schmeckte, wusste er es ganz sicher, dass das genau das Richtige war. Das, was seinem Leben fehlte, um es ein erfülltes Leben zu nennen.

Gökan lag nun im kühlen Gras, Christian direkt neben ihm, an seine Brust geschmiegt. Dann fragte Christian plötzlich: "Du, Gökan?"

"Ja, Chrissie?"

"Hattest du denn schon mal einen festen Freund?"

"Nein, früher nur Freundinnen, aber das war nichts für mich. Einen Freund hatte ich bislang noch nicht."

"Wie kommt das? Du bist doch geoutet und siehst sehr gut aus."

Gökan musste lachen. "So einfach ist das auch wieder nicht. Überleg doch mal. Die meisten Deutschen wollen einfach nichts Festes mit einem Türken anfangen. Einmal, weil sie Türken nicht so toll finden, zum Zweiten haben sie auch Angst vor dessen Familie. Und die Türken... Naja, es ist nicht so, dass es keine homo- oder bisexuellen Türken gäbe. Die gibt es sehr wohl, genauso viel, wie bei allen anderen Nationen und Kulturen auch. Aber, besonders hier auf dem Land, wenn man das so nennen kann, wirst du wohl kaum einen Türken finden, der offen zugibt, schwul zu sein. Außer mich halt, ich bin die goldene Ausnahme. Also ist es gar nicht so einfach für mich, einen Freund zu finden. Sex ja, aber eine Beziehung ist so gut wie unmöglich."

"Hm, ach so ist das..." Christian dachte nach, das konnte Gökan genau erkennen. "Aber wie hast du denn bislang deine Sexpartner gefunden? Also, wenn sich doch niemand outet?"

"Ja, über gayromeo halt. Das ist die größte Community in Deutschland für homosexuelle Männer. Eigentlich darf man sich erst ab achtzehn da anmelden, aber ich bin schon da, seit ich sechzehn bin. Hab einfach angegeben, dass ich erwachsen sei. Kennst du die Seite nicht?"

"Nein, ich besitze leider kein Internet. Meine Eltern wollen nicht, dass ich Internet habe, deshalb."

Gökan schaute ihn überrascht an. "Echt? Und das heutzutage? Wir leben schließlich nicht mehr im letzten Jahrtausend. Wir haben 2005! Ich dachte, inzwischen hätte jeder Zugang zum Internet. Schade, dann kann ich dir ja gar nicht bei ICQ schreiben. Falls du das kennst."

"Jaja, vom Erzählen kenn ich das. ICQ und msn messenger. Hat jeder das Eine oder Andere. Außer ich. Ich hab gar nichts davon. Ich kann froh sein, dass ich ein Handy habe. Obwohl ich das eigentlich gar nicht gewollt hatte. Aber jetzt, da ich dich kenne, ist das ganz praktisch. So können wir uns SMS schreiben und verabreden."

Gökan grinste erneut. "Ja, wenigstens das kannst du benutzen." Er küsste Christian zum wiederholten Male zärtlich auf den Mund. "Du schmeckst heute besonders gut."

"Das macht die frische Luft hier oben." Auch Christian grinste.

 

Sonntag morgen erwartete Gökan eine Überraschung, als er ins Frühstückszimmer geschlurft kam. Dort saß seine Mutter mit einer für sie ungewöhnlich ernsten Miene.

Gökan sah sie verwundert an. Seine Mutter hieß Fatima,war 44 Jahre alt, ziemlich hübsch und hatte ein offenes Ohr für alles und jeden. Sie arbeitete mit ihrer Schwester, Alis und Murats Mutter, in einem Blumenladen, welcher zu gleichen Teilen den beiden Frauen gehörte. Vor ungefähr vierzehn Jahren hatten sie diesen mittels eines Darlehens gegründet und die Räume gemietet. Inzwischen florierte der Laden und die Schulden waren ausnahmslos zurückbezahlt.

"Günaydın, Anne!", begrüßte er seine Mutter auf türkisch. "Was ist los? Du schaust irgenndwie so seltsam. Ist etwas passiert?"

"Günaydın, Gökan. Ich schaue besorgt. Ich habe etwas gehört, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich hoffe, du kannst mir weiterhelfen."

Gökan setzte sich mit einem mulmigen Gefühl an den Küchentisch und schnitt ein Brötchen mit dem Messer auf. "Keine Ahnung. Worum geht es denn?"

"Ali hat erzählt, dass du dich mit einem Jungen triffst. Stimmt das?"

"Ja, und?" Gökan schmierte sich einen Nuss – Nougat – Aufstrich auf beide Brötchenhälften. "Was ist denn schon dabei?"

Fatima Yildiz presste kurz die Lippen zusammen und atmete laut hörbar aus. "Mit treffen meine ich, dass du ihn wie ein Mädchen triffst. Also ... Hast du Gefühle für diesen Jungen, die eigentlich einem Mädchen vorbehalten sein sollten?"

Gökan goss sich Kaffee in die Tasse. "Ich weiß nicht, was da einem Mädchen vorbehalten sein soll, aber wenn du darauf hinauswillst, ob ich etwas für ihn empfinde und fest mit ihm zusammen sein möchte, dann lautet die Antwort eindeutig ja." Gökan biss in sein Brötchen.

"Wie meinst du das denn jetzt, mein Junge?"

"Ja, so wie ich es gesagt habe. Ich weiß nicht, was man daran nicht verstehen könnte."

"Gökan, bist du etwa homosexuell?" Fatima schaute ihn wie gebannt an.

"Ja, klar. Das hab ich euch doch schon mal gesagt..."

"Bei Allah! Wir dachten doch, du machst nur wieder Witze! Das hat doch keiner von uns ernst genommen!"

"Kann ich ja nichts dafür, wenn ihr das nicht ernst nehmt.", erwiderte der junge Türke lasch und zuckte mit den Schultern. "Mehr als es euch zu sagen, kann ich ja nicht." Er biss erneut vom Brötchen ab.

"Ach du meine Güte... Was wird denn dein Vater nur dazu sagen?"

"Keine Ahnung, frag ihn doch." Gökan nahm einen Schluck vom Kaffee. "Mist, zu heiß."

"Das sagst du alles so einfach. Bist du dir denn wirklich sicher? Denk doch mal an deinen Kleincousin Sercan. Der hatte auch gedacht, dass er schwul wäre. Und später hat er dann eine Frau geheiratet und jetzt ist er Vater von zwei Kindern."

Gökan sah auf und sprach ernst: "Anne! Das kannst du doch nicht ernst meinen! Sercan war immer und bleibt immer schwul. Seine Eltern haben ihn in der Türkei gegen seinen Willen zwangsverheiratet. Inzwischen ist er längst geschieden, lebt in Frankfurt mit seinem Partner und seine Ex- Frau zieht die Kinder alleine groß. In der Türkei. In Anatolien. Das kannst du doch nicht wirklich für mich wollen, oder?"

Gökans Mutter sah resignierend zur Seite. "Nein, natürlich nicht. Und es hat auch seinen Grund, warum wir mit diesem extrem konservativen Teil der Familie schon lange nichts mehr zu Schaffen haben. Aber trotzdem... Bist du dir denn wirklich sicher... Ich meine... Du bist unser einziger Sohn. Wer wird denn den Familienstammbaum fortführen."

"Yasemin ist doch auch noch da, oder ist die etwa lesbisch?"

"Allah bewahre! Hoffentlich nicht!" Fatima sah ihren Sohn von oben bis unten an. "Naja, wenn du wirklich so bist, dann kann man es wohl nicht ändern. Obwohl ich bei dir noch nicht wirklich überzeugt bin. Du wirkst gar nicht so. Und vielleicht ist das auch alles nur wieder ein Spaß von dir, um uns zu ärgern. Aber wenn du wirklich so sein solltest, dann ist es halt so. Ich bin nicht so weltfremd, dass ich nicht wüsste, dass man es nicht ändern kann. Naja, was solls. Vielleicht entscheidest du dich ja doch nochmal um. Ich würde sagen, wir lassen das Thema jetzt mal und frühstücken weiter. Deinem Vater bring ich das alles in einem ruhigen Moment bei."

"Ja, würde ich auch sagen." Die erste Brötchenhälfte war verspeist. "Du machst das schon."

"Und ich warne dich!", hob Fatima drohend den Finger. "Wenn das alles nur ein schlechter Scherz sein sollte, dann, ich schwöre bei Allah, dann kannst du aber was erleben..."

"Anne!" Gökan sah sie kopfschüttelnd an, dann biss er in die zweite Brötchenhälfte.

"Ich mein ja nur. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich. Naja, lass uns weiter frühstücken."

"Ich bin fertig. Ich geh noch mal raus." Gökan stand vom Tisch auf, machte das benutzte Geschirr in die Geschirrspülmaschine und verließ die Küche.

Fatima Yildiz schüttelte nur den Kopf. "Dieser Junge. Also echt."

 

Es klopfte an Alis Zimmertür. Dieser war gerade am Need for speed Underground auf einer Spielekonsole am Zocken und wollte nicht gestört werden. "Was ist denn schon wieder? Mann, es ist Sonntag. Kann man nicht mal in Ruhe ein bisschen daddeln ohne alle fünf Minuten gestört zu werden?"

"Es ist Besuch für dich da." Das war die Stimme seiner Mutter.

"Hä? Wer denn?"

In diesem Augenblick trat Gökan durch die Tür. "Selam, Ali!", sprach Gökan in einem grimmigen Ton.

Ali schaute seinen Cousin beunruhigt an. "Selam, Gökan. Willst du ein bisschen mitzocken?"

Gökan schloss langsam die Tür hinter sich und trat an den Fernseher heran. "Nein, danke, kein Bedarf." Mit dem Fuß kippte er den Schalter für die Mehrfachsteckdose um und gleichzeitig gingen Fernseher und Spielekonsole aus.

"Hey, spinnst du? Was soll denn der Scheiß?"

"Das wollte ich dich gerade fragen, Ali." Gökan fuhr herum. "Ganz ehrlich, ich dachte, wir seien Freunde und ich könnte dir vertrauen. Aber du hast nichts Anderes zu tun, als zu meiner Mutter zu laufen und ihr brühwarm zu erzählen, dass ich einen Jungen date. Also, mal ganz ehrlich! Hackts bei dir, oder was soll dieser verdammte Scheiße!" Gökan bemerkte gar nicht, dass er immer lauter wurde, Ali jedoch schon und schaute kurz zur Tür, ob seine Mutter etwas mitbekommen hatte.

"Hey, Bro, das musst du schon verstehen.", stammelte Ali verlegen. "Wir machen uns halt alle Sorgen um dich... Wir wollen nicht, dass du Schande über die Familie bringst."

"Was heißt denn hier Schande? Und was heißt hier alle?", schrie Gökan nun fast.

Ali sah noch mal zur Tür. "Psst, sei doch bitte etwas leiser! Ja, wir alle halt. Ich, Murat, Orhan und Ümit. Wir machen uns echt große Sorgen. Junge, das ist nicht gut, was du da machst. Wie sieht denn das in der Familie aus? Und vor den anderen türkischen Familien! Also, im Koran steht ja auch..."

"Ali, ganz ehrlich! Seit wann hältst du dich an den Koran? Und als ob du, ausgerechnet du, wüsstest, was im Koran steht. Verarsch mich nicht. Ich bin echt enttäuscht von euch. Und mit den Anderen muss ich auch mal ein ernstes Wörtchen reden..."

"Nein, brauchst du nicht.", gab Ali kleinlaut bei. "Die Anderen waren eigentlich dagegen, dass ich etwas sage. Das war ganz allein meine Entscheidung. Die haben gemeint, ich soll das ruhig machen, wenn ich unbedingt will. Aber du musst das verstehen, Bro, die Familie ist nun mal das Wichtigste. Und sowas kann dazu führen, dass die Familie entzwei bricht."

"Ach, jetzt sei mal bitte leise. Wenn ich mir so ne Gülle anhören muss, kommt mir gleich das große Kotzen. Wir sind hier in Deutschland, ich habe einen deutschen Pass, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich will so einen Schwachsinn von dir echt nicht hören. Bitte, du kannst gerne zurück in die Türkei gehen. Pack deine Sachen und geh..."

"Was soll ich denn da? Da kenne ich doch gar keinen."

"Aha!" Gökan sah sich im Zimmer um. "Bevor du mir einen Vortrag über Familie und Ehre und Koran hältst, solltest du erst einmal die Bikini – Poster hier von der Wand reißen und verbrennen. Dann kannst du von mir aus irgendwelche Bilder von Frauen mit Kopftuch aufhängen. Und dann reden wir weiter."

"Das ist doch was Anderes!", versuchte sich Ali herauszureden.

"Nein, eben nicht! Du suchst dir auch nur das heraus, was dir in den Kram passt."

"Gökan, ich will echt keinen Streit mit dir. Du gehörst zu meinen besten Freunden. Wir kennen uns doch schon so lange. Mach jetzt bitte keinen Stress."

"Ich will auch keinen Streit, aber Freunde tun so etwas nicht. Du hast mich verraten, verstehst du das denn nicht? Wenn du dich auch nur ein einziges Mal in meine Situation hineinversetzen würdest, vielleicht würdest du mich dann besser verstehen. Mann, Ali! Ich will doch einfach nur glücklich werden. Du kannst das schließlich auch. Ich brauch halt eben dafür einen Mann."

Ali dachte nach. Er schwieg eine Weile. "Ich versteh das echt nicht, so lange ich auch darüber nachdenke. Vielleicht hab ich wirklich falsch gehandelt. Sorry, Bro. Kannst du mir noch mal verzeihen? Ich mach das auch nie wieder. Ich schwöre."

"Na gut." Gökan ging zur Tür, dann drehte er sich nochmal zu seinem Cousin um, der langsam wieder aufatmete. "Das will ich auch echt für dich hoffen. Wenn du nochmal so eine Scheiße mit mir abziehst, dann erzähl ich deinen Eltern von deinen Playboy – Heftchen, den Pornos auf deinem Computer und von deiner Kifferei."

"Nein, mach das nicht!", rief Ali erschrocken, während Gökan zufrieden die Tür hinter sich schloss.

 

Christian & Gökan (5): Dunkle Wolken ziehen auf

 

Die nächsten Wochen waren für Christian fast wie das Paradies auf Erden. Er und Gökan sahen sich relativ oft, soweit es ihrer beide Zeitplan zuließ. Sie unternahmen viel, beispielsweise die klassischen Dinge wie ins Kino gehen (in diesem Fall die Gloria – Filmbühne, welche sich über der unsäglichen Disco befand), Eis essen, mit Camillo und Rambo Gassi gehen oder einfach zusammen durch den Ort schlendern beziehungsweise auf Gökans Mofa zu zweit in den nächstgrößeren Ort fahren und dort flanieren. Der nächstliegende größere Ort war in diesem Fall die Kreisstadt Saarlouis, dessen wirklich schöne Altstadt sie gerne genossen und sofern sie bei Bekannten von Gökan übernachten konnten, auch das eine oder andere Bierchen, denn die Saarlouiser Altstadt besaß eine ziemlich hohe Kneipendichte.

Auch Ümit, Ali, Murat und Orhan gewöhnten sich immer mehr an Christian und es konnten weiterhin gemeinsam wunderbare Abende genossen werden. Auch wenn Christian spürte, dass es immer noch den einen oder anderen Vorbehalt gab, akzeptierten Gökans Freunde nicht nur ihn vollständig sondern auch die Sache zwischen ihm und Gökan in zumindest ausreichendem Maße. Blöde Sprüche zwischendurch waren inzwischen lediglich zum Frotzeln gemeint, und nicht bösartig.

Natürlich hatte Fatima Yildiz inzwischen mit ihrem Mann Deniz Yildiz über Gökan geredet, doch da Deniz sich nicht sicher war, wie er damit umgehen sollte, ignorierte er die Tatsache einfach weiterhin und tat so, als ob er von nichts wüsste oder mitbekommen würde.

Christian genoss diese Datingphase wirklich sehr und er lernte so viel Neues kennen. Nicht nur durch Gökan und seine Freunde über die türkische Kultur, sondern allgemein begann er auch endlich zu leben. Er kam mal raus aus dem Haus, raus aus dem üblichen Trott, raus aus dem Kaff, in dem er wohnte, raus aus dem immer gleichen eingeschränkten und dumm daher brabbelnden Umfeld. Und nach und nach erkämpfte er sich die Freiheiten und erweiterte seine Grenzen, was er schon vor Jahren hätte tun sollen.

Doch eine Sache beschäftigte ihn immer noch. Er und Gökan waren noch nicht offiziell ein Paar, auch wenn es sich für Christian so anfühlte. Wollte Gökan etwa keine Beziehung zu ihm, sondern einfach nur eine schöne Zeit mit ihm verbringen? Und warum hatte er bislang immer noch nicht mit ihm geschlafen, wo er doch wusste, dass Gökan schon lange keine Jungfrau mehr war? Wartete Gökan darauf, dass Christian den ersten Schritt machen sollte? Oder wollte Gökan einfach nicht mit ihm schlafen? War Christian etwa nicht attraktiv und begehrenswert genug?

Diese Gedanken, diese Selbstzweifel und diese Unsicherheit nagten wie eine Made im faulendem Fleisch an seinen Gedanken, während der gesamten Zeit, und dieses Gefühl wurde immer stärker.

Schließlich, eines Tages an einem Wochenende, kamen Gökan und Christian gerade von Ümit zurück und gingen in Gökans Zimmer. Christian hatte inzwischen ein paar Mal bei Gökan geschlafen. Christians Eltern wussten nicht, wo der Junge übernachtete und es passte ihnen überhaupt nicht, doch Christian setzte sich durch, ignorerte die Vorwürfe und zog sein Ding einfach durch. Müde lagen die beiden Jungs zusammen im Bett und Gökan kuschelte sich an Christians dünnen Körper.

"Du, Gökan?", sprach der blonde Mann plötzlich.

"Ja, was gibts?"

"Ich habe da mal eine Frage. Was... Was empfindest du für mich?"

Gökan sagte eine kurze Zeit nichts, so als müsste er stark nachdenken, dann sagte er ernst: "Ich kann es nicht genau beschreiben. Ich habe dich sehr lieb, ich denke, ich bin sehr stark verliebt in dich. Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich einfach wohl, so als ob wir schon immer zusammen gehört hätten, so als hätte ich einfach auf dich gewartet. Es fühlt sich ganz natürlich und selbstverständlich an, dass du bei mir bist und ich bei dir und dass wir immer beieinander sind. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll."

Christian überlegte, wie er es sagen sollte. Er wollte gerne eine richtige Beziehung mit Gökan führen, er wollte mit ihm fest zusammen sein. Sollte er ihn einfach fragen, ob er mit ihm gehen wolle? Oder würde das zu kindisch klingen, dieser Ausdruck? Miteinander gehen. Es war so schwer, den ersten Schritt zu tun. "Gökan, ich glaube, ich verstehe, was du sagen möchtest. Ich bin auch in dich verliebt und du bedeutest mir inzwischen sehr viel. Ich wollte dich fragen... Möchtest du mein fester Freund sein?"

"Ja." Die Antwort erfolgte sofort. "Ja, Chrissie, das möchte ich unbedingt."

"Also, sind wir dann jetzt zusammen, oder wie?" Christian wollte sich ganz sicher sein, nichts falsch verstanden zu haben.

Gökan beugte sich rüber auf seine Seite und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. "Ja, das sind wir. Wir sind jetzt fest zusammen. Du bist mein Freund und ich bin dein Freund. Wir sind nun ein Liebespaar."

Christian lächelte glücklich. Endlich war das geklärt. "Eine Sache verstehe ich aber noch nicht.", sprach er nachdenklich. "Du hattest doch schon oft Sex gehabt... Aber mit mir hast du noch kein einziges Mal geschlafen. Warum ist das so? Möchtest du nicht?"

"Chrissie, ich habe das ganz einfach noch nicht getan, weil du mir so viel bedeutest. Der Sex mit den anderen Jungs war mehr oder weniger bedeutungslos. Einfach nur ein körperlicher Akt. Aber wenn ich mit dir schlafe, dann soll es was Besonderes sein. Weil du für mich etwas Besonderes bist. Und deshalb hast du auch mehr verdient beim ersten Mal, als einfach nur mal so gefickt."

"Ach so..." Christian war mit dieser Erklärung zufrieden. "Und wann... Wann machen wir es?"

"Bald, schon sehr bald." Gökan kitzelte ihn neckisch. "Du kannst es ja gar nicht mehr erwarten, du geiles Sexmonster."

"Hey!" Christian lachte. "Du bist gemein."

Kurz darauf schliefen die beiden eng umschlungen und zufrieden ein.

 

Am nächsten Morgen weckte Gökan Christian sanft mit einem Kuss. Langsam standen die Beiden auf und machten sich im Bad fertig, bevor sie schließlich runter zum Frühstückstisch kamen. Yasemin und Fatima Yildiz saßen bereits dort. Fatima schaute auf und die beiden an. Inzwischen kannte sie Chrsitian vom Sehen flüchtig, hatte aber nichts mit ihm gesprochen.

" Günaydın,Gökan. Guten Morgen, Christian. Na, ausgeschlafen?"

" Günaydın, Anne." Sie setzten sich beide an den Tisch. "Klar, bereit den neuen Tag zu begrüßen." Gökan grinste.

"Das hört man doch gerne."

"Anne,Yasemin. Ich wollte euch noch etwas Wichtiges mitteilen." Die beiden Frauen schauten ihn interessiert an. "Ich wollte euch sagen, dass ich und Christian nun fest zusmamen sind. Wir sind ein Paar."

Klirrend fiel der kleine Löffel Fatima aus der Hand und auf den Rand der Kaffeetasse. Dann schüttelte sie kurz den Kopf, als wäre sie aus einem Traum erwacht. "Äähm, ja, ok. Ist ja nicht so, als hätte ich es nicht kommen sehen. Ich hoffe nur, dass du weißt, was du da machst."

"Ja, das weiß ich ganz genau." Dann zog er Christian zu sich heran und gab ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. "Je eher ihr euch daran gewöhnt, umso besser."

