»Ich warte auf meine Mami«, trillerte ich und ließ meine Beine an der Bank baumeln. »Sie ist nämlich auf die Jagd gegangen.«
Der Mann mit dem großen Hut und den starrenden Augen blinzelte mich verworren an. Anscheinend schien ich ihn mit meinen Worten erschreckt zu haben. Deshalb versuchte ich stets höflich zu bleiben, genau wie es mir meine Mama beigebracht hatte.
»Meine Mami jagt bestimmt genug für uns Drei. Du kannst auch mitessen, wenn du möchtest.«
Er zupfte sich an seinem steifen Hut. »Oh, das ist ja sehr nett von deiner Mama, aber du meinst bestimmt, dass sie etwas zu …« Er blickte um sich und die Dunkelheit schien ihm etwas auszumachen.
»Oh keine Sorge, meine Mama kann nachts nämlich sehr gut sehen. Außerdem ist sie sehr schnell.«
Er kratzte sich am Kopf und strich über meine Haare. »Du sagst deine Mama kann bei Nacht sehen?« Ich nickte stolz. Eines Tages möchte ich genauso stark und schnell wie meine Mama sein. »Sie ist die Beste aus unserer Familie.«
Er schien nun interessiert zu sein, also fragte er neugierig. »Welche Familie seid ihr denn?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Tante Gwendolyn sagte mal: ›Wir sollten aufpassen, was wir zu unserem Essen sagen. Schließlich soll es ja schmecken.‹
»Das darf ich nicht sagen«, kicherte ich und mir gefiel es mit dem Mann zu spielen. Aber wo blieb Mama so lange? Sie war schon seit einiger Zeit weg und langsam begann mein Magen wehzutun. Ich tippte mit dem Finger darauf.
»Hör mal, Kleine, wir sitzen schon seit über einer halben Stunde hier und eigentlich sollte ich nach Hause zu meiner Frau zurückkehren, aber ich kann doch keine Achtjährige einfach hier draußen in der Dunkelheit sitzen lassen.«
»Meine Mama kommt bald«, sagte ich lächelnd und dennoch zweifelte ich langsam an meinen Worten. Wo blieb Mama? Sonst brauchte sie nie solange um das Essen zu besorgen. Ob etwas passiert war?
Er fuhr sich nervös über sein stoppeliges Kinn. »Ja, das glaube ich dir ja gern, Kleine, aber es ist sehr gefährlich hier draußen alleine zu sitzen.«
Ich schüttelte widerspenstig den Kopf. »Nein, die Jünglinge werden von den Elementen geschützt. Mir kann nichts passieren.«
Wieder ein Blinzeln des seltsamen Mannes. Ob er etwas im Auge hatte? Jedenfalls schien er über uns nicht Bescheid zu wissen. ›Ist der dumm.‹
»Offensichtlich hat dich deine Mama vergessen oder sie …« Er fuhr sich über den Nacken, als ob er dort schwitzen würde. »… weißt du, Kleines, ich glaube deine Mama hat dich unfairerweise ausgesetzt.« Er schaute mich nun fest an. »Sie hat dich verlassen.«
Mein Entsetzen über seine Worte trieben mir die Tränen in die Augen. »Nein, das würde meine Mama nie tun! Du lügst!«
Er erhob sich von der Bank und hielt mir seine Hand hin. »Na komm, ich bringe dich zu mir nach Hause und dann werden wir dich morgen zu ganz vielen anderen Kindern bringen, die so sind wie du.«
Sprach er von ganz vielen anderen Bestia? So viele Kinder? Das wäre wunderbar. Aber ich konnte nicht gehen, schließlich hatte ich meiner Mama versprochen hier zu bleiben und auf sie wie ein gehorsames Kind zu warten.
»Kann ich morgen mit dir mitgehen zu diesen vielen Kindern? Weil ich habe meiner Mama versprochen auf sie zu warten. Sie wird gleich kommen.«
Die dunklen Augen des Mannes schienen zu zittern. Er empfand Mitleid, aber warum? »Deine Mama wird nicht kommen, Kleines. Es ist mitten in der Nacht und alle Geschäfte haben geschlossen.«
Aber was hatten denn die Futterstände der Menschen mit uns zu tun? Irgendwie wirkte der Mann sehr unerfahren. Ob ich ihn aufklären sollte? Ein Achtjähriges Mädchen wie ich war die Intelligenteste aus der Klasse. »Nein«, lachte ich laut und schlug mir, wie die Erwachsenen es manchmal tun, auf die Oberschenkel. »Meine Mama ist doch im Park und jagt.«
»Was jagt sie denn?« Seine Stimme klang plötzlich überhaupt nicht mehr freundlich. Irgendwie war er angespannt.
Das war das größte Geheimnis, dass wir den Menschen niemals preisgeben durften. Tante Gwendolyn sagte immer, dass dann der Teufel los sei.
Ich tat so als hätte ich einen Schlüssel in der Hand, um damit meinen Mund zuzusperren. Anschließend warf ich ihn im großen Bogen weg. Der Mann schaute dem unsichtbaren Gegenstand hinterher.
»Ach so, ist das dann dein Geheimnis?« Ich nickte siegreich. »Wenn du mit mir kommst, dann zeige ich dir einen wunderschönen Schlüssel mit roten Glitzersteinen.«
Die Vorstellung war so wundervoll, dass ich erfreut aufsprang und in die Hände klatschte. Als der Mann lächelte und meine Hand nahm, spürte ich eine Kälte in ihm. Irgendwie verlor ich das Vertrauen zu dem Menschen mit den dunklen Augen. »Warte!«, rief ich und er hielt tatsächlich an.
Er blickte zu mir hinunter. »Stimmt etwas nicht?« Seine Finger waren nun angespannt und zitterten.
»Meine Mama!«
»Sie wird nicht kommen! Versteh das nun endlich!«, rief er mit bösartiger Stimme und schließlich löste ich mich ruckartig von seinen Händen. Mit einem großen Schritt trat ich zurück und legte sie hinter meinen Rücken.
»Du bist böse! Hab ich es doch gewusst!«
Sein Gesicht veränderte sich von einem Male. Aus der freundlichen Grimasse wurde ein gemeiner Ausdruck und irgendetwas wirkte an ihm sehr gefährlich. Seine Aura begann zu sprühen und berührte meine. Bereits dieser Kontakt sagte mir alles.
»Komm mit mir mit, Kleines, bei mir bekommst du alle Süßigkeiten die du dir wünschst.« Igitt! Wie eklig. Ich mochte kein Zucker und schon gar nicht Bonbons. Tante Gwendolyn sagte: ›Zucker simuliert nur einen gestillten Hunger und bringt dein Blut in Wallungen. Dem genmanipulierte Essen der Menschen kann man heute nicht mehr vertrauen. Aber ihre Körper sind noch rein genug.‹
»Das mag ich aber nicht!«, zischte ich zurück und klammerte mich an die Bank, als der Mann versuchte nach mir zu packen. Schließlich beäugte er seine Umgebung und bemerkte, dass wir allein waren. Warum mussten die Menschen immer so aufsässig und nervig sein? Was erwartete der Mann in Schwarz von mir? Eigentlich hatte er sich zu fürchten.
»Mamé, paque tera te yiz!«, rief ich auf bestiaisch. Der Mann verdutzte, ließ sich jedoch nicht lange beirren und packte meinen Bauch. Schließlich zerrte er so lange an mir, bis meine schwachen, kleinen Arme nachgaben.
Er hielt mich schmerzhaft umklammert, brüllte mir einmal ins Ohr, damit ich Ruhe gab und setzte schließlich zum Gehen an. »Mamé!«, kreischte ich wehrlos und plötzlich konnte ich ihre starke, kraftvolle Aura spüren. Sie war ganz in der Nähe. Außerdem hatte Mama sich satt gegessen.
»Gibst du jetzt endlich auf?«, grollte er und hielt mir seine Hand vor den Mund, damit die Gegend in eine einzige Stille versank. Meine Arme hatten aufgehört zu schlagen, als die Aura meiner Mutter so nah war, dass sie mir sofortige Wärme schenkte.
Der Mann blieb abrupt stehen und bemerkte wie ruhig ich mich plötzlich benahm. Er schaute zu mir und musste im ersten Moment gedacht haben, dass ich bewusstlos geworden war. Doch da irrte er. »Was hast du?«
»Hallo Mama«, sagte ich lächelnd und der Mann drehte sich mit mir im Arm um.
Vor ihm stand eine schlanke, kraftvolle und sehr reizbare Frau. Ihre Haare waren die gleichen wie meine. Sie hingen wie ein glänzender Seidenschal an ihr hinab und die dunkelbraune Farbe verschmolz mit der Dunkelheit um sie. Die hellgrauen Augen leuchteten durch den Schatten in ihrem Gesicht. Sie sah unzufrieden aus.
»Lass mein Kind sofort auf den Boden!«, befahl sie mit angsteinflößender Stimme. So klang Mama, wenn sie gereizt war.
Der Mann lachte. Er wühlte mit der freien Hand in seinem Mantel und zog eine Waffe heraus. Diese hielt er meiner Mama in Richtung Kopf. »Jetzt bist du wohl weniger stark, hm?«
›Ist der doof? Weiß der eigentlich mit wem er es hier zu tun hat?‹ Die Menschen waren wirklich dumm, genau wie Tante Gwendolyn immer sagte: ›Die Menschen sind für uns wie die Tiere für die Menschen sind. Das ist einfach so. Außerdem beschützen wir Unschuldige und diese von den Göttern in die Welt gesetzte Lebensform ist schuldig!‹
»Du wirst wohl zu meiner nächsten Mahlzeit, Freundchen!«, sagte Mama gehässig und leckte sich dabei über ihre roten Lippen. Daran hing wohl noch Blut.
Plötzlich zitterte der Mann und ließ mich los - obwohl er sich eigentlich zuvor stark gefühlt hatte - und entfernte sich einen Schritt von ihr. Schließlich rannte ich in die wohltuende Aura meiner Mama und sofort verspürte ich ein Heimatgefühl.
Sie streichelte behutsam über mein lockiges Haar. »Setz dich wieder auf die Bank, Schatz. Mama besorgt dir noch eine Mahlzeit, in Ordnung?« Sie wechselte den Blick zum Mann. »Itara pasû, Kidé!« - Schließe deine Augen, Kleines.
Ich tat was Mama befiehlt, baumelte mit den Beinen, als ich auf der Bank saß und legte die Hände über meine Augen. Schließlich wollte Mama noch nicht, dass ich sehe wie sie jagte. Sie sagte: ›In eurem Alter sollte man spielen, seinen Körper kennenlernen, Fähigkeiten austauschen und sich noch so lange es geht vom Mutterblut ernähren.‹
Wenn ich groß war, durfte ich endlich mit Papa auf die Jagd gehen. Aber Papa war nie zu Hause, er musste immer arbeiten gehen und für unsere Familie sorgen. Dabei war Papa doch total reich!
Ich summte vor mich hin und im Hintergrund konnte ich das Schreien und Flehen des Mannes mit den dunklen Augen hören.
Ich starrte gen Mond, als mir bewusst wurde, dass mir die Zeit davonlief. Mutter war bereits vorgerannt und saugte das Blut ihrer Opfer aus. Sie war eine Potoris, eine Blutsaugerin. Ihre Vorgehensweise ähnelte der Vampirfledermaus, allerdings glich sie in keiner Weise der bekannten Sagengestalt der Menschen.
Meine Tante Gwendolyn erlitt das ekligste und seltenste Schicksal. Sie aß ihre Opfer auf; Augen, Fleisch, Haare … Mein Körper sträubte sich bei der Vorstellung. Doch sie konnte sich auch mit sehr vielen Konserven auf den Beinen halten, genau wie das Verzehren von Leichen. Diese furchtbare Art nannte man Carolis.
Onkel Zeth ernährte sich von Knochenmark, dass er nur aus Krankenhäusern stahl und sich davon satt aß. Deshalb ging er nie mit auf die Jagd, weil er durch gute Kontakte das Mark nach Hause geliefert bekam. Seine Art nannte man Oslis.
Schließlich gab es noch den letzten Aasfresser. Mich. Ich war eine Animis. Mein Körper sehnte sich nach dem kostbarsten und letzten Gut der Menschen: die Seele. Würde ich mich weigern Nahrung zu mir zu nehmen, müsste ich dafür büßen und sterben.
Die Bestia behaupteten dass ihre Sucht nach Menschen ein Segen der Götter sei. Denn die Menschen hatten Furchtbares verbrochen, sie hatten ihren Glauben verloren und die Götter beleidigt. Aufgrund des Egoismus und des Hasses fielen die Bestia jahrelang über ihre Körper her. Die Bestia waren also treue Diener der Götter und wir fürchteten uns vor ihrem Zorn, sollten wir unsere Aufgabe vergessen oder verleugnen.
Ich wusste, dass ich schon immer anders war, denn ich mochte die Menschen und wollte niemand Unschuldigen töten. Paeon, meine Mutter, wurde deshalb des Öfteren wütend auf mich und zwang mich, die Seele eines anderen aufzunehmen. Deshalb jagte ich allein und jedenfalls durchfuhr mich ein Schmerz, sobald ich das Leben eines Menschen raubte. Die Bestia waren womöglich ein Segen für die Götter, aber nur weil sie deren Rache stillen konnten. Doch eigentlich besagte die Lebensform, dass sie unter einem grauenvollen Fluch litt. Würde meine Mutter diese Gedanken hören, hätte sie mich blau und blutig geprügelt.
Alle aus meiner Familie glaubten an die Götter, wie die Katholiken an den Herrn. Deshalb machte es ihnen umso mehr Vergnügen, wenn sie ihre Opfer töteten. Manchmal konnte ich sehen wie sich die Rache der Götter in ihren Augen widerspiegelte. Weshalb konnten unsere Schöpfer nicht selbst von ihrem Thron steigen und die Menschen vernichten. Mitleid empfand ich beinahe schon beim Anblick meiner Wahl. Die letzten Monate musste ein siebenjähriges Kind und zwei ältere Männer daran glauben. Mit viel Übung konnte ich meinen Durst hinauszögern und meine Opferzahl klein halten, aber allein bei der Vorstellung, dass diese Gabe ein Fluch war …
»Selene!« Der Name einer Göttin des Mondes. Meine Mutter hatte mich während der Nacht zur Welt gebracht, daher der Name. »Gwen und ich gehen schon mal zurück zum Anwesen. Wieso brauchst du immer so lange?« Paeon konnte manchmal sehr exzentrisch sein, wenn sie wollte.
»Ich habe noch keinen Menschen gesichtet.« Sie hob ihre Augenbraue und ich merkte schnell, dass meine Ausrede schwach gewählt war. »Keinen geeigneten, schließlich soll ich ja davon satt werden.« Damit meine Fassade den perfekten Schliff bekam, streckte ich ihr frech die Zunge heraus um verspielt zu wirken.
Sie fiel darauf herein. »Also gut, du kommst dann nach, in Ordnung?«
Ich nickte und sah wie sie von der Bildfläche verschwand. Paeon war unglaublich schnell. Ihre Zwillingsschwester Pagon war Ratsmitglied der Custois. Die Menschen fürchteten sich vor den Bestia und die Bestia fürchteten sich vor den Custois. Sie waren Gesandte der Götter, Wächter um es genau zu sagen. Sie glaubten, dass die Menschen eines Tages unsere Existenz herausfanden und mächtige Waffe gegen uns bauten. Die Custois sorgten für unseren Schatten in der Nacht, sowie am Tag. Außerdem bestimmten sie die Gesetze und besaßen auch das Schöpfungsbuch. Die erste Bestia hieß Levit und danach erschienen seine Anhänger.
Außer meinem Hass gegen mich selbst, gab es ein viel schlimmeres und grauenhafteres Verbrechen, dass ich begangen hatte. Ich versuchte sogar so wenige Gedanken daran zu verschwenden wie nur möglich. Wenn jemals herauskam, was ich getan hatte, würden selbst die Götter mich auf die grauensamst erdenkliche Art bestrafen. Ich hatte mich verliebt und dass nicht nur in irgendwen, sondern in einen Menschen. Er hätte meine Mahlzeit werden können, aber aus einem mir unerklärlichen Grund brachte ich es nicht übers Herz ihn zu töten. Er wusste was ich war und er behütete es wie sein größtes Geheimnis.
Ich traf ihn vor dreieinhalb Jahren und mittlerweile wurde mir bei jedem unserer heimlichen Treffen mulmig zumute. Mein Gewissen sagte mir, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht käme.
»Guten Tag, schöne Frau«, ertönte die wundervollste, melodische Stimme, die ich kannte. Ciaran schaute hinter einem Baum hervor und lächelte mich verliebt an.
Ich konnte meine Freude überhaupt nicht beschreiben, schließlich sahen wir uns nur bei Nacht und manchmal schaute ich heimlich auf seiner Arbeit am Flughafen vorbei. Ich gab mich meistens als Passagier aus, der stundenlang nur auf einem Stuhl saß und wartete.
»Ich habe nicht nachgehorcht, ob meine Familie noch in der Nähe ist.« Ciaran umfasste meine Taille und zog mich zu sich, um mir einen leidenschaftlichen Kuss aufzudrücken. Sein Bann zog mich jedes Mal in eine so unglaubliche Wärme, dass ich die wirklich wichtigen Dinge vergaß. Sollte jemals die Liebe zwischen mir und Ciaran herauskommen, würden alle vier Aasfresser auf ihn losgehen. Von seinem Körper, geschweige denn von seiner Seele blieb nichts übrig. Allein die Vorstellung ließ Tränen in mir aufsteigen.
»Lass uns hier weggehen«, flüsterte er in einem charmanten Tonfall und wir schlichen uns durch den Park, bis wir nach einigen Straßen zu unserem Geheimversteck gelangten. Hier wohnte niemand mehr. Das Haus war ein einziges Wrack, aber in all den vielen Jahren hatten wir uns ein gemütliches Zimmer eingerichtet.
