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„Du versuchst es schon wieder, Elaine.“ Meine Schwester machte sich nicht einmal die Mühe sich umzudrehen, als ich sie ansprach. Sie stand am Ufer unserer Insel und starrte über das Wasser. Die Nächte waren länger geworden und die Nebel dichter. Die Tore zur Anderwelt öffneten sich und die Schleier der Zeit wurden durchlässiger.
„Ich muss es versuchen und unseren Bruder retten. Er hätte dies auch für mich getan.“ Ihr Blick verschwand in der Ferne, wie ihre Erinnerungen.

Sie war noch später in Camlann eingetroffen als ich und uns blieb nichts anderes übrig, als unseren Bruder vom Schlachtfeld zu entfernen und zu unserer Insel zu bringen. Ich wusste schon damals, dass er nicht überleben würde. Aber Elaine gab die Hoffnung nicht auf. Sie wich nicht von seiner Seite. Bis zu seinem letzten Atemzug. Sie sprach kein Wort bis zu dem Tag im späten Herbst, als die Bäume längst keine Äpfel mehr trugen. Da stand sie so wie heute am See und starrte in die sich öffnenden Schleier der Zeit. Ich wollte sie aufhalten. Es war zu gefährlich. Elaine hatte nie viel Macht über die Magie besessen und die Schleier der Zeit zu teilen barg immer die Gefahr, dass man sich verlief und nie mehr zurück fand. Ich zögerte nur einen Augenblick und schon sah ich nur noch wie sie im Nebel verschwand.
Ich ahnte wohin sie wollte und setzte all meine Kraft ein um ihr zu folgen. Und wieder sah ich die letzten Gefechte der Schlacht, die Toten und all das Blut, dass in Camlann geflossen war. Ich konnte mich selber ausmachen, wie ich über das Schlachtfeld lief, panisch nach meinem Bruder suchend. Solange ich auch alle Menschen und das Gelände prüfte, Elaine fand ich nicht. Müde und trostlos kehrte ich zurück, der Geruch nach Blut blieb mir noch lange in der Nase, sowie die schrecklichen Schreie der Sterbenden mich noch nächtelang verfolgten.
Elaine war schon zurück und Tränen rannten ihr über das Gesicht. „Ich wollte zu ihm, doch bin ich an einem mir gänzlich unbekannten Ort durch die Schleier getreten.“ Beide Hände bedeckten ihr Gesicht und ich konnte sie kaum verstehen. „Ich habe nur einen Mann getroffen. Jeff. Er dachte ich sei von einem Kostümfest gekommen, weil ich so komisch angezogen bin! Pah! Dabei war er es, der seltsame Sachen trug! Seltsame Beinkleider und eine ganz komische Tunika.“ Sie legte ihre Hände in den Schoß und sah mich empört an. „Da wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Aber als Frau hat man es ja leicht. Ich habe mich einfach etwas blöd gestellt und Jeff hat frisch fröhlich los geplappert. Er will Gelehrter werden und lebt in der nächsten Ortschaft, in Monmouth. Monmouth! Hast du je schon davon gehört! Warum bin ich gerade in Monmouth angekommen? Das Dorf klingt ja nicht einmal irgendwie ähnlich wie Camlann.“ beschwerte sich Elaine.
„Da gebe ich Dir recht!“ stimmte ich zu und wusste gleich, dass es ein Fehler war. Manchmal ist es einfacher zu lügen.
Elaine sah mich wütend an.“Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben!“ fauchte sie meiner Meinung komplett aus den Zusammenhang gerissen und sprach dann lange kein Wort mehr mit mir.
Ein Jahr später wiederholte sich das Spiel. Es liegt wohl in meiner Natur immer zu spät zu kommen. Ich sah Elaine wieder durch die Schleier der Zeit gehen und wieder folgte ich ihr. Mittlerweile kannte ich das Grauen, dass auf mich wartete. Aber das machte es nicht leichter. Noch dazu war eine immer größer werdende Anzahl meiner Person hier und keiner durfte ich über den Weg laufen. Nur Elaine konnte ich wieder nicht finden. Mit mir kamen Bilder von abgetrennten Köpfen und ein metallischer Geschmack in meinen Mund zurück.