"Also, ich finds ganz cool, wenn er dazu steht.", verteidigte Yasemin ihren Bruder. Die hübsche junge Türkin mit den langen glatten holzbraunen Haaren lächelte offen. Sie war gerade mal zehn Monate älter als Gökan und somit inzwischen achtzehn Jahre alt. Sie verstand sich mit ihrem Bruder sehr gut und besonders in jüngeren Jahren haben sie sehr viel Zeit miteinander verbracht. Inzwischen ging jeder größtenteils seine eigenen Wege, aber die enge Bindung war weiterhin vorhanden. Yasemin hatte schon früher als alle Anderen vermutet, noch bevor Gökan es selbst andeutete, dass er ihre Vorliebe für die Männerwelt teilte. "Außerdem sind sie ein süßes Pärchen. Sie ergänzen sich ganz toll, die Zwei."

Fatima stand auf. "Naja, irgendwie hast du ja auch Recht. Es bringt nichts, wenn wir jetzt unnötig Stress machen. Wir sollten uns mit der Situation arrangieren und das Beste daraus machen. Ändern kann ich es ja doch nicht." Sie ging auf Christian zu und zog ihn zu sich in ihre warmen Arme. "Dann würde ich mal sagen: Willkommen in der Familie, Christian."

"Ähm, danke." Christians Gefühlswelt fuhr gerade Achterbahn. Alles ging so schnell. Und es lief alles so gut. Er konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte das Gefühl, nun endlich angekommen zu sein.

Fatima setzte sich wieder auf ihren Stuhl. "Gut, dann können wir ja jetzt alle in Ruhe weiter frühstücken."

In diesem Augenblick gab es einen sehr lauten Krach. Alle schrieen erschrocken auf, als Glas klirrte und die Porzellanvase auf dem Tisch zerbrach. Jeder brauchte einen längeren Moment um zu realisieren, was überhaupt geschehen war. Christians Blick fiel auf die Fensterscheibe. Diese war zerbrochen. Ein großes Loch klaffte in ihr.

"Oh mein Gott, was war das?", wollte Fatima erschrocken wissen.

Gökan schaute auf den Tisch und die zerbrochene Kanne und suchte hinter dem Tisch etwas. "Jemand hat die Scheibe eingeworfen." Er hob etwas auf. "Und zwar mit diesem großen Stein." In der Hand hielt er etwas Weißes. Es hatte die ungefähre Größe einer geschlossenen Faust. Er eilte zum Fenster, öffnete es und schaute hinaus. "Niemand mehr zu sehen."

"Nicht auszudenken, wenn das jemand an den Kopf bekommen hätte! Wer macht denn so etwas?"

"Vielleicht werden wir es gleich wissen." Gökan wickelte das Papier ab, welches um den Stein gewickelt war. Yasemin, Fatima und Christian drängten sich um ihn. Auf dem Papier stand etwas geschrieben. Es war mit dem PC ausgedruckt worden. In der Antiqua – Schrift stand zu lesen: "Türken raus! Unser Deutschland, unsere Heimat! Deutschland den Deutschen!"

"Ach du scheiße!", schrie Yasemin erschrocken auf. "Das waren irgendwelche Neo – Nazis."

Fatima setzte sich mit blassem Gesicht auf ihren Stuhl. "Was soll das nur? Ich verstehe das nicht. Wir haben doch niemandem etwas getan! Früher gab es mal blöde Sprüche oder doofe Blicke, aber so etwas geht doch echt zu weit. Das hab ich hier noch nicht erlebt."

"Die Rechtsextremen werden wieder mehr und stärker.", erklärte Gökan mit düsterer Stimme. "Das wird jetzt immer schlimmer und schlimmer. Das Auto von Orhans Vater haben sie letzte Woche mit Hakenkreuzen zerkratzt. Ich wollte dir nichts sagen, um dich nicht aufzuregen, aber anscheinend war das kein Einzelfall. Ich glaube, wir können uns auf was gefasst machen."

"Gökan, hör auf, so etwas zu sagen. Das macht mir Angst."

"Wir müssen der Realität ins Gesicht sehen. Es gibt viele Deutsche, die Ausländer hassen. Leute, die selber nichts auf die Reihe bekommen und ihren Selbsthass auf andere projezieren, damit sie diesen ausleben können. Es gibt halt immer Menschen, die einen Sündenbock für ihr eigenes Versagen benötigen."

Fatima schüttelte den Kopf. "Ich kann es einfach nicht nachvollziehen. Mein Vater kam damals nach Deutschland, als Deutschland Arbeiter gebraucht hat. Ich bin hier bereits geboren. Wir haben uns nie etwas zu Schulden kommen lassen. Wir arbeiten und bezahlen unsere Steuern wie jeder Andere auch. Warum können die Menschen nicht einfach friedlich miteinander leben?"

In diesem Augenblick klingelte Gökans Handy. "Hallo, Ümit, was gibts?"

Gökan telefonierte kurz, dann meinte er zu Christian: "Wir müssen mal schnell zu Ümit rüber. Yasemin, bleib du bei Mama."

"Ja, alles klar." Yasemin hielt ihre Mutter tröstlich umschlungen, welche zitterte.

Fünf Minuten später trafen sie Ümit und Orhan, welche vor ihrem Haus auf sie warteten. "Hallo, Gökan und Christian.", begrüßte Ümit sie. "Kommt mal hier um die Ecke und schaut euch das an."

Sie gingen um die Ecke. "Ach du scheiße...", entfuhr es Gökan.

Auf der Hauswand war ein Hakenkreuz gesprüht. Daneben stand: Deutschland über alles! Tod den Türken! Das hier war erst der Anfang!

 

Ümit, Orhan, deren Vater Mehmet Kurt, Gökan, Yasemin, Fatima und Deniz Yildiz sowie Christian waren auf der Polizeiwache von Schmelz und machten ihre Aussagen.

"Also, Herr Kurt.", sprach Polizeihauptkommissar Robert Engstler und schaute dabei herunter auf seine Notizen. "Sie sagen aus, dass letzte Woche bereits der Lack ihres Autos in Form eines Hakenkreuzes beschädigt worden sei. Zu diesem Vorfall liegt mir jedoch keine Anzeige vor. Da drängt sich mir jedoch die Frage auf, warum sie dies nicht ebenfalls schon zur Anzeige gebracht haben?"

Neben dem Polizeihauptkommissar saßen Polizeioberkommissar Manuel Eggs und Polizeikommissarin Andrea Schäfer. Beide hörten ebenfalls genau zu und machten sich Notizen. Sie befanden sich alle in einem unauffällig weißen Zimmer, dessen Wände Akten zierten. Leise summte ein alter Computer, noch mit Röhrenmonitor.

"Herr Engstler, das war so.", erklärte Ümits Vater geduldig. "Ich ging nicht davon aus, dass sich derartige Vorfälle wiederholen würden, deshalb hab ich die Sache mal auf sich beruhen lassen. Aber das was heute geschehen ist, zeigt mir doch, dass der ganze Spuk noch lange nicht zu Ende ist, das haben die sogar selbst an meine Wand gesprayt."

"Können sie mir die Stelle zeigen, wo der Lack ihres Autos beschädigt wurde?"

"Das hab ich schon längst neu lackieren lassen. Aber sie können gerne die Angestellten der Autolackiererei befragen, die werden das bestimmt nicht vergessen haben. Ich habe glaube ich sogar noch..." Er kramte in seiner Hosentasche einen schwarzen Geldbeutel hervor und entnahm daraus eine Karte. "Das ist die Visitenkarte der Autolackiererei." Er reichte die Karte Herrn Engstler, welcher sie desinteressiert betrachtete und dann zur Seite legte. "Wollen sie sich mal mein Haus ansehen? Oder das Fenster von Herrn Yildiz?"

"Meine Kollegen werden sie später begleiten und sich alles genau ansehen. Woher wollen sie wissen, dass diese drei Taten von dem selben Täter stammen?"

"Aber das ist doch wohl ganz offensichtlich! Das kann wohl kaum Zufall sein."

"Na gut." Der Polizist Mitte vierzig mit schütterem Haar seufzte kurz und notierte weiter auf ein Blatt Papier. "Sie erstatten also Anzeige wegen Sachbeschädigung an ihrem Haus und ihrem Auto und wegen Bedrohung. Die Anzeige wegen Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung, die bei ihnen vorliegt, Frau Yildiz, müssen sie seperat anzeigen. Das sind insgesamt dann drei verschiedene Aktenzeichen. Wenn meine Kollegen ihre Aussagen ins Reine geschrieben haben, können sie diese durchlesen und unterschreiben, wenn sie damit einverstanden sind. Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass wir die oder den Täter fassen und es ist einfach nur eine Zeitverschwendung für sie und für uns und eine Verschwendung von Steuermitteln, wenn wir diesen Kinkerlitzchen nachgehen."

Mehmet Kurt stand vor Empörung der Mund offen. "Das ist doch wohl ihre Aufgabe als Polizei, dass sie sich darum kümmern! Also, ich werde diese Anzeige auf jeden Fall erstatten. Und du doch auch, Fatima, oder?"

"Ja, klar." Fatima sah der Polizistin in die Augen, die automatisch bei Fatimas nächsten Worten nickte. "Sie müssen doch auch verstehen, dass ich nicht in ständiger Angst vor irgendwelchen Neo – Nazis leben möchte."

"Nun mal ganz langsam.", unterbrach Herr Engstler. "Noch ist es gar nicht sicher, dass ein rechtsextremer Hintergrund vorhanden ist. Man kann alles hinschreiben, wenn man will. Am Ende stellt sich doch sehr oft raus, dass etwas ganz Anderes dahinter steckt. Wer weiß? Vielleicht kann sie jemand nicht leiden und hat das einfach nur so vorgetäuscht, als würden Deutsche dahinter stecken. Passen sie auf, am Ende waren es noch welche von ihren eigenen Leuten...."

"Das glaube ich wohl nicht! Das ergibt doch keinen Sinn!" Mehmet schnaubte wütend. "Ich will jetzt meine Aussage unterschreiben und dann schleunigst wieder nach Hause gehen. Für heute habe ich echt genug."

 

Zu Hause bei Familie Yildiz saßen Christian, Gökan und Yasemin im Wohnzimmer. Die Eltern waren einen langen Spaziergang machen, um auf andere Gedanken zu kommen.

"Also, dieser Polizist war ja sehr unfreundlich.", meinte Christian zu Gökan gewandt.

Yasemin bestätigte: "Ich hatte den Eindruck, dass der uns gar nicht helfen wollte. Der wollte einfach nur seine Ruhe und fertig. Ein fauler Sack ist das."

"Und ein Arsch dazu.", meinte Gökan. "Ich hab gemerkt, dass der nicht nur keinen Bock hat, uns zu helfen, sondern dass ihm alles ziemlich egal war. Der konnte uns nicht leiden, ich sag es euch. Das ist auch so ausländerfeindlicher Bastard, wie viele andere auch. Nur weil der eine Uniform trägt, ist der noch lange kein besserer Mensch. Dem wär es auch egal, wenn wir alle umgebracht würden."

"Wenigstens die anderen beiden Polizisten waren nett.", meinte Yasemin, während sie sich durch ihre langen Haare fuhr. "Zumindest nachdem dieser Herr Engstler weg war und sie bei uns waren und sich alles genau angeschaut haben. Ich glaube, die nehmen ihre Aufgabe etwas ernster. Wer weiß, vielleicht finden die ja was raus. Schade, dass auf dem Papier und dem Stein keine Fingerabdrücke mehr gefunden werden konnten. War alles verwischt."

"Dabei hatte der Tag doch so schön angefangen...", meinte Christian traurig.

"Ja, stimmt ja. Wir haben noch gar keine Gelegenheit gehabt, zu feiern, dass ihr beiden Süßen jetzt endlich ein richtiges Paar seid. Moment." Yasemin verschwand kurz aus dem Raum und kam mit drei Sektgläsern und einer Flasche Sekt wieder. Vorsichtig schenkte sie ein.

"Auf das neue Liebesglück.", sprach sie einen Toast aus.

Gläser klirrten und die Stimmung heiterte sich wieder etwas auf.

 

Christian & Gökan (6): Christians Liebe

 

An diesem Abend übernachtete Christian erneut bei Gökan. Zuvor informierte er seine Eltern noch per SMS darüber, dass er erst im Laufe des nächsten Tages zurückkommen würde und dass er jetzt sein Handy ausschalten würde, was er schließlich auch tat.

Gökan schmiegte sich wieder an Christian. Sein warmer Körper war sehr angenehm. Beide Jungs waren lediglich mit Shirt und Unterhose bekleidet. Christian legte den Kopf an Gökans Hals und roch an ihm. Es war dieser besondere und inzwischen vertraute Geruch, welchen Christian tief in sich einsog. Der junge Türke hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. Das Zimmer war relativ dunkel und nur das Licht der Straßenlaterne drang von außen durch das Fenster ein, sodass Gökans Augen wunderschön funkelten, als sie das Licht reflektierten, als ob die Sterne sich in seiner Iris widerspiegeln würden.

Gökan küsste sanft seine Lippen, dann fuhr er genüsslich die Form von Christians Mund mit der Zunge nach. Christian nahm dieses Angebot hungrig an und erforschte nun ebenfalls mit seiner Zunge Gökans Mund. Begierig sog er etwas daran. Gökan streichelte an der schmalen Flanke des blonden Jungen entlang nach oben. Kurz und frech biss er auf dessen Lippe und grinste anschließend. Dicht an Christians Körper gedrängt fühlte dieser den harten pulsierenden und sehr steifen Penis des Türken, welcher sich gegen seinen Bauch drückte. Er küsste ihn erneut, diesmal fordernder.

Gökan beugte sich ganz nah an Christians Ohr, sodass dieser seinen heißen Atem auf seiner Ohrmuschel spüren konnte. "Chrissie, ich glaube, heute wird es geschehen, was du nicht mehr erwarten kannst. Aber ich kann es auch nicht mehr erwarten. Du bist so geil, ich möchte dich überall anfassen, dich überall spüren und jede Faser deines Körpers erkunden." Gökan griff Christian zwischen die Beine, ertastete dessen Glied und erfasste es. "Wie ich sehe, hatte ich Recht. Du willst es. Chrissie, lass mich das Instrument deines Körpers spielen."

"Sehr gerne.", stieß Christian stimmlos hervor und keuchte stark.

Schnell und begierig zog Gökan Christians T – Shirt aus. Langsam fuhr er über den schlanken hellen Körper und griff an die zarte Brust. Seine kurzen Finger umspielten Christians Nippel und zwickten kurz daran. Dann drückte er ihn auf den Rücken und biss fest in seinen Hals. Christian stöhnte und bäumte sich vor Lust auf. Gökan biss am kompletten Hals entlang und in die Schulter, während Christians lange Finger durch das schwarze Haar wuschelten und den jungen Türken im Nacken kraulten. Gökan drehte seinen Kopf und leckte über das schlanke Handgelenk des Jungen. Dann zog er sein eigenes Oberteil aus.

Christian sah ihn sich genau an. Gökan war um Einiges kleiner als er selbst, aber sehr viel muskulöser. Seine Brustmuskeln waren gut definiert und wurden bedeckt von einer kurzen Schicht Brustbehaarung. Auch der Bauch war dunkel behaart, aber nicht so extrem. Christian steckte einen Finger in Gökans Bauchnabel, fingerte dort etwas herum, was Gökan kitzelte, und zeichnete schließlich die verstärkte Spur seiner Bauchbehaarung nach, welche in die Schambehaarung mündete. Christians Hand folgte schließlich dem so genannten Pfad zum Glück bis in Gökans Unterhose und fand schließlich was er gesucht hatte. Er umfasste das erigierte Glied und rieb leicht daran. Christian spürte, dass Gökan bereits sehr feucht war, als er über dessen Eichel rieb. Schließlich zog er ihm die komplette Unterhose aus. Gökans Penis war etwas kleiner als sein eigener, aber sichtbar prall gefüllt. Das Glied war relativ stark nach oben gebogen und hellbraun. Irgendwie schien es Chrsitian, dass es einen weiteren Unterschied gab, bis es ihm schließlich wie Schuppen von den Augen fiel: Gökan war selbstverständlich beschnitten. Die komplette Vorhaut fehlte. Christian fand aber, dass dies nicht schlimm war. Gökans Penis gefiel ihm trotzdem oder eventuell auch gerade deswegen sehr gut.

Langsam beugte er sich hinunter und leckte über den strammen Schaft bis zum Ende und umschloss schließlich mit seinen Lippen den Peniskopf. Ein lustvolles Stöhnen bestätigte Christian, dass dies Gökan sehr gut gefiel. Langsam bewegte er seinen Kopf auf und ab und umschloss fast das komplette Glied, während seine Zunge weiterhin eben dieses stimulierte. Mit beiden Händen umschloss er den prall gefüllten Hodensack und massierte die darin befindlichen Hoden.

Gökan fasste mit beiden Händen an Christians Kopf und bewegte seine Hüften auf und ab, so dass er schließlich mit seinem Geschlechtsteil in Christians Mund vor uns zurück rieb. Christian schmeckte erneut salzige Flüssigkeit. Gökan war so richtig feucht geworden. Schließlich zog Gökan sein Teil ganz aus Christians Mund heraus, drückte diesen wieder auf den Rücken und rieb mit beiden Handflächen Christians Penis durch die Unterhose, welcher inzwischen sehr gut zu erkennen war. Auch Christian bemerkte, wie feucht er geworden war, als sich auf der Unterhose ein nasser Fleck in Höhe der Eichel abzeichnete. Schließlich zog der junge Türke die Unterhose seines Sexualpartners komplett herunter und betrachtete den hoch aufgerichteten langen und sehr ansehnlichen Schaft des deutschen Jungen. Fast ehrfurchtsvoll kraulte er durch die helle und kaum sichtbare Schambehaarung.

"Dein Schwanz ist ist echt eine Schönheit.", murmelte er grinsend und leckte und lutschte ihn ausgiebig. Christian griff nach beiden Seiten des Bettes und krallte sich in der Matratze fest, weil er dieses geile Gefühl kaum aushalten konnte, welches der junge Türke in ihm auslöste. Schließlich sah Gökan wieder auf und drehte ohne etwas zu sagen, Christian auf den Bauch. Dort lag er nun ausgestreckte vor dem Türken, welcher seine Hände auf die wohlgeförmten Pobacken klatschen ließ und sie knetete und masseirte. Schließlich zog er sie auseinander, betrachtete Christians Öffnung und versenkte schließlich seine Zunge in dieser. Was nun Gökans Zunge mit Christians Anus anstellte, darauf war er in keinster Weise vorbereitet. Erneut musste er sich an der Matratze festhalten und bewegte sich lustvoll hin und her, sodass sein Glied über die Matratze rieb und dadurch noch mehr stimuliert und erregt wurde.

Anschließend schob Gökan erst einen, dann zwei und schließlich drei Finger in Christian hinein und dehnte so nach und nach langsam sein Loch. Gökan griff an seinen Nachtschrank, nahm dort ein Kondom heraus, zog es über sein hartes Glied und befeuchtete mit einem Gleitgel zuerst seinen Penis, dann Christians Anus. Der Türke griff an Christians Hüfte und bevor dieser wusste, wie ihm geschah, schob Gökan Stück für Stück seinen Schwanz in die Öffnung des jungen Mannes. Es war ein sehr ungewohntes Gefühl für Christian, aber irgendwie auch toll. Er genoss es, dass Gökan nun in ihm war, auch wenn es für den Anfang schon ziemlich schmerzte.

"Geht es für dich?", fragte Gökan leise.

"Mach nur weiter.", antwortete Christian, kniff die Augen zu und krallte sich am Kopfkissen fest.

"Alles klar. Wenn es für dich in Ordung ist."

Christian stöhnte lediglich und Gökan bewegte nun sein hartes Geschlechtsorgan vor und zurück. Seine Finger krallten sich in Christians Flanke und hinterließen rote Striemen. Christian reckte seinen Hintern weiter nach oben. Gökans rechte Hand suchte und fand schließlich Christians Glied und bearbeitete dieses Körperteil gleichzeitig, während er ihn weiterhin von hinten hart ran nahm. Nach einiger Zeit griff Gökans linke Hand von Hinten nach Christians Brust und zog seinen Freund letztendlich nach oben. Nun konnte er ihn wieder in den Hals beißen und stark daran saugen. Christian stöhnte erneut und drückte Gökan näher an sich heran, indem er dessen Seite umfasste und sich fest krallte.

Gökan zog sein Glied wieder aus Christians Öffnung heraus und legte diesen wieder auf den Rücken. Schnell steckte er seinen Penis wieder in ihn rein. Er beugte sich weiter nach vorne und küsste den blonden Jungen begierig. Christian schlang seine Beine um Gökans Hüften und die Arme um seinen Hals und kratzte schließlich über den kompletten Rücken des Türken. Dies würde rote Streifen hinterlassen.

"Du bist ja auch ein ganz Wilder.", stieß Gökan atemlos hervor. "Wusste doch, dass wir sehr gut zusammen passen."

Christian schaute Gökan an und war glücklich, dass er Recht gehabt hatte. Dann sprach er zu dessen Überraschung: "Schlag mich."

"Was?" Gökan war sehr überrascht.

"Schlag mich. Ohrfeige mich."

Das ließ Gökan sich nicht ein drittes Mal sagen. Während er weiter in seinen Freund ein und aus drang, schlug er ihm erst leicht, schließlich immer fester auf die Wange. Dazwischen küsste und biss er ihn am ganzen Körper. Auch Christian biss ihn nun in den Hals und an anderen Stellen und kratzte weiterhin über seinen Rücken und seinen Nacken. Sie beide wurden immer schneller und schneller und es wurde insgesamt härter. Gökan drückte Christian an den Schultern hart auf die Matratze, hielt ihn fest, verkrampfte seine Hände in dessen Fleisch und stieß härter und schneller zu. Christian knetete gleichzeitig Gökans Brust und bewegte seine Hüfte ebenfalls, während er stöhnte. Schließlich war es soweit und Gökans Atem, welcher nun stoßweise und sehr schnell ging, verlor sich in einem heiseren Keuchen. Gökan war gekommen. Er zog sein Glied heraus, streifte das Kondom ab, welches mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt war und warf es unachtsam auf den Boden. Erschöpft rollte er sich auf den Rücken und atmete befreit, während er seine Arme zu den beiden Seiten fallen ließ.