»Ciaran, ich weiß nicht, ob ich es schaffe dich nächste Woche zu sehen. Meine Tante und meine Mutter wollten einen Ausflug zusammen mit ein paar Custois machen.« Ich senkte traurig meinen Kopf und dachte daran wie unerträglich sich die Zeit ohne ihn anfühlte.
Er hob mein Kinn, damit ich ihn anschauen konnte. »Na und? Dann werde ich solange warten, bis du mir ein Zeichen gibst.«
»Ich liebe dich«, raunte ich und er drückte daraufhin seine Lippen erneut auf meine. Obwohl Ciaran ein Mensch war, konnte ich eine unglaubliche Stärke in ihm spüren. Er war aufrichtig, witzig und gab mir das wichtigste Gefühl von allen. Er ließ mich seine Liebe fühlen und schenkte mir jede Nacht sein Herz.
Schließlich glitt er mit seinen Händen an meinem Körper hinab, küsste außer meiner Lippen, noch meine Schulter und meine Brust. Er zog mir sanft mein T-Shirt aus und betrachtete meinen Körper. Ein kleines Lächeln entblößte sich auf seinem Gesicht.
Er drückte mich zärtlich aufs Bett und entfernte sein Oberteil ebenfalls vom Körper. Als er sich über mich beugte, warf ich einen verstohlenen Blick auf seine Muskelpracht. Letztendlich konnte ich nicht anders, als über jede Faser seine Stränge zu fahren. Seine Lippen landeten erneut auf meinen und sie verhielten sich wie zwei Magnete. Wir unterbrachen nur unsere Küsse, wenn ein Kleidungsstück von unserem Körper verschwand. Es dauerte keine zehn Minuten, bis wir vollkommen nackt aufeinander lagen.
Sein Mund wanderte von meinen Brüsten zu meinem Bauch und ergötzte sich an meinen Beinen. Ein leises Stöhnen entfuhr mir und mein Körper wollte nichts anderes als dieses wunderbare Gefühl zu verstärken. Als Ciaran seine Küsse beendet hatte, schlang ich meine Arme um seinen Hals, um ihn die Erlaubnis zu erteilen in mich einzudringen.
Unsere Lippen fanden wieder zueinander und mich überschäumte das schönste Glücksgefühl auf der Welt.
Nach vielen Minuten lag ich in Ciarans Armen und wir starrten in den Himmel hinaus. Die Scheibe des Fensters war seit langem nicht mehr gesäubert worden. Die Sterne wirkten an diesem Abend so unklar.
»Ciaran?«, begann ich im Flüsterton und vergrub meinen Kopf unter sein Kinn. »Ich habe von Tag zu Tag mehr Angst. Es sind nun schon fast vier Jahre und das Gefühl, dass sie von uns wissen könnten, lässt mich Nächte nicht schlafen.«
Er streichelte über meinen Arm, als könnte er meine Angst nachvollziehen.
»Tante Gwen schaut mich ständig so seltsam an, wenn sie mich allein zurücklässt und Paeon wirkt meistens misstrauisch, wenn ich zu lange wegbleibe.« Ich merkte wie verletzbar mich all diese Jahre gemacht hatten und ließ meinen Tränen freien Lauf. »Sie werden dich in Stück reißen …«
Er küsste mich auf den Kopf. »Ich habe mich für dieses Leben mit dir entschieden, Luna.« Es war sein eigener, erdachter Name für mich, da Ciaran zu den Katholiken gehörte und der Glaube aus Rom stammte, entschied er sich für eine römische Gottheit. »Also wird es mein Schicksal sein, wenn sie mich auseinander nehmen.«
Ich rieb mir über die Wangen, aber die Tränen wurden nicht weniger. Ciaran nahm mein Gesicht in seine Hände und strich sanft jeden Tropfen weg. »Ich will dann auch nicht mehr sein.«
Sein Gesicht wurde ernster. »Nein, Luna, du musst mir versprechen, dass du selbst einen Selbstmordgedanken niemals erwägen darfst, verstanden?«
Ich schwieg. Was hatte das Leben noch für einen Sinn, wenn der liebste Mensch auf der Welt einem genommen wurde und man seine eigene Rasse hasste? Ich könnte genauso gut auch tot sein, denn dann wäre die gemeinsame Zeit vergeudet gewesen. Als ich ein Kind war, empfand ich alles für normal und wirklich. Jetzt erschien mir das Zusammensein mit Ciaran wie ein Traum und mein Leben in der Familie wie ein Albtraum.
»Ich muss gehen«, flüsterte ich und stieg aus dem Bett. In wenigen Sekunden hatte ich meine Sachen am Körper und Ciaran schaute mich noch ein letztes Mal an. »Wir sehen uns«, schmunzelte ich und gerade als ich aus dem Haus verschwinden wollte, trat eine Durstattacke ein. Ich stolperte die letzten Treppenstufen hinunter und blieb unten am Boden liegen.
Ciaran hatte den Krach gehört und eilte zu mir. »Hast du dir was getan?«
Meine Kehle schmerzte, als Ciaran in meine Nähe trat. Er wusste was ich war und zu was ich fähig sein konnte. Zwischen den Schmerzen und dem Drang nach seiner Seele presste ich hervor: »Verschwinde! Ich … ich kann nicht länger …« Dann ertönte das Grollen aus meiner Kehle und Ciaran wusste vor was ich ihn warnte.
Er lief die Treppe wieder hinauf und ich erhob mich wackelnd vom Boden. Ich musste sofort auf die Straßen, um der Aura von Ciaran zu entkommen. Letztendlich fand ich selbst durch meine verschwommene Sicht die Tür und stürmte hinaus.
Die frische Luft durchflutete meine Sinne und ich fasste mich beinahe wieder. Doch dann trat Ciaran aus dem Haus und schaute zu mir herüber. Meine Sicht wurde wieder verschwommener und ich drehte ihm den Rücken zu. Seine Aura verschwand schließlich nach wenigen Sekunden. Mit solch einem Durst konnte ich nicht zu Gwen und Paeon zurückkehren.
In den Gassen suchte ich nach einer Seele auch wenn es mich wieder schmerzte einen weiteren Menschen töten zu müssen. Letztendlich rief ich mir hervor, wenn einer von ihnen solch einen Drang wie ich hätte, besäße er keine Hemmungen seinen Hunger zu stillen.
Schließlich passte die Situation wie die Faust aufs Auge. In den Gassen ertönte ein Mädchenschrei und sie schien wehrlos ausgeliefert zu sein. In dieser Stadt war es nicht ungewöhnlich, dass eine Frau vergewaltigt wurde. Ich folgte in schneller Geschwindigkeit den Stimmen und landete auf einem verlassenen Parkplatz. Sechs Jungs umkreisten ein zierliches Mädchen, das wehrlos am Boden lag. Einer von ihnen stürzte sich auf sie und klemmte ihre Hüfte mit seinen Beinen ein. Mit seinen Händchen begrabschte er ihre Brüste und riss ihr Shirt soweit hoch, dass jeder die Unterwäsche erblicken konnte. Aus den Mündern der Jungs kamen lüsterne Worte und sie schüchterten weiterhin das Mädchen ein. Zum Glück könnte mir so etwas nie passieren.
Bevor es zur wirklichen Vergewaltigung kam, sprang ich aus der Ecke und ging mit einer selbstbewussten Haltung auf die Clique zu. Sie sahen mich sofort kommen und dachten ich wäre ihr Nachtisch.
»Hallo, meine Schöne«, sagte der eine und bemerkte meine unängstliche Geste.
»Oh, guten Abend, Jungs«, erwiderte ich ihre Anmache und schmiegte mich an den Ersten. »Bei solch einer aufregenden Party bin ich gern dabei.«
Sie lachten und schienen meinen Worten zu glauben. Noch bevor derjenige mich lustvoll berührte, nahm ich seinen Arm und brach ihn, als wäre er ein kleiner Zweig. Das Knacksen ließ jeden in eine Starre versetzen.
»Du …« Noch bevor er mich eine Hure nennen konnte, brach ich ihm das Genick und widmete mich den anderen.
»Wer ist der Nächste?«, sagte ich in einem gehässigen Tonfall und mir gefiel es einerseits den anderen Angst einzujagen. Sie hatten es nicht anders verdient und manchmal brannte mein Instinkt mit mir durch.
Sie begannen alle wegzulaufen und ich schnappte mir denjenigen, der auf dem Mädchen gesessen hatte. Er kam nicht weit, denn vorher ergriff ich seine Schulter und schleuderte ihn rückwärts mit dem Rücken auf den Asphalt. Der Junge schrie krampfhaft auf und ich schnappte mir seinen Hals. Meine rechte Hand drückte seine Kehle zu und hob ihn über den Boden. Die Andere legte ich auf sein Herz. Den Seelenraub konnte man mit einer Droge vergleichen. Irgendwann begab man sich in einen Rausch und spürte wie das Blut im Körper pulsierte. Besonders mein Herz hämmerte laut und spürbar gegen den Brustkorb. In meinen Händen entstand ein Druck und schließlich griff die Bestiakraft nach der Seele des Jungen. Er starrte mich mit großen Augen an und im nächsten Moment klappten seine Lider hinunter und er fiel leblos zu Boden. Mein Durst war verschwunden und erneut überkam mich der Schmerz.
Ich ging in die Knie und hätte am liebsten den Asphalt zerkratzt. Mein Finger schnitt sich an einem Splitter, doch die aufgerissene Haut wuchs schnell wieder zu. Die Pein war so grauenvoll, dass sich mein Magen umdrehte und mir das Gefühl für eine elende Übelkeit verlieh. Mein Nacken kribbelte und kleine Nadeln stachen in meinen Armen herum.
»Alles in Ordnung?« War das die Stimme des Mädchens? Ich hatte gerade vor ihren Augen zwei Menschen getötet und sie fragte mich, ob es mir gut ging. Entweder hatte sie Drogen genommen oder sie war vollkommen wahnsinnig.
Ich erhob mich vom Boden, atmete mehrere Male die Luft ein, um endlich eine Ruhe in meinem Körper zu finden. Mit einer ruckartigen Bewegung wandte ich mich zu ihr. »Da liegen Leichen!«
Sie blickte zu den leblosen Körpern und zuckte mit den Schultern. »Sie hatten es verdient. Wegen ihnen ist meine beste Freundin tot.« Oh ja, willkommen in der Teufelsstadt.
Ich begutachtete ihre Kleidung und merkte, dass sie ein Slummädchen sein musste. »Woher kommst du?«
»Aus Block 11.« Dann hatte ich ihr tatsächlich das Leben gerettet. Nachdem die Typen ihre Vergewaltigung durchgezogen hätten, wäre die Kleine längst tot. Dennoch ging es mich nichts mehr an, mein Körper war gesättigt und es wurde langsam Zeit, dass ich nach Hause zurückkehrte. Schulterzuckend kehrte ich ihr den Rücken zu. »Warte!«
Das musste ja kommen. Ich verdrehte die Augen.
»Du bist stark und unglaublich schnell und du hast gerade eben die Seele des Jungen ausgesaugt, oder?«, erdachte sich das Mädchen und in mir schlugen alle Alarmglocken los. Woher hatte sie diese Information?
Atemlos und entsetzt wandte ich mich zu ihr und ergriff ihr Kinn. Sie zitterte am ganzen Leib, aber ich würde ihr nichts tun, doch das konnte sie nicht wissen. »Pass auf, was du sagst, Kleine, sonst kann es ganz schnell passieren, dass von dir nichts übrig bleiben wird.« Allein der Gedanke wie Tante Gwen und Onkel Zeth aßen … schmerzhaft und brutal.
»I-Ich weiß nicht genau was du bist, aber ich brauche deine Hilfe.«
Beinahe hätte ich laut losgelacht, was für eine Ironie. Die Menschen brauchten die Hilfe der Bestia. Wirklich witzig! Ich ließ ihr Kinn los und nahm einen achtsamen Abstand. »Du weiß wohl nicht was du da sagst. Hast du nicht gesehen, was mit deinen Kumpels passiert ist?«
Sie rümpfte ihre Nase, verschränkte die Arme und zog beleidigt die Augenbrauen zusammen. »Ich weiß sehr wohl, was du bist, Bestia!« Gerade eben hörte ich eine andere Option. Anscheinend wollte sie mich absichtlich provozieren oder meine Aufmerksamkeit aufrecht erhalten. Woher konnte ein Mensch von uns wissen? »Ihr seid zwar gefährlich, aber ihr könntet mir bei einem Menschenproblem helfen.«
Gerade wollte ich Luft holen und am liebsten ihr Gedächtnis löschen, doch ich tat es nicht und hörte aufmerksam zu.
»Meine Mutter ist in einem Anwesen als Putzfrau eingestellt und ihr Herr schlägt sie auf brutale Weise. Letzte Woche konnte sie nicht mehr gehen und jetzt hatte er sie vor lauter Zorn in einen Keller eingesperrt. Wenn er Zeit hatte, ging er zu ihr hinunter, misshandelt sie und lässt sich elendig liegen.«
»Oh, du willst das ich deine Mama räche?«
Sie nickte eifrig und ihr blasses Gesicht mit den langen schwarzen Haaren wirkte auf eine gewisse Weise unschuldig.
»Hör mal, ich helfe Menschen nicht.« Sie blickte zum Toten am Boden und hob eine Augenbraue. »Eigentlich«, korrigierte ich mich schnell, »allerdings mache ich bei dir eine Ausnahme und überlege es mir.«
»Danke, Fremde.«
»Luna«, sagte ich schnell. Es wäre besser, wenn sie einen falschen Namen kannte, denn wenn sie eine andere Bestia traf und diese sie ausfragte, würde ich mich bereits am Galgen hängen sehen.
»Amaia«, sagte sie dankend lächelnd und blickte hinüber zu Block 11. »Kannst du mich noch heimbringen?«
Ja, natürlich, Süße, auf meiner Stirn steht auch Babysitter.
»Beeil dich«, knurrte ich genervt und drängte sie in die Richtung, in dem ich eine Hand auf ihren Rücken legte und sie schob. »Ich habe dafür keine Zeit mehr.«
Letztendlich brachte ich sie bis Block 11 und lief anschließend zurück in den Park, um dadurch das Viertel meines Anwesens zu erreichen. Als ich gerade die Mitte erreichte, sprang eine Gestalt von einem Baum hinunter und versperrte mir den Weg. Es war Mutter.
»Ich habe es gesehen! Du hast dem Mädchen geholfen!« Sie ergriff meinen Arm und verpasste mir eine laut schallernde Ohrfeige. »Du sollst Menschen nicht helfen! Du bist so unfähig und dumm, Selene. Wenn ich noch einmal erlebe, wie du unserem Essen hilfst, werde ich dich den Custois übergeben.« Meine Wange brannte wie Feuer und ich traute mich nicht sie zu berühren. »Haben wir uns verstanden?«
Ich nickte beschämt und ließ mich von meiner Mutter aus dem Park zerren. »Klara ist die beste Jägerin aus unserer Familie. Golbin ist der schnellste Läufer und Hera ist eine bessere Seelensäugerin als du!« Ja, ich war das schwarze Schaf der Familie. Ich machte ständig nur Unfug, hielt mich nicht an die Gebote unserer Schöpfer und brachte Schande über meine Familie. »Wieso musste ich solch eine Tochter gebären!«
»Du hättest mich von ihm töten lassen sollen«, schrie ich plötzlich außer mir und befreite mich aus ihrer groben Haltung. Sie wusste, wen ich damit meinte. »Du willst nur aus mir eine gute Bestia machen, aber hast du dich mal gefragt ob ich das will? Gott, du bist so eine egoistische Rabenmutter.«
Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und entfachte das Feuer in ihrem Inneren. Sie ergriff meine Kehle, drückte sie so fest zusammen, dass der Schmerz mir jeglichen Schrei und Atem nahm. »Undankbares Miststück!« Mein Spitzname!
Mit einem kräftigen Zug schleuderte sie mich zu Boden und ich flog meterweit über die Wiese. Kleine Steine oder scharfe Kanten rissen meine Haut auf. Durch die neue Seele in mir, brauchte es nur wenige Sekunden bis sich die Verletzungen regenerierten. Doch die Wange und die Schulterblätter fühlten sich wie ein starker Bluterguss an.
»Du kommst nach, Selene! Und wage es, in fünf Minuten nicht aufzutauchen, ich schwöre bei den Göttern, ich sauge dich persönlich aus.« Ihre Drohungen sollte man wahrnehmen, denn Mutter meinte es immer ernst. Nur eines würde sie nie tun, mein Verhalten bei den Custois verraten. Denn das würde eine Schande für die ganze Familie bedeuten und meine Mutter müsste mich eigenhändig töten. Sie war sehr grob und grausam, aber im Großen und Ganzen besaß sie die Bestialiebe (nicht vergleichbar mit der Liebe, die Menschen verspüren) zu mir.
Ich wartete noch eine Weile bis Mutter außer Reichweite war und erhob mich anschließend vom Boden. Als ich jeden Dreck und jede Verletzung geheilt hatte, begab ich mich ins Anwesen und schlich leise in mein Zimmer.
Auf dem Bett dachte ich an Ciaran und mich überkam erneut diese Angst ihn zu verlieren. Ich fürchtete mich vor dem Einschlafen und mir kamen jedes Mal die Tränen, wenn ich an denselben Albtraum dachte. Meine Hände zitterten, als ich die Schreie hervorrief und diese Szene war so unglaublich echt.
Eine Bestia zu sein war ein Fluch und keine tausend Peitschenhiebe könnten mich umstimmen.
Eine ewige Nacht. Dunkelheit, Sterne und ein schwaches Leuchten, das sich versuchte durch die Baumkronen zu drängen. Die Waldklänge und das Rascheln im Winde verpassten mir einen Schauer über den Rücken. Da stand er wieder. Der Baum der mich an einen Baldachin erinnerte. Seine Äste breiteten sich über das grünste Fleckchen aus.
Doch irgendetwas stimmte hier nicht. »Miststück!«, ertönte es direkt hinter mir und etwas Spitzes durchbohrte meinen Rücken. Als ich mich umdrehte, war es Tante Gwen, die mir einen Dolch in die Schulter jagte. Schreiend fiel ich zu Boden und zog die Waffe aus meinem Knochen. Das gleichzeitige Brennen und Drücken gab mir das Gefühl zu sterben. Letztendlich wäre ich von meinem Fluch befreit.
