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Der Tag, an dem ich Hitler Erschoss

Es ist der 21. Juli 1944, ein milder Sommertag, als ich mich auf den Weg mache, meine Mission auszuführen. Wenn ich sie schaffen sollte, hätte ich endlich die Hierarchien, welche Frauen unterdrückt, in meiner Gruppe aufgelöst.Noch kurz denke ich an meine Klausur in Anatomie, sollte ich hierbei erwischt werden, könnte ich mir meine Karriere als Ärztin abschminken. Es war ohnehin schon ein Wunder, dass ich nach Kriegsbeginn hatte weiterstudieren dürfen und nicht zum Schwesterndienst verdonnert worden war. Auch wenn ich diesen Fakt sicherlich meinem Vater, ein angesehener Chefarzt in Hamburg, zu verdanken hatte. Er würde gar nicht gutheißen, was ich hier tue.

 

Ich werde jäh aus  meinen Gedanken gerissen, als ich an meinem Ziel ankomme. Von unten beachte ich das Haus, der Aufstieg sollte einfach sein. Für einen tyrannischen Herrscher ist das Büro schlecht gesichert, die Verteidigungskräfte scheinen heute nur im Gebäude zu stehen. Vielleicht auch immer, denn schließlich befinden wir uns hier in Hitlers privaterem, unbekanntem Büro, welches die öffentlichkeit eigentlich nicht kennt.

 

Ich steige von der Straße in den zweiten Stock und über den Balkon in das Büro ein. Natürlich ist diese Aktion von langer Hand geplant gewesen und ich führe dieses Verbrechen mit einer Selbstverständlichkeit aus, die ich selbst niemals hinterfragen könnte. Ich komme mir vor wie im Rausch, atme noch einmal tief durch und betrete vom Balkon aus das weitläufige Büro. Es ist wunderschön, sehr altbacken und dennoch irgendwie so modern, wie ein Büro der vierziger Jahre nur sein kann. Ich sehe mich um.

 

Rechts von mir befindet sich der Schreibtisch, auf den ich sofort zusteuere. Aus der rechten, zweitobersten Schublade nehme ich anch kurzem Suchen die Pistole unter einem Stapel Akten hervor, betrachte sie erst einmal von allen Seiten. Sie ist einmalig und wunderschön verziert, wie man sich eine Waffe aus dem wilden Westen vorstellen kann. Sie hat nur einen Schuss, eine alte Waffe eben. Für meinen eigenen Suizid hätte ich sicherlich keine schönere Pistole wählen können, sie scheint perfekt geeignet. Hitler mit seinem eigenen Gnadenschuss zu erschießen, kommt mir vollkommen vor. Es bleibt mir keine Zeit, mir Gedanken darum zu machen, warum er sich ausgerechnet erschießen würde, denn schon beginnt in meinem Kopf das Zahnrädchen zu rattern. welches die  Mission in die Tat umsetzen möchte.

 

Mein Verbrechen ist selbstverständlich perfekt geplant, also gehe ich Zielstrebig auf denjenigen zu, der mich bis jetzt nicht bemerkt hatte. Er ist gerade dabei, in der linken Seitennische seines Büros, Stauffenberg, seinen Adjutanten und ein paar andere Revolutionäre höchstpersönlich hinzurichten. Er ist etwa bei der Hälfte, als ich zu ihm stoße. Zwar gehörten diese Menschen nicht zu meiner Gruppe, trotzdem widerstrebt mir der Gedanke dieser Hinrichtung. Jeder verlorene Kämpfer gegen diesen Widerling ist ein verlorener Kämpfer. 