Christian setzte sich auf ihn drauf und drückte dem jungen Türken seinen Hodensack ins Gesicht. Dann bewegte er sich auf Gökan vor und zurück, während er gleichzeitig sich mit der linken Hand abstützte und mit der rechten Hand masturbierte. Gökan leckte über Hodensack, Anus und die Stelle dazwischen während er mit beiden Händen Christians Pobacken fest knetete.

Es dauerte nur eine kurze Zeit, bis Christian sein Tempo erhöhte und schließlich spritzte das Sperma in hohem Bogen bis an die Wand auf ein Eminem – Poster, genau in dessen Gesicht. "Sorry.", keuchte der blonde Junge, während er langsam wieder zu Atem kam. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell in seiner Brust.

"Kein Problem." Gökan zog ihn zu sich herunter und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Dann zog er die Decke über sich und Christian, welcher sich an seinen nackten Körper kuschelte. "Das war geil gewesen, so richtig geil."

"Ja, das fand ich auch. Es war einfach... Unvergleichlich." Christian fühlte sich bei seinem Freund in den Armen geborgen. Er konnte alles mit ihm ausleben, was er wollte und hatte keine Angst, etwas auszuprobieren, das wusste er nun.

"Ich glaube, wir beide werden noch sehr viel Spaß miteinander haben.", sprach Gökan und kurz darauf schliefen die beiden Jungs zufrieden ein.

 

"Ich glaube, ich liebe dich." Zaghaft kamen diese Worte über Christians Lippen. Es fühlte sich so wunderschön an, diese Worte ernsthaft zu jemandem zu sagen, auch wenn Christian sich nicht sicher wahr, ob es tatsächlich bereits Liebe war. Liebe. Was war der Unterschied zwischen Verliebt sein und zwischen richtiger Liebe? Er wusste es nicht, doch selbst wenn er diese Grenze noch nicht vollkommen passiert haben sollte, war er sich sicher, zumindest dabei zu sein, sie zu überqueren. "Ich habe keine Ahnung, ob es wirklich Liebe ist, aber es fühlt sich auf jeden Fall verdammt gut an. Doch, ich glaube wirklich, dass ich dich liebe."

Gökan lächelte und betrachtete den blonden Jungen zärtlich. "Ich habe auch keine Ahnung, doch ich weiß, dass du ein sehr wichtiger Teil meines Lebens geworden bist und dass ich mir gar nicht mehr ein Leben ohne dich vorstellen kann. Ob das Liebe ist, kann ich dir auch nicht sagen, aber ich weiß, dass ich für immer mit dir zusammen sein möchte. Zumindest fühle ich in diesem Moment so."

Langsam beugte sich der junge Türke zu seinem Freund hinüber und die Lippen der beiden Jungs berührten sich so leicht wie ein Flügelschlag eines Schmetterlings im beginnenden Frühling.

Tatsächlich war nun aber bereits ein wunderbar goldener Spätsommer, manche würden behaupten, der Herbst habe schon lange begonnen. Es war zwei Wochen nach Christians erstem Mal und inzwischen waren so einige weitere Male dazu gekommen.

Das Pärchen saß auf einer Bank im so genannten Rosengarten. Dieser poetisch klingende Name war allerdings nur die Bezeichnung für einen schnöden Parkplatz, welcher zumindest einige Pflanzen besaß und an einer sehr beliebten Eisdiele grenzte, in welcher die Zwei schon einige Male das gute italienische Eis genossen hatten. Trotz der späten Stunde war es noch ziemlich warm. Die Sonne war gerade untergegangen und der malerisch rötliche Himmel wich der aufkommenden Dunkelheit einer lauwarmen Spätsommernacht.

Christian griff nach Gökans Hand und so saßen sie noch eine Weile still, ohne dass das Schweigen unangenehm geworden wäre, Hand in Hand und spürten die gegenseitige Wärme, welche von der jeweils anderen Person ausging. Sie waren verbunden und fühlten sich als Teil eines Ganzen.

Gerade jetzt bin ich froh, dich bei mir zu wissen.", sprach Gökan und sah nachdenklich in die endende Dämmerung. In der letzten Woche erhielten viele türkische und andere ausländische Familien Drohbriefe, in denen diese aufs Schlimmste beschimpft und mit Gewalt bedroht wurden. Selbstverständlich wurden diese Vorkommnisse wieder bei der Polizei zur Anzeige gebracht, aber Gökan hatte nicht den Eindruck, dass diese sich besonders darum kümmern würden oder dass überhaupt etwas in Richtung Ermittlungen geschehen würde. Er drückte Christians Hand fester und dieser erwiderte die vertraute Geste.

Ein schlurfendes Geräusch, als ob jemand seinen Fuß beim Gehen über die Straße nicht richtig anheben würde, lenkte Gökans Aufmerksamkeit auf sich. Er wand den Kopf zur Seite und erblickte die Schemen von drei Menschen. Diese standen erst einfach nur da, dann kamen sie langsam näher. Das schwache Licht der inzwischen angegangenen Laternen erhellte die Gesichter der drei sehr jungen Männer.

"Na, du dreckiger Türke?", sprach der Mittlere der drei Personen. "Du wagst es tatsächlich noch, dich um diese Uhrzeit auf den Straßen herum zu treiben. Suchst dir wohl ein wehrloses Opfer aus, dass du ohne allzugroße Anstrengung überfallen, abstechen und ausrauben kannst. Hehe."

Gökan stand schnell auf. "Was wollt ihr? Lasst uns in Ruhe. Wir haben euch nichts getan und können uns hier genauso aufhalten, wie jeder andere auch."

"Nichts getan? Liegst dem deutschen Staat auf der Tasche und bringst die Kriminalität in unser Land, in unseren schönen Ort."

"Ich arbeite ganz normal wie jeder andere auch und mache eine Ausbildung. Komm, Christian." Der blonde Junge erhob sich ebenfalls und schaute verunsichert die drei Männer an. Er hatte sie schon öfters irgendwo gesehen, so wie man fast jeden Mal gesehen hatte, wenn man in so einem kleinen Ort aufwuchs. Sie waren ihm nie sympathisch gewesen. Einer von ihnen war dick und hatte kurze unauffällige braune Haare, dazu ein pickeliges Gesicht und tief im Schädel liegende und unangenehm blickende Schweinsaugen. Der rechte junge Mann hatte kurzes dunkelblondes Haar und einen ziemlich schlacksigen Körperbau, dazu trug er eine Brille, welche ihm das Aussehen eines Nerds verlieh, aber nicht die coole sympathische Art, sondern die unangenehme Art, mit welcher man nicht gerne zu tun hat. Der Wortführer, welcher in der Mitte stand, schien wohl das Sagen zu haben. Seine rasierte Glatze gab dem sowieso schon kantigen Gesicht eine noch härtere Note. Seine Jacke verdeckte seine Armmuskeln, welche Christian schon mal bei ihm gesehen hatte. Seine Augen reflektierten das Licht auf eine Weise, die ihn krank erscheinen ließen.

"Auch noch den braven deutschen Bürgern die sowieso schon viel zu knappen Ausbildungsplätze wegnehmen? Ja, das haben wir gern!"

"Jeder hat die gleichen Chancen, und außerdem bin ich Deutscher!", rief Gökan wütend aus.

Der Anführer wandte sich zu seinen Kameraden um. "Jetzt will der dreckige Kanacke auch noch Deutscher sein! Dass ich nicht lache! Sieht doch jedes Kind, dass das ein dreckiger Türke ist."

Christian schaute zu Gökan, welcher vor Wut zitterte. Aber auch Christian zitterte, jedoch vor Angst. Was wollten diese Leute denn nur von ihnen? Gökan ging nach rechts und Christian folgte ihm, doch plötzlich liefen die drei jungen Männer los und versperrten ihnen den Weg.

"Na, wo wollt ihr denn auf einmal so plötzlich hin?"

Gökan ignorierte ihn und wollte an ihm vorbei, doch ohne Vorwarnung traf ihn die Faust des Anführers in die Magengegend. Mit einem Schmerzensschrei sank er auf die Knie.

"Gökan!" Christian eilte an seine Seite.

Der Anführer verzog angewidert das Gesicht. "Und was soll das bitteschön sein? Ein Deutscher und ein Türke? Das ist eine Schande, jawohl. Eine Rassenschande ist das. Verrat am eigenen Volk. Das ist der Feind. Der Türke ist der Feind, der dieses Land infiltriert und verfremdet. Mir wird ganz schlecht, wenn ich euch zwei da so sehe."

Gökan sprang auf, griff Christians Handgelenk, zog ihn mit sich und lief los.

Der Anführer brauchte nur eine Sekunde, um die Situation zu überblicken. "Halt! Stehen bleiben!" Er lief ihnen hinterher, seine beiden Kumpanen folgten ihm. Schon an der nächsten Ecke saßen Christian und Gökan in der Falle. Der Glatzkopf sprintete auf sie zu und schlug die Faust in Gökans Gesicht. Gökan hielt die Faust fest und biss so fest er konnte ins Handgelenk. Der junge Mann schrie auf. "Der Dreckstürke hat mich gebissen! Das verdammte Moslemschwein!"

Der Dicke und der Schlacksige waren inzwischen auch da. "Jetzt machen wir sie fertig.", sprach der übergewichtige pickelige Junge und ballte grinsend die Fäuste. Die Beiden liefen auf sie zu. Gökan rammte dem Anführer seinen Ellenbogen in die Magengrube, woraufhin dieser ihn in den Schwitzkasten nahm. Der Türke keuchte nach Luft ringend. Christian schlug daraufhin mit der Faust so fest er konnte in das Gesicht des Anführers. Der bebrillte Junge trat nach ihm und traf den Rücken im Bereich der Lendenwirbelsäule. Den Schmerz ignorierend warf sich Christian auf ihn und schlug ihm mehrmals ins Gesicht, bevor der dicke junge Mann kam und ihn so hart ohrfeigte, dass der blonde Junge zu Boden ging. Gökan hatte sich inzwischen mit Müh und Not befreit und schmiss sich mit dem gesamten Gewicht gegen den stark adipösen Mann, dass dieser das Gleichgewicht verlor und ebenfalls zu Boden fiel. Gökan trat ihm im Aufstehen ins Gesicht und eilte zu Christian, um ihm aufzuhelfen. Der Anführer trat mit seinen Füßen, welche von Stahlkappenschuhen bekleidet waren ins Gesicht des Türken. Es knackte verdächtig. Gökan schaute auf, Blut lief aus seinen Nasenlöchern. Christian befürchtete, dass die Nase gebrochen war. Schnell schlug er dem schlacksigen Mann gegen den Kopf und wollte los rennen, als ihn der dicke Mann an den Beinen festhielt und Christian erneut auf den Boden stürzte. Seine Handflächen waren von der rauhen Straße bereits aufgeschürft. Der Anführer kam und trat Gökan in den Bauch. Christian wusste gar nicht mehr, was sie noch tun konnten.

Plötzlich bemerkte Christian weitere Personen, welche auf sie zugerannt kamen. Etwa noch mehr von der Sorte? Doch Christians Sorge war unbegründet. Diese fünf jungen Menschen griffen ihre Peiniger an. Nun ging alles ziemlich schnell. Die neu angekommene Gruppe war es wohl gewohnt, auszuteilen, und so bekam das Trio einen Schlag nach dem Anderen ab, sodass diese sich schnell zum Rückzug entschlossen und so schnell liefen, wie sie nur konnten. Die neue Gruppe dachte nicht an Verfolgung, sondern kam auf Christian und Gökan zu.

"Alles in Ordung, ihr Beiden?", fragte ein Junge mit mandelbraunen Haaren, welche ihm leicht ins Gesicht fielen.

"Nicht wirklich."; sprach Christian. "Mir tut alles weh und ich blute. Und meinem Freund hier geht es auch nicht viel besser."

"Ich glaube, meine Nase ist gebrochen.", sprach Gökan und hielt sich das gute Stück, welches sich bereits leicht verfärbte. "Ich glaube, ich muss ins Krankenhaus. Ich ruf meinen Vater an, der kann mich nach Lebach ins Krankenhaus fahren."

"Besser wäre es.", bekräftigte ihn der braunhaarige Junge mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

"Danke, dass ihr uns geholfen habt.", sagte Christian und schaute ihn interessiert an. "Wer seid ihr eigentlich?"

"Mein Name ist Daniel. Das da sind Rapha, Spider, Mirko und Carlo. Wir waren nur zufällig hier, weil wir Rapha besucht haben, der hier wohnt. Wir kommen eigentlich aus Trier."

Christian schaute sich die Anderen an, von denen bis auf Rapha und Daniel alle wie typische Punks aussahen. "Seid ihr Punker?"

"Ein Paar von uns. Wir gehören der Antifa an. Wir sind eine ziemlich neue Antifa, die sich in Trier formiert hat."

"Das hab ich immer nur mal gehört. Was ist das?"

"Naja, grob gesagt, Antifa bedeutet antifaschistische Aktion. Wir sind also quasi gegen Faschisten. Nazis und so. Wie die drei Neo – Nazis eben zum Beispiel. Jede Antifa ist eine autonome Gruppe, also wir haben jetzt nicht irgendeinen Boss von Deutschland oder was weiß ich, jeder ist für sich selbst verantwortlich, deshalb gibt es auch so große Unterschiede. Deshalb haben wir jetzt eine neue Antifa – Gruppierung gegründet und uns nicht einfach der bestehenden von Trier angeschlossen. Ja, wir wollen halt verhindern, dass der Faschismus weiter um sich greift und sind für die Gleichbehandlung aller Menschen, also verschiedene Ethnien, Sexualitäten, Religionen und so weiter. Dass niemand deswegen diskriminiert wird. Deshalb wollen wir aufklären und gegen Faschismus kämpfen. Wir machen so Veranstaltungen oder Demos oder Gegendemos. Also wenn wieder irgendsoein Aufmarsch von den Rechten ist, dann gehen wir dahin und versuchen das zu verhindern oder zumindest zu behindern, weil Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Ach, jetzt laber ich hier und laber, und dein Freund braucht erstmal ärztliche Versorgung. Ich kann euch gerne mal bei Gelegenheit näher erklären, was wir so machen. Kommt uns einfach mal in Trier besuchen. Rapha hier wohnt ja in diesem Ort, wie gesagt, über den könnt ihr euch ja informieren und der kann euch dann mal mitbringen, wenn ihr wollt. Hab sowieso gehört, dass hier immer mehr Probleme mit den Rechten auftauchen in letzter Zeit. Wir helfen euch gerne, etwas dagegen zu unternehmen."

"Ja, vielleicht machen wir das mal." Christian sah zu Gökan, der mit halben Ohr zugehört hatte, weil er gleichzeitig mit dem Handy seinen Vater angerufen hatte.

"Mein Papa ist gleich da.", sprach Gökan zu seinem Partner gewandt. "Willst du mitkommen ins Krankenhaus?"

"Auf jeden Fall. Ich lass dich nicht allein. Außerdem will ich wissen, was jetzt los ist."

"Okay, alles klar."

Christian und Gökan unterhielten sich noch eine Weile mit Daniel, Rapha und den anderen Antifa – Mitgliedern und tauschten diverse Kontaktdaten aus, bis nach wenigen Minuten Deniz Yildiz kam, um seinen Sohn ins Krankenhaus zu fahren.

 

Christian & Gökan (7): Freund und Feind

 

"Aua!" Gökan kniff die Augen schmerzverzerrt zusammen.

"Ja, die Nase ist tatsächlich leider gebrochen.", sprach der Arzt, welcher in der Klinik Notdienst hatte mit einem entschuldigenden Blick. "Aber wie ich das sehe, wird sie ohne größere Probleme wieder zusammen wachsen. Eine Operation wird wohl nicht nötig sein, sie sollten sie nur weiterhin kühlen und gut darauf aufpassen. Zur Sicherheit sollten sie jedoch noch einen Hals -, Nasen -, Ohren – Arzt drauf schauen lassen. Ich bin schließlich kein HNO – Experte. Ich schreibe ihnen eine Überweisung und gebe die Adresse des nächsten Spezialisten."

"Vielen Dank, Herr Doktor.", sprach Deniz Yildiz ernst und nahm kurz darauf die versprochenen Papiere entgegen.

Kurz darauf wieder zurück im Auto saßen Deniz, Gökan und Christian in der Dunkelheit. Gökans Vater ließ den Motor aus. "Dass es so weit gekommen ist, habe ich immer befürchtet und hatte große Angst davor." Deniz atmete einmal tief durch. "Dann geht es morgen, zumindest nach dem Arzttermin, schon wieder zur Polizei. Ich weiß auch nicht, was ich da noch machen soll. Ich weiß mir echt keinen Rat mehr. Es ist gefährlich geworden, hier zu leben."

"Wir gehen morgen alleine zur Polizei, Papa.", sprach Gökan ruhig. "Du brauchst da nicht mit. Und was wir machen sollen, weiß ich leider auch nicht. Noch nicht. Aber das uns weiterhin gefallen lassen, das werden wir nicht. Ich werde mir etwas einfallen lassen."

"Mach nur keine Dummheiten, Junge..."

 

Gökan kannte die drei jungen Männer, welche sie angegriffen hatten. Zumindest wusste er wie sie hießen, sie waren früher mal, so wie er, auf der erweiterten Realschule in Schmelz gewesen. Nach einer kurzen Rücksprache mit Ümit und Orhan, welchen er das Geschehene erzählte, war er sich nach Beschreibung der Jungs sicher, die richtigen Namen zur Hand zu haben. Es würde also keine Anzeige gegen unbekannt sein.

Schließlich befanden sich Gökan und Christian im inzwischen altbekannten Polizeirevier, um ihre Aussagen zu machen. Es wirkte immer noch genauso trostlos wie zuvor.

"Soso.", sprach Robert Engstler gedehnt und schaute dabei auf seine Notizen. "Ihr behauptet also, dass ihr beide gestern abend von Peter Dickmann, Markus Eggert und Michael Ochs angegriffen wurdet und wollt sie anzeigen. Zu dumm nur, dass diese drei schon vor zwei Stunden hier auf dem Revier waren und euch angezeigt haben."

"Was?", fuhr Gökan wütend hoch und riss dabei die Augen ungläubig auf. "Das ist ja wohl ein Witz. Diese drei Drecksnazis haben uns einfach angegriffen und geschlagen. Die lügen!"

"Mit solcherlei Aussagen wäre ich an ihrer Stelle etwas vorsichtig, sonst kann da ganz schnell eine Verleumdungsklage ins Haus geflattert kommen. Aber zurück zum nun vorliegenden Fall. Herr Dickmann hat ausgesagt, dass er mit seinen beiden Freunden auf dem Nachhauseweg war und sie gingen aus diesem Grunde am Parkplatz Rosengarten vorbei, als sie plötzlich ohne Vorwarnung und vorherige Ereignisse von Gökan Yildiz, Christian Fischer sowie fünf weiteren Personen angegriffen wurden, von denen einige als Punks zu erkennen gewesen waren. Von diesen Personen erkannten sie den ebenfalls in Schmelz ansässigen Raphael Altmann. Hm, sieben gegen drei klingt nicht besonders fair."

"Das ist alles erstunken und erlogen.", sprach nun auch Christian zornig. "Wir haben doch bereits zu Protokoll gegeben, dass diese Leute uns zufällig zu Hilfe kamen. Wer weiß, wie wir sonst heute aussehen würden."

"An eurer Stelle würde ich die Anzeige zurückziehen. Herr Dickmann und seine Freunde wären in diesem Fall ebenfalls bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen."

"Auf keinen Fall." Christians Kopf wurde etwas röter als gewöhnlich. "Das ist einfach ungerecht. Die lügen sich einfach was zurecht und wollen damit ihrer Strafe entkommen."

"Wie ihr wollt. Ich glaube jedoch kaum, dass ihr Aussicht auf Erfolg habt. Und ihr verschwendet meine Zeit."

In aller Seelenruhe nahm der Polizist die Anzeige auf und protokollierte alles, was sich zeitlich sehr hinzog.

 

"Was meinst du?" Christian lag in Gökans Armen auf dem großen braunen einladenden Sofa im Wohnzimmer der Familie Yildiz und streichelte sanft die schwarzen Härchen auf Gökans Unterarm. "Ob Peter, Markus und Michael ebenfalls hinter den anderen Vorfällen stecken?"

"Sehr gut möglich. Ich glaube nicht, dass das alles ein Zufall ist. Die stecken da bestimmt auch mit drin. Dieses braune Pack... Irgendwas muss ich unternehmen gegen diese Bastarde."

Den letzten Satz bekam Fatima Yildiz mit, welche gerade ins Zimmer kam, um den beiden Jungs Kaffee zu bringen. Behutsam stellte sie die zwei Tassen auf den hölzernen Tisch und setzte sich auf den daneben stehenden Sessel. "Gökan, mein Junge, versprich mir bitte, dass du nichts Unüberlegtes tust. Wir leben hier alle schon so viele Jahre. Wenn du Gewalt mit Gewalt beantwortest, machst du alles nur noch viel schlimmer und die Situation wird eskalieren."

Der junge Türke sah mit ernstem Blick zu Boden. "Das kann ich dir nicht versprechen, Anne. Wenn wir uns nicht wehren und uns alles gefallen lassen, werden diese Leute niemals aufhören. Die können nicht alles mit uns machen. Ich werde mir das nicht mehr länger gefallen lassen. Es muss endlich aufhören." Er ballte unbewusst die rechte Faust, was nur Christian mitbekam.

"Aber nicht auf die Art, die dir vorschwebt. Es gibt hier in Deutschland Gesetze. Und diese Gesetze helfen uns."

"Die helfen gar nichts, hast du doch jetzt mitbekommen. Wenn wir uns nicht selber helfen, dann wird uns niemand helfen."

"Ach, Gökan..."

"Anne, es ist aber leider so. Ich will nicht, dass dir oder sonst jemandem aus meiner Familie oder von meinen Freunden etwas passiert. Diesen Nazis muss man Paroli bieten."

"Gökan, Gökan, hör mir zu! Du musst mir versprechen, keine Dummheiten zu machen. Versprich es mir, ich flehe dich an!"

