Cover

1. Kapitel

Willi

 

Lauter Bass macht sich in meinen Ohren breit, es dröhnt und ich schaue in die Menschenmenge. Sie tanzen, wenn man es so nennen kann, denn die meisten versuchten einfach nur irgendeine Bewegung im Takt der Musik zu vollziehen.

Ich habe mal gehört, Tanzen soll Lebensfreude und Leidenschaft sein. Ich merke davon nicht viel, jedoch glaube ich, dass sich der Schuldige hinter den vibrierenden Boxen befand. Der DJ, mit den Micky-Mouse-Ohren großen Kopfhörern, die er auf einer Seite festhielt und den Kopf im völlig falschen Taktmaß bewegte, während die andere Hand irgendwelche Knöpfe betätigte, schien gar nicht zu bemerken, dass hier niemand wirklich Spaß hatte.

Warum ist die Musik in jedem verdammten Club so? Warum kommen Songs von vor 10 Jahren besser an, als die aktuellen. Ist die Musik schlechter geworden? Lautes Gejohle und wildes Tanzen versus Schritt links, Schritt rechts.

Manchmal kommt es mir vor, als sei die Musik ein Spiegel der Zeit. Nun kann ich nicht beurteilen, ob das früher auch so war, aber so kalt und emotionslos, so aufgesetzt und unsympathisch, so elektronisch und unecht, kommt mir auch die Gesellschaft vor. Man hörte nicht die einzelnen Instrumente, den klaren Gesang, die klare Botschaft, alles verwaschen, zu einem monotonen Gleichschritt, alles ähnlich, alles künstlich, alles nicht authentisch.

 

So cool und überheblich, wie ich gerade noch mit meinem Bier an der Tanzfläche stand und über die Tanzenden philosophierte oder sie eher bemitleidete, wenn nicht sogar verurteilte, packte mich meine beste Freundin auch schon am Arm und zog mich in den Topf der tanzenden Zombies.

„Du weißt, ich hasse tanzen!“

„Mach dich doch mal locker, Willi!“ Sie lachte. Sie lachte so wundervoll und herzlich mit ihren glänzenden weißen Zähnen, dass ich mich schuldig fühlte. Schuldig für jedes Mal, als sie versuchte unsere Freundschaft in „mehr“ zu verwandeln. Was soll das eigentlich heißen, „mehr“ oder noch viel schlimmer „etwas Ernstes“? Ich will ganz sicher nicht ernster sein, als unbedingt sein muss und mehr? Mehr. Jede Beziehung zu einer Frau, die ich hatte, scheiterte miserabel, Herzschmerz, Liebeskummer, Sorgen, Eifersucht, schlaflose Nächte, hungernder Magen, Augenringe. Wie um alles in der Welt sollte das mehr sein als eine Freundschaft, auf die ich mich bisher immer verlassen konnte? Ich liebte sie, aber sie und ich wussten auf welche Art und Weise und sie hatte es überwunden, denke ich.

 

Dabei begann unsere Kennlerngeschichte wirklich sehr unkonventionell.

Ich war kein besonders guter Schüler, zumindest fühlte ich mich nie so. Natürlich, da waren meine Noten, die offensichtlich für einen intelligenten Menschen sprachen, aber besonders klug fühlte ich mich nie. Vor allem fühlte ich mich in Mathe damals nicht klug, was wohl nicht zuletzt an unserem reizenden Lehrer lag, der mich auf den Tod nicht ausstehen konnte und ich wusste beim besten Willen nicht, warum. Gut, da war diese eine Sache, als ich noch neben Jenny Flusspferd saß, die eigentlich Flussert hieß und absolut keine Ähnlichkeit mit einem Flusspferd hatte. Im Gegenteil, sie war damals das schönste Mädchen aus der Klasse, ach, auf der ganzen Welt. Zumindest für mich.

Sie war die schönste Frau, die ich kannte, wenn man das Fernsehen und irgendwelche unsicheren Internetseiten nicht mitzählte. Und Jenny wurde strafversetzt neben mich, weil sie mit ihrer besten Freundin im Unterricht ununterbrochen quatschte und sie es gar nicht kümmerte, wenn unser Lehrer sie ermahnte. Das fand ich auch mega gut an ihr, dass sie sich nichts verbieten ließ.

Sie saß also neben mir und Herr Traufeld, unser Mathe- und Kunstlehrer ließ uns Comicfiguren in Kunst zeichnen. Auf dieses Thema freute ich mich schon seit Wochen, doch jetzt wo Jenny neben mir saß und so gut roch, konnten mir Comicfiguren kaum egaler sein. Ich wollte nicht, dass sie jeden Tag hasste, an dem sie neben mir und nicht neben ihrer Freundin sitzen musste und ich wollte ihr imponieren. Frauen zu imponieren war in der 9. Klasse noch unheimlich leicht, man musste sie nur zum Lachen bringen und das tat ich. Ich ließ immer einen Spruch fallen, wenn es irgendwie ging und sie lachte, Jenny Flusspferd lachte über mich. Es war ein Traum!

