L iebe
E rinnerung
A uferstehung
Der schönste Moment im Leben ist, wenn du dein neugeborenes Kind in den Armen hast.
Lea wurde nur drei Jahre alt.
Ich werde leben,
solange euer Herz schlägt.
Ich werde leben,
solange wie ich bei euch einen Platz
im Herzen habe.
Ich werde leben,
solange ihr euren Weg geht.
Ich werde leben,
solange in eurem Leben ein Lächeln erscheint.
Wenn ihr mich sucht,
dann sucht mich in eurem Herzen.
Wenn ihr mich dort findet,
dann lebe ich in euch weiter.
(Milead A. Yousef Shalin)
Begleitwort
Als ich die ersten Zeilen von »Plötzlich ohne dich« las, fiel mir sofort auf, dass ich hier einem Menschen begegne, der mit großer innerer Klarheit gesegnet ist. Obwohl Rubi Khen vom größtmöglichen Schmerz erzählt, der einer Familie widerfahren kann, ist sie in ihrer Schilderung immer sachlich geblieben, aber gleichzeitig hoch emotional. Wie könnte man auch anders vom Tod des eigenen Kindes berichten, ohne in die tiefsten Tiefen der menschlichen Emotionalität einzutauchen?
Offen und mutig, und mit größtmöglicher Ehrlichkeit, zeigt sie uns auch, dass die Welt, wie die meisten Menschen sie erleben, nicht »alles« ist, nicht die ganze Wahrheit über das Leben, wie wir es kennen. Wir sind nie allein. Wir alle werden von liebenden, wohlwollenden Geistwesen begleitet – auch ich habe dies erleben dürfen, in der Zeit, als mein Sohn schwer erkrankte und starb. Ich habe den Vergleich zu Rubi Khens Erleben und kann Ihnen, liebe Leser, bestätigen, dass das Leben nie endet, es ist nur der Körper, der stirbt, sich wandelt und wieder Teil der Erde wird.
Die Seele, der Geist, der große Odem – wie auch immer wir es nennen wollen – existiert weiter, entwickelt sich weiter. Der Himmel ist real. Unsere Lieben leben dort weiter! Wir werden sie wiedersehen, wieder umarmen können. Wenn unsere Zeit gekommen ist und wir das Zeitliche segnen werden.
Real ist auch die Trauer, die uns überkommt, wenn wir am Tag des Todes getrennt werden und zurückbleiben müssen. Das fühlende Herz zerreißt, weint unzählige Tränen in das Meer unserer Seele. Wir sind dann gefangen in dunkler Nacht und manch einer mauert sich ein und erträgt keine Freude mehr. Alles erscheint uns fahl und sinnentleert. Doch dürfen wir nicht in dieser Haltung zu lange verharren – unsere Lieben, die uns vorausgingen, fühlen mit uns! Sie selbst leben in einer neuen Welt und wünschen sich nichts mehr, als dass auch wir wieder von Herzen lebendig werden, die Schönheit dieser Welt sehen und genießen können.
Wir können unseren Verstorbenen ein großes Geschenk machen: Aus dem Dunkel wieder ans Licht zu gelangen! Was nichts anderes heißt, als im Lauf der Zeit wieder das Lachen zu lernen und die Lebensfreude und den Dank, für das, was war und noch sein wird, über die Trauer zu stellen.
Rubi Khen zeigt uns, wie das geht. Dafür hat sie meinen Dank!
Marlies Lüer (Autorin)
Vorwort
Dieses Buch erzählt die Geschichte unserer Tochter Lea und meinen ganz persönlichen Weg durch die Trauer. Es erzählt, wie ich aus der Dunkelheit wieder ins Licht zurückgefunden habe.
Das Geschehene ist von mir so geschrieben, wie ich es mit meinen Augen gesehen und mit meinem Herzen zu diesen Zeitpunkten gefühlt habe.
Auch ich habe Fehler gemacht und so soll am Ende dieses Buches das Wort Verzeihen im Vordergrund stehen.
Als aufmerksamer Leser, als aufmerksame Leserin, entgeht dir sicher nicht mein inneres Drama, welches durch verschiedene Ereignisse nach dem Unglück in mir entstanden ist. Dieses Buch hat mir dabei geholfen, Verletzungen loslassen zu können und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Doch dafür war es notwendig, diese auch vorab auszusprechen.