»Schau ihn dir an!«, kreischte meine Mutter und unter den Ästen des Baumes stand Ciaran. An seiner Lippe klebte Blut und er schien benommen zu sein. Ich schrie immer wieder seinen Namen, doch irgendwie war er unfähig mich anzusehen.
Onkel Zeth und Tante Gwen hielten meine Arme fest, damit ich mir die Hinrichtung des Mannes, den ich über alles liebte, anschaute. Sie nahm seinen Kopf, küsste ihn am Hals und schlug ihre Zähne so schmerzhaft durch seine Adern, dass ich bereits das Rot an seinem Körper sehen konnte. Ich hatte noch nie Ciaran schreien gehört, es klang so qualvoll. Sein Leid trieb mir Tränen in die Augen, die über mein Gesicht strömten. Die Kräfte meiner Familie hielten mich davon ab, meine Mutter zu töten. Doch nichts rührte sich, Paeon saugte ihn bis auf den letzten Tropfen aus.
»Sieh her«, rief sie. Ich schüttelte meinen Kopf und starrte auf das zertretende Gras unter mir. Meine Knie waren auf den Boden gesunken und ich weigerte mich den Anblick länger zu ertragen. »Sieh dir deinen geliebten Menschen an!«
Gwen half nach und zerrte meinen Kopf in Richtung Baum. Ich hatte noch die Lider geschlossen, musste sie jedoch gezwungenermaßen öffnen, da die Tränen brannten. Als ich schließlich den Anblick des toten Ciaran sah, konnte ich nicht anders als laut aufzuschreien und mich versuchen aus den Fängen meiner Tante zu winden. Sie ließen meine Arme los und ich stürmte auf Ciaran zu.
Mutter warf mir ein gehässiges Lachen zu und auch die anderen lechzten sich danach mich leiden zu sehen. »Menschen bringen nur Leid, Selene.« Nein, Bestia bringen das Leid über die Menschheit! »Lass ihn los und höre auf dich an seinem toten Körper zu ergötzen. Du widerst mich an!«
Ich schaute in seine leeren Augen und wusste, dass es kein Zurück gab. Ciaran war tot, für immer und ich war daran schuld.
Sterben ist keine Bestrafung, kein Ende, sondern eine Brücke, die man zu überschreiten hatte, ob man bereit war oder nicht.
Ich stellte mir oft vor, ob der Tod eine Gnade wäre, denn der Fluch erinnerte mich jedes Mal daran, dass ich etwas Unrechtes tat. Shakespeare schrieb mal: ›Auf Dinge, die nicht mehr zu ändern sind, muss auch kein Blick zurück mehr fallen! Was getan ist, ist getan und bleibt's.‹
Ich wünschte unsere Liebe könnte ewig weiterexistieren, bis wir beiden alt wurden und starben. Der Traum erschien nun das fünfte Mal in den letzten Monaten und er würde sich eines Tages bewahrheiten. Den Schmerz konnte und wollte ich nicht mehr spüren. Ciaran gab mir als Mensch das Gefühl geliebt und geachtet zu werden. Selbst meine eigene Familie verachtete mich, da ich nicht so hungrig wie die anderen war und meistens bereuende Wörter in den Mund nahm. Meine Mutter hatte gestern ihre Drohung ausgesprochen und Ciaran musste wissen, dass er mich erst in drei Wochen wieder sehen konnte. Schließlich würde sie nun ein Auge auf mich werfen und jeden meiner Schritte verfolgen. Ciaran durfte mir in dieser Zeit nicht über den Weg laufen, sonst wären wir beide zum Tode verurteilt. Paeon würde ihn aussaugen bis auf den letzten Tropfen und mir rissen sie das Herz aus der Brust, wie Grandma Monette.
Um eine Bestia gefügig zu machen, entfernten sie ihr Herz und ließen eine eisige Kälte in dessen Körper erblühen. Noch nie gab es eine hungrigere Potoris, die sich am Blut ihrer Opfer ergötzte.
Vermutlich wäre zwar der Schmerz um Ciarans Tod weg, doch mein Körper würde nur so vor Seelen strotzen. Außerdem hätte meine Mutter mich in ihren Händen.
Abgesehen vom Herz Entfernen, gab es noch den Seelenraub der eigenen Bestia. Der Prozess dauerte Stunden an und war mit einem qualvollen Stechen in der Brust vergleichbar. Dadurch wurde derjenige ebenfalls gefühlskalt, allerdings könnte sich eine neue Seele bilden - je stärker das wahre Ich war, desto eher.
Mir wäre klar, dass Paeon diese Methode vorziehen würde, da ohne Herz Nebenwirkungen auftauchen könnten und sie mich nicht verlieren wollte. Eine kranke Bestia war eine tote Bestia.
»Selene!«, schrie Gwen aus dem Flur. »Beeil dich! Du musst gleich zum Unterricht!«
Ich bestätigte ihre Aufmerksamkeit und setzte mich noch schnell an den Schreibtisch, um Ciaran eine Nachricht zukommen zu lassen. Das Stück Papier steckte ich in meine Jeans und schnappte mir meine Handtasche für die Bestiaschule. Sie befand sich mitten im dichtesten Wald in unserem Umkreis. Die Anreise dauerte keine vier Minuten.
Im Foyer lief jeder in seine Klasse und zum Glück gab es hier nur zweihundert Schüler und eine dennoch viel zu große Schule. Allerdings ließen viele meine Wenigkeit in Frieden und ich ihre.
In der Klasse setzte ich mich ganz nach hinten und besaß keinen Sitznachbar, was mich um einiges erleichterte. Eine weitentfernte Verwandte der Lavens (unsere Familie) und Lehrerin betrat den Saal. Sie schaute immer zuerst zu meinem Platz, als wollte sie prüfen, dass ich keinen Tag schwänzte.
»Guten Morgen, ihr Biester!«, begrüßte sie uns höflich. »Wir machen auch sofort weiter mit dem Stoff, dafür dürft ihr dann früher in die wohlverdiente Pause gehen.«
Alle jubelten - außer mir.
»Gut beginnen wir mit den Portoris. Alle heben die Hände, die das Blut ihrer Beute aussaugen.« Die Hälfte der Klasse meldete sich und schien auf ihre Fähigkeit stolz zu sein. »Die Portoris‘ kommen im Gegensatz zu allen anderen Aasfressern am Häufigsten vor.«
Ich seufzte und schaute kurz aus dem Fenster, um alle anderen Bäume zu begutachten. Ihre Statur und ihr Maß waren mir bereits sehr bekannt. Manchmal wünschte ich, wir würden alle daheim bleiben und vor uns hinvegetieren oder die Götter anbeten, diesen Fluch von unseren Schultern zu nehmen.
»Carolis?« Ungefähr fünfzig Prozent der anderen Hälfte der Klasse meldete sich und es sträubte mich daran zu denken, wie diese Bestia sich ernährten. »Diese Art ist einer der zweithäufigsten Vorkommen, dann komm die Oslis. « Es meldeten sich vier Schüler - genau genommen und ohne meine Wenigkeit mitzuzählen. »Die seltenste Art der Aasfresser sind die Animis, die Seelensauger.« Alle blickten über ihre Schulter zu mir nach hinten und ohne dass ich mich hätte melden müssen, wusste jeder, dass ich die Einzige aus der Klasse war. Vielleicht waren auch viele neidisch auf meine Gabe, auch wenn ich nicht genau wusste, weshalb man nach einem Fluch gierig sein sollte.
»Wir hatten letzte Woche damit begonnen über die Jagdkünste und -instinkte zu reden.« Ein Junge meldete sich. »Ja, Dustin?«
»Frau Kiyl«, atmete er angespannt aus, »ich habe gestern einen Menschen verspeist« - Oh Gott, ich hoffte, er behielt seine Details für sich - »und dann hatte ich direkt nach einem ganzen Körper wieder den Drang gehabt und mein Hunger war erst nach drei Leichen gestillt, ist das normal?«
Sie nickte und lächelte sanft, als ob er eine wunderbar passende Frage gestellt hätte auf die sie eine perfekte Antwort besaß. »Nun, Dustin, jede Bestia isst anders.« Ich merkte, dass der Junge einen Speckbauch und dicke Oberschenkel hatte. Man konnte von Menschenfleisch fettleibig werden? »Anscheinend braucht dein Körper mehr Fleisch, als die der anderen.«
Ein Würgereiz entpuppte sich, den natürlich die ganze Klasse mitbekam und sie sich erneut zu mir herumdrehten.
Frau Kiyl hatte mich im Visier. »Stimmt etwas nicht?« Ich schwieg in der Hoffnung sie würde einfach ihren Unterricht weiterführen. »Wann hattest du deine letzte Mahlzeit, Selene?«
Noch immer tauchten die toten Augen des gestrigen Jungen vor mir auf. »Letzte Nacht.«
Andria Kiyl wusste dass meine Familie nur bei Nacht jagte, da wir die Custois‘ nicht verärgern wollten. Eigentlich sollte es jede Bestia tun, allerdings gab es ein paar Ungesättigte, die es bis zum Abend nicht aushielten und auch am Tag Menschen ›verspeisten‹. Der Gedanke an Dustins Worte rief wieder einen weiteren Würgereiz hervor, den jedoch niemand wahrnahm. »Nun, Selene, wie hatte es sich angefühlt und wie viele Menschen tötest du?«
Natürlich wollte die Klasse gerne wissen, wie es sich für mich anfühlte, wenn ich Seelen verspeiste. »Einen pro Monat.« Erschreckende Laute ertönten in der Klasse.
»Einen pro … Monat?«, rief Andria entsetzt und hielt sich ihre Hand auf das Herz. »Warst du mal bei einem Custois und hast gefragt, ob es normal ist, dass du dich so unterernährst?«
Am liebsten hätte ich laut losgelacht, denn meine ›Unterernährung‹ war ja vollkommen beabsichtigt. Wenn sie wüssten, wie weh es meinem Herz tat, wenn ich einen Menschen tötete. Bei Kindern liefen mir sogar einige Tränen die Wangen hinunter und es tauchten ihre Erinnerungen in meinem Kopf auf. Wie ein Film spielten sie sich vor meinem geistigen Auge ab. »Ich bin danach gesättigt.« Die Blicke bohrten sich noch zu mir durch. »Wie Sie bereits sagten, Frau Kiyl, jede Bestia ist in dieser Art anders.«
Obwohl ich ihre eigenen Worte gegen sie verwendet hatte, schien sie meine Mahlzeiten noch immer seltsam zu finden. Aber ich war froh, als sie von mir ablenkte und weiter mit dem Unterricht begann. In Biologie studierten wir den Körper des Menschen und unsere eigenen. Das Herz befand sich bei uns rechts und nicht links. Außerdem gab es unsichtbare Kammern im Körper eines Seelenfressers, der dort seine Nahrung speicherte, bis sie aufgebraucht wurde.
Ich war so unglaublich froh, dass die Schule zu Ende war und ich nach dem Psychoterror nach Hause gehen konnte. Für einen Menschen wäre dieser Unterricht vermutlich die Lehre des Kannibalismus. Jeder würde uns für vollkommen blutrünstig und wahnsinnig bezeichnen, aber so konnte man nur den Fluch überstehen, der auf uns lag.
Die letzte Stunde hatten wir frei und so konnte ich, ohne von meiner Mutter beobachtet zu werden, mich an den Flughafen schleichen. Ich sah Ciaran bereits von weitem und er konnte meine Anwesenheit beinahe spüren. Unsere Blicke sagten mehr als tausend Worte und sein Gesicht vermisste ich jetzt schon. Er bediente den Check-In-Schalter und konnte sich kaum auf seine Sache konzentrieren, sobald ich mich in seiner Nähe befand. Unsere Liebe war selbst ein so starkes Band, dass wir für die Ewigkeit gemacht waren. Das Schicksal hatte uns vereint.
Schließlich dehnte ich noch einmal meine Aura auf dem gesamten Gelände, um eventuell einer meiner Artgenossen zu streifen. Allerdings befand sich keine Bestia in meinem Umfeld und die Übergabe konnte beginnen.
Die Menschen besaßen einen köstlichen Seelenduft an sich und Kinder rochen am schmackhaftesten. Ihre zarte Haut und dieses junge Leben der Seele waren beinahe unwiderstehlich. Doch der Gedanke einem Menschen das Leben zu nehmen, versetzte mir einen Stich ins Herz, sodass ich zwischen der großen Menge beinahe auf die Knie gefallen wäre und nach Atem rang. Doch ich stellte mich hinter die Menge und versuchte Ruhe zu bewahren. Vielleicht behielt Frau Kiyl recht, ich ernährte mich viel zu wenig, was letztendlich zu einem Rausch führen könnte, von dem ich erstens am Ende nichts wusste und zweitens einen Berg toter Menschen hinterließ.
»Entschuldigen Sie, Fräulein«, sprach mich eine ältere Dame an, die sich hinter mich gesellte. »Hier ist doch der Schalter für Hawaii, richtig?«
Ich blickte zur Tafel über dem Köpfen der Leute. »Ja, das steht dort.« In meiner Stimme konnte ich das kaum hörbare Knurren bemerken. Oh Gott, der Hunger nagte an mir.
»Ach ja? Verzeihen Sie, aber leider kann ich nicht mehr gut lesen. Alt zu werden bringt nur Schmerzen und lässt einen Verstümmeln.« Dann lasst mich Euer Leid beenden, knurrte es in mir und mein Instinkt versuchte meine Sinne zu übernehmen.
Schließlich schwand meine Sehkraft und meine Muskeln begannen hemmungslos zu zittern. Mein Atem ging unregelmäßig und nicht nur mir fiel es auf. »Alles in Ordnung, Fräulein? Sie sind ja ganz blass.«
Verdammt! Mein Durst wurde gestern nicht genügend gestillt. »Ich … Klaustrophobie.« Die Dame rückte von mir und ich eilte in unmenschlich schneller Geschwindigkeit nach draußen auf den großen, zum Glück menschenleeren Parkplatz.
Ich bekam keine Luft und alles wirkte verschwommen und obwohl ich mich nicht bewegte, schwankte meine Welt. Zwischen zwei Autos fiel ich auf den Asphalt und schloss meine Augen, um meinen unkontrollierten Durst zu beherrschen. Allerdings dauerte es mehrere Minuten, vielleicht sogar eine gefühlte halbe Stunde bis ich wieder aufstehen konnte und der Drang verschwunden war.
Erleichtert atmete ich aus und wollte gerade erneut den Flughafen ansteuern, als eine Person angelaufen kam. Ich stellte mich aufrecht hin und streckte meine Brust heraus, damit niemand merkte, dass ich auf dem Boden zusammengebrochen war. Bei näherem Hinsehen entdeckte ich die dunkelblaue Uniform und den muskulösen, bekannten Körper meines geliebten Ciarans. Vor Freude wäre ich ihm am liebsten in die Arme gefallen, aber Mutters Drohung schwebte mir vor Augen.
Ciaran schien Gedanken lesen zu können. »Alles in Ordnung, Fräulein? Die ältere Dame hatte mir erzählt, dass Sie vorhin eine Panikattacke hatten?«
Ich keuchte noch immer schmerzhaft. »Es wird schlimmer«, flüsterte ich sehr leise, aber er verstand mich. »Mir geht es wieder besser, danke für Ihre Besorgnis.«
Ciaran streckte seine Hand aus und verschränkte dieser mit meiner rechten. Unauffällig nahm er den Zettel an sich und es schmerzte mich zu wissen, was ich ihm mitteilen musste. Ich liebte diesen Menschen so sehr, dass mir drei Wochen wie eine Ewigkeit vorkamen.
»Falls Sie keine weitere Hilfe mehr benötigen, gehe ich wieder an meinen Arbeitsplatz.« Ich nickte zufrieden gestellt und er verschwand, wenn auch mit schwerem Herzen. Sein Körper sah während des Gehens so galant und selbstbewusst aus, dass ich wünschte, der Drang nach Seelen würde einfach verschwinden und aus mir einen Menschen machen.
Auf dem Weg nach Hause begegnete ich auf dem Pfad einem Custois, der anscheinend aus unserem Anwesen kam. Er blieb vor mir stehen und ich durfte keine Unsicherheit gegenüber einen dieser Wächter zeigen. Es gab einen Geweihten von ihnen, der Gedanken lesen konnte. Würde er jemals wissen, was sich in meinem Kopf abspielte, würden sie Ciaran bis auf den letzten Tropfen verzehren und das Herz oder die Seele von meinem Körper trennen.
»Oh, Fräulein Laven«, grüßte mich ein arg junger Custois. Er war neu, was für ein Glück, »ich habe gerade ihre Mutter besucht, sie wollte neue Medizin haben.« Meine Mutter hatte vergiftetes Blut vor Jahren in sich aufgenommen. Seitdem regenerierte ihr Körper nur sehr langsam. Manchmal wünschte ich sie würde daran sterben, doch das wäre ein Gedanke, der ebenfalls gegen meine Bestialiebe zu ihr ging.
»Ich hoffe, sie wird schnellstmöglich gesund«, lächelte ich besorgt und zugleich professionell geschauspielert.
»Bestimmt, einer unserer Gesandten hatte sie untersucht und festgestellt je mehr Blut sie trinkt, desto eher wird sie wieder gesund werden.« Ich lächelte zufrieden und wollte zum Weitergehen ansetzen. »Warten Sie!«
Mein Herz schlug schneller und aus irgendeinem Grund wurde ich noch nervöser. »Wie geht’s ihrer jüngsten Schwester? Robeen?« Meine liebste Bestia auf der Welt. Es gäbe niemanden für den ich eine menschliche Liebe so sehr entwickelt hatte, wie dieses kleine, verspielte Kind. Ich zog sie sogar meistens meinem Bruder vor.