Herr Traufeld mochte es nicht, dass sein genialer Plan nicht aufging und Jenny jetzt noch mehr Spaß hatte, als vorher. Das war aber nicht Grund, warum er mich auf ewig nicht ausstehen konnte. Als wir die Comicfiguren zeichneten, versah ich meine mit einem riesigen Penis, denn das fand jeder witzig. Auch Jenny lachte. Und dieser riesige Penis hatte starke Behaarung und große Eier, ein Brüller mit 14. Sie lachte noch mehr. Ich brauchte nur noch die ultimative Pointe und schrieb „Traufeld“ auf den gigantischen Penis. Sie lachte und ich auch. Es wäre alles perfekt gewesen, die lachende Jenny, der riesige Penis, mein selbstbewusstes Ich, wenn ich nicht in meiner Euphorie vergessen hätte, den Penis wieder wegzuradieren oder doch wenigstens den Namen meines Lehrers, bevor ich es abgab. Ich habe keine gute Note bekommen, obwohl das Bild super gezeichnet war, sogar mit Schattierung und so. Ab diesem Tag hat Herr Traufeld mich gehasst.

Jenny war das ziemlich peinlich, als unser Lehrer das Bild vor der Klasse ausgewertete und redete kaum noch mit mir, möglicherweise also die Schuld meines Lehrers, dass ich sie nicht geheiratet hatte und jetzt stolzer Vater unserer vielen Kinder war, sondern mich deprimiert in einem schlechten Club betrank.

Eines Tages, einige Jahre nach diesem Ereignis bin auf einer Party gewesen. Es war eine der ersten Partys, auf denen ich je war und bei der ich noch glaubte, ein Feuerwerk aus Teenagerträumen und Eskalation würden mich erwarten. Stattdessen stand ich wie die meisten in einer Ecke der Wohnung und fragte mich, ob noch irgendetwas passieren würde und ob es irgendjemandem aufgefallen wäre, wenn ich nicht da gestanden hätte. Und in dieser Ecke lernte ich Marla kennen, die genauso hilflos Zuflucht in den dunklen Ecken der unbekannten Wohnung gesucht hatte, nur viel erfahrener und eleganter darin wirkte. Sie lächelte mich an und wir unterhielten uns den ganzen Abend lang und mit unterhalten meine ich, dass wir den ganzen Abend lang herum geknutscht hatten. Das war eine der besten Nächte meiner Teenagerzeit. Und es kam noch besser, denn Marla war gegen Morgen so betrunken, dass sie mich bat, sie nach Hause zu bringen und daraufhin auch noch bei ihr zu schlafen. Tatsächlich passierte in dieser Nacht absolut gar nichts, ich erinnere mich, dass sich unsere Knie ein zwei mal berührten, aber das wars auch schon.

Am nächsten Morgen als ich aufwachte, lag ich allein im Bett in einem fremden Zimmer, in einem fremden Haus und als auch nach einer Stunde Warten keiner das Zimmer betrat, zog ich mich an und fasste den Entschluss mich aus dem Haus zu schleichen. Ich tappte die Treppen hinunter und konnte die Haustür, mein Licht im dunklen Tunnel sehen, bis mich ein LKW von der Seite rammte. Marla packte mich am Arm und meinte zuckersüß: „Endlich bist du auch wach, ich habe Frühstück gemacht.“ Ich habe mich unheimlich gefreut, da ich einen Mordshunger hatte, aber was dann kam, war unglaublich. Am Tisch stahl den verführerisch duftenden Brötchen ein ganz anderer Anblick die Show. Zeitung lesend und griesgrämig schauend wie eh und je grunzte mir Herr Traufeld ein vielsagendes „Guten Morgen“ entgegen. Ach du scheiße, mein alter Mathelehrer, ging es mir durch den Kopf.

„Das ist mein Papa“, meinte Marla und ich erlebte das wahrscheinlich unangenehmste Frühstück mit dem noch viel unangenehmeren Gespräch meines Lebens. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass ich seine Tochter nicht angerührt hatte, zumindest nicht so, wie er es denken musste, wie gern wäre ich einfach aufgestanden und gegangen, wie gern hätte ich mich für den Riesenpenis mit seinem Namen entschuldigt. Stattdessen saß ich auf dem Stuhl, als würde jede einzelne Berührung mit diesem eine Nadel schmücken, die in meinen Hintern stach. Marla schien gar nicht zu bemerken, was los war, bis ich ihr es Jahre danach erzählte. Aus uns beiden ist nie etwas geworden und wir haben uns nie wieder danach geküsst oder sonst irgendwas, aber sie ist seit dieser Zeit meine beste Freundin, auch wenn das ihrem Vater wohl nie so ganz gefallen hat.

 

Während Marla nun heute Abend tanzte, als würde sie nie etwas anders tun, manchmal war sie einfach so nervig perfekt, stellte ich mich vermutlich an, wie das erste Auto. Ich hatte schon oft getanzt, aber dann entweder betrunken von Alkohol oder guter Musik. Doch beides fehlte.

„Wie kann sich nur so anstellen“, lachte sie wieder. Ich schubste sie spaßeshalber und hielt sie auch direkt fest, da sie einen gefühlten Meter kleiner war als ich und ich nicht dafür verantwortlich sein wollte, wenn sie in die Arme eines aufgepumpten Trolls flog, wie sie hier inflationär umher schwirrten. Einer angespannter als der Andere. Und damit meine ich nicht angespannt im Sinne von nervös, sondern angespannt in Bezug auf Muskeln.

Ich schaute beinah unbewusst auf meine Arme. Sie waren sicher keine Strohhalme, aber auch nicht sonderlich kräftig. Dafür hasste ich Fitnessstudios aller Art viel zu sehr.

