„Ist das nicht der reine Wahnsinn? Meister Onos ist so geschickt mit dem Schwert. Ich habe jedes Mal das Gefühl, er sieht gar nicht hin und trifft doch präzise!“ schwärmte Konstantinus Werinus der Dritte mir vor.
Schon seit Tagen latschten wir durch den Schnee und selbst die ärgste Kälte konnte meine Begleitung nicht davon abhalten mir haarklein die letzten Tage zu schildern, als wäre ich nicht dabei gewesen. Ich hatte den dringenden Wunsch meine Ohren einzurollen. Es blieb mir aber leider nichts anderes übrig, als die Wollkappe noch fester über meinen Kopf zu ziehen.
„Es ist der reine Wahnsinn.“, brummte ich und stellte mir die nächsten Tage vor, wie wir zu zweit durch die endlosen Weiten der Schneewüste wanderten und Konstantinus nur mich hatte um seine geistigen Ergüsse los zu werden.
„Meine Idee hierher zu kommen, war doch genial! Da musst sogar du zustimmen!“ Meine Gedanken wanderten ab und streiften über die endlosen Eisflächen und die unendliche Stille, die überall war und nur rund um meinen Begleiter geradezu flüchtete. Konstantinus hatte gar nicht auf meine Antwort gewartet und war schon längst mit seinen Reden in Bereichen ,wohin ihm mein Geist nicht folgen wollte.
Noch vor ein paar Wochen war ich in meiner kleiner Hütte am Rand der Eiswüste gesessen und hatte auf einen Auftrag gehofft, der mir etwas Geld einbringen würde. Dann war Konstantinus aufgetaucht, der unbedingt den legendären Schwertmeister der Olinos suchen wollte. Und so hatten wir uns aufgemacht und waren hier in der Eiswüste gelandet und hatten tatsächlich Onos gefunden, obwohl dieser alles getan hatte, um nicht erkannt zu werden.
Ich vermute immer noch, dass er uns nach drei Wochen hartem Trainings hier heraus geschickt hatte, nur um seinen Ohren etwas Erholung zu gönnen. So stapften wir durch den Schnee und hielten Ausschau nach verirrten Wanderern, die in letzter Zeit gehäuft auftraten um nach dem legendären Schwertmeister zu suchen.
Ein kalter Wind wirbelte immer wieder Eiskristalle auf und blies sie stechend ins Gesicht und die Kälte drang durch jede Schicht und lies selbst die Knochen sich wie Eiszapfen an fühlen. Ich blickte zu Konstantinus hinüber. Seine Lippen waren schon bläulich verfärbt, bewegten sich aber immer noch in konstanter Geschwindigkeit, vermutlich als Aufwärmtraining.
„Ich werde sicher ein paar Menschen retten, die sich hier in dieser Einöde verirrt haben! Nicht jeder ist so intelligent wie ich und sucht sich einen Scout bevor er sich auf den Weg macht!“ erzählte er . „Wohin gehen wir überhaupt?“
Mir war zu kalt um dem Schwertkämpfer zu erklären, dass wir eine der üblichen Routen absuchten, die die seltenen Händler gebrauchten, die den Stamm der Olinos besuchten
„Gerade aus.“ brummte ich.
„Haha. Soll das witzig sein?“ beschwerte sich meine Begleitung. „Nein im Ernst! Kannst du dich nicht präziser ausdrücken?“
„Und wieder zurück!“ ergänzte ich meine detaillierte Beschreibung. Der große Mann neben mir verdrehte nur die Augen.
„Pst!“ rief ich bevor er wieder los legen konnte. „Da war doch etwas!“ Ich hielt Ausschau, aber der Schnee wirbelte in meine Augen und die dicke Wollkappe dämpfte die Geräusche zu sehr um Genaueres festzustellen. Zumindest war es ein paar Sekunden ruhig. Aber dann hörte ich es wieder. Ich lief los. Konstantinus murrte, kam aber hinterher. Wir mühten uns einen Hügel aus Eis und Schnee hinauf und dann erstarrten wir vor Schreck. In der Mulde unter uns standen zwei Menschen und ein paar Schritte vor ihnen trotte ein riesiger Eisbär auf sie zu. Er starrte sie an, als würde er überlegen, ob die zwei den Hauptgang oder den Nachtisch bilden sollten.