Gökan konnte den Ausdruck in den Augen seiner Mutter nicht mehr ertragen. Schnell stand er auf und zog Christian mit sich. "Ich muss noch mal weg." Kurz darauf hatte er das Zimmer verlassen, ohne sich noch einmal umzublicken.

 

Christian kam nach Hause. Während er die Wohnungstür aufschloss, kreisten seine Gedanken ratternd im Kopf herum. Gökan konnte sehr impulsiv und aufbrausend werden, doch Christian konnte dies verstehen. In vielen Situationen ging es ihm nicht anders. Und besonders nach den ganzen Vorfällen der letzten Tage und Wochen, wäre es kein Wunder, wenn bald mal der Geduldsfaden reißen würde. Doch welche Handlungsweise nun die Klügste und Beste sein würde, konnte Christian nicht sagen.

Der blonde Junge trat in die Küche, nahm einen Teller aus dem Schrank und das Brot aus dem Brotkasten. Er war hungrig geworden, denn irgendwie hatte er den ganzen Tag noch nicht daran gedacht, etwas richtiges zu Essen. Gerade schnitt er zwei extra dicke Scheiben Brot mit der elektrischen Brotschneidemaschine ab und trank einen Schluck Orangensaft, welchen er sich zuvor hastig ausgeschenkt hatte, als ihm vor Schreck fast das Herz stehen blieb. Zumindest fühlte es sich in seiner Brust so an. Schnell knallte er das Glas auf den Küchentisch, sodass Saft überschwappte und auf die Decke spritzte und hustete kurz, da er sich verschluckt hatte, während er mit weit aufgerissenen Augen zum Übergang vom Esszimmer zur Kücke starrte. Er wusste erst gar nicht, was er sagen oder machen sollte, oder ob es sich um einen Traum oder schlechten Scherz handelte. Direkt im Bogen, der den Übergang zur Küche darstellte, stand Peter Dickmann. Er strich sich mit einem bedrohlichen Grinsen, den Blick starr auf Christian gerichtet, über seine gespannten Armuskeln. In seinem Gesicht neben den Augen und auf seiner Glatze waren Schrammen und Prellungen zu sehen.

Reflexartig, wie in Trance, während sich vor seinen Augen die Welt zu drehen begann, griff Christian nach der nächsten Schublade, zog sie mit einem Knall bis zum Anschlag auf, und griff nach dem am nächsten liegenden Messer, welches er herauszog und in Abwehrhaltung vor sich hielt.

In diesem Augenblick kam Lilli dazu. Sie sah ihren Bruder nur kurz mit einem überheblichen Blick an, dann lachte sie einmal kurz und schrill auf, bevor sie sagte: "Was soll das denn bitteschön werden, wenns fertig ist? Du brauchst wohl dringend eine Therapie oder Einweisung. Hör auf, Leute zu bedrohen, die in unserem Haus zu Gast sind."

"Zu Gast? Lilli, das ist ein verdammter Neo – Nazi! Der hat mit seiner rechtsextremen Bagage mich und Gökan gestern zusammen geschlagen! Und jetzt ist er gekommen, um mich endgültig kalt zu machen." Christian atmete schwer.

"Ach, so ein Blödsinn. Peter ist mein fester Freund. Wir sind zusammen, deshalb ist er hier. Das hat mit dir nichts zu tun, du bist nicht der Mittelpunkt der Welt. Und deine komische Schläger – Geschichte kenne ich bereits, allerdings ist mir eine etwas andere Version bekannt. Nämlich dass du und deine asozialen Kanacken – Freunde, die nicht wissen, wo hier in Deutschland ihr Platz ist, Peter und seine Freunde grundlos angegriffen haben. Peter hat sich nur verteidigt, und das, obwohl ihr in der Überzahl wart."

"Du blöde Kuh!", schrie Christian nun. "Bist du wirklich so bescheuert, oder willst du es einfach nicht verstehen? Das sind verdammte Drecks – Nazis! Die sind gefährlich und gewalttätig. Und wir wurden angegriffen und wir waren zuerst in der Unterzahl, bis Gott sei Dank Hilfe kam."

Peter machte zwei bedrohliche Schritte in die Küche rein. "Du kleiner Hosenscheißer, was denkst du, wer du bist? Mach ja noch mal dein Maul auf mit deinen Lügen, dann kriegst du sie, aber so richtig."

Lilli streckte einen Arm nach Peter aus und hielt ihn auf diese Weise sanft zurück. "Mach dir an dem Balg nicht die Hände schmutzig, Schatz. Der kleine Pisser ist es nicht wert."

Peter stoppte, doch Christian schlug zornentbrannt mit der Faust auf den Tisch, sodass das darauf stehende Geschirr klirrte und ein Glas umfiel. "Du dreckige Fotze! Sag das noch einmal!"

"Wie hast du meine Freundin gerade genannt?" Peter sprang mit starr aufgerissenen Augen nach vorne. Christian umklammerte das Messer fester.

"Was soll der Affenzirkus hier schon wieder? Könnte ihr euch nicht mal wie normale Kinder vertragen?" Plötzlich stand Christians Mutter im Raum und hatte die Stirn in zornige Falten gelegt. Christian und Peter bewegten sich keinen Schritt. Frau Fischer starrte ihren Sohn an. "Christian, um Himmels Willen! Leg sofort das Messer weg! Was ist bei dir nur verkehrt gelaufen?"

"Äh, hallo? Dieser Arsch dort...", dabei fuchtelte er mit der Messerspitze in Richtung Peters. "... ist ein Neo – Nazi. Und so etwas lässt du ins Haus? Na vielen Dank aber auch! Warum nicht gleich Hitler oder Göbbels persönlich?"

Frau Fischer schüttelte langsam den Kopf und atmete einmal tief durch. "Christian, deine ständigen Nazi – Vergleiche, wenn dir etwas nicht passt, nerven mich. Und nur weil jemand eine andere Meinung hat als du, ist er noch lange kein Neo – Nazi, das musst du endlich mal in deinen Dickschädel reinbekommen. Jetzt lass ihm doch seine Meinung. Du hast deine und er hat seine, Schluss. Außerdem ist er der Freund deiner Schwester, also solltest du ihn akzeptieren. Mir passen deine komischen Türken – Freunde, mit denen du dich in letzter Zeit rumtreibst, auch nicht. Da hab ich viel mehr Grund, mir Sorgen zu machen. Ich seh dich jetzt schon, wie du auf der schiefen Bahn landest, aber was soll ich da machen? Du hörst ja nicht mehr auf mich, wenn was sage."

Christian knallte wütend das Messer auf den Tisch. "Mutter, du verstehst das einfach nicht. Das ist wirklich ein Neo – Nazi. Er hat mich und meine Freunde gestern zusammengeschlagen. Er..."

"Ruhe jetzt, davon will ich jetzt nichts mehr hören. Eure Rangeleien macht ihr bitte unter euch aus. Und bitte nicht unter meinem Dach. Ich möchte meine Ruhe haben. Ich habe so schon genug zu tun mit dem ganzen Haushalt jeden Tag. Da kann ich diese ewigen Streitereien nicht auch noch ertragen."

Christian ging strammen Schrittes an Mutter, Schwester und Peter vorbei. Dann lief er die Treppe hoch, öffnete einen kleinen Schrank, kramte einen normalen Türschlüssel hervor und ging in sein Zimmer. Er knallte die Tür so laut zu, wie er konnte. Er suchte seine kompletten Schulsachen zusammen und stopfte sie so gut es ging in seinen Ranzen. Dann verließ er sein Zimmer, knallte die Tür erneut zu, sperrte sie mit dem Schlüssel ab, den er aus dem Schränkchen genommen hatte und befestigte diesen an seinem Schlüsselbund.

"Sag mal, spinnst du jetzt komplett?", rief seine Mutter durch das ganze Haus. "Du machst noch die ganzen Türen kaputt! Wart nur, bis dein Vater heimkommt, der wird dir was Anderes erzählen. Was machst du denn überhaupt? In unserem Haus werden keine Türen abgeschlossen, ist das klar?"

Kurz vor der Haustür drehte Christian sich noch einmal um. "Ich werde dieses Haus bis auf Weiteres nicht mehr betreten, da ich hier nicht mehr meines Lebens sicher bin. Wenn ihr mich erreichen wollt, ihr habt ja meine Handynummer."

"Sag mal, jetzt drehst du ja völlig ab..." Frau Fischer blieb der Mund offen stehen.

Die Antwort war lediglich das Knallen der Haustür.

 

"Danke, dass ich bei euch bleiben kann." Christian knallte den Ranzen neben Gökans Bett, atmete einmal tief aus und küsste den jungen Türken auf den Mund.

"Ähm, ja, kein Problem. Aber hab ich das jetzt richtig verstanden? Dieser Peter Dickmann ist jetzt mit deiner Schwester zusammen und kann demzufolge in deinem Haus ein- und ausgehen, wie er möchte?" Gökan schien verwirrt.

"Genauso ist es." Der blonde Junge setzte sich erst einmal auf Gökans Bett. "Der wusste ganz genau, dass Lilli meine Schwester ist, da kann mir keiner was erzählen. Allerdings glaube ich kaum, dass er innerhalb eines Tages mit ihr zusammen kam, nur um mich einzuschüchtern. Das geht schon länger. Ich habe schon sehr lange den Verdacht, dass Lilli sich mit braunem Gesindel rumtreibt. Ihre rechte Einstellung, die immer mehr zu Tage tritt, passt perfekt dazu. Aber meine Eltern raffen es nicht. Auf der einen Seite haben sie leider selbst viele Vorurteile gegen Ausländer, auf der anderen Seite nehmen sie aber auch einfach nicht die Gefahr ernst, die durch Neo – Nazis oder allgemein durch das rechte Gedankengut besteht. Die haben den Krieg nicht mehr miterlebt und kennen ihn, so wie wir, nur aus Erzählungen. Und meine Großeltern reden selten darüber. Ich glaube zwar nicht, dass die jetzt in der NSDAP oder Hitler – Jugend oder so etwas waren, aber zum Widerstand haben sie auch nicht gehört. Sofern ich, wenn sie denn mal etwas erzählt haben, heraushören konnte, haben meine Großeltern immer schon brav alles gemacht, was der Staat von ihnen verlangt hat. Schließlich wollten sie selber ja nicht unangenehm auffallen und Strafen bekommen. Zumindest die Eltern von meiner Mutter. Die von meinem Vater kenne ich nicht, die sind schon lange tot. Und wenn ich dann manchmal diese ganzen Relativierungen höre... Es wäre ja nicht alles schlecht gewesen, was damals gewesen sei und alles hätte seine Vor – und Nachteile gehabt. Ja, zumindest als arisch Deutscher hatte man damals Vorteile... Zum Kotzen. Kein Wunder, dass sich meine Mutter niemals richtig mit der Zeit oder den Leuten auseinander gesetzt hat. Die lebt nur in ihrer kleinen Welt und alles ist so richtig und es soll ja nur keiner von außen kommen und etwas ändern oder in Frage stellen. Deshalb versteht sie auch nicht, dass Peter und seine Kumpane tatsächlich Neo – Nazis sind, und ich das nicht nur sage, weil sie Arschlöcher sind und mir nicht in den Kram passen. Mann, jetzt kann ich mich nicht mal mehr in mein eigenes Zuhause trauen. Zum Glück hab ich noch den Zimmerschlüssel gefunden, damit der nicht noch sonstwas mit meinen Sachen anstellt..." Christian kuschelte sich an Gökan. "Ich bin froh, dass ich dich wenigstens habe, dem ich Vertrauen kann. Das wird mir echt einfach alles zu viel auf einmal."

"Und ich bin froh, dass ich dich habe.", antwortete der junge Osmane zärtlich.

In dem Moment klingelte das Mobiltelefon Christians. "Ja?"

"Was fällt dir eigentlich ein?", krächzte die Stimme von Christians Vater aus den Lautsprechern. "Jetzt kommst du auf der Stelle zurück nach Hause."

"Nein, nicht so lange dieser Neo – Nazi im Haus ist. Tschüss, ich mache für heute das Handy aus, hab für heute genug." Ohne auf das weitere Gezeter zu hören, drückte Christian das Gespräch ab und das Handy aus.

"Wie gehts nun weiter?", fragte Gökan und streichelte Christians kurze fast durchsichtige Härchen am Unterarm. "Ich fühle mich, wie du verstehen kannst, hier auch nicht mehr sicher. Und meine Familie auch nicht. Irgendetwas muss geschehen, dass die Rechten sehen, dass sie nicht mehr so weiter machen können wie bisher. Wir müssen uns verteidigen."

"Ich glaube langsam, du hast Recht.", bestätigte Christian nachdenklich. "Die Frage ist nur, wie?"

"Na ja, wir haben bereits einen Anlaufpunkt. Vielleicht sollten wir den bald nutzen."

 

Christian & Gökan (8): Die Kontaktaufnahme

 

Christian und Gökan standen vor der Haustür eines kleinen Mehrfamilienwohnhauses in einer der hinteren Straßen am Rande des Schmelzer Ortsteiles Bettingen und suchten die Klingel, welche die Aufschrift Altmann trug. Ein schriller Ton erklang und ließ darauf schließen, dass die Klingel so alt war, wie das Haus zu sein schien. Es war ein alter Bau, eventuell aus den 1950ern, die Fassade weiß, teilweise abgebröckelt, teilweise überhaupt nicht verputzt. Es war ein typisches Gebüde, welches das Ortsbild in großen Teilen, jedoch nicht überall, prägte.

Nach einer kurzen Wartezeit öffnete Raphael "Rapha" Altmann die Tür. Er trug eine zerschlissene Jeans, auf denen mit Filzschreiber das berühmte Anarchie – Symbol und der ebenso bekannte Slogan "punks not dead" gemalt waren. Unter seinem slime – Band – Hoodie lugte der Schriftzug eines WIZO – Band – T – Shirts hervor. "Hey, schön, dass ihr es her geschafft habt. Kommt rein." Seine braunen Augen leuchteten freundlich und schauten die beiden Gäste freundlich an. Rapha schloss die Tür und brachte sie zu seiner Wohnung. Er spielte kurz mit den Fingern an seinem Unterlippenpiercing herum, bevor er einladend auf die durchgesessene jedoch gemütlich wirkende Stoffcouch wies. "Setzt euch. Macht es euch bequem."

Christian schaute sich den Punker genau an. Er schien jedes Klischee eines Punkers erfüllen zu wollen, selbstverständlich auch der gefärbte Irokesenhaarschnitt, welchen er vor einigen Tagen noch nicht hatte. In Raphas Fall war dieser leicht grünlich gefärbt. Passte aber alles zusammen. Außerdem schien er sehr nett zu sein. Das Sofa war ebenfalls so gemütlich, wie es den Anschein erweckt hatte. Nachdem er und sein Freund sich darauf niedergelassen hatten, sah er sich im Zimmer um. Poster von WIZO, Berliner Weisse und Betontod wechselten sich mit Plakaten über Tierschutz und der APPD ab.

"Also, du weißt vermutlich, worum es geht?", fragte Gökan Rapha.

"Ja, ich denke schon. Ich habe schon mitgekriegt, dass die Rechten momentan immer mehr Oberwasser bekommen. Ich kenn das übrigens aus eigener Erfahrung. Ich war schon mehrmals Ziel von Gewalttaten, beziehungsweise, ich wurde schon oft angegriffen von solchen Leuten. Ist ja auch klar. Ich hab eben einen anderen Style, man sieht direkt, dass ich Punker bin, und darauf haben die es ja besonders abgesehen."

"Ich hab es satt." Gökan griff nach einer geöffneten Bierflasche, welche Rapha ihm hinstellte. "Es wird Zeit, dass wir uns endlich wehren. Aber die Meisten haben Angst. Zu Recht. Die Polizei hier hilft uns nicht. Und am Ende wird man noch selbst angeklagt. Ganz ehrlich. Ich kann schon verstehen, warum die Türken und Kurden hier still halten. Die haben alle Angst. Ich auch, aber eher um meine Familie. Auf mich selbst kann ich schon ganz gut aufpassen. Und das Paradoxe ist ja noch, die paar Grüppchen von Türken, die keinen Schiss haben, kloppen sich lieber auf irgendwelchen Kirmessen mit den Russlanddeutschen. Es ist einfach eine katastrophale Situation und so wie es jetzt läuft, kann es nicht weiter laufen. Weil es eben ganz bestimmte deutschnational eingestellte Gruppierungen gibt, die uns hier raus haben wollen. Und das obwohl ich beispielsweise, auch wenn ich mich selbstverständlich irgendwie als Türke sehe, voll und ganz Deutscher bin. Ich bin hier geboren, ich bin hier aufgewachsen und ich würde auch gerne hier bleiben. Weißt du? Menschenrechte sind schon was Feines. Außerdem kenne ich in der Türkei fast Niemanden außer ein paar Verwandte, die mich nicht sonderlich interessieren. Ich denke zwar nicht, dass ich persönlich noch lange nach Ende der Ausbildung hier in diesem Kaff wohnen bleiben werde, aber erstens wohne ich jetzt noch hier, und zweitens bleibt meine Familie ja hier wohnen. Alleine schon für meine Familie. Die sind einfach komplett und total mit der Situation überfordert, verstehst du?"

Rapha nahm ebenfalls einen tiefen langen Schluck aus der Bierflasche in seiner Hand. "Ja, klar versteh ich das. Und ihr wollt nun die Hilfe von Leuten, die sich mit solchem Gesoggs auskennen, oder?"

"Genau. Wir möchten gerne die Hilfe der Antifa haben."

"Ich bin zwar auch Mitglied der Antifa, aber auch so ziemlich das Einzige hier in Schmelz. Doch generell sind wir schon gut vernetzt. Und wir ihr wisst, ist meine Antifa in Trier. Da habt ihr ja schon ein Paar kennen gelernt."

Gökan nickte ernst. "Eben. Wir wollten nur mal lieber noch mit dir hier sprechen, weil du ja gerade vor Ort bist. Vielleicht kannst du ja im Vorfeld ein bisschen was abmachen. Wir würden dann auch nach Trier fahren und alles klären."

Der junge Punker nahm sein Handy hervor und wählte eine Nummer. Er unterhielt sich kurz mit Jemandem. Dann fragte er Gökan und Christian: "Könnt ihr übermorgen nachmittag zu ihm kommen? Er hat bis spät in die Nacht Zeit. Also, Daniel, meine ich. Mit dem telefoniere ich gerade."

"Ähm, ja, ich denke, das wird sich einrichten lassen."

"Prima." Kurz darauf wurde das Telefongespräch beendet.

"Vielen Dank, ich hoffe, das wird uns weiterhelfen."

"Ich kann mit euch mitkommen, gebe euch aber auch noch mal alle Kontaktdaten, falls die euch fehlen. Ich mache momentan ein Praktikum beim Tierarzt und übermorgen hab ich frei. Dann findet ihr auch alles ganz sicher, ist nämlich nicht so einfach zu finden."

"Danke, das hilft uns sehr."

 

Am nächsten Tag nachmittags saßen Christian und Gökan im Keller bei Ümit. Orhan, Murat und Ali waren ebenfalls anwesend, außerdem einige weitere türkischstämmige Jugendliche und junge Männer. Drei junge Frauen waren ebenfalls anwesend. Gökan hatte am Vorabend alle zusammen gerufen, um mit ihnen zu sprechen.

"So, jetzt mal bitte alle etwas leise.", sprach Gökan mit erhobener Stimme, um sich irgendwie Gehör zu verschaffen. Nach einigen Sekunden war es tatsächlich still geworden. Erwartunsvolle Stille. "Die Meisten von uns sind hier in diesem Ort oder zumindest in der Nähe geboren. Annähernd jeder von uns ist hier aufgewachsen und groß geworden. Unsere Eltern, Onkel, Tanten, manchmal auch Großeltern, wohnen und leben hier seit vielen Jahren. Sie arbeiten hier, sie bezahlen ihre Steuern hier, sie verlieben sich und heiraten hier und bekommen hier auch ihre Kinder. Bis auf einige Idioten, die es aber immer gibt, verhalten wir uns ruhig. Wir brechen keine Gesetze, wir sind vorbildlichere Bürger als die meisten sogenannten Deutschen. Ich sage sogenannt, weil wir selbst sind auch Deutsche, auch wenn unsere Wurzeln, wenn man weiter zurückgeht, irgendwo anders liegen. Das ändert aber nichts daran, dass wir trotz Allem Deutsche sind und somit das gleiche Recht haben, wie alle Anderen auch. Doch jetzt reicht es nicht mehr, dass wir angepasst und friedlich leben und arbeiten. Jetzt gibt es bestimmte Personengruppen, die uns trotzdem vertreiben wollen. Einfach so, weil denen unsere Hautfarbe und unsere Religion nicht passt. Ich sage euch, Freunde, es muss Schluss sein, dass wir still sind. Wir müssen unsere Stimme erheben und alle zusammen halten. Zusammen sind wir stark. Wir dürfen uns diese Behandlung nicht mehr bieten lassen. Der einzige wahre Feind, sind diejenigen, die uns nicht akzeptieren wollen und die uns angreifen. Verbal durch Drohungen und Beschimpfungen oder auch ganz real und gefährlich, durch Sachbeschädigung und Körperverletzung. Wir können nicht warten, bis der Erste von uns mit kaputtgeschlagenem Schädel tot auf der Straße liegt. Wir müssen an die Öffentlichkeit und uns wehren. Und wenn wir angegriffen werden, müssen wir uns auch zu verteidigen wissen. Das hat nichts damit zu tun, ob jemand Deutscher, Türke, Kurde, Sunnit oder sonstwas ist oder ob er sich als Christ, Moslem, Alevit, Jude, Atheist oder sonst irgendetwas bezeichnet. Es geht einfach nur um unsere Sicherheit, um unser gefahrloses Zusammenleben.

Und aus diesem Grunde werden wir uns Verstärkung suchen. Wir werden ab sofort mit Leuten zusammen arbeiten, die sich mit dieser rechtsextremen Brut auskennen. Und zwar mit einer Antifa – Gruppierung aus Trier. Ich, Christian und ein weiterer junger Mann, der auf unserer Seite steht, werden morgen Nachmittag mit dem Bus nach Trier fahren. Wer möchte morgen mit dabei sein?"

