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Das Dunkel

 

 

Die rund zwanzig Personen, die als Kreis angeordnet dastanden, wurden nur durch den Schein der Kerzen erhellt. Doch dieses Licht reichte gerade mal aus, dass ihre dunklen Konturen sichtbar wurden. Eine der in schwarze Roben gekleideten Personen half einer jungen Frau auf den steinernen Altar, der nur allzubald entweiht werden sollte. Die Frau, die ihre Haare so schwarz gefärbt hatte, wie der Umhang war, den sie auszog, legte sich der Länge nach auf den kalten Stein, doch es fror sie nicht. Sie wusste als Einzige der verschworenen Gemeinschaft noch nicht, was geschehen würde. Sie dachte, es würde wie immer laufen, Manfed, ihr spiritueller Führer, würde ihren Körper abtasten, das Blut eines noch lebenden Tieres über ihre nackte Haut verspritzen und vor ihrem aufreizend daliegenden Körper onanieren, bis kurz vor dem Höhepunkt, doch dann würde er aufhören. Sie fragte sich, als er das rituelle Messer hervor nahm, wo sie denn das Tier gelassen hätten, als ihr die Klinge auch schon in den Unterleib gerammt wurde. Sie versuchte, sich zu wehren, aufzustehen, zu kratzen und zu beißen und einfach nur wegzulaufen, doch sie wurde an Beinen und Armen festgehalten. Sie sah in die Gesichter ihrer Peiniger. Es waren bekannte Gesichter. Daniela, Michael, Stefanie und Martin. Ihr Schreien half ihr nichts, sie fühlte heißes Blut aus ihrer Wunde strömen und wusste nun, dass sie nicht mehr lange zu leben hätte.

Der ältere Mann, den sie als Manfred kannte, zog das verfärbte Messer aus ihr heraus und ritzte über ihren ganzen Körper, tief ins Fleisch hinein, ein umgedrehtes Pentagramm. Nur noch wenige Sekunden lebte sie, bis sie schließlich starb. Jetzt konnte das Ritual beginnen. Die finster gekleideten Menschen standen immer noch im Kreis und begannen aus einem Buch zu beten, das man nirgends in einem Buchgeschäft erwerben konnte. Sie riefen direkt die dämonische Macht an, der Teufel sollte erscheinen. Schließlich hatten sie ihm ein wertvolles Opfer dargebracht, ein Mitglied ihrer Gemeinde. Lange Zeit geschah nichts, doch dann zog ein kalter Wind auf. Die Kerzen flackerten auf und erloschen schließlich. Jemand suchte nach einer Taschenlampe und als er sie schließlich fand und einschaltete, beleuchtete er das Grauen. Die tote Frau auf dem Altar schien plötzlich nicht mehr so tot. Sie erhob sich in ihrem Blut und starrte mit schwarzen Augen umher. Dann fing ihr Körper an zu brennen, die Haut wölbte sich und wurde braun. Dann platzte sie eitrig auf und ihre Zähne begannen zu verfaulen. Ein schreckliches unnatürliches Stöhnen kam aus ihrem Mund. Von den Zähnen waren jetzt nur noch scharfe Zacken übrig. Ihre Finger- und Zehennägel begannen zu wachsen und verwandelten sich in Krallen. Aus ihren Schulterblättern stachen sich Knochenspitzen, die zu knöchernen Flügeln wurden. Ihr Körper war immer mehr aufgedunsen und nun war sie ungefähr doppelt so groß, wie zuvor. Hörner und Stacheln waren aus ihrem Schädel gewachsen. Sie war nun ein Teufel.

