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Vorwort

 

Dass durch Vollbeschäftigung die meisten Probleme gelöst würden, darüber sind sich im Prinzip alle einig: Die Politiker, die Unternehmer, die Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaften, die Wirtschafts- und Sozialforscher, die Kirchen, die Verbände, die Medien und der sogenannte „Kleine Mann auf der Straße“.

 Wenn man aber bedenkt, dass arabeit althochdeutsch „Mühe“, „Plage“ und mittelhochdeutsch arebeit „Mühsal“, „Not“ bedeutete, kann man fast verstehen, dass sich niemand um Arbeit echt be-müht.

 Man hat heute den Eindruck, dass die meisten Erwerbstätigen einen Job haben wollen in dem man bei minimaler Leistung maximale Einkommen erzielen kann. Viele Mühen will man dabei nicht auf sich nehmen. Ganz nach dem Motto: Ich mache alles sehr gern, es darf nur nicht in Arbeit ausarten.

 Dabei bleibt bewusstes, zielgerichtetes Handeln des Menschen zum Zweck der Existenz-Sicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen ohne Bedeutung. Kaum jemand sieht Arbeit als ein wesentliches Moment seiner Daseinserfüllung an. Man arbeitet um zu leben; man lebt nicht um zu arbeiten.

 Auf der Arbeitgeberseite wurde die unbestritten langanhaltende Rezession „genutzt“ um die Arbeitnehmer unter Druck zu setzen. Es wurden wesentlich mehr Arbeitsplätze abgebaut als unbedingt notwendig, und sogar manchmal gegen alle volkswirtschaftliche Vernunft.

 Jeder weiß, dass z.b. Mitarbeiter von Automobil-Herstellern früher potentielle Kunden „ihrer“ Automarken und damit ihrer Arbeitgeber waren.

 Für die Beschäftigten werden die Aufgaben fast unerfüllbar. Die Arbeitsqualität leidet darunter und die Fehlerquote steigt.

 Man wird erinnert an die Geschichte vom Müller und seinem Esel: Der Müller hatte einen gesunden und kräftigen Esel der ihm treu diente. Er trug ihm willig seine zwei Doppelzentner Mehl zu den Bäckern und bekam täglich seinen Hafer zu fressen. Da dachte der Müller, wenn ich ihm jetzt drei Doppelzentner auflade und Heu zu fressen gebe, dann verdiene ich 50% mehr. Und weil das anfangs gut funktionierte ludt er ihm danach vier Doppelzentner auf und gab dem Esel nichts mehr zu fressen. Kurz darauf brach der Esel auf seinem letzten Gang unter seiner Last zusammen und war tot. Ja, meint darauf der Müller, dieses undankbare Tier, endlich hatte ich es so weit, dass es vier Doppelzentner tragen konnte ohne zu fressen und jetzt stirbt es völlig unerwartet.

 Heute werden von der Industrie, Banken und Dienstleistungsunternehmen Service, Beratung, Erprobung etc. weitgehend auf die Kunden verlagert, und das nicht nur aus Mangel an Personal.

 Unter dem entstandenen und gewollten Druck baut man immer mehr tarifliche und außertarifliche Rechte der Arbeitnehmer ab. (z.B. Zeitarbeits-Verträge, Kündigungsschutz, Gratifikationen.)

 Auch wenn man berücksichtigt, dass viele gewerkschaftliche „Errungenschaften“ überzogen oder nicht mehr zeitgemäß sind, ohne Gewerkschaften gäbe es kaum Rechte für Arbeitnehmer. Leider sind aber, neben dem Mittelstand, heute die Gewerkschaften mit die bedeutensten Arbeitgeber. Wieso ist so etwas erlaubt? Wo liegen da die Interesse                       Arbeit macht ja Spaß, aber nicht jeder kann Spaß vertragen!

 Es ist natürlich ideal, wenn man eine Arbeit macht, die man auch als Hobby betreibt oder betreiben würde. z.B. mit Malen, Bildhauen, Musik, Schauspiel, Filmen, und wenn der Beruf die Berufung ist.

 Das kann man allerdings nicht oder kaum erwarten, wenn man als Saisonarbeiter z.b. bei Ernten in Ernte-maschinen, als Hafenarbeiter, Fabrikarbeiter, in Kohlengruben, an Hochöfen, auf Baustellen etc. sein Brot erwerben muss. Hier wird zwar das Geld im wahrsten Sinne des Wortes verdient, aber man bekommt es selber nicht. Die Verdienste und Gewinne fließen in andere Taschen. Genau so, wie auch das Pferd, das den Hafer verdient, ihn selbst nicht bekommt.

Fünf Kriterien bestimmen das persönliche Leben:

Das Umfeld, in das man hineingeboren wurde.

Die Schulausbildung.

Die Auswahl des Partners.

Die Wahl des Wohnortes.

Die Berufswahl.

In der heutigen Zeit kann man, außer der eigenen Geburt alles verändern.                                              Aber, nicht derjenige ist der Beste, der am geschicktesten die Karre aus dem Dreck zieht, sondern jemand der verhindert, dass die Karre erst überhaupt im Dreck landet!

 

 

Recht auf Arbeit?

 

Das Recht auf Arbeit ist nur ein politisches Schlagwort. Es stammt von dem französischen Sozialphilosophen Charles Fourier (1808). Das Grundgesetz gewährt kein Recht auf Arbeit, da dies ein weitgehendes Recht des Staates auf planerische Wirtschaftslenkung und Arbeitsplatzverfügung voraussetzen würde.

 Was ist das für ein Staat, der kein Recht auf Arbeit gewährt, aber seine Bürger zur Arbeit und zu Dienstleistungen verpflichten kann? Der Staat verlangt von den Arbeitslosen Eigenaktivität und Flexibilität bei der Arbeitssuche. Die Zumutbarkeitsregelungen werden verschärft. Leistungen werden gekürzt und das Arbeitslosengeld wird ent- dynamisiert. Heute nennt man es Hartz IV!

 Angeblich soll durch den erhöhten Druck auf Arbeitslose die Arbeitslosigkeit insgesamt reduziert werden. Durch eine Senkung der Lohnkosten, eine Deregulierung, Ausweitung von Leiharbeit, Minijobs und damals den so genannten „Ich-AG´s„ (Scheinselbständigkeit?) sollten mehr Arbeitsplätze entstehen. Aber Arbeitsplätze entstehen weitgehend nur in den Betrieben etc., wenn die Auslastung und der Bedarf es erfordern.

 Die lang andauernde passive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, eine prozyklische Fiskalpolitik haben die Entstehung von Arbeitsplätzen nicht gefördert. Der Strukturwandel, der Produktivitätsfortschritt und die Globalisierung von Geld- und Warenströmen wurde nicht ausreichend beachtet und berücksichtigt. Die unzureichende inländische Nachfrage, d.h. der schwächelnde private und öffentliche Konsum sowie die mangelnde autonome Investition sind das Haupthindernis für mehr Wachstum und somit mehr Beschäftigung.

 Vorruhestandsmaßnahmen hatten zu einer großen Anzahl von „Arbeitslosen“ geführt, die faktisch gar nicht mehr auf Erwerbsarbeit orientiert bzw. orientierbar waren. In dem einen Kontext wurde das als solidarischer Rückzug vom Erwerbsleben zugunsten der Jüngeren bezeichnet, in anderen Kontexten war von „faulen“, „geringqualifizierten“ oder „niedrigproduktiven“ Arbeitslosen die Rede.

 Die klare Trennung von Vorruhestand und echter Langzeitarbeitslosigkeit ist unbedingt erforderlich um die Größenordnung und Struktur der Arbeitslosigkeit realistisch einzu-schätzen. Aber das schafft auch keine Arbeitsplätze! Für die so genannten „Vorruheständler“ wurden nur wenige junge Mitarbeiter eingestellt, und für die „gering-qualifizierten“ Arbeitslosen stehen nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung.

 An diesen Beispielen kann man m.E. erkennen, dass die Arbeitslosen nur eine geringe Schuld daran haben, dass für sie keine Arbeitsplätze vorhanden und sie dadurch arbeitslos sind. Doch alle Punkte sind sehr wichtig und man sollte sie mit weiteren später noch ausführlicher betrachten.

 Der Staat selbst kann nur in verhältnismäßig geringem Umfang Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Die Politik kann praktisch keine Arbeit geben (sie ist kein Arbeitgeber), muss aber unbedingt die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen schaffen.

 Weil es ein Recht auf Arbeit nicht gibt kann man es auch nicht finden = wahrnehmen, und auch nicht erhalten = wahrnehmen! - Gibt es eine moralische Verpflichtung zur Arbeit?

 

Arbeitspflicht

 

Wenn es kein Recht auf Arbeit gibt, gibt es dann auch keine Pflicht zur Arbeit? Die im Strafvollzugsgesetz vorgesehene Arbeitspflicht hat keinen Sanktionscharakter. Sie soll der Vorbereitung des Gefangenen auf eine Erwerbs-tätigkeit in der Freiheit dienen. Diese Arbeitspflicht ist mit Disziplinarmaßnahmen durchsetzbar und wird im gewissen Umfang entlohnt.

 Im Verteidigungsfall kann gemäß der Notstandsverfassung die Berufsfreiheit eingeschränkt werden.In Deutschland bestand die allgemeine Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, die im Frieden vom vollendeten 18. bis zum 45. Lebensjahr reicht, im Verteidigungsfall sowie bei Offizieren und Unteroffizieren bis zum 60. Lebensjahr. Sie wurde durch den Wehrdienst, den Dienst im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband erfüllt und umfasste verschiedene Nebenpflichten (u.a. Meldepflicht). Heute gibt es ausschließlich den freiwilligen Beitritt zur Bundeswehr für Männer und Frauen.

 Die Dienstverpflichtung ist die Verpflichtung bestimmter Personenkreise zur Leistung von Diensten im Verteidigungs- und Spannungsfall. Im Verteidigungsfall können Wehrpflichtige, die weder Wehr- noch Ersatzdienst geleistet haben, für die Zwecke der Verteidigung und des Bevölkerungsschutzes in Arbeitsverhältnisse eingewiesen und Frauen bis zum 55. Lebensjahr zu waffenlosen Dienstleistungen herangezogen werden. Aber das muss wohl noch neu geregelt werden?

 Zwangsarbeit ist im Allgemeinen jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat; im engeren Sinn ein selbständiger Typ der schweren Freiheitsstrafe. In Deutschland setzt Artikel 12 Absatz 2 und 3 GG der Zwangsarbeit grundrechtliche Grenzen; Danach sind Arbeitszwang, bei dem es um die zwangsweise Heranziehung zu einer bestimmten Arbeit oder zu einzelnen Dienstverpflichtungen geht, und Zwangsarbeit, bei der es um den Zwang zur Arbeit überhaupt geht, ohne dass dieser inhaltlich oder zeitlich begrenzt ist, zu unterscheiden. Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig und muss sich dabei im Rahmen der Menschenwürde und der Verhältnismäßigkeit halten.

 Arbeitslose sind verpflichtet sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen, um eine zumutbare Beschäftigung auszuüben. Weigert sich der Arbeitslose eine zumutbare Arbeit anzunehmen, an einer notwendigen Maßnahme zur beruflichen Fortbildung oder Umschulung teilzunehmen, kann das Hartz-IV-geld versagt werden. Das gilt auch, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschöpft ist. Im Zusammenhang mit dem „Umbau des Sozialstaates“ kommt es zu Einschnitten bei der Sozialhilfe. Die Möglichkeit Hartz-IV-Empfänger zu Gemeinschafts-arbeiten oder zur Arbeitsaufnahme zu verpflichten wurde ausgedehnt.

 Bei so vielen Pflichten für Arbeitslose und solchen Rechten und Möglichkeiten für Staat, Länder und Kommunen erübrigt sich die Frage nach der moralischen Verpflichtung zur Arbeit. - Die Haupt-Arbeitspflicht besteht in der Notwendigkeit den Lebensunterhalt für sich und seine Angehörigen zu verdienen. - Wer allerdings von Hause aus finanziell unabhängig ist, Geld und Vermögen geerbt oder gewonnen hat, kann „ohne Zwang“ auf Arbeit verzichten. Aber auch die Verwaltung von Geld und Vermögen verursacht Arbeit.

 Die Mitarbeit im sozialen Bereich, in Ehrenämtern etc. ist für „Wohlhabende“, für Rentner u.a. eine humanitäre und fürsorgliche Betätigung, ohne die in manchen Bereichen nichts ginge. Das ist m.e. die moralische Verpflichtung zur Arbeit. Alle arbeitsfähigen Arbeitslose, Vorruheständler, Sozialhilfeempfänger etc. müssten zu Arbeiten im sozialen Bereich, bei Städten und Gemeinden, in der Altenpflege und im Gesundheitswesen verpflichtet werden. Und das nicht nur, damit sie ihr Geld verdienen, sondern auch zu ihrer eigenen Selbstbestätigung.

 Dadurch wäre natürlich auch ein Anspruch auf Beschäftigung und somit ein Recht auf Arbeit gegeben.

 

Was hat sich verändert? Die 1950er Jahre im Vergleich zum Millennium

 

Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen militärischen Kapitulation des Deutschen Reiches. Die alleinige Regierungsgewalt in Deutschland übernahmen am 5. Juni 1945 die Oberbefehlshaber der vier Siegermächte. Sie wurde für die jeweilige Besatzungszone allein und gemeinsam für Deutschland als Ganzes ausgeübt.

 Am 23. Mai 1949 verkündete Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rats das Grundgesetz. Es war zuvor durch zehn von elf Landtagen gebilligt worden. Obwohl Bayern das Grundgesetz ablehnte, erkannte es aber seine Wirkung an. - Das Grundgesetz tritt am 24. Mai 1949 in Kraft.

 Am 22. März 1950 appelliert die Bundesregierung an alle Deutschen sowie an die vier Besatzungsmächte und an die Weltöffentlichkeit, die deutsche Einheit durch freie gesamtdeutsche Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung wiederherzustellen. - Aber die Sowjetunion ging auf die Vorschläge zur Wiedervereinigung nicht ein. Erst nach friedlichen Demonstrationen Hunderttausender gegen die SED-Herrschaft im Herbst 1989 beschließt die Volkskammer am 23. August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990.

 Die schweren Schläge und Zerstörungen, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg versetzt wurden, haben eine nur schlecht zu behebende Lücke in die wirtschaftliche Entwicklung gerissen. Aber der Wiederaufbau zeigt, dass neben dem ungebrochenen Lebenswillen der Bevölkerung, neben dem Arbeitseifer und der Initiative von Arbeitern und Unternehmen ein wirtschaftliches und finanzielles Potential stand, das nicht leicht zu brechen war. Es ist in seinem Zusammenstehen und in seiner Zusammenarbeit in diesen Jahren aus dem damaligen Chaos stark und umfassend hervorgegangen.

 Am 8.2.1950 lag die Arbeitslosenzahl bei 2 Millionen, die Einwohnerzahl betrug 44637347 in der Bundesrepublik. Die Bundesregierung beschließt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, das vorwiegend dem Wohnungsbau zugute kommt. Das Gesetz über den sozialen Wohnungsbau wird am 28. März 1950 verabschiedet.

 Der Bundeshaushaltsplan 1950/1951 schloss mit 12 212 564 200 DM im ordentlichen Haushalt ab. Eine Haushaltslücke von 200 000 000 DM wurde durch Einsparungen gedeckt.

 Die Einkommensteuertabelle Steuerklasse I begann mit über 1200 – 2400 DM = 45 DM zu entrichtender Steuer und endet über 250 000 DM = 186 215 DM zu entrichtender Steuer.

 Durch die Hilfe des Marshallplanes, den wirtschaftlichen Zusammenschluss der westlichen Besatzungszonen und durch die Währungsreform im Juni 1948 wurden die entscheidenden Schritte auf dem Weg zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg Westdeutschlands eingeleitet.

 Mit Wirkung vom 21. Juni 1948 galt die Deutsche-Mark-Währung in den drei Westzonen Deutschlands. Am selben Tag wurden 40 DM des auf insgesamt 60 DM festgelegten Kopfgeldes gegen 60 Reichsmark ausgezahlt. Die restlichen 20 DM erhielt man zwei Monate danach. Ab sofort konnten wieder mit dem neuen Geld in gut gefüllten Geschäften lange vermisste Waren gekauft werden, die vorher gehortet worden waren.

 In der Radikalität des Geldschnittes lag die große Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Erst am 27. Juni 1948 wurde das Umstellungsgesetz bekannt gegeben. - Ein Guthaben von 1000 Reichmark schmolz auf 65 DM zusammen.

 Mit der Währungsreform wurde der Weg frei, die erforderlichen Wirtschaftsreformen einzuleiten. Die Preise und die meisten Bewirtschaftungsvorschriften wurden aufgegeben. Eine stark regulierte und vom Schwarzmarkt dominierte Wirtschaft verwandelte sich in eine freie Markt-Wirtschaft. - Damit sind die Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschland nach dem Krieg gelegt worden. - Die politisch unabhängige Bundesbank betrieb eine konsequente Stabilitätspolitik.

 Durch eine restriktive Fiskalpolitik der Bundesregierung in den 1950er und 1960er Jahren, den Unternehmen, die hohe Produktivitätsfortschritte erzielten, und den Tarifparteien, die moderate Lohnabschlüsse erreichten, wurde die Stabilitätspolitik unterstützt. Es wurde ein langfristiges Vertrauen in die Wertstabilität der Deutschen Mark erzielt und damit ihr Aufstieg zu einer internationalen Währung.

 Der enorme Nachholbedarf, die Aufbruchstimmung und die persönliche Motivation sorgten für einen nie gekannten Wirtschaftsaufschwung. Wenn man bei niedrigstem Lebensstandard, praktisch bei 0 anfängt, ist der kleinste Fortschritt eine Steigerung und Verbesserung. Jeder konnte am Wachstum teilhaben. Die Situation und die Voraus-setzungen haben sich bis heute total verändert.

 Der gravierendste Einschnitt in die wirtschaftliche Entwicklung wurde durch die am 3.10.1990 vollzogene Wieder-vereinigung verursacht. Zwei Staaten, die über 40 Jahre, bei unterschiedlichen Systemen wirtschaftlich und politisch getrennt waren wurden zusammengeführt. - Am 1.7.1990 wurde die DDR aus dem planwirtschaftlichen System herausgeführt und in das System der sozialen Marktwirtschaft eingebunden durch die Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

 In Ostdeutschland entstanden schwerwiegende Probleme, vor allem eine stark ansteigende Arbeitslosigkeit infolge der Umstellung oder Liquidation von Betrieben in Landwirtschaft und Industrie. Fast jeder Bürger in Ostdeutschland muss sein Leben neu organisieren.

 In Westdeutschland wird klar, dass die Wiedervereinigung eine gigantische ökonomische Aufgabe ist, und dass es kein einfaches „weiter so“ geben kann. Es macht sich ein Gefühl der Verunsicherung oder gar der Bedrohung breit.

 Die Länder der ehemaligen DDR können ihre Ausgaben nur zu einem Viertel aus eigenen Einnahmen decken. Bald wurde klar, dass der Umfang der Transferleistungen von West nach Ost wesentlich größer sein mussten als ursprünglich angenommen. Die Mittel dafür konnten nicht, wie von der Bundesregierung vorher angekündigt, ohne zusätzliche Belastung der Bundesbürger im Westen aufgebracht werden. - Das hatte sich auch nach über zwanzig Jahren nicht wesentlich verändert. Heute gelingt über den Länderausgleich eine weitgehende Annäherung der Bilanzen.

 Am 1.1.1999 wurde der EURO zunächst in 11 Ländern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion als Buchgeld im bargeldlosen Zahlungsverkehr eingeführt. Ab 1.1.2002 ist der EURO als gesetzliches Zahlungsmittel und alleinige Währung vorhanden. Er ersetzt in Deutschland die Deutsche Mark, hatte aber noch nicht direkt deren Platz im Bewusstsein der Menschen eingenommen.

 Durch einige überhöhte Preisumstellungen wurde er sogar manchmal als TEURO bezeichnet. Das trifft aber allgemein nicht zu. Doch die Verunsicherung und das Gewöhnungsbedürfnis führten zum einem übervorsichtigen Umgang mit dem EURO. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind gravierend. Handel, Gastronomie, Hotels sowie Wirtschaftsunternehmen aller Art mussten Umsatzrückgänge verkraften.

 Ein Witz dazu sagte: Die Preise haben sich ja nicht verändert, nur die Währung! Und wenn die Leute sagen, alles ist teurer geworden, dann stimmt das nicht. Die Aktien waren noch nie so billig wie jetzt!

 Die meisten Menschen in Deutschland haben einen gewissen Wohlstand erreicht, dabei aber z.T. auch weit über ihre Verhältnisse gelebt. Das hemmungslose Schuldenmachen von Einzelpersonen, Familien, Städten und Gemeinden, Bundesländern und dem Bund hat in die totale Überschuldung geführt. - Allein die Zinsleistungen überstiegen die Höhe früherer Haushaltsetats. Mit einer Schulden-Tilgung ist kaum mehr zu rechnen.

 

Geld

 

an sich hat absolut keinen Wert. Der Wert des Geldes ergibt sich erst bei der Anwendung. Wenn man mit viel Geld oder dem heutigen so genannten Plastik-Geld, der Kreditkarte z.B. auf dem Meer, auf einer unbewohnten Insel, in Wüsten, Urwäldern oder sonstigen unzivilisierten Gegenden unterwegs ist, stellt man bald fest, dass man Geld weder essen noch trinken kann. Und da, wo das Bargeld oder die Kreditkarte nicht akzeptiert wird, steht man, bei allem Reichtum, arm da.

 Natürlich braucht man Geld zum Leben. Es garantiert Auskommen, Freiheit und Unabhängigkeit. Geld ermöglicht Bewegungsfreiheit, Reisen und Konsum. Und auch in Deutschland dreht sich fast alles ums Geld.

 In der D-Mark hatten die Deutschen eine solide Währung. Seit Einführung des Euro geht die Angst um, dass das neue Geld seinen Wert nicht behalten wird. - Um 1900 machten sich die Deutschen noch keine Sorgen um den Wert ihres Geldes. Die damals gültige Mark war sicher, denn sie ist durch Goldvorräte gedeckt. Wer es so wollte, konnte also zur Bank gehen und dort sein Münz- oder Papiergeld jederzeit gegen eine garantierte Goldmenge eintauschen. Doch das Gefühl der Sicherheit endet mit einer Katastrophe. Am 30.6.1914 stellt die Reichsbank die Einlösung ihrer Banknoten in Gold ein. Damit war die Goldwährung praktisch abgeschafft.

 Ein Krieg kostet Unmengen von Geld. Steuern allein reichen dafür nicht aus. Das Reich muss sich verschulden, im Ausland und beim eigenen Volk. Aber der Krieg dauert und wird immer teurer. 1918 ist der Krieg für Deutschland verloren. Nun muss Deutschland enorme Reparationen und seine Auslandsschulden tilgen. Der Staat lässt jetzt erst recht die Notenpressen immer schneller rotieren. Die katastrophale Folge ist Inflation. Das mühsam ersparte Geld ist plötzlich nichts mehr wert. Auf dem Höhepunkt der Inflation nicht einmal mehr das Papier, auf dem es gedruckt ist.

 Helfen kann nur noch eine Währungsreform. Ab November 1923 ersetzt die Rentenmark die Papiermark der Reichsbank. Ein Jahr danach wird die Reichsmark eingeführt. Das Vertrauen der Menschen in das neue Geld ist auf Anhieb so groß, dass die Reform erfolgreich ist. Schnell geht es wieder bergauf.

 Ende der 20er Jahre sind die USA die führende Industrienation. Fast alle Amerikaner wollen an dem neuen Wohlstand teilhaben. Um an der boomenden Börse spekulieren zu können, wagen selbst kleine Leute ein hohes Risiko und finanzieren ihre Aktienkäufe per Kredit. - Der Traum vom großen Geld endet aber in einem Crash. Im Oktober 1929 löst der Börsensturz an dem berühmten „Schwarzen Freitag“ die Welt-Wirtschaftskrise aus.

 Durch massive Fehlspekulationen werden mehrere Banken in Deutschland im Juli 1931 zahlungsunfähig. Ein Run auf die Banken setzt ein. - Der drohende Zusammenbruch des Finanzsystems kann nur durch die kurzfristige Schließung aller Banken abgewendet werden. Das bis dahin ungetrübte Vertrauen in die Sicherheit der Banken ist plötzlich dahin. - Kurz darauf ist die Krise überwunden. Die Banken und Sparkassen versuchen umgehend, verlorenes Vertrauen durch Werbung wieder herzustellen.

 Vor und im zweiten Weltkrieg wird Sparen zur Pflicht. Doch das Ende des Kriegs bedeutet auch das Ende des Vertrauens in die Reichsmark. Jetzt wird wieder getauscht, auf dem Schwarzmarkt. Von dem, was man verdient kann man nicht leben, also ist man gezwungen, Gegenstände und Werte zu veräußern.

 Um ihre Besatzungszonen nicht im Chaos versinken zu lassen, beschließen die Westlichen Alliierten, unter der Planungshoheit der USA, die Währungsreform. Die Erwartungen der Deutschen sind groß, und am 21.Juni 1948 ist es so weit. Die Erfolgsgeschichte der D-Mark beginnt. Doch damit schlägt der Westen, einen vom Osten getrennten, eigenen Weg ein.

 Die Russen sind überrascht und führen innerhalb weniger Tage, ohne umfangreiche Vorbereitung, eine eigene Reform durch. Man klebt einfach eine Art Briefmarke auf die alten Banknoten. Im Volksmund werden sie deshalb Tapeten-Mark genannt. Und auch im Osten scheint es mit dem neuen Geld endlich bergauf zu gehen. Aber bald schon merken die DDR-Bürger, dass die Ostmark in den Lohntüten nicht viel wert ist, denn der Mangel diktiert die Möglichkeiten.

 Anders ist es im Westen. Die D-Mark wird zu einer der erfolgreichsten Währungen weltweit. Sie steht für Sicherheit, Wohlstand und scheinbar unbegrenztes Wachstum. In Zeiten der Vollbeschäftigung sind die Lohntüten prall gefüllt, und niemand denkt an Arbeitslosigkeit oder Armut. Jetzt wird wieder gespart, vor allem für das eigene Heim.

 Die Banken profitieren von dem Wirtschaftswunder und bauen schnell den bargeldlosen Zahlungsverkehr aus. Man gibt gern Kredite. Und für die Erfüllung von Wünschen, für Autos und Reisen sind die Menschen auch bereit Schulden zu machen.

 In der DDR spielt die D-Mark die Rolle einer Zweitwährung, für die fast alles zu haben war. Das Westgeld war damals schon ein Begriff der Freiheit. Als Ende der 1980er Jahre die DDR zusammenbricht, wird die heißersehnte D-Mark für viele Ostdeutsche zum Symbol für eine neue, bessere Zukunft. Am 1.Juli 1990 wird Ostdeutschland über Nacht zum D-Mark-Land.

 Reichtum und Armut sind heute die alles bestimmenden Maßstäbe in Deutschland. Wer kein Geld hat wird zum Außenseiter, während die Schönen und die Reichen im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Mittlerweile hat die Verschuldung von Personen, Familien, Kommunen, Ländern und Staat ein solches Ausmaß angenommen, dass mit einer Tilgung, vor allem der Staatsschulden, nicht mehr zu rechnen ist.

 Aber eine neue Währungsreform ist im Alleingang in Deutschland nicht mehr möglich! - Im Euro-Land kann es nur eine gemeinsame Währungsreform aller Mitgliedsstaaten geben, die den Euro eingeführt haben. Daran wagt aber niemand zu denken. Und solange ist der Euro eine sichere Währung. -  So habe auch ich bis vor einigen Jahren gedacht. Wenn man jedoch die hilflosen Versuche bei der Beseitigung der Schuldenkrise Griechenlands beobachtet, kann man nicht verstehen, warum man nicht einmal die Euro-Währungsreform in allen Ländern der Währungsunion in Betracht zieht. Der Mut zur Ehrlichkeit gegenüber den uns nachfolgenden Generationen ist scheinbar nirgendwo vor- handen. Mit dem ständigen Hinausschieben der Probleme wird man niemals zu Lösungen des Europaweiten, und sogar Weltweiten Währungsproblems gelangen. Nur ein Währungsschnitt, also eine Währungsreform kann wieder eine Grundlage für die zukünftige Währungs- und Wirtschaftslage bilden. Das wären wir, das sind wir unseren Kindern und Enkelkindern gegenüber schuldig. Alles andere führt zu nichts; Es bleibt das ständige Währungs-Chaos. Wir leben heute von der Hand in den Mund. Bei den Schuldenbergen der einzelnen Staaten ist an eine Tilgung nicht mehr zu denken. Nicht ohne Vorbedacht hat man ja inzwischen das Zinsneveau unter Null gebracht. Die Staaten etc. werden entlastet und die Sparer belastet. Wie gesagt, es fehlt der Mut zur Ehrlichkeit!

Unsere nachfolgenden Generationen haben es verdient, dass ihr sauer verdientes Geld seinen Wert hat und behält. Sie benötigen die Stabilität, auf der man dauerhaft sein Leben planen und aufbauen kann!

 

Selbstverständlich muss man jedoch auch zukünftig Kredite aufnehmen, aber im Jahr 2015 kann man beinahre alles vergessen, was man bisher über Kredite wusste. Weil ja die Zinsen auf einem Jahrhundert-Tief stehen, gelten jetzt ganz neue Regeln.

  1. Immobilien-Kredit: Immobilien können derzeit unglaublich günstig finanziert werden. Die Darlehensdicounter im Internet bieten 100000 geliehene Euro bereits für deutlich unter einem Prozent Zinsen an (z.B.: ING-DiBa, Dr. Klein, Comdirekt). Zu diesen Konditionen lassen sich 80% des Gebäudewertes finanzieren - damit sind diese Darlehen wie geschaffen für alle, die bereits einen Teil ihrer Immobilie abbezahlt haben. Aber selbst die Spar- kasse um die Ecke verlangt nur noch 1,9%. Damit sind die alten Regeln für Baufinanzierungen vorerst auf- gehoben. - Die alte Regel: Immobiliendarlehen sollte man mit einer einprozentigen Anfangstilgung abschließen. Das ist momentan purer Unfug, denn damit wäre ein Darlehen erst nach 75 Jahren abbezahlt. - Die neue Regel: Wer sein Haus oder die Eigentumswohnung nach 20 Jahren schuldenfrei haben will, muss mit dem Geldinstitut eine Anfangstilgung von 4,5% vereinbaren. Wie die Rechnung dann aussieht: 100000 Euro Dar- lehen kosten monatlich 441 Euro Rate. - Die alte Regel: Mit 40% Eigengeld ist die Finanzierung am günstigsten. Die neue Regel: Derzeit lässt sich eine Immobilie ohne Eigengeld so günstig finanzieren wie vor zehn Jahren mit dem Eigengeld. - Die alte Regel: man sollte erst Kapital ansparen und dann ein Darlehen aufnehmen. - Die neue Regel: Wer kaufen oder bauen will, sollte das lieber gleich tun. Denn die Immobilienpreise steigen. Wie lange die Zinsen so niedrig bleiben, kann aber niemand vorhersagen. Das heißt: Wer wartet, verliert Geld. - Die alte Regel: Eine Finanzierung mit variablen Zinsen ist zu riskant, weil die Zinsen plötzlich in die Höhe schießen könnten. - Die neue Regel: Zinsen steigen nie plötzlich. Deshalb kann man ruhig einen Teil seines Darlehens variabel finanzieren. Der wesentliche Vorteil dabei: Variable Darlehen kann man jederzeit komplett ablösen, ohne dafür eine Vorfällig- keitsentschädigung zu zahlen. Für den anderen Teil des Darlehens sollte man die Zinsen möglichst lange fest- legen. - Die alte Regel: Vor Ablauf der vereinbarten Zinsbindung lässt sich die Bank nicht auf eine Zinssenkung ein. - Die neue Regel: Inzwischen kommen die Banken ihren Kunden entgegen, indem das Darlehen intern umgeschuldet wird. Meistens braucht man dazu nur einen neuen Grundbuchauszug. - Die alte Regel: Nach Ablauf der Zinsbindung (in der Regel 10 bis 15 Jahre) bleibe ich am besten bei meiner Bank, um die restliche Kreditsumme zu finanzieren. - Die neue Regel: Das stimmt nicht mehr. Experten von finanztip.de sagen: Neukunden bekommen meist bessere Zinskonditionen als Bestandskunden. Auf jeden Fall sollte man die Zinsen im Internet vergleichen (z.B. check24.de), um eine günstige Entscheidung zu treffen.
  2. Auto-Kredit: Die alte Regel: Günstiger als mit einem Null-Prozent-Darlehen vom Händler lässt sich ein Neuwagen nicht finanzieren. Das stimmt jetzt nicht mehr. - Die neue Regel: Im Internet kann man Neuwagen mit Rabat- ten bis zu 30% kaufen. Und selbst wenn man den über die Bank mit 2,5% Zinsen finanziert, wir das Auto am Ende günstiger als der offizielle Preis. Ein Beispiel: Ein Opel Astra 1.6CDTI (110 PS) kostet offiziell 17827 Euro. Der Händler finanziert den Wagen mit null Prozent. Die bessere Alternative: Kauf des Autos im Internet (z.B. intercar24.de), da kostet er nur 15431,42 Euro. Selbst mit Zinsen kommt man dann auf 16432,80 Euro. Das sind 1400 Euro weniger als der Preis ab Werk.
  3. Raten-Kredit: Die alte Regel: Je länger die Laufzeit, desto höher der Zinssatz. Die Regel galt bei den meisten Banken noch im vergangenen Jahr: Eine nur 12 Monate längere Laufzeit konnte schon ein Prozent mehr Zinsen ausmachen. - Die neue Regel: Bis zu einer Laufzeit von 60 Monaten ändert sich der Zinssatz bei den meisten Instituten nicht mehr. Zudem sind Kredite sensationell günstig: 5000 geliehene Euro gibt es bereits ab 2,75% Jahreszins (eff.). Das bedeutet: Bei 60 Monaten Laufzeit entstehen Kosten von rund 350 Euro. Noch Anfang 2014 lag der durchschnittliche Zinssatz bei Ratenkrediten übrigens bei 6,1%. Teure Banken verlangten sogar bis zu 10%. Ein alter Kredit kostet also fast das Vierfache eine neu abgeschlossenen. Dashalb macht die Umschul- dung Sinn. - Die alte Regel: Die eigene Bank tauscht den teuren Kredit nicht gegen einen günstigen. - Die neue Regel: Sie wird es tun, bevor sie einen guten Kunden verliert. Denn inzwischen kann jeder im Internet die Zinsen vergleichen. Beste Plattform: www.vergleich.de, www.check24.de und www.verivox.de. Übrigens darf die Bank für das Ablösen eines alten Kredits höchstens 1% der noch offenen Summe verlangen; bei z.B. 5000 Euro also maximal 50 Euro. Sollte sich ihre Bank querstellen, verweisen sie auf den §502 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
  4. Händler-Kredit: Die alte Regel: Wer eine Ware wegen eines schweren Mangels zurückgab und sein Geld zurück verlangte, konnte bislang auch vom Kreditvertrag mit dem Händler zurücktreten. - Die neue Regel: Das geht jetzt nicht mehr, wenn der Einkauf mit einem Null-Prozent-Darlehen finanziert wurde. So entschieden vom Bundesgerichtshof (BGH: XI ZR 168/13). Die Folge daraus ist alles andere als positiv für Verbraucher: Tritt der Kunde vom Kaufvertrag zurück, weil das Produkt mangelhaft ist und der Händler keinen Ersatz liefern kann, bleibt das Darlehen trotzdem bestehen und muss voll abbezahlt werden. Erst wenn der Händler den Kaufpreis erstattet (und das kann bei einem Rechtsstreit lange dauern), hat der Kunde sein Geld zurück. - Die alte Regel: Null-Prozent-Kredit gab es bisher nur bei großen Handelsketten, wie z.B. Mediamarkt & Co. Aber eben nur für bestimmten Produkte. - Die neue Regel: Null-Prozent-Finanzierungen gibt es jetzt z.B. für Rasenmäher, Heim- werker-Bedarf und Haushaltsgeräte: Im Internet z.B. www.nullprozentshop.de.
  5. Dispo- und Rahmen-Kredit: Die alte Regel: Um kurzfristigen Geldbedarf zu decken, war der Dispositionskredit am günstigsten. Anders formuliert: Man hat kurzerhand sein Konto überzogen. Doch diese Regel sollte man voll- ständig vergessen. Die neue Regel: In jedem Fall günstiger ist nämlich ein so genannter Rahmenkredit (auch Abrufkredit genannt). Während ein Dispokredit derzeit zwischen rund 8% und 12% Zinsen kostet, liegt der Rahmenkredit etwa beim halben Zinssatz. Ein Rahmenkredit lohnt sich, wenn man dauerhaft eine günstige Alternative zum Dispokredit haben will oder einen einmaligen Kredit für weniger als 12 Monate benötigt. Wer allerdings länger als ein Jahr Geld braucht, ist mit einem Ratenkredit besser beraten, sagen Experten von finanztip.de. Den bundesweit günstigsten Rahmenkredit bietet derzeit die Onlinebank von VW mit 3,99% Jahreszins. Kunden erhalten dort einen Kreditrahmen in Höhe von 8000 Euro, den sie natürlich nicht vollständig nutzen müssen. Ein Rechenbeispiel: Überzieht man ein Konto einmalig um 1500 Euro und zahlt diese nach 12 Monaten zurück, käme man bei einem angenommenen Dispozins von 9% auf fast 135 Euro. Mit dem Angebot der VW-Bank wären es nur knapp 60 Euro. Als dauerhafte Alternative zum Dispo ist der VW-Kredit allerdings keine Empfehlung. Denn ab dem 13. Monat erhöht sich der Zins von 3,99% auf 7,31%. Fachleute empfehlen dann den Rahmenkredit der ING-Diba mit einem Zinssatz von 6,43%.