Ümit, Orhan und drei weitere Personen erklärten sich bereit.

"Gut, dann ist ja alles geklärt. Verbreitet meine Nachricht im Ort und in den Nachbarorten weiter. Wir benötigen jede Hilfe, die wir erhalten können. Besonders aus den Nachbarorten Lebach, Limbach, Michelbach, Primsweiler oder vielleicht sogar ein klein wenig weiter weg, Saarlouis, Dillingen, Merzig, Losheim, benötigen wir Hilfe."

"Du kannst dich auf uns verlassen.", versprach Ümit ernst.

 

Die kleine ausgewählte Gruppe saß am nächsten Tag im Bus, welcher auf dem Weg nach Trier war. Während die tiefstehende Sonne durch die Bäume dunkelrote Reflektionen ins Businnere warf, wanderten Christians Gedanken an den gestrigen Tag zurück. Am Abend, nachdem das Treffen bei Ümit zu Hause zu Ende war, erfuhren sie, dass bereits erneut etwas geschehen war. Die Autoscheibe von einem Einwohner mit Migrationshintergrund wurde mit einem Hammer eingeschlagen. Zwei weitere Fahrzeuge wurden mit xenophoben Sprüchen verunstaltet, welche mit einem scharfen Gegenstand in den Lack geritzt worden waren. Gökan hatte Recht. Von alleine würde es nicht aufhören. Und ohne Widerstand würde es immer schlimmer werden. Diese Leute würden sich immer mehr herausnehmen und nicht eher ruhen, bis die ganzen Leben, welche sich die türkischen, kurdischen und anderen Familien aufgebaut hatten, in Trümmern liegen würden.

Christian hatte Angst, wohin dies noch alles führen würde. Doch vor dem, wohin es mit Untätigkeit führen würde, hatte er noch weitaus mehr Angst.

 

Rapha führte sie nicht durch die wunderschöne Innenstadt Triers, sondern durch die weitaus weniger spektakulären Außenbezirke. Langsam kam sich Christian wie auf einer wichtigen Mission vor, zumal sie nun in der Stadt waren, von der gesagt wurde, dass sie die älteste existierende Stadt Deutschlands sei. Es fiel ihm kein treffenderer Ort ein, für das, weshalb sie hier waren.

Der Schmelzer Punker führte sie an einem leicht heruntergekommen aussehenden Gebäude vorbei und durch etwas hindurch, was wohl eine Art Hinterhof war. Danach ging es durch zwei weitere kleine Wege zwischen zwei älteren Häusern und anschließend eine kleine metallene Treppe hoch. An einer Türklingel ohne Namensschild klingelte Rapha und wartete nur kurz, bis die Tür geöffnet wurde.

"Kommt herein.", sagte der junge Mann, welcher die hölzerne Tür geöffnet hatte. Als die kleine Truppe eingetreten war, sah sich dieser Mann draußen kurz um und schloss die Tür wieder. "Man muss hier aufpassen, es gibt genug Rechte hier, die uns gerne aufs Maul hauen würden.", erklärte er mit grimmigem Gesichtsausdruck.

Kurz darauf saßen alle in einem kleinen, leicht abgedunkelten Raum auf durchgesessenen Sofas herum. "Herzlich willkommen. Schön, dass ihr es geschafft habt.", begrüßte sie ein bekanntes Gesicht. Es war Daniel. Seine hellbraunen Augen leuchteten freundlich aus seinem extrem gut Aussehenden Gesicht. Wir hoffen, wir können euch dabei unterstützen, euer Neo – Nazi -Problem in Schmelz in den Griff zu bekommen."

"Hoffen wir auch.", entgegnete Gökan ernst. "Auf die Polizei können wir uns jedenfalls nicht verlassen. Anstatt uns zu helfen, legen die uns eher noch selber Steine in den Weg und wollen die Schuld auf uns schieben."

"Kennen wir, kennen wir. Dieses Jahr im Juli gab es hier in Trier einen Naziaufmarsch, den wir verhindern wollten. Das waren zwar nur siebzig bis achtzig Nazis, größtenteils diese Nationaler – Widerstand – Idioten aus den umliegenden Orten, also die üblichen Verdächtigen quasi, aber diese siebzig bis achtzig Leute wurden dann vor den ach so bösen Antifaschisten, also vor uns, geschützt. Mit einem riesigen Polizeiaufgebot von circa Tausend Polizisten. Die kamen mit Wasserwerfern und Raumpanzern und was weiß ich noch alles, die hatten Verstärkung aus anderen Bundesländern dabei. Hauptsache die armen Nazis wurden geschützt. Könnte kotzen, wenn ich dran denke, echt."

"Krass. Wieviele wart ihr denn?"

"Also, es waren ja allgemein Antifaschisten, jetzt nicht speziell von Antifa, oder einer speziellen Antifa – Gruppe, aber wir waren schon so um die vierhundert Leute. Ganz ehrlich, die paar Scheiß – Nazis hätten sie verbieten sollen, fertig. Aber eintausend Polizisten, stell dir das mal vor."

"Naja, soweit ist es in Schmelz zum Glück noch nicht. Aber die machen bei uns auch keine Aufmärsche oder stehen offen zu irgendwelchen rechtsextremen Gruppierungen. Das ist alles mehr so unterschwellig bei uns. Dieser versteckte Rassismus, der teilweise von den Leuten gar nicht selbst als das wahrgenommen wird, als das, was er ist." Gökan ballte die rechte Faust. "Ein paar blöde Sprüche oder Witze hier und da, die ja nur lustig gemeint sind, und wenn man was sagt, hat man keinen Humor oder ist ein Moralapostel oder Pseudo – Gutmensch oder sonst irgendwas. Und aus den Witzen werden dann Sprüche, die dann ja irgendwie angeblich doch wahr sein wollen und wenn irgendwas in ihren Leben schief läuft, hat man schon gleich irgendeinen Sündenbock. Und jetzt ist es eben schon so weit, dass es zu Gewalt kam, wie ihr wisst. Und es wird schlimmer."

Daniel stand auf und bot seinen Gästen Bier an, bevor er weitersprach. "Wir sind hier relativ gut vernetzt. Wir haben hier Telefonlisten von Festnetz und Handy, sodass wir uns immer schnell erreichen können. Noch besser ist aber, dass viele von uns ein moderneres Handy haben und so können wir uns ziemlich gut über ICQ organisieren. Wir haben da mehrere Gruppenchats, und so können wir schnell reagieren, wenn wir irgendwo etwas mobilisieren müssen. Einen Widerstand gegen eine rechte Kundgebung, einen Aufmarsch oder wenn Freunde Hilfe brauchen. Wenn ihr wollt, können wir eine neue Gruppe machen und uns auf diese Weise immer kurz schließen, wenn was ist. Wir haben Freunde auch in eurer näheren Umgebung."

"Das ist eine sehr gute Idee.", meldete sich Ümit nun zu Wort. "Wir kennen halt sehr viele Türken und Kurden und so weiter, die auf unserer Seite stehen würden, wenn es hart auf hart kommt. Die haben zwar nichts mit Antifa am Hut, aber wenn ihre Brüder und Schwestern Hilfe brauchen, kann man sich auf sie verlassen. Wir halten zusammen. Und ich weiß schon, auf wen von denen ich mich verlassen kann."

"Gut, dann lass uns das organisieren, dass wir die alle in eine Gruppe bekommen und wer vom Örtlichen her passt. Ein paar von uns haben auch Führerschein, sodass man, wenn wirklich Not am Mann ist, innerhalb von einer Stunde mit dem Auto von Trier aus in Schmelz wäre."

Die kleine Gruppe aus Schmelz und die kleine Antifa – Gruppe organisierten sich und besprachen das weitere Vorgehen. Nachdem die offiziellen Themen besprochen waren, wurde die Stimmung lockerer. Man trank etwas zusammen und lernte sich kennen. In dieser lockeren Atmosphäre kam Daniel zu Christian. "Komm mal mit." sprach er lächelnd.

"Was ist denn los?"

Anstatt einer Antwort ging der braunhaarige junge Mann voraus in einen anderen Raum. "Setz dich.", wies Daniel Christian an und zeigte auf einen älteren Stoffsessel. Der blonde Junge folgte der Aufforderung, während Daniel die Tür schloss. "Ich freue mich, dass du auch mitgekommen bist."

"Ja, klar. Es ist doch schließlich wichtig. Ich will, dass dieser Albtraum einfach bald vorbei ist."

Daniel setzte sich langsam auf die Lehne neben Christian. "Ja, aber ich freue mich ganz besonders, dass du mitgekommen bist. Daniel grinste ihn an und strich mit der Hand über Daniels Oberschenkel. Christian spürte, wie sein Glied sich langsam mit Blut aufpumpte.

"Was machst du denn?", fragte Christian irritiert.

"Wonach sieht es denn aus?" Seine Hand glitt zwischen Christians Beine.

Christian stieß Daniel sanft, aber mit festem Druck von sich weg. "Schluss damit. Deswegen bin ich nicht hier. Außerdem weißt du doch, dass ich mit Gökan zusammen bin."

"Das ist ein Grund, aber kein Hindernis."

"Blöder Spruch. Ganz ehrlich, ich will das nicht und fertig."

"Da hab ich eben aber etwas ganz Anderes gespürt.", grinste der brünette Junge und kam wieder etwas näher.

"Daniel, Schluss. Ich liebe Gökan und wir haben eine richtige Beziehung, nicht so ein Wischi – Waschi – Jeder -fickt – mit -Jedem – Scheiß."

"Hm, wie du willst." Daniel sagte nichts mehr, stand auf und verließ den Raum. "Schade.", murmelte er noch beim Verlassen des Zimmers. "Vielleicht änderst du deine Meinung ja noch.."

 

Auf der Rückfahrt mit dem Bus waren alle sehr müde. Inzwischen war es Abend und schon lange dunkel. Gökan und Christian kuschelten sich auf einem Doppelsitz aneinander.

"Na, das war doch schon mal ein guter Anfang.", meinte Gökan. "Jetzt fühl ich mich nicht mehr so allein gelassen, was diese Sache betrifft."

"Ja, wie es im Endeffekt aber ausgehen wird, wird die Zeit zeigen. Es kommt eben auch darauf an, wie der Rest der Bevölkerung die Sache sieht. Ob sie auf unserer Seite steht, oder auf denen der Rechten. Und das Gleiche mit der Polizei..."

"Ja. Na ja. Ich freu mich auf jeden Fall drauf, endlich mal den Nazis so richtig eins aufs Maul zu hauen. Diesen Kackbratzen."

Christian atmete tief durch. "Gökan, bitte provozier sie nicht auch noch. Wenn sie uns angreifen, wehren wir uns, aber fang bitte nicht von dir aus Streit an. Gibt schon genug Probleme."

"Was heißt denn hier provozieren? Das ist schon lange vorbei. Wir befinden uns schon längst in einem Stadium, was über Provokationen weit hinaus geht. Ich lasse mir von diesen Arschlöchern auf jeden Fall nicht mein Leben kaputt machen, mich einschüchtern oder einschränken. Und meine Familie und Freunde werde ich ebenfalls beschützen."

"Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert. Dafür bist du mir viel zu wichtig." Christian küsste ihn zärtlich auf die weichen Lippen.

 

Christian & Gökan (9): Die Situation eskaliert

 

Die nächsten Tage gab es weitere Schmierereien an Häusern und Geschäften von Familien oder Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Die Fensterscheiben von zwei Dönerbuden wurden eingeschlagen. Und irgendjemand hatte mitten in der Nacht eine alte Fahne des deutschen Reiches an die Ampel auf der Trierer Straße, welche sich in unmittelbarer Nähe des Gloria – Kinos befindet, befestigt. Diese wurde allerdings umgehend entfernt.

Als wie jeden Freitag das Nachrichtenblatt der Gemeinde Schmelz, oder Amtsblatt, wie es kurz genannt wurde, an alle Haushalte der Gemeinde verteilt wurde, gab es für viele eine Überraschung. Auf Seite drei gab es eine Ankündigung, dass am nächsten Tage in der Primshalle eine Kundgebung stattfinden sollte.

Gökan saß mit seiner Familie und Christian am Esstisch und las laut vor: "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie die Meisten von euch mitbekommen haben, gab es in den letzten Wochen vermehrt Sachbeschädigungen und Anfeindungen von unbekannter Seite gegen viele Familien, welche bereits seit vielen Jahren friedlich in der Gemeinde wohnen und ein Teil der Gemeinde sind. Ich möchte alle Einwohner von Schmelz dazu einladen, am jetzigen Samstag um 18 Uhr in die Primshalle zu kommen und über die aktuelle Situation zu diskutieren. Mit freundlichen Grüßen: Deniz Yildiz..." Gökan sah zu seinem Vater. "Papa, was hast du denn vor? Wieso hast du nichts gesagt?"

"Was dabei rumkommen wird, weiß ich selbst nicht, aber ich möchte versuchen, die jetzige Situation friedlich zu lösen. Es kann nicht mehr so weiter gehen. Deshalb musste ich einfach irgendetwas unternehmen."

"Na, ob das etwas bewirkt?", sprach Gökan mehr zu sich selbst und frühstückte nachdenklich weiter.

 

Am Samstagabend traten Christian, Gökan, Ümit, Orhan, Murat, Ali und Yasemin zusammen in das große rechteckige, grün verglaste und sehr hässliche Gebäude, welches Primshalle genannt wurde. Diese Mehrzweckhalle war nach dem Fluss Prims benannt, welcher durch Schmelz floss. Die Halle war schon sehr gefüllt. Man hatte Stühle aufgestellt, welche allerdings bereits alle besetzt waren, sodass man Stehen musste. Deniz Yildiz hatte im Vorfeld mit dem Bürgermeister der Gemeinde geredet und da dieser in den Vorfällen der letzten Wochen ebenfalls ein sehr großes Problem sah, wurde die Halle kostenlos zur Verfügung gestellt.

Der riesige Raum, welcher eigentlich eine Sporthalle war, war erfüllt vom Gemurmel der Leute. Als schließlich der körperlich ziemlich kleine Bürgermeister das Podium betrat, wurde es langsam ruhiger.

Der SPD – Bürgermeister probierte, ob das Mikrophon funktionierte, räusperte sich und begann nach einigen Sekunden zu reden: "Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Gemeinde Schmelz. Ich freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind, was mir nur zeigt und mein Gefühl bestätigt, dass sie alle sich sehr für das Wohl der Gemeinde und ein friedliches Zusammenleben interessieren. Dieses gibt mir sowohl Hoffnung, und ist gleichzeitig auch ein Grund zur Freude. Aber ich will jetzt nicht lange herumreden, sondern gebe das Wort direkt weiter an Herrn Yildiz."

Die Bürger der Gemeinde waren kollektiv erleichtert, dass der ansonsten sehr redefreudige Bürgermeister nicht, wie er es sonst immer tat, gefühlte Stunden darauf verwendete, Ortsvorsteher und andere Vertreter irgendwelcher Vereine und Gruppierungen zu begrüßen.

Deniz Yildiz nahm hinter dem Rednerpult seinen Platz ein. "Liebe Einwohner von Schmelz, danke, dass ihr alle gekommen seid. Ich bin kein großer Redner, deshalb fange ich einfach mal an, zu sagen, um was es geht. Ich und meine Familie sind wie so viele andere Familien hier in Schmelz vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen, weil Deutschland uns gebraucht hatte und wir arbeiten wollten. Dies haben wir auch gemacht. Inzwischen leben viele von uns in dritter und vierter Generation hier. Ich selbst und meine Frau hatten immer überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Wir konnten uns nie beschweren. Klar, es gab immer mal wieder den einen oder anderen, der etwas gegen uns hatte, obwohl es dazu nie einen Grund gab. Aber damit konnten wir umgehen. Wir halten uns an die Gesetze, wir arbeiten, wir bezahlen unsere Steuern, wir machen alles, was ein normaler Bürger tun sollte. Doch das, was nun hier in letzter Zeit geschieht, ist etwas, was uns wirklich Angst machen. Fensterscheiben und Autoscheiben werden eingeschlagen. Autos werden verkratzt. Häuser werden beschmiert, mit Sprüchen, die uns traurig machen. Mit nichts, was wir getan haben, haben wir eine solche Behandlung verdient. Niemand hat so etwas verdient. Wir tun keinem etwas Schlechtes. Wir wissen nicht, wer dahinter steckt, aber eins kann ich ganz sicher sagen: Wir werden uns nicht vertreiben lassen. Auch wenn wir einen anderen kulturellen oder ethnischen Hintergrund haben, sind wir Deutsche, wir sind Saarländer und wir sind Schmelzer. Und inzwischen ist das auch unsere Heimat. Lasst uns nicht zulassen, dass irgendwelche Menschen, die den Hass schüren wollen, uns dies kaputt machen. Es geht hier nicht um irgendwen, es geht hier um uns. Wir sind eine Gemeinde, ganze gal, aus welchem Land jemand kommt, welcher Religion er angehört, egal welche Hautfarbe, ob groß oder klein, ob dick oder dünn, ob Mann oder Frau. Wir sind Schmelz, wir gehören alle zusammen, also lasst uns alle an einem Strang ziehen und lasst uns diese Gewalt friedlich beenden!"

Die Antwort war ein tosender Applaus. Deniz lächelte und man konnte Tränen in seinen Augen glitzern sehen, wenn man genau hinschaute.

Der Abend wurde noch sehr lebhaft. Auch Mehmet Kurt, Ümits Vater, hielt eine kurze Rede. Es kamen anschließend viele Bürger und Bürgerinnen zu Wort. Gemeinsam überlegte man sich, wie man weiter vorgehen sollte. Alles in Allem war die Veranstaltung ein sehr schöner Erfolg. Einige hatten schon befürchtet, dass irgendwelche xenophoben Rufer stören würden oder Schlimmeres. Aber es schien wohl kein Rechter da zu sein, zumindest meldete sich niemand zu Wort.

Den Grund dafür sah man später, denn die Rechtsradikalen waren anderweitig beschäftigt gewesen. Es waren tatsächlich so viele Bürger bei dieser Veranstaltung gewesen, dass fast niemand mehr zu Hause gewesen war. Als Familie Yildiz nach Hause kam, sahen sie, dass mehrere Fensterscheiben eingeschlagen worden waren, und das nicht nur bei ihnen, sondern bei etlichen anderen Familien mit Migrationshintergrund. Die Wände waren auch wieder mit Deutschland den Deutschen und ähnlich gearteten Parolen beschmiert. Im Großen und Ganzen war es die mit Abstand größte Sachbeschädigung bisher gewesen. Das gute Gefühl, welches alle nach der Versammlung hatten, war wie weggeblasen und machte einem seltsamen Gefühl der Beklemmung Platz.

 

Am Sonntag Mittag gab es einen großen Streit im Hause Yildiz.

"Papa, du hast doch jetzt gesehen, dass das alles nichts bringt!", rief Gökan aufgebracht. "Diese Scheiß – Nazi – Arschlöcher verstehen keine andere Sprache, als bis sie mal eine so richtig aufs Maul kriegen, und zwar so, dass sie es nicht wieder aufmachen können."

"Gökan, es ist jetzt Schluss damit!" Auch Deniz war laut geworden. "Gewalt kann einfach nicht die Antwort sein. Schau dir doch mal die ganze Welt an! Da wo einmal Gewalt ist, hört sie einfach nicht mehr auf. Israel und Palästina. Oder Türkei und die Kurden. Oder am Hindukusch. Oder schau doch mal in den nahen Osten. Es bringt nichts. Und bei Gewalt gibt es immer nur noch mehr Gegengewalt. Ich will das nicht. Ich will friedlich leben, verdammt nochmal, Gökan!"

"Ja, du willst das. Aber die Neo – Nazis wollen das nicht. Du siehst doch, dass es nicht friedlich ist. Wir müssen uns endlich wehren und dürfen uns das nicht länger gefallen lassen."

"Ja, natürlich müssen wir uns wehren, aber nicht so, wie du es machen willst."

"Und was willst du stattdessen machen, baba? Die geben nicht eher Ruhe, als bis wir weg sind, oder tot."

Deniz Yildiz wurde plötzlich ganz still. Dann sagte er langsam: "Vielleicht ist das ja die einzige Möglichkeit... Dass wir weg ziehen, meine ich."

"Baba, das kannst du doch nicht ernst meinen! Dann haben die Arschlöcher gewonnen, und..."

"Es geht hier nicht um gewinnen. Es geht darum, dass ich meine Familie in Sicherheit wissen möchte."

Gökan schnaubte. "Und dann? Wenn du woanders hinziehst, kommen die nächsten Wichser und wollen einen vertreiben. Das geht dann immer so weiter. Oder willst du etwa wieder zurück in die Türkei?"

"Sei nicht albern, Gökan. Da kennen wir doch gar keinen mehr. Das werde ich garantiert nicht hin zurückgehen. Zumindest nicht, bevor ich in Rente bin. Im Winter ist es da wenigstens nicht so kalt wie hier. Aber egal jetzt. Bitte bleib friedlich, pekâlâ?"

"Nein, ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Ich werd mir das garantiert nicht mehr länger gefallen lassen." Gökan sah zu Christian, der von dem Streit peinlich berührt in der Ecke stand und sich rausgehalten hatte. "Komm, Christian, lass uns raus gehen."

 

Christian und Gökan saßen in der Eisdiele Da Luigi. Durch das Fenster sahen sie nach draußen auf den Parkplatz Rosengarten und dachten an die Übergriffe, die dort stattgefunden hatten.

"Chrissie, warum ist plötzlich alles so scheiße?", grummelte Gökan und stocherte im Erdbeereis herum. "Ich will das Leben einfach genießen und mir nicht Sorgen um mich und meine körperliche Unversehrtheit machen müssen. Ach Mann."

Christian wollte irgendwas antworten, doch sein Blick war starr nach außen gerichtet. "Ey, Gökan, guck mal da draußen! Die kennen wir doch oder?"

"Das ist jetzt nicht wahr. Was haben die denn miteinander zu tun?"