Der Dämon stürzte sich auf Manfred und biss ihm die obere Schädelhälfte ab. Anschließend labte er sich an seinen Eingeweiden. Die Umstehenden waren erschrocken, doch noch dachten sie, Manfred würde das einzige Opfer bleiben. Aber sie wurden sofort eines besseren belehrt. Er nahm zwei Männer hoch, jeden in einer Hand, und schlug ihre Körper zusammen, dass alle Knochen brachen, Sehnen rissen und das Blut spritzte in gleichem Maße, wie die Gehirnmassen durch die Gegend spritzten. Die nächsten drei zerfetzte er mit einem einzigen Krallenhieb. Die Übrigen versuchten zu entkommen, doch einer nach dem anderen wurde von dem mächtigen und bösen Wesen erledigt. Als keiner mehr am Leben war, und die Schreie verstummt waren, breitete der Teufel seine Pranken aus und die Leichen begannen zu kochen und schließlich fingen sie Feuer und alle Überreste wurden von den Flammen verzehrt, sodass nichts mehr von ihnen übrig war, bis auf etwas Asche, die von einem plötzlichen Wind erfasst, in alle Richtungen verweht wurde. Die Kerzen waren schon längst geschmolzen und langsam begann sich der Dämon zu dematerialisieren. Der nun zum Astralwesen gewordene Dämon verschmolz mit einer der im gothischen Stil gehaltenen Säulen.

 

Nils und die anderen Messdiener trafen sich, wie jeden Sonntag, schon gut eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn mit dem Pfarrer im Pfarrhaus, um eventuelle Besonderheiten, die bei der nächsten Messe zu beachten wären, im Vorfeld abzuklären. Dieses Mal gab es etwas Besonderes und sie zogen sich ihre weißen Kleider an, bevor sie gemeinsam in die Kirche einziehen würden. Denn einige waren noch neu und hatten so eine wichtige Messe noch nie mitgemacht. Es würde der Bischof kommen und ein junger Mann würde seine Priesterweihe erhalten. Nils war schon ganz aufgeregt. Vorher hatte der zwölfjährige Blondschopf in einem anderen Ort gewohnt, und wusste deshalb noch nicht, wie es in dieser Gemeinde sein würde. Es war nämlich erst wenige Monate her, seit seine Mutter den Sorgerechtsstreit gegen seinen Vater gewonnen hatte und Nils zu ihr gezogen war. Er war froh, dass sie gewonnen hatte, und nicht er. Vater hatte ihn immer geschlagen. Und seine Mutter auch, das war auch der Grund für die Scheidung gewesen.

Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein, denn bei den Messdienern, die vorne am Eingang der Kirche standen, war plötzlich Aufregung. Als er näher kam, sah er selbst, was geschehen war. Die Kirchentür war aufgebrochen worden. Viele der Kinder wollten wissen, ob das vielleicht die Satanistengruppe gewesen sein könnte, von der sie in letzter Zeit so oft in der Zeitung gelesen hatten, denn diese Teufelsanbeter hatten schon in den Nachbargemeinden ihr schändliches Unwesen getrieben. Schwarze Messen in heiligen Kirchen und Schändung der Gräber auf den Friedhöfen gingen auf ihr Konto. Sie traten in die Kirche ein und waren erleichtert, als sie keine Anzeichen einer satanischen Messe fanden. Auch gestohlen schien nichts zu sein. Doch einer der Messdiener bemerkte etwas Seltsames. Obwohl es nur noch etwas weniger als eine halbe Stunde bis Messbeginn war, war niemand in der Kirche. Auch keine alten Omas, die normalerweise schon längere Zeit vorher da waren und Rosenkränze beteten. Wieso war niemand da? Ein junges Mädchen schien etwas bemerkt zu haben und wies voll Schrecken irgendwo hin. Die anderen Messdiener und der Pastor folgten ihrem Blick und sahen, dass hinter Marko, einem der ältesten und molligsten Messdiener, ein Schatten sichtbar wurde. Er sah fast aus, wie ein Arm, der nach ihm zu greifen schien. Die riesige Hand wurde immer deutlicher erkennbar und plötzlich war es nicht mehr nur ein Schatten, sondern etwas Festes. Es schien alt und verdorrt zu sein, doch es war auch irgendwie schleimig und lange Krallen wurden sichtbar. Dies geschah lautlos und sehr schnell. Thomas, ein jüngerer Messdiener, wollte Marko warnen und schrie etwas, doch es war schon zu spät, bevor der etwas schwerfällige Junge überhaupt reagieren konnte. Die Hand erfasste ihn und riss seinen Oberkörper in einem Sekundenbruchteil nach hinten und der Kopf des Jungen traf mit solch einer gewaltigen Wucht an der Steinwand der Kirche auf, dass er regelrecht zerplatzte. Auch der restliche Oberkörper wurde im selben Augenblick zermalmt. Alles ging so schnell, dass niemand Zeit hatte zu realisieren, was überhaupt geschehen war. Dann wurde die Kreatur der Finsternis vollständig sichtbar. Dunkle, leblose Augen voller Hass, in einer Fratze des Bösen, starrten bedrohlich die Kinder an. Krähenartige Füße gruben sich in den Kirchenboden und hinterließen tiefe Kratzer in dem geheiligten Boden. Nils war sich nun sicher, dass diese Ausgeburt des Hasses sie alle vernichten würde.