„AHH!“ ich brüllte los und rannte wild gestikulierend den Hügel hinunter auf den Eisbären zu, der eine Spur bestürzter drein blickte als Konstantinus. Er sah zu mir, dann wieder zu seinem Essen. Sein Kopf schnellte hervor und packte einen Rucksack, der am Boden lag und trabte dann eilig davon. Ich verlangsamte mein Tempo, irgendwie hatte ich es nicht eilig den riesigen Bären einzuholen. Dieser schien meine Gesellschaft genauso wenig zu wünschen und verschwand eiligst hinter der nächsten Eiserhebung. Meine Stimme verstummte im selben Moment. Konstantinus blieb mir allerdings erhalten. Wieder eine Chance vertan. Er holte auf und trotte neben mir her mit einem Gesichtsausdruck, der nichts Angenehmes verhieß.
„Was ist los?“ fragte ich, obwohl ich es gar nicht wissen wollte. Reine Angewohnheit, vermute ich mal.
„Das war nicht würdevoll!“ beschwerte er sich und schritt auf die Menschen zu, die ihn ehrfürchtig anstarrten.
„Du hast deine Würde verloren, weil wir den Eisbären vertrieben haben?“ Ich hatte keine Ahnung worauf er hinaus wollte.
„Du hast gebrüllt wie ein druchgedrehtes Wildschwein!“ fauchte er aufgebracht. „Ein Schwertkrieger ist nobel und elegant und ähnelt keinem durchgeknallten Regenwurm!“ Meine Kapazität an Aufnahmefähigkeit war definitiv aufgebraucht.
„Warum bist du überhaupt stehen geblieben? Ein Eisbärfell wäre doch eine schöne Trophäe gewesen!“ meinte er.
Angewidert schüttelte ich den Kopf.
„Der Bär war nur hungrig.“ brummte ich. „Und wer hätte das Ding getragen?“
„Für so etwas hat man Bedienstete!“ meinte Konstantinus und wir erreichten gemeinsam die beiden Menschen. Mich fröstelte es als ich die dünnen Schuhe mit glatter Sohle, elegante Hosen, nur warm waren sich sicher nicht, und Jacken, die eher für einen Spaziergang gedacht waren, sah. Halb erfroren und ausgemergelt wie ein Straßenkater aus den Slums der Hauptstadt Manima standen sie vor uns.
„Seid gegrüßt, edle Wanderer.“, dozierte Konstantinus und schlagartig kam Leben in die Gesichter der Menschen, ob dieser seltsamen Anrede. „Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr euch heillos verirrt habt?“ fragte mein Begleiter mit salbungsvollem Ton. Die Frau und der Mann warfen sich Blicke zu und zuckten dann hilflos mit den Schultern.
„Ja.“ bestätigte die Frau etwas einsilbig.
Einen Irren sollte man immer recht geben. Auch mir hatte dies meine Großmutter beigebracht.
„Ich bin Konstantinus Werinos der Dritte, und ich bin ein Schwertkämpfer!“ deklamierte mein Begleiter sofort und reckte sich um noch ein paar Zentimeter größer zu wirken.
Vielleicht sollte ich doch dem Eisbären nachlaufen? Er wäre sicher eine angenehmere Gesellschaft.
„Ihr müsst der legendäre Schwertkämpfer der Olinos sein! Ihr habt uns gerettet!“ stammelte die Frau, die ehrfürchtig Konstantinus anstarrte.
Konstantinus gefror augenblicklich und ein beleidigter Ausdruck huschte über sein Gesicht.
„Ich bin kein Olinos! Ich stamme aus der Dynastie der Werinos! Ihr habt sicherlich schon von meiner Familie gehört!“ erklärte mein Begleiter. Vielleicht würde es ja doch noch amüsant werden, dachte ich und lies den Eisbären einen Eisbären sein.
„Oh, dann seid ihr gar nicht der legendäre Schwertmeister? Was macht ihr dann hier in der Eiswüste? Und wisst ihr vielleicht wo wir ihn finden können?“ fragte die Frau.
„Ich bin ein Schwertmeister und war lange Jahre an der Akademie.“ Und zum ersten Mal seit Tagen unterbrach sich Konstantinus selber. Onos hatte uns das Ehrenwort abgenommen, dass wir ihn nicht verraten durften. Gespannte blickte ich Konstantinus den Gesprächigen an, der das erste Mal seit ich ihn kannte schwieg. Und das länger als zwei Minuten.