Marla blieb plötzlich mitten auf der Tanzfläche stehen und bewegte ihren Körper nur stehend zur Musik, was bereits besser aussah, als jeder Tanzversuch, den ich gestartet hatte. Sie legte ihren Kopf schief und betrachtete mich. „Was ist heute nur los mit dir?“

Diese Frage traf sofort einen wunden Punkt. Ich fühlte mich wirklich, als würde ich auf meine Periode warten, zumindest denke ich, dass es Frauen wohl so geht dabei.

Ich zuckte nur mit Achseln und sie tanzte grinsend und kopfschüttelnd weiter.

Ich hatte dieses Feiern satt. Warum heißt es überhaupt feiern? Es macht doch gar nicht wirklich Spaß, es sei denn man betäubte sich mit allerlei Rauschmitteln. Und wenn ich so in die Menge schaute, dann sah ich wenige wirklich vergnügte Gesichter, wenn ich überhaupt welche erkannte. Genau in diesem Moment startete die Nebelmaschine. Hustend, da wir unbewusst direkt davor unseren Platz eingenommen hatten, machte ich Marla darauf aufmerksam, dass ich keine Lust mehr auf diesen Abend hatte. Sie verdrehte die Augen, wie immer.

„Ist es wirklich so schlimm?“, schrie sie erneut durch den Lärm des Basses.

Ich wusste es nicht, nun gut, ich hatte schon die ein oder andere Idee, aber normalerweise ließ ich mich nicht so schnell herunterziehen. Ich wäre der Erste gewesen, der Marla an die Bar geschleppt hätte, um mit ihr fünf Shots zu exen, gerade an einem Scheißtag. Aber heute war es anders. Ich konnte nicht aufhören nachzudenken...

 

 

 

 

 

*

 

 

 

 

„Wie, nichts Ernstes?“, fragte ich nun bereits das zweite Mal.

Sie sah mich verstohlen mit einem Augenaufschlag an. „Na du verstehst schon.“

Nichts verstand ich, ich wollte es nicht verstehen. Wie konnte sie so abgebrüht sein. Ich hatte monatelang versucht, diese Frau für mich zu gewinnen, denn sie war so anders.

Die Art wie sie sprach war sexy, die Art wie sie mich mit ihren türkisfarbenen Augen ansah, war einfach anders. Es war anders, wie sie mir über den Arm strich, als ich ihr ein Kompliment gemacht hatte. Sie schrieb andere Nachrichten, sie verhielt sich anders. Vor allem verhielt sie sich jetzt anders.

„Ich bin eben nicht bereit für einen Mann wie dich.“

Was sollte das denn heißen? Ein Mann wie ich, wie ist denn ein Mann wie ich?

„Du hast so ein großes Herz, das ist selten und besonders, aber ich glaube, ich brauch einfach ein bisschen mehr Arschloch.“ Hörte sie sich eigentlich selbst reden? Noch vor ein paar Monaten saß sie heulend vor dem Club und ich fragte sie, ob alles gut sei. Warum hatte sie denn geweint? Wegen einem Arschloch. Ich habe ihr eine Schulter zum Ausheulen geboten. Sie hatte mir gesagt, wie wohl sie sich bei mir fühlt, wie besonders ich sei, wie gern sie sich noch viel öfter mit mir treffen wollte, bis vor ein paar Wochen. Als ihre Nachrichten seltener und kürzer wurden, keine Emoticons sie mehr schmückten, bis sie kaum noch Zeit fand und in mir ein unangenehm stressiges Gefühl auslöste, dass der leichten Verliebtheit zu schaffen machte. Ich wusste doch genau, was passieren würde. Es war ja nicht das erste Mal. So als würden Menschen von heute auf morgen merken, dass man doch nichts für sie sei und sie dann einfach versuchten, möglichst lautlos wieder zu verschwinden.

„Ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die glücklich mit dir wären. Es tut mir leid.“

Es tut ihr leid. Viele Frauen. Für den Arsch. Warum hatte ich mir denn die Mühe mit ihr gemacht, sicher nicht um zu beweisen, dass ich viele andere Frauen haben könnte. Und es tut ihr leid? Das sagte sie auch nur, um ihr eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Vielleicht hätte ich ihr all das sagen müssen, ihr an den Kopf werfen, dass es sicher auch eine Menge Arschlöcher gibt, die sehr glücklich wären, sie einfach nur ... Ich hätte ihr meinen Mann stehen müssen, so dass sie mit einem heftigen Knall von ihrem hohen Ross geflogen wäre, wenn ich nur vor Ärger den Mund aufbekommen hätte.

„Na dann, viel Glück.“ Und ich bemühte mich wirklich um einen möglichst rauchigen bösen Tonfall, auch wenn es eher wie ein erstickender Frosch klang. Doch sie lächelte nur und wünschte mir das Gleiche, bis sie sich verabschiedete und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Super, Willi Erdler! Du hast ihr auch noch viel Glück gewünscht! Wie wäre es das nächste Mal, wenn du sie noch nach Hause bringst, wo wahrscheinlich schon irgendein Juan Carlos auf sie wartet. Keine Ahnung, warum Juan Carlos, aber der Name klang nach einem Frauenheld, Willi Erdler hingegen nicht.

In mir machte sich ein schreckliches Gefühl breit, was ich viel zu gut kannte. Mein Herz schlug schnell und der Kopf schrie mich an „Ich habs dir doch gesagt“. Mein Bauch tat weh und ich hatte es einfach nur satt. Warum passierte das immer und immer wieder? Warum muss ich solche Frauen überhaupt erst kennenlernen? Danke Schicksal oder Jesus oder wer auch immer, aber war das wirklich nötig?