 

Euro

 

Zwölf Jahre und kein bisschen beliebter!

Warum habt ihr Deutschen bloß eure Deutsche Mark aufgegeben? So klagt ein Grieche, der auf Kreta zwei Häuser besitzt, die er vermietet. Er hat in Deutschland neunzehn Jahre lang ge-arbeitet. Seine Rentenansprüche hat er sich damals auszahlen lassen und mit dem Geld ein zweites Haus gekauft. Das bereut er heute, weil er seine Wohnungen und Zimmer nicht mehr vermieten kann, mangels Nachfrage. Jetzt weint er der Rente nach, die er ja nicht erhält. Früher konnte man 1000 DM in die Hand nehmen und in Griechenland drei Wochen mit zwei Personen einen tollen Urlaub verbringen, erzählt er. Dabei vergisst er allerdings, wie hoch damals die Flugkosten waren im Vergleich zu heute. Und die Kosten für das lästige Umwechseln von D-Mark in die Fremdwährungen entfällt ja auch heute. Jedoch muss ich zugeben, dass unser Urlaub 3000 Euro gekostet hat, und das kann sich nicht jeder jedes Jahr leisten.

Viele sagen in der letzten Zeit: Gut, dass es den Euro gibt. Sonst hätte die Finanz- und Wirt-schaftskrise die europäischen Länder noch sehr viel mehr gebeutelt. Es wären dann einige in den großen Schlund der Krise viel tiefer hineingerissen worden.

Wie stark ist der Euro tatsächlich in dieser Wirtschaftskrise? Müssen wir vielleicht den Euro aufgeben und wieder zur D-Mark zurückkehren?

Die Finanzkrise geht in Europa um wie ein Gespenst. Stimmen der Vergangenheit kommen in Erinnerung: Darum war die Einführung des Euro gerade noch rechtzeitig, die deutsche und die europäische Antwort auf die Globalisierung der Welt. Heute protestieren in ganz Europa die Menschen gegen die Macht des Geldes. Sie fühlen sich verraten und verkauft. – Wenn wir keine Lösung für dieses gravierende Ungleichgewicht finden, wird es in der Tat am Ende kaum eine andere Möglichkeit geben als das Auseinanderfallen der Euro-Zone. – Mittendrin Europas gemeinsame Währung. Ausgerechnet im dreizehnten Jahr ihres Bestehens!

Offenkundig wächst der Zweifel, dass der Euro das ist, als was man ihn den Deutschen ver-sprochen hat. Finanzmärkte kollabieren, die Wut wächst, der Euro kommt unter Druck. – Eine Gegenstimme: Der Euro ist ein Erfolg. Wir müssen ständig alarmiert sein, denn die Zeiten bleiben schwierig. Das undenkbare scheint plötzlich möglich zu sein. Zerreißt die Krise den Euroraum? – Ich glaube nein, sagt ein Experte. Ich bin sogar überzeugt, dass der Euro in seiner Stabilität und auch in seinem Zusammenhalt in der Euro-Zone nicht gefährdet ist. Ich halte das für Horror-Nachrichten. Im Gegenteil. Die Einführung des Euro ist eine der besten Maßnahmen gewesen, um in dieser Krise besser gewappnet gewesen zu sein. Na ja, gut, wenn es so ist. Wenigstens einer hält noch zum Euro. Eigentlich sollte ja das >Dreizehnjährige Bestehen< der gemeinsamen Währung gefeiert werden. Jetzt steht der Euro mitten in der Wirtschaftskrise. Ist Europa, ist Deutschland durch den Euro gut geschützt vor der Krise?

Kritiker sehen das nicht so, sie warnen seit Jahren: Wir wissen es ja leider, dass wir eine Welt-Finanzkrise haben. Banken haben sich verzockt und das kostet den Deutschen Steuerzahler bereits sehr viel Geld, weil es ja auch deutsche Banken sind, die jetzt aus dieser Misere herausgeholt werden müssen. Durch den Euro haben wir nun das Problem, dass wir die Misere, die in anderen Ländern noch viel ausgeprägter ist, in Irland, in Spanien, in Portugal, Italien, Frankreich und vor allem in Griechenland mittragen müssen. – Deutschland in Krisenzeiten gefesselt im Euro-Raum? Ein Wirtschafts-Professor, überzeugter Euro-Gegner hatte schon einmal versucht, die Währung per Verfassungsklage zu verhindern: Ich erwäge ernsthaft, die Euro-Klage noch einmal einzubringen. Denn der Wahrheitsbeweis, dass der Euro nicht das ist, als was er uns präsentiert worden ist, dass er eigentlich im Grunde auf einem Etikettenschwindel beruht hat, dieser Beweis ist jetzt erbracht.

Hat der Professor damit recht? Nirgendwo sonst hatte der Euro so viel verändert wie in Irland. Jetzt stehen die Kräne und Betriebe still. Jahrelang war nur der Himmel die Grenze für Irlands Baulöwen. Niedrige Steuern und Zugang zum Euroraum lockten die Konzerne der Welt. – Wir waren vor kurzem noch eine der reichsten Nationen der Welt, erklärt ein Experte. Das hatte dazu geführt, dass wir die Bodenhaftung verloren und vulgär und angeberhaft wurden. Jetzt ist das zu einem drastischen Ende gekommen. – Die Bühne schwebt von oben herab. Wir können das machen, wie ihr es wollt. Mit Weltstars ist er auf Du und Du. Harry Crosby ritt den >Keltischen Tiger< wie die Welt den irischen Boom nannte, wie kaum ein anderer. Er erklärte seinen Freunden von der Band >U2< eine neue Arena, die er gerade gebaut hatte. – Ja, das ist nahe genug am Publikum, sagt der Gitarrist. – Diese hochfliegenden Töne hört man heute in Dublin nicht mehr. Die Baublase ist inzwischen geplatzt. Die Rezession im Euro-Staat Irland greift heftiger um sich als anderswo in Europa. Die Schlangen vor den Sozialäm-tern werden länger. Immer mehr Iren melden sich arbeitslos. – Eine junge Frau: Ich habe als Rechtsanwaltsgehilfin gearbeitet und wurde im August 2008 entlassen, kurz bevor die Arbeitslosigkeit so richtig zunahm. Danach habe ich einige Monate für verschiedene Zeitar-beitsfirmen gearbeitet. Aber seit Januar 2009 gibt es nichts mehr. Die Lage ist wirklich sehr schlecht. Ich bilde mich jetzt fort und suche ständig nach neuen Jobs, bislang leider ohne Ergebnis. Auswandern, eine traditionelle Lösung in Irland, kann ich nicht. Wo sollte ich denn auch hin? Die Krise ist ja überall. – Auch Investoren wie Harry Crosby stehen vor nicht gekannten Herausforderungen. Doch Crosby sieht einen stabilisierenden Faktor, der der heimischen Wirtschaft helfe: Die Mitgliedschaft in der Eurozone ist das, was wir brauchen. Der Euro eine Haupt-Antriebskraft für uns. Es ist wichtig für Irland, dabei zu bleiben. – Trotz Euro, nehmen die sozialen Spannungen in Irland zu. Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes protestieren gegen Einschnitte bei ihren Pensionen. Die Regierung macht Schulden, und ver-ordnet dem Land einen drastischen Sparkurs. Man wolle die Krise aus eigener Kraft bewäl-tigen. – Ein Sprecher: Wir können aus dem Loch herauskommen. Denn wir haben enorme Widerstandskraft in der irischen Wirtschaft. Wir haben exportorientierte Industrien. Wir haben eine Bankenkrise wie jede Nation der Welt, und haben eine Krise der Öffentlichen Haushalte. Aber wir gehen gegen diese Krise an. Die Mitgliedschaft in der Eurozone ist ent-scheidend für uns. – Außenstehende Beobachter mögen diesen Optimismus nicht teilen. Sie sehen auf Irlands Europartner Verpflichtungen zukommen: Wenn diese ärmeren oder schwächeren Länder wirklich in die Knie gezwungen werden, würde Deutschland auch darun-ter leiden. Denn die Exportwirtschaft würde geschwächt. Deswegen müssen die Deutschen ohnehin bezahlen, entweder durch Steuergelder, durch irgendwelche Hilfsmaßnahmen für diese Länder. Die Banken müssen Rückstellungen machen in Milliarden-Höhe für die verlie-henen Gelder, die nicht zurückgezahlt werden können. Das hat dann der Steuerzahler sowieso auszugleichen.

Starke Zahlen für >Schwache<. Deutschland, Frankfurt, die Europäische Zentralbank. Der Chef des Euro hat Sorgen: Die aktuellen Turbulenzen sind eine große Herausforderung für uns. Alle Länder, Kontinente und Währungen sind betroffen. Probleme wie diese kannten wir nicht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. – Der Chef der Zentralbank wacht über den Euro in einer schweren Zeit. Er hat mit den Notenbank-Chefs den Zins auf 1% gedrückt. So billig war der Euro für die Banken noch nie. Trotzdem hält sich die Krise hartnäckig und uner-bittlich. – Vertrauen zu schaffen ist jetzt die zentrale Aufgabe, erklärt der Zentralbank-Chef. Alles tun, was der Europäischen Zentralbank möglich ist, um die Preise stabil zu halten. Was derzeit am meisten fehlt, das ist Vertrauen. Wir müssen mehr Vertrauen schaffen!

Vertrauen schaffen in der Krise. Nirgendwo sonst ist das so nötig wie in Griechenland. Bis vor wenigen Wochen hat Christus K. noch als Schweißer in einer Werft bei Piräus gearbeitet. Dann kam das Aus, ohne Vorwarnung. – Christus K: Wer heute hier Arbeit findet, der gibt ein Fest, und wenn es nur für kurze Zeit ist. Selbst wenn es nur Arbeit für vielleicht eine Woche ist, vielleicht auch nur für einen einzigen Tageslohn. – Seine Frau hat eine kleine Imbissbude im Hafen aufgemacht. Von den 400 Euro, die ihr Mann als Arbeitslosengeld nach Hause bringt, kann die Familie nicht leben. Jeden Morgen muss sie nun ab vier Uhr Kaffee kochen. Jeder verdiente Euro zählt. – Frau K: Not macht erfinderisch. Allmählich denkt man immer nur an das Schlimmste. – Die Zahl der ungedeckten Schecks, auf der die Banken mittlerweile sitzen, hat sich innerhalb eines Jahres um 140% erhöht. Deshalb drehen sie nun den Geldhahn zu, mit fatalen Folgen für alle. – Ein Sprecher: Trotz der Tatsache, dass die Griechische Regierung rechtzeitig seit Oktober ein Maßnahmenpaket zur Stützung der Banken in Höhe von 28 Milliarden Euro verkündet hat, die den griechischen Haushalten und den mittel-ständigen Betrieben hätten zugute kommen sollen, ist leider nichts oder nur sehr wenig auf dem Markt angekommen. Das Ziel war, den Konsum anzukurbeln. Doch der Markt ist wort-wörtlich >ausgetrocknet<. – Zu spüren bekommen das vor allem die >Kleinen Leute< wie das Ehepaar >K<. Sie haben, wie die meisten Griechen, eine Eigentumswohnung, die sie langsam abbezahlen. Jetzt, da er arbeitslos ist, wissen sie nicht mehr, wie sie die Raten aufbringen sollen. Die Belastungen sind mittlerweile so hoch, dass die Schulden der Familie immer größer werden. Nun droht ihnen die Zwangsversteigerung. Denn die Banken sind rigoros. – Frau K: Eines Mittags klingelt es, und mein kleiner Sohn hat die Tür geöffnet. Ein Herr mit Aktenmappe kam rein. Er begrüßte uns, und stellte sich als Gerichtsvollzieher der Alpha-Bank vor. Mein Kind hat er scharf angeguckt und gefragt, ob das mein Kind sei. Ich habe das bejaht, und ihn aufgefordert Platz zu nehmen. Ich habe ihn auch noch hereingebeten. – Kleiner, siehst du diese Wohnung? fragte er. Sieh´ sie dir gut an. Denn wir werden sie dir wegnehmen, weil deine Mama nicht bezahlt. – Das ist kein Einzelfall. Die Existenzgrundlage eines ganzen Volkes bricht zusammen. Vergleiche mit der Immobilienkrise in Amerika sind angebracht. Ist Griechenland am Ende? – Ein Experte: Die Länder des Südens, vor allem Griechenland, aber auch andere sind eigentlich nicht zu wenig wettbewerbsfähig, wie allge-mein behauptet wird. Sie haben nur riesige Defizite in ihren Handelsbilanzen, und sie haben keine Möglichkeit, ihre Währung abzuwerten. Sie sind gefangen im Euro.

Genf ist der Sitz der Organisation für Welthandel und Entwicklung der Uno. Der Chef-Volks-wirt kommt aus Deutschland. Er hat wenig Hoffnung, dass Länder wie Griechenland bestehen können im Euro-Raum: Es geht darum, dass diese Länder gegenüber dem Ausland verschul-det sind, was sich in sehr hohen Leistungsbilanz-Defiziten dieser Länder niederschlägt. Diese Verschuldung gegenüber dem Ausland ist praktisch nicht zurückzuführen, ohne, dass die Länder stark abwerten. Nun kann ein Land wie Griechenland eben in der Eurozone nicht ab-werten. Wenn am Ende die gravierenden Ungleichgewichte in der Außenhandelsituation nicht beseitigt werden, wird an dem Auseinanderfallen der Eurozone kein Weg vorbeiführen. Deswegen folgt daraus, falls die Politiker dieses Problem nicht massiv angehen und dafür sorgen, dass diese Ungleichgewichte innerhalb der nächsten zehn Jahre beseitigt werden, dass der Euro keine Zukunft hat.

Wenn Griechen oder Iren Probleme haben, dann geht das alle Euro-Länder an, auch die großen. Das ist nun mal so, wenn alle in einem Boot sitzen. Das zeigt sich ganz besonders auf den Finanzmärkten. – Wenn Staaten Geld brauchen klingeln hier Telefone und die Kasse: BGC-Partners ist Broker in Londons Bankenviertel. Die Händler bringen Käufer und Verkäufer von Finanzprodukten zusammen. Immer mehr Staaten machen nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise immer mehr Schulden. Auch Irland sucht Geld, und platziert zwei Anleihen zwischen 750 Millionen und einer Milliarde Euro. Das ist am Markt nicht furchtbar viel, aber für die Irische Regierung eine wichtige Sache, weil es der irischen Wirtschaft immer schlechter geht. Irische Staatsanleihen gelten als relativ riskant wegen der wirtschaft-lichen Lage dort. Darum muss Irland Anlegern für ihr Geld mehr Zinsen zahlen als andere Staaten. Hier zeigt sich, dass die Schere innerhalb der Eurozone immer weiter aufgeht. Der europäische Markt driftet immer weiter auseinander. Es gibt starke Teile, wie den französi-schen, den deutschen oder den Benelux-Ländern, und die Schwachen, wie Irland, Griechen-land und Spanien sowie die neuen Staaten Ost-Europas. Das alles zusammen zu halten als eine geldpolitische Einheit ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Appelle an Einheit und Stabilität sind billig, aber entscheidend sind die wirtschaftlichen Fakten. Nicht nur die Händler in London sehen im Auseinanderklaffen der Staatsanleihen Zündstoff für den Bestand der Eurozone. – Ein Experte: Ja, das ist ein Risiko-Aufschlag. Und dieser Risiko-Aufschlag bedeutet, dass für manche Länder nicht ganz klar ist, ob sie, wenn es ans Hauen und Stechen geht, in der Eurozone bleiben oder, ob sie in der Lage sind ihre Staats-Verschuldung zu Eurokursen wirklich zu bedienen.

Wenn die Marktzinsen, für z.b. die Staatsanleihen der schwächeren Länder ohnehin zunehmen, dann haben wir Zinssätze in der Währungsunion, die sich kaum unterscheiden würden von den Zinssätzen, die man außerhalb der Währungsunion, aber mit einem viel niedrigeren Wechselkurs hätte. In diesem Fall würden doch einige Länder dazu geneigt sein, auszutreten. – Länder, die austreten, weil die Vorteile wegfallen? Das würde den Euro-Befür-wortern wohl gar nicht gefallen. Das beträfe ja auch die großen Länder, die darunter leiden würden, besonders Deutschland als Export-Weltmeister.

Für deutsche Unternehmen, wie den Spezialglas-Hersteller Schott war die Einführung des Euro tatsächlich wie ein zweites Wirtschaftswunder. Die Hälfte seines Umsatzes macht der Konzern im Euroraum, und das sind immerhin eine Milliarde Euro jährlich. – Der Geschäft-führer: Durch die Einführung des Euro entfällt natürlich das Wechselkurs-Risiko. Dadurch ist grenzenloser Handel innerhalb der 16 Euro-Länder möglich. Das spart Zeit beim Transport und vor allem Geld, weil keine Zölle mehr erhoben werden. Wir mussten uns mit Spekulatio-nen gegen die spanische Peseten, gegen den französischen Franc extrem absichern. Diese Maßnahmen sind jetzt alle nicht mehr erforderlich. Wir sind durch den Euro eben stärker geworden im globalen Wettbewerb. Davon haben viele hier im Lande profitiert, nämlich die, die das Unternehmen eingestellt hat. Zu D-Mark-Zeiten hätten wir das vielleicht nicht getan.

Doch auf der Straße ist man skeptisch: Wir wurden ja gar nicht gefragt, ob wir den Euro wollen. – Es ist zum Reisen praktisch, aber mit Gefangen mit Gehangen. – Wenn man einkau-fen geht, kriegt man immer weniger für das Geld, was man hat. – D-Mark war immer noch das Allerbeste, was wir hatten. – Es ist zwar alles ein bisschen teurer geworden, aber anson-sten hat sich der Euro bewährt. Zu D-Mark-Zeiten wurde ja auch alles von Jahr zu Jahr teurer. – Ist aus dem Euro ist leider doch ein >Teuro< geworden?

Ein Experte erklärt: Ich glaube, dass auch die subjektive Wahrnehmung, dass mit der Einfüh-rung des Euro ein >Teuro< entstanden wäre, falsch ist. Ich selber mache auch die Erfahrung, dass plötzlich das Glas Wein in einem Ausfluglokal in Euro fast so teuer ist wie in D-Mark. Das mag es in dem einen oder anderen Fall gewesen sein. Statistisch gesehen haben wir nach Einführung des Euro eine geringere Inflationsrate gehabt als zu Zeiten der D-Mark.

Was aber wäre, wenn ein Euro-Staat wie Griechenland seine Schulden nicht mehr zurück-zahlen könnte? – Dann würden wir die Auswirkungen in Deutschland sehr schnell spüren. Der Euro würde abgewertet werden auf den Welt-Devisenmärkten. Auch die anderen Länder müssten dann höherer Zinsen zahlen, um sich zu verschulden am Kapitalmarkt. Ganz abgese-hen davon, hätten wir eine heftige Diskussion darüber, wie wir es mit der Mitteleuropäischen Einigung halten? Ob es dann so weitergehen sollte. Es sind auf jeden Fall spürbare Auswir-kungen, die wir davon hätten.

Auswüchse, die sich dann auch bei Schott auf dem Verladehof bemerkbar machen würden, noch mehr als bisher. Kurzarbeit gibt es auch hier schon seit längerem, trotz Euro. Wenn ein Handelspartner nicht mehr zahlen könnte, hätte das schwerwiegende Folgen. – Der Chef: Das kann schon zu deutlichen Umsatzeinbrüchen führen, das ist klar. Dann können wir jetzt schon sagen, dass wir um die sechzig Millionen Euro Umsatz verlieren würden. – Noch ist es dazu nicht gekommen. Bislang hat der Euro in der Krise für die Deutschen vor allem Vorteile ge-bracht: Stabiles Geld und verhältnismäßig sichere Jobs. Wie lange die Währung diesen Schutz noch bieten?

Eine einheitliche Währung ist ja schön und gut. Aber wie wäre es denn mal mit einer einheitlichen Wirtschaftspolitik? Hat Europa da nicht etwas versäumt? Sechszehn Länder, dreihundert Millionen Menschen. Der Euro scheint nur ein Erfolg bei heiterem Wirtschafts-Wetter zu sein. – Ein Experte: Der Euroraum ist konstruiert für eine Welt, die schön weiter wächst, und darum hat man eher auf die Inflationsrate achtgegeben und hat darauf geschaut, dass die Regeln so sind, niedrige Inflationsraten zu haben. Wenn die Welt aber mal in der Krise ist, und Länder Schwierigkeiten haben, sich zu finanzieren, dann gibt es dafür in der Währungszone keine Regeln.

Der Euro ist also nicht geschafften für Zeiten wie die momentanen. Die Eurostaaten stehen unter Druck. Wirtschaftlich und finanziell treibt es sie auseinander. – Je mehr man die Geld-form vereinheitlicht oder vergemeinschaftet hat, desto mehr versuchen die Regierungen das, was noch nicht vereinheitlicht worden ist, zum Beispiel die Etatpolitik, selber zu gestalten. Diese zentrifugalen Kräfte sehen wir eher in der Krise als in Zeiten, wo die Dinge eher gut laufen. Solche Spannungen werden jetzt zunehmen. – Man kann Währung und Staat nicht trennen. Das ist die grausame Erkenntnis, die wir jetzt gewinnen. Sie war allerdings schon vorher bekannt. Und unser Finanzminister täte gut daran, sich dieser Wahrheit zu stellen.

Eine Währung unter Druck. Beispiel Österreich: Das Euroland hat fast 220 Milliarden Euro nach Ost-Europa verliehen. Doch Schuldner wie Ungarn stecken tief in der Krise. Wann bekommt Österreich seine Euros zurück? – Beispiel Italien: In schwachen Zeiten hatten die Italiener ihre Lire abgewertet, das war gut für den Export. Doch jetzt ist dieser Weg versperrt, denn der Euro denkt ja nicht italienisch. Das hat natürlich Folgen. – Sie kommen immer mehr unter Druck dabei, erklärt der Experte. Im übrigen werden sie eine Reihe von Reformen durchführen müssen, um den Anschluss zu behalten innerhalb der Europäischen Union und auch der Eurozone. Das ist selbstverständlich teilweise verbunden mit nicht sehr populären Maßnahmen. Die können dann spielend dazu führen, dass Regierungen abgewählt werden oder sehr schnell neu gewählte Regierungen Enttäuschungen und Frustration hervorrufen.

Enttäuschung und Frustration machen sich bereits jetzt bemerkbar quer durch Europa, und nicht nur im Euroraum. Jetzt rächen sich die >Geburtsfehler<. Wir sehen, dass innerhalb dieser Staatenunion eine völlig unterschiedliche Politik gemacht worden ist. Die einen haben sich verschuldet, haben jetzt Probleme, und andere, gerade wir Deutschen haben Über-schüsse gebildet. Und jetzt werden wir, leider muss man es so sehen, zur Kasse gebeten, damit die anderen aus ihren Schwierigkeiten herauskommen. – Die Spannung steigt in jeder Hinsicht. Auch in Deutschland diskutiert die Politik die Gefahr sozialer Unruhen. Gerade in Zeiten wie diesen wächst die Sehnsucht nach der Idylle.

Nicht weit entfernt von der offiziellen Euro-Stadt Frankfurt am Main geht es im Hessischen Friedrichsdorf sehr viel beschaulicher zu. Seit einigen Monaten kann man in der kleinen Gemeinde bei über vierzig Einzelhändlern, wieder zurück in die Zukunft, mit D-Mark bezahlen. – Manche kippen ihre alten Bestände einfach in den Zählautomaten um ihr >altes Geld< loszuwerden. – Ein Geschäftsmann: Das Erstaunliche für mich dabei ist, es sind schon enorme D-Mark-Beträge dabei herausgekommen. Summen, die ich nie erwartet hätte. Also, wir haben in den letzten Monaten, seitdem wir das machen, schon mehrere tausend D-Mark auf die Theke gelegt bekommen. – Eine Dame: Ich habe als junges Mädchen halt, wie so viele, Münzen gesammelt für meine Brautschuhe in einer großen Flasche. Die stand dann noch eine ganze Weile im Keller. Ich bin nie dazu gekommen, das Geld umzutauschen, das Geld zu rollen und zur Bank zu bringen. Als ich jetzt von der Aktion hörte, habe ich direkt die Gelegenheit genutzt, und darüber bin ich sehr froh. – Auch im örtlichen Juwelierladen kann man zehn Jahre nach der Währungsreform wieder ganz offiziell mit der Mark bezahlen. Hier kommen die D-Mark-Kunden mit ihren >Schätzen<. Nicht nur die Inhaberin ist überrascht, manchmal sind es die Kunden ebenfalls. – Wahrscheinlich hatte ich einen Umschlag im Schrank deponiert über Jahre, habe dreihundert D-Mark reingesteckt und vergessen. – Shoppen mit der D-Mark. Verboten ist das Ganze nicht, im Gegenteil. Die Deutsche Bundes-bank freut sich ebenso Juwelierin darüber, weil es ja hilft, die alte Währung weiter aus dem Verkehr zu ziehen. – Eine Dame, die hinter der Aktion steht sammelt bei allen Händlern die Mark-Bestände ein, alles korrekt und gegen Unterschrift. Anschließend macht sie sich auf den Weg zur Bundesbank nach Frankfurt.

Der Euro hat natürlich von seinem anfänglichen Wert längst einiges eingebüßt. Trotzdem muss man nicht der D-Mark immer noch hinterher trauern. Auch der Wert der D-Mark wäre nicht mehr so wie vor zehn Jahren. Inflation hat es schon immer gegeben. Ein Spötter sagt ja: Die Preise haben sich ja nicht geändert, sondern nur die Währung. Nach meiner persönlichen Meinung sind wir selber Schuld, dass der Euro in manchen Bereichen so stark abgewertet worden ist. Wir sind es doch, die überhöhte Preise in Restaurants, Cafés, Eisläden, bei Friseuren, Tankstellen etc. akzeptieren. Wenn man gezielt auf die Läden zugeht, die vernünf-tige und korrekte Preise verlangen, wird sich so mancher Unternehmer über seine Preispolitik Gedanken machen und sich anpassen müssen.

Der Abschied von der D-Mark tut jedoch vielen älteren Menschen immer noch weh. Ein Land, das Probleme hat mit seiner Geschichte, identifiziert sich lieber mit seinem Geld. Herzlos wurde die Mark geschreddert. Ginge es uns heute besser mit der D-Mark? – Der Experte: Mit Sicherheit! Denn erstens konnten wir mit der D-Mark unserer Bevölkerung mehr Stabi-lität gewährleisten. Zweitens aber, mit der D-Mark wäre unser Staat heute, gerade in dieser doppelten Krise, der Finanzkrise, die von außen kommt und der Finanzkrise, die wir innerhalb der Eurozone haben, viel handlungsfähiger. Er könnte auf eigene monetäre Instrumente zurückgreifen. Wir könnten den Zins selbst bestimmen. Wir wären nicht abhängig von den Zinssätzen, die unsere Partner jetzt zahlen müssen, und wir hätten einen beweglichen Wechselkurs, was ganz wichtig ist. Ein beweglicher Wechselkurs bedeutet, dass man sich von der Inflation der anderen, woher auch sie immer kommen mag, abschirmen kann.

Die Währung in eigenen Händen ist natürlich ein Vorteil. Doch warum wurde die Mark dann trotzdem in den Schredder geschoben und abgeschafft? – Ein damaliger Finanzminister sagt: Wir standen doch in Gefahr, dass die anderen Europäer die D-Mark als Diktat empfanden. Bei jeder Auf- und Abwertung mussten wir intervenieren. Damals gab es Zeiten, wo die Deutsche Bundesbank innerhalb von wenigen Tagen über hundert Milliarden D-Mark intervenieren musste, um andere Währungen zu stützen. Wir hätten doch die Turbulenzen Anfang dieses Jahrhunderts und vor allen Dingen die Turbulenzen seit dem 11. September 2001 und die Finanzmarkt-Turbulenzen der letzten fünfzehn bis achtzehn Monate nie und nimmer verkraf-tet. Man kann sich doch gar nicht vorstellen, wie eine Kooperation von zwanzig oder fünfund-zwanzig europäischen Währungen ausgesehen hätte. Die D-Mark wäre völlig überfordert gewesen, das zu tun.

Allen Greenspan der Ex-Chef der US-Notenbank hat das genau anders gesehen. Der Hüter des Dollars sagte damals: Der Euro wird kommen, aber er wird keinen Bestand haben. Doch schon nach einigen Jahren klang das anders: Der Euro war doch überraschend gut, nach seiner Meinung. – Aber das Projekt Euro bleibt eine Baustelle. Viele Fragen verschwimmen irgend-wo im Nebel. – Das sieht auch einer der >Gründerväter< so. Helmut Schmidt hat den Euro gemeinsam mit Frankreich eigentlich aus der Taufe gehoben. Nach zehnjährigem Bestehen der Währung findet der Ex-Kanzler vor internationalem Publikum einen Webfehler: Wir haben ja noch ein anderes Problem im heutigen Europa. Denn die Europäische Zentralbank hat überhaupt keine ergänzende Behörde, die einen politischen Ausgleich herstellt. Die Euro-päische Zentralbank ist verantwortlich für den Euroraum, der sechzehn Länder umfasst. Aber es gibt keine politische oder wirtschaftliche Koordinierung. – Dennoch, wo stünde Europas Wirtschaft heute, mitten im Finanz-Tsunami, wenn jedes Land seine eigene Währung hätte? – Der gemeinsame Markt wäre längst zerstört. Denn es wäre unmöglich, Produkte auf einem Markt mit schwankenden Wechselkursen herzustellen und zu verkaufen. Wir hätten jetzt ein fürchterliches Chaos und eine noch höhere Arbeitslosigkeit, weil wir uns gegenseitig die Firmen kaputt machen würden. Der Euro ist ein sozialer Schutzschild in dieser Krise.

Volkswirtschaftliche Vorteile sind mitunter abstrakt. Die Initiatorin der D-Mark-Aktion in Friedrichsdorf hat die Deutsche Bundesbank in Frankfurt erreicht. Wie sie, tauschen hier überraschend viele Menschen täglich D-Mark in Euro um. Noch immer befinden sich rund 13,7 Milliarden D-Mark irgendwo auf den Dachböden oder hinter den Schränken der Deutschen. – Der Mitarbeiter der Bundesbank berichtet: Ein älterer Rentner, der schon mit Tränen in den Augen hier ankam, hat sich mit seiner Frau ein Leben lang wenig gegönnt. Die beiden haben immer gespart und sind gerade so über die Runden gekommen. Nachdem die Frau verstorben war entdeckt er, dass die Frau über das ganze Leben vom Haushaltsgeld D-Mark abgezweigt hat. Er findet dann auf dem Speicher tatsächlich eine knappe viertel Million D-Mark. Er war zu Tränen gerührt und wollte sich zumindest im Alter das Eine oder andere noch gönnen.

Der Euro als D-Mark Nachfolger hat es immer noch schwer. Das weiß man auch ein paar Etagen über den Schaltern. Ganz oben in der Bundesbank wissen sie um die Probleme des Euros: Er kommt jetzt in das Teenagealter. Da wissen diejenigen, die Eltern sind, dass es dann Probleme geben kann. Aber wir werden diese Probleme meistern. Ich sehe schon, dass der Euro auch in der Krise an Attraktivität gewonnen hat, auch für unsere Osteuropäischen Nach-barn.

Tatsächlich ist für viele Staaten Mittel- und Ost-Europas der Euro so etwas wie die letzte Hoffnung. – Beispiel Polen: Das Land schlägt sich tapfer in der Finanzkrise. Doch der Kurs des polnischen Zloty wurde arg gebeutelt. Auf vielen Märkten ist die Stimmung schlecht. Im-porte aus dem Ausland werden immer teurer. Viele hier haben Kredite in ausländischen Wäh-rungen. Der Zloty im Portemonnaie wird zum Problem. – Ein Herr: Ich denke, wir sollten dem Beispiel der Länder folgen, die den Euro eingeführt haben. Obwohl zuerst die Preise gestiegen sind, habe am Ende alle gewonnen. – Eine junge Frau: Ich vermute, dass dann die Preise leider anziehen wie etwa in der Slowakei oder in Spanien. Doch die Kredite hier, ich habe einen in Schweizer Franken, die werden dann hoffentlich wieder bezahlbar. – Richtung Euro: Im Polnischen Finanzministerium halten sie Kurs, in Krisenzeiten erst recht: Der Euro würde den Menschen größere Stabilität garantieren. Für alle, die Kredite in Euro oder anderen Währungen aufgenommen haben, würde sich die Lage bessern. Es gibt kein ideales Währungs-System. Jetzt, da der Zloty so stark abgewertet wurde, macht das die polnischen Exporte konkurrenzfähiger, aber auf Kosten teurer Importe. Das Wichtigste, was der Euro uns hier bringen würde ist also Stabilität.