Draußen auf dem Parkplatz redete der Polizist Robert Engstler mit Peter Dickmann, Markus Eggert und Michael Ochs. Und es sah nicht so aus, als ob er diese rechtsradikalen Jugendlichen offiziell befragen würde. Im Gegenteil, sie schienen ein ziemlich freundschaftlich wohlwollendes Verhältnis zu haben. Sie lachten miteinander und redeten sehr viel. Anschließend verabschiedeten sie sich per Händedruck und Robert Engstler stieg in sein Polizeiauto, während die drei Jugendlichen zu Fuß den Schauplatz verließen.

"Ja, jetzt wird mir so Einiges klar.", meinte Christian aufgeregt. "Gökan, ist dir klar, was das heißt? Die kennen sich privat. Die können machen was sie wollen, dieser Bulle wird die niemals verhaften. Deshalb wollte er die Schuld auch immer auf uns schieben."

"Und was sollen wir jetzt machen? Bringt uns dieses Wissen etwas?" Gökan verührte die Reste des wässrig gewordenen Eises. "Es ist nicht verboten, als Polizist mit anderen Menschen befreundet zu sein. Aber du hast Recht, dass da etwas faul ist. Er schützt sie, das war mir sowieso von Anfang an klar. Aber nachweisen kann man ihm nichts. Wie denn auch? Er ist ein Polizist."

Christian überlegte kurz. "Und wenn wir mit dieser Polizistin reden? Diese Andrea Schäfer? Die schien einen recht ehrlichen Eindruck gemacht zu haben. Vielleicht kann die uns ja helfen."

"Und falls nicht? Falls sie mit ihrem Vorgesetzten unter einer Decke steckt? Dann ist der gewarnt und dann hat er uns erst recht aufm Kieker."

"Stimmt, aber ich hab ein gutes Gefühl bei ihr."

Gökan seufzte. "Vielleicht hast du Recht. Wir sollten es zumindest versuchen. Viel schlimmer kann es dadurch auch nicht mehr werden."

 

Andrea Schäfer saß alleine auf der Polizeiwache und spielte gedankenverloren mit ihren langen blonden Haaren, welche sie zu einem Pferdeschwanz zusammen geknotet hatte. Sie würde gerne ihr Wochenende genießen, anstatt am Sonntag auf der Polizeiwache rumzugammeln, aber die Station musste besetzt sein. Sie freute sich schon auf den Feierabend. Dann würde sie erst einmal in aller Ruhe ein heißes Bad einlassen, sich eine CD von Anastacia anmachen und nach dem entspannenden Bad den Abend bei einem Buch von Nicholas Sparks ausklingen lassen. Sich ein bisschen in eine andere, schönere, Welt träumen.

Christian und Gökan traten durch die Tür. Andrea setzte sich schnell aufrecht auf dem Stuhl hin. Was die Beiden schon wieder wollten? Hoffentlich war nicht wieder etwas geschehen. Die Vorfälle der letzten Zeit beunruhigten sie. Und noch viel mehr beunruhigte die Polizistin, dass sie keinen Schritt weiter kamen, wer nun im Endeffekt hinter Allem steckte. Wobei sie ja doch ebenfalls sehr auf die drei Jugendlichen tippte, welche diese Prügelei letztens hatten. Aber irgendwie konnten keine Hinweise entdeckt werden, obwohl sich Robert höchstpersönlich um die Befragung und alles Weitere kümmerte.

"Hallo, ihr Beiden.", begrüßte Andrea die zwei Jugendlichen. "Womit kann ich euch helfen?"

"Sind sie alleine im Moment?", fragte Gökan ohne Umschweife.

Andrea erschrak kurz über diese Frage, denn wenn diese Frage in den Krimis gestellt wurde, welche sie sich manchmal anschaute, war die gefragte Person kurz darauf tot. Aber sie würde sich schon verteidigen können, schließlich hat sie auf der Polizeischule bei Selbstverteidigung immer gut abgeschnitten. "Ja, wieso?"

"Weil wir unter vier Augen mit ihnen reden müssen. Beziehungsweise unter sechs Augen."

"Herr Yildiz, wir sind hier eine offizielle Polizeistation. Wenn sie etws zu sagen haben, können sie gerne eine offizielle Aussage zu Protokoll geben."

"Jetzt lassen sie das bitte mal, diese offizielle Getue, mir ist es ernst."

Andrea hätte ihn jetzt ermahnen können, dass er so nicht mit einer offiziellen Autoritätsperson des deutschen Staates reden dürfe, aber sie hatte so ein Gefühl, dass es wirklich um etwas Wichtiges ging. "Na gut, ausnahmsweise. Worum geht es denn?"

"Sie wissen ja von den ganzen Vorfällen in letzter Zeit? Also, die mit fremdenfeindlichem Hintergrund."

"Ja, selbstverständlich."

"Wir wissen jetzt, beziehungsweise, wir haben eine starke Vermutung, warum bislang keinem etwas nachgewiesen wurde und warum alle Ermittlungen im Kreise verlaufen."

"Na, da bin ich jetzt aber mal gespannt." Es sollte scherzhaft klingen, doch Andrea Schäfer war tatsächlich gespannt, welche Neuigkeit von den beiden Jugendlichen nun verkündet werden würde.

"Engstler steckt dahinter."

Dieser Satz schlug ein wie eine Bombe. Andrea blinzelte verwirrt. "Meinen Sie damit meinen Chef? Robert Engstler? Polizeihauptkommissar Robert Engstler?"

"Ja, genau den. Wir haben ihn heute zusammen mit den drei jungen Männern gesehen, die uns zusammen geschlagen hatten. Und die äußeren Umstände und das Verhalten ließen keinerlei Zweifel darüber, dass zwischen ihnen eine lockere freundschaftliche Atmosphäre herrscht."

"Hm, Herr Engstler hat mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass er die Verdächtigen privat kennt." Andrea überlegte. Das würde einen Sinn ergeben. Deshalb kam die Schmelzer Polizei keinen Schritt weiter. "Wisst ihr, es ist nicht verboten, falls er tatsächlich mit diesen Leuten bekannt und befreundet ist. Und falls da mehr dran sein sollte, wie soll man ihm das nachweisen?"

"Ja, keine Ahnung, Sie sind doch hier die Polizistin. Das ist ihr Job."

"Ihr seid ja witzig. Das ist mein Vorgesetzter. Wie soll ich denn bitteschön gegen meinen Vorgesetzten ermitteln? Besonders ohne einen triftigen Anhaltspunkt? Und wenn der das mitkriegt, egal ob etwas dran ist an dieser Geschichte oder nicht, dann hab ich sowas von Ärger am Hals."

"Heißt das, dass sie uns nicht helfen werden, oder was?"

"Das hab ich nicht gesagt..." Andrea sagte einen Moment lang nichts. Sie war Polizistin geworden, weil sie etwas Gutes tun wollte. Sie wollte die Unschuldigen vor den Bösen schützen und für Gerechtigkeit und Ordnung sorgen. Sie wollte, dass die Menschen ein gutes Gefühl haben, wenn sie einen Polizisten sehen, dass sie sich gut aufgehoben und sicher fühlen. Sie wollte denen Hilfe geben, die Hilfe benötigen. "Also gut. Ich versuche euch zu helfen, aber das muss dann wirklich unter uns bleiben. Ich habe nicht genug Anhaltspunkte, um mich an eine höhere Instanz zu wenden. Was wir brauchen, sind wirklich Hinweise, die man verwerten kann. Ich werde Augen und Ohren offen halten und mir die Akten genauer anschauen. Mehr kann ich leider nicht tun. Andere Kollegen hinzu zu ziehen ist mir zu riskant. Vor allem, wenn ihr Recht habt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass da mehr mit drin stecken. Bitte, erzählt Niemandem davon, sonst komme ich in Teufels Küche. Ich gebe euch meine private Handynummer. Ruft mich bitte dort an oder schickt eine SMS, wenn ihr etwas Neues wisst. Eure Nummern entnehme ich der Akte."

"Danke.", entgegnete Gökan und speicherte die Handynummer in sein Mobiltelefon. "Gut, wir verschwinden hier jetzt, bevor uns noch einer von den anderen Bul... Äähm, Polizisten sieht. Tschüss."

Andrea sah den beiden Jugendlichen nach, wie sie die Polizeistation verließen. Wo war sie jetzt nur wieder reingeraten?

 

Abendessen bei Familie Yildiz. Fatima, Deniz, Gökan, Yasemin und Christian aßen ohne viel zu reden, in aller Stille. Es war eine beklemmende Stille. Und es war etwas kühl im Haus. Die Löcher in den eingeworfenen Fensterscheiben waren notdürftig mit Folie abgeklebt. Trotzdem zog es an allen Ecken und Enden. Die warmen Abende waren vorbei und machten einem Kälteeinbruch Platz, der mit der immer früher einsetzenden Dunkelheit perfekt harmonierte.

Deniz Yildiz biss wortlos in sein Brot. Er hatte mit der Versicherung telefoniert. Sie weigerte sich, für Vandalismus und mutwillige Sachbeschädigung aufzukommen, da dies nicht den Vertragskonditionen entsprechen würde. Woher hätte er denn auch wissen sollen, als er diese Versicherung vor vielen Jahren abschloss, dass sich die Dinge auf solch eine ungünstige Art und Weise entwickeln würden? Wütend hatte er aufgelegt und sofort seinen Rechtsanwalt eingeschaltet. Morgen würde er aufs Büro gehen und sie würden den Vertrag genauestens durchgehen. Viel Hoffnung hatte er allerdings nicht. Wenn sie die Verursacher hätten und es ihnen nachweisen könnten, würde er sich das Geld von denen zurückholen können.

Fatima Yildiz trank einen Schluck türkischen Tees. Die wohltuende Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Sie hatte ihren Mann schon lange nicht mehr so traurig und niedergeschlagen gesehen. Langsam nahm sie seine Hand und drückte sie fest. Er sollte wissen, dass, egal was geschehen würde, sie für immer zusammen halten und füreinander einstehen würden, und das war viel wichtiger, als alles Materielle und Finanzielle. Ja, auch wenn es momentan nicht so aussah, gemeinsam würden sie auch diese Krise durchstehen, da war Fatima sich sicher. Deniz erwiderte ihren Händedruck, sah ihr in die Augen und lächelte liebevoll. Er hatte die Geste verstanden.

Yasemin Yildiz schaute auf ihren Teller, der bereits leer war, da sie das Brot gegessen hatte. Doch sie war in Gedanken. Es war alles so ungerecht. Sie war doch nur ein ganz normales Mädchen. Sie wollte Spaß haben und das Leben genießen, so wie es alle anderen Mädchen oder jungen Frauen in ihrem Alter auch taten. Und jetzt war die Existenz und Zukunft ihrer gesamten Familie in diesem Ort gefährdet. Das war so ungerecht. Warum musste sie, warum mussten sie alle, diese ganze Geschichte durchmachen? Sie blickte auf und betrachtete Christian aus dem Augenwinkel. Dieser blonde Deutsche war ein Symbol dafür, dass vielleicht doch wieder alles gut werden würde. Er stand auf ihrer Seite und er war nicht der Einzige. Momentan kam es ihr so vor, als wären alle Deutschen gegen sie, aber es war nur eine bestimmte Gruppe, die durch ihre Aktionen den Eindruck vermittelte. Yasemin war nun auf dem Weg, eine erwachsene selbstständige junge Frau zu werden. Vielleicht würde sie aus diesen negativen Erfahrungen auch gestärkt hervor gehen. Andere Frauen vor ihr haben auch Schlimmes durchgemacht, sehr viel Schlimmeres sogar. Yasemin dachte an die Zwangshochzeiten, an die Vergewaltigungen, an Witwenverbrennungen, an Genitalverstümmelungen und vieles mehr. An all die schrecklichen Dinge, die Frauen auf der Welt erleiden mussten oder immer noch erlitten, aus dem einzigen Grund, weil sie als Frau auf die Welt gekommen waren. Wenn sie von solchen Dingen hörte oder las, machte sie das wütend und traurig zugleich. Yasemin war fest entschlossen, sich ihr Leben nicht durch ein paar Rechtsradikale kaputt machen zu lassen. Sie würde kämpfen für das, was ihr wichtig war.

Gökan Yildiz hatte keinen Hunger, doch er schlang ein Brot nach dem Anderen herunter. Aus Frust. Und weil er wusste, dass er Energie brauchen würde, er durfte nicht schwach werden. Er hatte einen starken Zorn in sich und er wollte, dass dieser gerechtfertigte Zorn ein Ventil finden konnte. Er wollte, dass diejenigen, die für all das verantwortlich waren, am eigenen Leibe spürten, dass sie nicht machen konnten, was sie wollten.

Christian Fischer sah seinen Freund an. Er wusste, dass es in ihm brodelte. Die ganze Sache veränderte Gökan. Christian machte sich Sorgen. Gökan war, als er ihn kennen lernte, so locker und leicht drauf, so positiv und so cool. Momentan ist da nur noch Wut, Hass, Verzweiflung und ein zerstörerisches Feuer, welches in ihm brannte. Dennoch liebte er Gökan, mehr als je zuvor. Und er fühlte sich ihm verbundener als jemals zuvor, denn diese Wut kannte er selbst mehr als genug. Er selbst hatte in seinem Leben schon so einige Ungerechtigkeiten erfahren, und was hier geschah, war extrem ungerecht. Christian verabscheute nichts mehr in seinem Leben, als diese Ungerechtigkeiten. Und er selbst hatte ebenfalls eine unkontrollierbare Wut in sich. Bislang gab er ihr eigentlich nur auf verbalem Wege ein Forum, doch Christian wusste, dass seine dunkle Seite stark war, und er fürchtete sich gleichzeitig davor, die Kontrolle zu verlieren, wie er es auch herbei sehnte, dass dies endlich geschah und er sich frei fühlen konnte. Auch wenn er wusste, dass dies keine wirkliche Freiheit wäre, sondern dass er dann, im Gegenteil, sogar ein Gefangener seiner eigenen Gefühlswelt wäre. Christian wusste, er musste an sich arbeiten, alle seine Gefühle, auch die widersprüchlichen, wahrzunehmen und auch anzunehmen.

Ein Laut, wie von etwas Zerreisendem, dann ein Klirren mitten auf dem Esstisch und Feuer. Familie Yildiz und Christian sprangen wie von der Tarantel gestochen auf und vom Tisch weg. Ein Blick zum Fenster. In der Folie war ein Loch. Auf dem Esstisch Splitter einer Flasche, Stoff und Flammen. Jemand hatte einen selbstgebastelten Brandsatz ins Haus geworden!

"Schnell, Gökan, hol eine Decke aus dem Wohnzimmer.", rief Deniz seinem Sohn zu. "Und alle weg von den Fenstern!" Deniz stellte sich direkt neben das Fenster.

Gökan kam wenige Sekunden später mit einer Decke aus dem Nachbarzimmer und warf sie über den Tisch und wartete, bis die Flammen erstickt waren.

"Yasemin und Fatima, bitte bereitet mehrere Eimer mit Wasser vor.", gab der Familienvater weitere Anweisungen. "Vielleicht war das erst der Anfang."

Die beiden Frauen gehorchten wortlos und schnell. Dann hörten sie Sprechchöre von draußen. Gökan ging näher an eines der Fenster heran, um es zu verstehen. Doch das war nicht nötig, bald war es bereits so laut, dass man sie ohne Probleme wahrnehmen konnte. Ein aggressives "Türken raus! Türken raus!" war unmissverständlich zu vernehmen.

"Ach du heilige Scheiße! Da draußen sind ganz viele Nazis.", sagte Gökan erschrocken. "Ich hätte echt nicht gedacht, dass es hier so viele Radikale gibt."

"Was wollen die denn nur?", fragte Fatima verzweifelt. "Warum können die uns nicht einfach in Ruhe leben lassen?"

Christian sah nach draußen. Einige von ihnen hatten Fackeln dabei. "Ich glaube nicht, dass das alles Leute aus Schmelz sind. Gökan, du weißt doch noch, was Daniel uns erzählt hat? Von dem Naziaufmarsch in Trier? Da waren auch Neo – Nazis von anderen Orten gekommen. Die haben sich hier organisiert und verbündet."

"Dann machen wir das jetzt auch.", meinte Gökan grimmig. "Ich kontaktiere unsere türkischen Freunde aus der Umgebung und natürlich auch unsere neuen Antifa – Kontakte."

"Ach Unsinn, Gökan." Deniz lief zum Telefon. "Ich ruf jetzt die Polizei an."

"Als ob das was bringen würde..."

"Selbstverständlich bringt das etwas." Deniz wählte die 110 und wartete. "Die sind schließlich verpflichtet, uns zu helfen. Dafür sind die da." Der Mann wartete und wartete. "Das gibts doch nicht, da geht niemand ran!"

"Baba, der Polizeihauptkommissar, dieser Robert Engstler, steckt mit den Rechten unter einer Decke. Der wird uns nicht helfen."

"Ach, das ist doch Quatsch. Der hat nicht so viel Einfluss, dass keiner dran gehen würde, wenn jemand die Polizei anruft. Der Anruf geht ja nicht an ihn selbst privat, sondern an die Polizeieinsatzzentrale."

"Und wo ist die?", wollte Gökan wissen.

"Keine Ahnung, ob Schmelz eine eigene hat. Vielleicht gehts nach Lebach oder Saarlouis."

"Ich glaube nicht, dass dieser Robert Engstler alleine arbeitet. Der hat bestimmt seine Leute in Saarlouis oder Lebach oder wer auch immer zuständig ist, sitzen. Die sehen doch, welche Nummer anruft, wir haben keine Rufnummerunterdrückung. Und wenn die Dienstpläne mit seinen korrupten Kollegen so abgepasst sind, dass ausgerechnet heute, wo das hier passiert, diese an den entsprechenden Stellen sitzen, dann können wir keine Hilfe von der Polizei erwarten."

Deniz legte den Hörer auf die Telefongabel. "Ja, und was sollen wir dann machen?"

Ein weiterer Brandsatz flog ins Zimmer und zerschellte am Wohnzimmerschrank. Fatima und Yasemin schrien erschrocken auf. "Schnell das Wasser.", rief die Mutter und ihre Tochter lies einen Schwall auf das Feuer ergießen, sodass dieses verlosch. "Bei Allah! Der schöne Schrank, der schöne Teppich. Das darf doch nicht wahr sein!"

Gökan wandte sich seinem Vater zu. "Was wir machen? Das ist ganz einfach wir werden kämpfen. Das hier hört nicht von alleine auf." Gökan nahm sein Mobiltelefon hervor und schrieb etwas. Dann ging er zu Christian. Nach kurzer Zeit kamen bereits Antworten. "Chrissie, wir müssen jetzt hoffen, dass die Nazis noch lange genug draußen bleiben, ansonsten müssen wir sie aufhalten. Unsere türkischen und kurdischen Freunde haben zurückgeschrieben. Sie kommen so schnell, wie sie kommen. Und die Antifa – Leute sind glücklicherweise in Dillingen, ein paar in Saarlouis und ein paar sogar in Lebach. Die kommen so schnell sie können, sie sind mit den Autos dort. Ich hab denen die Adresse durchgegeben. Glücklicherweise besitzen sie Navigationsgeräte. Ümit, Orhan und den Anderen ergeht es nicht nicht besser als uns. Wenn die Nazis versuchen sollten, in eines der Häuser einzudringen, dann müssen wir alle geschlossen nach draußen stürmen und sie aufhalten. Wir geben dann das Zeichen über die ICQ – Gruppe. So können wir alles ganz genau koordinieren."

"Von was redest du denn da, Gökan?", fragte Deniz irritiert.

"Egal, alles was du wissen musst, ist, dass wir nicht alleine sind und Hilfe erhalten werden."

"Ich weiß nicht, was ich davon halten soll." Gökans Vater sah mit gerunzelter Stirn hinaus in die finstere Nacht, die lediglich durch ein paar trübe Straßenlaternen und die Fackeln der Meute erhellt wurde. "Aber wir können wirklich jede Hilfe gebrauchen."

Von der Straße schrie jemand: "Ihr feigen Türken – Schweine, kommt endlich raus! Oder wir kommen zu euch rein! Ihr dreckigen Kanacken! Habt wohl Angst vor ein paar aufrechten Deutschen!"

Gökan schlug mit der Faust an die Wand. "Mir kommt gleich das große Kotzen, wenn ich so etwas höre. Wartet nur ab, euch stopfe ich gleich noch allen das Nazi – Maul ..."

Die nächsten Minuten waren von einer inneren und äußeren Anspannung gekennzeichnet. Die Sprechchöre mit xenophoben Parolen brachen nicht ab. Steine und Brandsätze flogen ein paar Mal. Weitere Autoscheiben wurden eingeschlagen und an Mülltonnen randaliert, welche vor den Häusern und in den Vorgärten entleert wurden. Und schließlich war es soweit, dass die Rechtsradikalen damit begannen, gegen die Haustüren zu schlagen und treten.

"Sie versuchen, die Haustüren aufzubrechen.", rief Fatima erschrocken. "Was haben die nur vor?"

"Ich habe nicht vor, hier zu warten, und es herauszufinden." Gökan sah zu Christian, welcher ihm bestätigend zunickte. "Es ist nun an der Zeit. Ich schicke die Nachricht an Ümit und die Anderen raus, dass wir nun zurückschlagen."

Kurz nachdem Gökan dies getan hatte, gingen er, Christian und Yasemin zur Haustür. Sie hatte schon einige Risse bekommen und splitterte schließlich immer mehr. Letztendlich gab sie nach und brach nach vorne in die Wohnung ein. Dies war das letzte und endgültige Signal. Der Kampf begann.

Christian und Gökan setzten ihr ganzes Gewicht ein und schmissen sich gegen den ersten Mann, der direkt vor der Eingangstür stand und warfen diesen damit um. Schnell standen sie auf uns stürmten auf die Straße. Auch aus den umliegenden Häusern kamen nun Leute auf die Straße. Gökan erkannte viele seiner Freunde, darunter Murat, Ali, Ümit und Orhan. Dann schaute er sich um. Die Rechtsradikalen waren alle vermummt, damit sie nicht erkannt wurden.

"Na, kommen die Hunde doch endlich mal raus?", war eine überhebliche Stimme zu hören. Diese gehörte unzweifelhaft Peter Dickmann, wie Gökan erkannte. Die beiden Männer neben ihm mussten dann wohl Markus Eggert und Michael Ochs sein. Die Statur passte und sie wichen eigentlich nie von seiner Seite.