»Sie kommt heute aus dem Internat in Irland zurück und wird anfangen in die Schule hier zu gehen.«
Er schmunzelte zufrieden und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen seinen Weg weiter. Als ich ihm den Rücken zukehrte, hatte ich das Gefühl, dass sein Blick noch in meinem Nacken hing. Er schaute mich seltsam an, als versuchte er in meinem Inneren etwas herauszufinden.
Eine angespannte Atmosphäre erwartete mich im Anwesen und mein Onkel Zeth trat die Treppe im Foyer hinunter. Er lächelte mich an. »Selene«, begrüßte er mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Anschließend strich er über mein Haar und fragte nach der Schule. Ich antwortete mit zuckenden Schultern und gab eine teenieähnliche Antwort. »Wie immer halt.«
Er musste daraufhin lachen und lief zu meiner Tante Gwen ins Wohnzimmer. Sie winkte mir grinsend zu, ehe sie weiter die Nachrichten der Menschen schaute. Gwen sprach gerne vom amerikanischen Präsidenten und dass sie ihn gerne essen würde. Hoffentlich würde mich eines Tages der Tinnitus überfallen und mich taub werden lassen, damit ich mir solche Gespräche nicht mehr anhören musste.
»Seeleeeene!«, rief eine kindesähnliche Stimme, als Robeen die Treppen hinunter schlitterte. Sie wäre beinahe hingefallen, doch meine Arme fingen das kleine, unbeholfene Mädchen auf. Ihre Haare waren goldblond und durch die hellblauen Augen wirkte sie wie ein Engel. »Ich hab dich vermisst!« Sie schmiegte sich eng an mich und drückte mir ihre zuckersüßen Lippen auf die Wange. »Große Schwester!«
Tatsächlich hatte ich Sehnsucht nach meiner Lieblingsbestia gehabt und sie würde eines Tages vermutlich auch eine Animis werden und ich durfte mit ihr zusammen auf die Jagd gehen. Robeen besaß manchmal menschliche Züge und ich hoffte, sie würde eines Tages dasselbe empfinden wie ich. Wenn ich jemanden finden würde, der das gleiche Schicksal wie ich erlitt, könnten wir unsere gemeinsamen Gedanken teilen und unsere Gefühle besser verstehen. Allerdings musste ich mir bei Robeen erst zu hundert Prozent sicher sein. Mutter hatte einen ebenso enormen Einfluss auf das kleine Mädchen wie ich.
»Ah, du bist zurück«, begrüßte mich meine Mutter mit weniger Freude. Sie schien anscheinend immer noch wütend wegen gestern zu sein. »Du musst für mich etwas erledigen. Ich darf mich eigentlich nicht aus dem Bett bewegen, aber ich kann nicht den ganzen Tag liegen.« Meine Mutter war ziemlich hyperaktiv meiner Meinung nach. »Du musst zu den Wendlers gehen und ihnen eine Nachricht übermitteln. Wir werden nächste Woche Sonntag zusammen mit einigen Custois‘ eine Feier zu Robeens Rückkehr geben.«
Ich nickte gehorchend und Paeon überreichte mir den Brief mit einem Siegel als Beweis. Anschließend verschwand sie wieder nach oben und legte sich offensichtlich in ihr Bett. Für eine Kranke besaß sie sehr viel Kraft. Da sie von einem Custois den Befehl erteilt bekommen hatte erstmals zu ruhen, könnte ich mich vielleicht doch noch mit Ciaran treffen. Bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
»Warum lachst du?«, fragte Robeen und drückte mit ihren Fingern auf meinen Lippen herum.
Ich rieb meine Nase an ihre. »Na weil meine Lieblingsschwester wieder da ist!«
Sie schrie erfreut auf und schlang ihre Arme um meinen Hals. »Ich hab dich lieb.« So etwas würde niemals eine Bestia sagen und es hatte außer mir auch niemand gehört. Diese Geste meinte ich. Robeen fühlte sich teils auch menschlich an und aus einem mir unerklärlichen Grund befürchtete ich, dass die Schule sie ändern könnte.
»Selene?« Ich drehte mich mit Robeen im Arm zu Gwen um, die nach mir rief. »Bringst du den Brief bitte jetzt zu den Wendlers? Ich möchte, dass sie so schnell wie möglich davon erfahren.« Zeth drehte sich ebenfalls zu uns um. »Stephan wird bestimmt auch schon aus der Schule sein«, zwinkerte sie mir zu. Meine Familie wollte mich unbedingt mit einer ihrer Söhne verkuppeln, sodass wir irgendwann heirateten und Kinder bekämen. Allerdings hasste ich Stephan. Als ich ein einziges Mal mit diesem Oslis auf der Jagd war, wurde mir so speiübel, dass ich tagelang brauchte um das Knacksen der gebrochenen Knochen aus meinem Kopf zu bekommen.
»Ich will mit!«, rief Robeen erfreut und Gwen grinste erlaubend.
Ich setzte sie auf den Boden und bestätigte meiner Tante ihre Bitte. Sofort machte ich mich auf den Weg nach draußen und hielt Robeens Hand. Wir schwiegen eine Weile im Wald, aber bald ertrug meine kleine Schwester die Stille nicht mehr. »Selene?«
»Ja?«, sagte ich lächelnd.
»Mama hat mich gestern gehauen.« Ein Zucken durchfuhr mich, denn ich wusste wie hart die Schläge meiner Mutter sein konnten. »Sie hat das getan, weil ich gesagt habe, dass ich nicht verstehe, wieso wir die Menschen töten, die so aussehen wie wir.« Oh ja, stelle niemals eine Bestia mit seiner Beute gleich.
Ich blieb stehen, schaute mich prüfend um und kniete mich zu Robeen hinunter. »Hör zu, Süße, so etwas darfst du zu Gwen, Zeth, unserem Bruder und der Mama niemals sagen.« Sie schaute mich fragend an. »Aber ich bin anders, okay? Zu mir darfst du so etwas sagen, in Ordnung?«
»Ja!«, freute sie sich und klatschte in die Hände. »Dann haben wir ein Geheimnis.« Ich nickte bestätigend.
»Sag auch niemals zur Mama, dass du sie liebst, dass ist menschlich, Schatz.«
Ihr schien auf einmal ein Licht aufzugehen. »Ich darf nur noch bestiaische Sachen sagen, oder?« Ich nickte erneut und küsste sie auf die Stirn.
»Ich kann dich verstehen, Kleines. Du bist wie ich.« Schließlich nahm ich all meinem Mut zusammen und schloss kurz die Augen, um mir im Klaren zu sein, was ich sie nun fragen würde. »Du magst die Menschen, richtig?«
Robeen blickte mich entsetzt an und zitterte am ganzen Leib. Ihre hellblauen Augen begannen glasig zu werden und sie schien an einem Gefühlsausbruch zu leiden, der ebenfalls menschlich war. »Sag’s nicht der Mama! Sag’s bitte, bitte nicht der Mama!«, weinte sie und ich nahm sie tröstend in den Arm.
»Kleines, ich muss dir etwas sagen.« Sie schniefte und wir schauten uns wieder in die Augen. »Ich mag die Menschen auch.« Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Ich hielt meinen Zeigefinger vor die Lippen. »Aber niemand, gar niemand darf je etwas von unserem Geheimnis erfahren, okay?«
Ihre Tränen verschwanden. »Ich verspreche es.«
Zufriedenstellend begaben wir uns weiter auf den Weg und Robeen erzählte mir ununterbrochen von ihrem Aufenthalt in Irland. Sie meinte, sie konnte sich nie richtige Freunde suchen, da sie eben anders war. Ich fühlte mich durch ihre Anwesenheit plötzlich nicht mehr allein und es bereitete mir Hoffnung.
Schließlich kamen wir nach wenigen Stunden am Anwesen der Wendlers an und wurden mit Freude begrüßt. Natürlich gab es nur eine Bestia hier, die wirkliches Interesse an mir hegte: Stephan.
»Oh, Selene, mein Mondschein«, begrüßte er mich und zugegebenermaßen besaß er den Anstand und das Aussehen eines reichen Erben. Er war allerdings das vollkommene Gegenteil von Chiaran. Sein Aussehen war einfach zu perfekt; blonde zurückgegelte Haare, grau-blaue Augen und einen nicht allzu blassen Teint. Er hätte ein wunderbares Model werden können, das von allen Frauen begehrt wurde. »Du siehst so wunderschön aus.« Schleimer!
Frau Wendler; ebenfalls blond, Hochsteckfrisur, seidene Hose und Bluse, hochhackige Schuhe, die überall klackerten und purpurrote Lippen, die gefährlich wirkten; reichte mir ihre Hand mit Freude. »Lavens großartige Tochter, wo ist dein Bruder Velten?«
»Er ist zurzeit in einem Erweiterungsinternat.« Zum Glück!
Sie klatschte zum Beifall in die Hände. »So ein intelligenter Junge. Es freut mich dass er sich so gut mit Sophie versteht.« Ja, damit ihre Tochter mit meinem Bruder bald vermählt werden würde. »Sie ist allerdings ebenfalls mit meinem Mann abgereist, da beide eine spezielle Jagd verfolgen.« Pfui! Eine Carolis und ein Potoris. Der Eine saugte das Blut aus und die Andere ergötzte sich am weißen Fleisch. Ein Schauer lief mir über den Rücken und hinterließ eisige Kälte.
»Ich soll einen Brief von unserer Familie übergeben. Ihr seid herzlich eingeladen für Robeens Feier.«
Ich wusste nicht, ob sie so tat, als ob sie sich darüber freuen würde, denn ihre Geste klang vollkommen aufgedrückt. Sie hielt ihre Hand auf die rechte Seite ihrer Brust und blickte den Brief überrascht an. Vielleicht hatte sie es auch geahnt. »Was für eine Ehre!« Ihre Freude war wirklich geübt worden. »Natürlich werden wir kommen.« Sie drehte sich zu Stephan. »Hast du das gehört, mein Sohn?« Sie wandte sich wieder zu mir und ich setzte ein seriöses Lächeln auf, das Bestia sehr anziehend fanden. »Du kannst eurer Familie meinen größten Dank ausrichten.«
Ich nickte und sie lief Richtung Wohnzimmer. Bevor sie verschwand drehte sie sich zu Robeen um. »Ach, meine Hübsche, komm mit mir, ich habe eine kleine Überraschung für dich.« Sie lächelte zufrieden und gehorchte der Dame. Anschließend ließen sie mich und Stephan allein. Irgendwie machte mir der Gedanke Angst.
Seine lüsternen Blicke waren mir nicht entgangen. Natürlich empfand er mich für unwiderstehlich, aber seine Art widerte mich an. Es gab keinen brutaleren Oslis als ihn. Allein bei der Vorstellung wurde mir wieder speiübel und ich fragte mich, wieso ich mir meinen Magen nicht entfernte, damit mir bei jeder gemeinsamen Jagd keine Säure in den Hals schoss.
Er rückte näher zu mir, packte mich an den Hüften und zog mich zu sich, sodass ich gegen sein Glied stieß. Die Geste widerte mich noch mehr an und am liebsten hätte ich mich von ihm abgestoßen. In diesem Moment hatte ich nur noch Gedanken für Ciaran. »Du bist so wundervoll, dass ich Sehnsucht nach deinem mondesgleichen Erscheinen hatte.« Ja, ich war schön, aber trotzdem änderte es nichts daran, dass ich ihn in keiner Weise anziehend fand. »Ich habe deine vollen Lippen vermisst, ma lune«, hauchte er und bettete mein Gesicht in seine Hände ein. Stephan war ein einziges Mal in Frankreich gewesen und jetzt hielt er sich für den weltbesten Franzosen der Welt. Einiges konnte ich verstehen, doch manche Wörter brachten mich ins Grübeln. Zum Beispiel nannte er mich mal canon und ich musste im Internet recherchieren. Als ich es entdeckte, fand ich heraus, dass er mich die ganze Zeit über Sexbombe nannte, obwohl wir noch nie miteinander geschlafen hatten.
Stephan durfte ich nicht ablehnen, denn das wäre menschlich, wenn ich ihm sagen würde, dass ich auf den Richtigen wartete. Es gab bei den Bestia keine wahre Liebe, denn man sollte sich nur fortpflanzen und miteinander auskommen. Sobald diese zwei Punkte miteinander übereinstimmten, würde einer Hochzeit nichts im Wege stehen. Ich hätte die Sache anders anpacken müssen, allerdings las mir Stephan jeden Wunsch von den Lippen ab, was meinen Plan nicht gerade vereinfachte.
Seine Hände fuhren über meine Brüste und rieben an meinem Rücken entlang. Eines Tages musste ich ihn heiraten, ich konnte mich nicht ständig zurückziehen und so tun, als ob es an mangelnder Zeit läge.
»Hast du Zeit, ma chérie?« Er beugte sich zu mir hinüber. »Voulez vous coucher avec moi?« Am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Allerdings wäre das wiederum menschlich, denn das war eine eindeutige Ansage für eine Fortpflanzung.
Ich schloss die Augen, wünschte mir tatsächlich Ciaran würde durch die Tür schießen und mich vor diesem Lüstling retten. Doch stattdessen rettete mich meine kleine Schwester, die kreischend durch den Saal hüpfte. »Guck mal, Selene!«
Stephan ließ mich augenblicklich los und ich lief erleichtert auf Robeen zu. Am liebsten hätte ich sie in meine Arme geschlossen und ihr für diese ausweglose Situation gedankt. Sie wurde von Frau Wendler begleitet.
»Lorene sagte damit kann man besser die Menschen töten oder ruhig stellen.« Sie hielt mir einen Elektroschocker entgegen und es entsetzte mich innerlich, was Lorene einem kleinen Kind gegeben hatte.
Ich schluckte heftig und betrachtete das gefährliche Gerät. »Wow, das ist aber sehr nett. Hast du dich bedankt?«
In Robeens Augen spiegelte sich Scham wider und sie drehte sich sofort zu Lorene um. »Vielen, vielen Dank«, sagte sie mit zuckersüßer Stimme. »Dann werde ich bestimmt viel besser jagen können.«
Sie nickte erfreut und warf einen kurzen Blick zu ihrem Sohn. Als er ihre Geste erwiderte konnte ich ihre Gedanken beinahe hören.
»Und wie ist es gelaufen?«, würde sie ihn fragen.
Sein widerwärtiges Grinsen hätte auf seinen Lippen gelegen. »Großartig, bald werden wir den ersten Erben zeugen.«
Dieser Ekel musste irgendwann aufhören. Egal wo sich Bestia befanden, überall überkam mich der Drang wegzulaufen oder allein zu sein.
»Na komm, Biest, wir gehen nach Hause«, rief ich mit fester Stimme, doch die Wendlers hatten offensichtlich einen Plan verfolgt.
»Ach ihr verlässt uns schon?«, fragte Lorene enttäuscht. »Das ist aber sehr schade, ich hätte gerne noch etwas mit Robeen gespielt.« Meine Schwester erkannte sofort meinen Gedanken, obwohl meine Maske undurchdringbar war.
Sie rettete mich ein zweites Mal. »Ich muss Mama zeigen, was ich bekommen habe und außerdem ist sie immer noch krank.«
Lorene hielt sich erneut gespielt eine Hand vor den Mund, um ihre Sorge zu verdeutlichen. »Ich hoffe, dass sie bald gesund wird.« Ehrlich? Also ich nicht! »Richte ihr eine gute Besserung von uns allen aus.« Sie blickte zu Stephan und der bestätigte ihr Beileid mit einem Nicken.
Ich lächelte dankend und verabschiedete mich von beiden. Stephan schaute mir so lange hinterher, bis wir die Tür verschlossen. Robeen bemerkte mein blasses Gesicht und fragte, doch ich wartete bis wir außer Reichweite waren und keine bestiaische Aura in der Nähe war.
»Ich habe Angst vor Stephan und ich liebe ihn nicht.« Robeen konnte mich verstehen, denn schließlich empfand sie einen sechsten Sinn für dieses Gefühl. »Aber ich habe keine andere Wahl. Wenn wir beide also nicht auffallen wollen, müssen wir uns den Männern hingeben, die um uns werben, verstehst du, Kleines?« Zum Glück besaßen die Wendlers keinen Sohn in Robeens Alter, als könnte sie noch genügend Zeit haben.
»Tut mir leid, Selene. Ich verstehe Liebe noch nicht ganz, aber ich glaube, dass ist so etwas wie Mama immer sagt: so eine Bindung.«
Ich nickte. »Genau, du fühlst etwas für jemanden und möchtest ganz viel Zeit mit ihm verbringen.«
Sie grinste mit ihrem zuckersüßen Lächeln. »Ja, dann hab ich dich sehr lieb, Selene!« Ich musste kurz lächeln und strich ihr behutsam über das Haar.
»Liebe ist etwas wundervolles, Kleines. Sie gibt einem Hoffnung und einen Rückhalt. Doch sie kann auch sehr wehtun, wenn diese Bindung nicht mehr bestehen sollte.« Mir kam der Schmerz zusammen mit meinem gestrigen Traum in den Sinn und Kälte ummantelte meine Haut.
Zu Hause zeigte Robeen Paeon den Elektroschocker und sogar meine Mutter empfand das Geschenk von Lorene sehr höflich. Sie fragte mich außerdem über Stephan aus und um sie wirklich glücklich zu machen, brachte ich mit Mühe seine lüsternen Worte über die Lippen. Ich hätte niemals gedacht, dass sich meine Mutter darüber freuen würde, dass Stephan mit mir Sex haben wollte.
Sie ermahnte mich sogar. »Warum hast du es nicht getan? Robeen hätte in der Zeit mit Lorene gespielt.« Oh Gott, wie verrückt war eigentlich die Welt der Bestia? Ich stammelte undeutlich. »Du bist reif genug und fruchtbar, was hat dich daran gehindert?«
Einfach alles. Ich musste an Ciaran denken und wie wir unser erstes Mal hatten. Er ging mit viel Liebe vor, verdiente sich jeden Teil meines Körpers und kämpfte um meine Gunst. Stephan wollte einfach nur auf das Eine hinaus und konnte nicht lieben.