Im Osten drängen sie in den Euro, und im Westen bei den Euro skeptischen Briten, gibt es da nichts Neues? – Eine Engländerin: Wir sollten bei unserem Pfund bleiben. Das ist unsere Identität, und wichtig für unser Land. Das Pfund ist einfach englisch, Teil unseres Nationalstolzes. – Ein Herr: Wir sind mit dem Pfund verbunden. Da ist doch unsere Queen drauf abge-bildet. – Eine Mehrheit der Briten hat den Euro abgelehnt von Anfang an. Das Pfund ist ja die älteste Währung der Welt. England hängt besonders an seinen Traditionen, vielleicht weil es ahnt, dass es seine besten Jahre hinter sich hat. Die Rezession hat das Vereinigte Königreich hart getroffen. Die Immobilienblase ist geplatzt und der Finanz-Industrie geht es besonders schlecht. Viele Läden bieten nur noch sich selbst an. Londons Kings Road hat reichlich von ihrem Charme eingebüßt. Das Pfund verliert kräftig gegenüber dem Euro. Und doch, oder vielleicht gerade deshalb, bügelt die Regierung Fragen nach einem möglichen Beitritt so schnell ab, dass man genau zuhören muss: Unsere Position zum Euro hat sich nicht verändert! – Doch während eine Mehrheit der Briten den Euro ablehnt, gibt’s im Westen doch noch etwas Neues: In einigen Küstenorten findet eine friedliche Invasion statt. Sie kommt in Form von Geldscheinen. Für 40 Euro kann man sich einen Überblick verschaffen, und sehr schnell wird klar, der Ort lässt sich gern erobern. – Wir haben festgestellt, sagt ein Herr, dass eine Menge Geschäfte hier bei uns Euros annehmen. Das nimmt zu; Das gilt als vielversprechend. – Halb zieht es sie, halb sinken sie dahin. Neben diesem Ort sind weitere britische Küstenorte dem Lockruf des Euros gefolgt. Auch im Taxi zeigt sich, nicht überall wo Pfund draufsteht, muss auch Pfund hineinkommen. Der Fahrer nimmt auch gern ein paar Euros. Auch in den Restaurants hat Europas Währung Einzug gehalten. So wird das britische Nationalgericht >Fish und Chips< nicht mehr ausschließlich in Pfund berechnet. Wenn es ums Geld geht, besonders in Rezessionszeiten, sind auch Briten pragmatisch. Fachleute verbinden allerdings keinen ideologischen Wandel damit: Die Gegner einer Euro-Mitgliedschaft sagen, seht die Abwertung unseres Pfundes hilft gerade unsere Wirtschaft wiederzubeleben. Die Befürworter sagen, wären wir Mitglied in der Eurozone, wären wir wenigstens geschützt vor Instabilität. Die Krise hat die Unterschiede in den Haltungen von Euro-Befürwortern und -Gegnern zementiert.

Wer hätte das denn gedacht, dass die Briten überhaupt mal anfangen, über den Euro ernsthaft nachzudenken. In einer starken Gemeinschaft lebt es sich eben besser und sicherer, gerade jetzt. Allerdings ist der Euro in Großbritannien keine zweite Währung oder Geheimwährung wie damals in vielen Ostblock-Staaten. Aber, wer weiß, wer weiß was noch kommen kann. Es gibt schon Menschen, die ihr Geld in Euro oder Euro-Aktien anlegen, weil sie sich dadurch sicherer fühlen.

Sechszehn Währungen verschmolzen zu einer Neuen. Inwiefern hilft der Euro mitten in der Krise weiter? – Der Experte: In den vergangenen Jahrzehnten waren Wirtschafts- und Finanz-krisen immer begleitet von größeren Verwerfungen an den Devisenmärkten. Davor hat uns eigentlich dieses große Boot, in dem wir mit dem Euro alle sitzen geschützt. Innerhalb Europas gibt es keine Wechselkurs-Schwankungen mehr. Das hat auch den innereuropäischen Handel in früheren Phasen gestärkt, zu Beginn der Währungsunion. Jetzt hat es zumindest zu seiner Robustheit beigetragen. Wir hätten sicherlich deutlich mehr gelitten, hätten wir nicht innerhalb Europas eine gemeinsame Währung und vergleichbare Preise.

Es ist wohl wie mit jeder Münze, alles hat zwei Seiten. – Der Befürworter: Ohne den Euro hätten wir gerade in Deutschland eine deutliche Aufwertung der D-Mark gehabt. Das bedeu-tet, dass die Export-Schwierigkeiten, die wir ohnehin in Deutschland hatten, noch mal verstärkt worden wären. Der Rückgang der Konjunktur wäre noch kräftiger ausgefallen als das mit dem Euro der Fall ist. Der Euro schützt schon ein bisschen vor dem, was in der Welt vorgeht. Aber die Welt ist ja derartig vernetzt über Finanzmärkte und auch Güter-Märkte, dass man sich heute nicht mehr absolut abschotten kann davon, dass in anderen Regionen, wie jetzt in den USA eine sehr, sehr schwere Rezession herrscht.

Schwere Rezessionen über Währungsräume hinweg. Besonders an Grenzen lassen sich die handfesten Folgen beobachten. Den gebeutelten Iren hilft der Euro jetzt sogar. Ein kleiner irischer Ort ist ungeahnt und ungewollt zu einem Beispiel dafür geworden, was Währungs-Kurse im richtigen Leben bedeuten können. Hier sind im Umland noch mehr >Zu verkaufen< Schilder zu sehen als im Rest des Landes. Der irische, und damit Euro-Ort liegt allzu nah am Vereinigten Königreich mit seinem Pfund. Alle Geschäfte und Betriebe stehen auf der Kippe. – Eine Ladeninhaberin: Die Grenze ist nicht mal zwanzig Kilometer entfernt. Man kann schnell mal rüberfahren. Die Preise drüben in Britischen Pfund sind einfach besser. Es ist viel billiger, dort einzukaufen. Das bedeutet für uns, dass die Geschäfte hier eingebrochen sind. Es ist sehr ruhig geworden, die Stadt liegt am Boden. – An einem Montagmorgen macht sich eine >Völkerwanderung< auf den Weg nach drüben. In Britannien wird ja eigentlich in Pfund gerechnet. Doch für die Leute zählt nur der Umtauschkurs. Das Pfund ist wegen der britischen Rezession noch ein bisschen schneller gefallen als der Euro. Selbst das irische Nationalge-tränk ist hier jetzt günstiger als zuhause. – Ein Käufer: Wir sind aus Irland gekommen, weil es hier billiger ist. Ich spare jede Woche bis zu 60 Euro, wenn ich hier einkaufe. – Eine junge Frau: Wir haben heute 400 Euro ausgegeben. Zuhause in Dublin hätten wir 100 Euro mehr bezahlen müssen. – Man spricht >Euro<. Das britische Örtchen hat sich auf seine neue Kund-schaft eingestellt. Obwohl ein Euro eigentlich etwas weniger wert ist als ein Pfund bieten viele Geschäft sogar an die Preise in Pfund und Euro gleich zu lassen. Fast die Hälfte der Kunden kommen aus Irland. Sie haben pfundweise Euro in der Tasche. Damit das so bleibt, wird das Einkaufszentrum ausgebaut. Die Währungsgrenze in Irland verschwimmt.

Ist der Euro nun jetzt ein Fluch oder ein Segen? Vielleicht hat der Euro ja tatsächlich ein paar Schwächen, oder überwiegen doch die Vorteile. Die Fachleute sind in ihrer Bilanz gespalten: Unter dem Strich sieht die Bilanz leicht positiv aus. Denn der Euro wird zunehmend zu einer Welt-Reservewährung, weil er einen so großen Wirtschaftsraum im Hintergrund hat. Eine große Reservewährung zu besitzen hat natürlich immer Vorteile. – Ein Kritiker: Es war das schlechteste Geschäft nach dem Zweiten Weltkrieg die eigene Währung aufzugeben, und in eine Gemeinschafts-währung von sechzehn Partnern einzutreten.

So oder so, der Euro plant seine Zukunft. In drei Jahren soll in Frankfurt Europas neue Zentralbank stehen. Dann basteln sie dort weiter an dem bisher einmaligen Projekt einer Länderübergreifenden Währung. Wo wird die in weiteren zehn Jahren stehen? – Der Experte: Ich glaube, dass es vier wesentliche Leitwährungen geben wird. Nach wie vor den Dollar, aber mit einer abnehmenden Bedeutung. Zweitens den chinesischen Yuan mit einer zuneh-menden Bedeutung. Drittens der Yen, mit einer tendenziell abnehmenden Bedeutung. Viertens der Euro, mit einer tendenziell zunehmenden Bedeutung. – Der Hüter des Euro: Ich glaube, in zehn Jahren leben wir in einem völlig anderen Universum. Auch wenn dieses Jahr sehr schwierig ist kann ich sagen, dass die Europäische Zentralbank und der Euro sicher in die Zukunft gehen.

 

Steuerreform

 

Was nun das Beste ist für unser Land, das wusste 2003 offenbar niemand so genau. Steuern runter, damit sind alle einverstanden. Sogar der Kanzler hat signalisiert, dass er sich vorstellen kann, die dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Das hieße, ab 1. Januar 2004 deutlich mehr Geld für alle Steuerzahler. - Aber was bringt das der Konjunktur? - Manch einer dreht den Euro lieber zwei mal um, bevor er ihn ausgibt.

 

Den Verbrauchern sitzt das Geld nach wie vor nicht locker im Portemonnaie. - Konsumflaute, viele Geschäfte müssen schließen, überall Sonderangebote. Hilft nichts, die Kunden verzichten weiter.

 

Wünsche haben sie aber alle. Die Idee der Bundesregierung, die Steuern früher zu senken als geplant, kommt gut an. Einige verfassen im Geiste schon den Einkaufszettel. – Gegenstände, Einrichtungs-Gegenstände, auch vielleicht mehr in Reisen investieren. Ja, ich glaube ich würde es konsumieren, und damit die Wirtschaft ankurbeln. - Also, ich glaube, da würde ich dem Kleinen was gönnen, und ein bisschen Urlaub vielleicht für uns, einen Tag mehr oder zwei. - Ich würde mir in diesem teueren Viertel hier, ein besonders Anziehstück kaufen. - Ich glaube nicht, dass das mir helfen würde, wenn man die Beträge sieht. Also, so wahnsinnig viel ist das nicht.

 

Und so viel hätte man mehr in der Tasche, wenn die dritte Stufe der Steuerreform tatsächlich schon nächstes Jahr kommt: Ein Singlehaushalt z.B. mit einem Brutto-Einkommen von 2300 Euro im Monat wird um 50 Euro entlastet. - Verheiratete, die 3700 Euro brutto verdienen, haben pro Monat 65 Euro mehr. - Bei höheren Einkommen steigt die Steuerersparnis. Das macht den Normalverbraucher nicht zum Millionär, doch den Staat kostet es Unsummen. Kommt die Steuerreform auf einen Schlag, gehen dem Haushalt 25 Milliarden Euro verloren.

 

Doch wie soll das bezahlt werden? Auf keinen Fall durch noch mehr Schulden, warnt der Wirtschaftsforscher. Sein Vorschlag ist Subventionsabbau. Und der soll alle betreffen. Bauern und Berufspendler, Häuslebauer und Nachtarbeiter. - Ich plädiere dafür, sozusagen nach Art der Rasenmäher-Methode vorzugehen. D.h. generell Subventionen abbauen ab einem bestimmten Betrag, bei allen. Dann sind alle betroffen, und der Aufschrei wird nur einmal laut, aber nicht so. Dann geht nicht der Kuhhandel los, was sind gute und was sind schlechte Subventionen.

 

Die Sorge der Verbraucher: Was sie als Steuer geschenkt bekommen, wird ihnen bei Pendler- oder Eigenheim-Zulage wieder weggenommen. - Mehr kaufen können sie dann auch nicht. Und von der Steuerpolitik erwartet keiner Wunder. Manch einer befürchtet dagegen, dass die Leute dann eher das Geld aufs Sparkonto packen, sich erst mal im Konsum zurückhalten, und schau´n was kommt. - Ich bin da nicht so optimistisch. Also, ich glaube da müssen noch ein paar andere Signale passieren, das man auch der Regierungspolitik und der Wirtschaftspolitik wieder wirklich glauben kann. - Solange also die Verbraucher nicht wirklich darauf vertrauen können, dass ihre Brieftaschen wieder dicker werden, werden auch ihre Einkaufstüten nicht voller.

 

Ob die Bundesregierung nun wirklich die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen will, darüber will sie bald beraten. - Von der Klausur der Bundesregierung kommt eine gute Nachricht. Im nächsten Jahr müssen wir alle im Schnitt 10% weniger Steuern zahlen, damit wir endlich mehr konsumieren, und damit der Wirtschaft aus der Patsche helfen. - Doch die um ein Jahr vorgezogene Steuer-Entlastung muss ja von irgendjemanden bezahlt werden. Und da könnte es sein, dass der Staat uns mit einer Hand was gibt, und mit der anderen was wegnimmt.

 

Doch dann schwimmen uns die Felle wieder weg. Landunter für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland. Bundeskanzler Gerhard Schröder musste handeln. Er weiß, wenn nichts geschieht dann brechen auch die letzten Dämme. - Sein Rettungsplan: Die für 2005 geplante Senkung der Einkommenssteuer wird um ein Jahr vorgezogen, damit die Verbraucher mehr Geld in der Tasche haben. Das soll die Nachfrage ankurbeln. Und wenn die Nachfrage steigt, stellen die Unternehmen auch wieder Leute ein, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Das hofft der Kanzler. - Und so sieht der Plan aus: Der Grundfreibetrag steigt auf 7664.00 Euro. Mehr Einkommen als bisher bleibt steuerfrei. Der Eingangssteuersatz, wichtig für kleine Einkommen, sinkt auf 15%. Der Höchststeuersatz sinkt auf 42%, weniger Lasten auch für Reiche. - Das Paket senkt die Steuern für alle im nächsten Jahr um 18 Milliarden Euro. - Beispiel 1: Eine Frau, unverheiratet, zu versteuerndes Einkommen 30000.00 Euro. Entlastung im Vergleich zu 2003 = 611.00 Euro. - Beispiel 2: Ein Ehepaar, zu versteuerndes Einkommen 50000.00 Euro. Entlastung = 972.00 Euro.

 

Doch da stellt sich die Frage, wie wird die Rettungsaktion finanziert? Denn Steuern senken heißt ja, noch weniger Geld um Schulgebäude zu sanieren. Noch weniger Geld für Lehrer, für Schwimmbäder und für Kinderhorte. - Zur Finanzierung hatte Bundeskanzler Schröder drei Vorschläge in der Jackentasche:

Neue Schulden, Staatseigentum verkaufen, Subventionen abbauen, das kommt vielen teuer.

Die Eigenheimzulage für Bauherren und Hauskäufer wird gestrichen. Das spart 10 Milliarden Euro.

Die Entfernungspauschale für Berufspendler wird gekürzt. Geschätzte 1 bis 2 Milliarden Euro.

Rentner bekommen weniger = 2 Milliarden Euro. Beamte und Pensionäre: Einsparung beim Weihnachts- und Ur-        laubsgeld = etwa 2 Milliarden Euro.

 

Diese Rettungsaktion greift viel zu kurz, sagen hingegen manche Experten. z.B. Professor Paul Kirchhof, ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht. Er fordert: Steuersubventionen auf breiter Front streichen. Das Gesetz ausmisten. Weg mit allen Ausnahme-Regelungen. Das hieße für Arbeitnehmer und Unternehmen endlich einfaches Steuerrecht. Und statt 18 Milliarden Euro weniger Steuern, 40 Milliarden Euro. Ein Riesen Schub für die Wirtschaft.

 

Doch soweit wollen unsere Rettungshelfer nicht gehen. Sie setzen auf Reform light, und sie stoßen mit ihrem Plan auf Widerstand. - Die CDU/CSU sagte, das ganze Projekt ist unseriös, die Finanzierung ist faul. Sie will die Reform im Bundesrat kippen. - Ob es dem Kanzler gelingt, einen Kompromiss mit den Christdemokraten zu finden? Die Zeit drängt – das Wasser steigt!

 

Wenn die Koalitionäre dann schon so schön beisammen sitzen, wollen sie gleich auch über die Renten reden. Von Renten-Kürzung redet da offiziell natürlich niemand. Dabei ist allen klar, dass es so nicht weitergehen kann. Denn die Beiträge zur Rentenversicherung reichen hinten und vorne nicht. Die Regierung muss immer mehr zuschießen aus Steuergeldern. Die sogenannten Renten-Zuschüsse haben sich dramatisch erhöht.

 

1972 bei einem Gesamt-Haushalt von 57 Milliarden Euro gingen schon 12% für die Renten drauf.

Im Jahr 2002, bei einem Bundeshaushalt von 250 Milliarden Euro waren es 30%, das sind rund 75 Milliarden Euro. D.h. knapp jeder dritte Euro vom Bundeshaushalt geht inzwischen für die Renten drauf. Und die Beiträge dürften trotzdem weiter steigen.

 

Fragt sich, wo bleiben eigentlich unsere Rentenbeiträge? - Bei den Rentnern, das ist klar. Aber wer von denen hat wirklich was davon?

 Zwei Rentnerinnen, knapp über 70 Jahre alt, beide gelernte Schneiderinnen, beide Mütter und inzwischen Witwen. Nur, dass es beiden gleich gut geht, das kann man nicht gerade behaupten.

Inge Schmidt, 73 Jahre, Rentnerin. Die Steuererklärung ist eine lästige Pflicht, sagt sie, aber wenigsten bin ich überdurchschnittlich gut versorgt. Einmal meine Altersrente, für die ich selbst gearbeitet habe, und dann Witwen-Rente und eine Betriebsrente bekomme ich. Und damit kann man dann schon ganz gut leben. Wenn man dann gut damit umgegangen ist, gute Berater gehabt hat, ist man gut abgesichert. - Sie kann sich einen Urlaub im Jazz-Paradies New Orleans erlauben, und ein Pop-Konzert in Hamburg ist auch noch drin. - Als Tom Jones hier war, also meine Kinder saßen, meine Tochter auch ganz ruhig und still, und neben mir saß ein anderer junger Mann, und wir beide waren richtig, waren richtig im Gange. Da ist ja die Post abgegangen.

 Haushalt, zwei Kinder, und den Beruf als Buchhalterin, Inge Schmidt konnte das 30 Jahre lang gut miteinander vereinbaren, auch, weil ihr Mann, ein Ingenieur immer mitgezogen hatte. – Da hat mein Mann gesagt, ich bin so stolz drauf, die hat sich so in ihre Arbeit gestürzt. Und da bin ich heute meinem Mann noch dankbar für. - Die gutversorgte Inge Schmidt schmiedet Pläne für den Abend. Ins Theater soll es gehen, zusammen mit fünf Freundinnen. Schülertheater, der Enkel spielt mit. Die stolze Oma versteht sich mit ihm richtig gut, nimmt ihn auch gerne mal in den Urlaub mit.

 Inge Schmidt arbeitet ehrenamtlich als Buchhalterin. Sie ist die gute Seele beim Senioren-Bildungswerk, und macht die Kasse. Doch für heute ist erst mal Feierabend. - Pünktliches Treffen mit den Freundinnen. Die Jüngste ist 64 und die Älteste 88 Jahre alt. Das Schüler-Theater wartet. - Und auch der schauspielende Enkel macht sich Gedanken über Generationen-Gerechtigkeit: Ich denke, dass es ihre Generation ist, der es am besten geht auf lange Zeit. Aber es wäre auch ungerecht denen jetzt etwas wegzunehmen, was sie sich jahrelang erarbeitet haben. Man wird uns was wegnehmen, schön finde ich das natürlich nicht, auch nicht gut und nicht richtig, aber das wird passieren.

 Inge Fuhrmann dagegen, lebt finanziell in einer anderen Welt. Ihr Mann war Arbeiter. Sie hat die fünf Kinder großgezogen. Die Folge, ihre Rente ist schmal. - Ich will nicht sagen, ich überziehe meine Miete, erklärt sie. Oft muss ich mir überlegen, kann ich oder kann ich nicht. Oder man muss tatsächlich einfach mal sagen, ich will das aber jetzt, und dann muss man etwas anderes entbehren. Anders geht’s nicht. Wir werden bestraft dafür, dass wir für unsere Kinder da waren. - Urlaub geht nur, wenn die Kinder helfen. - Die Witwen-Rente reicht eben gerade fürs Nötigste. 815 Euro bekommt sie von der Rentenversicherung.

 Einkaufen geht nur im Discount-Supermarkt. - Ihre fünf Kinder haben alle Arbeit, zahlen also in die Rentenver-sicherung ein. - Inge Fuhrmann hilft das wenig, sie muss mit jedem Cent rechnen, und holt sich vom günstigen Brot das beste heraus. - Aber glücklich ist sie damit nicht. Ich würde natürlich auch lieber etwas anderes kaufen. Schön beim Schlachter Aufschnitt holen. Das ist natürlich etwas anderes als abgepackte Sachen kaufen. Fleisch gibt es meist einmal in der Woche, sonntags.

 Die Debatte über Renten-Kürzungen, die macht Inge Fuhrmann Angst. Als wenn sie uns Rentner los sein wollen. Denn wenn wir gar nichts mehr kriegen oder immer weniger kriegen, es gibt ja noch welche, die noch weniger haben. Die Sozialfälle direkt jetzt, bitte verhungern.

 Spaß haben kann man aber auch mit wenig Geld, und guten Freunden. Möchte jemand noch was zu trinken? Ich will was. – Zwei mal in der Woche arbeitet Inge Fuhrmann in einem Senioren-Club, ehrenamtlich. Dafür gibt’s dann günstige Ausflüge mit dem Club.

 Was ist gerecht? Wie viel steht denen zu, die das Land wieder aufgebaut haben? Und wie soll es verteilt werden? Und vor allem, wie viel können die Jungen zahlen?

 Es klingt gemein, aber wer sieht wie die eine Rentnerin knausern muss, während die andere doch recht gut leben kann, der kommt vielleicht auf die Idee der wohlhabenderen Rentnerin was weg zu nehmen. Aber mit welchem Recht? Renten kürzen, das ist nicht vorgesehen von unserer Verfassung. Trotzdem wimmelt es von Vorschlägen, die Renten indirekt zu schmälern. Da macht sich der aufmerksame Ruheständler so seine Gedanken, was da wohl auf ihn zukommt.

 Im Urlaubsvideo eines Rentners gibt es in diesem Sommer nur wenige Schönwetter-Bilder, denn die Aussichten für sein Ruhegeld sind eher grau. - Das deutsche Rentensystem muss fit gemacht werden, darin sind sich alle Politiker einig. Ein Vorschlag: Bei den Reichen kürzen, also nur die betuchten Rentner zur Kasse bitten. Doch so einfach ist das nicht. Eine einseitige Rentenkürzung verstößt gegen die Verfassung, denn Artikel 5 in Absatz 1 im Grundgesetz schützt das Eigentum. Und das ist nicht nur das Auto, sondern auch die Rente, oder für die Jungen, die Anwartschaft darauf. - Doch es gibt noch andere Möglichkeiten den Rentner von heute zur Kasse zu bitten. z.B. mit einer Null-Runde. Seine Rente würde dann nicht mehr mit den Netto-Löhnen steigen. Das plant die Regierung für 2004. Erlaubt ist das wegen der Wirtschaftskrise. Frust für den Rentner zum Wohle der Jungen, denn seine Null-Runde senkt den Beitragssatz für die heutigen Arbeitnehmer.

 Und es droht noch mehr: Geplant ist auch eine neue Rentenformel. Zukünftig soll mit dem Nachhaltigkeitsfaktor gerechnet werden. Der berücksichtigt, dass es immer mehr Rentner, und immer weniger Beitragszahler gibt. Folge: Die Rentner stehen im Regen. Ihre Rente steigt entsprechend langsamer.

 Für viel Wind sorgt vor allem die Krankenversicherung. Heute zahlt die Rentenkasse 50% der Beiträge, die anderen 50% muss der Rentner zahlen. Zum Jahresende aber könnte das Verhältnis schon 25 zu 75 sein. Der Rentner müsste also 75% selbst bezahlen. - Das wäre eine Rentenkürzung von satten 3,5%.

 Renate Thiemann vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger erläutert: Also, wir hatten im Jahre 1983 schon mal eine ähnliche Situation. Bis Mitte 1983 war nämlich kein Rentner an seiner Krankenversicherung beteiligt. Mit der Rentenanpassung 1983 wurde die Selbstbeteiligung der Rentner eingeführt, langsam zwar mit 1%. Aber es stieg relativ schnell auf die Hälfte an. - Es ist sicherlich möglich die Selbstbeteiligung zu erhöhen. Man müsste aber abklären, wenn eine Renten-Kürzung, also eine Kürzung des Zahlbetrages dabei heraus käme, ob das das Bundesverfassungsgericht noch tragen würde.

 In der Regel ist es so, dass Verbände klagen werden. Wie dann entschieden wird kann man heute nicht sagen. Seinerzeit war das ganz anders. 1983 gab es relativ hohe jährliche Renten-Anpassungen, so um mehr als 3%. - Ab Juli 2003 sind es 1,04% in den alten und 1,19% in den neuen Bundesländern.

 Wir haben momentan zwei Probleme. Wir haben einmal ein kurzfristiges Problem, weil die Wirtschaftlage schlecht ist, und wir sehr, sehr viele Arbeitslose haben, und im nächsten Jahr dadurch ein Beitragsanstieg droht von jetzt 19,5% auf 19,8%. - Das zweite Problem ist, dass, Gott sei Dank, die Bevölkerung immer älter wird, und natürlich dadurch auch viel länger Rente bezieht. 1960 hatten wir Rentenbezugzeiten von durchschnittlich knapp 10 Jahre, wir hatten im Jahre 2001 über 16 Jahre.

 Dem demografischen Wandel könnte der Nachhaltigkeitsfaktor Rechnung tragen, der im Moment im Gespräch ist. Und der auch von Rürup-Kommission vorgeschlagen wurde. Das Sozial-Ministerium prüft im Moment, inwieweit also dieser Faktor in die Rentenanpassungs-Formel eingearbeitet werden kann. Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit.

 Das kann bedeuten, dass die jährlichen Rentensteigerungen in den nächsten Jahren sehr minimal ausfallen.      In den Rentenanpassungen ist jetzt schon die so genannte Riester-Rente eingebaut, und dieser Altersvorsorgefaktor senkt im Grunde schon die Rentenanpassung. Also, die jetzigen Rentner sind auch schon beteiligt.

 

Sind unsere Politiker Idioten?

 

Ich persönlich glaube es nicht, auch wenn Politiker untereinander sich manchmal so oder so ähnlich betiteln. Manche Beurteilungen von Auswirkungen und Entwicklungen eingeleiteter Maßnahmen durch Politiker lassen aber negative Schlüsse ohne weiteres zu.

 Die Erhöhung der Tabaksteuer z.B. hatte zufolge, dass Raucher ihr Rauchverhalten verändert haben. Sie beziehen verstärkt ihre Zigaretten aus legalen oder auch illegalen Importen aus dem benachbarten Ausland. Selber drehen ist wieder in Mode gekommen. Aber auch verminderter Konsum und Konsumverzicht spielen eine bedeutende Rolle. Jetzt „bedauern“ manche Politiker, dass die Einnahmen durch Tabaksteuer geringer ausgefallen sind. Das war aber doch zu erwarten, und auch das eigentliche Ziel! Bisher habe ich noch keine Äußerung der Politik zu den erwünschten Auswirkung auf die Gesundheit der „ehemaligen“ Raucher, und somit auf die Entlastung der Kassenleistungen der Versicherungen gehört.

 Bei der Erhöhung der Mineralölsteuer ist man doch auch von geringerem Verbrauch von Kraftstoff ausgegangen. Auch hier haben sich die Autofahrer in ihrem Verhalten umgestellt. Sie tanken und fahren wesentlich bewusster, was sich auf die Umwelt deutlich positiv aus-wirkt. Warum klagt man hierbei über geringere Steuereinnahmen?

 Hartz IV ist ein weiteres Beispiel für die Fehleinschätzung der Auswirkungen. Abschließend konnte man zum damaligen Zeitpunkt noch keine Aussagen machen. Aber die erwarteten Ablehnungen sind wesentlich geringer ausgefallen, und die durchschnittliche Leistung für die einzelnen Betroffen wesentlich höher. Damit ist aber nur der Start betrachtet. Warten wir mal ab, was noch alles passiert.

 Ich wagte die Prognose, dass entgegen der Erwartungen keine regulären Arbeitsplätze durch Hartz IV entstehen, und sich die Arbeitslosenzahlen nicht verringern. Genau das Gegenteil ist der Fall. In der offiziellen Statistik wurden über 5 Millionen Arbeitslose geführt. Und die Experten sind sich einig: Insgesamt liegt die Arbeitslosenzahl bei 9 bis 10 Millionen!

 Für die Betroffenen sind die Auswirkungen unübersehbar dramatisch. Man hat nicht einmal bedacht, dass die in einer Partnerschaft lebende Menschen, die kein Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe erhalten, jetzt nicht mehr krankenversichert sind. Sie sind nicht mitversichert und können sich einen eigenen Versicherungsschutz nicht leisten. War oder ist das so gewollt?

 Die LKW-Maut ist nach langwierigen Pleiten und Pannen jetzt eingeführt. Nach der langen Vorbereitungszeit hätte man eigentlich alle Auswirkungen bedenken müssen. Jedem normalen Bürger war bereits vorher klar, dass verstärkt LKWs auf Bundes- und Landstraßen ausweichen werden, um die Mautstellen zu umgehen. Die Belastung der betroffenen Ortschaften ist unerträglich.

 Nicht nur die zusätzlichen LKWs in den Orten führen zu einer erhöhten Feinstaubbelastung. Die Kathalisator-Pflicht für Dieselfahrzeuge hätte man schon vor Jahren durchsetzen müssen. Wenn man jetzt diesen Zustand durch Verlagerung des Verkehrs oder, was noch schlimmer ist, durch Verlegung der Messstandorte regelt, ist an der Ursache nichts gebessert. Wer übernimmt die Verantwortung für die Menschen, vor allem für die Kinder, die tagtäglich den Feinstaub einatmen?

 Einhellig hat man die EU-Erweiterung beschlossen und begrüßt. In einigen Ländern war man sich bewusst, dass man die eigene Wirtschaft, vor allem das Handwerk, vor Billiganbietern und Lohndumping schützen muss. War das unseren Politikern und den Experten in den Ministerien nicht bekannt? Oder werden entsprechende Prognosen von den Politikern einfach ignoriert? Es scheint alles mehr chaotisch als geordnet und geplant zuzugehen!

 Ist es also tatsächlich so, dass sich die intelligenten Köpfe, die früher mal in der Politik und später in der Industrie tätig waren, sich heute fast ausschließlich in den Medien tummeln. Aber, nur durch schlaue Reden wird nichts bewegt und bewirkt.

 

Beschäftigungspflicht

 

Die Beschäftigungspflicht ist die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer gemäß der vereinbarten Tätigkeit zu beschäftigen; Ausnahme z.B. Arbeitsmangel.

Die Beschäftigungspflicht basiert auf dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, das es dem Arbeitgeber verwehrt, mit der Arbeitskraft des Arbeitnehmers beliebig zu verfahren.

Beschäftigungspolitik

 

ist die Gesamtheit aller staatlichen Maßnahmen, die darauf abzielen, Vollbeschäftigung zu erreichen. Der Staat kann beschäftigungspolitisch wirken, indem er das Verhalten der Tarifpartner beeinflusst oder externe und interne Störungen der Güter- und Faktormärkte mit prozess- und ordnungspolitischen Maßnahmen abzufedern versucht. Träger der Beschäftigungspolitik sind vor allem die nationalen Gebietskörperschaften und Sonder-Organisationen (z.B. Bundesanstalt für Arbeit). Die Tarifvertragsparteien handeln Lohnsätze, Gehälter und Arbeitsbedingungen autonom aus (Tarifautonomie), sodass der Staat nur subsidiär durch die Beschäftigungspolitik in den Arbeitsmarkt eingreift.

 Keine Regierung kann Arbeitsplätze schaffen. Auch eine große Koalition wäre dazu nicht in der Lage. Selbst bei der Einigkeit aller Parteien würden keine Arbeitsplätze entstehen. - Eben so wenig ist von einem Bündnis für Arbeit zu erwarten. Bei Berücksichtigung fast aller Interessen von Unternehmen, Arbeitnehmern, Gewerkschaften sowie Grüppchen und Clübchen kommt stets nur Stück- und Flickwerk heraus.

 Werden wir von Ohnmacht und Hilflosigkeit regiert? - Ein Chinese z.B. könnte nie verstehen, dass wir uns eine solche Regierung freiwillig gewählt haben. Fähigkeiten spielen kaum eine Rolle.

 Der Bundeskanzler wird von einem alten Kumpel aus jungen Tagen gefragt: Hast du keinen Job für mich? – Das ist überhaupt kein Problem. Ich brauche ständig neue Minister. Dann verdienst du monatlich so 150000,00 Euro. – Ja, aber du weißt doch, dass ich kein Mann für die Öffentlichkeit bin! – Das macht doch nichts, dann wirst du eben Staatssekretär und bekommst immerhin noch 100000,00 Euro. – Nein, du weißt doch, dass ich kein Beamtentyp bin. Ich möchte einen ganz normalen Job, so mit 3000,00 Euro im Monat. – Oh, dass ist aber schwer. Welche Qualifikationen hast du denn?

 Mit diesem Witz aus dem Leben bringen wir allerdings die Arbeitslosen auch nicht in feste Arbeitsverhältnisse. Nur die Stärkung der Kaufkraft und damit die Steigerung der Nachfrage kann die inländische Wirtschaft in Schwung bringen. - Dazu muss vor allem die Stimmungslage wieder von „tief“ auf „hoch“ gedreht werden.

 Um irgendwelche willkürliche Kriterien zu erfüllen (Euronorm) werden Investitionen gestrichen und alles auf „Sparflamme“ gekocht. Man kann sich aber auch kaputtsparen!

 Bei Investitionen in die Infrastruktur etc. kann man auch den nachfolgenden Generationen, die davon mit profitieren, einen Teil der Kosten zumuten. Es ist unmöglich, dass dringende Instandhaltungsmaßnahmen z.B. in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, öffentlichen Gebäuden etc. nicht durchgeführt werden. Das Handwerk, der Handel und die Industrie sind dringend auf Aufträge aus diesem Bereich angewiesen. Durch moderne Heizsysteme z.B. würden vor allem auch Kosten und Energie in Form von Öl, Gas, Kohle etc. eingespart, und es wäre wesentlich umweltfreundlicher als die ganze Öko-Steuer.

 Auch Betriebe, denen es verhältnismäßig noch gut geht, halten eigentlich notwendige Investitionen zurück. Dabei wäre es z.Zt. wichtig und kostengünstig. Man übersieht in der Industrie, dass die Mitarbeiter der ausführenden Firmen und Lieferanten ja z.T. auch wieder Verbraucher und Kunden für die eigenen Produkte sind. Aber wer kauft schon etwas, wenn er kein ausreichendes Einkommen hat?

 Schulden und Kredite für die Finanzierung von Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Arbeits-Beschaffungs-maßnahmen etc. dürfen selbstverständlich nicht zu Lasten künftiger Generationen gehen, und eigentlich gar nicht erst gemacht werden. Eine gemäßigte Inflationsrate ist jedoch für die Kreditaufnahme im Privat-Bereich eine Erleichterung für die Tilgung von Krediten und Schuldenabbau.