Dieses Mal saß Elaine wieder am Ufer, bleich aber ohne Tränen.
„Monmouth?“ fragte ich so mitfühlend, wie ich es schaffte.
Sie nickte. „Jeff, war wieder da. Er hat sich verkleidet. Er denkt, dass es ein einheimischer Brauch ist, sich in der Nacht der Toten, wie er sie nennt, seltsam an zu ziehen! In was für einer seltsamen Zeit er lebt. Aber dann haben wir uns lange unterhalten. Sie wissen nichts mehr über uns und unseren Bruder. Kannst du dir das vorstellen? All die Mühen, die wir haben! Und sie haben alles vergessen.“
Es war wohl an diesem Tag, als Elaine unsere Geschichte erzählt hat. Vielleicht ist es auch gut so. Ich habe nie versucht die Gerüchte um mich wieder gut zu machen. Ich sehe es immer noch als Sühne an. So oft habe ich versucht in das Geschehen der Welt einzugreifen und so oft habe ich versagt.
Und nun stand Elaine schon wieder hier und wollte nach Camlann. „Geh nicht Schwester. Die Schleier der Zeit werden immer undurchdringlicher. Du kannst dich in der Welt der Nebel verlieren.“
„Du versuchst es ja nicht einmal! Mit all deiner Magie und Macht! Du hast ihn sterben lassen!“ Elaine war außer sich. So kannte ich meine kleine Schwester gar nicht. Von uns Geschwistern war Elaine diejenige, die sogar für leidende Regenwürmer in Not und verlaufene Nacktschnecken Mitleid hatte. Umso mehr schockierten mich ihre harten Worte.
Seit unsere Mutter getäuscht worden war und neben uns Töchtern einen außerehelichen Sohn empfing, noch dazu in der Nacht als Vater starb, war ich es, die versuchte die Familie zusammen zu halten. Zu lange hatte ich versucht stark zu sein. Ich sah sie an und es fiel mir unendlich schwer mein Versagen zuzugeben.
„Ich kam zu spät. So oft ich es versucht habe rechtzeitig in Camlann zu sein, ich habe es nicht geschafft. Der Ort hat wohl seine eigene Magie, oder das Ereignis selbst ist zu wichtig, dass man es unterbrechen könnte. Unser Bruder lag im Sterben als ich ihn fand. Ich nahm seine kalte Hand in meine. Er öffnete die Augen und blickte mich verzweifelt an. „Schwesterchen, hilf mir!“ Wie vor so vielen Jahren, als er noch ein kleines Kind war und sich die Knie aufgeschlagen hatte. Als ich ihn in meine Arme nahm, log ich:“Halte durch. Alles wird wieder gut.“ Ich sah die Hoffnung in seinen Augen und sie verbrannte mir mein Herz.“
„Warum hast du mir das nie erzählt? All die vergeblichen Zeitreisen, die ich unternommen habe! All die Wut, die ich auf dich hatte!“ Elaine wurde plötzlich rot und starrte ihre Schuhspitzen an. „Und ich habe unsere Geschichte erzählt, so wie ich sie all die Jahre gesehen habe!“
„Mit wem hast du darüber geredet?“ Ich war erstaunt. Elaine atmete tief durch und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Du weißt schon. Jeff.!“ Ich schluckte den bitteren Schmerz der Erinnerungen hinunter, wie eine Medizin. „Ah, dein Verehrer aus der Zukunft!“ meinte ich mühevoll lächelnd.
„Nenn ihn nicht so!“ forderte Elaine. „Ich weiß ja selbst nicht warum ich immer in der Nähe von Monmouth lande, wenn ich doch unbedingt nach Camlann will. Und noch dazu in der verkehrten Zeit.“Ich sah, wie eine einzelne Träne ihre Wange hinunter lief. Und Elaine verschwand. Zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass jedes einzelne Mitglied meiner Familie einen Hang zu seltsamen Entscheidungen hatte. Und ich bin die Meisterin darin.
Meine Brust zog sich zusammen und mein Magen drehte sich um, als ich an Camlann dachte. Musste ich diesen Horror jedes Jahr erleben? Ich sah noch genau den Mann vor mir, der versuchte seine Eingeweide in seinen aufgeschlitzten Bauch zu stopfen und mich verzweifelt um Hilfe bat, als könnte er mit dieser Wunde weiterleben.