Mein Dank geht an meine Freundin Brigitte, die mich immer wieder bestärkt hat, dieses Buch zu schreiben und mir klar gemacht hat, dass ich vor nichts Angst zu haben brauche. Denn es ist mein Leben, von dem ich hier berichte. Ein großes Dankeschön geht auch an eine weitere Freundin, an Regina, die Patentante meiner Tochter Lea, die uns in dieser schweren Zeit immer zur Seite stand.
Auch an unseren Seelsorger geht an dieser Stelle ein herzlicher Dank.
Du warst für uns ein Geschenk!
Ich bin davon überzeugt, dass Bücher uns finden und so habe ich schon jetzt ein klein wenig das Gefühl, dass jeder Leser und jede Leserin dieses Buches ein Stück mit mir verbunden ist. Aus diesem Grund sei es mir bitte erlaubt, dich, Leser und Leserin, mit dem persönlichen „Du“ anzusprechen.
Vieles in diesem Buch wird dir vielleicht suspekt, unglaublich vorkommen. In vielen Dingen wirst du dich vielleicht mit mir verbunden fühlen. Vieles wird dir eventuell eine Hilfe sein. Und so möchte ich dir einfach sagen: »Nimm mit aus diesem Buch, was für dich richtig ist. Nimm mit, was dir gut tut und den Rest lass hier.«
Ich habe mich dazu entschlossen, dieses Buch unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Ich möchte den Schwerpunkt dieser sehr persönlichen Geschichte nicht auf meine Person legen, sondern auf das »Wie« ich es geschafft habe, heute wieder gerne zu leben und das Leben zu lieben. Das gilt auch für die genannten Namen aus meiner Familie und meinem Freundeskreis. Sie sind frei erfunden. Lediglich der Name meiner Tochter Lea ist wahr.
Mein Pseudonym ist durch einen Gedanken meiner Freundin Brigitte entstanden, die bei und mit mir einen Rubin assoziiert hat. Aus Rubin wurde Rubi.
Der Rubin gilt als »Stein des Lebens und der Liebe«. Es wird gesagt, dass er seiner Besitzerin Tapferkeit und Würde verleiht. Die Energie des Rubins bringt Unterstützung, um zu sehen, ob und was es für eine Wahl gibt, außerhalb der Erfahrungen von Schmerz, Leid und Abscheu.
Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Familie.
Meine Familie ist großartig! Danke an meinen Mann, meine beiden Kinder Monika und Katharina sowie an meine Brüder, meine Schwägerinnen, meinen Schwager, meine Schwiegermutter, an meinen Vater und an meine Stiefmutter. Es wird Zeit, dass ich euch ein großes Dankeschön ausspreche. Danke, dass ihr immer für mich da seid und mir in der Vergangenheit den Rücken gestärkt habt. Für euch ist es sicher nicht einfach gewesen, mit mir in dieses neue Leben hineinzuwachsen. Letztendlich habt ihr immer hinter mir gestanden. Ihr habt mir Wege geebnet! Ich durfte mich ausprobieren. Mich neu finden. Auch wenn mir dies nicht immer klar war, so habe ich es heute ganz deutlich vor Augen. Danke!
Lea, dir danke ich noch viel mehr!
Unser Weg war nicht einfach. Noch heute haben wir manchmal mit der Vergangenheit zu kämpfen. Doch wir haben zusammengehalten, trotz allem.
Ich liebe euch!
Es ist schwer, sich an Dinge zu erinnern, die ich in mir vergraben habe. Ganz tief vergraben, damit sie mich nicht mehr verletzen können und sie jetzt hervorzuholen, bedeutet einen enormen Kraftakt und ein Wechselbad der Gefühle. 10 Jahre nach dem Tod meiner Tochter sitze ich nun hier und schreibe an diesen Zeilen mit der Gewissheit, sie werden auch zu meinem Heilungsprozess beitragen. Ein Prozess, der mich immer weiter Fortschritte machen lässt, aber nie wirklich enden wird. Vor kurzem habe ich zu einer Freundin gesagt: »Ich werde den Tod von Lea niemals akzeptieren können, doch ich kann es heute respektieren, dass sie in einer anderen Welt ist. Dass sie glücklich ist und ich kann für mich sagen, dass ich auch wieder glücklich bin und Lea sicher noch eine Weile dort drüben auf mich warten wird.«
Viele von euch stellen sich jetzt vielleicht auch die Frage: Wie hat sie das geschafft? Einige eurer Fragen wird dieses Buch beantworten und eines möchte ich bereits vorausschicken:
Es ist alles eine Frage des Gleichgewichts.