»Das nächste Mal tue ich es, versprochen«, sagte ich und merkte welches Beben in meiner Stimme ertönte. Meine Mutter konnte es heraushören und warf mir einen misstrauischen Blick zu.
»Ich werde es ja dann bald erfahren«, sagte sie mit geschmitzter Stimme und deutete damit auf eine Schwangerschaft hin. Allein der Gedanke ein Kind von Stephan zu gebären, erschütterte mich mit viel Widerwillen.
Schließlich legte ich mich auf mein Zimmer und dachte darüber nach wie Ciaran meine unerfreuliche Nachricht empfangen haben könnte. Ob er sich ärgerte und doch im Nachhinein verstand, dass es um unser beider Leben ging? Die Zeit wurde knapp. Eines Tages würde ich Stephan tatsächlich heiraten und mit ihm Kinder gebären müssen. Mutter würde eine Erklärung für meine Ablehnung verlangen und das würde mich vermutlich verraten.
Es gab nur eine Möglichkeit all die Angst und den Schmerz zu beenden. Für mich und Ciaran hatte es nie wirklich eine Zukunft gegeben, da wir beide aus verschiedenen Welten stammten. Damit niemand von uns beiden zu Schaden kam, musste ich die einzige, wenn auch qualvolle Entscheidung treffen: Es war an der Zeit die Beziehung zu ihm zu beenden.
Eine Woche später …
Mutter war wieder auf den Beinen und ihr schien es durch die Medizin der Custois besser zu gehen. Doch schließlich stand heute die Feier für Robeen an und ich suchte in meinem Schrank das passende Kleid für Stephans Augen. Es war natürlich Mutters Wille, dass ich mich so reizend und schön anzog wie es nur ging. Sie hoffte ja, dass ich mit Stephan ins Bett gehen würde. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, hatte ich keine andere Wahl als so zu tun, als ob es auch mein Wille wäre. Stephan würde meine Ablehnung sofort melden und das gäbe wieder schmerzende Schläge von meiner Mutter. Außerdem, was würden die Wendlers von uns halten?
Schließlich entschloss ich mich für ein dunkles Rotwein, das hervorragend zu meinen Haaren passte. Im Spiegel waren die Farben beinahe identisch. Meine grauen Augen hoben sich dadurch wie eine Leuchtfackel ab. Zusammen mit meinem blassen Teint würde Stephan heute Abend zu hundert Prozent die Finger nicht von mir lassen können.
Gestern Nacht war ich die ganze Zeit wach geblieben und hatte mir überlegt wie ich den Sex mit diesem Lüstling überstehen könnte, ohne anzumerken, dass ich ihn hasste. Mir kam Ciaran in den Sinn und er war schließlich meine Rettung. Ich müsste meine Vorstellungskraft so weit ausdehnen, sodass Stephan wie Ciaran aussah und ich eventuell zum Höhepunkt käme.
Allerdings machte es mir auch Sorge, dass Stephan merken könnte, dass ich meine Jungfräulichkeit verloren hatte. Diese Wahrheit dürfte niemals ans Licht kommen, denn dann verlangte jeder von mir die Wahrheit. Es bliebe mir nichts anderes übrig, als zu gestehen, dass ich mein erstes Mal mit einem Menschen hatte.
Zur Probe schlüpfte ich in das hautenge Kleid, das am Ende einige Rüschen besaß. Oberhalb war es trägerlos und betonte sehr gut meine Brüste. Sie wurden durch den engen Umfang herausgedrückt und erwählten Stephan bereits jetzt, dass ich zu empfangen war.
Schließlich schminkte ich mein Gesicht und betonte die Lippen mit derselben Farbe, die meines Kleides. Als Mutter ins Zimmer trat, lächelte sie mich zufrieden an. »Das sieht sehr gut aus.« Sie blickte auf meine Beine. »Die Rüschen lassen deine Schenkel verschwinden. Besitzt du kein Kürzeres?«
Ich schluckte deutlich. »Doch, aber das ist schwarz und ich wollte eine erotische Farbe ausprobieren«, log ich und hoffte das Argument würde sie überstimmen.
Sie blickte einige Mal über meine Taille, berührte meine Brüste und versuchte sie noch weiter herauszudrücken. Schon bald stießen meine Warzen hervor und ich konnte gleich nackt gehen. Sie betrachtete meine Haare inbrünstig und kritisierte meine Locken. »Glatte Haare wirken fiel verlockender.«
Sie verschwand aus dem Zimmer und kam mit einem Glätteisen zurück. »Setz dich, ich frisiere deine Haare.«
Paeon war wirklich grob in solchen Sachen. Ihre Arme waren kraftvoll und dazu kamen noch die dürren Finger, die meistens in meinen verknoteten Haaren hängen blieben. Ich musste manchmal auf meine Zähne beißen und den Schmerz überwinden. Außerdem glaubte sie bei der kleinsten Bewegung von mir, dass ich alles ruinieren würde. Meine Mutter verhielt sich überhaupt nicht liebevoll, sie wollte nur von den Custois in den Himmel gelobt werden. Angeblich gab es alle fünfzig Jahre eine Erlösung, sodass eine Familie zurück zu den Göttern gesandt wurde. Reiner Aberglaube!
»Es ist dir erlaubt dich heute mit Stephan in das Schlafzimmer unserer Vorfahren zu begeben.« Sie wollte Enkel! Ich konnte mich nicht mehr länger davor drücken und musste akzeptieren, dass Stephan mein zukünftiger Mann war. »Und wehe du verdirbst es wieder! Es liegen schon Gerüchte in der Luft, dass du dich eventuell weigerst dich entjungfern zu lassen.«
Sie zog eine Strähne fest an und ich biss mir auf die Lippe, um den Schmerz zu ertragen. »Ich habe das doch schon alles durchplant, jetzt beruhige dich mal.«
»Ich will es für dich hoffen, Selene, denn ansonsten ziehe ich andere Seiten auf.« Immer wenn sie damit drohte, würde ich schon bald auf dem Beichtenstuhl der Custois sitzen. In der Kirche gestand man sein Vergehen, doch bei den Bestia wurde man unter Schmerzen für seine Sünden gestraft. Das letzte Mal als ich darauf saß, hatten sie mir meinen Rücken ausgepeitscht und lange Nadeln durch die Muskeln gestochen. Allein die Erinnerung an den Schmerz ließ mich erschaudern.
»Du bist ungeduldig«, gab ich mit kalter Stimme zu und sie setzte die letzte Strähne an ihre Position. Anschließend sprühte sie Haarspray auf ihr Werk, damit es ja nicht kaputt ginge.
Als sie aus dem Zimmer verschwand, erblickte ich mich im Spiegel und dachte mir nur: »Du siehst aus, als würdest du dich gerne durchholen lassen!« Tränen krochen aus den Drüsen und überschwemmten meine Sicht. Ich durfte nicht weinen, schließlich hatte ich mich gerade fertig geschminkt. Warum musste jede einzelne Sekunde meines Lebens eine einzige Folter sein. Warum konnte unser Lebensinhalt nicht aus Frieden und Glück bestehen? Weshalb waren wir Rächer der Götter und handelten in ihrem Namen?
Vielleicht war es besser, wenn ich mich für tot erklärte, mir das Leben nahm und eventuell in einer Leere bestehend aus purer Dunkelheit meinen Frieden fand.
Den Idealismus hatte ich zwei Stunden vor dem Beginn des Festes geübt. Ich prüfte noch einmal alle erotischen Züge am Körper und überlegte mir wie ich meine Mutter beeindrucken konnte. Sie mochte es am liebsten, wenn ich mich sofort an die Sache machte und meinen Ideen bestiaischen Lauf ließ.
Der Empfangsaal war mit Gold- und Brauntönen gestückt. Vorhänge und Teppiche wurden ausgetauscht. Es gab im hinteren Teil des Raumes einen Kamin mit Sitzmöglichkeiten. Die Gäste und die Familie aßen alle am großen Tisch. Eine von den Custois manipulierte Menschenband spielte auf Violine, Klavier und Kontrabass. Die Stimmung war mehr als gehoben, denn die Bestia schienen gar nicht zu wissen mit wem sie zuerst sprechen sollten.
Der Raum füllte sich in wenigen Minuten, bis jeder von ihnen für Robeens Feier eingetroffen war. Stephan begrüßte mich zuerst und schmolz vermutlich vor lauter Erotik dahin. Seine Augen konnten gar nicht genug von meinem Körper bekommen.
Mentalich hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet und versuchte mir Stephan als Ciaran vorzustellen. Nach etlichen Übungen und stundenlangem Denken blühte sich die Vorstellung in meinen Kopf ein.
»Was für eine bezaubernde Rose«, grüßte Stephan mich und auch seine Mutter Carolin Wendler umarmte mich und küsste meine Wangen.
»Sie sieht wundervoll aus«, jubelte sie. ›Ja, zum Ficken!‹, kochte es in mir. Meine Mutter gab ein stolzes Lächeln preis. »All deine Töchter und Söhne sind ein wahres Wunder, meine Liebe Paeon!« Sie hakte sich bei ihr ein. »Lass uns drauf anstoßen, auf zukünftige Hochzeiten!«
Flüchtend schaute ich mich nach einem Verwandten um und tatsächlich gesellte sich Gwen zu mir. Sie begrüßte Stephan mit einer herzlichen Umarmung, als würde er bereits zu Familie gehören. »Wir haben uns lange nicht mehr gesprochen!«
»Es freut mich Sie wieder zu treffen, Gwendolyn.«
Sie kicherte. »Seit wann sind wir per du?« Ihre Augen wechselten zu mir und sie beugte sich zu meinem Ohr hinüber. »Mutter ist schon ganz ungeduldig. Sie lässt dich keinen Moment aus den Augen.«
Ich blickte über meine Schulter und tatsächlich schien sie sich vollkommen auf mich zu konzentrieren. Ihre Blicke stachen wie tausende Nadeln in meinen Nacken. Der Moment war nun gekommen.
Gwen verschwand zu Zeth und Stephan rückte noch ein Stück näher, sodass seine Brust meine erdrücken konnte. Er schlang seine Arme um mich und beugte sich zu meinem Ohr. »Du hast zehn Minuten bevor ich vor allen Anwesenden dein Kleid vom Körper reiße und dich hier und gleich nehme.«
Für jede Bestia war das ein sehr reizendes Kompliment. Menschen würden es als Drohung aufnehmen. Es bedeutete, dass mein Outfit Wirkung zeigte und Stephan blieb bei seiner Aussage. Er würde es wirklich tun.
Ich setzte mein gleichzeitig erotisches, wie auch charmantes Lächeln auf. Meine Augen schauten kurz zu seiner Hose. »Na dann wollen wir ihn nicht länger warten lassen.« Man konnte bereits eine deutliche Wölbung erkennen.
Stephan umschloss meine Hand und ich führte ihn hinauf ins Schlafzimmer, dass mir meine Mutter angeboten hatte. Das Himmelbett war bereits etwas älter und besaß noch immer eine Matratze mit Federung. Alles im Raum wirkte alt und mittelaltermäßig. Meine Mutter stand noch auf die alten Möbel.
Stephan schloss die Tür und begann sofort sein Hemd auszuziehen. Als mir klar wurde, dass alles viel zu schnell verlief, stand ich zuerst vollkommen perplex vor ihm. ›Du wirst ihn gleich ficken. Er wird in dich eindringen, dir vermutlich wehtun, weil der Sex nach seiner Nase geht. Er wird alles an die liebkosen, jeden Teil deines Körpers.‹
Abrupt drohte mir schlecht zu werden, doch ich atmete noch einmal tief ein und versuchte mir Ciaran vorzustellen. Als Stephan bereits nackt vor mir stand, schaute er mich fragend an. »Ist was? Wir denken doch gerade dasselbe, oder?« Er war groß, größer als der von Ciaran. Er würde mich innerlich zerreißen, wenn Stephan mich mit seiner rohen Gewalt durchnehmen würde.
Du musst schauspielern! Ich verjagte meine erschütterte Mimik mit einem Kopfschütteln und konzentrierte mich auf meine Maske. Mit einem Finger fuhr ich seine nackte Brust in die Hand und zog ihn mit einem Ruck an meinen Körper. Es erregte ihn. »Ich dachte vielleicht möchte der Herr mich ausziehen.«
Bevor ich ihm zuzwinkern konnte, positionierte Stephan seine Hände an meinen Brüsten und riss das Kleid mit einem Zug von meinem Leib. Darunter befand sich ein schwarz-rotes Dessous, dass mit vielen Spitzen und Formen geschmückt war. Stephan fuhr mit seinen Händen an meinen Armen entlang und blieb an meinem Becken stehen.
»Ich denke, das Höschen werden wir nicht brauchen«, flüsterte er und auch dieses zerriss er problemlos. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich vollkommen entblößt und versuchte meine Hände davon abzuhalten sich vor mein Glied zu legen.
Stephan fasste zuerst an meine Scheide, um zu überprüfen wie feucht ich war. Zum Glück war dies einer meiner wenigsten Probleme, denn mich konnte man schnell erregen. Selbst Stephan schien es zu gelingen. Erfolgreich grinste er.
Sein Finger glitt tief in mich und meine Kehle entblößte ein erregendes Stöhnen. Anschließend streifte ich meine Stöckelschuhe von meinen Füßen und zurück blieben nur die Strapsen.
Stephan knetete meine C-großen Brüste und ich breitete meine Beine für ihn aus. Ohne Vorwarnung stieß er sein Glied in den Scheideneingang und von einem erregenden Gefühl war noch keine Spur. Es schmerzte und beinahe wäre mir ein solcher Schrei auch entglitten. Doch ich versuchte so laut wie möglich zu stöhnen, da Mutter überprüfen wollte, ob ich tatsächlich mit Stephan schlief.
Die weiteren Stöße waren erträglicher, da ich mich an den Schmerz gewöhnte und Stephan war überhaupt kein Vergleich zu Ciaran. Er genoss den Sex nicht, sondern benahm sich wie ein Stier, der sein Horn brutal ins Loch drückte.
Die Minuten kamen mir wie eine Ewigkeit vor und Stephan behielt immer denselben Rhythmus bei. Ich musste mehrmals durchatmen und mich zwingen die Beine breiter zu machen.
Doch endlich stöhnte auch Stephan auf und ergoss sich in mir. Seine Stimme war meine Erlösung gewesen, denn endlich zog er sein Glied aus mir und legte sich schlagfertig neben mich.
Zum Glück konnte er nicht erkennen, dass ich während des Geschlechtsverkehrs geweint hatte. Die Tränen waren mir vor Schmerz die Wange hinuntergekullert und bevor er sie merkte, wischte ich sie schnell weg.
Als ich mich unten befühlte, konnte ich nicht nur Sperma feststellen. Er musste so fest zugestoßen haben, sodass es auch zu bluten begann.
Panik breitete sich in mir aus, aber auch Erleichterung, denn jetzt musste er denken, dass er mich auch entjungfert hatte. Ich wollte zu einem Tuch greifen, um die Flüssigkeit wegzuwischen, doch Stephan griff nach meinen Handgelenken.
»Jetzt kommen wir zu anderen Teil«, flüsterte er und die Ungewissheit machte mir Angst. Er führte seine Hand zu seinem noch von Sperma geklebten Glied. »Du weißt ja, was du zu tun hast, Süße.«
Oh Gott! Er wollte dass ich ihn in seinen Mund steckte und daran nuckelte, als sei es mein persönlicher Lutscher.
»Bei einer übermäßigen Befriedigung gönne ich dir auch etwas.« Oh wie nett von dir! »Ich bin schon gespannt.«
Ich versuchte mein ekelerregendes Gesicht zu verbergen und musste den nun kommenden Sperma-Blut-Geschmack ignorieren.
Als ich mich über ihn beugte und sein Glied in den Mund nahm, hätte ich mich am liebsten übergeben. Schließlich versuchte ich meine Aufgabe gut zu meistern und nach fünfzehn Minuten geriet Stephan ein zweites Mal zu seinem Höhepunkt. Ich schluckte die Flüssigkeit hinunter und Würgereflexe wollten es wieder aus mir herausspucken.
Stephan bemerkte meine Reaktion und fuhr mit seinen Fingern über mein Gesicht. »Ich hatte ja vergessen, dass du noch Jungfrau bist.« Er seufzte und stieß mich brutal vom Bett. Mit einem lauten Aufschrei fiel ich auf den Boden und rebellierte sofort. »Geh dich ordentlich waschen, bevor ich doch nochmal anfasse.«
In mir kochte die Wut. Wollte er mich verarschen? Aufbrausend und bereit für einen Kampf stieg ich zurück auf das Bett und schnappte mir seine Handgelenke. »Hör mal zu, du Perversling! Denkst du im Ernst ich lasse mich von dir herumkommandieren?«
Stephan lächeln verblasste und ich hatte vergessen, dass die männlichen Bestia den Frauen immer überlegen waren. Er umfasste meine Arme und wir fielen beide mit einer Rolle zu Boden. Stephan saß auf mir. »Sobald wir verheiratet sind, gelten hier andere Regeln!«
Das sollte man eine Ehe nennen? Ob es bei Mutter genauso lief? Vielleicht fühlte sie sich deshalb nie zu meinem Vater so hingezogen. Dann gab es tatsächlich keine Liebe in der Welt der Bestia.
»Du kannst mich nicht wie deine persönliche Nutte behandeln!«
Stephan lachte amüsiert. »Weißt du, was mich wirklich erregt?« Mein Herz pochte vor Aufregung und ich wünschte ich könnte sofort flüchten. »Kleine Mädchen, die anfangen zu schreien, wenn man ihnen wehtut.«
Bestiamänner waren dafür bekannt, dass sie gerne sadistische Spielchen mit ihren Opfern trieben. Anscheinend übertrug sich diese Eigenschaft auch auf ihre eigene Rasse.
Stephan öffnete meine Beine mit Gewalt und ehe ich mich versah, stieß er sein erneut steifes Glied in mich ein. Ich schrie qualvoll auf und Tränen strömten meine Wange hinunter. Stephan schien sich daran tatsächlich zu ergötzen. Durch mein Schreien wurde er immer gewalttätiger und die Schmerzen nahmen kein Ende. Irgendwann flehte ich ihn an es zu lassen, doch er hörte nicht auf.