 

Ich staune über meine eigene Zielstrebigkeit, eigentlich bin ich nur eine sehr kleine Frau ohne viel Lebenserfahrung. Manchmal hinterfrage ich sogar meine politische Gesinnung, bin ich wirklich links aus freien Stücken? Oder hatte ich mich von meinem Umfeld darein drängeln lassen? Meine Familie ist nicht sonderlich politisch, die meisten haben mehr mit sich selbst zu tun als mit dem, was in der Welt abgeht. Meine Dasein soll nicht von purem Egoismus strotzen, vielmehr möchte ich zu irgendeiner Form der Befreiung beitragen. Es scheint mir unlogisch, dass gerade ich, die weltoffenste aus meiner Gruppe, für diese Aufgabe auserkoren worden war. Nichtsdestoweniger wundere ich mich über meinen erstaunlich festen Schritt, den ich jetzt an den Tag lege und Adolf Hitler mit seiner eigenen Suizid-Waffe zu bedrohen gedenke. 

„Adolf Hitler" sage ich in einem ruhigen Ton, der zu meinem Auftreten gehört „schau mir in die Augen, damit ich dich töten kann". 

Tatsächlich dreht er sich zu mir um und ich nehme als allererstes wahr, dass auch er nur ein Mensch ist. Irgendwo gebrochen, vielleicht durch seine nicht angetretene Künstlerkarriere, vielleicht von seiner eigenen Kriegsführung. Und trotzdem: ich sehe, wofür er stand und steht. Das kann und will ich nicht akzeptieren. Die Welt wäre ohne ihn besser dran. 

Er sieht mich bewundernd an, mustert mich von oben bis unten. Ich fühle mich beobachtet, kenne diese Art von Musterung von anderen Männern. Bei ihm schwingt jedoch kein sexueller Beigeschmack mit, eher der Versuch in mein Inneres zu schauen, meinen Willen zu brechen. Ich habe einen starken Willen, einen unglaublichen Dickkopf. Höchste Zeit, das unter Beweis zu stellen. 

 

Hitler sieht mir in die Augen und fängt an zu lachen. Er lacht so sehr, dass sich nun doch ein beklemmendes Gefühl in meiner Brust breit macht. Ich schaue ihn etwas verzweifelt, dennoch weiterhin entschlossen an. Die Waffe ist auf ihn gerichtet, ich gehe einen Schritt zurück, um einen festen Stand zu demonstrieren. Ich würde das Durchziehen, koste es was es wolle. 

 

"Um einem Menschen zu drohen, musst du Macht auf ihn ausüben, Mädchen." sagt der Führer. Was er sagt ergibt Sinn, wie ich zu meinen Ungunsten zugeben muss. 

 

Ich frage mich, ob ich die Oberhand behalten kann. Trotz seiner entspannten Haltung sehe ich ihn innerlich Zittern. Stauffenberg, der das offensichtlich auch bemerkt hatte, nimmt das zum Anlass belustigt zu keuchen. Leider findet Hitler diese Reaktion nicht sehr lustig und richtet seine Waffe auf den Grafen. Dann geht alles ganz schnell: Hitler drückt ab, Stauffenbergs Adjutant schmeißt sich vor diesen und ist augenblicklich, von der Kugel mitten ins Herz getroffen, tot. Das würde den Grafen aber nicht von seinem Schicksal verschonen, ebenfalls hingerichtet zu werden. Ich schlucke, sammele die Bruchstücke meines Mutes wieder zusammen und richte die Waffe gleichermaßen auf den Führer. Ich will unbedingt die Oberhand gewinnen, auch wenn ich mit einer neuen Erfahrung aus dieser Sache herauskommen will.

 

„Macht ausüben?" frage ich daher „Reicht es denn nicht, dass ich Sie mit ihrem eigenen Todesschuss bedrohe?" Ich trete einen Schritt an ihn heran und zucke mit der Schusshand. Ich fühle mich toll. Nicht besonders, weil ich im Begriff bin einen Menschen zu töten, eher ist es ein berauschendes Gefühl mit einem so mächtigen Mann ein Gespräch zu führen. Ich empfinde nichts anderes als Hass für ihn, aber er hatte es geschafft auf diesen Posten zu kommen, was ich ehrlich gesagt ein bisschen bewundere. Für mich selber wäre das nach dem Mord an ihm keinesfalls mehr eine Überlegung, streng genommen bin ich jetzt schon eine Verbrecherin. Eine 23-jährige Studentin, die sich am Widerstand orientiert. Ohne Frage kann dieses Monster vor mir die Menschen gut gewinnen, er versucht es immerhin gerade mit mir. Ich muss zugeben, sein Ansatz ist gar nicht so schlecht. Als ich sehe, dass er einen bewundernden Blick für mich nicht verbergen kann, fühle ich mich in meinem Vorhaben bestätigt. 