Ich habe mein Gleichgewicht gesucht und gefunden. Es war ein langer Weg mit Umwegen und Steinen, über die ich oft gestolpert war. Das Leben schätzen und die Trauer ausleben: Das ist das Ziel. Nur das Gleichgewicht kann erreichen, das Leben wieder lebenswert zu finden.
Was ist passiert
Ein Sonntag im März vor zehn Jahren. Der Geburtstag meines Vaters. An diesem Abend war es schon spät, als wir uns mit unseren Kindern auf den Heimweg machten.
Ich erinnere mich noch gut, dass meine Tochter Lea darauf bestanden hat, dass ich neben ihr sitze und während der ganzen Fahrt hat sie mei-ne Hand gehalten und ist dann irgendwann eingeschlafen. Damals dachte ich: »Eigenartig, nicht einmal im Schlaf verändert sich ihr Griff.« Er war so kraftvoll und ich spürte, sie wollte mich nicht loslassen. Wie jedes Kind, das aus dem Schlaf gerissen wird, hat sie ein wenig ungehalten reagiert, als wir zuhause ankamen, aber schließlich ist sie dann doch auf ihren kleinen Füßen herausgeklettert. Da wir schon bei meinem Vater zu Abend gegessen hatten, half ich meinen Kindern dabei, sich bettfertig zu machen. Waschen, Schlafanzug an und Zähne putzen. Wie jeden Abend.
Doch an diesem Abend war es anders. Lea weigerte sich, ins Bett zu gehen und weinte. Obwohl es schon spät war, überkam mich eine merkwürdige Ruhe. Das Ganze hat mich schon ziemlich erstaunt. Ich setzte mich mit Lea auf den Fußboden in ihrem Zimmer. Sie kuschelte sich in meine Arme und wir saßen einfach ganz still da. Nach einer Weile habe ich ihr etwas vorgesummt und sie in meinen Armen geschaukelt. Mein Mann hat sich um unsere »Große« gekümmert. Monika war damals gerade sechs Jahre alt. Und wie wir da so in Leas Zimmer auf dem Fußboden saßen, verlor ich irgendwie jegliches Zeitgefühl. Ich habe mich sogar ein wenig erschrocken, als Lea sich plötzlich aus meinen Armen befreite und sagte: »Mama, jetzt kann ich ins Bett gehen.« Noch heute habe ich das Bild vor Augen, als sie über die Leiter in ihr Hochbett kletterte, mich noch einmal umarmte und mir einen dieser dicken, feuchten Schmatzer aufdrückte:
»Gute Nacht Mama, ich habe dich lieb. Deck dich schön ein und schlaf gut!«
Dieses »Deck dich schön ein« habe ich immer gesagt, bevor ich das Zimmer von Lea verließ und irgendwann hat sie einfach meinen Satz übernommen. Selbst heute muss ich darüber noch schmunzeln. Dies war unser Gute-Nacht-Ritual.
An diesen Abend erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Es war der Tag, an dem mein Kind von mir Abschied nahm. Nur, mir war das nicht klar!
Der Unfall
Wir hatten verschlafen. Der Kindergarten fiel für diesen Tag aus und wir legten einen »Faultag« ein.
Ab ins Schlafzimmer und im Bett von Mama und Papa kuscheln. Irgendwann sind wir dann doch noch aus dem Bett geklettert und die Kinder spielten in ihren Zimmern. Gegen Mittag kam Besuch. Ein gemeinsamer Freund der Familie bat mich, ihn bei seinen Besorgungen zu begleiten. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, wollte ihm diese Bitte aber auch nicht abschlagen. Meine Schwiegermutter erklärte sich bereit, auf die Kinder aufzupassen. Oben im Flur verabschiedete ich mich von den Kindern, meiner Kleinen sagte ich, sie solle keinen Blödsinn machen, irgendetwas war da … mein Bauch wollte nicht, dass ich ging – ich tat es trotzdem.