 Jedoch der Umbau des Sozialstaates ist in Deutschland zwingend erforderlich. Dabei wird allerdings von der Bundesregierung und von den Unternehmen der Abbau von demokratischen und sozialen Grundrechten zu Lasten der Arbeitnehmer angestrebt. - Die Einkommens- und Vermögensspaltung wird vorangetrieben. - Als politische und wirtschaftliche Grundlage für die gesellschaftliche Veränderungsstrategie dient die langanhaltende Massenarbeits-losigkeit. - Arbeitslosigkeit ist längst ein politisches Instrument geworden, das Regierung, Verbände und Unternehmen anwenden, um die Ansprüche der auf Arbeitseinkommen angewiesener Menschen auf ein Leben in materieller Sicherheit, in sauberer Umwelt und in sozialer Gerechtigkeit abzubauen. Sie ist nicht mehr allein das persönliche Schicksal, sondern die Ursache permanenter Haushaltslücken sowie gesamtwirtschaftlicher Verschwendung.

 Mit der Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit erhöht sich die Möglichkeit des gesellschaftlichen und des persönlichen Wohlstandes. Trotzdem wird behauptet, dass sich selbst der bisher erreichte Lebensstandard nicht mehr halten ließe. Wegen der Globalisierung der Wirtschaft wird ein Verzicht auf Lohnerhöhungen etc. gefordert, damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen erhalten bliebe. - Es ist zwar wünschenswert, dass den Unternehmen zusätzliche Weltmarktanteile und Profite erhalten bleiben, aber die große Mehrheit der Bevölkerung hat daran keinen Anteil. Durch die schrumpfende Inlandsnachfrage entsteht neue Arbeitslosigkeit, entstehen sinkende Realein-kommen. Die politische Widerstandskraft von Beschäftigten und Gewerkschaften wird geschwächt. Das bestehende System der sozialen Sicherheit wird z.T. diffamiert und drastisch beschnitten.

 Der Einstieg in die Privatisierung hat bei Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung etc, begonnen. Sie bringt den Versicherten erhöhte Kosten, Risiken und „Unsicherheit“. - Ein Defizit von 6 bis 8 Millionen Arbeitsplätzen ist eine soziale, haushaltpolitische und gesamtwirtschaftliche Belastung, die dauerhaft von keiner Wirtschaft verkraftet werden kann. - Die langanhaltende Massenarbeitslosigkeit birgt auch eine politische Gefahr, weil sie popolistischen rechtsextremen und ausländerfeindlichen Störungen Auftrieb gibt. Das untergräbt die politische Demokratie und fördert den autoritären Staat, der nach außen und nach innen zunehmend aggressiv wirkt.

 Die Opposition will keine Blockadepolitik betreiben, auch nicht im Bundesrat. Sie will konstruktiv an der Verbesserung der Wirtschaftslage mitwirken und helfen Arbeitslosigkeit abzubauen. Diese Aussagen sind erfreulich und Schritte in die richtige Richtung. Leider ist es aber so, dass die Opposition weder allein, noch in Zusammenarbeit mit der amtierenden Regierung die Probleme auch nicht lösen kann. - Allein die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Bundesländer, die in den verschiedensten Konstellationen regiert werden, verhindern ein gemeinsames einheitliches Handeln.

 Bedenklich stimmt, dass die Opposition immer dann der Regierung fast freudig zustimmt, wenn Maßnahmen geplant werden wo die Regierung in den eigenen Reihen oder bei nahestehenden Gewerkschaften auf Widerstand stoßen wird. - Der so genannte „mündige Bürger und Wähler“ erwartet, dass man die Maßnahmen, die allgemein als richtig eingeschätzt werden auch verwirklicht werden. Gerechte Lösungen kann und wird es nicht geben, aber alles ist besser als keine Lösung und meist nur leeres Gerede. Es besteht akuter Handlungsbedarf!

 

Begriffswandel

 

Was früher fördern hieß, heißt heute fordern. Und reformieren bedeutet heute reduzieren, d.h. Kosten-Verlagerung auf Arbeitnehmer und Rentner.

 Regieren heißt heute revidieren und Reversion, und Reserve gibt’s nicht mehr!

 

 

Jammerrepublik Deutschland

 

Fast 5 Millionen Arbeitslose, eine dümpelnde Wirtschaft, bankrotte Sozialsysteme und ein katastrophales Bildungssystem. Haben wir nicht allen Grund zu jammern?

 Nein, natürlich nicht, denn es bringt ja nichts und außerdem geht einem das Jammern ganz schön auf die Nerven. Aber, das Jammern scheint im Trend zu liegen. Häufig gipfelt es ja mit dem Satz: Früher war alles besser. Und spätestens dann, scheint ja der Weltuntergang nicht mehr weit zu sein. Es ist Zeit, um mit einigen Vorurteilen aufzuräumen. (Ich halte es wirklich nicht mehr aus, sagt ein Zeitgenosse. Alles wird teurer, alles. Wenn man sich mal vorstellt, ich erinnere mich an Zeiten, da hat ein Brötchen 5 Pfennig gekostet. Und wenn ich mir heute zwanzig Brötchen kaufe, dann könnte ich mir eben so gut einen Gebrauchtwagen dafür kaufen. Ne, also.) Aber, wenn man einmal nachrechnet, und die Entwicklung von 1960 bis heute verfolgt, stellt man folgendes fest: Natürlich stiegen die Lebenshaltungskosten in dieser Zeit, doch stärker wuchsen die Löhne, auch nach Steuern und Abzügen. Im Klartexte: Wir leben heute billiger als vor 40 Jahren.

 (Das kann ich aber wirklich nicht glauben. Also, wenn ich das hier so lese: Standort Deutschland. Zu hohe Lohnkosten, Steuern, ich kann es wirklich nicht mehr sehen. Wenn ich mir so vorstelle: Es gab mal made in Germany. Das war doch eine Marke, und jetzt?) Die Wirtschaftsprüfer Ernst & Jang sehen das anders. Im Frühjahr 2004 haben sie 500 Unternehmen aus aller Welt nach den besten Wirtschaftsstandorten befragt. Das Ergebnis: Nach dem boomenden China und nach den USA belegt Deutschland den dritten Platz. Nach der Umfrage liegt Deutschland in Europa weit vorne. Für Infrastruktur und Logistik erhielt der Standort die beste Wertung. Auch die Qualifikation der Arbeitnehmer wird für Deutschland am höchsten eingeschätzt. Gute Noten gibt’s auch für Forschung und Entwicklung. Der Standort Deutschland ist Klasse.

 (So, hätte ich nicht gedacht. Aber es gibt noch genug, was wirklich schlimm ist. Wenn ich allein an die Deutsche Bahn denke . . . Was aus der geworden ist. Früher, da hieß es immer: Pünktlich wie die Eisenbahn. Und heute? Von wegen pünktlich.) Früher gab es allerdings auch nicht so viele Zugverbindungen. Heute fahren auf 36000 Kilometern Gleis über 30000 Züge 4,6 Millionen Reisende pro Tag. Trotzdem sind 90 Prozent der Züge pünktlich. Verspätungen gehen oft auf Unfälle und Sabotage zurück, wofür die Bahn nichts kann. Und es ist doch sehr bequem und extrem sicher. Man kann beim Reisen essen, arbeiten und schlafen. Das ist ganz schön komfortabel. (Aber ganz schön teuer. Und wenn ich einmal an meine Verdauung denke, ja, die war früher auch mal besser. Und das ziehen im Rücken? Jammere ich da, ist da von Jammern die Rede? Das ist so.) Die Gesundheit ist mit dem Wetter das Jammerthema Nummer eins. Die Deutschen sind Weltmeister im Arztbesuchen. Elfmal pro Jahr sind sie beim Arzt. Franzosen nur achtmal, Skandinavier nur dreimal. Und, wir jammern beim Arzt so überzeugend, dass es auch dann in acht von zehn Fällen ein Rezept gibt. In Holland z.B. nur halb so oft. (Ne, ne, ne Leute, macht mal halblang. So geht es nicht. Ich bin doch kein Hypochonder. So macht das doch wirklich keinen Spaß.)

 Doch es zeigt sich, dass wir beim Jammern Weltmeister sind. Kein Volk jammert ausdauernder und hingebungsvoller als die Deutschen. Ob Hartz IV oder ob Klima-Kollaps, ob Folgen der Globalisierung, wir reden alles schlechter als es tatsächlich ist. Offenbar ist bei uns diese Neigung zum Lamentieren ganz besonders stark ausgeprägt. Aber, woher kommt das denn? Die Wurzeln dieses typisch deutschen Charakterzuges scheinen in unserer Geschichte zu liegen. Das öffentliche Jammern hat sich in Deutschland zur Hochkultur entwickelt. - (Deutschland rutscht immer tiefer in die Finanzkrise. / Es ist, meiner Meinung nach ein großes Trauerspiel, dass sie das Wachstum zerstören; Den Rest, den wir davon noch haben. / Weniger wird es da auf jeden Fall für den Bürger.)

 Handelt es sich beim Jammern am Ende gar um einen deutschen Charakterzug? Die Deutschen werden als Volk der Dichter und Denker bezeichnet. Was eine positive und eine negative Bedeutung haben kann. Dichter und Denker ist analytisch genau, präzise, korrekt. Dichter und Denker kann aber auch heißen grüblerisch, etwas negativ veranlagt. D.h., irgendwo in unserem Nationalcharakter ist dieses Schwermütige durchaus drin. Und dann kommt natürlich hinzu, unsere historische Erfahrung. In den letzten zweihundert Jahren gab es ja nur wenige Zeiten, in denen es den Deutschen wirklich gut ging, und in denen sie wirklich stolz sein konnten auf ihr Land.

 Schon der Versuch, Deutschland zu gründen scheiterte 1848 kläglich. Im Kugelhagel der Mächtigen zerbarsten Träume von Bürgerrechten, Demokratie und „einer Nation“. - Große Geschichte wollten die Deutschen auch im ersten Weltkrieg schreiben. Was kam, war ein zermürbender Stellungskrieg, der Millionen Menschenleben kostet. - Im Nachkriegselend entstand wieder das Gefühl, gescheitert zu sein, versagt zu haben. Hitler versprach, das beschädigte Nationalgefühl wieder zu reparieren. Er wollte Deutschland wieder stark machen, stärker als alle anderen. Doch, Größenwahn kommt vor dem Fall. Unter 1,4 Millionen Tonnen Bomben zerbarsten nicht nur deutsche Städte. Auch übersteigerter Nationalstolz fällt in Schutt und Asche. Deutschland war geächtet in der Welt, und es fällt schwer, da ein deutsches Nationalgefühl, wenn überhaupt zu entwickeln. Was die Deutschen in dieser Situation getan haben, war, sich in den Aufschwung zu stürzen, in den Wiederaufbau, in das Wirtschaftswunder, um dadurch ihre Traumata zu überwinden, indem sie Export-Weltmeister geworden sind. Aber sie wollten sich nicht unbedingt mit ihrer Vergangenheit oder Identität als Deutsche beschäftigen.

 Gegen diese Verdrängung revoltiert die 1968er Generation. Im Staat und in seinem Macht-Apparat sehen sie eine ungebrochene Tradition des Nationalsozialismus. Die 68er schämen sich für Deutschland. Sie sagen: Gegen diesen Staat und seine Autorität muss man sich auflehnen. Die radikalen Vertreter dieser Protestbewegen werden Terroristen. Sie jammern nicht über Deutschland, die RAF handelt mit menschenverachtender Konsequenz und ermordet hochrangige Repräsentanten der deutschen Wirtschaft und Politik. Aber die 68er sind nicht alle Terroristen geworden. Viele sind später in Amt und Würden gekommen und haben sich mit dem Staat arrangiert. Aber, was wahrscheinlich gegeben ist, bei den meisten ist eine doch eher distanzierte Haltung, eine sarkastische, ironische oder auch nörglerische Einstellung vorhanden.

 Und wie sieht es heute aus mit dem Jammern über Deutschland? Umfragen zeigen, nach wie vor ist die Unzufriedenheit mit Staat und Gesellschaft ein großes Thema. Dabei jammern die Deutschen zweifellos auf hohem Niveau. Der ständig wachsende Wohlstand in den Jahrzehnten nach dem Krieg, hat auch das Anspruchsdenken in die Höhe getrieben. Große soziale Sicherheit, hohe Löhne, frühe Renten, viel Freizeit werden als das normale angesehen. Wohlstand ist in Deutschland ein Bürgerrecht. Da gibt es heftigen Protest, wenn die Wirtschaft diesen Wohlstand nicht mehr finanzieren kann. Wieder sind es „die da oben“, die ihren Job nicht richtig machen und schuld sind, dass aus Deutschland ein Tal des Jammers wird. Allerdings gibt es einen Hinweis, dass es in Deutschland doch nicht so schlecht ist, wie es öffentlich immer wieder bejammert wird. Umfragen zeigen ein neues Phänomen, nämlich, dass Menschen gegenüber ihrem Staat, gegenüber der Gesellschaft eher skeptisch eingestellt sind, auch eher bereit sind zu jammern, aber umgekehrt, bezüglich ihrer eigenen Situation durchaus zufriedener sind. Und das kann man dahingehend interpretieren, dass Menschen heutzutage versuchen, ihr Glück, ihre Zufriedenheit in erst Linie in ihrem Privatleben in ihren eigenen privaten „vier Wänden“ zu finden. Und sich zunehmend weniger um das kümmern, was außen um sie herum vor sich geht.

 Und die Jugend? Jammern über Deutschland ist bei ihr kein Thema. Vielleicht hat diese Generation, mit ihrem großen Abstand zu den dunklen Kapiteln der Geschichte die Chance, ein etwas entspannteres Verhältnis zu Deutschland zu entwickeln.

 Die Traumata aus unserer Geschichte sind sicherlich eine Erklärung für unsere ganz besondere Lust am jammern. Und nicht umsonst nennt man das ja im Ausland gern auch „German DCs“ oder „Big German Angst“. Aber unsere ganz besondere Vergangenheit kann nicht die einzige Wahrheit sein, denn schließlich tun es ja die anderen auch, mal mehr oder weniger stark. Und selbst Kleinkinder jammern schon. Es kann also nur einen Grund geben: Das Jammern muss Vorteile bringen. - Der Kleine hat sich gar nicht richtig weh getan. Er ist nur ein bisschen nass geworden. Doch in seiner subjektiven Welt hat er etwas Schlimmes erfahren. Er ist überwältigt, und jammert, um sich von dem Schreck zu entlasten. Und er erreicht noch mehr. Durch das Jammern bekommt er Aufmerksamkeit, Trost und Liebe.

 Wer glaubt, dieses Verhalten wächst sich aus, der kennt Piet nicht. Piet hasst Handwerken, aber im Laufe seines Lebens machte er eine wichtige Erfahrung, die immer funktioniert. – Auah – Und die setzt Piet weiter ein, um Hilfe, Nähe und Geborgenheit zu erfahren. Er ist nicht allein. - Untersuchungen der Universität Tübingen haben gezeigt, dass bei Anwesenheit des Partners das Schmerzempfinden höher ist. Der Partner verspricht Trost. Also tut es mehr weh, und Piet jammert leichter. Das funktioniert auch bei Piets Freundin Susanne. Sie kann gar nicht anders.

 Wenn wir sehen, dass ein anderer leidet, dass er traurig ist, dann lösen wir in uns selbst dieses Gefühl der Traurigkeit aus. Wir sind vielleicht nicht ganz so traurig wie der andere, weil wir wissen er ist traurig, und wir haben den spontanen mitmenschlichen Impuls sein Leid zu lindern, also in dieser Art Gemeinsamkeit herzustellen.

 Susanne, komm´ mal. Heute ist der Grund für Piets Jammern nachvollziehbar. Seine Freundin stört sich gar nicht daran. Im Gegenteil, sie findet es richtig gut. Denn es gibt ihr die Möglichkeit, ihm zu helfen. Doch Piet beherrscht auch Jammerformen, bei denen es nicht nur darum geht, die Gemeinsamkeit zu festigen. Manchmal da kann er sein Gegenüber richtig erpressen. - Da stellt man sich als Jammernder selber als Opfer dar, dabei ist der andere automatisch Täter und man kann ihn entsprechend unter Druck setzen. Piet, der alter Nörgler hat so schon einmal eine Reise nach Südost-Asien abgebügelt. Thailand ist voll weit weg. – Ja, ist aber schön. – Das kann ja stimmen . . . – Trick: Wenn du gut schon im Voraus was erleiden wirst, dann kann Susanne noch so begeistert sein. Piet, dem ewigen Nörgler ist das nicht geheuer, und so erpresst er sie, indem er mit zukünftigen Leiden droht. Susanne sieht ihren Urlaub gefährdet und gibt schließlich nach.

 Piet kann noch mehr. Das zeigt er am Arbeitsplatz. Wie viele andere, jammert er über zu viel Arbeit. Das hat den schönen Effekt, dass er seiner Kollegin imponieren kann, ohne allzu angeberisch zu wirken. Wenn man immer schon überlastet ist, dann bekommt man vielleicht nicht weniger Arbeit, beugt aber schon mal vor, dass es nicht mehr wird. - Bei Piet funktioniert es. Er stiehlt sich immer wieder aus der Verantwortung. Manche von seinen Kollegen werden das wohl nie kapieren. Für sie ist er einfach nur überlastet. Doch in Wirklichkeit ist Piet auch ein Drückeberger. Statt selbst ein Problem zu lösen, bürdet er es mit seiner Jammerei seinen Mitmenschen auf.

 Wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass es praktisch ist Opfer zu sein, dass es praktisch ist zu leiden, und andere dadurch unter Druck zu setzen, dann kann das als eine soziale Praxis zur zweiten Natur werden. Diese zweite Natur hat sich Piet nicht absichtlich zugelegt. Er kalkuliert sein Jammern nicht. Und so kommt es, dass, was auf den ersten Blick wie eine kluge Lebensstrategie aussieht, einen Haken hat. Das Problem bei diesem Art Routine-Jammern ist, es hört nicht auf. Oder man kann nicht mehr aufhören, auch wenn es einem irgendwann selber auf den Geist geht. - Piet hat wie immer Glück, ohne es zu merken. Seine Jammerei wurde durchschaut. Mittlerweile lässt sich keiner seiner Kollegen von ihm einspannen. Statt dessen wird er immer häufiger aufgefordert, selbst seine Probleme in die Hand zu nehmen. Auch sein Chef hat bemerkt, dass Piet nicht mehr arbeitet als der Rest seiner Kollegen. - Und auch seine Freundin Susanne hat sich ein Herz gefasst. Sie lässt sich nicht mehr so leicht erpressen, und riskiert es, ihren Wunsch durchzusetzen.

 Ja, das würde man sich in der Politik auch wünschen. Denn dieses Zweck-Jammern, das Selber-Bejammern, das ist ja bei uns eine der beliebtesten Methoden geworden, um seine Ziele durchzusetzen. Und deswegen lässt sich ja auch hierzulande auch fast nichts verändern!

 

Hartz-Konzept

 

sollte die Lösung für die Arbeitsmarkt-Probleme heißen. Peter Hartz von VW, Wolfsburg hat erfolgreich sein Konzept 5000 mal 5000 umgesetzt. Deshalb hatte der Bundeskanzler ihn gebeten, mit seiner Kommission Vorschläge zu erarbeiten, die zu neuen Arbeitsplätzen führen sollten. Es sollte der Clou im Konzept des Peter Hartz werden, Zeitarbeit als Maßnahme um 780000 Arbeitslose in Anstellung zu bringen.

 Möglichst passgerecht, wie im Fall von Andreas Effgens. Der gelernte Dreher arbeitet als Qualitätsprüfer bei der Firma Vobag in Basel / Ostfriesland. Das Maschinenbauunternehmen beschäftigt zur Zeit 60 Mann in Leiharbeit. Bei 230 Angestellten macht das ein schönes Stück vom Kuchen der gesamten Belegschaft. Und es rechnet sich. Keine Lohn-Nebenkosten, keine Fehlzeiten, keine Probleme mit dem Kündigungs-Schutz. Vobag mietet diese Arbeitskräfte bei Bedarf von verschiedenen Zeitarbeits-Firmen. - z.B. von Service-Personal-Dienstleistungen in Ostrhauderfehn. Die Mitarbeiterin begrüßt einen Mitarbeiter: Hallo. – Stundenzettel, alles klar. – Danke, ein kleiner Moment bitte. Service beschäftigt zur Zeit 800 Leiharbeiter. Nun werden 45 Neue dazukommen. Das Arbeitsamt Cloppenburg wird sie schicken. - Die Firma ist auserwählt worden als PSA, als Personal-Service-Agentur. Sie hat die vorgeschriebenen Bewerbungs-Kriterien erfüllt, ein akzeptables Konzept für Weiterbildung vorgewiesen und Erfahrung beim Einsatz von Leih-Arbeitern.

 Eine Gruppe lernt gerade Gabelstaplerfahren. Was passiert da: Fahrzeug abstellen, Tageskarte lösen mit Rückfahrkarte.

 Nach dem Hartz-Konzept werden die privaten PSA vom Arbeitsamt bezuschusst, mit einem Grundbetrag und einer Kopfprämie. - Ob damit viel Geld zu verdienen ist, muss erst mal die Erfahrung zeigen, da fehlen uns allen ja noch die Erfahrungswerte. Aber wir gehen davon aus, dass diese Kombination von Arbeitsvermittlung, Zeitarbeit und Weiterbildung, verbunden mit dem Grundbeitrag schon auf Dauer lukrativ sein könnte, sagt ein Mitarbeiter von Service-Personal-Dienstleistungen. - Das Modell finde ich gut, weil es bestimmt viele Leute gibt die gerne arbeiten würden, aber halt so an die Firmen nicht rankommen, außer durch Zeitarbeit. Aber die Zeitarbeit steckt in der Krise. Im Vorjahr gab es 118 Insolvenzen. Mehr als in jeder anderen Branche, und auch große Firmen schlossen ihre Filialen.

 Betroffen davon ist auch Rita Theisen. Die 50-jährige Buchhalterin hat seit fast 30 Jahren immer wieder als Leih-Arbeiterin ihr Geld verdient. Nun muss sie sich einen neuen Job suchen. Anfang April bekam sie von ihrer Zeitarbeitsfirma die schriftliche Kündigung, aus wirtschaftlichen Gründen, per sofort und ohne Abfindung. - Macht sie das wütend? – Jein, die Wirtschaftslage ist im Moment ja ziemlich grausig. Und da ich es nicht alleine bin, und dass wir alle gekündigt sind, sozusagen, ist es nicht ganz so tragisch für mich. Das ist halt so; das muss man halt so hinnehmen. Es gibt 330000 Arbeitsplätze für Zeitarbeit in Deutschland.

 Andrè Kurth z.B. bestimmt ein Cool-Center in Bad Segeberg. Werden die Personalservice-Agenturen den Arbeitsmarkt aufbrechen? Ja, auf kurzen neuen Ufern. Wir sind ja schon auf dem Weg der Tarifkommission. Ich gehe immer noch davon aus, dass wir einen marktfähigen und für alle Seiten zufriedenstellenden Tarifvertrag abschließen werden. - Ja, und dann könnte es sein, werden auch die wirtschaftlichen Konjunkturdaten sich ändern, sodass diese ganze PSA-Geschichte und das Hartz-Konzept, oder das was davon übrigbleibt ein Erfolg wird.

 Peter Hartz Ziel ist die Reform des Arbeitsmarktes. Zeitarbeit soll helfen, aber der große Clou ist sie noch nicht. Hier tanzt eine Ich-AG nach der Melodie der Hartz-Kommission. Gregor Heinz, zuvor arbeitslos hat seine Leiden-schaft zum Beruf gemacht. Jetzt ist er selbständiger Tango-Lehrer und unterrichtet all die, die sich in dieser Mischung aus Disziplin, Schwermut und Leidenschaft elegant über das Parkett bewegen wollen. In Ahrensburg traf er auf eine Marktlücke. Foxtrott und Walzer gab es ausreichend, Tango war eher selten. Gregor Heinz ist einer von rund 7300 Ex-Arbeitslosen, die seit dem 1. Januar als Ich-AG den Schritt in die Selbständigkeit gewagt haben. Er erklärt: Ich war 6 Jahre im Außenhandel tätig, bin arbeitslos geworden und bin dadurch über das Arbeitsamt zur Ich-AG gekommen. Ich habe gesagt, das ist mein Ding halt, jetzt noch sich selbständig zu machen als Tanzlehrer; Das auch noch dann mit meinen Hobby, das ich dann zum Beruf machen konnte. Tango, das ist nicht nur Technik, sondern auch Leidenschaft und Erotik, wenn man es kann. Doch bis dahin muss noch so manche Schrittfolge geübt werden. - Gregor Heinz ist perfekt. Fünf Jahre Leben in Peru haben ihn zum Tango-Experten gemacht. Und jetzt bringt er Schwung ins norddeutsche Phlegma. Dabei hilft ihm die Förderung durch das Arbeitsamt. – Ich bekomme 600,00 Euro im Monat, ein Jahr lang, eine optimale Hilfe um sich sattelfest selbständig zu machen.

 Die Arbeitsämter registrieren eine verstärkte Nachfrage nach der Ich-AG. Die Förderung einer Ich-AG ist nicht auf bestimmte Berufe fixiert. Es kommen alle Tätigkeiten, die in der Selbständigkeit ausgeübt werden können auch für die Ich-AG infrage. Wichtig ist, dass ein wirtschaftliches Konzept vorgelegt wird, dass das durchgerechnet ist, und es ist wichtig, dass eine Markterkundung durchgeführt worden ist. Man muss schon prüfen, dass in dem Bereich, in dem man sich selbständig machen will auch Bedarf besteht.

 Der weitere bürokratische Aufwand hält sich in Grenzen. Es wird ein Antrag gestellt, und dann gibt es die Förderung. Im ersten Jahr sind das 600,00 Euro pro Monat, im zweiten Jahr 360,00 Euro und im dritten Jahr 240,00 Euro. Die Einkommensgrenze liegt bei 25000,00 Euro pro Jahr. Wer mehr verdient, bekommt im Folgejahr keine Förderung mehr.

 Das Geschäftskonzept von Gregor Heinz geht auf, die Schüler sind zufrieden. Sieben Tango-Kurse laufen bereits, Tendenz steigend. Wenn es weiter so gut läuft, kommt er vielleicht im nächsten Jahr schon ganz ohne Förderung aus. Mit dieser erfreulichen Entwicklung hatte er anfangs doch nicht gerechnet. Er berichtet: Das hatte schon Ängste ausgelöst, überhaupt so plötzlich in die Selbständigkeit zu gehen, das soziale Netz zu verlieren, die Sicherheit, die Angst nicht mehr auskommen zu können und trotzdem Unterhalt weiter zahlen zu müssen. Das war schon eine Entscheidung, die mich schon einige schlaflose Nächte gekostet hat. Führung, Tempo und Richtung selbst zu bestimmen, das reizt Gregor Heinz, nicht nur beim Tango, sondern auch im Job. Lernen müssen sie alle, Lehrer wie Schüler. - Während es bei einigen Tango-Eleven noch hakelt, hat der Lehrer seine ersten Lektionen in Sachen Selbständigkeit mit Erfolg abgeschlossen. Von der Buchhaltung bis zum Business-Plan ist ihm nichts mehr fremd. Gregor Heinz hat die Ich-AG mittlerweile gut im Griff. Hartz-Modell im Tango-Rhythmus, das ist seine persönliche Erfolgsstory.

 Auch im Arbeitsamt, dem steingewordenen Symbol unserer Wirtschaftskrise bewegt sich was. Hartz sei Dank, und der dynamischen neuen Führung. Das Ziel, Arbeitslose werden nicht länger nur verwaltet. Arbeits-vermittler/Innen, wie Kirsten Stahl müssen endlich das tun können, was sie eigentlich schon immer tun sollten: Arbeitslose in Arbeit vermitteln. Und wer hier sitzt ist Kunde. - Sie sagt: Veränderungen haben sich in den letzten Jahren schon ergeben, weil wir natürlich die ganze Behörde modernisiert haben. Durch das Hartz-Konzept speziell jetzt würde ich aus meiner eigenen Perspektive, ich kann nur für mich allein sprechen, doch schon sagen, dass ich noch mehr Zeit habe, jetzt auch für die eigentliche Vermittlung. D.h. Arbeitslose ganz schnell und gezielt auch dort hinzubringen, wo sie gebraucht werden. - Es bedeutet, diesen großen Apparat so zu organisieren, dass er auch reibungslos funktioniert, mit seiner verwirrenden Vielfalt der verschiedenen Berufe und Branchen. Von Routine-Arbeiten, da wurden wir entlastet, und das merkt man natürlich an der täglichen Arbeit. Zeit hat Kirsten Stahl dadurch, Zeit für oft intensive und lange Gespräche mit ihren Kunden.

 Ein junger Mann will in einem Betrieb praktische Erfahrungen sammeln. Dafür gibt es jetzt also kein Fahrgeld mehr vom Amt, erklärt die Vermittlerin, das war früher anders. Vieles hat sich geändert, auch für Kirsten Stahl, nicht nur durch Hartz: Solange ich hier arbeite, in dieser Bundesanstalt, gab es immer wieder neue Gesetze, immer wieder neue Vorschriften, mit denen man arbeiten musste. Ihre Formulare druckt Kirsten Stahl dann aus, wenn sie sie braucht. Moderne Verwaltung, die noch nicht ganz angekommen ist im papierlosen Büro. – Das ist einmal der Erhebungsbogen für das Praktikum mit Unterschrift. Einmal das, oh, das geht noch weiter. – So was muss man mögen. – Wenn mir diese Arbeit hier nicht Spaß bringen würde, würde ich hier nicht mehr sitzen. – Das ist der Unterschied zwischen der Arbeitsvermittlerin und ihrem Kunden. Der geht, hoffentlich für immer.

 Ankommen, umsteigen und weiter geht es. Der Hamburger Hauptbahnhof am frühen Morgen. Fanny Lugarodi auf dem Weg zur Schule. Die arbeitslose Werbekauffrau lässt sich umschulen zu Steuerfachangestellten. Geplant hat sie diesen Umstieg ganz allein. Vom Arbeitsamt gab es nur ein kleines Hilfsmittel, den neuen Bildungsgutschein. – Sie sagt: Ich habe mich natürlich sehr ausführlich informiert, über die Medien, Zeitung und Internet. Habe dann die Grone-Schule für mich gut befunden, und bin zu meinem Arbeitsberater, habe ihm das vorgeschlagen. Daraufhin hat er mir dann Bildungsgutscheine in die Hand gedrückt. - Die Bildungsgutscheine sind eine Erfindung der Hartz-Kommission. Seit einigen Wochen werden sie in den Arbeitsämtern ausgegeben. Die Arbeitslosen müssen sich jetzt selbst um ihre passende Weiterbildung kümmern, bislang war es anders. Die Bildungsträger mussten den Arbeits-ämtern nur ihre offenen Plätze melden, und das Amt füllte die Kurse auf. Das Problem bisher war, dass der Weiterbildungsmarkt in erster Linie von den Bildungsträgern bestimmt wurde und nicht vom Arbeitsamt. Eigentlich sollte das Arbeitsamt bestimmen, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht; Und wissen, wo es Bedarf gibt am Arbeitsmarkt und wo es keinen gibt. Faktisch war es eher umgekehrt, weil die Bildungsträger bestimmt haben, welches Angebot an Maßnahmen es gab.

 7.45 Uhr, Schulbeginn für Fanny Lugarodi in der Hamburger Grone-Schule. Die Grone-Schulen gehören zu den größten privaten Bildungs-Anbietern in Deutschland. Und sie sind, wie die gesamte Branche in Aufruhr wegen der Bildungs-Gutscheine. Plötzlich garantiert ihnen das Arbeitsamt keine vollen Klassenzimmer mehr. Fannys Kurs ist zwar noch ausgebucht, doch für manchen Schulleiter geht die Rechnung mit der Weiterbildung jetzt nicht mehr auf. – Der Eine hat drei, der andere hat fünf, der andere hat zehn Anmeldungen. Und dadurch wird die Planung erheblich erschwert für die Bildungsträger oder sie wird fast unmöglich gemacht, weil man mit drei, fünf oder zehn Teilnehmern keine wirtschaftlich vernünftige Klassengröße mehr zustande bringen kann.

 Die Bildungsgutscheine sind nicht die einzige Neuerung, welche die Schulen unter Erfolgsdruck setzt. Bislang galt die Regel, 50% der Teilnehmer eines Kurses müssen nach ihrem Abschluss einen Job finden. Nur dann wird der Kurs weiter gefördert. Dank Hartz müssen es künftig 70% sein. Doch so eine Quote ist mit vielen Arbeitslosen kaum zu erfüllen. - Wir können froh sein, wenn wir in manchen Bereichen, z.B. bei Langzeit-Arbeitslosen um die 50% Vermittlung haben. Das ist schon auf die Menschen gesehen, und auf das was sie mitbringen ein sehr großer Erfolg. Und diese starre Regelung, 70% ist für diese Klientel sehr schwer zu erreichen. Neue Zeiten also in der Weiterbildung, und düstere Aussichten Arbeitslose mit schlechten Vermittlungs-Chancen. - Mit den Reformen der Hartz-Kommission wird es in vielen Schulen bald weniger gemütlich zugehen. Erfolgsnachrichten sind gefragt, und gut motivierte Schüler.

 Nach diesem Kurs möchte ich auf jeden Fall einen Job, und das ist ja auch der Grund, warum ich hier bin, sagt Fanny Lugarodi. Deshalb tue ich ja auch sehr viel dafür, dass es am Ende so sein wird. Ich bin davon überzeugt, dass ich dann am Ende einen Job haben werde. – In 40 Monaten weiß Fanny Lugarodi mehr. Dann geht sie auf Job-Suche, und erst danach wird sie erfahren ob ihr die Umschulung tatsächlich genutzt hat.

 Tierliebe allein reicht nicht aus, um als Landwirt erfolgreich zu sein. Das richtige Händchen gehört dazu, und Michael Höft hat es. Für ihn ist die Kälberpflege das Highlight seiner Ausbildung. Aber noch wichtiger ist, dass er die Weiden nachschneidet, denn das ist Umweltschutz und nur dafür gibt es Geld vom Arbeitsamt und vom Bauernverband. So sollen jugendliche Arbeitslose zu einer Ausbildung kommen. Doch weil das Programm nicht im Hartz-Konzept vorgesehen ist, steht die Förderung auf der Kippe. – Forstarbeit, generell auch Wegebau, das alles macht Spaß. Da gibt es immer Abwechslung, es ist nicht immer das gleiche, meint Michael Höft. Bevor er bei Bauer Kröchert angefangen hat, war Michael Höft Maurer. Doch dann ging der Betrieb pleite, und jetzt hat er einen neuen Chef und viel zu tun. – Wir arbeiten im Prinzip den halben Winter, weil wir die halbe Gegend, die wir hier haben aufbereiten müssen, ausholzen müssen, erklärt er.

 Seit einem Jahr gibt es das Tausend-Job-Programm.  Die Idee: Tausend neue Jobs für Mecklenburg-Vorpommern. Der Bauernverband hat es bisher gerade mal auf 80 gebracht. – Wir finanzieren einen Landreis im Augenblick, wo wir das Modell laufen haben, aber wir wollen es in 12 machen. Uns fehlen schlichtweg 10 Millionen, und wenn die Millionen in andere Programme gesteckt werden, wird unser Programm sicherlich runterfallen. Wir schaffen Arbeitsplätze im ländlichen Raum, und Hartz-Ansatz ist, wir schaffen Vermittlung. Und Vermittlung brauchen wir nicht, wir brauchen Arbeitsplätze.

