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Prolog:


Das erste Mal sah ich sie in meinen Träumen. Ich irrte durch einen dunkeln Wald, es war Nacht und Schnee bedeckte die Umgebung. Aber ich fror nicht. Ich suchte etwas, ohne genau zu wissen was. Vielleicht suchte ich sie.
Ich hörte keinerlei Geräusche, kein Rauschen des Windes und kein Schreien einer Eule.
Der Wald wurde immer dichter und dunkler, aber ich spürte keine Angst.
Plötzlich sah ich sie. Sie stand auf einer Lichtung, ihr silberblondes, taillenlanges Haar wehte fast geisterhaft um ihren Körper, der in ein schwarzes, umhangähnliches Kleid gehüllt war.
Es war das schönste und anmutigste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Ihre grünen Augen schienen fast zu leuchten und ihr Gesicht war fein und zart geschnitten.
Sie war nicht wirklich klein, aber kleiner als ich schon.
Ich wollte auf sie zugehen, konnte sie aber nicht erreichen. Ich schien mich nicht vom Fleck bewegen zu können.
Wilde Verzweiflung kam in mir auf, ich rief nach ihr, doch sie schien mich nicht zu hören. Sie sah mich einfach nur an und blieb ruhig stehen, mit Verzweiflung und Angst in den Augen.
Wir sahen uns eine Ewigkeit an, die Zeit stand still. Schließlich sagte sie: „Hilf mir, Kiryan, bitte. Hilf mir!“
Dann verschwand sie und ich erwachte aus diesem seltsamen Traum, den ich niemals wieder vergessen können würde.