Plötzlich passierte alles viel zu schnell. Die Tür wurde mit Gewalt aufgestoßen und ein Schatten trat hinein. Das Licht vom Flur blendete mich. Dann ertönte ein erstickender Schrei und der Schmerz stoppte in mir. Hände legten sich auf meine Schultern und ein Stimme flüsterte mir zu: »Ich bin hier.«
Hände umfassten meinen Körper und betteten ihnen in eine wohlige Wärme. »Alles ist gut, meine Kleine.«
Als der Schatten Form annahm, konnte ich ein Hellblau erkennen und wusste sofort zu wem sie gehörten. Ciaran war hier. Er war hier.
Vollkommen erschrocken schaute ich zu meiner Rechten und entdeckte Stephan, der bewusstlos am Boden lag. »Wir müssen ihn töten«, entfuhr es mir und ich wand mich aus Ciarans Armen.
Tränen schossen in meine Augen. Er ist hier.
Unkontrolliert meiner Sinne griff ich zu einem Messer in der Schublade und kniete mich zu Stephan. »Er muss sterben!«
Ciaran wollte noch etwas ansetzen, doch es flogen mir Blutspritzer entgegen, als ich das Herz aus seiner Brust riss und es pochend in meinen Händen hielt. Ciaran hielt sich die Hand vor den Mund und hätte sich beinahe übergeben. Für mich waren Blut und Tod der Alltag.
Vollkommen starr und wirr zog ich mir einen Morgenmantel um und schlüpfte in meine Stöckelschuhe. »Du bist hier«, entfuhr es mir wieder.
Ciaran bemerkte meinen Schock und ergriff mein Handgelenk. Leise flüchteten wir über den Flur und schlossen die Tür hinter uns.
Stephan ist tot. Er ist hier.
Ciaran zitterte am ganzen Leib und ihm war es egal, ob meine Hand mit dem Tod gefleckt war. Wir liefen in mein Zimmer und standen an einem offenen Fenster. Ein Seil hing am Fensterbrett und Ciaran kletterte Stück für Stück nach unten. Am Boden flüsterte er mir zu: »Wenn du runterspringst, nimm das Seil mit.«
Ich habe Stephans Herz herausgerissen. Er ist tot. Und er ist hier.
Ich gehorchte, selbst im perplexen Zustand. Mit einem leisen Abrollen landete ich neben Ciaran, der mich sofort zum Weitergehen drängte. Wir flohen über die Wiese und mieden die Pfade. Es dauerte nur zwanzig Minuten bis wir schweigend ein Auto erreichten.
»Ich habe Ausweise für uns beide. Wir fahren weit weg und dann können wir von neu anfangen.«
Stephan ist tot. Er ist hier. Meine Familie wird niemals aufhören nach uns zu jagen.
Ciaran schaute mich an und versuchte meine Gedanken zu erraten. Doch allein die Tatsache, was ich getan hatte, würde die Zukunft bereits vorausahnen. Sie würden mich finden, foltern und töten.
Ciaran musste aus der Sache herausgehalten werden und ein eigenes neues Leben anfangen.
Der Motor röhrte und ich zog die Handbremse an, bevor das Auto losrollen konnte. Ciaran warf mir einen entsetzen Blick zu. »Was soll das?«
»Ich liebe dich«, sagte ich halb weinend, halb schluchzend. Anschließend öffnete ich die Beifahrertür und stieg aus.
Ciaran folgte mir und ich versuchte ihn dazu zu zwingen, dass er ohne mich weiterfuhr. Schließlich drehte ich seinen Arm auf den Rücken und drohte ihm mit kalten Worten. »Steig ins Auto, Ciaran, sonst breche ich dir den Arm.«
Er schnaubte verächtlich. »Tu’s doch! Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich kein Leben ohne dich führen werde. Dann sollen sie kommen und mich essen.«
Vor Zorn und Liebe stieß ich ihn von mir und er fiel zu Boden. Ich hasste diesen Kerl für seinen Ehrgeiz. Er kämpfte für das, was er wollte. »Du bist ein Idiot! Sie werden dich foltern, langsam und qualvoll.«
»Ist mir egal«, hauchte er und mit einem Ächzen erhob er sich von der Erde. »Du hast zwei Wahlen, Luna, etwa steigst du mit mir ins Auto oder ich begleite dich auf deinem Weg.«
Ich wandte den Blick von ihm. »Bitte, Ciaran, tu es!«
Er schwieg, woraus ich schloss, dass er sich weigerte.
Ich musste eine sehr harte Entscheidung treffen. »Also schön, ich komme mit dir.«
Er lächelte und sofort stiegen wir ins Auto. Er startete den Motor und dieses Mal zog ich keine Handbremse, sondern wartete, bis wir die Stadt erreicht haben. »Warte, Ciaran.«
Er hielt an einem Parkplatz.
»Ich kann so nicht im Auto sitzen. Dahinten ist eine Toilette, lass mich meine Hände säubern, sonst hetzen wir uns noch die Polizei auf den Hals.«
Er nickte einverstanden und noch ein letztes Mal prägte ich mir all seine Merkmale ein. Ich würde ihn nie wieder sehen. Er wusste zwar, wo unser Anwesen lag, doch ich würde dafür sorgen, dass ihn eine Barriere von uns fernhielt.
Ciaran war wunderschön, charmant und die Liebe meines Lebens. Vor mir lag nun ein Weg voller Qual und Unglück. Die Götter würden mich vermutlich für mein Verbrechen bestrafen und mich sogar solange foltern, bis sie einen psychisch kritischen Punkt erreicht hatten. Sie würden aus mir eine Verrückte machen und mich den Custois dienen lassen.
Schließlich stieg ich aus dem Auto und bereits während meines Weges spürte ich eine unaufhörliche Sehnsucht in mir. Sie ließ erneut Tränen aufsteigen.
In der Toilette flüchtete ich durch den Hinterausgang und sprintete zurück zum Anwesen. Meine Geschwindigkeit war schneller als die eines Autos. Man könnte mich mit einem Flugzeug vergleichen.
In Anwesen machte ich mich auf meine Strafe bereits und ging noch ein letztes Mal all meine Erinnerungen durch. Ciaran, Gwen, Mom, Dad, Zeth … Robeen. Die Kleine musste nun ohne mich auskommen, auch wenn es sein könnte, dass sie eines Tages dasselbe Schicksal ereilte.
Ich stolzierte mit meinen blutigen Händen und dem Morgenmantel meiner Mutter in den Saal und plötzlich verstummte alles. Ich glaubte, mein Herz war das einzige Geräusch, das ich hören konnte.
»Was ist passiert?«, entfuhr es Gwen und sie ballte wütend ihre Fäuste, weil sie bereits ahnen konnte, was ich getan hatte.
Ich setzte ein geschmitztes Lächeln auf und genoss den Anblick meiner schockierten Gäste. »Das passiert, wenn man sich mit einer unbeugsamen Bestia anlegt.« Zur Verdeutlichung hob ich meine blutigen Hände und plötzlich kreischte Carolin auf und auch viele andere Angehörige schluckten.
»Mein Junge!«, rief sie aus und stürmte an mir vorbei. Auch andere folgten der besorgten Mutter und keine Minute später ertönte ein noch qualvoller Aufschrei.
»Stephan ist tot. Ich habe sein Herz herausgerissen.«
Zum aller ersten Mal in meinem Leben konnte ich Ehrfurcht in den Augen meiner Mutter erkennen. Und ich genoss diesen Anblick.
»Was hast du getan?«, brüllte meine Mutter vollkommen von ihrer Wut eingenommen. Sie schritt auf mich zu, packte meine Kehle und drückte mich gegen die am nächsten stehende Wand. Ich bekam beinahe keine Luft, ließ jedoch ihren Zorn zu. Denn ich hatte eine einzige Hoffnung: Bitte, töte mich. Ich kann dieses Leid nicht länger ertragen.
»Er hat es verdient, dieses Arschloch«, presste ich zwischen meinen Lippen hervor und sie schleuderte mich mit einem kraftvollen Hieb gegen die Wand. Ich japste, schrie schmerzerfüllt auf, als sogar der Beton eine Wölbung hinterließ.
Ich lag am Boden, wusste, dass ich am Kopf blutete und hoffte einfach nur, dass meine Mutter ihre Foltermethoden aus dem Spiel ließ. Oder schlimmer … sie schickte mich zu den Custois.
Beim Gedanken geriet ich in Panik und wollte aus dem Haus verschwinden, als sich mir jemand draußen in den Weg stellte. Mit großen, entsetzten Augen starrte ich den breitgebauten, riesigen Mann an, dessen Haltung und finsteren Blick mir bereits schon damals den Atem geraubt hatte. Es war mein Vater.
»Was geht hier vor sich?«, fragte er und erst jetzt erkannte ich, dass er jemanden hinter seinem Rücken hervorzog. Der entkräftete Körper gehörte zu Ciaran. Zitternd und voller Schuldgefühle schaute ich zu ihm herunter. Er kniete am Boden und hatte bereits einige Schnitt- und Kratzwunden am Körper.
»Nein!«, entfuhr es mir und ich wollte mich gerade auf ihn zubewegen, als zwei Arme mich nach hinten zerrten. Mit allen Mitteln und verbliebenen Kräften versuchte ich mich aus ihrer Gefangennahme zu winden. Allerdings hatte ich keine Chance gegen Gwen und Zeth.
Jetzt war meine Mutter am Zug und sie schien zu ahnen, welche Verbindung zwischen mir und Ciaran entstanden war. Sie warf mir einen teuflisch amüsanten Blick zu und stolzierte zu ihrem Mann hinüber. Mit einem sehr innigen Kuss begrüßten sie sich. »Gut gemacht, mein Liebling.«
Als ich einen flüchtigen Blick nach links wagte, kamen einige Custois in ihren Roben angelaufen. Einer von ihnen schaute zu mir herüber und ich erkannte dessen Gesicht. Erst letztens schnitten sich unsere Wege vor der Haustüre des Anwesens. Jetzt hätte wirklich mein letztes Stündlein geschlagen.
Ich blickte zu Ciaran, der seinen Kopf gehoben hatte. »Wieso hast du das gemacht? Du warst frei!«
Er versuchte gestikulierend meine Aussage zu verneinen. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ein Leben ohne dich nie in Frage kommt.« Er senkte wieder seinen Kopf und meine Mutter hob mit ihren dürren Fingern sein Kinn an.
»Finger weg von ihm! Hörst du! Lass ihn gehen«, kreischte ich außer mir und versuchte mich erneut aus den Fängen meiner Verwandten zu winden.
Meine Mutter lächelte spielerisch und schaute in die hellblauen Augen des Mannes den ich liebte. »Du hast also meiner Tochter den Kopf verdreht. Ein Mensch, der sich wünscht lieber zu sterben, statt mit ihr zusammen zu sein.«
»Bitte, bitte! Ich tue alles was ihr wollt, aber schenkt ihm sein Leben. Es ist nicht seine Schuld.« Tränen rannen meine Wange hinunter und verzweifelt begann ich zu weinen. Sie würden ihn niemals gehen lassen. Ich hatte Stephan getötet, allein seine Mutter würde sich seelischst wünschen mir Schaden zuzufügen.
»Aus dem Weg!« Wenn man vom Teufel spricht … »Lasst mich durch! Wo ist diese kleine Hure? Ich will sie dafür bezahlen lassen!«
Als ich zu den Custois schaute, sah ich wie Stephans Mutter mich wütend anfunkelte und mit erhobener Hand auf mich zutrat. Sie verpasste mir mehrere Ohrfeigen, währenddessen ich nicht einmal die Chance bekam mich zu wehren. Die Arme waren auf meinen Rücken gebunden und jeder wuchtige Schlag bereitete mir mehr Schmerzen. Beim letzten Hieb drosch sie mit der Faust auf mich ein und ich spuckte instinktiv Blut aus, als es in meinem Mund nach Eisen schmeckte.
Lorene schaute zu Ciaran hinunter und ihre Kinnlade klappte hinunter. »Mein Sohn wurde mit diesem erbärmlichen Menschen verglichen? Sie hatte mehr Interesse an einem ihrer Mahlzeiten, anstatt an einer ehrbaren Bestia?«
Ich fauchte: »Gott, dein Sohn war ein Lustmolch, Vergewaltiger … ein Monster!« Sie schritt wieder zu mir, packte mich am Schopf und zerrte diesen nach unten, sodass ich in den Himmel hinaufschauen musste.
»Wage es nicht so über meinen Sohn zu reden«, keifte sie und verpasste mir wieder einen Hieb gegen den Wangenknochen, der anschließend knackste.
»Ich weiß, wie wir sie bestrafen können«, meldete sich ein Custois und schritt in die Richtung von Ciaran. Es war derjenige, der mir etwas Unheimlich vorkam. »Seelischer Schaden ist manchmal der schmerzhafteste. Wir töten ihn vor ihren Augen.« Er wandte sich zu den herumstehenden Bestia. »Welcher Carolis möchte sich am Fleisch des Menschen laben?«
Ich riss die Augen auf. »Er ist noch am Leben!« Meine Mutter warf mir ein bitter böses Grinsen zu und wandte sich zu ihrer Schwester Gwen.
»Würdest du das übernehmen?«, fragte sie und tauschte mit ihr den Platz. Nun war es meine Mutter, die mich fest anpackte und mich sogar grober behandelte als es meine Tante tat. Schließlich leckte sich Gwen über die Lippen und kniete sich zu Ciaran hinunter.
Verzweifelt versuchte ich mich aus den Fängen meiner eigenen Familie zu befreien, allerdings konnte ich gegen Zeth nichts ausrichten. Er besaß eine unermessliche Kraft. Gwen ergriff seinen Arm, zerrte das Hemd auseinander, um auf sein Fleisch schauen zu können. Als sie ihre Zähne entblößte, passierte alles im Bruchteil einer Sekunde. Sie stieß die spitzen Ecken in sein Fleisch, Ciaran schrie schmerzhaft auf, schloss seine Augen und versuchte dem Drang weiter zu schreien, zu entgehen.
Gwen riss gewalttätig das Stück Fleisch aus seinem Arm und kaute darauf herum, als sei es zähes Gummi. Ciaran würde verbluten, denn bereits jetzt lief ein Teil seines Armes wie eine aufgeschnittene Tüte mit Wasser aus. Gwen, mein Vater, der dicht daneben stand und das grüne Gras wurden von seinem Blut befleckt.
Sie schaute grinsend zu mir und meine Knie konnten mein Gewicht nicht länger halten. Sie brachen zusammen, stießen ins Gras und ich schaute dabei zu wie Gwen ein zweites Mal ihre Zähne in sein Fleisch stieß. Sie benahm sich wie ein Wolf, dass gerade ein Reh riss. Allerdings war sie keineswegs gnädig, sondern verschlang ihn bei lebendigem Leibe.
Die Wunden waren abscheulich. Sie bluteten, Knochen schaute hervor und ich konnte die durchtrennten Adern erkennen. Ciaran würde sterben – mein Traum würde sich bewahrheiten. Eines Tages hätte es so kommen müssen und es war alles meine Schuld gewesen. Wir hätten uns niemals kennenlernen dürfen, dann hätte er sich nicht in mich verlieben müssen.
Ich senkte meinen Kopf, um den Anblick nicht länger ertragen zu müssen. Schließlich ging meine Mutter hin und packte mein Kinn grob. »Sie genau hin, Liebling!«
Ciaran schaute mich mit geschwächtem Blick an und ich wollte ihm zu verstehen geben, dass es mir Leid tat. Doch er schien eine Art Hoffnung in seinen Augen zu besitzen. Er betrachtete mich auf eine unverständliche Weise, als wollte er, dass ich ihn losließ.
Gwen stieß ihn nach dem dritten Bissen von sich, als wäre er ein Stück Abfall. Anschließend beinhaltete sein Körper nur noch wenig Lebenskraft, sodass er vermutlich noch das Nötigste um sich herum wahrnahm.
»Paeon, saug ihn aus«, befahl der Custois und dies ließ sie sich nicht zweimal sagen. Ich versuchte mich erneut gegen Zeth zu wehren und trat gegen sein Schienbein, allerdings verpasste er mir dafür einen Faustschlag, der mich für mehrere Sekunden benommen machte.
Meine Mutter kniete sich über ihn und stieß ihre Wolfszähne in seine Kehle, daraufhin schrie Ciaran erneut auf und konnte seinen verbissenen Arm nicht mehr bewegen. Mit dem anderen versuchte er sie von sich zu drücken. Doch Paeon hing noch fester an seiner Körper als ein Blutegel.
All das war ein einfacher Albtraum. Ich musste immer noch dabei zusehen wie Ciaran von meiner Familie aufgefressen wurde und war nicht im Stande etwas zu tun. Es fühlte sich scheußlich und demütigend an und am liebsten wäre ich in dem Moment ebenfalls gestorben. Ich hatte noch nie so viel Blut gesehen, geschweige denn solch einen schmerzerfüllten Schrei gehört.
Ciaran und ich würden uns niemals wieder küssen können. Das Gefühl der Leere übermannte mich. Sie umschloss mich wie eine eisige Umarmung, bettete mich zwischen Schwärze und Härte ein und begrüßte mich, mit jedem Moment der verstrich, mit einem grausamen Schlag ins Gesicht.
Schließlich ließ sie von ihm, stieß den leblosen Körper von sich und ich schrie Ciarans Namen. Er reagierte nicht und anschließend packten mich die Klauen meiner Mutter. Sie zerrte mich zu ihm, sodass ich bei einem festen Stoß über Ciaran lag. Er versuchte mit Mühe seine Augen offen zu halten.