 Doch die sind rar gesät im Landkreis Demmin. Der Milchhof Kröchert ist der größte Arbeitgeber. Sechs Beschäftigte, sonst gibt es nicht viel. Jeder Zweite hängt rum, und ist arbeitslos. Viele sind weg. Der Landkreis hat die größte Arbeitslosenquote in Deutschland. - Im Arbeitsamtsamtsbezirk Neubrandenburg sind freie Stellen Mangelware. Allenfalls Landwirtschaftsbetriebe stellen ein. Sie suchen Azubis für Berufe wie Tierwirt oder Melker. Wer sich darauf einlässt, hat gut Chancen. - Der Haken, inzwischen gibt es das Hartz-Konzept, und das setzt ja vor allem auf Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen. Aber das Tausend-Job-Programm halt passt irgendwie nicht so ganz rein. – Die Bewertung des Tausend-Job-Programms zum damaligen Zeitpunkt war noch zu früh. Es lief erst ein Jahr, deswegen stand man dem Endergebnis offen, aber auch mit Interesse gegenüber. – Das, was man jetzt realisieren wollte, war die Einrichtung einer Personalservice-Agentur, ebenfalls in einem Landkreis, um zu schauen, ob es mit einer PSA gelingt, Auftragsspitzen in der Landwirtschaft abzudecken.

 Auf den Milchbetrieben in Mecklenburg-Vorpommern ist es mit Zeitarbeit für Auftragsspitzen nicht getan. Es fehlt immer einer der zupackt. Allerdings, früh aufstehen gehört dazu, auch wenn Michael Höft die Morgenmelkschicht nicht gerade liebt. - Stefan Marzen ist auch Lehrling auf dem Betrieb, ohne Förderung. Wenn es die nicht gäbe, wäre er der einzige Azubi, der sich um die Kühe kümmert. Nur weil es Geld vom Staat gibt, hat der Chef einen zweiten eingestellt. Und für Michael Höft ist es eine Chance, überhaupt eine Lehre zu machen. – Inzwischen wird in Mecklenburg-Vorpommern jede vierte Lehrstelle in der Landwirtschaft subventioniert, und das lohnt sich. Michaels Chancen später übernommen zu werden stehen gut. – Der Chef erklärt: Wir werden ihn sicherlich übernehmen und das auch irgendwie hinkriegen finanziell. - 200 Tiere sind zu versorgen, das ist viel Arbeit für Bauer Kröchert. Und dabei kann er Michael Kröfts Hilfe gut gebrauchen. Aber es gibt noch einen Grund: Wenn er ihn nicht übernimmt, muss er 12000,00 EURO Fördergeld zurückzahlen. - Das Tausend-Job-Programm funktioniert also im Landkreis Demmin. Es wäre doch schade, wenn es wegen der Hartz-Pläne nicht weiterginge.

 Lockerungsübung, zwischendurch dann Deutsch-Unterricht. Sie haben Glück, weil sie in Flensburg wohnen. Die Stadt bezahlt den Start in den Beruf für Hyrie und Trien, sie zahlt auch für Samira und Emmine. Alle miteinander aber hatten sie jetzt Pech, gerade weil sie in Flensburg wohnen. Die Kassen der Stadt sind leer, wie bei den meisten Kommunen. Flensburgs Schulden sind fast so hoch wie die Einnahmen. Die lernbegierigen Jugendlichen werden demnächst wohl auf die Straße geschickt. Geldmangel, Dank Hartz, ist der Grund dafür. - Hartz belastet uns in zweierlei Weise. Das erste jetzt aktuell absehbare ist, dass die Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit und gegen Jugendarbeitslosigkeit einfach zusammenbrechen und gestrichen werden. – Viele Flensburger sind betroffen. Weil Hartz kein neues Geld schafft, sondern nur umschichten lässt, fehlen die Mittel für die bisherigen Einrichtungen. Es war in einer Auswahl zum Beispiel das Jugendaufbauwerk in der Appenheider Straße, die Beschäftigungs- und Quali-fizierungsgesellschaft im Norder Graben, die Deutsche Angestellten Akademie in der Marienallee, die Handwerks-kammer in der Johannisstraße und ein regional bedeutendes Institut in Munkedoft, alles Projekte für Schwervermittel- bare. - Zweites Problem: Bisher bezahlen die Kommunen die Sozialhilfe. Künftig soll das Arbeitsamt zahlen. Zehn Milliarden Euro würden frei, heißt es. Da ist die Diskussion jetzt aber sehr unübersichtlich. Wir haben in den Kommunen den Eindruck, dass wir eher belastet werden als entlastet, denn es geht jetzt um die Definition, wer ist erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger. - Und da gibt es viele Vertreter der Bundesregierung die sagen, erwerbsfähig ist nur der, der mindestens 6 Monate in den letzten 4 Jahren gearbeitet hat. Wenn diese Definition gilt, werden wir noch mehr Sozialhilfeempfänger bekommen, also weiter leere Stadtkassen. Die Flensburger fürchten, dass auch viele Häuser bald leer stehen, in denen bisher noch Unterricht läuft.

 Ein Thema im Deutschunterricht ist Toleranz. Nicht nur die Sprache lernen die Neubürger also in den Kursen. Soll ihnen das alles demnächst die Straße beibringen? – Ein Teilnehmer meint: Wir haben diese Prüfungen geschafft und jetzt will das Arbeitsamt das nicht bezahlten. Aber das ist sehr wichtig für mich, denn ich kann keinen Schulabschluss machen, und ich kann nicht weiter. Ich kann keine Ausbildung machen oder in einen Beruf gehen. Dann muss ich als Tellerwäscher arbeiten. – Vor acht Monaten konnte Shakir kein Wort Deutsch, jetzt hat er die Prüfung für die Fortbildung zum Hauptschulabschluss bestanden, doch weiter darf er nicht lernen.

 Das Hartz-Konzept, so wie die Bundesanstalt für Arbeit es auslegt, wendet sich zunächst einmal an die arbeits-marktnahen Personen. Und auch für die berufsvorbereitenden Lehrgänge werden in Zukunft, so ist die Planung, die marktfähigen Jugendlichen ausgewählt und in Kurse genommen.

 Die Jugendlichen, die wir hier kennengelernt haben, zählen aber zunächst nicht zu den marktfähigen, denn marktfähige Jugendliche sind diejenigen, die sich relativ unkompliziert und ohne viel Vorbereitung in einen Ausbildungsplatz integrieren lassen. Und genau das soll eigentlich durch solche berufsvorbereitenden Kurse ereicht werden. Doch auch hier passt es wohl nicht mehr ins Hartz-Konzept.

 

Hartz IV

 

Wie ist das Leben vieler Menschen mit der umfangreichsten Reform in der Geschichte der Bundesrepublik?

Seit 1 ½ Jahren ist die alleinerziehende Mutter ohne Job. Seit dem 1. Januar lebt die Familie, wie 4 ½ Millionen Menschen in Deutschland, von Arbeitslosengeld II. Nach Abzug der Fixkosten sind das für sie und ihre beiden Kinder zusammen rund 630,00 Euro monatlich. Haushaltsplanung: Da gibt es lediglich 7,00 Euro pro Tag und Person. Die Mutter ist ratlos. Für Frühstück, Mittag- und Abendessen reicht das Geld kaum. Und irgendwie muss sie davon auch noch die Betriebskosten-Nachzahlung von 700,00 Euro zahlen, die ihr noch kurz vor Sylvester zugestellt worden ist. Sie kann das auf keinen Fall in einer Zahlung leisten und muss um Ratenzahlung bitte. Von nun an heißt es Leben auf Sozialhilfe-Niveau. Im Supermarkt hat sie sich eine Einkaufs-Strategie zurecht gelegt, um über die Runden zu kommen: Das Brot, die Milch, der Tee, die Eier alles unter 1,00 Euro. Also in den Korb kommt nichts was teurer als einen Euro ist. Das ist die selbst auferlegte Einschränkung. Trotz-dem hat sie große Zweifel, dass das Geld wirklich reichen wird. Jetzt hofft sie, dass tatsächlich die Vermittlung durch die Arbeitsagentur besser wird. So, wie es die Politiker mit der Hartz IV-Reform versprochen haben. – Doch die Beraterin winkt ab, zumindest für den Augenblick: Es kann ganz einfach nicht alles von heute auf morgen gemacht werden. Alles was gut werden will braucht auch eine gewisse Zeit. Und die Kollegen sind momentan in der Arbeit eingesetzt, Zahlung Arbeitslosengeld II, damit die Menschen nicht ohne Geld dastehen im Januar. – Das ist eine ernüchternde Bilanz des ersten Monats. Die Alleinerziehende Mutter hat jetzt weniger Geld als früher, und wirkliche Vermittlung von neuen Jobs findet nicht statt.

Es ist März geworden. Dem heiß ersehnten festen Job glaubt sie inzwischen einen entschei-denden Schritt näher zu sein. Sie arbeitet jetzt in einer Supermarkt-Kette. Es ist zwar nur ein Praktikum, aber Balsam für ihre Seele. Sie hat das Gefühl, gebraucht zu werden und nicht un-nütz zuhause herumzusitzen. Es ist zwar unentgeltlich, aber sie ist froh, eine Beschäftigung zu haben. Ihre große Hoffnung ist, dass das Praktikum ein Sprungbrett ist in einen echten Job. Denn Geld benötigt sie dringend. Schließlich will ihr jüngster Sohn verreisen. Es geht auf Klassenfahrt. Fünf Tage, die 100 Euro kosten. Das ist mit dem Budget der Familie nicht zu schaffen. Also, muss sie wieder zum Amt, das jetzt auch für so etwas zuständig ist. Es über-nimmt im Prinzip die Kosten für die Klassenfahrt. Das ist eine der wenigen einmaligen Beihilfen, die es noch gibt. Doch die Dame von der Leistungsstelle hat schlechte Nachrichten: Wir müssen daraus kürzen die Tagessätze Ernährung, die schon in der Regelleistung für ihren Sohn enthalten sind. Das macht 4,50 Euro pro Tag. Statt 100,00 Euro gibt es nur 82,00. Den Rest muss die Mutter selbst tragen, wie auch das zusätzliche Taschengeld. – Umsomehr hofft sie, dass sich aus dem Praktikum ein fester Job als Kassiererin ergibt. Hauptsache, endlich wieder bezahlte Arbeit. – Anfang April ist das Praktikum vorbei. Zum Abschied hieß es von der Chefin noch, man sehe sich wieder. Doch seitdem ist Funkstille. Keine Nachricht, dass sie als Kassiererin übernommen wird.

Im Februar sind zum ersten Mal in der Nachkriegszeit in Deutschland mehr als 5 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos gemeldet. Dutzende Bewerbungen hat die 40-jährige inzwischen geschrieben. Immer nur Absagen, wenn überhaupt eine Antwort kam.

 Statt dessen verteilen die Arbeitsagenturen Zehntausende von so genannten Ein-Euro-Jobs. Zwei Betroffene haben eine solche Stelle: Malerarbeiten auf einer gemeindeeigenen Baustelle in ihrem Heimatort. Die Männer sind froh, endlich wieder etwas zutun zu haben, auch, wenn das Schuften nach vier Jahren Arbeitslosigkeit auf die Knochen geht. Sie haben in vier Jahren zugenommen und sind an körperliche Arbeit nicht mehr gewöhnt. Inzwischen haben beide abgenommen. Eigentlich dürfen diese Arbeitsgelegenheiten reguläre Jobs nicht verdrängen. Doch tatsächlich ersetzen die Ein-Euro-Jobber hier teure Handwerker. – In der Frühstückspause wird über steigende Arbeitslosenzahlen geredet und über die Tatsache, mit dem eigenen Ein-Euro-Job Stellen zu vernichten.

 Nachdem sich die Beschwerden häufen, müssen Zoll und Arbeitsagentur eingreifen. Die Gemeinde zieht die Ein-Euro-Jobber ab. Zwei Monate später sind hier nur noch reguläre Firmen beschäftigt, und die Ein-Euro-Jobber werden zu anderen Arbeiten in der Gemeinde eingeteilt. Mittlerweile haben 114000 Langzeitarbeitslose einen Ein-Euro-Job. Für ein halbes Jahr haben sie das schöne Gefühl des Gebrauchtwerdens und einen kleinen Zuverdienst.

Einige Arbeitslose gehören zu den Gewinnern der Reform, glaubt man der Bundesregierung. Z.B. ehemalige Sozialhilfeempfänger. In einem Fall erhält ein Betroffener 16,00 Euro mehr Arbeitslosengeld II im Vergleich zur ehemaligen Sozialhilfe. Dafür gibt es nun vom Amt keine Beihilfen mehr für Kleidung oder Möbel. Nun muss er sehen wie er die dringend benö-tigten Polstermöbel selbst bezahlen kann, ohne Hilfe vom Amt. – Im Gebrauchtmöbelladen der „Hilfe zur Selbsthilfe“ kann man die benötigten Gegenstände in Raten bezahlen. Aber der Mann glaubt nicht, dass er es schafft neue Möbel abzuzahlen. – Der Mitarbeiter will mit seinem Chef reden, ob eine andere Möglichkeit besteht. In den nächsten Tagen soll sich klären, ob er die neuen Möbel abarbeiten kann. – Beim nächsten Termin ist er bei seiner Arbeitsberaterin. Er hat ein Praktikum im Gartenbau absolviert. Vielleicht ergibt sich daraus ja ein richtiger Job. Schließlich sollen doch durch Hartz IV ehemalige Sozialhilfeempfänger bessere Vermittlungschancen haben. – Sie sagt: Er hat eigentlich keine andere Möglichkeiten als früher. Wir haben uns schon in der Vergangenheit sehr um ihn gekümmert, und deshalb ist das jetzt nur eine logische Fortsetzung, dass wir uns weiter um ihn kümmern. Er kennt auch im Prinzip schon seine Ansprechpartner. Hier hat man sich auch ohne Reform so gut es ging um Sozialhilfeempfänger bemüht. Das wird ihm jetzt helfen. Wie es sich anbahnt, und wie er sein Praktikum abgeleistet hat, sieht es für ihn sehr positiv aus, meint die Arbeitsberaterin. Man will versuchen, ihn ab März/April in Arbeit zu vermitteln. Aber ganz so gut, wie die Beraterin es glaubte, ist es dann doch nicht gelaufen. Eine Vermittlung durch das Amt hat bisher nicht stattgefunden. Er versucht es auf eigene Faust bei seinem ehemaligen Praktikumplatz. Doch hier kann man keine zusätzlichen Mitarbeiter verkraften. Vielleicht ergibt sich in der Zukunft noch etwas. Der arbeitswillige Mann will nicht aufgeben. Wenigstens das Problem mit den Möbeln ist inzwischen gelöst. Er darf die Kosten tatsächlich im Laden abarbeiten. – Die Hartz IV-Reform hat dem ehemaligen Sozialhilfeempfänger zwar immer noch keinen Arbeitsplatz gebracht mit dem er Geld verdient, aber er verlässt sich nicht mehr allein auf das Amt. Statt dessen entwickelt er Eigeninitiative, so, wie bei dem Problem mit den Möbeln.

Routinierte Mitarbeiter sucht ein Bäckermeister seit Monaten vergeblich. Um 1.00 Uhr morgens ist Arbeitsbeginn. Im Januar 2005 berichtet er, dass er seit fünf Monaten über die Arbeitsagentur einen Bäcker sucht. Heute erwartet er wieder einmal einen Kandidaten zum Probebacken. Von 25 Kandidaten, der er bisher zum Probebacken eingeladen hat, kamen gerade Mal vier. Doch die einmal und nie wieder. – Kurz nach vier ist von den Bewerbern noch niemand erschienen. Es gibt also wieder nichts mit der Stellenbesetzung. – Anfang Februar ist der Bäckermeister erfolgreicher bei der Suche. Nachdem er im Fernsehen seine Schwierigkeiten geschildert hat, kamen plötzlich Dutzende Bewerbungen. Für heute hat er gleich fünf Kandidaten eingeladen. Drei, die sich nach der Reportage gemeldet haben und zwei von der Arbeitsagentur. Er hofft jetzt einen geeigneten Mitarbeiter zu finden. – Seine treue Seele meldet ihm: Hallo Chef, heute ist einer gekommen. – Ja, schön. Der Bewerber möchte sich umziehen. – Der „Neue“ arbeitet zwar nicht so schnell wie der Chef, aber immerhin ganz anständig. Er macht eigentlich einen sehr guten Eindruck, meint dieser. – Um fünf Uhr sollte Kandidat Nr. 2 kommen, von der Arbeitsagentur. Doch der hat abgesagt. Dafür kommt Kandidat Nr. 3 fast eine Stunde zu früh. Der erst 22-jährige ist seit Dezember arbeitslos. Er wirft sich gleich mächtig ins Zeug, doch dem Chef entgeht nicht der kleinste Schnitzer. Was an Berufserfahrung fehlt, will der junge Bäcker durch Arbeitseifer wett machen. Um zehn vor sieben erscheint schon Kandidat Nr. 4, auch er ist überpünktlich. Der 54-jährige ist seit Oktober arbeitslos, und er würde jeden Job machen. Der Chef hat keine Vorbehalte wegen des Alters. Man merkt schon, wenn sich jemand richtig bemüht, erklärt er. Da bin ich eigentlich recht zuversichtlich. Nach der Probestunde wartet der Bäckermeister auf den letzten Bewerber. Doch auch die zweite Vermittlung über die Arbeitsagentur ist ein Reinfall. – Um 9.00 Uhr ist Kaffeepause, und eine erste Auswertung: Eigentlich habe ich einen positiven Eindruck von allen Dreien. Nun ist es für mich schwierig, mich für den Richtigen zu entscheiden. Er nimmt den 54-jährigen, obwohl dieser jeden Tag über 100 Km unterwegs ist, um die Bäckerei zu erreichen. Trotzdem freut sich der neue Mitarbeiter, mit der Arbeitsagentur nichts mehr zutun zu haben.

 

Hartz IV 2009

Eine Bestandsaufnahme zeigt, wie Befürworter und Gegner, Betroffene, Ämter, Gerichte und Politiker Hartz IV beurteilen. – Hartz IV schafft Arbeit! An Deutschlands Sozialgerichten auf jeden Fall. 3000 Posteingänge täglich allein in Berlin. Die Menschen klagen gegen ein Gesetz, dass sie als ungerecht empfinden. Sie klagen gegen Behörden, die sie abstempeln. Weit über ein Jahr hinkt das Gericht hinter den Klage-Einreichungen her. Das, obwohl die Zahl der Richter von 5 auf 55 aufgestockt wurde, seit Hartz IV. – Ein Richter: Wir sagen ja immer, es ist keine Klageflut, denn nach einer Flut müsste ja mal wieder eine Ebbe kommen. Das ist auch nach dem fünften Jahr nicht in Sicht, sondern es werden immer mehr. Auch dieses Jahr werden es wieder tausende Gerichtsverfahren mehr werden als im letzten Jahr. – Hier versucht man im Kleinen zu klären, was sich die große Politik wohl gedacht haben mag mit dem Sozialgesetzbuch 2, der größten Sozialreform der Nachkriegsgeschichte. Die Menschen nennen sie nur Hartz IV.

Marion hat geklagt. Ihr Gegner ist Andreas, der Vertreter des Jobcenters Neukölln. – Die Aktenlage: Marion hatte Arbeit gefunden. Ihr Lohn wird fortan mit Hartz IV verrechnet. Dann aber will die Behörde 1500 Euro von ihr zurück, die angeblich zu viel bezahlt wurden. Marion legt Widerspruch ein. Die Behörde rechnet neu, und da waren es nur noch 181 Euro. Wer soll das verstehen? Entscheiden muss nun der Richter Jonathan. Der stellt fest: Die Forderung des Jobcenters ist verjährt. Marion muss keinen einzigen Cent zurückzahlen. Den Bescheid versteht die Gewinnerin bis heute nicht. – Marion: Es sind hier dreißig Seiten bedruckt mit allen möglichen Berechnungen für die verschiedensten Monate. Ich habe versucht, das nachzuvollziehen, bin aber damit nicht klar gekommen. Allein das Anschreiben war für mich unverständlich formuliert, mit den vielen Daten. – Der Richter: Vielleicht ließen sich viele dieser Verfahren vermeiden, wenn die Jobcenter vorher mehr Zeit hätten, die Fälle sorgfältiger zu bearbeiten. – Die Richter finden viele Fehler, und die Jobcenter verlieren jeden zweiten Fall. Müsste man einer Deutschen Behörde nicht vertrauen können? – Der Sprecher des Jobcenters: Es herrscht eine große Unsicherheit in Bezug auf unsere Entscheidungen. Also, wenn das Jobcenter sagt, du bekommst XY an Geld, dann weiß der Kunde sehr oft nicht, stimmt das oder stimmt das nicht. Das spiegelt sich dann auch in dem Verhalten wieder, dass man den Weg zum Gericht beschreitet. Man glaubt oft unseren Entscheidungen noch nicht. - Marion: Was die Unsicherheit nennen ist Misstrauen.

Jobcenter Berlin-Neukölln: Jeder Vierte lebt von Hartz IV. 80000 allein in diesem Stadtteil. – Ein Politiker: Es liegt z.T. daran, dass zu Beginn des ganzen Verfahrens im Jahr 2004 die ganze Dimension unterschätzt hat. Man hat sich einfach nicht vorstellen können, dass es so viele sein würden, die Leistungen nach Hartz IV in Anspruch nehmen würden. – Drei Stunden stehen die Leute an, bevor das Amt öffnet. – Eine >Kundin<: Alle warten, und vordrängen kann ich mich auch nicht, reingehen und schreien kann ich auch nicht. Dann werden die sagen, wenn es ihnen nicht passt, dann gehen sie nach Hause. Man muss also warten, etwas anderes bleibt einem nicht übrig. – Das Amt hat zu wenig Mitarbeiter, und eine Software, die falsche Beträge errechnet. – Ein Betroffener: Ich fühle mich von dieser Bürokratie, die alles lahm legt, teilweise auch verarscht. – Manchmal entlädt sich die Wut der Verzweiflung. – Eine junge Frau: Hier ist man Abschaum. – Genau! – Das Letzte. – Hartz IV? – Das Gesetz nennt die Hartz IV-Empfänger >Kunden<. Wie ein König fühlt sich allerdings keiner. – Diese Leute, die als Dienstleister eigentlich für uns hinter diesen Schaltern sitzen, ich weiß nicht, ob die uns als Kunden betrachten oder als notwendiges Übel. – Menschen am Existenz-Minimum treffen auf Mitarbeiter am Belastungs-Maximum.

Ein Sprecher des Job-Centers: Dass wir nicht nur eine versagende Behörde sind, sondern diejenigen, die das tun, was das Gesetz vorschreibt, möchte ich ausdrücklich betonen. Darüber hinaus strengen wir uns an, was die Integration und die Integrations-Bemühungen angeht, um da bestimmte Dinge vorwärts zu bringen. – Doch, was das Gesetz vorschreibt, klappt oft nicht. Z.B. Ein Vermittler für maximal 150 Kunden. Die Wirklichkeit berichtet von Mitarbeitern, die zwischen 400 und 500 betreuen müssen. Der Schnitt liegt zur Zeit bei 380 Kunden je Mitarbeiter. – Eine junge Dame berichtet aus ihrem Alltag: Eigentlich fühle ich mich als persönliche Ansprechpartnerin. Ich möchte den Einzelnen ein Stück betreuen. Aber das geht nicht, man hat einfach diese Zeit nicht. – Fehlentscheidungen sind oft auch Unwissen. Man hat das Wissen aus dem Jahr, in dem man geschult worden ist. Immer aktuell zu sein, das schafft man einfach nicht. – 36 Gesetzesänderungen in knapp fünf Jahren. Hartz IV ist nicht als großer Wurf gestartet. – Trotzdem, statistisch scheint einiges erreicht worden zu sein.

Ein Politiker: Richtig an der Reform hin zu Hartz IV war, dass die Chancen der Erwerbs-Integration zugenommen haben. Nicht in jedem einzelnen Fall, aber von der Grundidee her, hat die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für alle Arbeitssuchenden in diesem Segment die Chancen erhöht. Sie werden alle einbezogen in die Arbeitsförderung. Das war vorher für die arbeitsuchenden Sozialhilfeempfänger nicht der Fall. Es hat sicherlich mehr Leute in Arbeit gebracht. Das vergisst man heute immer. Die neuesten Zahlen zeigen, dass das allerdings auch bedeutet, dass viele Leute viel arbeiten müssen, um relativ wenig zu verdienen. Ein Effekt von Hartz IV ist sicherlich gewesen, dass wir mehr Leute mit niedrigem Einkommen in Deutschland haben.

Für einen wie ihn wurde Hartz IV erfunden. Im idyllischen Ostfriesland lebte er lange stressfrei vor sich hin, dank der guten alten Sozialhilfe. Elf Jahre lang ging das gut. Mit Hartz IV wurde es ungemütlich für Hartmut. Seit 2005 wird er aktiviert, ob er will oder nicht. Vorbei sind die paradiesischen Zeiten, in denen er in Ruhe arbeitslos sein durfte. Das Zentrum für Arbeit im Ostfriesischen Leer lässt nicht locker. Und nach fast fünf Jahren haben sie ihn soweit, Hartmut sucht endlich Arbeit. Doch der Schlendrian der Vergangenheit holt ihn ein. – Hartmut: Ich wollte mal fragen, ob sie noch Leute suchen. – Der Chef: Sie waren ja schon vor vier Wochen hier und haben sich vorgestellt. – Ja, das ist richtig. – Dann sagten sie, sie wollten am nächsten Morgen acht Uhr kommen, um zu arbeiten. Aber an dem Morgen fragte ich um neun Uhr nach ihnen, aber sie waren nicht da. Aufgrund dessen, dass sie nicht erschienen sind, haben wir jetzt auch keine Arbeit für sie, weil wir nur zuverlässige Mitarbeiter suchen. Solche Leute wie sie können wir nicht gebrauchen. Das sollten sie vielleicht auch mal überdenken. Wir hätten eine zuverlässige Kraft, die mit zupacken kann, schon noch beschäftigen können. – Der Chef: Ich bin offen und ehrlich, und ich hasse das, wenn Leute, die Steuern zahlen müssen und die schwer arbeiten müssen für ihr Geld, andere finanzieren und unterhalten sollen, die meinen, sie könnten auf anderer Leute Knochen und Kosten sich ein schönes Leben machen. Da bin ich fest davon überzeugt, da gehört er auch dazu. – Dem Ernst des Lebens hat sich Hartmut lange widersetzt. Er tut sich schwer mit strikten Regeln. – Hartmut: Eigentlich gehe ich sofort zu Arbeit. Wenn es heißt, sieben Uhr Arbeitsbeginn, dann bin ich auch um zehn Minuten vor Sieben da, um einen guten Eindruck zu hinterlassen beim Arbeitgeber. – Außer manchmal, wendet seine Lebensgefährtin ein. – Außer manchmal, ja.

Hartz IV wollte sie in Bewegung bringen, die Bequemen dieser Republik. Ein Recht auf Faulheit hat niemand. Anfang 2005 trat das Gesetz in Kraft. Für Hartmut damals mit einem Vorarbeiter: Ja, ich hab´ gesagt, zu den Bahnschranken gehen. Wo sind sie? Irgendwo unterwegs. Ich habe extra gesagt, sie sollen mitfahren. Denn ich kenne die Leute ja schon ewig. Die sind wahrscheinlich wieder nach Hause gegangen. Arbeiten für nur einen Euro! Hartmut macht erst mal >blau<. Zur Strafe kürzen sie sein Hartz IV. Seitdem geht er vorher immer zum Arzt. – Sie können nur kürzen, solange man keine Krankmeldung abgibt, erklärt Hartmut. Wir treiben das bis zum Äußersten.

Hartmut ist Kunde von Herrn Walther. Zwanzig Prozent, schätzt der, haben so auf >Stur< geschaltet. – Herr Walther: Ich vermute, dass über diese lange Zeit, die diese Menschen nicht mehr erwerbstätig waren, ein hohes Maß an Entwöhnung eintritt. Dabei gehen diese täglichen Rhythmen verloren. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Punkt, der es dann Menschen hinterher sehr schwer macht, sich wieder umzustellen. Daher versetzen sie viel Kraft und Energie da hinein, diesen Status quo nicht zu verändern, statt diese Kraft und Konzentration einzusetzen wieder eine Tätigkeit aufzunehmen. – Selbst das Amt ist davon überzeugt, man müsse die Betriebe vor Herrn Hartmut schützen. Er darf seine Kunden aber nicht auf der faulen Haut liegen lassen, so will es das Gesetz.

Also müssen Maßnahmen her. >Fit für die Arbeit< heißt der Kurs. Auf dem Lehrplan stehen Körperpflege und regelmäßiges Aufstehen am Morgen. Die Kosten betragen pro Person 2160 Euro. – Hartmut macht >blau<. Deswegen gibt es wieder Kürzungen. – Hartmut: Zwei Stufen haben wir ja schon weniger. – Herr Walther: Wenn sie das jetzt nicht durchhalten, bekommen sie keinen Cent mehr. – Ja, dann gibt’s gar nichts mehr, das weiß ich. – Diszipliniert das sie? – Mal gucken. – Rund hundert Euro bleiben Hartmut dann noch, und das ist schmerzhaft. – Hartmut gehört in der Behörde zu untersten Kunden-Kategorie. Das sind die, die nicht wollen. Ihr Stempel >IR< Integrationsresistent. – Die Mitarbeiterin: Wir leben in einer Solidargemeinschaft, und die kann nur funktionieren, wenn die Masse daran mitarbeitet. Und nicht, wenn eine große Masse versucht, diese Solidargemeinschaft auszunutzen. Darum versuchen wir weiter, Herrn Hartmut wieder in Arbeit zu bekommen.

Auch, wenn Hartz IV an Herrn Hartmut bisher gescheitert ist, die offizielle Statistik weist 18% weniger Langzeit-Arbeitslose aus. Jetzt, im Jahr 5 von Hartz IV beteuert auch Hartmut, er suche jetzt ernsthaft Arbeit. Hartz IV macht eben Druck! – Hartmut: Ich wollte fragen, ob ich hier Arbeit kriegen kann. – Mit 46 Jahren und ohne Ausbildung ist das sehr schwer. Warum hat Hartmut all die Jahre so gebockt? – Vielleicht auch ein bisschen aus Frust über die Marktlage hier in Deutschland, dass man für wenig Geld viel leisten muss. Man verdient ja nicht viel mehr Geld durch Arbeit als durch Hartz IV. Das bleibt sich gleich. Im Endeffekt habe ich von Hartz IV genauso viel als wenn ich arbeiten gehe. Also lohnt sich Arbeit normal nicht. Die eigenen Einkünfte verringern ja die Hartz IV-Bezüge um bis zu 90%. Darum ist der Anreiz zu arbeiten für viele zu gering.

Der Mitarbeiter der Behörde: Wenn wir mit denen arbeiten, die wirklich wollen, haben wir sehr viele Möglichkeiten. Dann kann man wirklich fördern, so wie es eigentlich das Hartz IV-Gesetz ja auch will. Aber das heißt, dass ich sehr viel Zeit für eine Person aufwenden muss. Das schaffe ich aber nicht, wenn ich noch 200 einladen muss, die eben nicht arbeiten wollen. Ich habe die Zeit und Energie nicht, um mich um Leute zu kümmern, die nicht wollen.

Ein Politiker: Ich glaube, wir sollten manchmal den Gedanken fassen, dass wir eine bestimmte Gruppe von Menschen einfach in Ruhe lassen müssen. Wir können uns das auch leisten. Nicht in dem Sinne, wir stellen sie ruhig, damit wir uns nicht mehr um sie kümmern müssen, versorgen wir sie mit schlechtem Essen und billiger Unterhaltung. Das alles in der Hoffnung, dass sie nicht auf die Straße gehen. Es gehört zu einem starken Gerechtigkeitsempfinden in einer Gesellschaft, dass man weiß, dass die Leute unterschiedliche Vermögen haben. Und, dass es immer auch Menschen gibt, die wirklich den Mut verloren haben.

Hartz IV hat Deutschland verändert. Die Angst vor dem Abrutschen in Armut ist größer geworden. Am Anfang klagten die Menschen noch gegen Grundsätzliches. Verletzt Hartz IV beispielsweise die Menschenwürde? Die Gerichte entscheiden >Nein<.

Heute geht es um konkrete Fälle, wie den von Emil. Das Jobcenter hat sein Hartz IV auf >Null< gestrichen. Zu Unrecht entscheidet Richter Adam. Der junge Mann hatte zwar einen Ein-Euro-Job verweigert, aber aus gutem Grund. Er hätte als Maler arbeiten sollen. Das aber darf er nicht, wegen einer Atemwegs-Erkrankung. Das Attest war verschollen! Hätte man einen so klaren Fall nicht ohne Richter klären können?

Ein Hartz IV-Empfänger: Es ist auch kaum möglich, dass man mit den Jobcentern telefoniert. Man kommt kaum durch. Andererseits wird einem vorgeworfen, man hätte doch mal anrufen können, um die Sache zu klären. Das ist aber schier unmöglich, weil man den Sachbearbeiter kaum erreichen kann.

Und >Klagen gegen Hartz IV< kostet nichts! Da lassen es eben alle Seiten darauf ankommen. Ein Sprecher des Jobcenters: Wir betreiben ja hier Massenverwaltung. Es ist ja nicht der einzelne Fall, sondern wir haben ganz, ganz viele Vorsprachen, ganz viele Kunden. Es ist wirklich so, dass das schon mal passieren kann, dass man hier in der Eile auch was übersieht oder missinterpretiert. Weil wir personell nicht optimal Ausgestattet sind, trägt das natürlich auch dazu bei, dass Fehler gemacht werden.

16500 mögliche Missinterpretationen warten auf Klärung, allein am Sozialgericht Berlin. 16500 Menschen, für die jeder Euro zählt. – Ein Politiker: Der große Geburtsfehler von Hartz IV war, dass man sich viel zu wenig Gedanken darüber gemacht hat, wer setzt das eigentlich um! Das lag ja damals völlig im Trend. Es ging ja immer >schlanker< im Staat. Wer das Wort >Verwaltung< in den Mund genommen hat, das klang ja sofort >grau und langweilig<. Der Bericht über Hartz IV klang den Leuten zu trocken und kompliziert. Wenn man aber niemand hat, der die Ideen umsetzt, dann bleiben die >beschriebenes Papier<. Papier ist ja geduldig, man muss die Worte in die Tat umsetzen. Dazu benötigt man eine Behörde, die das kann!

Im Erdgeschoss des Gerichtes können Klagen mündlich eingereicht werden. – Die Wartenummer 12 bitte: Dietmar will umziehen, aber das Jobcenter lässt ihn nicht. – Ich habe Widerspruch eingelegt, erklärt er der freundlichen Dame am Schalter, mit Hilfe einer Anwältin. Der wurde wieder abgelehnt. Die Anwältin hat mich hergeschickt . . . – Der Vierundsechzigjährige ist Schwerbehindert. Er will in eine betreute Seniorenwohnanlage umziehen. Das Jobcenter weigert sich, das zu bezahlen. – Dietmar: Man will ja auch keine Reichtümer haben, wenn man eine Grundsicherung hat. Aber leben und leben lassen, das wäre schon eine tolle Sache. Es wäre schon mal schön, wenn man für sich entscheiden könnte, Alten- und Behindertengerecht zu wohnen. Nicht mal dazu ist man fähig, selber. Das ist schon traurig in so einem Land, muss ich ehrlich sagen. – Der Staat bietet längst nicht mehr das >Rundum-Sorg-los-Paket< wie früher. Er sichert nur noch das >nackte Leben<. – Das Gericht wird seine Klage abweisen. Hartz IV erlaubt keine >Extras<. Hartz IV heißt >Grundsicherung< 359 Euro plus Miete, mehr gibt es nicht mehr.