Kapitel 1


Ein Monat war seit diesem Traum vergangen und ich bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf. Ich schaffte es zwar zeitweise, mich davon abzulenken, aber sobald ich wieder Ruhe hatte, kehrten meine Gedanken zu dem Mädchen zurück.
Dieses Wochenende hatte ich mit meinen besten Freunden Eve und Matt und meiner Zwillingsschwester Bry in Lake Louis verbracht, beim Skifahren. Wir hatten uns eine Hütte gemietet, von der aus man den Skilift in nur 5 Minuten erreicht hatte.
Es hatte Spaß gemacht und war ein großartiges Wochenende gewesen, wenn man davon absah, dass mein größerer Bruder Tim als unser Aufpasser dabei gewesen war.
Jetzt waren wir wieder zurück in Black Hill, Indiana. Es war Montag und ich gerade auf dem Weg zur Schule.
Ich fuhr unseren Wagen, meine Schwester Bry saß neben mir und summte laut zur Musik, die aus dem Radio dröhnte.
Ihre Füße hatte sie auf das Armaturenbrett gelegt, ein stiller Trotz für unsere Eltern, mit denen sie gerade auf dem Kriegsfuß stand.
Ich wusste nicht genau wieso, aber das würde sich schon bald wieder legen.
„Triffst du dich heute wieder mit Brandon?“
Bry wandte sich mir zu und unterbrach ihr Summen für einen Moment.
Wir beide waren unzertrennlich, hatten den gleichen Freundeskreis und erzählten uns alles. Ich konnte mir ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen, denn auf uns traf das zu, was man so über Zwillinge erzählte, diese spezielle Bindung.
Bry zuckte mit den Schultern. „Kann schon sein. Ich mag ihn, er ist nett, aber zusammen sein? Nein, ich denke nicht, dass ich für eine Beziehung mit ihm bereit bin. Das mit Chris ist erst einen Monat her, da will ich nicht gleich was Ernstes.“
Ja, das war wirklich eine unschöne Sache gewesen, das mit Chris. Ich wurde jetzt noch wütend, wenn ich an diesen Mistkerl dachte. Am liebsten hätte ich ihn grün und blau geschlagen, aber der Scheißkerl hatte verdammtes Glück gehabt, dass mich meine Freunde davon abgehalten hatten.
Trotzdem… Das Schwein hatte die Schule eine Woche später gewechselt, schließlich hatte er das ganze Basketballteam und die Cheerleader gegen sich aufgebracht.
Ich war zufällig in diesem Basketballteam und meine Schwester die Anführerin der Cheerleader.
„Okay, aber sag bescheid, wenn er dich mies behandelt. Das macht keiner mehr mit dir.“
Scheiße, wie hatte ich mir damals Vorwürfe gemacht! Ich musste blind gewesen sein, hatte nicht bemerkt, wie schlecht er sie behandelt hatte und wie schlecht es ihr gegangen war. Das würde mir nie wieder passieren, das hatte ich mir geschworen.
Bry lachte und durchwuschelte meine Haare. „Weißt du, dass du der beste Bruder bist, den man sich wünschen kann, Kiryan?“
Ich spürte, wie ich rot wurde, Komplimente machten mich immer verlegen.
Aber trotzdem freute es mich. „Dasselbe gilt auch für dich, Bry.“
Eve und Matt warteten bei den Spinden auf uns. Matt stand an die Schließfächer gelehnt da und hatte den einen Arm um seine Freundin Lilly geschlungen.
Lilly war ein hübsches Mädchen, mit braunen Locken und blauen Augen. Sie ging in den Jahrgang unter uns und war daher auch jünger, aber das schien ihn nicht zu stören und mich störte das auch nicht. Anfangs hatte ich gedacht, es würde mich stören, wenn sie die ganze Zeit mit uns herumhing und Sachen unternahm, aber so war es nicht. Darüber war ich wahnsinnig froh, weil ich nich besonders scharf darauf war meinen besten männlichen Freund wegen so etwas zu verlieren.
Schließlich waren Matt und ich die einzigen Jungs in unserer Clique. Früher war es ausgeglichen gewesen, jetzt, wo Lilly zu uns gehörte, waren die in der Mehrzahl. Das war okay für mich und für Matt auch, schließlich waren Matt, Eve, Bry und ich zusammen aufgewachsen und es gab sicherlich kein netteres Mädchen als Lilly auf der Welt. Aber manchmal war es trotzdem anstrengend ihnen bei ihren Mädchengesprächen zuzuhören oder gar mit ihnen shoppen zu gehen um dann ihre Einkäufe tragen zu müssen.
Trotzdem… ich konnte mir keinen meiner Freunde mehr wegdenken.
Dennoch hatte ich ihnen nichts von meinem Traum erzählt. Ich weiß nicht, wieso, aber jedes Mal, wenn ich dazu angesetzt hatte, hatte ich es mir in letzter Sekunde anders überlegt. Ich hatte ihnen noch nie etwas verschwiegen, deswegen hatte ich ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber, besonders wegen Bry, denn ihr erzählte ich wirklich alles.