Dann kam mir eine Idee. Ich öffnete die Schleier der Zeit nur leicht und schritt hindurch. Jeff würde sicher einen schöneren Anblick bieten. Hoffte ich jedenfalls. Aber wo um alles in der Welt war Monmouth? Da hörte ich meine Schwester rufen. Graue Schwaden umspülten mich und der Weg vor mir verschwand. Da spürte ich Elaines Präsenz und folgte ihrer Spur. Immer wieder musste ich stehen bleiben. Es war überall grau. Egal wohin ich blickte. Doch dann hörte ich meinen Namen. Endlich sah ich sie vor mir. Der Nebel vor ihr lies sich nicht teilen. Leicht konnte man eine verschwommene Gestalt in brauner Priesterkutte sehen. „Ich komme nicht durch!“ Der Mann vor dem Schleier der Zeit schien Elaine zu bemerken und streckte die Hand nach ihr aus.
„Sag mir wenigstens deinen Namen!“ Gedämpft drangen seine Worte an unser Ohr. Bis heute weiß ich nicht warum Elaine meinen Namen rief. Vielleicht wollte sie nur meine Hilfe, vielleicht wollte sie etwas gut machen.
„Morgana! Morgana la Fay!“ rief sie, während ich an ihrer Hand zerrte und sie mit zu unserer Insel nahm.
Am Strand fiel mir meine Schwester weinend um den Hals. „Ich bin nicht durchgekommen. Fast hätte ich mich verloren. Ich werde Arthur nie retten können.“ Ich spürte ihre warmen Tränen auf meiner Haut und mein Kleid benetzen. Ich strich ihr über die nebelfeuchten Haare. Dieses Mal hielt ich denn Mund und stimmte ihr nicht zu.

„Ich habe an Dir immer bewundert, dass du nie die Hoffnung aufgegeben hast. Und ich glaube, dass ist es, was du an die Menschen und Jeff von Monmouth weiter gegeben hast. Du hast unsere Geschichte erzählt. Die Geschichte über den Kampf um ein friedliches Leben, allen Widrigkeiten zum trotz. Du hast mehr erreicht als ich es je könnte.“ Ist es nicht die Hoffnung, die uns jeden Tag aufstehen lässt, um ein schönes Leben, Wohlstand und Liebe zu suchen? Elaine ist einer dieser seltenen Menschen, die das Streben nach Schönem und Gutem stärken. Was gibt es Wichtigeres auf der Welt? Vielleicht denken sogar Regenwürmer und Nacktschnecken so.

Allerdings geht die Geschichte mit sanfmütigen Leuten wie Elaine hart um. Geoffrey von Monmouth war der erste, der die Geschichte um Arthur und seiner Tafelrunde niederschrieb. Elaine war nur eine kleine Randnotiz in den vielen Seiten. Oft überlege ich es mir, den Irrtum von Geoffrey auf zu klären. Immerhin war es Elaine, die er getroffen hatte und die er das letzte mal als Luftspieglung gesehen hatte und nicht ich. Es sollte also Fata Elaine heißen. Aber meine Schwester ist zu bescheiden. Sie wollte nicht, dass ich die Schleier der Zeit wieder teile und die Geschichte gerade biege.
Manchmal schreite ich noch durch die Schleier in andere Zeiten und staune in welch vielfältiger Weise unsere Familiengeschichte erzählt wird. Elaine gefällt, dass das Andenken an Arthur erhalten blieb. Jedes Mal, wenn ich ihr von dem Brauch erzähle, sich an All Hallow's Eve zu verkleiden, verzieht sie aber missmutig ihren Mund.

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Texte: Text: von mir Cover: http://amazingdata.com
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2012

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