Der Politiker: Man darf in Deutschland eines nicht vergessen: Der gesamte Sozialstaat wird in seiner heutigen Situation als das kumulierte Ergebnis von vielen historischen Kämpfen auf dem Weg des Fortschritts begriffen. Dabei hat man um dieses gekämpft, um jenes gestritten. Die Frage, ob das alles im Einzelnen immer noch richtig ist, und ob das der heutigen Lebens-Situation wohl noch angemessen ist, ob das unserer Situation in der internationalen Arbeitsteilung, im Strukturwandel der gesamten Einkommenssituation angemessen ist, die stellen dann viele nicht mehr. Die Frage zu stellen, heißt für die dann, die das nicht wollen, an gut gemeintem zu kratzen. Das müssen wir aber trotzdem machen.

Henriette und Celina haben sich es herausgenommen, Fragen zu stellen. Neulich erst waren die beiden Dreizehnjährigen zu Gast bei der Kanzlerin. Wer bei >Jugend forscht< einen Preis gewinnt, wird ernst genommen von den >Großen<. Erst recht, wer solche Fragen stellt: Kann sich eine vierköpfige Familie von Hartz IV gesund ernähren? – Bio-Obst ist zu teuer. Süßig-keiten gehen auch nicht. – 14 Euro pro Tag. Wird eine vierköpfige Familie davon satt? Sechs Monate lang haben Henriette und Celina das getestet. Eine Woche pro Monat haben sie, ihre Eltern und Geschwister Hartz IV probiert. Sie haben gekocht und gekostet, gerechnet und geteilt. Kosten durch Kalorien. Ihr Ergebnis: Eine gesunde Kalorie kostet 13 Cent. Umgerechnet reicht Hartz IV damit knapp für eine vierköpfige Familie. Dauerhaft geht das aber nur mit knallharten Selbstbeschränkungen. – Henriette: Das so mal auszuprobieren finde ich ja ganz interessant. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dauerhaft damit leben müsste, also darum tun mir die Leute auch echt leid. Ich bin froh, dass wir davon nicht leben müssen. Man kann zwar so leben, aber es ist nicht schön, finde ich. – Es ist so schlimm, mein Celina, dass man auf viele Sachen verzichten muss. Man kann kein Eis mehr essen oder ins Kino gehen. Aber es ist nicht so schlimm, dass man hungern muss. Wir gehen in einen Laden und kaufen uns irgendwas. Das kann man dann als Hartz IV-Empfänger nicht. Mir ist aufgefallen, dass es manche Leute nicht so gut haben wie wir. Wir haben es immer als normal betrachtet, was wir so haben. Dieses Glück hat aber leider nicht jeder.

Die Tagesration macht satt, aber vieles geht gar nicht: Ein Fest feiern, Gäste einladen, Essen gehen. Noch dramatischer: Für Kinder über zehn Jahren reicht Hartz IV nicht. Das prüft jetzt sogar das Bundesverfassungs-gericht. Denn Kinder im Wachstum brauchen genauso viele Kalorien wie Erwachsene.

Henriette: Das geht doch nicht. Wenn ich doch als Kind genauso viele Kalorien benötige wie ein Erwachsener, kann ich doch nicht weniger Geld als die Erwachsenen haben. – Celina: Dann müssen die Erwachsenen ja viel zu viel Geld erhalten. Die werden sich doch wohl überlegt haben, dass der Staat nicht übermäßig bezahlen muss, haben wir uns gedacht. Also, muss doch irgendwo ein Fehler sein. Es war ja dann auch so, das haben wir ja gesehen. – Seit Juli 2009 bezahlt der Staat Kindern zwischen 6 und 10 Jahren schon mal 40 Euro mehr als bisher. Vorauseilend quasi, bis das Bundesverfassungsgericht die Frage endgültig entschieden hat. – Celina: Das war doch willkürlich festgelegt. Die haben sich überlegt, die Kinder brauchen einfach 60% des Betrages für Erwachsene. Wenn sie denken, Kinder sind nur klein, sie sind keine Erwachsene und brauchen weniger. Dabei befinden sich Kinder ständig im Wachstum, und dadurch brauchen sie auch mehr.

Ein Politiker: Wir haben immer noch einen großen Bestandteil in der gesellschaftlichen Mitte, die wirklich der Auffassung sind, dass es kein gutes Leben ist, wenn es zu viele in einer Gesellschaft gibt, die abgehängt werden von dem, was für den allgemeinen Lebenszuschnitt als wichtig angesehen wird. Dazu gehört auch, dass man allerdings eine Vorstellung davon bekommt, dass es auch ein einfaches Leben in unserer Gesellschaft gibt, wo die Leute mit wenig zurecht kommen müssen.

Die Schere zwischen Reich und Arm klafft in Berlin weit auseinander. Gabi und ihr Sohn Florian leben nicht in einer Villa am See. Die beiden sind eine Ein-Eltern-Familie. Das ist in Deutschland das größte Armutsrisiko. – Gabi: Obst ist nichts, was wir uns so jeden Tag holen würden, sondern was besonderes. Dann auch nur eine kleine Menge aus dem Supermarkt und nicht vom Markt. – Welcher Verzicht schmerzt am meisten? – Florian: Verreisen natürlich. Ich würde gern nach Italien reisen, nach Rom, weil ich mal Historiker werden will. – Wenn ihr >kleiner Historiker< in der Schule ist, kann Gabi halbtags arbeiten gehen. Fünf Euro die Stunde verdient sie in einer Seniorenwohnanlage. Etwas anderes hat sie nicht gefunden. Auch vom Jobcenter kam nichts, außer dem Angebot an die Hotel-Fachfrau einen Gabelstaplerschein zu machen. Von den 400 Euro, die Gabi hier verdient, bleiben ihr ganze 160 Euro. Der Rest wird mit Hartz IV verrechnet. – Gabi: Ich habe das ja immer so gelernt, der Lohn ist die Anerkennung der Arbeit durch den Arbeitgeber. Und da fühlt man sich ja doch ein bisschen verlassen mit den 5 Euro. Ich mache es nur wegen der Leute hier, die sich auf mich verlassen. Sie haben sich an mich gewöhnt, und ich möchte sie auch nicht enttäuschen, wenn ich plötz-lich nicht mehr komme. Ich bin natürlich auf der Suche nach einer richtigen Arbeit, wo man auch von leben kann. Aber solange ich nichts passendes finde, würde ich schon gern hier bleiben, lieber, als zuhause zu sitzen. – Alleinerziehende finden nur schwer zurück auf den ersten Arbeitsmarkt. Die Kinder machen sie unflexibel. So braucht fast die Hälfte aller Ein-Eltern-Familien Hartz IV. Mit der Zeit wiegt die Geldnot immer schwerer. Die Kinder wollen mithalten mit anderen. – Für Florians Lieblings-Spielzeug, ein Wheelgerät haben Freunde der Familie zusammengelegt. – Gabi: Gerade für alleinerziehende Mütter mit Kindern ist es sehr schwer. Man hat ja die Möglichkeit nicht, was soll man denn machen? Man kann ja nicht nachts arbeiten gehen oder Doppelschicht machen. Das ist einfach nicht möglich. – Wenn schon nicht Rom, dann wenigstens Berlin: Das Deutsche Historische Museum. Florian liebt es. Doch selbst den Trip mit der S-Bahn gönnen sich die beiden nur zweimal im Jahr, als Belohnung für ein gutes Zeugnis. Für sie ist das Luxus pur. – Gabi: Dann ist Florian ein bisschen anspruchsvoller, dann müssen wir noch eine Führung mitmachen und in den Muse-umsshop der immer lockt. Da muss ich leider oft >Nein< sagen, wenn er ein teures Buch haben möchte, weil das leider nicht geht. - Bleibt Florian nur der Traum von einem Leben zu einer anderen Zeit: Dann kaufe ich mir eine Villa auf dem Land. Ich will viele Sklaven haben und ein schönes Leben führen. – Nach außen lassen sich die beiden nichts anmerken. – Gabi: Es ist so ein ständig angespannter Zustand. Dabei muss man immer noch gut drauf sein am Tag, wegen Florian. Und dann muss eben die Heulerei auf nachts verlegt werden, einfach. Das ist schon stressig. – Wenn die anderen Kinder in die Ferien fliegen, tröstet Gabi ihren Sohn mit der Geschichte von den Reichen die sagen, Zeit ist kostbarer als Geld. Und deshalb besäßen sie den größten Schatz überhaupt.

Ein Politiker: Es ist relativ einfach zu sagen: Soziale Gerechtigkeit, immer mehr Gleichheit, am besten in den Entlohnungen, am besten in den Lebenschancen. Wenn das nicht mehr stimmt, und ich glaube, das wird in der Zukunft nicht mehr stimmen, dann müssen wir wirk-lich über soziale Gerechtigkeit nachdenken. Soziale Gerechtigkeit unter der Bedingung von Ungleichheit. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse heißt nicht, dass jeder das gleiche hat, die gleichen Möglichkeiten hat, die gleichen Chancen an Bildung teilzunehmen, die gleichen Chancen in den Arbeitsmarkt zu kommen. Aber am Ende sind wir unterschiedlich. Das wird ein Staat nicht ausgleichen können und der sollte es auch nicht tun.

Dass es eine Klageflut gebe, weist die Bundesanstalt für Arbeit zurück. Die Sozialgerichte schlügen zu Unrecht Alarm. Geklagt werde nur gegen 1% aller Bescheide. Das sei genauso wie vor Hartz IV. Statistik hin oder her. Am Berliner Sozialgericht verhandeln sie im Halb-Stunden-Takt.

Die Klägerin, Frau Susanne fordert 681 Euro vom Jobcenter für ihre Nebenkosten-Nachzahlung. Warum diese so hoch ausgefallen sei, will Richter Adam wissen. Plötzlich steht ein Verdacht im Raum. Sohn Jonas hat damals womöglich noch mit in der Wohnung gewohnt? Zwei verbrauchen natürlich mehr als einer. – Herr Rudolf, der Vertreter des Jobcenters wird hellhörig. Sollte das stimmen, dann hätte die Klägerin die doppelte Miete bekommen. Demnach schuldet sie dem Jobcenter Geld, nicht umgekehrt. – Vorsichtiger Rückzug von Frau Susanne: Ein falsches Datum, beteuert sie. Jonas sei längst ausgezogen gewesen, als so viel Gas, Wasser und Strom verbraucht wurden.

Herr Rudolf dazu: Die haben sich ein totales Eigentor geschossen. Also dieser Fall wird jetzt von uns noch einmal komplett aufgerollt. Wir werden noch mal ermitteln und die Familie wird noch mal angehört. Wir werden den Prüfdienst rausschicken, und wenn es sich rausstellt, dass die dort gewohnt haben und es nicht angezeigt haben, werden wir den Fall an die Staatsanwaltschaft abgeben. Das wäre Sozialbetrug. – Jetzt muss die Familie nachweisen, wer, wo, wann mit wem gelebt hat. In was haben sie sich da nur reingeplappert?

Frau Susanne: Man weiß das ja nicht mehr so genau, ich weiß nicht mehr das genaue Datum. Aber wenn ich rechne, mein Sohn war damals schon auf der Welt, als wir in der Wohnung waren. – Jonas wütend: Wegen eines Versprechers von mir machen die so ein Theater hier. Jetzt müssen wir noch Geld für einen Anwalt auftreiben und alles mögliche. Wir kriegen dann einen vom Gericht. Der haut uns am Ende doch auch in die Pfanne. – Vor Gericht bekommt man Recht, auch wenn man verliert, sagt Richter Adam in solchen Momenten: Es gibt Leute, die haben so die Idee, dass wir praktisch ihr verlängerter Anwalt sind, dass wir für sie den Fall lösen. Das kann ja auch passieren. Wenn die Leute Recht haben, dann ist es ja so, dass das Gericht für sie den Fall löst. Aber es kann auch immer wieder passieren, dass wir dann Dinge rauskriegen, die dann den Leuten auf die Füße fallen. Es kommen immer wieder unangenehme Sachen zutage nur deshalb, weil die Leute zu Gericht gegangen sind.

Ein normaler Morgen am Sozialgericht. Neue Klagen im Zehn-Minuten-Takt. Ein Eilantrag dauert 14 Tage. – Klage von Arnim gegen ein Jobcenter wegen Untätigkeit: Ich hatte den Widerspruch eingelegt. Sie hatten sieben Monate Zeit, drei muss man ihnen einräumen. Ich dachte, da war ich geduldig. Ich habe ihnen noch einmal einen Termin gesetzt, einen zweiten. Leider geschah nichts. Dann muss man halt vor Gericht gehen. Mir macht das keinen Spaß.

Ein Politiker: Der Ruf von Hartz IV ist eindeutig schlechter als die Sache. Dass es in der Umsetzung Probleme gibt, das ist mit Blick auf die Verwaltung und die Zuverdienstregelung klar zu benennen. Aber von der Grundidee her, und gerade auch von der klaren Zielsetzung der Reintegration in den Arbeitsmarkt so schnell wie möglich, so umfassend wie möglich den Menschen einen Job anzubieten, ist es ein wichtiger Schritt gewesen.

Duisburg am Rhein im Ruhrgebiet gilt als Europas größter Stahlstandort. Die Kohle kommt heute aus Kolumbien. Die Arbeitslosigkeit ist höher als anderswo. Duisburg ist keine Vorzei-ge-Stadt, normalerweise. – Sie lieben den Park. Doch bisher kamen die Bewohner von der Station 3 nur selten an die frische Luft. Sie leiden unter Demenz, und das Risiko, dass einer wegläuft ist groß. Spazieren gehen ist nur in Begleitung möglich. Das war immer das Problem. – Spazieren gehen ist toll, ja, es ist sehr schön, erklären die Patienten. – Neuerdings gibt es genügend Betreuer, ehemalige Hartz IV-Empfänger. – Johanna war früher Sekretärin, jetzt ist sie eine Alltags-Begleiterin, und den Makel >Hartz IV< endlich los. Die letzte Chance für die Fünfundfünfzigjährige? – Frau Johanna: Nee, ich mach´ das hier richtig gern. Also, die letzte Chance war es für mich nicht. Ich denke mal, ich hatte vorher auch Chancen in einen Job zu kommen, mal hier mal da für 400 Euro. Das waren so Strohhalme, an die ich mich geklammert habe. Aber das hier ist keine Chance, keine letzte Chance, das ist der Beruf der mich ausfüllt. – Olga ist gelernte Fotografin. Fünf Jahre Hartz IV liegen hinter der Polin. Die neuen Betreuerinnen mischen die Station ganz schön auf. Sie verändern das Leben hier, und die Bewohner gleich mit. – Eine Angehörige: Also, meine Mutter ist wesentlich lebendiger geworden, sie ist nicht mehr so depressiv. Jetzt bekommt sie keine Antidepressiva mehr. Sie nimmt am Leben teil und hat einfach Spaß und findet das toll. – Allein eine alte Dame auf dem Sofa wollte eigentlich lieber schlafen. – Seit die Pflegeversicherung auch Betreuung bezahlt, gibt es Alltagsbegleiter. 200 Stunden Fortbildung zahlt die Arge Duisburg. Das ist mehr als das Gesetz verlangt, aber eine gute Investition. Fast jede Alltagsbegleiterin findet sofort eine Stelle auf dem >ersten Arbeitsmarkt<. – Olga: Die Arge hat mich einfach auf diesen Weg gebracht hierhin, ja, vielleicht zur Betreuung im Altersheim. Ich fragte, im Altersheim ist auch Betreuung? – Ja, das gibt es da. Wie finden sie den Beruf? – Ja, ich möchte sofort. – Potenziale erkennen und richtig fördern, das ist Hartz IV, wenn es gut läuft. Doch das Image könnte schlechter kaum sein. – Im Altenheim steht ohne Betreuer das Leben still. – Gerade mal 1400 Euro brutto bringt eine Vollzeitstelle. Doch alles ist besser als Hartz IV, finden die neuen Alltagsbegleiterinnen. – Olga: Es gibt noch Hartz IV-Empfänger, die nicht arbeiten wollen, so Sozial-Schmarotzer. Damit konnte ich nie etwas anfangen. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Ich habe zwei Kinder großgezogen. Ich bin kein Sozial-Schmarotzer. Und so wurde man auch behandelt.

6,5 Millionen Menschen erhalten Hartz IV. Das ist eine halbe Million mehr als am Anfang, im Januar 2005. Entsprechend groß sind der Frust und der Ärger über die Arge. Viele Menschen arbeiten und brauchen trotzdem Hartz IV. Auch im fünften Jahr reißt der Prozess nicht ab. – Ein Betroffener: Leute, die nicht arbeiten können, müssten ein menschenwürdiges Einkommen haben. Menschen, für die keine Arbeit da ist, brauchen auch ein menschenwürdiges Einkommen. Und die Menschen, die arbeiten, brauchen einen Lohn von dem sie leben können, ohne bei der Arge oder einer anderen Institution betteln zu gehen.

Olga will sich bedanken. So etwas passiert nur selten. Dank Amt und Eigeninitiative hat sie es geschafft. – Man muss sehr viel Kraft haben vielleicht, immer zur Arge zu gehen und zu sagen, ich möchte einen Job haben, und natürlich viel Glück auch. Die, die draußen protestieren, stoßen drinnen auf viel mehr Sympathie als sie nur vermuten würden. – Eine Arge-Mitarbeiterin: Ich habe mal irgendwann aufs Grundgesetz geschworen, und ich bin der Meinung, die Würde des Menschen, wie die da verankert ist, wird nicht geachtet. Sicher gibt es Mitarbeiter, die Mensch sind, die Mensch bleiben. Aber es gibt wirklich viele, die denken, dass sind Steuerfresser, das sind faule Elemente. – Ein Betreuer: Also dass, was auch der letzte begreifen muss, dass das Menschen sind, die einem gegenüber sitzen, und nicht irgendwelche Handlanger, die das machen, was ich ihnen auftrage. – Die Mitarbeiterin: Also, von Kunden- und Dienstleitung sind wir noch weit weg.

Deshalb enstehen im Keller des Berliner Sozialgerichtes neue Büros für noch einmal vierzig Richter. Hartz IV bleibt eine Baustelle. Aber immerhin eine mit passablem Fundament. – Ein Politiker: Es ist gelungen, am Arbeitsmarkt größere Erfolge zu erzielen als früher. Wir haben mehr aus dem weltwirtschaftlichen Boom für uns rausholen können. Das zeigt, wer Dinge überprüft, wer wirtschaftpolitische Veränderungen einleitet, die sachangemessen sind, der bekommt auch einen Ertrag. – Der Experte: Wenn die Leute, die netten, freundlichen, die einigermaßen verdienen, die einigermaßen eingebettet sind, wenn die beginnen hartherzig zu werden, wenn die nur noch an sich selber denken, wenn die glauben, wir haben nichts mehr zu geben, wir können nicht mehr auf andere achten, wir müssen nur noch auf uns selbst achten, also die Gruppe die die moralische Empfindlichkeit unserer Gesellschaft aufrecht erhalten, wenn die anfangen hartherzig zu werden, dann ist es schlecht bestellt um das soziale Band unserer Gesellschaft.

Ein Richter: Was ganz wichtig war, gerade jetzt in den ersten Jahren von Hartz IV, denke ich schon, dass wir ein Stück wieder Ruhe hereingebracht haben. So etwas schaukelt sich sehr schnell hoch. Es sind Menschen, die sind wirklich am Existenzminimum, die haben dann nichts mehr. Und jetzt müssen die sich da durchkämpfen, durch einen bürokratischen Apparat, den sie nicht verstehen, wo dann noch Fehler passieren, und das ist dann eine ganz kritische Stimmung.

Hartz IV war gut gedacht, aber schlecht gemacht. Sogar das Bundesverfassungsgericht will, dass die Politik nachbessert. Vielleicht gelingt ja dann die Reform der Reform. Wir leben in einer Zeit von Egoismus und Egoisten. Im Staat und in der Politik gibt es erkennbar keinen Idealismus und keine Idealisten. Alle Entscheidungen werden nach Klärung der Frage >Was habe ich davon?< getroffen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Das klingt und ist hart, aber leider wahr.

 

Betroffenheit?

 Wie reagieren die Politiker auf die Probleme bei der Arbeitslosigkeit, im Gesundheitswesen und der Renten-versicherung? Mit Betroffenheit! Mit tiefer, lähmender Betroffenheit! Da wäre Mitgefühl doch besser. Also, mit Gefühl! Aber, wer nicht betroffen ist, kann auch nicht mitfühlen oder mitleiden – kein Mitleid!

Politiker sind nicht arbeitslos und brauchen das Abgleiten in die Arbeitslosigkeit nicht zu befürchten. Doch sie entscheiden über die Menschen, die unverschuldet arbeitslos werden. Und die Betroffenen haben keine Möglichkeit auf die Entscheidungen der Politiker Einfluss zu nehmen. Auch bei Wahlen gibt es keine Alternativen!

Über das Gesundheitswesen bestimmen Politiker, die selbst in dem Zwangssystem für die meisten Arbeitnehmer nicht involviert sind. Die Mehrheit der Politiker sind freiwillig Versicherte oder Beamte. Sie sind von den so genannten Reformen nicht betroffen!

In der Altersversorgung durch Renten und Pensionen treffen ebenfalls Politiker die Entscheidungen für die breite Bevölkerung. Aber die eigene Altersversorgung ist gut und großzügig abgesichert!

 

Herbst der Reformen

 

Wenn das Geld knapp ist, muss gespart werden. Und so heißt die Devise in Deutschland und in Frankreich gleichermaßen: Sparen, sparen, sparen. Mehrmals in Folge haben beide Länder gegen die Stabilitätskriterien des Euro verstoßen, weil sie mehr ausgaben als die Kasse, ohne neue Schulden, hergab. Das veranlasste „blaue Briefe“ aus Brüssel, und die Erkenntnis, dass es so auf Dauer nicht weitergehen kann.

Daher ist der Herbst der Reformen ausgerufen. Vor allem in Deutschland grenzt dies an ein Wunder. Nach Jahren des Stillstands und der Blockaden tut sich etwas. Dabei hat der Wähler längst den Überblick verloren, welche Expertenkommission für welche Reform zuständig ist. Zu Tausenden gingen sie in den letzten Wochen beiderseits des Rheins auf die Straßen, um gegen den Abbau des Sozialstaats zu demonstrieren.

Für die Parteien wird die Umsetzung der Reformvorschläge zur Zerreißprobe. Für Bundeskanzler Schröder wurde dies auf dem Bundesparteitag der SPD zur Vertrauensfrage. Zugleich setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung nur mit dem Abschied von liebgewonnenen Privilegien, Gewohnheiten und Erbhöfen gelingen wird.

Jetzt oder nie lautete die Devise im deutschen Reformherbst 2003. Die sozialen Sicherungssysteme standen ebenso auf dem Prüfstand wie das hochkomplizierte deutsche Steuersystem. Es ging um das Ganze, es ging um radikale Schnitte, und darum, Lobbyisten zu überwinden, die einzelne Reformen seit Jahren erfolgreich blockieren.

Gerade mit Blick auf Subventionen ist es besonders schwer, den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verantwortlich. Das steht in der Deutschen Verfassung. Und dieser eine Satz macht den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur aus.

Eine Abstimmung im Deutschen Parlament. Im Herbst 2003 entscheiden die Abgeordneten, über tiefgreifende Einschnitte in die deutschen Steuer- und Sozialgesetze. Nach jahrelangem gegenseitigen Blockieren, haben die Parteien den Staat in eine finanziell fast aussichtslose Lage manövriert. Das, was jetzt zur Abstimmung steht, ist letztlich nur noch ein Reförmchen, zusammengestaucht von zahlreichen Gruppeninteressen. Angeblich ist es natürlich zum Wohle des gesamten Volkes.

Monatelang wurde auf den Fluren und in den Büros des Bundestages um jedes Wort gekämpft und jeder der Abgeordneten sah sich von Scharen von Einflüsterern bedrängt. Es waren die Wochen der Schattenmänner, der Lobbyisten, die mal offen, mal weniger offen über die Abgeordneten Einfluss auf die Gesetze nehmen wollten. Die Methoden reichen von Parteispenden bis zu fertig formulierten Gesetzesentwürfen. Manche Abgeordnete sind dabei klar besonderen Interessengruppen zuzuordnen.

Klaus Brandner von der SPD, hauptamtlicher IG-Metall-Funktionär ist der Repräsentant des Gewerkschaftsflügels. - Dr. Dieter Thomé von der FDP hat sich den Ruf erworben, die Freiberufler im Gesundheitswesen vor allzu einschnei-denden Reformen zu bewahren. - Ernst Hilsgen von der CSU ist Bäcker- und Konditormeister. Er wird Mr. Handwerk genannt, weil er zäh und mit großem Erfolg die starre Deutsche Handwerksordnung verteidigt. Beim Handwerksrecht geht es vor allem um die Bedeutung des Meisterbriefs. In Deutschland ist er ein Symbol für Qualitätsausbildung, zunehmend aber auch ein Jobkiller.

Reiner Lotz hat den Meisterbrief vor 20 Jahren im Radio- und Fernsehtechniker-Handwerk erworben. Nur dadurch ist es ihm nach deutschem Recht erlaubt, selbständig einen Betrieb zu gründen und Lehrlinge auszubilden. Eine in Europa, mit Ausnahme Luxemburgs, einmalig Regel, die massiv die Gründung neuer Betriebe behindert.

 Horst Wäschle vor dem Landgericht Berlin-Charlottenburg. In dieser Trutzburg aus dem Kaiserreich wurde er zur Arbeitslosigkeit verdammt. – Ich habe mich selbständig gemacht, berichtet Horst Wäschle, und ich möchte Wohnungen renovieren. Das habe ich beworben, mit folgender Anzeige: Wohnungsrenovierung von A – Z für private Hausverwaltung. Daraufhin wurde ich mit einer Einstweiligen Verfügung bestraft, die mir androht, 250000,00 Euro Geldstrafe bei Zuwiderhandlung, d.h. falls ich noch mal werbe. Gegen die Einstweilige Verfügung habe ich eingelegt. Diese wurde leider abgelehnt, sodass meine Existenz extrem gefährdet ist. – Zum Nichtstun verurteilt betrachtet Horst Wäschle jetzt die Baustellen, in denen er als Selbständiger arbeiten könnte, wenn ihn das Deutsche Recht nur ließe. Nach dem Urteil, das ihn in die Sozialhilfe stürzen kann, hat er von der Malerinnung einen Brief bekommen, in dem ihm genau gesagt wird, was er noch darf, solange er keine Werbung macht. Es klingt wie Hohn: Zum Beispiel darf er Raufaser-Tapeten ankleben und streichen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden. Aber, Fenster und Türen streichen darf er nicht, denn das unterliegt dem Meisterzwang.

 Der beamtete Jurist Horst Bierbach hat vor Jahren ein Buch geschrieben, mit dem unverfänglichen Titel „Das Recht auf selbständige Arbeit“. Darin kommt er zu dem Schluss, dass die Deutsche Handwerksordnung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das bedeutet für die Handwerkslobby eine Kriegserklärung. Horst Bierbach war damals im Handwerksreferat des Bundeswirtschaftsministerium tätig. – Horst Bierbach erklärt: Als ich die Veröffentlichung meines Buches meinem Vorgesetzten ankündigte, wurde ich umgehend vom Handwerksreferat in das Referat für Umwelt-schutz versetzt, wo ich dem Handwerk nicht mehr gefährlich werden konnte. – Jetzt arbeitet Horst Bierbach im Bundesinstitut für Berufliche Bildung, kurz BID genannt. Es untersteht dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Im BID werden u.a. die Berufsbild- und Prüfungsordnungen erarbeitet, auch für das Handwerk. Und schon wieder gehen die Funktionäre auf ihn los, und schon wieder wurde er versetzt. – Diesmal wurde ich aus dem Arbeitsbereich, die die meisten Ausbildungsordnungen für das Handwerk erarbeitet, in den Arbeitsbereich Fernunterricht versetzt, der mit dem Handwerk praktisch nichts zutun hat. Aber auch danach beschwerte man sich über meine privaten Veröffentlichungen, obwohl sie keinerlei Bezugnahmen auf das BID enthielten. Das kann ich mir nicht länger gefallen lassen, deshalb klage ich gegen das Handwerk.

 Aktenberge des Falles Bierbach, von Lobbyisten produziert. Brutaler Druck, der dafür sorgt, dass gar nicht erst die den Handwerksfunktionären ungelegenen Gesetzentwürfe entstehen können. Trotzdem, die Bundesregierung will jetzt mit den absurden Regeln Schluss machen. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement setzte sich persönlich für die Abschaffung ein. Doch dann eine Sitzung des Bundesrates, der Deutschen Länderkammer. Im Parlament hat Minister Clement zwar die Mehrheit hinter sich gebracht, aber im Bundesrat scheitert er an CDU/CSU und FDP. Die Handwerkslobby triumphiert.

 Die Abstimmungsniederlage im Bundesrat ist auch ein Sieg des Abgeordneten Ernst Hilsgen von der CSU. Seinen Einfluss machte er vor allem im Mittelstandskreis der CDU/CSU-Fraktion geltend. Es ist ihm gelungen, alle Fraktionsmitglieder auf die traditionelle Handwerksordnung einzuschwören, wider alle wirtschaftspolitische Vernunft. Seit 23 Jahren gehört er dem Bundestag an, und er kennt alle Schlichen und Tricks des parlamentarischen Lebens.

 Am Abend ist er in einer typischen Lobby-Veranstaltung: Die mitteständischen Busunternehmer wollen ihre Sorgen vortragen. Sie fürchten, dass die spektakulären Busunfälle der letzten Monate eine Gesetzesflut auslöst, die sie in ihrer Existenz bedrohen kann.

 An manchen Tagen hat Ernst Hilsgen bis zu acht Einladungen zu solchen Veranstaltungen. Er meint, daran kann ich nicht teilnehmen, weil das zu kräftezehrend ist.

 Vor allem in den Sitzungswochen des Parlaments kann jeder Abgeordnete jeden Abend mehrere solcher Termine wahrnehmen. Verbände und Wirtschaft buhlen regelrecht um die Volksvertreter. Hier werden Kontakte geknüpft, Gesetze angeschoben oder vereitelt.

 Um die Motive des Menschen und Abgeordneten Ernst Hilsgen zu verstehen, muss man ihn in seinem niederbayrischen Wahlkreis erleben. Ernst Hilsgen wird empfangen vom Friseur-Innungs-Obermeister, dem Kreishandwerks-Meister und dessen Stellvertreter und Metzgermeister Klaus Baumann. Seine mittelständische Metzgerei steht auf dem Besuchsprogramm. Es geht um die Schwierigkeit Auszubildende zu finden. Wir haben heute einen Russland-Deutschen gekriegt, als Lehrling, sagt Klaus Baumann und einen Ostler. Bei uns selber gibt’s leider nichts. – Ernst Hilsgen nimmt sich der Sache an. Er ist fest davon überzeugt, dass das Handwerk Zukunft hat. Das muss den Jugendlichen nur klar gemacht werden. – Ich sage: Handwerk ist nicht alles, aber der ganze Mittelstand ist ohne Handwerk nichts. Und mir geht es darum, dass es auch in zwanzig Jahren noch einen klassischen Handwerks-Beruf gibt, mit solchen Könnern, wie wir sie hier sehen.

Es ist Wahlkampfzeit in Bayern, und Ernst Hilsgen ist ganz in seinem Element. Er hat in seinem Wahlkreis erreicht, wovon alle Bundestags-Abgeordneten träumen: Er hat mit 74,6 Prozent die meisten Erststimmen aller Kandidaten in ganz Deutschland auf sich vereinigt. Da kann auch Angela Merkel, die Bundesvorsitzende der CDU nicht nein sagen, als er sie in seinen Wahlkreis bat. Und Angela Merkel weiß, wofür Ernst Hilsgen in der Fraktion steht: Und so wissen wir, Ernst Hilsgen, der kann nicht nur Brot backen, der lässt sich auch die Butter nicht vom Brot nehmen. Und insofern hat er natürlich, mit vielen anderen in unserer Fraktion zusammen, von Anfang an dafür gekämpft, dass alles, was in unserer Macht steht verhindert wird, dass diese Handwerkspläne so Gesetz werden, wie Herr Clement sich das vorstellt. – Das ist eine Lobeshymne auf Reformverweigerung.

 Nach der Kundgebung geht Ernst Hilsgen auf die Leute zu, und die Leute kommen zu ihm. Sein Wahlkreis, einst ein Armenhaus der Republik, hat heute weniger als 6 Prozent Arbeitslose. Die Wirtschaft hier wird vom Mittelstand getragen, und Mittelstand heißt in Straubing und Regen vor allem Handwerk. Und so wie das Handwerk sich auf Ernst Hilsgen verlassen kann, kann sich Hilsgen auf seine Handwerker verlassen.

 Also, weder die Innung noch die Kreishandwerkerschaft engagiert sich parteilpolitisch. Wir haben auch Mitglieder, die bei anderen Parteien sich engagieren. Wir bleiben parteipolitisch neutral. Der einzelne Unternehmer hingegen, so wie ich persönlich auch, unterstützen natürlich auch Herrn Hilsgen bei seiner politischen Arbeit gelegentlich finanziell. – Die Bäckerei und Konditorei von Ernst Hilsgen im Bayrischen Wald-Städtchen Hilsberg ist nur wenige hundert Meter von seinem Wohnhaus entfernt. Hier hat er sein Abgeordneten-Büro. Ernst Hilsgen macht kein Hehl daraus, dass er es war, der die CDU und CSU dazu gebracht hat, gegen eine Novellierung der Handwerksordnung zu stimmen, die auch eine freie Berufswahl zulassen würde, und mehr Wettbewerb in Zukunft garantierte. Über seinem Schreibtisch hängt sein Meisterbrief. – Ernst Hilsgen sagt: Ich habe gerade diese Novelle entscheidend mit beeinflusst und mitgeprägt, weil es mir darum geht, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird; Und dass der Meisterbrief nicht über Bord geworfen wird, sondern dass das Handwerk einen Drive bekommt, den es für die Zukunft braucht. Ich fühle mich als Lobbyist, und vor allen Dingen auch als Kämpfer für das Handwerk im Parlament. – Lobbyarbeit, dem eigenen Blickwinkel verpflichtet. Ernst Hilsgen wird von den Handwerks-Organisationen für seine Lobbyarbeit nicht bezahlt. Er ist ein Überzeugungstäter. Im Flur seines Einfamilienhauses hat er in einer Vitrine alle Ehrungen und Auszeichnungen aufbewahrt, die ihm sein langes Parlamentarierleben beschert haben. Aber selbst das Bundes-Verdienstkreuz steht für ihn nicht an erster Stelle. – Ernst Hilsgen meint: Das ist mein wichtigstes Stück im ganzen Trophäenschrank, da bin ich besonders stolz drauf. Denn das ist der Ehrenring des Deutschen Handwerks, der nur an wenige Persönlichkeiten vergeben wurde. Und ich habe ihn vor acht Jahren bekommen, als die erste Handwerksnovelle umzusetzen war. Ich trage ihn zwar nur ganz, ganz selten, aber mit ganz, ganz besonderem Stolz. – Stolz auf eine Politik, die Wettbewerbsrechte für verheerend und überkommen hält.