Es war kurz nach 16 Uhr, ich stand gerade in einem Blumenladen. Mein Handy klingelte…
Zuerst habe ich es gar nicht wahrgenommen, aber dann wurde dieses Klingeln aggressiv. Jedenfalls fühle es sich für mich so an. Ich sah auf das Display – mein Mann.
»Hallo mein Schatz, bist du schon zuhause?« – Ruhe….
»Du musst nach Hause kommen, Lea hatte einen Unfall. Der Notarzt ist hier. Es sieht nicht gut aus. Sie versuchen sie wiederzubeleben.«
Stille….
Und dann wurde es dunkel um mich.
Mein Kind, dachte ich – mein Kind! Gott, nimm mir mein Kind nicht weg. Nein, das darf nicht sein!!!
Die Fahrt nach Hause hat so unendlich lange gedauert. Dieses Mal war der Weg einfach nur zu weit. Es ging mir nicht schnell genug. Immer wieder rief ich: »Kannst du denn nicht schneller fahren?«
Irgendwann unterwegs klingelte das Handy wieder. Mein Mann teilte mir mit, dass der Notarzt Lea zurückgeholt hatte. Ihr Herz schlug wieder.
Beim Schreiben dieser Worte rüttelt es mich noch heute – zehn Jahre später.
Zuhause angekommen, hat mein Schwager schon auf mich gewartet. Der Krankenwagen war bereits mit Lea und meinem Mann zum Kinderkrankenhaus unterwegs. Doch als wir dort ankamen, war dort niemand. Die Kinderklinik konnte Lea dort nicht aufnehmen, weil kein Arzt vor Ort war, der das CT bzw. MRT bedienen konnte und sie wurde deshalb in ein anderes Krankenhaus geschickt, das damals Notaufnahme hatte. Dorthin sind wir dann gefahren.
Heute kann ich sagen, dass dies ein Segen für uns war. Auch wenn die schlimmste Zeit unseres Lebens begann, hier haben wir auch viel Hilfe erhalten.
In der Notaufnahme lief ich meinem Mann in die Arme und von da an haben wir gewartet, gewartet und gewartet. Es fällt mir sehr schwer, über den Unfall zu schreiben, denn ich erinnere mich an schmerzhafte Prozesse wie Schuldgefühle, die ich fast überwunden geglaubt habe.
Die Erinnerung daran wühlt beim Schreiben einiges an Emotionen wieder auf. Jedoch sehe ich es jetzt als einen weiteren Schritt in meinem Heilungsprozess an und vielleicht hilft es dir als Leser, als Leserin, auch auf irgendeine Art und Weise. Als ich am Tag des Unfalls mit besagtem Freund Besorgungen erledigte, passierte es.
Der Unfall geschah, als Lea sich aus dem Schrank im Zimmer ihrer Schwester Stifte besorgen wollte. Da sie noch sehr klein war, hat sie sich zunächst auf die Bettkante gestellt und hat die Türen des Schrankelementes geöffnet. Sie muss sich an den Türen festgehalten haben, weil sie nicht an die Stifte herankam und hat dann das Gleichgewicht verloren. Sie ist rückwärts auf den Fußboden gestürzt. Das Schrankelement ist mit offenen Türen auf sie herabgefallen. Die Türen haben den Sturz des Schrankes dann abgebremst. Durch den Fall auf den Rücken hat Lea aufgehört zu atmen. Ihre Schwester und ihre Cousine haben den Aufprall gehört, sind ins Zimmer gelaufen, haben sie dort liegen sehen und sofort die Oma geholt.