Wütend, einfach nur wütend setzte ich mich ins Auto und drehte die Musik auf. Natürlich lief sofort das Lied, was mich an sie erinnerte, natürlich kamen mir auf dem Heimweg nur blaue Minis entgegen, welchen sie auch fuhr, natürlich traf ich beim Wocheneinkauf nur auf Frauen mit ihrem Parfum, natürlich waren ihre Lieblingssnacks gerade im Angebot, natürlich hatte die Verkäuferin denselben Nachnamen wie sie. Wollt ihr mich denn eigentlich alle verarschen?

 

Ich hatte Marla längst per Nachricht berichtet, wie unser „Date“ gelaufen ist. Ich fühlte mich dämlich, ihr immer und immer wieder zu erzählen, dass ich kein Glück hatte, während sie mit aller Mühe sämtliche Verehrer von sich fern halten musste. Wie machte sie das nur?

 

Es tut mir so leid, oh mann. Sie hat dich nicht verdient.

Ich wusste das, doch es half mir nichts. Ich wünschte einfach, ich könnte der Arsch sein, den sie will. Ich wollte nichts Besseres sein, ich wollte die Person sein, den sie für perfekt hielt, aber ein Arschloch war ich nicht. Ich hatte noch nie eine Frau verarscht und als ich mit meiner Exfreundin Schluss gemacht hatte, hat es mir selbst fast das Herz zerrissen, weil sie mir so leid tat. Ich bin halt ein anständiger Kerl, aber ist das denn wirklich so schlimm? Ich hatte es so satt, nett zu sein.

 

Als ich gerade wieder ins Auto eingestiegen war, um in meine Studentenbude zu fahren, las ich eine weitere Nachricht. Die Ergebnisse unserer Statistikklausur wurden soeben veröffentlicht. Natürlich, das auch noch. Mein Herz klopfte, als ich die Matrikelnummern hinunter scrollte, bis ich meine fand. Wie erwartet, hatte ich sie nicht bestanden.

Mit dem Gefühl, dass jeden Moment irgendein Komiker, den ich vermutlich nicht einmal erkannte, an die Scheibe klopfen würde, um mir einen Präsentkorb zu reichen und zu sagen, dass alles ein Spaß gewesen sei und mir viel zu übertrieben grinsend die versteckten Kameras zeigen würde, hob ich meinen Kopf. Mein Blick fiel auf einen kleinen weißen Zettel, der unter meinem Scheibenwischer klemmte.

 

 

 

 

 

*

 

 

 

 

„Ist dir schon einmal aufgefallen, dass man immer Strafzettel bekommt, wenn man einen Scheißtag hatte? So als wüssten die Politessen das und müssten dem noch eins drauf setzen. Die erhalten ihre Ausbildung in der Hölle“, lallte ich.

„Was?“ schrie Marla in mein Ohr.

„Direkt in der Hölle!“, brüllte ich und trank noch einen Tequila. Ich hasse Tequila. Ich presste die Limette an meinen Mund, um den Würgereiz zu unterdrücken.

Marla sah mich besorgt an, sie wusste genau so gut wie ich, dass ich meinen normalen „Gute-Laune-Party-Pegel“, den ich für normal sehr gut kannte, längst überschritten hatte. Aber genauso habe ich das gewollt.

„Ich schreib der Tante jetzt, dass sie mich wieder nehmen kann, weil ich jetzt ein besoffener Arsch bin“, lallte ich meine beste Freundin weiter an.

Etwas angewidert und etwas belustigt sah sie mir in die Augen. „Das wirst du nicht und es wäre sowieso gelogen. Du bist kein Arschloch, Willi. Und lass dir nicht einreden, dass das etwas Schlechtes ist. Nur mögen viele Frauen das Drama und die aufregenden Liebesgeschichten. Wenn es zu einfach ist, haben sie das Gefühl, es könnte langweilig werden.“

„Bullshit.“ Ich bemerkte selbst, wie ich mich in der Mitte des Wortes verhaspelte.

Sie lachte. „So richtig verstehe ich es doch auch nicht. Du bist ein guter Kerl, du brauchst nur die Richtige, die das zu schätzen weiß.“ Sie schaute etwas verstohlen und ein wenig traurig zu Boden. Wäre ich nicht so betrunken gewesen, hätte ich jetzt auch noch schlechtes Gewissen bekommen.

„Ich will keine Richtige. Ich wollte sie.“

„Du hast dich in etwas hinein gesteigert.“ Ich hasste es, wenn sie etwas sagte, was ich nicht hören wollte und damit auch noch recht hatte. Es stimmte. Ich wollte es, so sehr, dass es schief gehen musste.

 

Der letzte Tequila wirkte nun mit einer Menge Bier und anderen Tequilas.

„Warum trinkt man das Zeug eigentlich? Es schmeckt scheiße.“

„Es macht betrunken!“, lachte Marla. Sie war so schön. Warum hatte ich mich eigentlich nie in sie verliebt? Doch wie von Geisterhand machte sich mein Verstand bemerkbar. Wenn du das tust, bist du vielleicht ein Arsch, aber auch noch deine beste Freundin los. Ich schüttelte den Kopf und starrte stur in die Bar. Diese vielen bunten Flaschen. Eigentlich waren sie total lustig. Ich kicherte.