„Hey, Ki, wie läufts?“
Ich schlug mit Matt ein und grüßte dann auch Lilly und Eve mit einer Umarmung.
„Das war ein tolles Wochenende, Kiryan. Danke, dass du uns mitgenommen hast.“
Verlegen winkte ich ab, für mich war das selbstverständlich gewesen, dass ich meine Freunde mitnahm. Genauer gesagt, wäre ich ohne sie gar nicht gefahren.
„Hey, Kiryan, hast du schon das von Martha Bagott gehört?“
Ich schüttelte den Kopf und sah Eve an. Martha war letztes Jahr mit uns in die Schule gegangen, hatte dann aber umziehen müssen. Sie war… anders gewesen. Dickes, mausgraues Haar hatte sie gehabt, hüftlang. Sie war sehr schlank gewesen und hatte wunderschöne braune Augen gehabt. Die Hälfte der Jungs hier war auf sie gestanden und ich auch, nur um das klar zu stellen.
Sie war heiß gewesen, auch wenn ihre Haarfarbe langweilig gewesen war, hatte sie es mit ihrem auffälligen Outfit und ihrem Charme wett gemacht.
Auch sie war ein Cheerleader gewesen, hatte sich aber mit Bry nicht wirklich gut verstanden. Irgendwann war sie dann weg gegangen, drei Tage vor unserem ersten Date.
Bry war das gerade recht gekommen, sie wollte nicht, dass ich mir ihr ausging. Wegen ihr hatten wir unseren ersten richtigen Streit.
„Was ist mit ihr?“
Eve zuckte mit den Schultern, die wusste, wie sehr ich damals in sie verknallt gewesen war und dass es mich auch jetzt noch interessierte, was mit ihr war.
Auch wenn es nicht mehr so aktuell war. Meine Gedanken kreisten nur noch ab und zu um sie, viel öfter musste ich an das Mädchen aus meinen Träumen denken, aber das würde ich ihr nicht erzählen.
Allerdings… das Mädchen aus meinen Träumen war nicht real, also wenn Marthe zurückkam… vielleicht würden wir unser Date dann endlich durchziehen können.
„Ihre Mutter ist letzten Monat gestorben und sie zieht jetzt zu ihrem Dad nach Kalifornien. Tut mir leid, Kiryan, deine Hoffnungen sie bald wieder zu sehen, sind wohl enttäuscht worden.“
Ehrlich gesagt, war es mir egal. Klar, sie war heiß gewesen, aber… das war eine Weile her und ich konnte dieses Mädchen aus meinen Träumen einfach nicht aus meinem Kopf bekommen. An andere Mädchen war gar nicht zu denken.
Das war es eher, was mir Sorgen bereitete. Ich meine, ich dachte ständig an jemanden, der gar nicht existierte! Das war… doch abnormal.
„Das tut mir leid für sie. Muss schwer sein, meine Mum zu verlieren.“
Bry sah mich an, als wäre ich ein Außerirdischer. „Das ist alles? Mehr hast du nicht zu sagen? Kein Wutausbruch oder „Lasst mich allein“?“
Ich zuckte mit den Schultern, nicht ganz sicher was sie von mir erwartete.
„Ja, ich denke, dem habe ich nichts hinzu zu fügen.
Ich bin über sie hinweg, okay?“
„Wer ist die Glückliche?“ Natürlich konnte Bry es nicht lassen, so lange herumzuhacken, bis sie herausfand, warum ich nicht mehr an Martha interessiert war.
Normalerweise fand ich ihre nervige Neugierde amüsant, aber schön langsam ging sie mir auf die Nerven. Wie kam sie auf die Idee, hinter meinem Desinteresse an meiner Exflamme müsse ein anderes Mädchen stecken? Ich war sicherlich nicht so armselig, dass ich diesem Mädchen ewig nachtrauern würde.
Außerdem… wie konnte es ein anderes Mädchen geben, wenn das einzige, an das ich dachte, das aus meinem Traum war?
„Sie hat keinen Namen, weil es sie nicht gibt. Traust du deinem Bruder etwa nicht zu sich von so etwas zu erholen? Ist ja schon eine Weile her, oder nicht?“ Ich konnte nicht anders, meine Stimme klang genervt, was bei mir nur selten der Fall war, immer nur dann, wenn ich wirklich gelangweilt oder angepisst war und keine Nerven hatte um mit jemanden über so etwas lächerlich unwichtiges zu reden.
Bry zog ihre Augenbraue hoch. „Und das soll ich dir glauben?“
„Ach, wenn du mir nicht glaubst dann geh doch und amüsier dich mit diesem Brandon. Anscheinend ist dir so langweilig, dass du schon Gerüchte um deinen eigenen Bruder anstellen musst. Vie Spaß, aber ich werde dir dabei nicht helfen.“
Vielleicht war es dumm meine Entnervtheit so zu zeigen und nach meinen Worten einfach so weg zu gehen, aber ich war dermaßen wütend – nicht unbedingt auf Bry, sondern auf alles und jeden.

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Tag der Veröffentlichung: 15.12.2010

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