Trotzdem nur ein paar Augenblicke später unser damaliger Hausarzt, unmittelbar mit der Reanimation begonnen hatte, wollte Lea nicht zurückkehren. Laut Aussage unserer Familie hat der Rettungswagen sehr lange gebraucht, bis er endlich bei uns vor Ort war. Sie haben uns hier nicht gleich gefunden. Während das Rettungsteam Lea reanimierte, kam mein Mann von der Arbeit nach Hause und noch im Flur stand er fassungslos vor den Begebenheiten. Später hat er mir erzählt, dass er große Angst davor hatte mich anzurufen. Er wusste nicht, wo und ob ich allein unterwegs war. Meine Schwiegermutter hatte in der ganzen Aufregung vergessen ihm mitzuteilen, dass ich mit unserem Freund zum Einkaufen gefahren war.
Die Zeit im Krankenhaus
Ich erinnere mich daran, dass eine Ärztin zu uns kam und uns verzweifelt die Frage stellte, was denn nur passiert wäre. Lea würde einfach nicht wach werden wollen. Die Ärztin konnte sich das nicht erklären, da Lea keine Verletzungen hatte.
Viel konnten wir den Ärzten noch gar nicht sagen, denn sie wurde ja von der Oma beaufsichtigt, während ich die Besorgungen erledigte und mein Mann kam erst nach Hause, als das Unglück schon geschehen war.
Wieder haben wir gewartet… Die Zeit ging vorbei und doch stand sie irgendwie still. Plötzlich öffneten sich die Türen der Notaufnahme und unser kleines Kind wurde über den Flur zum Fahrstuhl geschoben. Ich bin sofort zu ihr und habe einen kurzen Blick auf sie geschenkt bekommen. Sie lag da, als ob sie schliefe, aber irgendwie war sie mir fremd. Da fehlte etwas…
Was das bedeutete, wurde mir erst später klar.
Lea wurde auf die Intensivstation gebracht. Wir mussten draußen warten. Wieder warten.
Und während wir um unser Kind bangten, habe ich mir noch große Sorgen um unseren Freund gemacht. Er stand ebenfalls unter Schock, hat sich große Vorwürfe gemacht, dass er mich überredet hatte, ihn zu begleiten. Er war spurlos verschwunden und drohte einem meiner Brüder (sie waren auch befreundet) per SMS mit Selbstmord, sollte Lea sterben. Meine Brüder sind durch die ganze Stadt gefahren und haben ihn gesucht und ihn schließlich irgendwo am Wasser gefunden.
Und mein Mann und ich, wir saßen in diesem Glaskasten, völlig verzweifelt und starrten durch die Glasscheiben. Ich hatte die Spieluhr von Lea in der Hand und konnte an nichts mehr denken, außer daran, dass ich zu meinem Kind wollte. Der Unfall war gegen 16:00 Uhr am Nachmittag. Es war schon nach 21 Uhr und wir saßen noch immer in diesem Glaskasten…
Zwischendurch kam immer mal ein Arzt vorbei, aber wir durften einfach nicht zu unserem Kind.
Dann passierte es. Während ich in diese Glasscheiben starrte, veränderte sich plötzlich mein Spiegelbild. Da blickte mich ein Gesicht aus dem Spiegel an. Mein Gefühl sagte mir, es ist Jesus. Mit ganz traurigen, dunkelbraunen Augen sah dieses Gesicht mich an und ich hörte eine innere Stimme, die zu mir sprach.
»Es tut mir leid, sie wird sterben. Ich werde sie begleiten!«
Dies war der Moment, in dem ich durchdrehte. Ich darf erklärend dazu schreiben, dass ich zwar an Gott glaubte, jedoch war es für mich nicht üblich, Jesus in Spiegelbildern zu sehen.
Ich dachte nicht einmal darüber nach, ob es sich vielleicht nur um eine Halluzination handelte, nein, ich fühlte es so stark in meinem Herzen:
Lea wird uns verlassen.
Ich schrie, ich tobte auf dem Flur vor der Intensivstation. Ich klingelte Sturm und drohte dem Personal, wenn sie mich jetzt nicht zu meinem Kind ließen, würde ich den ganzen Flur auseinandernehmen. Ich weiß nicht, ob ich dies schon viel früher hätte tun sollen, aber auf einmal durften wir zu unserem Kind.
Ich werde nie vergessen, wie lang mir dieser Flur der Intensivstation vorkam. Wie unendlich lang
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Rubi Khen
Bildmaterialien: Cover: Irina Bolgert
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4620-6
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