„Oh Mann, Willi. Es wird echt Zeit zu gehen. Vielleicht war es doch eine blöde Idee von mir, dich hierher zu schleppen.“

„Meinst du, es gibt eine Ordnung, welche Farbe man nebeneinander setzen darf? In Deutschland gibt es für alles eine Verordnung. Das Gesetz für die Farbkonstellation von Spirituosen in Bars und sonstigen Getränkeaufbewahrungs-instituten. Das GfFSB... äh nein, warte.“ Doch schon zerrte die kleine Frau an meinem Arm und ich stellte belustigt fest, dass sie ziemlich viel Kraft besaß.

Es fiel mir schwer, einen Fuß vor den anderen zu bewegen und so stützte ich mich bei ihr ab. „Willi verdammt, du bist echt schwerer, als du aussiehst.“

Auch wenn es mich gerade nicht hätte weniger stören können, bemerkte ich, wie die Leute mich ansahen, viele überheblich und kopfschüttelnd, die meisten aber lachend. Ich konnte es ihnen nicht übelnehmen, dass sie es bemerkten, wenn ein 1.90 großer Mann in einem Club umher lallte und stolperte. Aber wenn eh schon alle schauten, wäre es eigentlich noch lustiger, wenn ich anfangen würde zu singen, dachte ich mir. „Und diesssse Bienä die isch meine nennsich Mahjaaaa.“

Ich schaute zu Marla und konnte einfach nicht verstehen, dass sie nicht mitsang. „Kenns du den Text nich?“

„Komm jetzt“, glitzerte sie mich an. Ich lachte laut. Wie konnte sie den Text nicht kennen? Plötzlich war sie diejenige mit der schlechten Laune. Sie dürfte sich nie wieder bei mir beschweren!

Ich sah erneut in einige Gesichter, an denen wir vorbei gingen, zumindest versuchte ich es. Jetzt lachten alle. Ich hatte alle zum Lachen gebracht. Die Frauen wollen doch immer jemanden, der sie zum Lachen bringt. Ich bin ein wahrer Glücksgriff.

 

Als wir endlich den Ausgang des Clubs erreicht hatten, traf die kalte Luft meine Lunge. Als Marla mich dann noch zwang, einen Schluck Wasser zu trinken und das kalte Nass den warmen Alkohol in meinem Magen traf, vermischte es sich zu etwas, dass sich gar nicht mehr gut anfühlte.

„Mir is schlesch.“

„Wehe du kotzt mich an.“

Doch wirklich ängstlich klang sie nicht, denn sie wusste, dass ich mich noch nie von Alkohol übergeben musste. Mein Körper zog es vor, das Gift lieber mühsam am nächsten Tag abzubauen und mich jede einzelne Minute dafür leiden zu lassen. Verdient hatte ich es ja vielleicht.

 

 

 

 

 

*

 

 

Unerträglich. Nicht nur die Übelkeit und die Kopfschmerzen, die sich breit machten, obwohl ich noch nicht einmal aufgestanden war. Unerträglich war vor allem das übliche morgendliche Ritual, kurz nach dem Aufwachen zu überlegen, welcher Mensch man war und was die letzten Tage passiert ist. Sie war weg, meine wundervolle Vorstellung einer traumhaften Beziehung mit einer traumhaften Frau. Außerdem war ich durch meine Prüfung gefallen, natürlich war ich das, ich schrieb sie am Morgen nach unserem zweiten Date und ich war einfach mit dem Kopf völlig woanders. Sie war an allem schuld, meiner Prüfung, meinem Schmerz, meinem Kater.

Ich schaute auf mein Handy, was meine Übelkeit und Kopfschmerzen zunächst verschlimmerte. Nur zwei Nachrichten, beide von Marla.

Schlaf gut, du Suffi :*

Schreib mal, wie es dir geht, wenn du wach bist.

 

Was sollte ich da schon schreiben? Super Idee gestern, wie immer hat es mich komplett von meinem Kummer geheilt, in einen Club zu gehen und mich volllaufen zu lassen.

Doch natürlich schrieb ich das nicht, ich wusste schließlich, dass sie mich nur ablenken wollte.

 

Scheiße geht’s mir

Antwortete ich ehrlich, fügte aber noch einen extrem lachenden Smiley dazu, um nicht allzu erbärmlich zu klingen.

Ich sah sie schon vor ihrem Handy kichern. Natürlich, sie fand das lustig und sie würde mir noch Monate lang erzählen, wie ich beim Gehen gesungen hatte. Oh Gott! Ich hatte gesungen, laut gesungen und zwar Biene Maja.

Peinlich berührt rieb ich mir den schmerzenden Kopf, bis mein Smartphone wieder vibrierte.

 

Warum warst du denn nur so betrunken? Ich hab dich schon öfter mehr trinken sehen.

Ja das stimmte, aber die Erklärung dafür war einfach. Ich hatte nichts gegessen, den ganzen Tag nicht. Mein Appetit blieb immer noch aus, obwohl mein Magen bereits knurrte. Wenigstens konnte ich es heute morgen auf meinen Kater schieben. Überhaupt, die ganze Scheißlaune, mein brummender Schädel und ein bisschen Scham, alles nur ein Kater.

 

Es dauerte jedoch nicht allzu lang und ich versank wieder im Selbstmitleid. Warum passierte das? Warum lernte ich ein Mädchen kennen, das ich mochte, das ich verdammt nochmal richtig mochte und dann ging sie einfach? Sollte ich daraus vielleicht irgendeine Lehre ziehen?

