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Erkenntnis

 

Ich sah ihm direkt in seine Augen, doch er wandte den Blick ab. Er betrachtete meine Brüste und seine Hände wanderten an meinem schlanken Körper hinab. Er bewegte sich rhythmisch, doch auch wenn ich seine Erregung deutlich in mir spürte, so wusste ich, dass er alles ohne große Leidenschaft vollzog. Es war wahrhaftig einfach nur ein körperlicher Akt, stur nach einem einmal erlernten Muster, ohne Neuerungen, ohne Spannung, ohne das Wilde und ohne das Feuer, das in träumerischen Romanen so oft beschrieben wurde. Er war nicht heißblütig, er war kalt.

Ich suchte abermals seinen Blick. Er erwiderte ihn dieses Mal.

„Was ist?“, sagte er scheinbar genervt, wandte seinen Blick wiederum ab und konzentrierte sich weiter auf seine Arbeit. Dieses eintönige Vor und Zurück war alles, was ihn interessierte. Und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass er mich nicht liebte.

Er hatte mich niemals geliebt und ich ihn, wie ich mir nun endlich eingestehen konnte, auch nicht. Ich wusste es von Anfang an und auch ihm war es wohl klar gewesen, doch ich hatte mich auf ihn eingelassen, weil ich mich so allein fühlte. Ich brauchte einfach irgendjemanden, eine Beziehung, damit jemand da war. Ich hätte mir ein Tier zulegen können, einen Hund oder eine Katze, doch ein Hund wäre zu viel Arbeit gewesen und für die Katze war kein Auslauf da in meiner kleinen Wohnung, mitten in einer so großen Stadt Und ein Tier kann nicht zu einem reden, es kann einen nicht küssen und man kann nicht mit ihm schlafen. Ja, das war wohl ein weiterer Grund gewesen. Ich selbst war wohl einfach zu sexgeil gewesen. Ich wollte ihn auch, damit er immer für mich bereit war. Er war mindestens genauso sexgeil wie ich, deshalb konnte ich es mit ihm treiben, wann und wo ich wollte. Ich hätte damals nicht gedacht, dass er mich einmal so langweilen würde.

Und Küsse, die ich bekam, wenn ich sie denn mal bekam, waren nur noch sehr flüchtig, meistens während dem Sex, der Routine geworden war. Vielleicht fühlte ich mich ein wenig schuldig oder zumindest verpflichtet ihm gegenüber, dass ich es immer wieder duldete, denn vielleicht war es ihm doch nicht bewusst, dass es da zwischen uns nichts, wirklich rein gar nichts gab.

Ich hatte es schon oft versucht, ihm wenigstens etwas Leidenschaft oder Innovationen beizubringen, doch er war einfach unfähig es zu lernen. Immer wieder das gleiche Spiel, ich kannte es inzwischen schon auswendig. Immer rein und raus und rein und raus, und er dachte sogar noch, er sei gut. Ich hatte es satt, ich hatte ihn satt. Ich wollte nicht mehr, eigentlich hatte ich von Leben mehr erwartet, eigentlich hatte ich mehr verdient, eigentlich war ich mir zu mehr wert, als Objekt zur Befriedigung der Gelüste oder zum Stressabbau, wie er es manchmal selbst nannte. Ja, da wusste ich, dass ich mir für so etwas eigentlich zu schade war und ich mich die letzten Monate nur selbst belogen hatte.

Ich schloss in diesem Augenblick mit meinem jüngsten Leben ab, er war ein Kapitel, das endgültig der Vergangenheit angehörte, nun geschlossen würde und nie mehr geöffnet. Auch ohne einen Mann würde ich glücklich werden, schließlich war ich eine eigenständige Frau, und kein kleines Mädchen mehr, verblendet von romantischen Vorstellungen, geprägt durch Teenieserien und Frauenromane. Das war ich nicht mehr. Und deshalb passte dieser Mann nun auch nicht mehr zu mir. Ab heute würde ein neues Leben beginnen.

Dieser Moment meiner Selbsterkenntnis, war auch gleichzeitig der Moment, in dem er kurz davor war zu kommen, doch dafür hatte ich nun keine Zeit mehr, ich musste erst einmal mein Leben neu ordnen. Ich drückte ihn einfach weg und stand von seinem Bett auf, zog schnell meine Sachen an und ging schnellen Schritts auf die Tür zu.

Ich streckte die Hand aus nach der Türklinke, welche für mich das Tor in ein neues Leben bedeutete, und drückte sie herunter. Ich hörte noch seine verlorene, verzweifelte Stimme. „Du kannst mich doch jetzt nicht hier so hängenlassen.“ Oh doch, das konnte ich, und wie ich das konnte, dachte ich mit einem Lächeln, während ich die Tür zufrieden hinter mir schloss.

Impressum

Texte: Johannes Quinten
Bildmaterialien: Johannes Quinten
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen, die den Mut haben, ihr Leben zu ändern

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