 Jürgen Basedow ist Professor im Max-Planck-Institut für Internationales Privatrecht und Mitglied, der von der Regierung berufenen Monopol-Kommission. Und er hat festgestellt, dass das Handwerksrecht etwa 300000 Existenzgründungen verhindert. – Prof. Basedow sagt zum Entscheidungsmechanismus: Man kann davon ausgehen, dass hier eine sehr effiziente Lobbyarbeit betrieben wird, nach beiden Seiten. Nicht nur nach der jeweiligen Regierung hin, sondern in Richtung auf den Wirtschaftsausschuss des Bundestages, in dem einige Handwerksmeister auch sitzen und vertreten sind. Und die gelten bei ihren Kollegen als Experten dafür, auf deren Urteil man bauen kann. Das ist so, als wenn man den Bock zum Gärtner macht.

Der SPD-Arbeitskreis Wirtschaft und Arbeit ist die Bastion der Gewerkschaften, der bisher mächtigsten Interessengruppe im Deutschen Bundestag. Den Vorsitz führt Klaus Brandner, Gewerkschaftsfunktionär der IG-Metall aus Nordrhein-Westfalen. – Fast alle im Raum sind Gewerkschaftsmitglied. Über 200 allein in der SPD-Fraktion bekennen sich zur traditionellen Arbeiterbewegung. Eine mächtige Lobbygruppe, sollte man meinen. Brandners IG-Metall gehört in Deutschland zu den traditionellen Gewerkschaften, die gewohnt sind, knallhart ihre Forderungen durchzusetzen, die keinem Konflikt mit den Unternehmern aus dem Weg gehen. Viele Sozial- und Arbeitsgesetze, die heute als Hemmschuh für mehr Wirtschaftswachstum betrachtet werden, hat die IG-Metall einst erkämpft. Das ist die Organisation, für die Klaus Brandner hauptamtlich tätig ist.

 Massenandrang der Presse im Bundestag. Als im Oktober 2003 die SPD-Fraktion bekannt gab, dass sie geschlossen für die massiven Eingriffe in das bisherige soziale Netz der Deutschen stimmen wird, war es u.a. der Gewerkschaftler Brandner, der die Begründungen für die Reform zu verkünden hatte. Reformen, gegen die seine Gewerkschaft Sturm gelaufen war.

 Am nächsten Abend in Hannover. – Seine Gewerkschaft tagt, und die Delegierten lassen kein gutes Haar an den Regierungs-Beschlüssen. Ist das ein Spießrutenlauf für Klaus Brandner? – Ich bin hier differenziert empfangen worden, erklärt Klaus Brandner. Es gab eine Menge an Delegierten, die haben Sorgen, dass in der Agenda 2010 in der Tat Sozialabbau stattfindet, und die soziale Gerechtigkeit in eine Schieflage geraten ist. Einige haben von mir erwartet, dass sie mich bei den Dissidenten hätten lieber gesehen. Ich habe ihnen erklärt, dass meine Funktion als wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher nur erfolgreich sein kann, wenn ich für beide Ebenen, für Wirtschaft und Arbeit ein offenes Ohr habe und eine gerade Linie verfolge. Und diese gerade Linie, die ist in meiner Arbeit, in meinem Wirkungsbereich bisher immer deutlich geworden.

 Nicht ein einziger, der über 200 Gewerkschaftler im Parlament, hat die Linie der Gewerkschaft gut vertreten. Der Frust der Delegierten ist unübersehbar. Die Gewerkschaftsspitze findet sich zähneknirschend mit dem Einflussverlust ab. – Die Gewerkschaftsspitze beurteilt Klaus Brandner: Er ist Gewerkschaftler und er bleibt unser Mann.

 Zurück im Parlament verteidigt der Gewerkschaftler Klaus Brandner, was seine Kollegen in der IG-Metall als Sozialabbau verdammen. Die bisherige Macht der Gewerkschaften, Gesetze zu prägen, ist an der Realität der Reformnotwendigkeit gescheitert. Selbst 230 Gewerkschafts-mitglieder im Parlament stimmen für die Regierung, gegen die Beschlüsse der Gewerkschaft.

 Ist das das Ende einer Legende? – In seinem Abgeordnetenbüro erklärt Klaus Brandner: Die Tarifautonomie ist für mich eine ganz bedeutende Größenordnung, unter vielen Gesichtspunkten. Unter Sicherheits-Gesichtspunkten, aber auch letztlich ganz, um das deutlich zu sagen, unter dem Gesichtspunkt der Demokratie. Über die Tarifautonomie, da ist mit mir nicht zu reden. Wenn die SPD auf eine solche Idee käme, wäre ich bei den Rebellen.

 Die Deutsch-Niederländische Grenze verläuft hier mitten durch eine Wohnsiedlung. – Mal ist Europa ein gemeinsamer Markt, mal werden schier unüberwindliche Barrieren hochgezogen, je, nachdem wie es den Blockierern passt. – Der Versandhändler für Arzneimittel Doc Morris hat sich direkt hinter der Niederländischen Grenze angesiedelt, und liefert zum Entsetzen der deutschen Apotheken preiswert Medikamente übers Internet. Doch was die Verbraucher als Vorteil nutzen wollten, wurde von den Gesundheitspolitikern in Deutschland bis heute heftig bekämpft.

 Einer davon war Dr. Peter Thomé, der Mann der Freiberufler im Gesundheitswesen. – Der FDP-Abgeordnete sitzt seit 16 Jahren im Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, und war dessen Vorsitzender, solange die FDP mitregierte. Freund und Feind werden ihm bescheinigen, er hat in der Vergangenheit viel für seine Klientel, die Ärzte, Apotheker und die Pharmaindustrie erreicht. In seinem Wahlkreis, dem Industriegebiet von Sinzig hat nicht zuletzt wegen ihm die Pharmaindustrie investiert. Die Arbeit von Dr. Thomé ist für uns extrem wichtig, erklärt ein Vertreter der Pharmaindustrie, denn Liberale haben immer offene Ohren. Manche andere Politiker haben sie nicht. Ob das dann im Ergebnis bedeutet, dass wir unsere Anliegen immer transportieren können, ist eine andere Frage. Aber gehört zu werden, ist zumindest ein Weg zum Erfolg. Wir haben das Gefühl, dass er uns versteht und das es in der Mehrzahl der Fälle auch etwas nutzt.

 Dr. Peter Thomé sagt: Das politische Geschäft sieht so aus, dass man natürlich Ideen, aber auch Argumenten zugänglich sein muss. Und es gibt sicherlich von Verbänden und Organisationen, auch von diesem Verband, dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller gute Ideen. Und dann versuche ich natürlich, diese Ideen gemeinsam mit ihnen durchzusetzen und auch politisch zu realisieren.

 Für die mittelständische Arzneimittelindustrie ist die Versand-Apotheke demnächst kein Thema mehr. Politisch verordnete Preissenkungen für Medikamente ebnen den Unterschied zu ausländischen Konkurrenten ein.

 Das Forschungslabor aber bleibt als Ergebnis der engen Kontakte in schweren Zeiten im Wahlkreis von Dr. Peter Thomé erhalten. Der Einsatz für eine mittelständisch geprägte Gesundheitspolitik hat sich somit auch für den Wahlkreis gelohnt. Stolz führt Dr. Thomé zur einzigen deutschen Fachhochschule für Gesundheits-Management. Als dem nördlichen Rheinland-Pfalz auch Strukturmittel um Ausgleich für den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin zugesprochen wurden, packte Dr. Peter Thomé zu. Auch sie gehört zur Ernte, die Dr. Thomé jetzt für seine jahrzehntelange Arbeit in der Gesundheitspolitik einfährt. Lobbyismus, der sich bezahlt macht. Neben der Entwicklung neuer Hightech-Geräte, bildet die Hochschule auch Betriebswirte fürs Gesundheitswesen aus. Zukünftige Direktoren von Kliniken und Kurbädern also. – Ich kann wohl etwas stolz sagen, ich habe die Idee gegeben, sagt Dr. Thomé, aber ich habe viele, viele Helfer, auch dem Landrat damals im Kreise Ahrweiler, der mitgemacht hat.

 Jetzt in der Opposition hat er nur noch den kleinen Stab und die drei Zimmer eines normalen Abgeordneten. Sein Einfluss resultiert nur noch aus den Kontakten der Vergangenheit. Und Dr. Peter Thomé wandelt sich vom Reform-Blockierer zum Marktradikalen. In der FDP-Fraktion ist und bleibt er unumstritten der gesundheitspolitische Sprecher. Mit knapp 10 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis gehört er zu den erfolgreichsten Abgeordneten seiner Partei. Längst ist aus dem ehemaligen Lehrer ein Unternehmensberater für Gesundheitsunternehmen geworden. Und solange bekannt ist, für wen er arbeitet, gibt es keinen Grund, Dr. Thomé um die Früchte seiner Arbeit zu beneiden.

 Doch mit der Transparenz ist es auch in Deutschland nicht weit her. Die Parlamentarier müssen ihre Nebentätigkeiten dem Bundestags-Präsidenten melden. Im Handbuch des Bundestages kann deshalb, in einem besonderen Anhang, nachgesehen werden welchen Beruf der Volksvertreter einmal ausübte oder ausübt, und für welche Unternehmen, Organisationen und Verbände er gegen Entgelt oder ehrenamtlich tätig ist.

Anders als in den USA zum Beispiel bleiben seine tatsächlichen Einkommen geheim. Die Bezüge aus seinen Nebentätigkeiten unterliegen nur zum Teil der Offenlegung beim Bundes-tags-Präsidenten. So erfährt man aus diesem Handbuch nur sehr wenig über die wirklichen Einfluss-Strukturen.

 Verantwortlich für die Richtlinien über Nebenerwerbs-Tätigkeiten der Parlamentarier ist Bundestags-Präsident Wolfgang Thierse. Im Bundesanzeiger, der für jeden Bürger käuflichen Broschüre, sind von A wie APDA, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, bis Z dem Zweckverband Ostdeutscher Bauernverbände, alle 1788 Gruppierungen aufgeführt, die sich offiziell beim Bundestag als Interessensvertreter haben eintragen lassen. Doch diese Pseudo-Transparenz sagt auch nichts über die wahren Machtstrukturen aus.

 Die Macht haben die Abgeordneten. Der Bäckermeister Ernst Hilsgen zum Beispiel. Er schafft es fast im Alleingang, die Reform der Handwerksordnung in Deutschland zu blockieren. – Peter Thomé wird mit Investitionen in seinem Wahlkreis belohnt, weil er sein Klientel im Gesundheitswesen vor Wettbewerb geschont hat, und tritt jetzt für mehr Markt ein. – Der Gewerkschaftler Klaus Brandner hat unter dem Zwang zu Reformen seine Fraktions-Kollegen zur Aufgabe der Blockade bewegt.

 Das Beispiel des Gewerkschaftsfunktionärs Brandner, in der Abstimmung im Deutschen Parlament für die massiven Einschnitte in das soziale Netz, zeigt am eindruckvollsten, dass sich Europa in einem rasanten Wandel befindet, der traditionelle Bastionen einebnet. Wer da weiter blockiert, wird zu den Verlierern gehören.

 

Die Reform

 

Neun Monate gingen die Parteien mit dem Reformpaket schwanger, bis es im Dezember 2003 das Licht der Welt erblickte. Als Kompromiss mit vielen Vätern und Müttern. Am liebsten hätte dem Kind jeder nur seine Gene mitgegeben, aber das war nicht möglich, nach den politischen Paarungsregeln. Es ist kein schönes Kind geworden. Den Namen Reform verdient es nicht wirklich, besser passt Reförmchen, ehrlicher die Mogelpackung. Denn der große Wurf ist es nicht geworden, wie uns die Politiker weismachen wollen.

Sie sind mal wieder die Verlierer: Unsere Kinder! Je jünger sie sind, umso dummer sind sie dran. Denn sie dürfen die Neuverschuldung bezahlen, die wir als Steuersenkung jetzt mehr in der Tasche haben. Unsere Berliner Allparteien-Reformer haben sich eben streng nach den wichtigsten Regeln der Machterhaltung gerichtet: Beschenke dein Volk heute und nimm Geld, das die Kinder, wenn sie dann erwachsen sind als Steuern wieder zurückzahlen müssen.

Die Schuldenuhr dreht sich immer schneller. Waren es zum Jahresbeginn 2003 noch 1,28 Billionen Euro, so sind es bald schon 1,6 Billionen Euro. Und 2004 kommen nochmals 69 Milliarden Euro hinzu. Im Jahr 2009 sind es bereits ca. 1,6 Billionen Euro, und mittlerweile 2,2 Billionen Euro. – Ein Trost für die Politiker: Diese Zahlen übersteigen das Vorstellungsvermögen der Wähler.

Aber nicht nur die Kinder gucken in die Röhre, auch unsere Rentner müssen 2004 und 2005 dafür büßen, dass sich seit mindestens 20 Jahren die Politik gescheut hat, der Bevölkerung zu erklären, was ein Generationenvertrag ist. Nämlich, dass die Jungen Cash für die Alten zahlen. Das funktioniert nicht mehr so richtig, weil wir zu wenig Junge, und überhaupt keinen Cash mehr haben.

Das größte Übel unserer Gesellschaft ist die niedrige Geburtenrate. Sie ruiniert die sozialen Sicherungssysteme und die Finanzen. Bleibt die Geburtenrate so niedrig wie bis jetzt, bleibt der Zusammenbruch unserer Gesellschaftsstruktur unvermeidlich. Nur durch Zuwanderung kann das Verhältnis von Jungen und Alten verbessert werden.

Ein Beispiel: Von den Kindern, die in diesem Jahr eingeschult werden, müssen 70 Prozent Abitur machen, um die im Jahr 2025 aus dem Arbeitsleben ausscheidende Elite ersetzen zu können. Diese dramatische Entwicklung blendet die Berliner Politik einfach aus.

Dabei sind die katastrophalen Konsequenzen unübersehbar. Zum Anfang des Jahres 2003 wurden allein in Sachsen-Anhalt über 80 Schulen geschlossen, mangels Kinder. Ein leerer Physikraum in Magdeburg zeigt, wo keine Physik mehr unterrichtet wird, wird es keine Physiker mehr geben. Und die, die es nicht gibt, können auch kein Bruttosozialprodukt erwirtschaften. Aber wo kein Bruttosozialprodukt erwirtschaftet wird, können auch keine sozialen Sicherungssysteme bezahlt werden. So gesehen, ändern die Reförmchen überhaupt nichts an den grundsätzlichen Miseren unserer Republik. Sie waren ein politisches Schaulaufen, höchstenfalls ein Warmlaufen für die richtigen Reformen.

Und von einer Steuerreform kann schon überhaupt keine Rede sein. Wenn man 2006 seine Steuererklärung ausfüllt, weiß man immer noch nicht genau was man tut. Bei den 17000 Verordnungen und Bestimmungen unseres Steuerrechts, von denen einige jetzt zwar verändert, aber nicht vereinfacht werden, bleibt das Steuerrecht so konfus und ungerecht wie es auch vor der Reform war. Wie wollen die Politiker diese dringende Mammutaufgabe erledigen, wenn sie jetzt schon für ein solches Reförmchen, solche Kopfständen machen müssen? Die Verlierer der Steuerreform werden diejenigen sein, die sehr weit von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeit fahren müssen, und relativ wenig verdienen. Da wird die Steuerentlastung zum großen Teil durch die Kürzung der Entfernungspauschale wieder aufgehoben.

Die großen Gewinner werden diejenigen sein, die auch eine größere Entlastung bekommen als andere. Aber diejenigen, die viel verdienen, müssen auch viel Steuern zahlen, insofern werden sie auch naturgemäß am stärksten entlastet. Jetzt muss es eine psychologische Leistung der Politiker geben, die Steuerzahler zum Geldausgeben anzuregen. Wenn die Steuerentlastung stärker ausgefallen wäre, hätte man vielleicht als Begünstigter mehr gespart als jetzt. Und der eine oder andere sagt nun, na ja, so groß ist die Steuerentlastung nicht ausgefallen, dann werden wir das Geld, was wir jetzt mehr haben ausgeben.

 

Die Politiker

 

sagen immer genau das, was die Wähler hören wollen. Für wie dumm halten die Politiker uns eigentlich? Oder sind wir es wirklich?

Die damaligen Wahlkampf-Versprechen des Kanzlerkandidaten der SPD, Außenminister Frank Walter Steinmeier erschienen wie der etwas naive Versuch eines Plagiates der Wahlkampftaktik des amerikanischen Präsidenten Barak Obama. Der >mächtigste Mann der Welt< hat auch seine Ziele so dargestellt, dass sie nicht in seiner Amtszeit, selbst bei zwei Wahlperioden, erreicht werden können, sogar manche nicht einmal vor seinem eigenen Tod. So etwas lässt sich sehr leicht sagen, weil man dafür ja nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Aber wie sieht es mit den kurzfristigen Zielen aus? Schaffung von Arbeitsplätzen ist bisher nicht gelungen. Noch nie war die Arbeitslosigkeit so hoch wie 2005. Die Krankenversicherung für alle Bürger Amerikas bleibt wohl auch ein frommer Wunsch. Der Abbau der Staatsverschuldung findet nicht statt, sie ist so hoch wie nie zuvor. Die Schließung von Guantanamo ist in weite Ferne gerückt. Folterung wurde nicht abgeschafft, wenn auch neu geregelt. Einstellung der Kriege in Afghanistan und im Irak. Beides sind zur Zeit noch hehre Ziele, aber unerreicht. Und das ferne Ziel der Abschaffung von Atomwaffen wird wohl nie stattfinden. Aber solche Aussagen machen sich halt gut im Wahlkampf.

Der Politiker wird von Petrus gefragt, willst du in den Himmel oder in die Hölle gehen? – Kann ich vorher mal schauen, wie es da zugeht? – Natürlich! – Im Himmel sitzen die Menschen friedlich in gemütlichen Sesseln, spielen Schach und trinken Tee oder Kaffee. – Und in der Hölle? – Der Politiker ist hoch erfreut. Kesse, hübsche junge Frauen, Alkohol und tolles Essen. – Da fällt die Entscheidung wirklich leicht. Petrus ich gehe natürlich in die Hölle! – Wie du willst. Petrus öffnet die Tür zur Hölle und stößt den Politiker ins Fegefeuer. – Aber nein, schreit dieser, hier war doch alles anders und schöner! – Ja, erklärt Petrus, das war ja auch noch vor der Wahl!

Im Mittelpunkt des Deutschlandplans von Frank-Walter Steinmeier steht eine ökologische Industrie-Politik. Steinmeier plant Beschäftigungs-Initiativen bei Altenpflege und Gesundheit. Öffentliche Investitionen in Schulen, Hochschulen und Forschung sowie in eine Umwelt schonende Energie-Produktion. Auf 67 Seiten beschreibt Steinmeier seine Vision der Arbeit von morgen. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln soll aber die Konsolidierung der Haushalte zurückgestellt werden, bis die Zeiten wieder besser sind. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehe vor. – Wollen wir Vollbeschäftigung, ja oder nein? fragt der SPD-Parteivorsitzende Müntefering. Die SPD bleibt dabei. Die CDU/CSU nehmen das mit Gelassenheit hin, eine relativ hohe Arbeitslosigkeit, weil das ja auch diszipliniert. Das wollen wir Sozialdemokraten aber nicht. Wir wollen, dass jeder eine Chance hat.

Arbeitsplätze entstehen aber nicht durch staatlichen Beschluss. Sie entstehen nur, wenn sie eine Grundlage im Markt haben. Dann bleiben sie auch dauerhaft erhalten. Alle Bundestags-Parteien setzen auf Umwelt-Technologien und Energie-Effizienz. Doch keine wagt eine so weitreichende Zielsetzung wie die SPD. – Steinmeier und sein >Schattenkabinett< verstehen Wahlkampf als >Wettstreit der Ideen<.

 

Zeit-Opfer

 

Warum funktioniert unsere Wirtschaft nicht mehr?

Warum funktioniert der Arbeitsmarkt nicht mehr?

Warum funktioniert die Politik nicht mehr?

Warum funktioniert unser Staat nicht mehr?

 

Alles hat die gleiche Ursache: Die Zeit! Wir leben nicht mehr im Heute (der jüngsten Vergangenheit), sondern in einer Zukunft, über die nur geredet wird.

In der Wirtschaft und im Geschäftsleben wird vieles vorweggenommen. Jeder will der Erste sein. Im Sommer gibt es schon Weihnachtsartikel, Weihnachten bereits Ostereier und Oster-Hasen. Aber das sind nur die Auswirkungen, die jeder erkennt. Genau wie die Programm-Zeitschriften, die immer mehr Vorlauf haben, jedoch dadurch nicht gerade aktueller sind. Beim Arbeitsmarkt sind die Auswirkungen der Computer- und Informations-Technik für den Stellenabbau mit die Haupt-Ursache. Die Bearbeitung und Verarbeitung der Vorgänge ist extrem vereinfacht, beschleunigt und kontrollierbar geworden.

Bei der Politik werden die Probleme nicht mehr gelöst und beschlossen, sondern im Vorstadi-um diskutiert, zerredet und boykottiert.

 Unliebsame und unbequeme Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens werden diffamiert und von oder in den Medien zum Abschuss freigegeben.

Und die Reporter wollen auch immer früher und schneller an Informationen kommen, am liebsten, ehe die Dinge passiert, ausgereift oder beschlossen sind.

Wofür ist das gut, und wem dient das?

Wenn wirklich ein Ergebnis zustande kommt und vorliegt, interessiert es die Medien nicht mehr, und die Öffentlichkeit erfährt so etwas ganz nebenbei oder gar nicht. Dafür aber die nächsten ungelegten Eier, und das nicht nur lange vor Ostern.

Und der Staat lebt schon lange von dem Geld, das unsere Enkel und Urenkel einmal erwirt-schaften sollen, aber weder wollen noch können.

Die Nachkriegs-Generationen haben mit der Umwelt, mit den Ressourcen und mit den Geldern Raubbau betrieben, der nie wieder gutzumachen ist. Stets nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.

Es gibt keine Lösung für die Misere, weil man ja bekanntlich die Zeit nicht zurückdrehen kann. Auch Gewalt-lösungen bringen kein Wirtschaftswachstum und auch keine Arbeitsplätze.

Wir sitzen in der Zeitfalle und kommen nicht mehr heraus.

 

 

Arbeitsamt

 

nannte man die unterste Verwaltungsstelle der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Ab 1.1.2004 wurde die Bundesanstalt für Arbeit in Bundesagentur für Arbeit umbenannt.

 Die Arbeitsämter sind natürlich bei hoher Arbeitslosigkeit sehr stark mit der Verwaltung der Arbeitslosen beschäftigt (Abwicklung der Arbeitslosenversicherung).

 Hinzu kommen Aufgaben wie Berufsberatung, Förderung der beruflichen Bildung u.v.a. Weil darüber hinaus die von der Politik geforderte Statistik daneben die „wichtigste“ Aufgabe war, verführte die Situation dazu, dass diese geschönt wurde. - Für die Vermittlung in Arbeitsverhältnisse blieb scheinbar keine ausreichende Zeit?

 Das trotzdem viele Arbeitslose wieder Arbeitsplätze fanden und finden zeugt doch von einer hohen Eigeninitiative. Hierbei spielt allerdings die Qualifikation der Einzelnen eine bedeutende Rolle.

Und so war und ist es für die Vermittler der Arbeitsämter nicht leicht, potentiellen Arbeit-gebern die benötigten und gesuchten Mitarbeiter zuzuführen. Bei verhältnismäßig einfachen Tätigkeiten sind die „Arbeitsuchenden“ z.T. nicht an der angebotenen Stelle interessiert.

„Erfahrene Langzeitarbeitslose“ gehen in die Bewerbungsgespräche schlecht gekleidet, unrasiert, mit Alkoholfahne etc, damit sie nicht eingestellt werden. Manche sagen sogar offen, dass sie an einem Arbeitsplatz gar nicht interessiert sind. Sie wollen nur, dass ihnen das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe nicht gestrichen wird.

Die Arbeitsämter der Republik sind so voll wie nie zuvor. Allein im Bereich Dresden suchen über 40000 Menschen nach einer freien Stelle. Wartezeiten von anderthalb bis zwei Stunden müssen Arbeitssuchende beim Arbeitsamt in Kauf nehmen.

Arbeitsvermittler freuen sich über jeden Job, den sie den Arbeitslosen verschaffen, doch viele wollen gar nicht arbeiten. Man habe den Eindruck, manche möchten erst einmal Urlaub auf Kosten des Arbeitsamtes machen, meint ein Vermittler.

Andere würden für einen Job so gut wie alles tun. Sie fragen immer wieder vergeblich nach Arbeit, weil es einfach kein Stellenangebot gibt, z.B. für Maurer. – Offiziell sind keine Stellen frei, doch gerade auf Baustellen blüht die Schwarzarbeit. In Dresden gibt es deswegen eine Abteilung, die Arbeitnehmer entlarvt, die doppelt kassieren wollen.

 

Definition der Arbeit

 

In der Volkswirtschaftslehre wird Arbeit als einer der Produktionsfaktoren definiert, dem entscheidende Bedeutung für die Erzeugung wirtschaftlicher Güter zukommt.

Im Einzelnen richtet sich die Arbeit im ökonomischen Sinn auf Vorproduktion (Gewinnung von Naturerzeugnissen), Gewerbe (Rohstoffveredlung und -Verarbeitung), Vermittlung und Verteilung von Gütern (Handel, Verkehr) Wirtschaftsdisposition (Geldverkehr, Verwaltung) sowie Erzeugung und Pflege kultureller Werte.

Die Grenze zwischen körperlicher und geistiger Arbeit ist fließend. - Die betriebswirtschaftlich orientierte Definition unterscheidet zwischen dem Elementarfaktor der ausführenden Arbeit und der dispositiven Arbeit (planende und leitende Tätigkeiten).

Steuerlich relevant ist u.a. die Unterscheidung von selbständiger Arbeit (Tätigkeit in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung) und unselbständiger Arbeit (Tätigkeit auf Anweisung eines Arbeitgebers, das heißt auf fremde Rechnung).

Die Arbeitskapazität einer Bevölkerung wird besonders durch Altersaufbau, Gesundheit und Ausbildungsstand, die Arbeitsproduktivität (Leistung je Arbeitsstunde) durch optimale Kombination mit den übrigen Produktionsfaktoren bestimmt.

Allgemein wird Arbeit als Leistung, Mühe, Lohnarbeit verstanden. Tatsächlich ist sie in modernen Gesellschaften die allgemeine Struktur, in der Menschen ihren Wert im Wert anderer Menschen spiegeln.

Gerade, weil sich alles auf Arbeit bezieht, bleibt ihr Begriff für das gesellschaftliche Bewusst-sein eher unscharf. Der blinde Fleck im gesellschaftlichen Bewusstsein heißt Arbeit.

Es gibt natürlich auch Beziehungsarbeit, Trauerarbeit etc. neben der Einkommensarbeit, über die man allgemein nur wenig weiß.

Arbeitslose sind diejenigen, die von der negativen Seite, d.h. vom Verlust von Arbeit her, mehr über Arbeit wissen sollten als alle anderen, sagt Schlingendorf. Aber sie wissen noch weniger als die anderen. Denn wer nach Arbeit sucht, sucht eigentlich einen Arbeitsplatz. Und wer nach einem Arbeitsplatz sucht, weiß in der Regel viel weniger von der Arbeit als der, der tatsächlich arbeitet.

 

Arbeitslosigkeit

 

Wenn die angebotene Art und Menge der Arbeitsleistungen die nachgefragte übersteigt, entsteht ein Überangebot an Stellensuchenden im Arbeitsmarkt. Ein Teil der Erwerbspersonen ist zeitweise beschäftigungslos, und auf Arbeitssuche.

Mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes ist z.T. die vorübergehende friktionelle Arbeitslosigkeit verbunden. - Die Saisonabhängigkeit bestimmter Berufe (z.B. Baugewerbe, Gastronomie, Tourismus oder Landwirtschaft) hat die saisonale Arbeitslosigkeit zur Folge.

Durch Nachfrageschwäche entsteht die konjunkturelle Arbeitslosigkeit. - Bei anhaltenden beruflichen Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage im Arbeitsmarkt ergibt sich die strukturelle Arbeitslosigkeit. Sie beruht auf dem z.T. unzureichenden Wirt-schaftswachstum sowie dem technischen Fortschritt durch Prozess- oder Produktions-Innovationen. Hinzu kommen der Strukturwandel einer Volkswirtschaft, Inflexibilitäten, Struktur und Höhe der Löhne etc. - Bei der statistischen Erfassung wird zwischen registrierter und nichtregistrierter Arbeitslosigkeit unterschieden, die vorliegt, wenn sich Arbeitslose nicht beim Arbeitsamt melden.

Falls Arbeitskräfte zeitweilig aus dem Erwerbsleben wegen vorzeitigem Ruhestand oder längeren Erziehungszeiten ausscheiden oder wegen einer Ausbildung später ins Arbeitsleben eintreten sowie, wenn die Arbeitszeit vorübergehend wegen Kurzarbeit verringert wird, und wenn Arbeitsnehmer in Umschulungsmaßnahmen sind oder unproduktiv beschäftigt werden liegt verdeckte Arbeitslosigkeit vor.

Diese so genannte „stille Reserve“ wird nur in ihrer Größenordung mit Schätzzahlen registriert. - Arbeitslosigkeit, die ein Jahr oder länger andauert, die Langzeitarbeitslosigkeit ist das größte Problem. - Auf die Betroffenen kommen neben Einkommensverlusten, Kapitalabbau, Verarmung etc, auch hohe psychische Belastungen zu, die kaum oder nur sehr schwer zu verkraften sind. - Für die Volkswirtschaft ergeben sich Steuerausfälle, geringere Sozial-versicherungsbeitrags-Einnahmen, Nachfragerückgang sowie steigende Ausgaben für die Arbeitslosengelder und die Sozialhilfe. - Zusätzlich müssen Gelder für den Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie für Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahmen aufgewandt werden.

 

Angst vor der Arbeitslosigkeit

 

Bei einer Steuerreform und einer nachhaltigen Vereinfachung des Steuerrechts hat mancher schon Sorgen um die „armen Steuerberater“, die arbeitslos werden könnten. Aber diese Sorgen sind unberechtigt.

Es bleibt z.B. auch der Zirkel der Gewalt in der Gesellschaft bestehen. Wo vom Verbrecher, über den Polizisten der ihn fängt und dem Richter der ihn verurteilt und dem Gefängniswärter der ihn bewacht, ein in sich stabilisierender Kreislauf der Arbeit besteht. Und es gibt viele solcher Beispiele.

Aber es wäre wünschenswert, wenn die Mitarbeiter des Arbeitsamtes bzw. der Bundesanstalt für Arbeit arbeitslos würden. Bei einer gravierenden Besserung des „kranken Arbeitsmarktes“ werden auch sie in sinnvollen Tätigkeiten weiterarbeiten. Bereits jetzt ist die Mehrheit der Bevölkerung für eine Auflösung der Bundesanstalt für Arbeit. Doch die Arbeitslosen müssen halt verwaltet werden, daran geht kein Weg vorbei. – Und wer soll es denn sonst machen?

 

Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen

 

Menschen, die hochqualifiziert ihren Traumjobs nachgingen und ein jährliches Einkommen von Hunderttausend Euro und mehr erhielten, stehen plötzlich vor dem Aus. Wegen der Insolvenz von Unternehmen, wegen Rationalisierungsmaßnahmen etc. wurden sie arbeitslos. Manche haben gedacht, es geht ständig aufwärts, und man ist immer auf der Überholspur. Nie hatte man das Gefühl, dass man mal wieder nach rechts ausweichen müsste. Das Wort Arbeitslosigkeit nimmt man nicht in den Mund.

Andere meinten, ist der eine Job nicht mehr interessant genug, wechselt man einfach zum nächsten, und in diesem Takt könnte es immer weitergehen. Kommt dann aber ein Karriere-knick, versteht man die Welt nicht mehr. Es ist auch schwer zu begreifen für jemanden, der schon während des Studiums von der Industrie umworben wurde.

Es ist ein völlig neues Erlebnis, Bewerbungen zu schreiben. Man ist sich ziemlich sicher, dass man den Job erhält, falls das Profil passt. Aber es ist ein totales Schockerlebnis, wenn dann alle Bewerbungen zurückkommen, und nicht eine einzige Einladung zu einem Gespräch erfolgt. – „Vielen Dank für die Zusendung ihrer Bewerbungsunterlagen und ihr Interesse an der Mitarbeit in unserem Unternehmen. Aufgrund der Vielzahl von Bewerbungen, die uns erreicht haben, müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns für einen anderen Bewerber entschieden haben.“ – So oder so ähnlich lauten für gewöhnlich die Absagen.

Das führt schnell dazu, dass man zum ersten Mal im Leben anfängt, an sich zu zweifeln. In der bisher lückenlosen Biografie tut sich plötzlich ein schwarzes Loch auf. Tägliches Ritual ist Stellenangebote studieren. Doch der Anzeigenteil wird immer dünner.

Vor kurzem war das Leben noch wie ein Traum. Von der Neuökonomie-Welle hochgespült ist man bereits im Alter von ca. 30 Jahren in einer Führungsposition. Dafür arbeitet man auch gern 60 bis 70 Stunden in der Woche. Ständiges Reisen und Luxusleben gehören zum Job. Viele Unternehmen wollen weltweit Fuß fassen und zum Globalplayer avancieren.

Das ist aber nur wenigen gelungen. Der ganze Trubel ist vorbei. Freunde hat man kaum, dafür war ja nie Zeit. Niemand kommt vorbei. Man kann noch so versuchen, professionell mit sich selber umzugehen – man kriegt schon Zweifel, und denkt, was ist da schief gelaufen?

So etwas macht man ja nicht jeden Tag mit. Urplötzlich hat man Zeit, aber so eine Zeit ohne Ziele und man verfällt tatsächlich in eine Art Schock-Starre. Dabei verliert man seinen Tages- und seinen Lebens-Rhythmus. Dann kommt man total aus dem Tritt und sieht keinen Grund mehr aufzustehen. Das hätte man sich nie vorstellen können, weil man immer irgendwie energiegeladen war. Es mussten einfach viele Sachen gleichzeitig passieren, und das war immer noch nicht genug. Jetzt gibt es Tage, an denen man nicht aufsteht. Ohne Aufgabe, ohne Bestätigung, ist man auf sich selbst zurückgeworfen.

Das Was-kostet-die-Welt-Gefühl von gestern hinterlässt ein Vakuum. Steht dieses Lebens-Gefühl für eine ganze Generation? – Es fängt sicherlich an, so eine gewisse Trostlosigkeit sich auszubreiten. Es heißt immer wieder Aufschwung, Aufschwung, aber den kann man gar nicht erkennen. Viele haben das Gefühl, dass das erst der Anfang sein könnte. Vielleicht wird es noch schlimmer?

Das Bekenntnis arbeitslos zu sein kommt manchen gar nicht von den Lippen. Sie versuchen das soweit als möglich zu vermeiden. Sie glauben auch nicht, dass sie Vorteile davon haben, wenn sie es weit streuen, dass sie arbeitslos sind. Noch ist es etwas, mit dem sie sich nicht identifizieren. Am Anfang fühlt man sich noch gar nicht arbeitslos. Aber es ist eine völlig unerwartete Situation. Früher ging es eigentlich immer nach oben und man hat nie daran gedacht, dass plötzlich ein Stopp kommt.