Mein Kopf tat so unglaublich weh. Mein Körper liebte es mir am Morgen danach, die Hölle heiß zu machen. Was hast du dir dabei gedacht? Hallo Gehirn, wo warst du gestern, als ich dich gebraucht hätte?

Und so vergeudete ich einen ganzen Tag Lebenszeit mit der Buße über den Alkohol, 5-Minuten-Terine und einer ganzen Staffel meiner Lieblingssitcom und freute mich beim Schlafengehen, dass es mir morgen besser gehen würde.

 

2. Kapitel

Lena

 

„Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt.“ Ich setzte das freundlichste Lächeln auf, so wie ich es immer tat, auch wenn es heute etwas schwieriger war, da meine Müdigkeit mir zu schaffen machte.

Die Gäste waren heute immerhin geduldig und unkompliziert, niemand brauchte ein schärferes Messer oder fand die Bratkartoffeln einen Hauch zu dunkel, auch wenn es Freds Spezialität war, die Bratkartoffeln immer einen Hauch zu dunkel zu braten.

Manchmal sah ich ihm dann kritisch in die braunen Augen, die vor Lachfalten beinah kaum noch wahrzunehmen waren und dann lachte er nur und meinte: „Des is scho recht so.“

Und wenn man ihn dann sah, der dicke grinsende Bayer mit einem Gesicht, das ein maximales Maß an Zufriedenheit versprach und durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, dann konnte man auch nicht anders, als ebenfalls zu lächeln und die dunklen Bratkartoffeln unter die Leute zu bringen. Leider hatte ich nicht das gleiche Verkaufstalent und Freds Souveränität, was mir immer wieder Beschwerden einbrachte.

Es war eine lange Schicht gewesen und ich hatte es mir nicht gut überlegt, mich für dieses Wochenende einzutragen. Ich hätte wissen müssen, dass Greta und Flo mich dazu überreden, länger auf der Party zu bleiben. Aber ich hätte sie auch nicht verpassen wollen.

Zu Hause warteten meine beiden Mitbewohnerinnen scheinbar schon auf mich.

Hola Chicka!“, scherzte Flo schon wieder viel zu energiegeladen, als ich die Küche betrat, die aussah wie ein Schlachtfeld.

Himmel, ist jemand eingebrochen?“

Klar, um hier 3 Stunden in der Küche zu stehen und zu kochen!“, meinte meine Freundin mit den weinrot gefärbten Haaren beleidigt.

Wozu der Aufwand? Ich dachte ihr liegt verkatert im Bett und das nicht allein.“ Ich sah Flo vielsagend an und sie wusste sofort, worauf ich hinaus wollte. Flora war vermutlich die Person mit dem meisten Selbstbewusstsein, die ich kannte. Wenn sie nicht zufällig meine Mitbewohnerin und dadurch eine meiner besten Freundinnen geworden wäre, hätte ich sie vermutlich gemieden und nicht besonders gut leiden können. Sie war hübsch, kurvig, sogar sehr kurvig, aber offensichtlich störte das keinen ihrer vielen Verehrer. Dabei hatte ich immer das Bild vermittelt bekommen, Frauen müssen schlank sein, was ich mit sehr viel Mühe, (zu wenig) Sport und Disziplin auch einigermaßen schaffte. Sie war einer der Frauen, vor denen man eine gewisse Art von Angst verspürte. Angst vor ihrer allgegenwärtigen Sicherheit zu sich selbst, worum ich sie einfach nur beneidete. Ich glaube sogar, dass eine ganze Reihe an Männern, die um sie schwirrten wie die Fliegen um einen Kuhfladen im Sommer, sie ebenfalls fürchteten. Zu recht.

Der ist natürlich längst weg, der war nicht so mein Typ.“

Greta lächelte. Sie zeigte ihr süßes unschuldiges helles Lachen. „Die meisten Frauen, die ich kenne, schicken den Mann, der nicht ihr Typ ist, heim, bevor er in ihrem Bett war.“ Jetzt kicherte sie, wie ein kleines Mädchen.

Er war nicht nur in meinem Bett.“

Greta machte ein entsetztes Gesicht, doch dann lachte sie und ihre Wangen wurden ein wenig rot. Ein seltener Anblick, da ihre zarte Porzellanhaut und beinah genauso hellen Haare nur selten in einer anderen Farbe schimmerten, als dass sie ein künstlerische Laie nicht als weiß bezeichnet hätte. Drei Sommersprossen - und keine einzige mehr - lachten auf ihrer Nase mit ihr.

Du hast ja auch leicht Reden. Hätte ich den Prinzen schon gefunden, müsste ich auch nicht jeden Frosch küssen.“ Und das erinnerte mich direkt wieder daran, dass ich froh war, Flo als Freundin zu haben. Sie war die Einzige, die mir das Gefühl gab, es könnte besser sein, ein Leben als Single zu führen, als glücklich liiert zu sein. Denn das war ihr Mantra, weshalb auch jeder wusste, dass eine solche Andeutung niemals ernst gemeint war. Für nichts in der Welt, da war ich mir sicher, hätte Flo ihre zahmen kleinen Frösche für einen Prinzen getauscht und Gretas Leben geführt.