Tränen tropften meine Wangen hinunter, als ich das viele Blut ansah und den Schmerz förmlich spüren konnte. Ich nahm seinen Kopf in meine Hände und versuchte trotz des Stammeln und Wimmerns zu sprechen: »Es tut mir so leid. Das war alles meine Schuld … wir … bitte vergib mir …«
Ich konnte selbst durch den Tränenüberschuss erkennen, dass er versuchte zu lächeln. »Mach e-es bitte … schnell … Luna …« Es gab niemand anderen, der mir solch einen Spitznamen gab und gerade diesen Namen würde ich am meisten vermissen. Aber ich konnte ihm doch nicht seine Seele rauben!
Allerdings beim Anblick seiner tödlichen Wunden und den unerträglichen Schmerzen, wusste ich, dass ich keine Wahl hatte. Ciaran wollte sterben. Er ertrug die Qualen nicht länger, vermutlich würde meine Mutter sein Sterben noch in die Länge ziehen, wenn ich mich nun nicht zusammenriss.
Ciaran bemerkte mein Zögern und gab noch einmal ein letztes ›Bitte‹ preis und ich beugte mich über ihn, um bald meine Lippen auf seine zu legen. »Ich liebe dich«, sagte er hauchend und bevor ich etwas erwidern konnte, übermannte mich mein Seelenhunger und ich drückte meine Lippen auf seine. Energie durchfuhr mich, reinigte meinen Körper machte mich stärker und von jetzt auf gleich, löste ich mich von ihm. In seinem Körper gab es kein Leben mehr.
»Nein …«, schluchzte ich und legte meinen Kopf auf seine Brust.
»Schafft sie mir aus den Augen«, sagte meine Mutter und ich wusste, dass sie damit die Cutois meinte. Hände packten mich, schleiften mich über den Boden und Paeon gab meinem Onkel das Zeichen sich an seinen Knochen zu laben. Selbst meine Tante kniete zu seinem Körper, um ihre Zähne in sein Fleisch zu schlagen. »NEIN!«
Doch die Custois rissen meinen Kopf herum und brachen mir das Genick, damit ich bewusstlos wurde.
»Komm schon, steh auf!«, befahl einer meiner Kerkerwächter und zerrte mich von kalten Steinboden auf die Beine. Ich fröstelte und legte daher meine Arme um mich. »Nun mach schon!«, keifte er in meine Richtung und meine Handgelenke schmerzten, da sie sie jedes Mal blau quetschten.
Er zog mich durch die noch kälteren Flure und ich humpelte, da sie mir gestern einen Bleipflock durch den Knöchel gejagt hatten, als sie mich folterten. Mittlerweile war ich den Schmerz gewohnt. In den ersten drei Monaten war es unerträglich gewesen, aber jetzt war es fast ein ganzes Jahr, indem sie mich hierbehalten hatten. Sie hatten es geschafft mich gefügig zu machen.
Da die Custois eigentlich unsere Wächter sind und Bestia, die ihrer Bestimmung nicht folgten, an diesen Ort in Vergessenheit gerieten, wurden sie für andere Zwecke verwendet. Wir waren gleichzeitig, Hausfrauen, ihre Gefangenen, Huren und irgendwann auch ihr Eigentum, wenn mich jemand kaufen würde.
Heute hatte mich jemand zu sich bestellt und deshalb brachten sie mich zu den Duschen, wo ich wieder allein gelassen wurde. Mit einem Stück Seife sollte ich meinen Körper waschen und auch die Haare. Als das Wasser über meine Haut lief, weinte ich bitterlich. Selbst nach so vielen Monaten war ich nicht über Ciarans Tod hinweggekommen. Er fehlte mir einfach und ohne ihn war ich eine leere Hülle, nur dazu da, benutzt zu werden.
Nachdem ich mich reingewaschen hatte, ging es meinem Fuß auch besser und ich humpelte weniger. Ich zog mir ein Dessous an, das sie mir hingelegt hatten. Der BH war schwarz und goldener Klimperschmuck hing an ihm, sodass ich etwas orientalischer wirkte. Der passende Tanga, raschelte ebenfalls beim Gehen. Als ich fertig angezogen aus den Duschkabinen kam, grabschte einer meiner Begleiter an meinen nackten Hintern und drückte ihn so fest zu, als gehörte er ihm.
»Die Kleine ist geil, oder?«, grunzte er zu seinem Kameraden und verzog keinen einzigen Mundwinkel, weil ich dieses Benehmen mittlerweile gewohnt war. Wie gesagt, wir waren manchmal auch mehr wie Huren.
Sie führten mich zu einem der Zimmer und ich konnte die Zahl Sechs lesen. Einer der beiden drückten mir noch einen festen Kuss auf die Wange, aber auch da wehrte ich mich nicht. »Na los, meine Süße. Du wirst schon erwartet.«
In den letzten elf Monaten wurde ich mindestens schon sechzig Mal in solche Zimmer getrieben, da machte dieser Custois keinen Unterschied. Als ich hineingetrieben wurde, rief ich mir wieder den Aufbau des Zimmers in den Kopf. Vor mir war ein kleiner Flur, der mir nur den Ausblick auf einen Spiegel und einen Schreibtisch gab. Links gab es die Tür zum Badezimmer und hinter der Flurwand befand sich das Bett auf dem der Akt jedes Mal ausgeführt wurde.
Ich hatte keine Angst mehr nach so vielen Custois-Freiern. Sie waren alle auf dieselbe Art und Weise grausam. Wie könnte man meine Existenz am besten ausdrücken? Ich war eine Art Samenentsorgung! Manche drangen in mich so fest ein, dass ich glaubte, jeden Augenblick vor Schmerzen sterben zu müssen. Andere ließen es sanfter angehen und die ganz Üblichen holten meistens auch noch Werkzeug mit, wie zu Bespiel eine Peitsche.
Durch die vielen Folterungen wurden meine Heilkräfte gehemmt und manchmal brauchte es Tage bis die Wunden wieder verheilten. Als ich in den Raum kam versuchte ich so wenig wie möglich zu humpeln, da die Freier es nicht ausstehen konnten, wenn sie eine defekte Hure bekamen.
Als ich in den Raum trat, das große Bild an der Wand über dem Bett sah und nur die Nachttischlampe leuchtete, blickte ich meinem Freier in die Augen. Sie waren dunkel, fast schwarz und trotzdem empfand ich keine Angst ihm gegenüber. Vielleicht lag es auch an seinen weichen Zügen. Sein Haar fiel ihm stufig und etwas wild in die Stirn und bedeckte fast seine Ohren. Er besaß leichte Stoppeln um seinen Mund, wirkte jedoch auf den ersten Blick nicht begeistert von meinem Antlitz. Das gab es vorher noch nie.
»Selene, richtig?«, fragte er und es kam selten vor, dass sich die Freier meinen Namen merkten. Manchmal sagten sie einfach nur »Flittchen« oder »Hure«.
Ohne irgendeinen Muskeln in meinem Gesicht zu bewegen, nickte ich. Huren durften nicht reden. Stöhnen war erlaubt und weiter durfte ich auch nicht gehen, es sei denn der Freier verlangte nach anzüglichen Worten.
Eigentlich war ich bisher immer eine sehr starke Frau gewesen, hatte mich gewehrt, den anderen meinen Ehrgeiz präsentiert, aber hier war ich nichts anderes als eine kleine Maus in einem Käfig.
Der ziemlich junge Custois erhob sich vom Bett und stellte sich neben mich. Als er mich zärtlich an den Schultern berührte, steuerte er mich auf das Bett zu und ich wusste, dass er mir gleich den BH öffnen würde, um sich anschließend auf mich zu werfen. Ich ballte heimlich die Fäuste.
Doch keiner meiner Vermutungen bewahrheitete sich, denn er wollte nur, dass ich mich auf das Bett setzte, sodass wir ein wenig Smalltalk trieben. Naja, manchmal brauchten Männer Huren, um auch ihren Frust aussprechen zu können. Fast so wie beim Pastor in der Beichte.
Selbst wenn die ersten Anzeichen für ein friedliches Zusammensein deuteten, traute ich keinem Freier über den Weg. Sie waren alle Schweine.
»Ich weiß, Selene, dass ihr nicht sprechen dürft, aber ich bin eigentlich gekommen, um dich etwas zu fragen.« Wie bitte? Er wollte gar keinen Sex? Was war das denn für einer? Ich versuchte mir die Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen und starrte ihn deshalb nur so eiskalt an, wie nur möglich. »Deine Geschichte hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und deine Familie hat ganz schöne Probleme am Hals.«
Warum fragte mich so etwas überhaupt ausgerechnet ein Custois? Normalerweise müsste er mich dafür in den Folterstuhl setzten und mich stundenlang quälen, bevor ich die Schmerzen nicht mehr aushielt und bewusstlos wurde.
»Aber durch die monatelange Recherche habe ich durch eine andere Person einen Blickwinkel bekommen, der mich stutzig gemacht hatte.«
Wie bitte? Von wem sollte er eine andere Version erhalten haben, als die, dass ich durchgedreht bin und mich gegen meine Familie gestellt hatte?
»Diese Person sagte mir, dass du dich in einen Menschenjungen verliebt hattest und ihr heimlich ein Paar gewesen seid, dass eigentlich gegen die Regeln verstieß. Doch eure Liebe war so stark gewesen, dass er dir gefolgt war und dein Vater ihn vor der Tür aufgegriffen hatte.«
Ich drehte meinen Kopf weg und plötzlich tauchte Ciaran vor meinem geistigen Auge auf. Er lächelte mich an, berührte meine Arme und zog mich an sich. Selbst nach so vielen Monaten konnte ich noch seine Wärme spüren, obwohl ich genau wusste, dass ich dieses Gefühl nie wieder erleben durfte.
»Selene, ich glaube, du weißt nun, weswegen ich wirklich gekommen bin.«
Abrupt wandte ich mich zu ihm und hob meine Augenbrauen.
»Ich bin hier, um dir eigentlich zu helfen, was aber niemand außer dir und mir wissen darf.« Er holte tief Luft, was ich am besten auch hätte tun sollen. »Ich bin zwar ein Custois, aber ich komme aus Rumänien und bin extra hierher nach Amerika gereist, um dich zu finden.«
Er erhob sich vom Bett und stellte sich vor mich. »Wir nennen uns ›Gabras‹, was auf bestialisch so viel bedeutet wie –«
»Gottlose«, unterbrach ich ihn und starrte mit zugeschnürter Kehle auf den Boden. Sie waren ein Geheimbund, der eigentlich ein Mythos hätte bleiben sollen. Aber anscheinend gab es sie wirklich und man erzählte sich nur diese Schauergeschichten, weil man den Kindern beibringen wollte, dass sie gehorchten und sich ihrem Schicksal fügten. Paeon wollte nie das ich darüber sprach oder auch nur einen Gedanken daran verschwendete.
Mein Gegenüber schien darüber verblüfft zu sein, dass ich überhaupt meine Stimme offenbarte, denn normalerweise wurde es untersagt.
Er ging vorher in die Knie und legte seine Hände in meinen Schoß, um mir vertrauenswürdig in die Augen zu schauen. »Hör zu, Selene, ich habe nicht mehr viel Zeit, aber du musst mir zuhören.« Ich fixierte angestrengt seine Lippen. »Das hier muss unser kleines Geheimnis bleiben und bitte verhalte dich in den nächsten Tagen nicht anders. Ich weiß, dass das hier die reinste Hölle für dich ist, aber ein paar Anhänger der Gabras versuchen dich gerade zu werben, sodass wir dich in Rumänien in Sicherheit bringen können.«
Mein Herz klopfte ganz laut gegen die Brust und die ersten Schritte waren draußen im Flur zu vernehmen. Die Zeit wurde immer knapper.
»Es gibt noch viel mehr Bestia, die von Anbeginn ihrer Geburt Gabras waren und sich weigerten Menschen aus Lustgenüssen zu töten.« Seine Stimme wurde leiser. »Du bist nicht allein.«
Plötzlich stieß jemand gewaltsam die Tür auf und ich zuckte erschrocken zusammen. Der Unbekannte erhob sich abrupt aus seiner Hocke, beugte sich über mich und krallte seine Hände in meine Haarpracht. Anschließend legte er seine Lippen weich auf meine, als die Custoiswachen hineingeschossen kamen und neidisch lachten. »Zeit ist beendet.«
Seine Lippen lösten sich von meinen und erst danach bemerkte ich, was für eine starke Gänsehaut meinen Körper benetzte. Er schaute mich mit seinen dunklen Augen noch einmal an, ehe er mir leise ins Ohr flüsterte: »Wir sehen uns wieder.«
Danach drehte er sich zu den Wachen um und setzte seine andere Maske wieder auf. »Oh, wirklich? Schon? Ich habe eine Menge Geld bezahlt und dann bleibt mir noch nicht einmal eine zweite Runde?«
Die Wachen zuckten mit den Schultern und grinsten mich an. »Hey du! Steh gefälligst auf und lass dich zurück in deine Zelle schleifen.«
Ich gehorchte mit weichen Knien und schlenderte mit einem letzten Seitenblick zu dem Unbekannten. Weshalb ein Kuss? Hätte eine Umarmung auch nicht zur perfekten Tarnung beigetragen?
Draußen packten mich zwei weitere Custois und schleiften mich zurück in meine Zelle, wo ich mich auf dem weichen Heu zusammenkauerte. Die Gabras? Im Ernst? Sie wollten mir helfen? Aber weshalb? Wenn ich nicht zu den Bestia gehörte und es noch andere wie mich gab, dann konnte meine Lebenseinstellung nichts Falsches sein? Oder?
Ich klemmte meinen Kopf zwischen die Knie. »Wir sehen uns wieder«, ertönte seine Stimme in meinem Kopf und auf meinen Lippen begann es erneut zu prickeln.
Am nächsten Morgen erwartete mich die schlimmste aller Befürchtungen. Es gab selten Kunden, die diese Option wählten, da sie sehr teuer und aufwendig war. Ein Mann, den ich noch nicht kennengerlernt hatte, hatte meinen Körper und meine Anwesenheit für den ganzen Tag gekauft. Dass hieß, dass er mir auch Leid zufügen durfte, allerdings würde nur der Tod für ihn Konsequenzen haben – wenigstens etwas.
Der Kunde erwartete mich bereits im Foyer des Gefängnisses (Bordells – meiner Meinung). Erneut musste ich mich waschen, mir wurden schöne, anzügliche Kleider angezogen und eine Custoisfrau schminkte mich. Als ich in den Spiegel blickte sah ich gleichzeitig verführerisch, als auch gefährlich aus. Es erinnerte mich an den Moment, als Paeon mir damals die Haare frisierte.
Mein Kleid war dunkelrot, passend zu meinen Haaren. Er schmiegte sich eng an meinen knochigen, mageren Körper und betonte meine Brüste gut. Durch den weiten Ausschnitt blieb es nur abzuwarten, wie lang sie es aushielten, bevor die Hose explodierte.
Die Custoisfrau erzählte mir, dass es sich um eine ältere Bestia namens Bluefire handelte. Er benutzte ein Pseudonym aufgrund seines Rufes und der Geschäfte. Bluefire liebte es schöne Frauen zu sammeln, denn wenn noch ein paar Wochen vergingen, wäre ich käuflich. Ich war wie ein Produkt, dass vor wenigen Monaten neu auf den Markt kam und jeder es einmal haben wollte, wenn nicht sogar mehrmals. Am Anfang kam ich mir so fehl am Platz vor und wurde ständig vergewaltigt, weil ich eben mich weigerte mit fremden Männern zu schlafen.
Irgendwann gab mir eine ebenfalls Gefangene einen Tipp ihr Spielchen mitzuspielen, damit die Schmerzen gemindert wurden. Und sie hatte Recht. Ich warf den Männern mein verführerischstes Lächeln zu, umgarnte sie, tat was sie wollten und immer mit dieser gefälschten Vorfreude. Es war belanglos zu denken, was ich dabei fühlte, denn die Kunden mussten zufrieden sein, um dich weiterhin zu buchen.
Wenn irgendwann eine Bestia nicht mehr gebraucht wurde, wurde sie weggeschmissen, wie ein Stück Dreck. Ihre Leiche landete meistens im Feuer oder wurde im Wald verschanzt. Jedenfalls wurden alle Aufzeichnungen über die Person vernichtet, als hätte es sie niemals gegeben.
Wenn ich deshalb nicht mitspielte und die Kunden nach jedem sexuellen Delikt fragten, ob sie mich wieder besuchen würden, wäre ich jetzt schon längst tot. Das Leben war mehr als hart, voller Scham und Schande. Meine Ehre? Die hatte ich längst irgendwo zwischen den ganzen Heuhalmen verloren in die ich übrigens auch meine »Geschäfte« erledigen musste.
Das Einzige, was ich niemals bereute, war die Unterziehung meiner Seele. Die Custois würden mich willenlos machen und mich als Sklavin meiner Mutter übergeben. Es war meine Entscheidung gewesen: ein Leben im Dreck oder bei meiner Familie.
Lieber verreckte ich in diesem Loch, als zu meiner Familie zurückzukehren. Robeen war die einzige Person, die ich wirklich vermisste. Außerdem ergötzte ich mich noch immer am Gedanken Stefan für alle Zeiten getötet zu haben. So wie ich gehört hatte, meinte ein Custois, dass die Familie auseinandergebrochen wäre, da der Vater es für eine Schande hielt, dass sein Sohn durch die Hände einer Frau starb. Jedenfalls musste er auf Stefans Grab gespuckt haben – wortwörtlich – und sich von der restlichen Familie abgewendet haben.
Die Custoisfrau befahl mir, dass ich aufstehen sollte, um mit ihr ins Foyer zu gehen. Da ich seit Wochen keine richtigen Räume mehr gesehen hatte – abgesehen von Bett, kaltem Beton und Heu – war es für mich wieder ein seltsames Gefühl nun zwischen vielen anderen Bestia zu stehen. Die Custois waren hier eher die Bediensteten, die von den reichen, erfolgreichen Bestia das Geld abgeknöpften. So wie ich die Frau von eben verstanden hatte, meinte sie, dass ich ein echter Umsatz wäre. Wieso? Weil ich eine Bestia umbrachte und eigentlich als gefährlich gelten sollte?