„Vielleicht sollten wir von hier verschwinden. Wer weiß ob der Eisbär zurück kommt.“schlug ich vor. „Im Übrigen, ich bin Lena!“ stellte ich mich vor.
„Hallo Lena, ich bin Feeleen und das ist mein Freund Nolan.“ Beide suchten ihr verstreutes Habe zusammen und wollten dann Konstantinus folgen, der schon ein paar Schritte vorangegangen war.
„Der Eisbär hat unseren Rucksack!“ Nolan sah sich unschlüssig um.
„Da können wir nicht viel machen. Wir gehen zu den Olinos. Bis dorthin müsst ihr mit dem auskommen, was ihr dabei habt. Dort könnt ihr vielleicht ein paar Sachen für eure Rückreise tauschen.“, versuchte ich die beiden zu beruhigen. Mir graute vor der Nacht. Das Zelt war schon für zwei Leute eng, aber für vier? Zumindest würde es nicht kalt werden.
Konstantinus hatte seinen Schock überwunden für einen einfachen Eiswüstenbewohner gehalten worden zu sein und war in seinen üblichen Redefluss zurück gekehrt.
„Ihr müsst mit dem ganzen Fuß auftreten, dann rutscht ihr nicht so! Und eure Ausrüstung! Dass ihr überhaupt so weit gekommen seid, ist ein Wunder. Wenn ich euch nicht gefunden hätte..“ Aus Selbstschutz versuchte ich krampfhaft mein Gehirn auszuschalten. Ich zählte Schneeflocken, dann versuchte ich alte Gedichte im Geiste zu rezitieren, aber irgendwie holte mich Konstantinus Stimme immer wieder in die Wirklichkeit zurück.
Der Rückweg fühlte sich elend lang an und die Nächte habe ich schleunigst aus meinen Gedächtnis verdrängt. Irgendwie verfolgte mich das Gefühl, das Gefahr lauerte, doch ich konnte nichts Bestimmtes ausmachen. Aber wir kamen weiter und mit etwas Glück würden wir am nächsten Tag das Dorf der Olinos erreichen.
Ich war voran gegangen um den Weg zu erkunden. Gerade in dem Moment, als ich mich umdrehte, sah ich wie alle die Augen vor Schock groß aufrissen und hinter mich starrten. Ich drehte mich um und sah eine riesige Wand aus weißen Haaren vor mir aufragen, die sich sachte im Winde bewegten. Interessanterweise war mein erster Gedanke, dass ich schwarze Haut unter den weißen Fell sehen konnte. Und erst da viel es mir auf, dass ich einem Eisbären nie so nahe kommen wollte um die Hautfarbe feststellen zu können. Im nächsten Moment spürte ich einen Aufprall, der mich von den Füßen hob und weit entfernt in den steinharten Schnee warf. In meinem Kopf explodierten Sterne und meine Schulter brannte höllisch, während sich von dort warmes Blut über meinen Rücken ausbreitete. Und dann wurde es dunkel.
Als ich erwachte hörte ich ein Feuer neben mir knistern und wohlig Wärme umgab mich. Doch schlagartig kamen die Schmerzen. Mein Kopf pochte und meine Schulter brannte wie glühende Kohlen. Und es war seltsam leise. Ich öffnete die Augen und sah mich vorsichtig um. Hölzerne Wände umgaben mich und eine dicke Bettdecke war über mich gebreitet. In einem Kamin brannte ein kleines Feuer und davor saß eine Frau.
„Ah, du bist aufgewacht!“ sagte Mondsichel und holte eine Holzschüssel, die mit dampfender Suppe gefüllt war. Mein Magen begann laut zu knurren.
“Wo ist Konstantinus und die anderen? Der Eisbär?” stammelte ich verwirrt.
Mondsichel half mir mich auf zu setzten und hielt mir die Schüssel hin.
“Hier iss einmal etwas. Du musst dich stärken. Inzwischen kann ich dir alles erzählen.“ meinte die Heilerin und mit zitternden Händen wackelte ich den Löffel voll Suppe zum Mund.
„Du bist von einem Eisbär überrascht worden. Konstantinus hat ihn vertrieben und dann hat er dich bis ins Dorf getragen. Alle drei sitzen jetzt bei Onos und das übliche Spiel beginnt. Ich bin schon gespannt wie lange die zwei durchhalten bevor sie flüchten.“ grinste Mondsichel.