Diese lächelte nur zufrieden und sah dabei aus wie ein Engel. Auch wenn ich mich oft gefragt hatte, ob ihr Glück der Wahrheit entsprach oder sie uns und wahrscheinlich sogar sich selbst etwas einredete. Ihr Freund war gutaussehend und auf den ersten Eindruck wirklich nett, wenn auch kühl, doch immer, wenn es Greta nicht gut ging, dann kam sie zu uns und ging nie zu ihm. Er begleitete sie nie, wenn sie ein Tennisturnier hatte, ihre Lieblingsband spielte oder sie in den Club gehen wollte. Und wenn Flo und ein Typ oder irgendein anderes Pärchen vor unseren Augen herum turtelten oder wer weiß was noch taten, dann lachten wir zwar darüber, aber ich hatte beobachtet, dass sie dem Treiben die gleichen sehnsüchtigen Blicke schenkte, wie auch ich es tat.

Lena, was ist los mit dir?“, fragte Flo ungewohnt besorgt und ließ mich erst jetzt bemerken, dass ich bisher kaum ein Wort gesagt hatte.

Langer Tag und müde“, antwortete ich so kurz es ging.

Aber du isst doch wohl noch mit uns Lasagne?“ Ich kannte meine rothaarige Freundin gut genug, um zu wissen, dass dies keine Frage, sondern ein Befehl war. Ich ließ mich also erschöpft auf einen Barhocker fallen und fragte mich in diesem Moment, wer eigentlich auf die Idee gekommen war, statt vernünftiger Stühle mit Lehnen, diese Hocker zu kaufen. Es gab einfach keine Möglichkeit eine bequeme Sitzhaltung einzunehmen.

Ich muss immer noch so lachen, wenn ich daran denke! Wie dieser bärtige Barkeeper mit Greta geflirtet hat!“

Er hat nicht mit mir geflirtet. Zum Flirten braucht es zwei Personen.“

Er brauchte offensichtlich deine Reaktion nicht, um immer wieder anzukommen!“ Flo lachte aus vollem Hals. Ich fragte mich, wie sie nur so energiegeladen sein konnte, doch dann fiel mir ein, dass sie ihr Studium, die Wohnung und ihre endlos vielen Klamotten von ihrem Vater bezahlt bekam und nicht wie ich dafür sonntags früh kellnern gehen musste.

Und dieser eine Typ, der Besoffene, der gesungen hat! Das war so komisch!“ Sie schrie mehr, als sie lachte. Greta verzog nur ihren Mund zu einem Lächeln, da sie selten unnötige Worte von sich gab.

Meine blonde Mitbewohnerin schielte irgendwann zu mir und setzte eine nachdenkliche Miene auf. „Du hattest keinen guten Tag, oder?“

Doch, ich bin wie gesagt nur ein wenig müde.“ Doch sie hörte nicht auf, mich anzuschauen, bis es an die Tür klopfte und sie aufsprang. Es war Manu, der gutaussehende Kerl mit den auffallend breiten Schultern und der Hakennase. Er grüßte verhalten und schon waren die beiden verschwunden, was uns schon lange nicht mehr wunderte. Sobald Manu da war, war Greta weg, eigentlich waren beide weg, sobald Manu da war.

Flo hatte noch nicht einmal ihren Satz zu Ende gesprochen, in dem sie Gretas Freund fragen wollte, ob er vielleicht noch Lasagne mochte, da waren sie bereits in Gretas Zimmer verschwunden. „Da fährt er, der Zug ins Beziehungsland. Ich sag dir, Lena. Lass die Finger von den Männern!“ Und schon musste sie selbst wieder lachen. Natürlich, es gab niemanden, der einen solchen Satz unglaubwürdiger klingen lassen konnte. Ich zog nur eine Augenbraue hoch und knusperte den vertrockneten Rand der Lasagne.

Zumindest von Beziehungen und so was, glaub mir, man kann alles haben, was man in einer Beziehung bekommt, ohne eine einzugehen.“ Sie grinste bösartig.

Wie soll das denn gehen?“

Ich habe Sex, das Gefühl umgarnt zu werden, bekomme Geschenke und hin und wieder Blumen, man schreibt mir, wie schön ich bin und habe ständig jemand, um mit ihm ins Kino oder in die Bar zu gehen und das beste, ich muss mich auf niemanden festlegen, habe nie Beziehungsstress und mir wird nie das Herz gebrochen!“ Irgendwie machte das schon Sinn, was Flo sagte, aber auch nur, weil Flo es sagte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, nur einen Tag ihr Leben zu führen, ohne dabei im kompletten Gefühlschaos zu enden.

Du solltest es einmal ausprobieren. Du wirst begeistert sein, wenn es erst mal läuft. Statt alle Erwartungen in einen Mann zu setzen, habe ich die perfekte Beziehung mit vielen, jeder ist für etwas anderes zuständig. Peter zum Ausgehen, Lukas zum verreisen, Emil zum Reden, Jonas zum Ausheulen und Benni für ganz andere Dinge.“ Wieder grinste sie böse. „Und die finden es auch geil, weil sie keinerlei Verpflichtungen eingehen müssen und wenn du einen Mann bei der Stange halten willst, dann gib ihm das Gefühl, dass er ein freier Jäger ist oder so einen Scheiß und schon frisst er dir aus der Hand.“

Der Gedanke mich mit mehreren Männern zu treffen, erschien mir noch ganz lustig, aber schon mehreren nahe zu kommen oder mit ihnen zu schlafen, klang nicht nach mir, einfach fremd. Vielleicht aufregend, aber gleichermaßen irgendwie eklig.