Es ist wie eine Vollbremsung vor einem unerwartetem Hindernis. Das ist eine Situation, über die man in der Vergangenheit nie nachdenken musste. Es war immer so, dass eigentlich Anrufe am Arbeitsplatz ankamen, in denen Headhunter versuchten abzuwerben. Man fragt sich natürlich, hat man jetzt etwas falsch gemacht, hätte es anders sein können und was tue ich jetzt? Was kommt als nächstes? Wird es wieder weitergehen?

Jetzt hat der Vater Zeit. Die einzigen, die diesen Zustand genießen sind die Kinder. Doch das Geld wird langsam knapp. Am schlimmsten ist es für einen Familienvater kein ausreichendes Einkommen zum Unterhalt der Familie erwirtschaften zu können. Das ist natürlich eine Erniedrigung, und es führt auch oft in einer Beziehung zu Spannungen. Es ist wie eine Degradierung, und ein substanzieller Verlust an Lebensqualität und Lebensfreude.

Zum ersten mal muss man sich beim Arbeitsamt melden, das tut weh.

Meistens ist es tatsächlich so, die dritte, vierte Frage, wenn man einen Menschen kennen lernt ist: Was machst du? Und deswegen identifiziert man sich auch sehr darüber, was man macht. Einen Traumjob mit einem Traumgehalt erwartet man hier eigentlich nicht. Das Arbeitsamt ist auf die Akademiker-Flut auch gar nicht eingestellt. Arbeitslos! Bisher waren immer nur die anderen betroffen. Man hat niemals geglaubt, dass es einem selbst passieren wird.

Bis zu 700 Bewerber melden sich auf eine Stelle. Das sind total schlechte Aussichten.

Die Sachbearbeiterin sagt: Ich kann ihnen auch heute leider keine Stelle anbieten, wie ich ihnen auch in der letzten Zeit noch nichts habe schicken können. Wir bieten ihnen aber als vermittlungstaktisches Instrument an, ein Praktikum zu machen. Die Möglichkeit, dass man ihnen über einen Zeitraum von drei Monaten Mitarbeit gewährt, ob mit oder ohne Einkünfte dort. Wir nennen das betriebliche Trainingsmaßnahme. – Ein Praktikum also. Von über 100000 Euro Jahresgehalt runter auf Null. – Hilflosigkeit auf beiden Seiten.

Manche haben Angst, ins Abseits zu geraten. z.B. als Arbeitsloser mit Frau und zwei Kindern ist jede Wohnungssuche sinnlos. Woher auch das Geld für die Miete nehmen? – Man versucht, die Situation zu managen, wie vorher seinen Job: Flexibel nach neuen Wegen suchend. Eigeninitiative ist gefragt. Es besteht kaum Hoffnung der Erwartungshaltung gegenüber dem Arbeitsamt, dass man dort helfen könnte aus dieser Situation herauszukommen. z.T. hat man auch seit Antragsstellung nie etwas vom Arbeitsamt gehört. Man befürchtet, dass da auch nichts kommen wird.

Für Leute in der HIT-Branche oder auf guten Positionen ist es nicht die Adresse, an die man sich wendet, wenn man einen neuen Job braucht. Mit einem festen Tagesplan sollte man Ziele, die man erreichen will, auch als Arbeitsloser weiterverfolgen. Ein gewisser Stress, den man sich macht, der ist auf jeden Fall da, weil man ja aus dieser Situation raus will. Und man hat die Hoffnung, je mehr man tut, um so schneller ist es vorüber.

Rede und Antwort stehen bei einem Headhunter. Noch vor kurzem umworben, muss man ihn jetzt von den eigenen Führungsqualitäten überzeugen, als einer von vielen. Weitergebracht hat das Gespräch einen nicht. Die persönliche Welt droht aus den Fugen zu geraten.

Beschäftigungstherapie, oder schon Existenzangst?

Nur um ein paar Euro dazu zu verdienen erledigt man sogenannte Studentenjobs. Je länger dieser Prozess dauert, um so mehr findet die Entwertung des Selbst statt. Davor ist keiner gefeit, und das ist sicherlich die mindestens gleichschwere dramatische Entwicklung wie das Wegbrechen der ökonomischen Basis. – Vollbremsung mit 40, eigentlich in den besten Jahren. – Inzwischen kann es wohl jeden treffen.

Als Familienvater will man sich keine Blöße geben. Man glaubt daran, dass es irgendwie weitergeht. Man sieht die Aussichten noch optimistisch und kann sich nicht vorstellen, keinen Job zu finden. Es ist nicht so, dass man die gleiche Funktion übernehmen muss, die man bisher hatte. Man ist also nach allen Seiten offen.

Was wiederum pessimistisch stimmte, war die insgesamt wirtschaftlich schlechte Lage in Deutschland und auch in der Weltwirtschaft. Die ließ sich damals nun mal nicht wegdiskutieren.

Eine Alternative ist die Selbständigkeit. Wenn man als ganzes Team sozusagen vor die Tür gesetzt wird, kann man sich dafür entscheiden, dass man etwas eigenes macht. – Leicht fällt den meisten der Entschluss zur Selbständigkeit nicht, aber auf dem damaligen Arbeitsmarkt sahen viele für sich keine Chance.

Zweckoptimismus: Es hat noch keiner mit Zweifel angefangen ein Geschäft aufzumachen, und mit Zweifel ist noch niemand erfolgreich geworden. Wenn man sich mit Sorgen und Ängsten beschäftigt, dann muss man sich ja auch überlegen, welche Alternativen bieten sich denn? Und das ist gerade die Schwierigkeit, dass sich eben eigentlich keine großen Perspek-tiven bieten.

Also, zumindest nicht, wenn man sich auf die klassischen Mechanismen verlässt, d.h. eigene Kontakte und in zweiter Linie das Arbeitsamt. Gerade im z.B. Medienbereich ist es völlig unrealistisch davon auszugehen, dass man da unterkommt. Damit erübrigen sich auch die Sorgen und Ängste ob es richtig oder falsch ist, sich selbständig zu machen. Es ist m.E. eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt etwas zu tun. – Man hat sich ein Büro eingerichtet, komplett aus eigener Tasche. Kreativität ist gefragt. Als Produktionsfirma entwickelt und realisiert man Marketing-Konzepte für verschiedene Sender.

Dass es in der Branche nicht immer so weitergehen konnte, hatte man geahnt. Jetzt hat jeder Zeit zum Überlegen. Die Beschäftigung mit sich selbst fühlt sich fremd an.

Vom Geschäftsleiter zum Hobby-Maler, Ruhe ist eingekehrt. Nichts scheint mehr zu gehen; Der Börsenboom war vorbei, die schöne bunte Welt der Neuökonomie, geplatzt wie eine Seifenblase.

Auch die hochqualifizierten geraten ins Abseits. Wohin die Reise geht? Niemand weiß es!

Die Kollegen bei der Arbeit: Nach einer gründlichen Analyse von verschiedenen Fernseh-sendungen überlegen alle gemeinsam, wie neue erfolgreiche Programme aussehen könnten. Die Zukunftssorgen aber bleiben. Wenn man eine Vision hat, und es hat kaum mehr einer eine, sollte man diese Vision leben. Es ist der Versuch, dies hier zu tun. Wenn er aufgeht, super; wenn er nicht aufgeht, muss man die Sache aufgeben.

Wenn man Selbst so eine Firma aufmacht, dann ist es nicht durch die Gegend fliegen, dann ist es nicht Dienstwagen und es ist auch nicht das beste Computer-Equipment, und es ist auch nicht jeden Abend Essengehen auf Firmenkosten, sondern es ändert sich schon etwas. Jetzt geht alles auf eigene Rechnung. Ein völlig neues Leben, ohne Netz und doppelten Boden.

Man erwartet dringend einen Auftrag für ihre Firma. Verdient haben sie noch keinen Cent. Im ersten Jahr haben die Jung-Unternehmer über 60000 Euro aus eigener Tasche vorfinanziert, die eigene Arbeitskraft nicht mitgerechnet. – Natürlich ist es so, dass man jetzt auf heißen Kohlen sitzt, schon seit Wochen X Gespräche geführt hat, X Angebote abgegeben hat, und auf die ersten Aufträge wartet. Die Nervosität überbrückt man etwas mit Flaxen, mit Spaß und Galgenhumor. Auf einmal zählt auch so etwas wie Freundschaft. Es gibt keinen, der am Stuhl des anderen sägt. Alle halten zusammen, noch, denn langsam wird es eng. Man macht sich schon Gedanken darüber, wie es wird, wenn man im zweiten Jahr noch ein bisschen durchhalten muss. Das hat nichts mit der allgemeinen Rezessions-stimmung zu tun, aber Investitionen in Dinge, die nicht unbedingt notwendig sind werden zurückgestellt.

Wenn selbst die gut- oder hochqualifizierten Arbeitssuchenden nur geringe Chancen haben einen neuen Job zu finden, wie sieht es der breiten Masse der Arbeitslosen aus? Bernd beginnt jeden Morgen um 7,00 Uhr seinen Tag; Aufstehen, Anziehen, Frühstücken usw. Der knapp 40-jährige macht alles so wie früher, als er noch Arbeit hatte. Aber seit über einem Jahr ist Vermessungs-Techniker ohne Job. Damit sein Leben Struktur behält steht er jeden Morgen pünktlich auf, nur um wieder einmal die Zeit totzuschlagen. Am Anfang fand er das immer recht toll. Aber je länger er arbeitslos ist bemerkt er, dass die Belastungen steigen. – Er meint, dass er irgendwie eine negativere Einstellung zur ganzen Umwelt bekommt, weil er immer das Gefühl hat er sitzt anderen auf der Tasche.

Ein Auto kann sich Bernd nicht mehr leisten. Mit dem Fahrrad fährt er zum Arbeitsamt. Dort will er sich einen Vermittlungs-Gutschein für eine Zeitarbeitsfirma abholen; Ein Strohhalm für Bernd. Das Arbeitsamt konnte ihm bei der Jobsuche bisher nicht helfen. Seit einem Jahr hat er noch nie einen Job angeboten bekommen. Im Moment lebt er von rund 650 EURO Arbeitslosenhilfe. Seit vier Jahren macht er nebenbei eine Fortbildung zum Vermessungs-Techniker. Einen Job hat er dadurch allerdings noch nicht bekommen. Nun will er sich mit einem Vermittlungs-Gutschein bei Zeitarbeitsfirmen bewerben, so wie viele andere auch.

Die Beraterin berichtet: In der Anfangszeit, als die neu rausgekommen sind, da haben sich viele Arbeitslose diese Gutscheine geholt. Der Rücklauf ist sehr gering; Also wir haben ganz, ganz wenige Vermittlungen in diesem Bereich.

2500 EURO bekommt eine Vermittlungsfirma, wenn sie Bernd eine feste Stelle beschafft.

Bernd geht den legalen Weg. Er telefoniert die Zeitarbeitsfirmen ab, und davon gibt es viele. Nach einem Jahr ohne Job würde er in seinem Bereich so gut wie jede Arbeit annehmen, auch wenn er dann weniger verdient. Doch sogar das bringt meistens nichts. Beim 27. Versuch hat er wenigstens etwas Erfolg. Ein Vermittler sagt ihm, dass er zwar nichts vorliegen hat, aber er soll mal vorbeikommen. Von der ganzen Sache ist Bernd jedoch sehr enttäuscht, weil bei aller Mühe, die er sich gibt im Endeffekt einfach nicht viel dabei herauskommt. Bernd würde auch im Ausland arbeiten. Er hat einen Termin bei EURIS, der Europäischen Jobvermittlungs-Börse vom Arbeitsamt. Bei seinem Erscheinen meint er, der Glaube wird schwächer, aber man muss sich ja immer wieder bemühen und darf nichts unversucht lassen. Ich will immer am Ball bleiben um meine Möglichkeiten offen zu halten. – Er hält sie so offen, dass er die Jobsuche auf ganz Europa ausdehnt. Interessant fände er Spanien oder die Schweiz, aber auch andere Länder in denen er Arbeit bekommt.

11000 Stellenangebote sind in den Computern der EURIS gespeichert.

Bernd hofft, in der vermeintlichen Boom-Branche Umweltschutz einen Job zu finden. Die Ausbeute ist nicht besonders gut. Nur ein Angebot kommt für Bernd infrage; Eine Stelle in Österreich. Sein Traumjob ist das nicht. Trotzdem wird er aktiv, hat aber keinen Erfolg. Die Stelle ist zwar noch frei, aber man ist der Meinung, dass ein Umzug nach Österreich sich nicht lohnt, weil man zu wenig verdient. – So bleibt Bernd nur seine Weiterbildung im Abendkurs. – Er meint, dass das für ihn der Rettungsanker aus der Arbeitslosigkeit ist. Dadurch, dass er eine bessere Qualifikation erreicht, wäre er eher vermittelbar in der Branche. - Noch zwei Monate dauert seine Ausbildung zum Vermessungs-Techniker. Ob seine Chancen dann besser stehen ist fraglich.

Jens hat seit drei Jahren keinen Job. Der gelernte Metzger besucht ein Institut für Personal-Training und -Beratung. Die Firma macht die Langzeit-Arbeitslosen wieder fit für eine Anstellung. Jetzt lernt Jens wie man Business-Pläne erstellt, denn er möchte Unternehmer werden. Er will Spielzeug und überwiegend Dessous vertreiben, über Beraterinnen, ähnlich wie Tupperware oder Avon. – 60 Langzeitarbeitslose müssen hier jeden Morgen pünktlich um 8.00 Uhr antreten, sonst droht ihnen der Entzug der Sozialhilfe. Die Sozialhilfeempfänger lernen hier, was sie schon lange nicht mehr gemacht haben, früh aufstehen und acht Stunden arbeiten. Wer das Training durchhält hat danach wieder Hoffnung auf einen Job. Bis zu zwei Jahren dauert die Betreuung. Dafür erhalten die Teilnehmer 1,50 EURO extra am Tag.

Jens Traum vom Unternehmer-Dasein nimmt nach und nach Gestalt an. Heute übt er, vor der gesamten Gruppe seine Geschäftsidee zu präsentieren: Es geht bei mir um folgendes, sagt er. Ich eröffne eine Firma, die Erotikartikel vertreibt, d.h. Dessous, Dildos und alles was dazugehört.

Bitte genau aufpassen. Alles hochqualitativ und kein billiger Schund aus China. Also, die werden sich dumm und dämlich verdienen. Wenn sie nicht wollen, hier ist die Tür, dann müssen sie wieder gehen. – Der Arbeitslosen-Coach: So verkauft man nicht! Präsentieren sie sich; Man muss sich erst selber präsentieren. z.B. Schauen sie mich an. Früher habe ich Jeans getragen, habe vom Sozialamt gelebt, und dann habe ich diese Idee gehabt. Ich biete ihnen das . . . – Jens zeigt einen Prospekt mit Herren-Unterwäsche und erklärt: Stellen sie sich vor, zehn Männer sitzen beieinander, haben Geld in der Tasche. Was machen die, wenn sie so was sehen? – Er möchte bei seiner Freundin oder Frau ein bisschen erotischer wirken. – Wo nix drin ist, da kommt nix rein, meint einer skeptisch.

Der stellvertretende Projektleiter sieht noch einige Hürden auf Jens Weg zum Sexartikel-Verkäufer. Er sagt: Rhetorik, üben, üben, üben. So wie sie es wollen; Sie delegieren; Heute will ich viel verdienen, morgen will ich wenig verdienen.

Maria ist alleinerziehende Mutter. Seit der Geburt ihrer Tochter, vor sieben Jahren hat sie keine richtige Arbeit mehr bekommen. Die gelernte Reiseverkehrs-Kauffrau ist so frustriert, dass sie nicht mehr weiß, wo sie sich überhaupt bewerben will. – Im Institut soll sie nun aufmalen, welchen Traumberuf sie in fünf Jahren haben könnte. – Ideal findet sie das für sich nicht, so weit zu denken. Sie braucht unbedingt jetzt einen Job. – Lassen sie sich doch einfach davon spinnen, herumspinnen in die Zukunft, sagt der Trainer. – Das Spinnen soll die Suche nach einem passenden Job erleichtern. Denn nur wer weiß, was er wirklich will kann auch danach suchen. Das wollen die Job-Trainer hier vermitteln.

Maria hat inzwischen einen Berufswunsch für sich entdeckt. Sie würde gern Reiseleiterin oder Animateurin werden. – Der Job-Trainer erklärt: So, jetzt kann man überlegen, wie kriege ich jetzt diese Stolpersteine weg oder wie finde ich einen Umweg dahinzukommen. – Also, Geldverdienen, damit ich eine Chance habe überhaupt anzufangen. – Ein Umweg wäre praktisch, arbeiten und Rücklagen schaffen.

Der nächste Schritt sind Bewerbungsfotos mit der sie sich einen Job als Verkäuferin suchen will. – Sie ist froh überhaupt zu wissen, was sie will. Das ist ja ihr Problem gewesen, dass sie seit Jahren nur herumüberlegte, herum getüftelt und ausprobiert hat was alles sein könnte. – Wenn man einmal den Weg verloren hat, ist es nicht so einfach ihn wiederzufinden.

 In Sachen Bewerbung wird im Institut nichts dem Zufall überlassen, nicht einmal das Frisieren der Haare. – Laut Institut bekommen 70% der Teilnahme nach dem Training wieder einen Job. Der Institutleiter meint: Die Zwanghaftigkeit ist das Amt. Aber die Freiwilligkeit, dass ich das in mir aufnehme, das liegt im Menschen drin. Die wollen ja raus, bloß wie? Sie können das nicht mehr, und wissen gar nicht, wie komme ich da dran.

Erwin und Doris sind Kfz-Mechaniker. Eigentlich ein gefragter Beruf, aber in Deutschland haben sie keine Arbeit gefunden. Nun sind die beiden Deutschen Gastarbeiter in Holland, bei Mercedes. – Erwin kommt aus Niedersachsen. Zwei Jahre war er arbeitslos und hat sich in ganz Deutschland um einen Job beworben. Meist kamen seine Bewerbungsschreiben gar nicht oder kommentarlos wieder zurück. Es müssen bis zu 150 Bewerbungen in den beiden Jahren gewesen sein. Wenn man nur Absagen erhält, hat man irgendwann keinen Bock mehr.

Seine Kollegin hat bei Mercedes in Sachsen-Anhalt gelernt. Schon ein halbes Jahr nach dem Ende ihrer Ausbildung war Schluss, Stellenabbau.

Danach bewarb sie sich monatelang in Deutschland. Viele Unternehmen konnten kein weibliches Personal einstellen, weil sie keinen separaten Umkleideraum haben. Das ist ja in Deutschland Pflicht. Weil ein Umbau zu teuer ist, kann man weibliche Kfz-Mechaniker nicht nehmen. In Holland zieht sie sich mit ihren Kollegen um und sieht darin kein Problem. Seit fünf Wochen arbeitet sie in der Mercedes-Werkstatt in Holland. Sie hat noch Sprach-Schwierigkeiten.

Solche Verständigungsprobleme hat Erwin kaum noch. Er ist schon ein halbes Jahr in Holland. Das ist hier mehr eigenverantwortlich, erklärt er. Es ist nicht wie in Deutschland. Hier kriegt man seinen Auftrag, und dann kommt der Meister ab und zu mal gucken, ob alles in Ordnung ist, und das war’s. Den sieht man eigentlich den ganzen Tag nicht. Das ist das Schöne hierbei. Wie ein Außenseiter fühlt Erwin sich hier nicht. Im Gegenteil, in der Werkstatt arbeiten Mechaniker aus den verschiedensten Ländern friedlich miteinander.

Auch in den Niederlanden gibt es 400000 Arbeitslose. Doch es mangelt an Fachkräften. Deshalb werden Arbeiter mit guter Ausbildung dringend gesucht. – Ein Mitarbeiter aus Holland sagt: Es ist nicht populär, die Arbeit in der Werkstatt. Die Kinder in Holland, die jetzt aus der Schule kommen, die wollen alle was mit Computern machen, und keine schmutzigen Hände kriegen. – Erwin und seine Kollegen sind inzwischen Freunde geworden. Sie haben alle das gleiche Lieblings-Thema: Fußball.

Doris bekommt Besuch von dem Mann, der ihr die Arbeit in der Mercedes-Werkstatt besorgt hat. Er bringt eine gute Nachricht für sie. Die Chefs haben erklärt, dass alles gut geht und dass sie bleiben kann. – Seine Firma, die „Garage“ vermittelt Arbeitslose aus ganz Deutschland und England in sein Heimatland. Sie sind dann als Zeitarbeiter bei ihm angestellt und werden eingesetzt, wo Not am Mann ist.

Mit Doris hat er kein Problem. Die junge Deutsche kommt überall gut zurecht. Sie hat zuerst bei den Lkws gearbeitet, ca. vier Wochen, und gute Arbeit geleistet. Die Leute waren traurig als Doris aufgehört hat.

Ein Kfz-Mechaniker verdient bei ihm rund 1200,00 Euro netto. Für viele Anreiz genug um nach Holland zu gehen. – Die meisten kommen aus Ostdeutschland, weil dort keine Arbeit zu haben ist. Sie sind dann zufrieden, dass sie in Holland Arbeit bekommen. Das Geld, das sie verdienen, schicken sie z.T. für ihre Familien nach Hause.

Heute verabschiedet der Vermittler Josef. Der 50-jährige Kfz-Mechaniker aus Mecklenburg-Vorpommern hat seinen vorerst letzten Arbeitstag. Sein Zeitvertrag mit der Firma ist jetzt ausgelaufen. – Josef erklärt: Wenn wieder Arbeit da ist, komme ich gerne wieder her. Die „Garage“ war ja gut und es war alles einwandfrei. – Sechs Monate war er in Holland. Seine Kollegen haben sich an den Deutschen gewöhnt. Nebenbei hat Josef ein wenig von der holländischen Sprache gelernt. In seiner Heimat wird Josef stempeln gehen müssen. Er hofft, bald wieder nach Holland zu kommen, auch wenn zu Hause die Familie wartet. Die Kinder sind schon aus dem Haus, sagt er, dann muss sich meine Frau in Deutschland alleine irgendwie behelfen. Man kann nicht alles. Entweder so, Arbeitslosigkeit oder man hat eben die Trennung. – Trotzdem würde Josef niemals schwarz arbeiten, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen.

Die deutschen Gastarbeiter Doris und Erwin gehen um 17.00 Uhr von der Arbeit nach Hause. Sie wohnen zusammen mit zwei holländischen Kollegen in einem Reihenhaus. Die Miete bezahlt ihr Arbeitgeber. Die WG als Ersatzfamilie für die beiden Kfz-Mechaniker. Ginge es nach ihnen, würden sie noch länger in Holland bleiben.

Erwin will wenigstens noch ein Jahr weitermachen. Doris sagt: Solange ich noch bleiben kann und darf, und die mich dabehalten wollen, bleibe ich, denn es ist ein schönes Arbeiten. Erwin meint: Es ist noch ein besseres Arbeiten als in Deutschland; Alles ist ein bisschen lockerer. In Deutschland finden sie keine Arbeit. In Holland haben sie echte Zukunftschancen.

Auch in Dänemark ist man an deutschen Facharbeitern interessiert. In einer Fabrik für Wind-kraftanlagen werden deutsche Mitarbeiter beschäftigt. Voraussetzung ist aber, dass man die dänische Sprache spricht oder erlernt. Man erhält allerdings kein Urlaubsgeld und kein Weihnachtsgeld. Dafür ist der Lohn z.T. etwas höher. Urlaubsanspruch hat man erst nach dem ersten Beschäftigungsjahr, und die Kündigungsfristen sind wesentlich kürzer als in Deutschland.

Otto arbeitet als Leiharbeiter. Um in Deutschland überhaupt einen Job zu haben, ist er sich für gar nichts zu schade. Der gelernte Schweißer arbeitet für eine Zeitarbeits-Firma, die ihn an andere Unternehmen weitervermittelt. – Er hat schon fast alles gemacht und war schon bei ca. 20 verschiedenen Betrieben, BMW, Continental, Frick usw.; Mal eine Woche oder einen Monat oder manchmal nur einen Tag. Er kämpft um eine feste Anstellung. – Von einer Zeitarbeits-Firma wurde er an MTS vermittelt. Das Unternehmen produziert feuerfeste Türen und stellt bei guter Auftragslage zusätzlich Leiharbeiter ein. Läuft das Geschäft schlechter, können diese jederzeit gekündigt werden. Otto arbeitet seit vier Monaten hier. Sein Meister kommt zu ihm und sagt: Legen sie ihre Sachen beiseite, gehen sie hoch zum Chef wegen ihres Arbeitsvertrags, damit sie das in die Reihe kriegen. – OK. – und dann anschließend schön fahren. – OK. – Der Meister schätzt Arbeiter wie Otto. Sie sind hoch motivierbar, auf jeden Fall. Derjenige, der vom Arbeitsamt vermittelt wird ist wahrscheinlich nicht so motiviert. Denen müssen sie viel mehr vermitteln an Kunden-Kenntnissen und an Fertigkeiten.

Otto ist auf dem Weg zum Chef. Er hofft auf einen unbefristeten Vertrag. Das bedeutet für ihn mehr Geld, mehr Sicherheit und endlich feste Kollegen. – Der Chef sagt: Es geht um die Weiterbeschäftigung ihrer Person hier im Unternehmen. Wir wollen ihnen vorschlagen, hier am 1. Januar in eine Festanstellung übernommen zu werden. D.h. sie würden dann von uns einen unbefristeten Anstellungsvertrag bekommen. – Super, gut, freut mich – alles klar. – Zwei Jahre hat Otto als Leiharbeiter geschuftet. Er hat Möbel geschleppt, am Fließband malocht oder ist 200 km weit bis zur Arbeit gefahren. Jetzt ist Otto endlich am Ziel angelangt.

Man will ja immer raus aus dem Trott, sagt er, von den Leihfirmen weg, was festes haben. Das ist etwas Schönes, ja, man weiß, wo man morgens hinfährt. Mal sehen, wie lange das dauert.

Top qualifiziert, Top motiviert und total arbeitslos. Die Zahl derer, auf die diese Beschreibung zutrifft wächst fast täglich. Was tun, wenn’s keinen Job in Deutschland gibt? In Zeiten, wo Politiker gern das Wort von der Mobilität im Munde führen, nehmen das immer mehr Arbeitslose wörtlich. Sie gehen und kehren Deutschland den Rücken, und suchen Arbeit in England, Spanien, Surinam, Norwegen oder Österreich.

Dort ist sehr gefragt, wer gut ausgebildet ist. Ärzte wie Computer-Spezialisten, Bauarbeiter wie Bäcker. Und das Arbeitsamt, das hilft auch gern noch den Traum des Gastarbeiters in die Tat umzusetzen. So verliert Deutschland langsam seinen Nachwuchs.

Wie ist die Situation in Berlin? – OK, ich bin jetzt in Norwegen und versuche hier mein großes Glück. Ich bin jetzt 31, der Job zählt. Gibt mir Berlin einen vernünftigen Job, bleibe ich natürlich da. Berlin kann mir aber keinen Job geben, bzw. ich finde dort keinen vernünf-tigen Job als Maurer. Bevor dieser Zug auch wieder abgefahren ist, springe ich auf und schau´ mal. Irgendwo geht man doch mit gemischten Gefühlen, na klar, irgendwo ist das schon. Aber ich sage mir, schön prickeln muss es, prickeln muss es. – Dirk Klein ist Maurer und stammt aus Schwedt an der Oder. Als er 1995 arbeitslos wurde, ging er nach Berlin, in der Hoffnung dort einen Job zu finden. Gute Leute waren damals noch gefragt. Der Brandenburger zog von Haus zu Haus. Dann wurde auch Dirk Klein Opfer der Baukrise. Erst Kurzarbeit, dann Arbeitslosigkeit. Im Oktober 2002 erfuhr Dirk Klein, dass in Norwegen Maurer gesucht werden. Seit Februar 2003 ist er in Norwegen. – Für mich persönlich ist das erst mal für ein halbes Jahr befristet, erklärt Dirk Klein, weil die Norweger >auf Nummer Sicher gehen< wollen, mit wem sie es zu tun haben. Sie haben jetzt in der Praktikumzeit erst gesehen wie wir uns bewegen, ob das wirklich stimmt mit den Deutschen, pünktlich und gründlich und so weiter und so fort. – Aber die Sache sieht erst mal gut aus, in langsamen Schritten. Die gehen ja vorsichtig mit den deutschen Arbeitnehmern wohl um. Norwegische Unternehmer sind wählerisch, trotz des Fachkräftemangels im eigenen Land. Sie ziehen es vor eine Stelle unbesetzt zu lassen, ehe sie es mit einem Ungelernten versuchen. Auch sonst gelten Norweger als anspruchsvoll. Kein Wunder, im Land der Fjorde wird gut verdient. Die Arbeitslosen-Quote liegt bei 4%. Langzeit-Arbeitslose sind die Ausnahme.

Die Hunderttausend-Einwohner-Stadt Stavanger. Auch hier fehlen Fachleute, quer durch alle Branchen. Das Angebot folgt der Nachfrage, Norwegen entwickelt sich zum Einwanderungs-Land. – Wer hier leben und arbeiten will muss sich anpassen können. Mit dieser Botschaft zieht auch Personalberater Oisten Horland durch Europa, auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern für seine Kunden. Derzeit sind das vor allen Dingen Baufirmen. Auf der Wunschliste der norwegischen Manager stehen Deutsche ganz oben, wegen ihrer guten Ausbildung.

Zu den Deutschen, die Horland im Moment betreut gehört Dirk Klein, Norweger auf Probe. – Oisten Horland erklärt: Die kommen speziell nach Norwegen zur Probe. Am Anfang ist die Sprache die große Herausforderung, damit steht und fällt alles. Die Umstellung auf die norwegischen Verhältnisse ist gar nicht so schwer. Das schaffen die Deutschen sehr gut, auch wenn sie hier etwas schneller arbeiten müssen als sie das gewohnt sind. Trotzdem, um hier richtig Fuß zu fassen muss vieles zusammenkommen und passen. Dazu gehört eben in erster Linie, dass man sich mit den Kollegen und dem Chef gut versteht. Es braucht Zeit und Geduld, bevor man sich hier etabliert hat. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung, besonders beim Einkaufen. – Shoppingtour mit Dirk Klein. Als er hier zum ersten mal in den Supermarkt ging blieb ihm die Luft weg. Die Lebensmittelpreise in Norwegen liegen rund 1/3 über denen in Deutschland. Allerdings sind auch die Gehälter im Durchschnitt doppelt so hoch. Wer als Ausländer einen festen Job bekommt, profitiert in der ersten Zeit von zusätzlichen Steuervorteilen. Staatliche Starthilfe gibt es auch beim Erlernen der neuen Sprache, den Unterricht bezahlen die Kommunen, zweimal in der Woche.

Für Handwerker wie Dirk Klein ist das härter als jeder Job auf dem Bau: Kinder sind wohl sprachbegabter normalerweise, - keine Ahnung. Also hier in der Schule lernt man „kuck mol“, das ist Hoch-Norwegisch, und dann sprechen sie hier einen Dialekt offenbar, dann kommt man wieder durcheinander. Als Anfänger ist das eh egal, aber irgendwie anders ist es dann doch schon. Wenn dann einer von denen eine Fugenkelle haben will, das versteh´ ich schon. Was Schubkarre heißt weiß ich auch inzwischen schon. Ja, geht schon.

Swen Jennike ist Maler, 26 Jahre alt und stammt aus Spandau. – Es ist ein komisches Gefühl, wenn Leute reden und dann fangen sie an zu lachen, und dann weiß man nicht warum. Also, es sind auch sehr nette Leute hier, die erklären dann auch einem warum sie gerade gelacht haben. Nicht, dass man dann so blöde dasteht und in Depressionen verfällt. – Swen Jennike arbeitet zwanzig Kilometer südlich von Stavanger. – Ich hoffe, dass Norwegen nicht die gleichen Fehler macht wie Deutschland mit den ganzen Gastarbeitern. Ich will nicht sagen, dass jetzt die ganzen Ausländer dran schuld sind. Aber es hat schon irgendwo seinen Grund, dass die ganzen Schwarzarbeiter da sind und die ganzen Preise drücken. Und hier, denke ich mal, achten die drauf, dass wir das gleiche verdienen wie die Norweger auch. Das wir nicht so mit Dumping-Preisen hier einbrechen. Das macht Deutschland falsch, oder hat es falsch gemacht. Das ist nicht mehr aufzufangen, denke ich. – Pause mit Kaffee und Keks. Swen Jennike betrachtet sich schon jetzt als Ex-Berliner. Sein letzter Boss machte im vorigen Jahr Pleite. Die Hoffnung, irgendwann in Berlin einen neuen Job als Maler zu finden starb bei ihm schnell, und auf Schwarzarbeit hatte er keinen Bock. Nach Norwegen kam er zusammen mit Dirk Klein. Sein neuer Arbeitgeber ist eine der größten Baufirmen in Sandnes, 70 Mitarbeiter, 5 davon Ausländer. Die Auftragsbücher der Firma sind auf Jahre voll. Angst um den Job ist den Männern fremd. Entsprechend locker ist das Arbeitsklima.

Das war in Berlin anders. Die Krise am Bau legte sich auch aufs Gemüt. Erinnerungen an Jennikes Berliner Zeit, und Vergleiche: Das sieht anders aus im Ausland, woanders als in Deutschland. In Deutschland sucht jeder so sein Nadelöhr, und kackt gegen den anderen an, irgendwo. Das ist die typische Baubuden-Rülpserei. Und hier ist das nicht, hier ist alles so mehr familiär sage ich.

Auch wenn man sich anfangs nicht versteht, aber das kommt ja dann so peu a peu. – Firmen-chef und Personalberater beim Ortstermin. Oisten Horland besucht seine Kunden so regelmäßig wie die Handwerker, die er nach Norwegen holt. Ihm liegt einiges daran, dass die Deutschen hier schnell heimisch werden. Die Bedingungen sind entsprechend: 20,00 bis 25,00 Euro Stundenlohn, 37 ½-Stunden-Woche, Überstunden werden abgebummelt oder bezahlt. Der rote Teppich in die neue Heimat. – In unserer Branche haben wir ernste Schwierigkeiten qualifizierte Leute zu finden, die von hier stammen, erklärt Oisten Horland. Uns bleibt gar nichts anderes übrig als einen anderen Weg zu gehen, und im Ausland gut ausgebildete Maler anzuheuern.

 Folgen eines Trends: In Norwegen sind Handwerksberufe out, Jobs in der Beauty- und Medien-Branche rar. Glück für den Maler aus Berlin, dessen letzte Chance zuhause eine Umschulung gewesen wäre. – Die Umschulungen, die angeboten werden, wenn überhaupt, sind die sehr überfüllt erklärt Swen Jennike. Man hat gar keine Chancen auf einen Arbeitsplatz nach der Umschulung. Es ist ja toll, wenn man eine Umschulung hat für zwei Jahre, aber danach sieht es ja auch wieder kacke aus.

Norwegen ist für Swen Jennike mehr als nur der letzte Ausweg. Selbst wenn er nicht für immer hier bleibt, der Auslandsjob ist ein Plus in der Biografie. Ganz zu schweigen von

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 09.04.2015
ISBN: 978-3-7368-8868-5

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