Mein Blick wanderte zu den Glastüren. Die Sonne ging gerade auf und ein Mann im weißen Smoking trat durch die Tür. Allein schon die Golduhr am Handgelenk, das freche Grinsen, die gerade Haltung und die Arme, die er irgendwie machtvoll vor seinem Körper hielt, sagten mir, dass es sich hierbei um meinen Käufer handelte.
Mit seinen dunklen Augen analysierte er mich. Ohne auf die Custois neben ihm zu achten, schritt vor mich und legte seine Hand an meine Wange. Ich war bereits jetzt angewidert. Er berührte meine Haare, strich über meine Gesichtszüge und fühlte sogar meine Brüste. »Oh ja, sie ist sogar viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte.«
Ich musste mich regelrecht zwingen, um kein Wort zu sagen. »Sie ist auch etwas Besonderes«, ertönte die Stimme meiner Begleiterin und zeigte anschließend mit dem Finger auf ihre Mitarbeiterin, die bereits den ersten Anlauf verpasst hatte. »Besonders und teuer.«
Belanglos zuckte er mit den Schultern und gab der schweigsamen Custois die Kreditkarte, damit sie abrechnen konnte. »Ihr solltet ihr mehr zu essen geben. Für meinen Geschmack könnte sie ein bisschen mehr auf den Rippen haben.«
»Sie bekommt eine Animus pro Woche. Das sollte ausreichen«, gab die Custois hinter mir bekannt, schien jedoch einen knurrenden Unterton zu besitzen. Für sie schien nur das Geld stimmen zu müssen, damit sie lächelte.
»Dann werde ich heute meinen Spaß haben, schätze ich«, sagte er und bot mir seine Hand an. Innerlich wollte ich sie wegschlagen, ihm eine heftige Ohrfeige verpassen und ihm so fest zwischen die Beine treten, dass ich sein Glied zu Pfannkuchen trat, allerdings lächelte ich angetan, nahm seine Hand höflich an und lief mit ihm aus dem Gebäude. Die frische Luft blies mir ins Gesicht und ließ meine Welt im ersten Moment verschwimmen. Das Gefühl draußen zu sein war unvergleichbar.
Doch ich hatte Angst, weil diese Männer alles mit mir machen konnten – wirklich alles. Sie konnten ihre Fantasien an mir ausleben und mich zu allem zwingen, was sie wollen. Als die letzte Bestia zurückkehrte, erinnerte sie mich an eine von Gwens aufgegessene Leiche. Sie war mit Blut übersät. Stellenweise fehlten ihre Haare, das Gesicht war entstellt mit Schnittwunen und sie wachte erst nach zwei Tagen wieder auf. Allerdings entzündete sich eine tiefe Wunde, die die Heilpraktiker sich nicht erklären konnten. Nach fünf Tagen des harten Kämpfens starb sie und alle Gefangenen trauerten nicht um sie, sondern freuten sich darüber, dass sie ihren Frieden gefunden hatte.
Als ich heute Morgen im Gang ausgerufen wurde, dass mich jemand gebucht hatte, empfand jeder ein tiefes Mitleid für mich. Eine Tagesbuchung war das Schlimmste, was einer Bestia hier passieren konnte. Sie musste den ganzen Tag mit einem Kerl verbringen und sich alles gefallen lassen.
Meine Beine waren so weich wie Gummi. Vermutlich wären sie auf dem Asphalt zerschmolzen. Dieser Fremde neben mir stellte sich als Bluefire vor und sagte mir zum tausendsten Mal, dass ich die perfekte Wahl war.
Ich musste mich mit ihm allein hinten auf eine Rückbank einer Limousine setzen. Bluefire grinste noch immer über beide Ohren, als hätte er gerade den Hauptpreis gewonnen.
Okay, ich bin nicht eitel und auch bestimmt nicht eingebildet, aber ich hatte in meiner Familie viele Neider gehabt und auch außerhalb hatte jede männliche Bestia um meine Hand halten wollen. Vielleicht erkennt er mich deshalb als ein Juwel in seiner Sammlung.
In der Limousine legte er seine Hand auf meinen Schoß – mehr jedoch nicht. Seine gänzlich diskrete Annäherung machte mich stutzig. Könnte ich Glück haben und er war einer der harmlosen Sorte? Aber ich durfte mich nicht täuschen lassen. Bluefire war eine alte Bestia und schon allein diese Tatsache, dass er mich gebucht hatte, würde mich keinen Moment umstimmen können, dass dieser Tag der schlimmste in den letzten paar Monaten werden würde.
»Du bist wirklich wunderschön, Selene«, sagte er und ich schaute ihn einfach nur schweigend an. Nein, es war nicht wunderlich, dass er meinen Namen kannte. Meine Liebe zu Ciaran war überall verbreitet worden und jeder kannte die entsetzliche Geschichte. Einige glaubten sogar, dass ich nun von den Göttern verflucht worden bin. Allerdings schien Bluefire dieser Meinung nicht zu sein.
»Du darfst heute sprechen, meine Liebe. Es ist dir erlaubt. Ich möchte, dass du dich amüsierst mit mir. Es war nicht leicht dich zu buchen. Die Custois‘ schauen auf den Reichtum einer Bestia, bevor sie ein kostbares Stück wie dich hergeben.«
Im Ernst? So wertvoll war ich als Hure in ihren Augen? Sollte ich mich freuen? Bestimmt nicht! »Ich werde tun, was Ihr immer verlangt, Herr.«
Er schien etwas entsetzt zu sein von meiner kalten Stimme, die ich mir in den Monaten angeeignet hatte. Er griff meine beiden Hände und drehte sich zu mir. »Bitte, nenn mich einfach nur Blue.« Er lächelte freundlich und ich nickte einverstanden, bevor ich wieder hinausschaute. »Ich habe dich ehrlich gesagt für jemanden anderen herbestellt. Mein Adoptivsohn hegt ein großes Interesse an dir.«
Schlecht! Ganz schlecht! Wenn es etwas gab, das schlimmer als alte Männer war, dann waren es die jungen Bestia, in deren Knochen noch Kraft und der Hunger nach Sex sie lockte.
Ich schaute ihn zwar an, versuchte jedoch mein Entsetzen zu verbergen. Es machte mir Angst – sehr viel Angst. Meine Beine begannen hemmungslos zu zittern und ich versuchte meinen Atem unter Kontrolle zu kriegen. Aus einem mir unerklärlichen Grund erinnerte ich mich an die furchtbaren Augenblicke mit Stefan, als er mich zum Sex gezwungen hatte.
Bluefire schwieg die ganze Zeit über und irgendwann hielt der Wagen nach einer halben Stunde an. Als wir ausstiegen schien die Sonne warm auf mich herab und eine Villa leuchtete luxuriös vor mir. Bluefire wies auf das unglaublich tolle Gebäude. Die Tore öffneten sich. »Geh ruhig. Dir wird die Tür geöffnet und mein Sohn erwartet dich.«
Bluefire ließ mich ganz allein auf dem Bordstein stehen und stieg zurück in die Limo. Anschließend breschte das Fahrzeug davon und eigentlich hätte ich jetzt sofort fliehen können. Als ich gerade den Gedanken erwog, tauchten plötzlich drei muskelbepackte Bestia auf, die sich um mich scharten. Das war’s wohl mit meinem Plan!
Nur schrittweise ließ ich mich von den Herren zur Tür begleiten, als diese sich öffnete und ich über die Schwelle gestoßen wurde. Eine Menschendame in einem Maidoutfit begrüßte mich freundlich. »Willkommen, werte Selene.«
Ich nickte ihr einfach nur freundlich zu und sie steuerte mich zum nächsten Zimmer. Mein Magen machte die ganze Zeit Purzelbäume und mir wurde augenblicklich schlecht. Oh Gott! Wer war wohl dieser seltsame Sohn und was hatte er wirklich mit mir vor? Ob er mich den ganzen Tag begehren würde, wie eine bestellte Hure auf Kommando?
Mein Atem ging unregelmäßig und die Maid bat mich in ein wunderschönes, verschnörkeltes Wohnzimmer in den Tönen beige und dunkelbraun. Als ich drinnen stand, schloss sie hinter mir die Tür, als sei es ihr befohlen worden.
Neben dem Kamin und dem großen Portrait von Bluefire führte ein kleiner Gang um die Ecke. Ich konnte nicht ausmachen, was sich noch dahinter verbergen könnte. Vielleicht eine weitere Tür? Ein weiteres Zimmer?
Als ich gerade darauf zusteuern wollte, stockte es mir den Atem, als ich diese schwarzen, wilden Haare entdeckte und die großen eisblauen Augen, die mich mit jedem Blinzeln meine Knie weich werden ließ. Er blieb vor mir stehen und ein erstickendes »Ciaran« entfuhr mir.
Tränen rannen über meine Wange und nur mit sehr viel Mühe musste ich versuchen meine Beine aufrechtzuerhalten.
Als ich gerade auf ihn zugehen wollte, hielt er stoppend seine Hand. Mir hätte sofort auffallen müssen, dass sein kalter Blick und die angespannte Haltung etwas zu verbergen hatte.
»Schön dich wiederzusehen, Luna.« Es war Ciaran! Niemand anderes würde mich so nennen. »Bevor du glaubst, deine Liebe wiedergefunden zu haben, muss ich dich enttäuschen, Herzchen!«
Oh nein! Nein, bitte war es nicht das, was ich zu denken glaubte. Meine Lippen bebten und ich war unfähig zu sprechen.
»Ich erzähle dir mal eine kleine Geschichte, Luna.« Er lehnte sich an das Sofa und war nur drei Meter von mir entfernt. Es war jedenfalls sein Körper, sein Aussehen und diese Schönheit würde ich niemals vergessen können. »Dein Mensch ist kein Mensch mehr.«
Ich schnappte erschrocken nach Luft, behielt ihn jedoch noch immer wachsam im Auge.
»Er ist jetzt eine Bestia. Dein Vater stellte fest, dass sein Körper noch für etwas gut sein würde und so hatten sie ihn bereinigt und wiederhergestellt.« Das war nicht mein Ciaran. In seiner Stimme lag Arroganz und etwas Gefährliches. »Allerdings brauchte die Hülle noch etwas Fülle und so beschworen sie von den Göttern eine längst von uns gegangene Seele herauf, um ihn in diesen Körper zu transportieren. Bluefire hat mir anschließend adoptiert und mir ein Zuhause gegeben.« Er räusperte sich und ich fühlte mich genauso elend wie in der Nacht als Ciaran getötet wurde. »Allerdings besitze ich noch alle Erinnerungen von ihm und …« Er schaute mich von oben bis unten an, bevor er sich mit der Zunge über die Lippen leckte. »… mein Gott bist du eine wunderschöne Frau.«
»Du …« Du darfst ohne Erlaubnis nicht sprechen, Selene! Ich verstummte gleich wieder und hörte meinem Herzen zu, wie es laut gegen meine Brust schlug.
»Als ich seine Erinnerungen besaß, machte ich mich nach dir kundig und hörte, dass du nun seit vielen Monaten als Hure in der Gefangenschaft der Custois‘ arbeitest.«
Tränen liefen still meine Wangen hinunter, als sie keinen Platz mehr in meinen Augen hatten.
»Da habe ich meinen Vater gebeten, dass er dich mir für einen Tag ausleiht und kräftig in unserer Branche geschuftet, um dich eines Tages kaufen zu können.« Er seufzte. »Nur leider gibt es da einen harten Konkurrenten, der sich mir in den Weg stellt.« Er lachte spottend. »Unglaublich, dass du wirklich so viel Geld wert bist – und das für eine Hure.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen und wischte mir die Tränen weg. Ciaran war tot und alle Hoffnungen waren in einem Augenblick auf den nächsten verschwunden. Plötzlich empfand ich Wut, weil die Custois‘ mich anscheinend noch nicht genug leiden gesehen hatten.
Ich schritt bis zur Tür, die mir jedoch irgendwann den Weg zur Flucht verweigerte. Der falsche Ciaran trat auf mich zu und stand nun ganz nah vor mir. »Übrigens ist es dir erlaubt zu sprechen – allerdings nur wenige Worte.«
Ich schloss meine Lider und versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie wollten mich wirklich brechen, obwohl ich gedacht hatte, dass sie das schon längst getan hatten. Anscheinend wollte sich mich noch in Einzelstücke zerreißen, bis ich sie anbetteln würde, dass sie mir meine Seele nehmen mögen, damit dieses Leiden aufhörte.
»Und Selene, du gehörst heute mir. Nur mir. Und egal was ich dir sage, du hast du gehorchen und wenn du das nicht tust, werfe ich den Custois‘ zum Fraß vor!« Seine Stimme war unglaublich boshaft und diese neue Seele in Ciaran war anscheinend mit Absicht beschworen worden.
»Und wie soll ich Sie nennen, Herr?«
Ich öffnete die Augen und schaute in das Eisblau, dass mir plötzlich sehr kalt vorkam. Ciaran strich mit seinem Handrücken über meine Wangen, um die Tränen wegzuwischen. »Geht doch, meine Süße.« Er legte ein geschmitztes Lächeln auf. »Du wirst mich mit ›Meister‹ oder ›Gebieter‹ ansprechen.«
»Ja, Gebieter«, sagte ich fügend und musste es tun! Ich musste es! Ciaran würde seine Drohung wahrmachen, wenn ich ihm nicht gehorchte und das könnte ein sehr böses Ende für mich nehmen. Außerdem brauchte ich die Kunden, um weiter existieren zu können. Sollte sich herumsprechen, dass ich mich nicht fügte, würde ich erhebliche Probleme bekommen.
Eigentlich gäbe es gar keinen Grund mehr zum Leben, aber Ciarans damaliges Versprechen war das Einzige, was mich von einem Selbstmord abhielt.
»Was wünscht Ihr, Meister?«
Ciaran schien es zu Gefallen, dass ich mich seinem Willen beugte. Ich war es mittlerweile gewöhnt gedemütigt und entehrt zu werden. »Hier rechts im Gang gelangst du zu einer Tür, die du betreten wirst und auf dem Bett liegt ein ausgewähltes Dessous. Zieh es an und komm dann wieder ins Wohnzimmer.«
Mit einem Nicken gehorchte ich und schritt den befohlenen Weg entlang, bis ich auf dem Bett die Kleidung entdeckte. Der Raum ähnelte einem noblen Bordellezimmer und ein großer, breiter Spiegel hing über dem Bettkopf.
Ich entledigte mich meiner Kleidung zog das Dessous an, das ich mittlerweile für meine Alltagskleidung hielt. Er bevorzugte die Farben Schwarz und Rot. Ich trug außerdem Strapse und zwängte mich in schwarze Lackhighheels.
Im Spiegel schaute ich noch schnell, ob mein Aussehen stimmte und versuchte die Röte aus meinem Gesicht zu bekommen. Ich wollte keinen Ärger mit dem neuen Ciaran und versuchte deshalb so perfekt wie möglich auszusehen.
Dass zwei Käufer um mich werben, ließ mich an den Kerl von gestern denken. Könnte er etwas mit der Sache zu tun haben? Er meinte, dass ich ihn wiedersehen würde und dass es eine Möglichkeit gäbe diesem Wahnsinn zu entkommen. Vielleicht lag da doch etwas Hoffnung.
Plötzlich wurde die Tür aufgeschlagen und Ciaran stand in der Tür. Sein weißes Hemd hatte er aufgeknöpft und lehnte seinen Arm gegen den Rahmen. Als er mich in dem Dessous sah, flog die Tür laut knallend zu und er stürzte sich besitzergreifend auf mich.
Als er mich küsste und seine nun spitzen Zähne ein klein wenig in meinen Hals rammte, schrie ich zwar erschrocken auf, doch ich versuchte mir vorzustellen, dass es der wahre Ciaran war. Obwohl ich jedes Mal diese Kälte in seinem Hellblau sah und durch seine festen Griff an meinem Körper merkte, dass ich mich selbst belog, stoppte ich diese Gedanken nicht.
Ciaran ergötzte sich an meinem Körper und es viel mir wirklich leicht mich auf ihn einzulassen. Ab und an biss er so fest zu, dass mir das Blut am Hals hinunterrann, es jedoch wieder aussaugte, als würde er es genießen.
Nachdem er meinen ganzen Körper entkleidet hatte und ich ihn ebenfalls entledigen musste, stürzte er sich verlangend auf mich. Er fuhr überall mit seinen Lippen entlang und führte seinen Finger zwischen meine zwei Beine. Ich stöhnte auf, jedenfalls versuchte ich voller Leidenschaft zu klingen und als nächstes biss er erneut in meinen Hals.
Der Schmerz lenkte mich von dem gewaltsamen Stoßen ab, als er meine Schenkel auseinanderpresste und sein Glied gewaltsam in mich einführte. Er saugte an meinem Brustwarzen und entfachte für einen Moment ein Kribbeln. Allerdings verebbte dieses wieder, als er so heftig in mich drang, dass ich vor Schmerzen schrie und es ihm gefallen tat.
Er tat es erneut und ich krallte mich verkrampft an die Matratze. Ciaran lachte lustvoll und verlangte, dass ich mich auf meine Arme und Knie stellte, damit er mich von hinten packen konnte. Ich beugte meinen Rücken sanft nach unten und er schob sein Glied in meine Scheide.
Ich konnte Blut riechen, mein Blut, das sowohl zwischen meinen Schenkeln, als auch an meinem Hals entlangfloss. Ciaran scheute sich nicht die Stöße weniger werden zu lassen. Nein, er legte noch einen Zahn zu und ich konnte nichts anderes tun, als diese Qual über mich ergehen zu lassen.
Der Schmerz war unerträglich und es war fast eine halbe Stunde vergangen, als er endlich ejakulierte und ich wie ein abgeschlachtetes Tier neben ihm lag und gen Decke starrte.
Alles tat weh. Meine Schenkel, mein Unterleib, mein Hals und alles was er je berührt hatte oder unmenschlich behandelte. Ich versuchte nicht zu weinen, denn den Gedanken ertrug ich einfach nicht, dass diese Grausamkeit von Ciaran ausgegangen war.
Bildmaterialien: http://eman333.deviantart.com/
Tag der Veröffentlichung: 23.06.2014
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