"Klar, wir sind schließlich nicht solche feigen kleinschwänzigen Wichser wie du einer bist, Peter Dickmann!" Den Namen schrie er extra laut, damit jeder wusste, dass er enttarnt war.

Peter stockte kurz, dann meinte er: "Du kannst nicht nachweisen, wer ich bin, und selbst wenn, wird dir das nichts nützen. Los, macht ihn fertig." Dieser Befehl galt selbstverständlich seinen Handlangern Markus und Michael, welche auch prompt gehorchten und auf Gökan zustürmten. Dieser war darauf vorbereitet und schlug Markus mit voller Kraft ins Gesicht. Nicht mit der Faust, sondern mit der offenen Hand, damit er sich nicht seine Fingerknochen verletzte. Dies konnte man nicht von Markus' Nase behaupten, welche akustisch gut vernehmbar brach. Während der dicke Junge vor Schmerz heulend die Hände ins Gesicht klatschte, trat Gökan Michael zwischen die Beine und traf ihn an einer empfindlichen Stelle.

Peter kam nun selber auf Gökan zu, an dessen Seite sich Christian stellte. "Na gut, dann zeige ich euch höchstpersönlich, dass man sich mit mir nicht anlegt." Er grinste. "Macht so auch viel mehr Spaß."

"Hör auf, was soll die Scheiße denn?", schrie Yasemin, welche auch dazugekommen war. Mutig trat sie dem rechtsradikalen jungen Mann entgegen. "Wir haben nichts getan, womit wir das verdient hätten."

Peter kam nun auf die junge Türkin zu. "Dreckige Türken – Schlampen haben hier nichts zu melden. Und wenn du denkst, ich würde keine Frauen schlagen, dann hast du dich getäuscht, sofern man so etwas wie dich überhaupt als Frau oder gar als Mensch bezeichnen..."

Peters Satz wurde durch einen Strahl aus einem Pfefferspray unterbrochen, welches Yasemin hinter ihrem Rücken hervorzog und ihm in die Augen sprühte. Peter schrie vor Schmerzen auf und versuchte seine Augen, Mund und Nase durch die Hände zu schützen, was nicht wirklich gelang. Nach einiger Zeit hörte die junge Türkin auf zu sprühen und schaute nur verächtlich auf den am Boden liegenden Nazi. "Schade, dass ich kein Mann bin, du Arschloch.", sprach sie. "Ich hätte große Lust, auf dich zu pissen."

"Zum Geburtstag kriegst du ein Päckchen Urinellas.", grinste Gökan. "Check." Er hielt ihr die Hand hin und sie klatschte ab. "Beste Familie."

Aber der Kampf war noch lange nicht vorbei. Die Türken und Kurden prügelten sich mit den Rechtsradikalen. Auf beiden Seiten gab es mehr oder weniger stark Verletzte. Gökan versuchte einen Überblick zu bekommen und einzuschätzen, wie viele Gegner sich hier befanden. Es waren mehrere Dutzend. Fünfzig? Hundert? Er konnte es nicht genau sagen. Aber sie waren definitiv in der Überzahl.

Endlich, nach vielen weiteren, endlos erscheinenden Minuten, in denen sich Gökan zwei Platzwunden und mehrere Prellungen eingefangen hatte, lenkte der nicht viel besser aussehende Christian seine Aufmerksamkeit auf eine große Anzahl Neuankömmlinge. Von der einen Seite kamen mehrere Dutzend Türken und Kurden, von der anderen Seite Antifa – Mitglieder, darunter viele Punker. Gökan erkannte unter ihnen Daniel, Rapha, Spider, Mirko und Carlo.

Nun wendete sich das Kampfglück. Die rechtsradikale Meute hatte keine Chance gegen die Verstärkung. Viele der Antifa – Menschen hatten genug Erfahrung mit Auseinandersetzungen mit Neo – Nazis und so waren sie durch nichts so leicht einzuschüchtern. Der Kampf tobte. Daniel schlug und trat alleine drei Nazis zusammen, zwei Punker machten gemeinsam einen sehr großen und muskulösen Mann fertig, ein paar Türken knallten ein paar Nazis auf den Boden.

Nach wenigen Minuten war der Kampf entschieden. Die Rechtsradikalen humpelten und liefen so schnell davon, wie sie nur konnten.

"Vielen Dank an alle.", grinste Gökan zufrieden. "Ich weiß nicht, ob wir das ohne euch geschafft hätten."

"Gern geschehen.", meinte Daniel leichtfertig. "Hat ja irgendwie auch Spaß gemacht." Sein Blick schweifte umher. "Aber für euch wars bestimmt nicht so toll. Hier sieht es ja aus, wie nach einem Bombenanschlag. Ist ja alles kaputt hier..."

"Ja. Und wir leben hier..." Gökans Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. "Und die Polizei hier ist korrupt. Zumindest einige von ihnen. Wir werden natürlich wieder alles anzeigen, aber ich weiß jetzt schon, dass es kein zufriedenstellendes Ergebnis zur Folge haben wird."

"Das ist echt ganz schön scheiße..." Daniel atmete einmal tief durch. "Naja, jetzt wo wir alle hier sind, können wir euch ja auch gerade helfen, wenigstens wieder etwas Ordung hier rein zu bringen. Also, dann mal alle mit anpacken!"

 

Christian & Gökan (10): Die Gerechtigkeit muss siegen

 

Am nächsten Tag war ganz Schmelz wie unter Schock. Niemand hätte damit gerechnet, dass so etwas geschehen könnte. Und das auch noch in diesem kleinen verschlafenen Nest im Herzen des Saarlandes. Die Polizei gab in einer Pressekonferenz dem SR und Saar TV und anderen saarländischen Medien das Versprechen, alles dafür zu tun, um die Ereignisse schnellst möglich aufzuklären und die Täter zu überführen und in Gewahrsam zu nehmen. Verhaftet wurde bislang noch niemand und es gäbe auch keine ernsthaften Hinweise auf die Täter. Lediglich ein rechtsradikaler Hintergrund sei nicht auszuschließen und in diese Richtung werde auch verstärkt, aber nicht ausschließlich, ermittelt. Man gehe auch Hinweisen nach, die auf einen linksextremen Hintergrund schließen lassen. Hinweise von der Bevölkerung werden erbeten.

Christian wusste, dass das alles nur leeres Gerede war. Doch, was er selbst unternehmen konnte, war ihm nicht klar. Am darauffolgenden Tag, dem Dienstag, überwand er sich, nach langer Zeit, seinem eigentlichen Zuhause einen Besuch abzustatten. Allerdings war dieser Besuch nicht durch Sehnsucht zu seinen Eltern oder gar seiner Schwester Lilli verursacht, sondern es fehlten ihm schlicht und einfach verschiedene Dinge, die er unbedingt brauchte und die bei ihm im Zimmer lagen. Er hoffte nur, dass Peter sich nicht im Hause aufhielt. Erstens hatte er keinen Bock auf ihn und zweitens würde er sich garantiert für seine Niederlage und seine Verletzungen rächen wollen. Christian wusste, dass seine Chancen alleine gegen ihn schlecht standen. Nichtsdestotrotz hatte er Gökans Angebot, ihn zu begleiten, abgelehnt. Er schämte sich einfach zu sehr für die Einstellung seiner Familie und er wollte nicht, dass Gökan irgendwelche blöden Sprüche von Christians Familie zu Ohren bekam.

Es war ein seltsames Gefühl, mit seinem Haustürschlüssel die Haustür aufzuschließen. Ob jemand zu Hause war? Es war ziemlich still. Doch er war keine fünf Schritte gegangen, als er die Stimme seines Vaters hörte: "Lilli, bist du das?"

"Nein, ich bin es.", antwortete Christian mit ernster Stimme.

Christians Vater kam aus dem Esszimmer zu ihm. "Na, dass wir dich hier auch nochmal sehen dürfen. Hast du endlich die Schnauze voll von den Türken? Endlich kommst du zur Vernunft."

Christian ging schnellen Schrittes an ihm vorbei. "Danke, jetzt weiß ich wieder, wieso ich hier nicht wohnen will. Ich bin nur gekommen, um ein paar Sachen aus meinem Zimmer zu holen."

Der Gesichtsausdruck von Christians Vater wurde sehr grimmig. "Mach doch, was du willst. Wirst schon sehen, was du davon hast. Wer sich mit Hunden schlafen legt, wacht mit Flöhen auf." Er verschwand wieder ins Esszimmer und knallte die Tür zu.

Christian verdrehte genervt die Augen. So ein Arsch! Er hat einfach nichts dazu gelernt. Und seine Mutter wird wohl noch weniger gelernt haben. Anstatt mal nachzudenken, geistige Gülle von sich zu geben, darin waren sie schon immer gut. Schnellen Schrittes lief er die Treppe hoch zu seinem Zimmer, schloss die Tür auf und suchte sich alles zusammen, was er brauchte. Verschiedene Kleidungsstücke, ein paar Sachen für die Schule, ein paar Dinge für die Fahrschule, ein paar Comics und Bücher. Die restlichen Fahrstunden würde er von seinem Sparbruch bezahlen müssen. Auch egal. Gerade hatte er sein Zimmer mit den Sachen verlassen, wieder abgesperrt und sich umgedreht, um das Haus zu verlassen, als er schnelle Schritte die Treppe raufkommen hörte. Verdammt, diese Schritte kannte er leider nur allzugut. Er hatte gehofft, seiner Schwester aus dem Weg gehen zu können, aber dann stand sie schon plötzlich vor ihm.

Doch was war das? So kannte er seine Schwester doch gar nicht! Verheulte Augen, die billige Schminke war verwischt und sie lief an ihm vorbei auf ihr eigenes Zimmer zu, ohne ihn auch nur eines Blickes oder mit einer bissigen Bemerkung zu würdigen.

"Äh, Moment...", sprach er sie zu seiner eigenen Übberraschung an und lief ihr in ihr Zimmer hinterher. "Was ist denn mit dir los? Was ist passiert?"

"Ach, kümmer dich doch um deine eigene Scheiße, du Bastard!", rief sie unter Schluchzen hervor und warf sich aufs Bett. "Das kann dir doch alles egal sein."

Christian trat näher heran. "Lilli, jetzt sag mir bitte, was los ist. "

"Mann, raffst du es nicht? Das geht dich nichts an! Verpiss dich endlich." Und sie heulte weiter in ihr Kissen.

"Lilli, du kannst mir ruhig sagen was los." Nun war er doch etwas besorgt um sie.

Das blonde Mädchen setzte sich auf die Bettkante. "Mann, ich wurde vergewaltigt, wenn du es so genau wissen willst! Bist du jetzt endlich zufrieden?"

Christian stand da, als sei er vom Blitz getroffen worden. "Ähm, was? Vergewaltigt? Ach du Scheiße! Nein, wieso sollte ich da zufrieden sein? Ganz ehrlich, das ist doch schlimm..."

"Ach, nee...." Doch die Antwort, die bissig sein sollte, wirkte nur verzweifelt und Lilli schluchzte laut auf. "Ja, natürlich ist das schlimm! Das ist so richtig schlimm." Lilli versuchte mit allen Mitteln die Tränen zurückzuhalten, doch es gelang ihr einfach nicht. Augen und Kopf waren schon ganz gerötet.

"Lilli, wer war das?"

"Na, wer schon?"

"Ähm, meinst du damit.... War das etwa Peter? Hat er dir das angetan?"

"Ja." Das Mädchen suchte in der Nachttischschublade nach einem Päckchen Taschentücher, fand welche und schneuzte sich erst einmal. "Ja, es war Peter, dieses gottverdammte Arschloch. Nach dieser Aktion vor zwei Tagen, und ja, ich bin nicht blöd, ich weiß, dass er dabei war, also, nach dieser Aktion, hab ich ihn nicht mehr gesehen. Ich wusste nicht, was los war. Er ging nicht ans Handy, beantwortete keine Nachrichten, weder SMS, noch Mailbox, noch ICQ. Also bin ich dann heute zu ihm nach Hause, was ihm irgendwie nicht gepasst hatte. Ich wollte nur wissen, was los war, und dann hat er nur gemeint, dass mich das nichts angehe. Da hab ich gemeint, dass mich das sehr wohl was angehe, weil ich seine Freundin bin. Da hat er gemeint, dass er nur mit mir zusammen sei, weil er mich gut ficken könne. Von wegen, dumm fickt gut und so weiter. Da hab ich gesagt, dass er das nun vergessen könne und ich Schluss machen würde, weil ich mir das nicht bieten lassen würde. Dann hat er nur gemeint, dass er das nicht zulassen würde und dass er jetzt ficken wolle. Ich hab gesagt, er solle mich am Arsch lecken und wollte gehen, da hält er mich an den Handgelenken fest, guck hier, Christian. Die sind noch ganz blau, so fest hat dieser Sadist zugedrückt. Und dann hat er mir ins Gesicht geschlagen und in den Bauch geboxt. Ich hab versucht mich zu wehren, aber er war einfach zu stark. Er hatte die Tür abgeschlossen und mich auf sein Bett gedrückt, mir die Hose ausgezogen und dann hat er mich vergewaltigt. Als er fertig war, hat er einfach nur die Tür aufgeschlossen und gesagt, dass ich mich verpissen solle und dass er mich nie wiedersehen wollen würde. Und würde ich irgendjemanden was erzählen, würde er mich kalt machen. Ach, Christian, wie konnte ich nur auf so ein Arschloch hereinfallen?"

Christian dachte bei sich, dass wohl jetzt nicht der richtige Moment sei, um ihr "Ich habs dir ja gesagt" zu antworten, auch wenn es die Wahrheit wäre. So sehr er seine Schwester auch hasste, so etwas hatte sie nicht verdient. Okay, wenn es jemand verdient hatte, dann sie, und noch während ihm unaufhaltsam dieser Gedanke kam, schämte er sich dafür. Nein, auch Lilli hatte das nicht verdient. "Und was willst du jetzt machen?"

"Das weiß ich doch auch nicht.", schluchzte seine Schwester und wischte sich mit einem neuen Taschentuch über die mit Kajal verschmierten Augen. "Eigentlich müsste ich ihn anzeigen, aber ich hab Angst, dass er mich wirklich umbringt. Außerdem deckt dieser Engstler von der Bullerei ihn ja. Also bringt das sowieso nichts."

Christian wurde hellhörig. "Moment mal, du weißt davon?"

"Klar, die treffen sich doch ständig. Aber keine Ahnung, was die da machen."

"Wo trifft sich wer?"

"Ja, der Peter und seine beiden Kumpel, Michael und Markus, und dann noch weitere Leute aus der Szene, die treffen sich immer mit diesem Engstler."

"Lilli, jetzt hör mir mal zu. Du willst doch, dass Peter bestraft wird, oder?" Christian sah seiner Schwester so tief und ernst in die Augen, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte.

"Ja, klar will ich das." Lilli zog geräuschstark die Nase hoch und sah ihren Bruder mit dem Blick einer verwunderten Almkuh an.

"Dann muss ich alles über diese Treffen wissen. Gibt es einen bestimmten Termin und eine bestimmte Location, wo das immer stattfindet?"

"Ja, also heute Abend so gegen zwanzig Uhr rum, müsste wieder ein Treffen stattfinden. Das ist in einem von diesen alten Vereinsheimen vom Fischereiverein in Hüttersdorf. Ich kann dir auch die genaue Adresse sagen. Peter wollte mich mal hin mitnehmen, aber als dieser Engstler mich gesehen hat, hat er gesagt, ich darf nicht mit rein und ich soll wieder nach Hause gehen. Mann, war ich da sauer! Der hat mich behandelt, wie ein kleines dummes Kind."

"Lilli, eventuell hast du mir gerade sehr viel weitergeholfen." Christian grinste und überlegte sich schon schnell im Kopf sein weiteres Vorgehen.

"Na, super. Hauptsache dir gehts wieder gut." Doch auch Lilli ging es etwas besser, wenn sie daran dachte, dass sie, wie auch immer, eventuell mitgeholfen hatte, dass Peter doch noch seine Strafe bekommmen würde.

 

Andrea Schäfer saß zu Hause in ihrer drei – Zimmer – Wohnung und versuchte sich auf das vor ihr liegende Buch zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab zu den Vorfällen im Ort und zu dem Verdacht gegenüber ihrem Vorgesetzten. Sie legte das Buch zur Seite und nahm sich wieder einige Dokumente und Protokolle vor, die sie heimlich kopiert und mit nach Hause genommen hatte. Irgendwie war die gesamte Vorgehensweise in diesem Fall sehr seltsam. Die Protokolle, welche Robert geschrieben hatte, stimmten auch nicht so wirklich mit Andreas Erinnerung überein. So ein nachlässiges Arbeiten sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich.

Inzwischen war Andrea im Grunde schon davon überzeugt, dass Robert irgendetwas Krummes drehte, doch Andrea wusste sich momentan keinen Rat und sie hatte Angst um ihren Arbeitsplatz. Wenn rauskam, dass sie gegen ihren Vorgesetzten ermittelte und die Ermittlungen ins Leere liefen, würde das zusätzlich ihrem Ruf schaden.

Die blonde Frau stand auf, zog sich aus und trat unter die Dusche. Dies würde ihr helfen sich etwas zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen. Das Wasser, welches auf ihren Körper prassellte und langsam an ihm hinunter floss, regte ihre Gedankenaktivitäten an und ließ auch die Ideen leichter fließen. Vielleicht übersah sie einen entscheidenden Hinweis. Es half nichts, sie würde noch einmal alle Akten genauestens studieren, sonst würde sie doch keine Ruhe mehr haben.

Nach dem Duschen fühlte sie sich erfrischt und voller Tatendrang. Sie bemerkte, dass ein kleines Lämpchen auf ihrem privaten Mobiltelefon blinkte. Als sie nachsah, erkannte sie die Nummer Christians, welche sie eingespeichert hatte, vorsichtshalber aber unter einem anderen Namen, man wusste ja nie. Schnell drückte sie die Taste, mit der ein Rückruf ausgelöst wurde und wartete nur wenige Sekunden.

"Ja, sind sie das, Andrea?", fragte eine bekannte jugendliche Stimme.

"Ja, klar. Was gibt es, Christian?"

"Können wir uns treffen, es gibt neue Informationen. Ich möchte nicht am Telefon darüber reden."

"Ja, okay. Lass uns, ich muss mal kurz nachdenken, heute um achtzehn Uhr im Cartoon treffen?"

Das Cartoon war eine Art Café oder Cocktailbar im "Dorf" in Schmelz. "Ins Dorf gehen" war das Schmelzer Pendant zu "In die Stadt gehen".

"Hm, alles klar, das dürfte zeitlich noch reichen.", bestätigte Christian Andreas Vorschlag.

"Reichen für was?", wollte die Polizistin interessiert wissen.

"Das werden wir heute Abend besprechen. Bis dann."

 

Als Christian und Gökan im Cartoon ankamen, wartete Andrea Schäfer bereits sichtlich ungeduldig und gespannt. Auf dem runden Tisch vor sich hatte sie links einen Notizblock mit Stift liegen und rechts eine bereits halb leere Tasse Cappuccino stehen. Mit offenen Augen schaute sie die beiden Ankommenden an, während sie durch die Tür traten, winkte ihnen, als ob sie sie nicht sofort gesehen hätten und gestikulierte sie zu sich.

"Hallo, Frau Schäfer.", sprach Christian sie an und schüttelte ihre Hand.

"Hallo, Christian. Hallo Gökan. Was gibt es Neues?", kam sie direkt zur Sache.

"Also, die Sache ist die: Meine Schwester Lilli war mit Peter Dickmann zusammen. Die beiden haben sich nun getrennt und das nicht im Guten." Christian verschwieg Andrea lieber die Vergewaltigung Lillis, damit der Fokus auf dem Fall blieb und sich nicht dahin verlagerte. Um eine Anzeige würde Lilli sich schon selbst kümmern müssen. "Von ihr habe ich die Information, dass es regelmäßige Treffen zwischen Robert Engstler, Peter Dickmann und noch einigen anderen verdächtigen rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt. Und das nächste Treffen ist mit großer Wahrscheinlichkeit heute Abend um zwanzig Uhr in einem Vereinsheim des Fischereivereins in Hüttersdorf."

"Hm, wir können dann aber nicht einfach rein. Wir haben keinen Durchsuchungsbefehl oder etwas in der Art. Und wir können nicht wissen, was die da jetzt genau machen."

"Ja, aber es ist immerhin eine Spur. Und dieser Spur können wir ja nachgehen."

"Das ist richtig. Hast du die genaue Adresse?"

"Ja, Lilli hat sie mir gegeben. Moment." Christian nahm einen Zettel raus und reichte ihn ihr.

"Sicher, dass das keine Falle von ihr ist?", fragte Gökan plötzlich Christian. "Ich meine, weil sie dich ja eigentlich hasst."

"Nein, das war echt. Ich kenne meine Schwester. Das war nicht gespielt."

"Was war nicht gespielt?", wollte Andrea wissen.

"Egal, nicht wichtig. Also, wie machen wir es?"

Andrea wartete einen Moment. "Tja, ich würde sagen, wir drei fahren nachher dorthin. Wir müssen nur aufpassen, dass uns niemand entdeckt. Das Auto am Besten etwas weiter weg parken. Zum Glück ist es ja bereits jetzt dunkel, sodass man uns sowieso nicht so schnell entdeckt und identifiziert. Ich hab keine heißere Spur, also lasst uns das untersuchen."

"Einverstanden."

 

Es war ein besonders kühler Abend. Andrea Schäfer hatte ihr privates Auto in einem Feldweg um die Ecke geparkt. Sie warteten neben dem Auto im Schutze von Zweigen und Büschen und sahen, wie nach und nach Auto um Auto vorbeifuhr. Einige kamen auch auf Motorrollern oder Mopeds. Andrea erkannte irgendwann ein Polizeiauto. Das musste Robert sein.