 

Ich habe ihn. 

 

Es ist nur noch ein Spiel. 

 

Ich darf nur keinen Fehler mehr machen, nicht die Beherrschung verlieren. 

 

„Das ist tatsächlich ein guter Anfang, Mädchen." sagt er. „Aber du bist zu verkrampft. Ich hätte es dir abgenommen, wenn du ein bisschen damit spielen würdest..." Hitler klingt beherrscht, aber ich kann das leichte Zittern in seiner Stimme hören. 

 

„Etwa so?" frage ich und lasse die geklaute Waffe um meinen Zeigefinger kreisen, inspiziere sie spielerisch erneut von allen Seiten. Ein Grinsen belegt meine Lippen, langsam macht mir die Sache großen Spaß. Es scheint, als wäre Hitler überrascht von meiner Reaktion. 

 

„Ja, so ist das gut" sagt er. „Du könntest dich auch an meinen Schreibtisch setzen." 

Das halte ich für eine ausgezeichnete Idee, auch wenn das vielleicht eine Falle ist. Also weiche ich Rückwärts zum Schreibtisch zurück, um seinem Rat eine Tat erfolgen zu lassen. Ich mache es mir in dem großen Lederstuhl an dem antiken, schwerfälligen Schreibtisch bequem. Jetzt läuft die Sache wie selbstverständlich. Mit einer Selbstverständlichkeit nehme ich mir aus dem Kästchen auf dem Schreibtisch eine Zigarre und zünde sie andächtig an. 

 

„Auch eine?" frage ich und reiche Hitler eine seiner Zigarren. Er nickt, beugt sich vor, damit ich ihm Feuer geben kann. 

 

Ich spiele scheinbar gelangweilt mit dem Todesschuss, während ich mit Herrn Hitler eine Zigarre rauche. Ich gebe mir große Mühe ein Husten zu unterdrücken, denn ich bin das Rauchen absolut nicht gewöhnt. Meine Lungen schreien, aber ich bleibe entspannt und unterhalte mich mit Hitler über dies und das. Man könnte es fast ein gutes Gespräch nennen: er weiß viel über Kunst und Musik. Ich viel über den Widerstand. Die Zigarre neigt sich dem Ende zu. Wir kichern grade über das perfekte Verbrechen, als mein Körper sich selbstständig macht. Ich stehe auf, sehe ihm in die Augen und erschieße Adolf Hitler.

 

Ich stehe da, mit einem rauchigen Pistolenknauf, weiß nicht wie ich mich fühle. 

 

Ich bin um eine Erfahrung reicher. Ich habe einen Menschen getötet, während ich ihm in die Augen sah. Ich habe vorher mit diesem Menschen ein gutes Gespräch geführt.

 

Ich betrachte die Leiche, sein Gesicht wirkt nicht überrascht, nicht erschrocken, nicht böse. Sein Gesichtsausdruck ist entspannt, vielleicht sogar dankbar. 

 

Ich gehe zum Schreibtisch zurück, zünde mir noch eine Zigarre an und spiele das Geschehen erneut in meinem Kopf durch. Die Ringe sind kaum verblasst, als die Tür zum Balkon aufgeht. Ein Kameramann tritt ein. Stauffenberg steht auf, ebenso sein Adjutant und die anderen Revolutionäre. Zuletzt erwacht auch Hitler wieder zum Leben. Keiner von ihnen scheint versehrt. 

 

Im Kreis herum beginnen wir alle uns zu umarmen und zur aufkommenden Musik zu tanzen, Während der Abspann einblendet.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.03.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gerne möchte ich das Buch Nathalia widmen, sowie ihrer kleinen Tochter.

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