Panik machte sich unter den Messdienern breit und sie begannen, um ihr Leben zu laufen. Rücksichtslos schubsten sie sich gegenseitig aus dem Weg oder zogen an ihren weißen Gewändern, jeder wollte einfach nur noch weg. Eine sehnige Kralle fuhr auf einen der Jugendlichen herunter und zerschmetterte ihn. Nur blutiger Matsch blieb über. Schreie des Entsetzens wurden abermals laut. Ein Mädchen hatte die Tür fast erreicht, doch der Dämon stürzte sich auf sie und riss ihr die Kehle auf. Sie war nur noch ein unidentifizierbarer Haufen. Der Teufel hielt schon nach seinem nächsten Opfer Ausschau, einem kleinen rothaarigen Jungen, als der Pastor sich dem Monstrum in den Weg stellte. Unwilliges Grummeln kam aus dem stinkenden Maul des blutrünstigen Wesens und es vollzog eine unwillige Handbewegung und schleuderte damit den Gottesmann gegen eine Kirchenbank. Einige seiner Rippen brachen. Er rief den Kindern zu, sie sollten so schnell es nur ging, verschwinden. Er würde den Dämon schon aufhalten, sie sollten nur überleben. Die Messdiener gehorchten, Nils war am Schnellsten. Er war schon fast beim Ausgang. Nur noch wenige Meter bis zur Klinke, die ihn in die Freiheit führen würde. Er hatte sie fast erreicht, er müsste nur noch die Hand ausstrecken. Dann wäre er endlich in Sicherheit. Er warf noch schnell einen Blick zurück und sah, wie der Mann Gottes von dem fürchterlichen Geschöpf in Stücke gerissen wurde. Nils fühlte auch einen Schmerz in sich selbst drin. Er hatte den Pastor wirklich sehr gern gehabt. Er war ein sehr lieber Mann gewesen und nun hatte er sich sogar geopfert. Nils zitterte am ganzen Leib und sein Herz schlug schmerzhaft. Er wusste, dass er nur noch hier weg wollte. Seine Hand hatte die Klinke schon heruntergedrückt und das Sonnenlicht fiel von außen herein. Er trat durch die Tür und sah zurück. Der Teufel versperrte den anderen Kindern den Weg! Sie würden alle sterben! Was war er nur für ein Feigling, wurde sich Nils plötzlich bewusst. Er dachte nur an sich, aber würde er jemals wieder in seinem Leben glücklich werden können oder in den Spiegel sehen können, ohne sich selbst zu verabscheuen, wenn er jetzt ging und die Anderen ihrem Schicksal überließ? Er dachte zurück an seine Eltern. Er erinnerte sich, wie er sich selbst gehasst hatte, wenn sein Vater von ihm abgelassen hatte und mit seiner Mutter weitermachte. Denn dann war er immer ein wenig erleichtert gewesen. Er hatte es für den Augenblick überstanden gehabt, doch dafür musste seine Mutter leiden. Er war damals noch ein wenig jünger gewesen, doch er hatte sich geschworen, es nie mehr soweit kommen zu lassen, selbst wenn er dann selbst dafür büßen müsste. Jetzt war die Gelegenheit dafür gekommen. Der Dämon hatte einen weiteren Jungen zerrissen, als nächstes würde er Sarah töten. Sarah hatte sich vor kurzem ein wenig mit ihm angefreundet. Er musste immer lächeln, wenn er an ihr warmes Lächeln dachte. Er durfte nicht zulassen, dass ihr etwas geschehen würde. Der Dämon war genauso wie sein Vater. Rücksichtslos, brutal und böse. Es war nun zu spät, seinen Vater zu bekämpfen, doch diesem Teufel würde er die Stirn bieten, selbst wenn er dabei sein Leben lassen würde.