Sie warteten noch einige Minuten, bis zwanzig Uhr bereits herum war, um zu vermeiden, dass sie von Nachzüglern entdeckt werden würden. Dann schlichen sie sich geduckt und langsam vorwärts. Zuvor hatten alle drei noch schwarze Kleidung angezogen, um weniger aufzufallen. Andrea und Christian hatten ihre blonde Haarpracht unter Kapuzen ihrer Hoodies versteckt. Links vom Weg befand sich einer der vielen Fischerteiche, welche sich in Hüttersdorf und Primsweiler befanden. Auf der rechten Seite stand groß und dunkel das Vereinsheim. Da die Szenerie von Wald umrandet war, verschlang die Dunkelheit das Meiste der Umgebung, da es so weit draußen natürlich keine künstliche Beleuchtung gab. Der Himmel war wolkenverhangen und so konnten weder Sternenlicht noch der klägliche Rest des abnehmenden Mondes die Nacht erhellen, Dies alles war sehr günstig für Andrea, Christian und Gökan.

Licht strahlte einzig und allein aus einem größeren Schlitz eines großen Fensters des Vereinsheims. Langsam gingen die drei Menschen darauf zu. Sie hatten Glück. Der Rollladen war etwa zehn Zentimeter geöffnet. So war es möglich, in den erhellten Raum hineinzuschauen. Und wenn sie etwas Abstand hielten, würden sie aufgrund der draußen herrrschenden Dunkelheit und der Spiegelungen in der Fensterscheibe auch nicht auffallen. Und sie hatten noch mehr Glück. Das Fenster war gekippt, sodass es möglich war, zu verstehen, was innerhalb des Raumes gesprochen wurde. Als Andrea durch den Spalt sah, blieb ihr fast die Luft weg.

Der Raum war ein typischer großer Raum, welcher sich hervorragend für Versammlungen eignete. Vorne stand wie ein Redner oder Lehrer Robert Engstler. An den hufeisenförmig angeordneten Tischen saßen ungefähr zwei Dutzend Jugendliche und junge Erwachsene, der Großteil davon männlich. Andrea erkannte Peter Dickmann, Michael Ochs und Markus Eggert, aber auch viele andere der Anwesenden waren ihr nicht unbekannt. Einige von ihnen waren bereits immer mal wieder durch Gewaltdelikte aufgefallen, andere galten als Sprösslinge unbescholtener Bürger. Viele von ihnen hatten Blessuren im Gesicht, was darauf hindeutete, dass sie an dem Kampf vor zwei Tagen beteiligt gewesen waren. Was aber Andreas Aufmerksamkeit am Meisten erregte, waren die Flaggen an der Wand. Eine davon war die alte Reichsflagge. Auffälliger war jedoch eine Fahne des dritten Reiches. Das verbotene Hakenkreuz im weißen Kreis auf rotem Untergrund fiel sofort ins Auge. Das war defintiv ein verbotenes Symbol. Dafür konnte man bereits angezeigt werden. Zumindest wenn es in der Öffentlichkeit zur Schau getragen wurde. Andrea überlegte. Nein, damit würde sie nicht durchkommen, das war keine Öffentlichkeit. Andrea hörte zu, was gesagt wurde. Und auch ihr Aufnahmegerät, welches sie einschaltete, hörte zu.

"Meine lieben Kameraden, ich freue mich, dass ihr wieder zu unserem Treffen erschienen seid.", sprach Robert und grinste selbstzufrieden. "Es ist ja wieder so Einiges passiert. Wie ich sehe, sind viele Kameraden nicht unversehrt geblieben im Kampf gegen die Fremden. Aber wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Der Türke wird langsam mürbe. Wir werden ihn aus unserem schönen Dorf, aus unserem schönen Bundesland, ja eines Tages aus unserem ganzen Lande vertrieben haben. Aber wir müssen vorsichtig sein. Ich kann nicht immer alles und jeden decken."

"Wann dürfen wir endlich einen von diesen dreckigen stinkenden Kanacken kalt machen?", meldete sich Peter nun zu Wort. "Hab die Schnauze voll von den Dönerfressen."

"Ganz ruhig, Peter, ganz ruhig. Noch ist es zu früh. Einen Toten kann man nicht so leicht unter den Teppich kehren. Keine Sorge, wir werden in letzter Konsequenz, wenn der Türke sich nicht bald von alleine verzieht, härtere Geschütze auffahren. Und dann wird er sehen, was er davon hat, wenn der Abschaum tot am Boden liegt. Ja, wir werden den Einen oder Anderen töten müssen, dies wird definitiv geschehen. Aber wir können nicht einfach hingehen und jemand erstechen oder totschlagen. Es muss alles nach Notwehr aussehen. Oder noch besser, es muss so aussehen, als ob sie sich gegenseitig abgeschlachtet haben. Zwischen Kurden und Türken beispielsweise gibt es immer mal wieder Spannungen. Wenn wir ein paar Türken umbringen und es den Kurden in die Schuhe schieben, dann ist es mit dem Frieden und dem Zusammenhalt zu Ende. Dann gehen die aufeinander los, misstrauen sich. Diese Osmanen sind nicht besser, als irgendwelche niederen Tiere. Die hören mehr auf Instinkt und ihre Triebe, als auf menschliches Hirn und Herz. Und wenn der Kanacke sich schlägt, dann ist unser letzter Sieg nicht mehr fern."

"Aber es gibt hier so viele Volksverräter, die hinter den Fremden stehen.", gab Peter zu bedenken. "Allein diese SPD – Regierung im Ort. Und er ist nicht der einzige Gutmensch, der unsere deutsche Kultur gefährdet und zerstört."

"Eins nach dem Anderen." Robert grinste erneut. "Vergiss nicht, wir arbeiten nicht allein. Und wenn die Kanacken erst einmal alle weg sind, wird sich auch politisch so einiges ändern. Es werden heimattreue, vaterlandsliebende, patriotische Politiker an die Macht kommen, vertrau mir. Und unsere Ideen von einem reinen geeinten Vaterland hat mehr Rückhalt in der Bevölkerung und vor allem auch in der Polizei, als so mancher denken mag. Vertrau mir, die Zeit arbeitet für uns. Schritt für Schritt, Tag für Tag, Stunde um Stunde, Minute um Minute."

"Ich kann es nicht mehr aushalten.", meinte Peter mit zitternder Stimme. "Ich will einen von ihnen endlich kalt machen. Wenigstens einen. Ich hätte da solche Lust drauf."

"Warte noch bis nächste Woche. Dann kannst du dir einen aussuchen. Bring jetzt bitte nicht durch voreiliges hitzköpfiges Handeln deine Kameraden und die größere Sache in Gefahr. Diese Woche könnt ihr noch ein bisschen randalieren und von mir aus den einen oder anderen einschüchtern, aber wenn wir jemanden beseitigen, dann erfordert das größere Planung und Vorsicht. Aber nächste Woche können wir das sehr gerne in Angriff nehmen. Fürs Vaterland. Sieg Heil!"

"Sieg Heil!", kam die Antwort wie im Chor.

Andrea drehte sich mit einem genauso kreideweißen Gesicht zu Christian und Gökan um, wie diese auch welche hatten. Gökan zitterte vor Wut.

"Am Liebsten würde ich jetzt da rein und denen alle mal so richtig aufs Maul geben.", sprach er leise.

"Nein, lass das.", versuchte Andrea zu besänftigen. "Lass uns schnell zum Auto."

 

Fünf Minuten später fuhr Andrea in ihrem Ford Fiesta und den beiden Jungs Richtung Schmelz.

"Also, wir haben jetzt die Tonaufnahme und die Aussage von drei Augenzeugen, nämlich uns drei.", konstatierte Andrea sachlich. "Das, was wir da gehört haben, war Anstiftung zum Mord. Und er hat zugegeben, dass er sie gedeckt hat. Außerdem haben wir nun sehr starke Hinweise auf einen rechtsradikalen Hintergund bei ihm, einem Polizisten im Staatsdienst. Ich denke, das dürfte für eine Hausdurchsuchung reichen. Hoffen wir, dass dort viel gefunden wird. Wir drei fahren jetzt sofort, wenn ihr nichts dagegen habt, nach Saarbrücken, und zwar zu meinem ehemaligen Ausbilder. Er ist ein relativ hohes Tier bei der Polizei. Da wir nicht wissen, wer noch mit Robert zusammen arbeitet, müssen wir vorsichtig sein, bei wem wir die Anzeige machen. Aber von ihm weiß ich hundertprozentig, dass man ihm trauen kann. Er hat oft genug durchblicken lassen, wie sehr er Rassismus und rechtes Gedankengut verabscheut. Außerdem weiß ich, dass er einige türkische Freunde hat und seine Frau ist eine Afrodeutsche. Wenn man ihm nicht in dieser Sache vertrauen kann, dann weiß ich nicht, wem sonst."

"Also, ich bin damit einverstanden.", bestätigte Christian. "Du, Gökan?"

"Klar, ich will nur, dass die alle bestraft werden."

"Gut." Dann sprach Andrea nachdenklich: "Jetzt gilt nur noch zu hoffen, dass der Richter, der die Hausdurchsuchung genehmigen soll, vertrauenswürdig ist und Robert nicht warnt..."

 

Am nächsten Tag gegen saß Robert Engstler gemütlich auf seiner Couch und hatte irgendein hirnloses Programm auf RTL an. Das ließ er gern im Hintergrund laufen. Langsam wurde er müde. Robert machte nach der Arbeit gerne ein kleines Nickerchen auf der Couch. Mit den Gedanken war er plötzlich bei Andrea Schäfer. Sie wirkte heute morgen ziemlich nervös auf der Arbeit. Außerdem gab sie ihm nur sehr wortkarge Antworten und sah ihn machmal so seltsam an. Was die wohl wieder hatte? Bestimmt ihre Tage. Frauenprobleme! Wenn es nach ihm ginge, wären die gar nicht erst für den Polizeidienst zugelassen worden. Bringen nur Unruhe rein und machen nichts als Ärger. Und diese Andrea konnte er sowieso nicht leiden. Machte immer alles peinlichst genau nach Vorschrift, verstand keinen Spaß, wenn man mal ein Witzchen über sie riss und schien wohl auch sonst ganz und gar ein langweiliges Leben zu führen. Er hoffte, dass er bald befördert und versetzt werden würde, dann müsste er ihre langweilige Gegenwart nicht länger ertragen. Aber erst galt es, das Problem mit den Kanacken zu lösen. Roberts Augenlieder wurden schwer und er begann mit dem Hintergrundgeräusch einer Gerichtsshow einzudösen.

Die Türklingel schreckte ihn mit ihrem schrillen Ton aus dem Schlaf. Verdammt, er wollte sich schon längst eine Klingel mit angenehmeren Ton einbauen lassen. Aber viel wichtiger war die Frage, wer ihn jetzt da störte. Er erwartete keinen Besuch. Wenn das irgendwelche Vertreter von Vorwerk, HaRa oder ein Zeitungsvertreter, der ihm ein Abo der Saarbrücker Zeitung andrehen wollte, waren, dann könnten die sich aber auf etwas gefasst machen!

Der gut durchtrainierte Mann öffnete die Haustür. Vor ihm standen mehrere Polizisten in Uniform.

"Sind sie Robert Engstler?", wollte der Polizist wissen, welcher direkt vor ihm stand.

"Ähm, ja. Wieso kommen sie zu mir nach Hause? Ich habe Feierabend. Kommen sie morgen wieder zu mir auf die Wache. So dringend kann nichts sein, dass sie mich hier stören."

"Ich glaube, doch. Herr Engstler, sie sind vorläufig festgenommen wegen des Verdachtes auf Anstiftung zum Mord und Amtsmissbrauch. Hier ist der Haftbefehl."

Ungläubig starrte Robert auf das Dokument, welches ihm der Polizist zeigte. "Das muss ein Irrtum sein. Ich bin selber Polizist, ich..."

"Das ist kein Irrtum. Und hier haben sie noch was zum Lesen: Der richterliche Beschluss für eine Hausdurchsuchung. Bitteschön."

"Sie machen hier alle gerade einen großen Fehler. Ich möchte mit ihrem Vorgesetzten sprechen und eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen."

Zwei andere Polizisten legten Robert die Handschellen an. "Machen Sie sich nicht lächerlich. Das hier hat alles seine Ordnung, und wenn es wirklich ein Irrtum sein sollte, würde ich an ihrer Stelle kooperieren, damit sich alles schnell aufklärt."

 

Die daraus entstandene Polizeiaffäre, welche in den nächsten Wochen nach und nach öffentlich wurde, entwickelte sich zu einem der größten Skandale in der saarländischen Geschichte der Polizei. Bei der Hausdurchsuchung wurden, vor Allem auf dem PC, genug Beweise gefunden, dass Robert Engstler nicht nur Rechtsradikale bei Verbrechen deckte und Beweise unterschlug und verfälschte, sondern es wurden ihm auch Verbindungen zur NPD und verschiedenen rechtsextremen Gruppierungen nachgewiesen. Darüber hinaus fand man heraus, dass verschiedene Polizisten in Lebach, Saarlouis, Merzig, Saarbrücken, Neunkirchen, Sankt Wendel, Wadern und über die Grenzen des Saarlandes hinaus mit ihm zusammen arbeiteten, ebenso verschiedene Richter. Auch deren Wohnungen wurden zeitnah gründlich untersucht. Es folgte eine Verhaftungswelle nach der anderen. Zusätzlich wurden Schmiergelder und Schwarzgeld in Millionenhöhe sichergestellt.

Lilli brachte schließlich nach viel gutem Zureden die Vergewaltigung zur Anzeige. Peter Dickmann und viele weitere Jugendliche und junge Erwachsene wurden verhaftet und angeklagt. Da man ein eindeutiges Zeichen setzen wollte, wurde bei Allen das Höchstmaß für die diversen Verbrechen, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung und so weiter, gefordert und sofern möglich eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht angestrebt.

 

Christian & Gökan (Epilog): Der Kampf ist nicht zu Ende

 

Christian lehnte sich aus einem der alten Fenster der Porta Nigra in Trier und ließ seine Gedanken schweifen.

Seit den Ereignissen waren nun fast zehn Jahre vergangen. Immer wieder hatte sich Christian gefragt, warum Robert Engstler so leichtes Spiel hatte, die jungen Leute zu beeinflussen. Und warum er so lange ungehindert seine Pläne durchführen konnte, ohne dass ein Kollege ihn aufgehalten hätte, oder sonst irgendjemand. Es musste doch irgendwer irgendetwas mitbekommen haben. Aber Robert war ja auch nur Teil eines größeren Netzwerkes gewesen, welches innerhalb der Bevölkerung, aber auch innerhalb des Staatsapparates fungiert hatte. Christian dachte auch an den Mord an Halit Yozgat, welcher im darauffolgenden Jahr, nämlich 2006, in Kassel geschehen war. Angeblich sei in unmittelbarer Nähe ein Mann vom Verfassungsschutz gewesen, der behauptete, nichts mitbekommen zu haben.

Schließlich kam Christian zu dem Entschluss, dass eine Fremdenfeindlichkeit tief verankert in den Menschen war. Ob es jetzt in besonderem Maße auf Deutschland und Europa zutraf, konnte er nicht sagen, aber sie war da. Einige sagten es offen, andere dachten es sich nur oder äußerten ihre Meinung im geschützten Rahmen des Internets oder bei Gleichgesinnten. Viele waren sich noch nicht einmal ihres Rassismusses bewusst. Der versteckte und offene Rassismus war in den letzten zehn Jahren nicht weniger geworden, sondern sogar viel mehr. Existenzängste, Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, Angst vor allem Anderen und Neuen und vieles mehr boten weiterhin einen sehr guten Nährboden für Hass auf bestimmte Gruppen. Neuestes Ziel waren aktuell Flüchtlinge. Wenn Christian sah, was im Internet, besonders über Facebook, über die vor Krieg, Not und Elend Flüchtenden verbreitet wurde, wurde ihm einfach nur schlecht.

Vieles hatte sich jedoch in den letzten Jahren verändert. Den Kontakt zu seinen Eltern hatte Christian zwar nicht abgebrochen, er beschränkte sich jedoch nur auf das Notwendigste. Sie hatten nicht viel aus den Ereignissen gelernt. Seine Schwester Lilli hatte eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel angefangen, dann musste sie aufhören, weil sie schwanger wurde. Inzwischen hat sie drei Kinder von drei unterschiedlichen Vätern und lebt mit ihrem arbeitslosen Freund, der nicht Vater von einem der Kinder Lillis, jedoch von zwei Kindern anderer Frauen, war, in einer kleinen Wohnung von Hartz IV und schimpfte auf Regierung, das System und die Ausländer. Christian war nicht überrascht. Es hätte ihn eher überrascht, wenn Lillis Leben anders verlaufen wäre.

Camillo, der Familienhund der Fischers, war vor Kurzem im Alter von zwölf Jahren firedlich eingeschlafen.

Rambo, der Hund der Familie Yildiz, lebte heute noch und erfreute sich trotz des stolzen Alters von fünfzehn Jahren bester Gesundheit.

Peter Dickmann wurde wegen Vergewaltigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Nötigung verurteilt. Nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, besoff er sich als Allererstes, stieg trotzdessen in ein Auto, nämlich das seines Vaters, und fuhr gegen einen Baum. Zwei Tage später starb er an seinen Verletzungen im Krankenhaus.

Für Markus Eggert und Michael Ochs sah es nicht viel besser aus. Nachdem beide entlassen worden waren, kamen sie immer wieder wegen Körperverletzungen, Diebstahl und ähnlichem Delikten ins Gefängnis, wo sie auch aktuell einsaßen. Momentan wegen Drogenhandels und Körperverletzung an einem ihrer Konsumenten, der nicht zahlen wollte oder konnte.

Robert Engstler beschloss, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, sein Glück in der Politik zu versuchen. Erst in der NPD, dann wechselte er schließlich zur Alternative für Deutschland. Inzwischen war er aus dem Saarland weggezogen, da dort jeder wusste, wer er war, und was er getan hatte. So zog es ihn in den Osten Deutschlands und man konnte ihn noch heute jeden Montag bei Pegida mitlaufen und schreien sehen. Bei der Polizei fand er nie mehr eine Anstellung und so lebte auch er nun von Hartz IV, denn niemand wollte ihn aufgrund seiner Vorstrafen einstellen. Das letzte, was Christian von ihm gehört hatte, war, dass er dem Alkohol verfallen war und er Dauergast in der Klinik von Dresden war, weil er beim Trinken keine Grenzen kannte. Gerüchten zufolge würde seine Leber nicht mehr lange mitmachen. Oder sein Hirn, beziehungsweise, was davon noch übrig war.

Andrea Schäfer hatte mehrere Beförderungen erfahren und leitete nun eine kleine Polizeiwache in der Nähe von München. Dort lernte sie auch ihren jetzigen Ehemann und Vater ihrer Tochter kennen, einen talentierten Staatsanwalt in ihrem Alter.

Fatima Yildiz und ihr Mann Deniz lebten weiterhin ohne große Probleme in Schmelz. Der Schaden, der bei ihnen und den anderen Familien entstanden war, musste von den Verurteilten bezahlt werden. Zusätzlich gab es Schmerzensgeld.

Yasemin Yildiz heiratete einen Türken, bekam von ihm zwei Kinder und lebte mit ihm nun in Karlsruhe, wo sie als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitete.

Gökan Yildiz beendete seine Ausbildung, besuchte anschließend die Abendschule und machte das Abitur nach. Dann begann er sogar zu studieren. Momentan schrieb er an seiner Masterarbeit in Politik. Nach den Ereignissen wurde Gökan immer aktiver im Kampf gegen Rechts und immer mehr links. Inzwischen ist er Mitglied bei Antifa und bei der Partei Die Linke.

Christian hingegen studierte nach seinem Abitur Pädagogik in Trier. Inzwischen arbeitete er auf dem Jugendamt und hatte sich auf die Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund spezialisiert. Parteipolitisch war er ebenfalls organisiert, jedoch bei Bündnis90/Die Grünen. Auch mit der Antifa pflegte er regen Kontakt, alleine schon durch Gökan.

Gökan trat an ihn heran, drehte ihn zu sich herum und küsste ihn liebevoll. Vor zwei Jahren hatten sie geheiratet. Sie lebten gemeinsam in einer schönen Wohnung in der Nähe vom Zentrum in Trier. Doch auch wenn die Zukunft Deutschlands ihm aufgrund der immer größeren Fremdenfeindlichkeit und der neu erstarkenden Rechten Angst machte, so war er doch glücklich, da er Gökan an seiner Seite wusste und sich auf ihn verlassen konnte.

Dass man den Rechtsextremismus in Deutschland nicht unterschätzen durfte, zeigten die Anstiege der rechtsmotivierten Gewalt. Die Anzahl der Brandanschläge auf Asylbewerberheime wuchs ins Unermessliche. Christian bekam eine Gänsehaut. Die Gewalt hatte ein neues Level erreicht. Es war Montag, der 19. Oktober 2015. Vor zwei Tagen gab es in aller Öffentlichkeit einen Mordanschlag mit einem Messer auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, welchen diese schwer verletzt überlebte. Dieses Attentat war durch Fremdenhass motiviert gewesen. Das zeigte einmal mehr, von wem wirklich Gefahr ausging.

Christian und Gökan verließen die Porta Nigra aus dem Hauptausgang. Er wurde kühl und dunkle Wolken zogen erneut am Himmel auf. Christian war sich sicher, dass man den Rechtsextremismus niemals tolerieren durfte. Manchmal musste man kämpfen, kämpfen um zu überleben. Für sich und für Andere, die sich nicht selbst verteidigen konnten.

Eine wütende Masse brüllte, dass sie das Volk wären. Christian und Gökan zogen die Kapuzen ihrer Hoodies über den Kopf und einen schwarzen Schal vors Gesicht. Sie sahen sich um und erkannten zu ihrer Linken Daniel und viele weitere, inzwischen vertraut gewordene und lieb gewonnene Gesichter. Ihnen gegenüber wieder der Pöbel. Wieder der zornige Schrei, dass sie das Volk seien.

Christian, Gökan und ihre Freunde gingen entschlossen auf sie zu. Oh nein, ihr verdammten kleinschwänzigen Arschlöcher, das seid ihr nicht...

 

ENDE

Impressum

Texte: Johannes Quinten
Bildmaterialien: Johannes Quinten
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2015

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