Ich verschluckte mich an der Suppe und begann jämmerlich zu husten. Mühsam versuchte ich das Brennen im Hals zu unterdrücken, denn jede Bewegung sandte Wellen von Schmerzen durch meinen Körper.
„Er hat mich getragen?“ brachte ich schließlich hervor.
„Ja. Ich weiß er sieht nicht so aus, aber es steckt mehr in ihm, als du denkst. Du solltest einmal darüber nachdenken.“ Mondsichel überprüfte den Verband an meiner Schulter. „Er hat dir das Leben gerettet.“, meinte sie.
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Konstantinus duckte sich durch den Türrahmen ins Gästehaus.
„Kannst du dir vorstellen, mit welcher Geschwindigkeit Onos Zitate verstümmeln kann? Weißt Du was er gesagt hat?“ rief Konstantinus begeistert.
„Mach die Tür zu!“ meinte Mondsichel.
„Nein, das hat er nicht gesagt!“, er drängte sich nun vollkommen durch und wollte schon die Türe schließen. Aber Mondsichel war schneller. „Bis bald.“ rief sie und war mit einem erleichterten Grinsen schon draußen, bevor Konstantinus auch nur reagieren konnte.
„Komische Frau! Mach die Tür zu ist ja kein Zitat. Weißt du was Onos gesagt hat? Da hat euch wohl jemand einen Bär ins Ohr gesetzt! Ist das nicht genial? Was für ein Wortspiel. Wir haben damals seinen Trick alle Zitate zu verunstalten und sich dumm zu stellen natürlich sofort durchschaut. Aber die beiden werden wohl bald die Zehen in die Hand nehmen, wie Onos sagen würde!“ sprach Konstantinus und lies sich zufrieden neben meinem Lager nieder.
„Du hast mich her getragen?“ unterbrach ich seinen Redefluss. „Du?“
Plötzlich wurde es ungewöhnlich still und ich war mir nicht sicher, ob das Feuer im Kamin Konstantinus den roten Farbton im Gesicht bescherte.
„Was hätte ich denn tun sollen?“ betreten sah er zu Boden. Und dann machte ich gleich den nächsten Fehler.
„Wie bist du eigentlich den Bären los geworden?“ fragte ich und fühlte mich unheimlich befangen, als sich die Farbe in seinem Gesicht noch mehr vertiefte. Definitiv war nicht das Feuer daran Schuld.
„Ich habe es so gemacht wie du.“ brummte er. Hatte ich mich verhört? Es ist wohl meinen Blutverlust zuzuschreiben, dass ich verwirrt genug war um immer noch weiter zu fragen.
„Du hast würdelos geschrien wie ein durchgeknalltes Wildschwein?“ Es war nicht zu glauben und ich konnte mir den großen, eleganten Mann gar nicht bei einer solchen Aktion vorstellen.
„Und? Es hat gewirkt! Hätte ich dich dort liegen lassen sollen?“ beschwerte er sich.
Einen Moment war ich sprachlos. Dann dachte ich an Mondsichels Worte.
„Du hast mich gerettet. Danke! Konstantinus Werinos der Dritte ich Schulde dir mein Leben.“ Ich hatte mir nicht gedacht, dass er noch roter werden konnte.
„Ist schon in Ordnung.“ murmelte er um gleich darauf sein altes Selbst wieder zu finden . „Eigentlich ist es ein gutes Gefühl, ein Held zu sein. Du hättest dir sicher nicht gedacht, dass ich nicht nur Feeleen und Nolan sondern auch dich rette. Das macht schon drei. Vielleicht sollte ich mir eine Liste anlegen, damit ich mir alle merke?“
Zum ersten Mal fand ich seine Stimme unglaublich entspannend und angenehm. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Gesicht aus und ich lauschte der Melodie seiner Worte, die weiter und weiter ging und mich sanft wie ein Schlaflied in ein Land trugen, wo es keine Schmerzen gab und Heilung und Kraft auf mich warteten. Ich werde weiter leben und habe gelernt, dass vollkommen Unerwartetes unter einer brummigen Oberfläche stecken kann. Gewiegt durch monotones Plätschern von Konstantinus tiefer Stimme entglitt ich sanft in den erholsamen Schlaf.
Tag der Veröffentlichung: 22.03.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch nimmt an der Charity Aktion: Wir lieben Bären teil.