Schnell lief er wieder in die Kirche und suchte nach etwas, mit dem er seinen Feind besiegen könnte. Sein Blick fiel auf die Stäbe mit den Teelichtern in der Spitze. Instinktiv griff er sich einen der Stäbe, rannte auf den Dämon zu, und bevor dieser wusste, was los war, wurde er auch schon von diesem Metallstab am Kopf getroffen. Wütend fuhr die Bestie herum. Doch Nils wich nicht zurück. Wie konnte der Dämon es nur wagen, solche schrecklichen Dinge zu tun und das auch noch in dieser heiligen Stätte? Die todbringende Kralle fuhr hernieder und Nils sprang einen Schritt nach hinten, sodass die Krallen sich in den Stein bohrten. Der Dämon schlug dem Blondschopf die Waffe aus der Hand und schleuderte Nils nach hinten gegen die Wand. Ein stechender Schmerz breitete sich in seiner Schulter aus. Er sah, dass neben ihm das Weihwasserbecken war. Schnell tauchte er eine Hand hinein und spritzte das Wasser auf den angreifenden Dämon. Zischend ätzte es Löcher in die ledrige Haut und Nils nutzte diese Gelegenheit, um aus der Schussweite seines Feindes zu kommen. Dieser fuhr herum und lief ihm nach. Er folgte ihm weiter, bis zum Altar, dann machte Nils vor dem großen Kreuz am Ende des Altares halt und schlug einen Bogen nach rechts. Der Dämon konnte nicht mehr anhalten und wurde von dem Kreuz aufgespießt. Das heilige Symbol fing Feuer, als es in den Körper des Teufels eintrang und dieses Feuer war ein heiliges Feuer, welches den bösartigen Körper aufzuzehren begann. Die Kreatur spürte instinktiv, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte und wollte ihren eigenen Tod rächen. Mit dem Kruzifix im Körper fuhr es herum, als Nils sich einen neuen Stab besorgt hatte. Knapp wich er dem Dämon immer wieder aus. Einmal verletzte ihn eine Kralle an der Schulter und Blut spritzte heraus, doch darum kümmerte Nils sich nicht. Er lockte seinen Gegner zum Taufbecken und dieser stürzte sich abermals auf Nils. Dieser wich aus und schlug ihn hart auf den Hinterkopf, sodass er auf das Taufbecken prallte. Der Deckel zerbrach und der Dämon tauchte mit dem Kopf in dem Weihwasser ein. Ein letztes schreckliches Gebrüll ertönte, als die Kreatur in einer Feuersbrunst verendete. Nur Matsch und der Geruch von getrockneten Blut blieben zurück. Von diesem Tag an hatte Nils keine Angst mehr und auf die nächste Begegnung mit seinem Vater freute er sich schon.

 

 

 

Impressum

Texte: Johannes Quinten
Bildmaterialien: Johannes Quinten
Tag der Veröffentlichung: 22.05.2015

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