Ich zeig dir, wie man ein schönes Singleleben führt!“ Ich schaffte es nicht wirklich zu widersprechen. Ich war erst seit zwei Monaten wieder solo und eigentlich war die Trennung eine Erleichterung, doch der Schock, dass mein Ex mich schon nach einem Monat ersetzt hatte, saß noch tief in meinen Adern. Es war doch wirklich unglaublich, dass er den Tränen nahe bei mir anrief und um seine verlorene Liebe weinte und wenige Wochen danach eine neue Liebe gefunden hatte. Dieser Heuchler.

Vielleicht war es wirklich mal an der Zeit, die Dinge ein wenig lockerer anzugehen und wer könnte mir besser dabei helfen als Flo?

 

 

 

 

 

*

 

 

 

 

Jetzt wischst du nach links und weg.“

Warte, der war doch gar nicht so schlecht.“

Wie bitte? Hast du den offenen Schrank im Hintergrund nicht gesehen? Da sieht man gleich, dass der sein Leben nicht unter Kontrolle hat.“

Und du bist jetzt Hobbypsychologe in der Vertiefung Schrankanalyse?“

An deinem Humor müssen wir auch noch arbeiten. Männer stehen nicht auf lustige Frauen, es sei denn du machst anzügliche Witze.“

Das ist total sexistisch.“

Flo reagiert nicht und wirkt unbeeindruckt, egal welches Bild auf meinem Smartphone erscheint, sie wischt es für mich in einen leeren Raum ungeachteter Möglichkeiten. Ich habe jedes Mal ein kleines Schuldgefühl, wenn ich einen Mann „wegwische“, schon auch weil diese Bewegung, eher daran erinnerte, ein Insekt zu verscheuchen, als einem Menschen einzugestehen, dass er nicht dein Typ sei.

Du sollst nicht die Moral und die Individuen, die sicherlich alle eine wundervolle Seele haben, philosophisch analysieren, du sollst einfach nur ein paar heiße Typen finden“, ermahnte mich meine Freundin.

Ich hatte Flo schon oft beim Benutzen von Onlinedatingseiten zugesehen. Sie brauchte eine Zehntelsekunde, um herauszufinden, ob ein Mann zu ihr passte oder nicht. Vermittlungsagenturen, Psychologen und Wissenschaftlern meilenweit voraus, war sie ein richtiger Profi darin. Na ja bis auf manchmal, da hörte ich sie fluchen, wenn sie versehentlich ihren Traummann „weggewischt“ hatte. Zum Glück gab es aber immer noch genug andere.

Pass auf, die mit dem Fliter da sind Psychos, alle crazy.“

Dabei hatte ich gerade einen ganz anderen Verdacht, wer hier crazy ist.

Und immer eine Stunde warten, eh du das erste Mal zurückschreibst!“

Warum?“

Weil du sonst verzweifelt wirkst und als hättest du kein spannendes Leben.“ Hatte ich denn ein spannendes Leben? Ich würde es als recht durchschnittlich bezeichnen, bisschen Sport, arbeiten, Uni, normal eben.

Doch Flo schien meine Gedanken zu lesen. „Du musst den Männern vermittelt, dass du total interessant bist und es sich lohnt zu investieren! Hab ich neulich erst gelesen.“ Plötzlich vibrierte mein Telefon. „Oh schau, da hat einer geschrieben!“ Aufgeregt schaute ich auf meinen Bildschirm. Ein bisschen enttäuscht stellte ich fest, dass es der Typ mit dem Sixpack aber ohne Kopf war, dem Flo gleich zu Beginn einen „Like“ gegeben hatte. Seine erste Nachricht war „Hey“, an Kreativität schien es dem Sixpack also nicht zu fehlen.

Na ja, du darfst nicht zu viel erwarten.“

Der hat bestimmt eine ganz schreckliche Frisur oder eine große Beule am Ohr. Vielleicht schielt er auch.“ Sofort kaum mir ein Bild in den Kopf, wie das Sixpack seinen eigenen Kopf in den Armen hielt, der ihm wie bei einer Mumie abgefallen war.

Wen interessiert es, schau dir den Körper an!“, meinte Flo und hielt mir das Handy so nah vors Gesicht, dass ich gar nichts mehr erkennen konnte.

Wenn jemand ein hübsches Gesicht hat, würde er das doch auch zeigen, oder?“

Eine weitere Nachricht von ihm folgte, in der er mich fragte, ob ich auf einer anderen Plattform angemeldet sei. Warum fragte er das, wir schrieben doch hier, wozu wollte er dann noch eine andere? Als ich nein antwortete, kam nichts mehr. Übrigens nie wieder.

Klar, der denkt, du bist ein Fake.“

Aus irgendeinem Grund fühlte sich das jetzt wie ein Kompliment an, als Flo dann aber erzählte, dass sich auch Perverse als junge Mädchen ausgeben würden, um Nacktbilder zu bekommen, schon nicht mehr so.

Und wo wir schon beim Stichwort pervers waren, die Männer die mir noch schrieben, waren es zum Großteil genauso wie ich, wenn ich darüber nachdachte, wie diese App funktionierte. Achtzig Prozent der Nutzer suchten nach unkomplizierten Kontakten für unkomplizierten Körperkontakt, die anderen Zwanzig vielleicht die Große Liebe oder auch einfach Bekanntschaften, alle in einem Topf aus Oberflächlichkeit, jeder Einzelne, bewertet durch vielleicht drei Fotos, ob er gut genug sei oder eben nicht. Und gut genug wurden immer weniger, je länger man es nutzte. Das Schlimmste aber, es machte mir auch noch Spaß. Ich schrieb mit vielen Männern

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.07.2021
ISBN: 978-3-7487-8828-7

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /