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Lili und Damian: Kapitel 1

 

Warme Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch den Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen und erleuchteten das Zimmer in einem hellen Glanz. Binnen weniger Sekunden wärmten sie ihr ganzes Gesicht und glitten hinunter zu ihrem Hals. Die Wärme tat gut, sehr gut sogar.

Verschlafen öffnete Lili ihre Augen und musste paarmal kräftig blinzeln, um sich an das Licht zu gewöhnen. Kaum hatte sie das getan, schlich sich ein böser, klopfender Schmerz in ihren Kopf. Seufzend drehte sie sich auf die Seite, um nach einer der Schmerztabletten zu greifen, die sie immer in der ersten Schublade ihres Nachttischschränkchens aufbewahrte. Doch anstatt wie erwartet ihr Nachttischchen zu fassen zu bekommen, griff sie ins Leere. Auch fühlte sich der Stoff auf ihrer Haut irgendwie seltsam an. Nicht so, wie sie es sonst von ihrer weichen Decke gewohnt war.

Auf einen Schlag war sie hellwach und blickte sich suchend um. Wo war sie? Das Zimmer, in dem sie sich befand, war beinahe doppelt so groß wie ihr eigenes. Bis auf das riesige, französische Bett, in dem sie lag, und den gewaltigen Kleiderschrank mit einer Glasfront als Tür war das Zimmer so gut wie leer. Ein neu aussehender, dunkelbrauner Ledersessel und eine große Zimmerpalme befanden sich noch in dem Raum. Dieses penible, aufgeräumte Zimmer gehörte nicht ihr. Aber wem gehörte es dann?

Panisch drehte sie sich um, griff nach der dunkelroten Samtbettwäsche und schlang sie um ihren nackten Oberkörper.

„Bitte, bitte, lass es nicht diesen schmierigen, unattraktiven Barkeeper von gestern sein!“, flüstere sie leise und linste mit leicht zusammengekniffenen Augen zur anderen Seite des Bettes.

Doch das krasse Gegenteil war der Fall: Neben ihr lag ein gutgebauter, braungebrannter Mann mit kurzen, dunkelblonden Haaren. Mehr konnte Lili nicht erkennen, denn der Fremde lag auf dem Bauch und verdeckte sein Gesicht mit den muskulösen Oberarmen. Die Bettdecke hatte er um seine Hüften geschlungen und Lili musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass er darunter ebenfalls nackt war. Fieberhaft versuchte sie, den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren zu lassen.

Verschwommen konnte sie sich daran erinnern, dass sie und ihre beste Freundin Megan in der angesagtesten Disco Londons gewesen waren und dort ein paar Tequilas getrunken hatten. Sie wusste auch noch, wie Megan an der Bar von einem Mann angesprochen worden war. Er hatte sie beide eingeladen, an seinem Tisch Platz zu nehmen, was sie dann auch getan hatten.

Irgendwann waren dann ein paar Kumpels von Megans Eroberung zu ihnen gekommen. Womöglich war auch der Mann, mit dem sie jetzt im Bett lag, dabei gewesen, doch Lili konnte sich weder daran erinnern, wie er hieß, noch, wie sie hierhergekommen war.

Sie hatte einen kompletten Blackout, was sie mit Sicherheit den vielen Tequilas zu verdanken hatte.

Was sollte sie jetzt tun? So etwas hatte Lili noch nie erlebt. Bis jetzt hatte sie ausschließlich Sex mit Männern gehabt, mit denen sie auch zusammen gewesen war. Die Situation, in der sie sich im Moment befand, war völliges Neuland und sie verfluchte sich im Stillen dafür, dass sie in keiner Zeitschrift nachgelesen hatte, wie man sich in so einem Fall am besten verhielt. Ganz in Gedanken versunken, strich sie über ihre Waden und zuckte augenblicklich zurück. Auf ihren Beinen hatte sich seit der letzten Rasur eine Art Stoppelfeld gebildet. Viele kleine Härchen, die bei jeder Berührung leicht Pickten. Wie peinlich! Der Typ neben ihr sah - soweit sie das beurteilen konnte - echt scharf aus und eigentlich hätte sich ihre Haut anfühlen sollen wie ein kleiner Babypopo. Noch einmal strich sie über ihre Beine. Von dem Babypopo war sie weit entfernt. Mit Sicherheit würde er sich noch Wochen später an sie als die Frau erinnern, die auf ihren Beinen ein Stoppelfeld züchtete.

Das Surren ihres Handys riss Lili aus ihren Gedanken. Wo war ihre Tasche? Hektisch blickte sie sich um. Unter keinen Umständen sollte der Mann neben ihr jetzt aufwachen. Ganz langsam stahl sie sich aus dem Bett und kramte in ihrer Tasche, die auf dem Ledersessel lag, nach ihrem Telefon. Als sie es endlich zu fassen bekam, hatte es schon aufgehört zu vibrieren, und so klickte sie die zwei SMS auf ihrem Display an. Beide waren von Megan:

Wo steckst du? Bist du noch bei Damian?

Damian war also der Name des Fremden! Schon mal gut zu wissen, dachte sie bei sich und sah sich die zweite SMS an:

 

Verdammt, Liliana, melde dich! Ich mach mir Sorgen. Megan

 

Megan war definitiv sauer, denn nur dann sprach oder schrieb sie Lili mit ihrem vollen Namen an. Schnell antwortete sie:

 

Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Kannst du mich bitte abholen? Der Typ im Bett schläft noch und ich möchte ihn nicht wecken. Bin ich gestern mit Damian nach Hause gegangen?

 

Lili hielt ihr Handy in der Hand und setzte sich auf den kalten Fußboden. Sie wollte nur noch weg! Gut, es gab Schlimmeres als einen One-Night-Stand. Vor allem, wenn der Typ so gut aussah wie dieser Fremde. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte, würde er jetzt wachwerden. Noch nie hatte sie mit einem Typen geschlafen, den sie nicht einmal kannte. Noch nie war sie am nächsten Morgen neben jemandem aufgewacht, mit dem sie keine Beziehung führte. Dazu noch die Tatsache, dass sie zu einem verkaterten, unrasierten Wrack mutiert war. Kurz darauf kam Megans Antwort:

 

Oh Süße! Ja, das war Damian. Ich hab gestern mitbekommen, wo er wohnt, und bin in zwanzig Minuten da. Bis gleich

 

Mit angehaltenem Atem und so geräuschlos wie eine Katze schlich sie zu ihren Klamotten, die auf dem weißen Parkettfußboden verteilt lagen. Mit schnellen Bewegungen zog sie sich an und betete, dass sie leise genug war und Damian nicht weckte. Seine geregelten Atemzüge ließen keinen Zweifel übrig: Er schlief. Jetzt musste sie nur noch aus diesem Zimmer kommen und das Thema wäre erledigt. Mit pochendem Herzschlag und ihren Pumps in der Hand ging sie lautlos aus dem Raum. Ganz sachte schloss sie Damians Schlafzimmertür und drehte sich dann erleichtert um. Mit ihrer freien Hand strich sie sich ihr langes, rotblondes Haar aus dem Gesicht und gönnte sich einen kurzen Blick durch die leerstehende Wohnung. Entweder war dieser Damian gerade dabei, sich eine neue Bleibe zu suchen, oder er war vor Kurzem erst hier eingezogen. Unzählige verschlossene Kartons standen in dem großen Raum und ließen die Wohnung ungemütlich wirken. „Bloß weg hier“, murmelte sie, schüttelte den Kopf und ließ die Wohnungstür ins Schloss fallen. Sollte er ihretwegen aufwachen, jetzt war sie in Sicherheit. Im Aufzug betrachtete sie ihr Gesicht. Durch die Blässe um die Nase und die geröteten Augen mit den Augenringen, die gefühlt bis zu den Kniekehlen hingen, sah sie aus, als ob sie die ganze Nacht durchgemacht hätte - was vielleicht auch stimmte. Wie, um alles in der Welt, konnte man nur so viel Alkohol trinken? Mit einem Gong sprang die Aufzugstür auf und mit gesenktem Blick eilte sie am Portier vorbei.

„Süße, ich bin hier!“ Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand Megan und winkte ihr kurz zu.

Schnell schlängelte sich Lili an den wartenden Autos vorbei und hätte ihre Freundin am liebsten umarmt, doch ihr morgendlicher Atem ließ zu wünschen übrig und so sagte sie nur: „Ich bin so froh, dich zu sehen!“

Megan grinste sie gutgelaunt an. „War deine Nacht nicht gut?“

„Ich bitte dich!“ Lili warf ihr einen bösen Blick zu und ließ sich auf den Beifahrersitz des Minis sinken.

Megan nahm hinter dem Steuer Platz und reihte sich in den Straßenverkehr ein. Nur gut, dass heute Sonntag war und Lili morgen erst ihre neue Praktikumsstelle antreten musste.

„Jetzt sag schon! Weißt du wirklich gar nichts mehr?“

Aus ihrer Handtasche zog Lili ein Päckchen Kaugummi und schüttelte den Kopf. „Totale Leere.“

„Hey, aber dein Damian sieht echt verboten gut aus.“

Mein Damian?“ Sie schnappte hörbar nach Luft. „Ich werde den Typen nie wiedersehen. Weißt du eigentlich, wie peinlich mir das Ganze ist?“

Kurz hielt sie inne. „Ich bin definitiv kein One-Night-Stand-Typ. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn dieser Damian schon vor mir aufgewacht wäre, wenn er mich bei Tageslicht nackt gesehen hätte - ein völlig Fremder!“ Sie verscheuchte den Gedanken, dass er sie schon in der Nacht nackt gesehen haben musste, schnell aus ihrem Kopf.

Megan verdrehte spielerisch die Augen. „Komm, so ein kleiner One-Night-Stand hat noch niemandem geschadet. Nur beim ersten Mal ist die Situation etwas seltsam.“ Eigentlich wollte sich Lili nicht mit ihr streiten, aber Megan war ihre Freundin und Mitbewohnerin, und da hatte man doch ein Auge aufeinander. Lili sprach sie darauf an: „Warum hast du mich überhaupt mit ihm mitgehen lassen?“

„Also erstens hab ich dir bestimmt fünfmal ins Gewissen geredet, aber du wolltest unbedingt noch bleiben. Zweitens bist du mit Damian abgehauen, ohne dich zu verabschieden. Ich hab mir die ganze Nacht Sorgen um dich gemacht.“ Megan klang beleidigt.

„Sorry, ich bin einfach total fertig. Lass uns das Thema einfach vergessen, okay?“ Es tat Lili wirklich leid, schließlich hatte sie das alles nur sich selbst zu verdanken. Jetzt jemand Anderem die Schuld zuzuschieben, war falsch.

„Na gut, Thema erledigt. Vergessen wir es einfach. Du siehst ihn eh nie wieder“, munterte Megan sie auf.

***

 

Das Zuschlagen seiner Wohnungstür riss Damian aus dem Schlaf. Obwohl er spürte, dass die andere Hälfte seines Bettes leer sein musste, tastete er sie ab. Noch konnte er die Restwärme, die in den Laken hing, spüren und öffnete die Augen. Er suchte den Fußboden ab. Wo letzte Nacht noch überall Frauenkleidung gelegen hatte, war jetzt nichts mehr. Nur sein kleines Häufchen Klamotten war noch zu sehen.

„Freu dich, sie ist weg", sagte er leise. Ihm blieb eine unangenehme Situation erspart. Es war nicht Damians erster One-Night-Stand gewesen und er wusste, dass der Morgen danach unter Umständen ziemlich unschön werden konnte. Vor allem, wenn die Auserwählte es so schön bei ihm fand und einfach nicht gehen wollte, was zum Glück bisher nur einmal der Fall gewesen war. Die Dame hatte dann erst beim direkten Bitten kapiert, wie der Hase lief. Auch wenn er die One-Night-Stands, die er bisher gehabt hatte, an einer Hand abzählen konnte, war doch er es, der immer zuerst zu sich gekommen war und das Zimmer verlassen hatte, um sich zu duschen. Er nutzte diese Zeit dann immer, um die letzte Nacht noch einmal zu überdenken und zu hoffen, dass seine Auserwählte kein Groupie war. Oder zu einem wurde. Sex mit Fans war ein absolutes Tabu. Er hatte schon zu viel über Frauen gehört, die der Presse von solchen Erlebnissen erzählt und sogar Fotos gemacht hatten. Sofort musste er an Adam, einen ehemaligen Teamkollegen, denken, dem genau dieses passiert war. Die Sache lag schon fast ein Jahr zurück, und doch hatte es bei Damian und seinen EX-Teamkollegen Spuren hinterlassen. Adam hatte was mit einem Groupie angefangen. Eine lockere Affäre, wie er es damals nannte. Nachdem Adam die Affäre beendet hatte, zeigte diese ihr wahres Gesicht und verwandelte sich zu einer völlig durchgedrehten Stalkerin. Adam konnte kaum mehr unbemerkt das Haus verlassen, ohne dass sie ihn verfolgte. Immer wieder tauchten Fotos von Adam auf. Egal ob es beim Fußballspielen oder in der Freizeit war. Selbst unter der Dusche wurde er abgelichtet. Sämtliche Anzeigen gegen sie hatten nicht viel gebracht und es wurde erst besser, als Adam sich eine Auszeit nahm. Seitdem war Damian vorsichtiger geworden, was fremde Frauen anging.

Kapitel 2

 

Wie ein Raubtier, das auf seine Beute lauerte, trat er vor sie und versperrte ihr jegliche Fluchtmöglichkeit. Mit seinen bernsteinfarbenen Augen sah er sie auffordernd an und flüsterte kaum hörbar: „Renn.“

„Warum?“ Panisch drehte Lili sich einmal um die eigene Achse. Wohin sollte sie rennen?

Sein Körper baute sich vor ihr auf und automatisch wich sie zurück, bis sie sich mit dem Rücken an eine Mauer presste. Sie war in der Falle. Genau hier wollte er sie haben, denn auf seinem markanten Gesicht breitete sich ein verführerisches Lächeln aus. „Hab ich dich nicht gewarnt? Hab ich nicht gesagt, dass du rennen sollst?“

Am liebsten hätte sie gebrüllt: „Wohin soll ich bitte rennen?!“ Doch sie schwieg und blickte ihn ängstlich an. Er kam einen Schritt auf sie zu und stützte seine großen Hände an der Wand neben ihrem Kopf ab. Sein wunderschön geschwungener Mund war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

„Wer bist du und was willst du von mir?“ Lili fand, dass ihre Stimme wie die eines kleinen Kindes klang. Viel zu hoch und fremd in ihren Ohren.„Dich, Lili. Nur dich.“ Und bevor sie wusste, wie ihr geschah, durchbrach ein greller, lauter Ton die Stille.

 

„Was?“

Komplett orientierungslos blickte sie sich um. Wieso war Lili in ihrem Zimmer und nicht bei ihm? Ihr verschwitztes T-Shirt klebte an ihrem Rücken, und als sie auf die Uhr sah, fuhr Lili erschrocken auf. „Ach du Scheiße!“, fluchte sie und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Gestern Abend, als sie ihren Wecker gestellt hatte, war sie sich sicher gewesen, dass die Zeit reichen müsste, um sich für ihre neue Stelle fertigzumachen. Doch ein Blick in den Spiegel sagte ihr das genaue Gegenteil. Sie sah aus wie ein Zombie. Ihr rotblondes, langes Haar war zerzaust und unter ihren Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet, was daran lag, dass sie gestern Nacht nicht hatte einschlafen können. Immer und immer wieder hatte sie versucht, sich in Erinnerung zu rufen, wie es dazu gekommen war, dass sie mit Damian im Bett gelandet war. Doch es fehlte ihr noch immer jegliche Erinnerung. Lili griff nach ihrer Haarbürste, um sich durch ihre Zotteln zu kämpfen, doch gleich darauf schmiss sie sie erfolgslos in die Ecke. In vierzig Minuten musste sie ihre neue Praktikumsstelle antreten und so, wie sie aussah, blieb ihr nichts anderes übrig, als vorher noch unter die Dusche zu hüpfen. Nur gut, dass sie ihre Kleidung schon gestern Abend zusammengesucht hatte. Binnen zwanzig Minuten hatte sie sich frischgemacht und ihren knielangen, schwarzen Rock und eine weiße Bluse angezogen. Es war sehr wichtig, dass sie einen guten Eindruck machte, schließlich war ihr Onkel der Manager des Fußballclubs, bei dem sie die Chance bekommen hatte, ein dreimonatiges Praktikum zu absolvieren. Etwas, das eigentlich in dem Verein und vermutlich auch in allen anderen mehr als unüblich war. Das noch feuchte Haar flocht Lili zu einem Zopf zusammen, dann schminkte sie sich dezent. Aus Zeitmangel musste auch das Frühstück heute ausfallen und so kaufte sie sich an der U-Bahnhaltestelle einen Coffee-to-Go.

„Puh.“ Um den Kaffee nicht zu verschütten, ließ sie sich langsam auf die abgewetzten Bänke der U-Bahn sinken. Abgekämpft lehnte sie ihren Kopf an das kalte Fenster der Bahn, hielt ihren Becher fest in der Hand und freute sich auf den ersten Schluck Koffein. Für Lili gehörte ein Kaffee am Morgen genauso dazu wie das Zähneputzen. Nicht nur am Morgen, würde Megan jetzt sagen. In Megans Augen war Lili nach der schwarzen Flüssigkeit süchtig - was irgendwie auch stimmte. Ohne ihre drei Tassen am Tag, die nun wirklich nicht viel waren, kam Lili nicht aus. Für sie hatte der Geruch der frischgemahlenen Bohnen etwas Beruhigendes. Sie liebte den Duft und den Geschmack. Lili sah sich um. Der Zug war gut gefüllt und neben ihr nahm eine Horde von Schulmädchen in ihren Uniformen Platz. Gerade als sich Lili den ersten Schluck Kaffee gönnen wollte, stand eines der Mädchen auf und schnappte sich ihren Rucksack. Dabei rempelte diese Lili an, woraufhin ein Teil des Kaffees, der eigentlich für Lilis Mund bestimmt war, verschüttet wurde. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Auf ihrer schneeweißen Bluse prangte nun, genau auf ihrer rechten Brust, ein brauner, faustgroßer Fleck.

Verzweifelt versuchte Lili ihn abzuwischen, was natürlich nicht gelang. Konnte ihr Tag noch schlimmer werden? Strafend schaute sie das Mädchen an, das aber so mit seinem Rucksackträger beschäftigt war, dass es Lili keine Aufmerksamkeit schenkte. Bevor sie noch mehr verschütten konnte, warf sie den Becher in den Mülleimer und stand auf. Die Lust auf Kaffee war ihr nun gründlich vergangen. An der nächsten Haltestelle musste Lili raus.

So schnell, wie der enge Rock es zuließ, eilte sie die Treppe hinauf. Bei Tageslicht sah der Fleck doch gar nicht mehr so schlimm aus - zumindest sagte sie sich das immer wieder, während sie auf den Park zuging, wo sich das Trainingsgelände und ihre neue Arbeitsstelle befanden. Lili lief an dem hohen Zaun vorbei, der das Sportgelände umgab, und suchte nach einem Weg hinein. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, in knapp fünf Minuten sollte sie spätestens da sein. Wenn sie nun weiter hier entlangtigerte, um das Eingangstor zu finden, kam sie sicher zu spät. Dann, keine zehn Schritte entfernt, entdeckte sie das Tor.

„Warum nicht gleich so?“ Erfreut stellte sie fest, dass der Eingang zum Gelände offen war. Auf dem Parkplatz davor standen an die fünfzehn Autos - alles teure Nobelkarossen. Der Anblick machte sie leicht nervös. Sie kannte sich nicht mit Leuten aus, die im Monat so viel verdienten wie andere in ihrem ganzen Leben nicht. Vor dem Hauptgebäude straffte Lili ihre Schultern und setzte ihren selbstbewussten Blick auf, den sie tagelang geübt hatte. Mit einer schwungvollen Bewegung stieß sie die Glastür auf und trat in den hell erleuchteten Raum. Suchend blickte sie sich um. Warum war hier niemand? Noch bevor sie sich richtig umsehen konnte, hörte sie jemanden sprechen.

„Wer hat dich hier reingelassen?“, erklang eine unfreundliche Männerstimme hinter ihr. Erschrocken zuckte sie zusammen und stammelte: „Die Tür war offen und …“

„Ich bring diesen Taugenichts von Mitarbeiter noch um. Wir sind hier für die Sicherheit zuständig und nicht dafür, dass wildfremde Menschen einfach reinspazieren können. Nicht umsonst gibt es einen Code!“

Mist, das Letzte, was Lili wollte, war, dass jemand wegen ihr Ärger bekam. Bevor sie dem wütenden Sicherheitsbeamten, der einem wirklich Angst einjagte, alles erklären konnte, rief dieser: „Lucas! Wo zum Teufel steckst du? Komm sofort her!“

„Sir, bitte, ich kann Ihnen alles erklären. Mein Name ist …“

„Nun hör mir mal zu“, der bullige Sicherheitsbeamte baute sich vor ihr auf und verschränkte demonstrativ seine Arme vor der Brust, „an deiner Stelle würde ich hier ganz schnell verschwinden. Außer du willst mich richtig wütend erleben.“ Mit seinen bohrenden, dunklen Augen fixierte er Lili strafend und auf seiner Glatze bildeten sich kleine Schweißperlen.

„Mein Name ist Liliana Brown und mein Onkel ist der Manager dieses Vereins. Ab heute beginnt mein dreimonatiges Praktikum und -“

„Lucas, was soll das?“ Der Sicherheitsbeamte deutete auf Lili und sah über ihren Kopf hinweg jemanden böse an.
„Nun, ich …“, erklang eine leise Stimme hinter Lili.

„Die Tore waren offen. Wie kann das passieren?“

„Ich dachte nur …“

„Überlass das Denken mir. Du sollst nicht denken, sondern deine Arbeit erledigen. Verstanden?“

„Ja.“

„Gut, dann bring dieses Mädchen nach draußen.“

„Aber ich arbeite ab heute hier“, protestierte Lili. Sie war nicht bereit, sich so einfach wegschicken zu lassen.

„Hau ab, oder willst du richtigen Ärger?“, zischte Mr. Bulldogge.

„Sie hat recht. Mr. Brown hat mich gebeten, das Tor für seine Nichte offenzulassen und es danach wieder zu schließen“, half die Stimme hinter ihr.

Mr. Bulldogge kam auf Lili zu und schenkte ihr einen vernichtenden Blick. „Und warum sagt mir das keiner? Ich bin der Boss, was die Sicherheit angeht. Solche Sachen sollten mit mir besprochen werden. Falls das eine Lüge ist, möchte ich nicht in deiner Haut stecken.“ Dann wandte er sich an die Person hinter Lili: „Wir zwei sprechen uns später.“ Mit großen Schritten stapfte er aus dem Raum.

„Puh!“ Lili atmete tief durch und drehte sich um.

„Unfreundlicher Kerl, nicht?“ Der Junge - er musste ungefähr in Lilis Alter, also Anfang Zwanzig sein - trat schüchtern vor.

„Das kannst du aber laut sagen. Ich bin Liliana Brown, aber nenn mich ruhig Lili. Es tut mir schrecklich leid, ich wollte dir keinen Ärger bereiten.“ Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

„Lucas“, stellte er sich vor und schüttelte ihre Hand. „Ich muss mich entschuldigen. So war deine Begrüßung nicht geplant.“

„Schon gut“, winkte Lili ab und fragte: „ Arbeitest du schon lang hier?“

„Nein, erst seit vier Wochen“, erwiderte er.

Für Lili sah er gar nicht danach aus. Gut, er war recht groß, bestimmt einen Meter neunzig, aber relativ schlank, um nicht zu sagen fast mager. Die schwarze Kleidung mit dem weißen Schild auf der Brust, auf dem „Security“ stand, hing an ihm herunter. Sein schulterlanges, pechschwarzes Haar hatte er zu einem Zopf gebunden. Lucas‘ dunkelbraune Augen blickten freundlich und auch der Rest von ihm hatte nichts Furchterregendes an sich. Er sah aus wie der freundliche Junge von nebenan, der sich als Sicherheitsbeamter verkleidet hatte. „Also, dann bring ich dich mal zu deinem Onkel.“ Lucas ging an Lili vorbei und führte sie zum Lift. Mit einem Gong sprang die Aufzugstür auf und Lili trat hinter Lucas ein.

„Im Erdgeschoss befinden sich die Mannschaftskabinen, Duschen, der Kraft- und Besprechungsraum, eine Sauna und ein Hallenbad. Im ersten Stock sind die Zimmer der Physiotherapeuten und eine Arztpraxis. Im zweiten Stock befinden sich die Büros - dein neuer Arbeitsbereich“, erklärte ihr Lucas, während sie nach oben fuhren.

Der Gong erklang erneut und Lili folgte dem Jungen aus dem Aufzug und den langen Gang entlang. Auf der linken Seite ließen große Fenster Licht herein und auf der rechten reihten sich verschlossene Bürotüren aneinander. Bei der hintersten hielt Lucas an und sagte: „Da wären wir.“

„Vielen Dank. Irgendwie habe ich mir alles eine Spur kleiner vorgestellt“, gab Lili zu. Sie war überrascht, dass das Gebäude so groß war.

Lucas nickte und klopfte an. Sofort erklang die Stimme ihres Onkels: „Ja?“

„Lili ist hier.“ Lucas hatte die Tür nur einen Spalt geöffnet. Lili versuchte, einen Blick hinein zu ergattern, doch er versperrte ihr die Sicht.

„Entschuldige. Ich sag nur kurz meiner Nichte Hallo“, hörte sie die ihr so vertraute Stimme.

Lucas trat zur Seite und nickte Lili zu, das Büro zu betreten.

„Danke, bye“, flüsterte sie ihm zu und huschte ins Zimmer.

Ein heller, freundlicher Raum empfing sie. Hinter dem großen Schreibtisch saß ihr Onkel in einem grauen Anzug und legte gerade den Telefonhörer auf. Sein graues Haar hatte er seit ihrem letzten Treffen schneiden lassen und auf seinem Gesicht, das mit kleinen Falten überzogen war, lag ein Lächeln. „Meine liebe Liliana“, begrüßte er sie und erhob sich.

„Hallo Onkel Max.“ Lili ging auf ihn zu und umarmte ihn herzlich.

„Schön, dich zu sehen!“

„Gleichfalls.“

„Na, wie war dein Wochenende?“, wollte er wissen und legte einen Stapel Papiere zur Seite.

Ganz falsches Thema, dachte sie für sich und antwortete stattdessen: „Ganz nett. Und bei dir?“

„Wenn man es Wochenende nennen kann, wenn ich hier saß und über Zahlen gebrütet habe …“, erwiderte er und verdrehte leicht die Augen.

„So schlimm?“

„Ach wo“, winkte er ab. „Ich liebe meinen Job.“

Max sah auf die Uhr. „Könntest du noch ganz kurz ein paar Minuten draußen warten? Ich hab gleich noch ein Gespräch mit einem der neuen Spieler.“

Lili erhob sich. „Natürlich.“

„Das ist sehr lieb von dir. Es dauert auch nicht lange, höchstens zehn Minuten. Willst du einen Kaffee?“ Max deutete auf seinen benutzten Becher.

„Ähm … später vielleicht.“ Lili verließ das Büro, schloss die Tür hinter sich und schlenderte den Gang entlang.

Vor einem großen, schwarzweißen Foto der Mannschaft mit einem Fußballpokal hielt sie inne und starrte das Bild an.

 

***

Damian blieb nicht mehr allzu viel Zeit. In wenigen Minuten hatte er ein Gespräch mit dem Manager. Während er den breiten Flur entlangging, fiel ihm etwas - oder besser gesagt, jemand - ins Auge. Automatisch verlangsamten sich seine Schritte.

Was zum Henker tat sie hier?

An dem Abend, als er sie mit in seine neue Wohnung genommen hatte, war er angetrunken gewesen. Er hatte mit zwei früheren Mannschaftskameraden seinen Aufstieg in einen der besten Londoner Fußballclubs gefeiert. Als Paul dann die zwei Mädels angeschleppt hatte, war Damian zuerst verärgert gewesen. Er hatte keine weibliche Gesellschaft gewollt, sondern einen reinen Männerabend. Wieso er dann mit dieser rothaarigen Lili abgehauen war, wusste er selbst nicht mehr genau.

Aber er wusste noch, dass der Sex echt gut gewesen war, auch wenn sie ein wenig wie eine Schnapsbrennerei gerochen hatte.

Dass sie am nächsten Morgen bei seinem Erwachen bereits verschwunden war, hatte er im Grunde gut gefunden. Damian wollte sich im Moment nur auf seine Karriere als Profifußballer konzentrieren, schließlich war er schon siebenundzwanzig und hatte nur noch drei, höchstens fünf Jahre, um seinen Traum zu leben - und der beinhaltete keine rothaarige Elfe. Noch immer musterte er sie von Kopf bis Fuß, und als ob sie seine Blicke gespürt hätte, drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen trafen sich, dabei zuckte Lili kurz zusammen. Sie wirkte genauso benommen, wie er sich fühlte. War ihr Treffen ein reiner Zufall? Das hielt er für unwahrscheinlich. Seit Wochen stand in den Zeitungen, dass Damian in der neuen Saison für den Verein spielen würde. Sein Gesicht war in sämtlichen Tageszeitungen abgelichtet gewesen. So etwas konnte wohl kaum jemand übersehen. Während sie sich anstarrten, hob Lili ihre Hand und legte sie blitzschnell auf ihre rechte Brust. Ungläubig starrte er sie an. Was tat sie da? Wollte sie ihn etwa anmachen? Natürlich, warum sollte sie sich sonst an die Brust fassen?! Und dann dämmerte ihm, was hier gerade ablief. Lili war ein verdammter Groupie. Jemand, der es nur darauf anlegte, von einem Promi flachgelegt zu werden - und er war darauf reingefallen. Damian hätte sich am liebsten die Handfläche gegen den Kopf geklatscht. Warum passierte das ausgerechnet ihm?!

 

***

 

Das durfte doch alles nicht wahr sein! Ungläubig starrte sie ihr Gegenüber an und blickte in seine bernsteinfarbenen Augen, die von langen, dichten, schwarzen Wimpern umrundet waren. Der Typ kam ihr bekannt vor. Es war genau der Mann, den sie letzte Nacht in ihren Träumen gesehen hatte. Doch jetzt, hier in natura, sah er noch viel besser aus. Er war braungebrannt und sein dunkelblondes Haar wirkte so, als ob er eben erst aus dem Bett gestiegen wäre. Nur sein Gesicht sah nicht ganz so freundlich aus wie das in ihrem Traum und der abwertende Blick, mit dem er sie anstarrte, sagte mehr als tausend Worte.

„Was hast du hier zu suchen?“

„Du bist noch da? Dieses Mal also keine Flucht? Das war ja nicht die feine englische Art, was du da abgezogen hast“ . Was genau meinte er? Noch bevor sie ihn fragen konnte, hörte sie ihren Onkel sagen: „Damian, komm doch rein.“

Damian?! Der Damian, mit dem sie die letzte Nacht verbracht hatte? Langsam dämmerte ihr, warum er ihr so bekannt vorkam. Ihr gegenüber stand der Mann, den sie eigentlich nie wiedersehen wollte. Damian ging an ihr vorbei und Lili konnte nur seine Rückenmuskulatur sehen, die sich unter seinem weißen T-Shirt abzeichnete.

Die Tür wurde hinter Damian zugezogen und völlig fertig mit den Nerven lehnte Lili ihren Kopf an die kalte Wand. Um die aufsteigende Übelkeit, die sie plötzlich ergriff, zu verdrängen, schloss sie die Augen und atmete tief ein und aus. Langsam beruhigte sie sich und so konnte sie wieder einen klaren Gedanken fassen. Wenn Lili nicht ganz so knapp bei Kasse wäre, müsste sie den Job hier nicht annehmen. Sie brauchte das Geld, sonst würde sie Megan ihren Teil der Miete für die Dreizimmerwohnung nicht bezahlen können. In letzter Zeit hatte Megan den größten Teil der Lebensmittel eingekauft. Lili war das Ganze sehr unrecht, aber nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau hatte sie keine Anstellung gefunden. Dank ihres Onkels hatte sie nun für drei Monate einen Verdienst und konnte sich in dieser Zeit in Ruhe nach einem anderen Job umsehen. Wenn nur nicht dieser Damian wäre! Ihn jetzt ausgerechnet hier zu sehen, schockierte sie. Damian sah verdammt gut aus - viel zu gut. Er entsprach genau der Vorstellung von Mann, auf die Lili abfuhr. Was sollte sie denn jetzt tun? Die Flucht ergreifen? Schon wieder?

Okay, Damian war sauer. Das war mehr als deutlich zu hören gewesen. Gut, irgendwie konnte sie es ja verstehen, aber was sollte sie denn jetzt noch sagen? Dass es ihr leidtat, dass sie einfach abgehauen war? Nein, das würde er ihr sicher nicht abkaufen, und außerdem entsprach es auch nicht der Wahrheit. Das Einzige, was ihr verdammt leidtat, war die Tatsache, dass sie an diesem Abend so viel getrunken und ihn nicht einfach so kennengelernt hatte.

Kapitel 3

 

„Alles okay? Du siehst blass aus. Mach dir keine Sorgen wegen des Jobs, es werden drei schöne Monate.“

Nachdem Damian keine zehn Minuten später wieder an Lili vorbeigelaufen war, ohne sie zu beachten, trat Max aus seinem Büro und legte Lili, die immer noch an der Wand lehnte, beruhigend seine Hand auf die Schulter. Zum Glück ahnte ihr Onkel nichts von dem, was zwischen Lili und Damian passiert war. Das sollte auch so bleiben und Lili konnte nur hoffen, dass es Damian genauso sah. Konzentrier dich auf deine neue Arbeitsstelle und vergiss Damian, befahl sie sich im Stillen.

„Ich hoffe nur, ich enttäusche dich nicht. Schließlich weiß ich ja, dass es unüblich ist, hier ein Praktikum zu bekommen.“ Lili machte eine Handbewegung durch den Raum.

„Mach dir deswegen keine Sorgen. Schließlich bin ich hier der Manager und außerdem haben deine Eltern mich oft genug unterstützt. Jetzt kann ich mich endlich einmal dafür bedanken.“ Max spielte auf die Zeit an, in der er sein Studium geschmissen und bei seinem großen Bruder, Lilis Dad, gewohnt hatte. Lili erinnerte sich gerne an damals zurück. Sie war vier Jahre alt gewesen und Max Anfang zwanzig. In dieser Zeit hatte er sich sehr viel um sie gekümmert.

„Nun komm, ich zeig dir dein kleines Büro. Es wird eigentlich kaum benutzt.“ Max führte Lili den Gang entlang zum ersten Raum links vom Aufzug. Neben der Tür befand sich ein kleines Schild, welches mit einem weißen Blatt überklebt worden war. Darauf stand:

Liliana Brown, Praktikantin

Max öffnete die Tür und ließ Lili als Erstes den winzigen Raum betreten. Das Zimmer war höchstens viermal vier Meter groß und außer einem Schreibtisch mit Computer befand sich nur ein Regal darin - für mehr war auch kein Platz.

„Wie gesagt, es ist nicht groß, aber dafür hast du dein eigenes, kleines Reich. In einer halben Stunde kommt meine Sekretärin und wird dir deine erste Aufgabe zeigen. Bis dahin mach dich doch einfach mit dem Computer und Telefon vertraut. Meine Durchwahl ist übrigens die Zwanzig.“ Max nickte Lili zu und verließ das Zimmer.

Sie ging die paar Schritte zu ihrem Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen, der unter ihr ein wütendes Geräusch von sich gab.

„Na, du hast wohl auch schon einige Jahre auf dem Buckel“, murmelte sie dem Möbelstück zu und mustere ihn skeptisch. Der grüne Stoffbezug wies einige Risse auf und ein wenig Schmieröl würde ihm auch nicht schaden. Das wirklich Schöne an dem hellen, weißgestrichenen Raum war das große Fenster. Es durchflutete das Zimmer mit Tageslicht. Lili drehte sich um und blickte nach draußen. In diesem Moment kam eine Horde Männer in Trainingsklamotten aus dem Gebäude und ging gutgelaunt den geteerten Weg entlang. Dabei fiel Lilis Blick sofort auf Damian, der neben einem anderen Spieler her schlenderte und sich angeregt mit ihm unterhielt. Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Beobachtungen.

„Ja, hallo?“, meldete sie sich.

„Hi Lili. Hier ist Lucas“, erklang schüchtern die Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Hi Lucas. Dein Kopf ist noch dran?“

„Sieht ganz so aus. Ich wollt dich nur fragen, ob wir heute zusammen die Mittagspause verbringen wollen. Ich meine … also … nur wenn du Lust hast.“

„Klar, gerne. Holst du mich ab?“

„Natürlich. Also bis später!“ Dass Lucas sich freute, war ihm deutlich anzuhören.

„Bis dann!“ Lili legte auf und im selben Moment streckte eine Frau Mitte Dreißig ihren Kopf zur Tür herein.

„Hi, ich bin Sarah, Max‘ Sekretärin.“

„Hi, ich bin Lili.“

Sarah trat in den Raum und reichte Lili die Hand. Eine moderne Brille zierte das schmale Gesicht und ihr kurzes, schwarzes Haar hatte sie feinsäuberlich zurechtgemacht. Sarah trug einen knielangen, engen, schwarzen Rock und eine hellgrüne Bluse, die perfekt zu ihren Augen und ihrer schlanken Figur passte.

„Was hältst du davon, wenn wir uns erst einmal einen Kaffee gönnen?“, fragte sie mit einem breiten Lächeln.

„Eine wunderbare Idee! Allerdings sollte ich nicht noch mehr Kaffeeflecken darauf verteilen.“ Lili deutete auf ihre Bluse.

„Erstes Gebot: immer Wechselkleidung dabeihaben. Komm, ich leih dir was von mir.“

Lili folgte Sarah eine Tür weiter in ihr Büro, das schon viel ansprechender aussah. Es war fast dreimal so groß und durch die Zimmerpflanzen wirkte es sehr freundlich. Sarah öffnete einen Schrank und Lili staunte nicht schlecht: Sarah hatte ein Fach nur mit Kleidung. „Hier.“ Sie reichte Lili eine dunkelblaue Bluse.

Lili schälte sich aus ihrem besudelten Hemd und schlüpfte in das von Sarah. Stirnrunzelnd betrachtete sie sich im Spiegel. Sie musste den obersten Knopf offenlassen, denn sonst hätte sie ihn mit ihren Brüsten gesprengt.

„Ist das Größe vierunddreißig?“

Sarah nickte. Kein Wunder, dass Lili sich wie eine eingequetschte Sardine fühlte, denn normalerweise trug sie Größe sechsunddreißig. Aber für heute musste es gehen.

 

Nachdem Sarah und Lili im Aufenthaltsraum Kaffee gekocht hatten, gingen sie mit ihren vollen Tassen in Lilis Büro. Sarah wies Lili in das Computerprogramm ein und übergab ihr die erste Aufgabe. Lili sollte einen Ordner mit Rechnungen kopieren und dann chronologisch sortieren. Als es dann kurz vor zwölf Uhr an der Tür klopfte, rauchte Lili von den ganzen Zahlen und Namen der Kopf.

„Na, bist du so weit?“ Lucas kam mit verschränkten Armen in ihr Büro und sah sich um.

„Du kommst gerade richtig. Mein Kopf brummt schon.“ Lili erhob sich und ließ den Ordner auf den Schreibtisch sinken. „Wohin gehen wir?“

„Wir haben hier eine kleine Kantine. Das Essen schmeckt wirklich gut.“ Er hielt ihr die Tür auf.

„Hört sich gut an. Ich frag nur Sarah schnell, ob sie uns begleiten möchte. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?“

„Nein, überhaupt nicht“, wehrte Lucas ab, und doch fand Lili, dass er etwas enttäuscht aussah. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein.

 

***

 

Damian nahm mit seinem vollen Teller neben Jacob Platz. „Und, schmeckt‘s?“, fragte er seinen neuen Freund, der sich gerade einen vollbeladenen Löffel Spaghetti in den Mund schob.
„Ja, schmeckt.“ Jac nickte.

Gerade als Damian den ersten Bissen probieren wollte, stieß Jac Cole an, einen anderen Spieler aus ihrer Mannschaft, und deutete zur Tür. „Sag mal, kennst du die Kleine da drüben? Seit wann ist die hier?“

Damian hob den Kopf und blickte zur Tür. Dort betrat Sarah, dicht gefolgt von Lucas und Lili, den Raum. Lucas, der Sicherheitsbeamte, beugte sich zu Lili und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dabei breitete sich ein Grinsen auf Lilis Gesicht aus. Damian drehte den Kopf und bemerkte, wie auch die anderen Spieler Lili musterten.

„Sieht hübsch aus“, stellte Jac fest und Damian beobachtete, wie er seinen Blick über ihren Körper gleiten ließ.

Obwohl Damian Jac noch nicht lange kannte, wusste er von der Presse, dass er ein elender Weiberheld war. Jac war sechsundzwanzig und die Liste von Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, reichte bestimmt, um eine Wand zu tapezieren. Schon des Öfteren war er zum heißtesten Fußballspieler Englands gekrönt worden. Damian beneidete ihn nicht um diesen Titel.

„Schau dir nur diese Kurven an! Genau mein Geschmack.“ Auf Jacs Gesicht spielte ein anzügliches Grinsen, als Lili ihnen den Rücken zudrehte, um sich am Büffet ihr Essen zu schöpfen.

Damian ließ seinen Blick über ihren runden Po gleiten, der in dem engen Rock viel zu gut zur Geltung kam. Wenn sie nicht wollen würde, dass die Spieler mit ihr flirteten, würde sie ihren Körper nicht in so enge Sachen stecken. Ein weiterer Punkt, der Damian bestätigte, dass sie ein Fan sein musste.

„Ich sollte mich der Kleinen wohl mal vorstellen.“ Jac schob seinen Teller von sich.

„Ist es bei euch üblich, dass wildfremde Menschen aufs Gelände kommen?“, hielt Damian Jac von seinem Vorhaben ab.

„Nein, eigentlich nicht. Vielleicht ist sie eine Bekannte von Lucas? Die zwei scheinen sich jedenfalls gut zu kennen“, meinte Jac.

„Vielleicht seine Freundin?“, mischte sich Cole ein und warf Damian einen fragenden Blick zu.

„Na und wenn schon, ich sag trotzdem Hallo.“ Jac erhob sich.

„Das würde ich lieber lassen. Ich glaube, sie ist ein Groupie“, gab Damian zu bedenken.

„Na, das hat dich letztens aber auch nicht gestört, als du dich mit ihr unterhalten hast“, meldete sich nun Cole zu Wort, der bis eben stumm zu Lili gesehen hatte.

„Was meinst du?“ Damians kniff die Augen angriffslustig zusammen.

„Samstagabend? Bar? Dämmert da was bei dir?“ Cole strich sich über sein pechschwarzes Haar.
Fuck, er und Lili waren gesehen worden, und das von einem seiner Mitspieler. Konnte sein Tag noch schlimmer werden? Damian wollte unter keinen Umständen, dass die Mannschaft von der Sache mit der kleinen Elfe Wind bekam. wollte nicht in eine Schublade gesteckt werden, was aber automatisch passieren würde, wenn er was mit einem Groupie anfing.

Jac blickte ihn abschätzend an. „Na ja, dann lass ich die Kleine erst einmal ankommen. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Willst du auch einen Nachtisch?“
Damian schüttelte den Kopf; ihm war der Appetit vergangen.

 

***

 

Als Lili knapp drei Stunden später aus dem Vereinsgebäude trat, war sie froh, ihren ersten Tag hinter sich gebracht zu haben. Obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, Damian aus ihrem Kopf zu verbannen, waren ihre Gedanken während des Aktenkopierens immer wieder zur Mittagspause zurückgehuscht. Natürlich war Lili nicht entgangen, wie sie von einigen Spielern neugierig gemustert worden war, doch Damian hatte ihr keinen einzigen Blick geschenkt. Das macht mir überhaupt nichts aus, hatte sie sich immer wieder gesagt.

Mit einem Seufzen verdrängte sie die Gedanken an ihn und kramte in ihrer Umhängetasche nach dem Code für das Haupttor. Lucas war so freundlich gewesen und hatte ihr alle Zugänge auf einen Zettel geschrieben. Ohne die richtige Zahlenkombination konnte sie das Gelände nicht verlassen. „Wo steckst du bloß?“, fluchte sie leise und wühlte sich an Tampons, Lipgloss und diversen anderen Dingen vorbei. Lili war so damit beschäftigt, ihren Zettel zu finden, dass sie gar nicht hörte, wie hinter ihr ein Auto zum Stehen kam.

„Kannst du deinen Hintern hier wegschieben oder belagerst du absichtlich die Ausfahrt?“, erklang eine unfreundliche Stimme hinter ihr.

„Sorry, ich such hier …“ Lili drehte sich um und starrte auf einen weißen Aston Martin. Insgeheim hatte sie sich immer so ein Auto gewünscht. Noch bevor sie ein Kompliment für den tollen Wagen aussprechen konnte, sah sie den Fahrer hinter dem Steuer und verzog das Gesicht.

Damian klopfte ungeduldig mit seinen Fingern auf das Lenkrad und verdrehte sichtbar genervt die Augen. „Geh doch einfach einen Schritt zur Seite, oder ist dein Rock dafür nicht geeignet?“

Das war alles andere als nett. Dass er sauer auf sie war, konnte sie ja verstehen - bestimmt hatte sie mit ihrer Flucht sein Ego angekratzt - aber dass er sie so herablassend behandelte, kapierte sie nicht.

Vor Wut ballten sich Lilis Hände zu Fäusten, und obwohl sie wusste, dass es ziemlich kindisch war, zeigte sie ihm den Mittelfinger und ging dann aus dem Weg.

Damian verzog keine Miene, fuhr ein paar Meter nach vorne und gab den Code für das Tor ein. Kaum war das Gitter aufgesprungen, gab er Gas und brauste mit lautem Motor an Lili vorbei.

„Arschloch“, schimpfte sie ihm hinterher und huschte hinaus, bevor das Tor wieder zufallen konnte. Lili blickte die Straße hinunter und konnte gerade noch erkennen, wie Damians Auto mit hoher Geschwindigkeit um die Kurve bog.

 

***

 

Bevor Damian um die Kurve bog, konnte er im Rückspiegel sehen, wie Lili auf der Straße stand und ihm hinterherblickte. Kopfschüttelnd stellte er sein Radio lauter und wartete, bis die Ampel auf Grün umsprang. Er wollte endlich seine Wohnung fertig einrichten, damit Jac und er heute Abend das Spiel von Real Madrid im Fernsehen verfolgen konnten. Damian konnte nur beten, dass Jac ihn mit seinem Geschwätz über Lili nicht weiter nerven würde. Während sie heute Nachmittag im Kraftraum gewesen waren, hatte dieser immer wieder über sie gesprochen, bis Damian ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte. Dabei wäre ihm beinahe rausgerutscht, dass Lili noch gestern in seinem Bett gelegen hatte und bestimmt nur ins Rampenlicht wollte. Wahrscheinlich würde sie mit der ganzen Mannschaft schlafen, nur um eine Spielerfreundin zu werden.

Doch bevor ihm diese Gedanken über die Lippen gekommen waren, hatte er sich zusammengerissen und geschwiegen. Die Ampel sprang auf Grün und Damian ließ den Motor aufheulen. Er liebte dieses Auto.

 

Kapitel 4

 

„Hi Süße, ich bin in der Küche!“, erklang Megans fröhliche Stimme, kaum dass Lili die Wohnungstür aufgeschlossen hatte.

Lili streifte ihre Schuhe ab und ließ ihre Tasche unachtsam auf den Boden gleiten. Das kalte Laminat tat ihren heißen Füßen gut; Sarahs Bluse klebte durch den warmen Frühlingstag schon an Lilis Rücken. „Ich zieh mich noch kurz um“, rief sie Megan zu und betrat ihr kleines Schlafzimmer. Obwohl Lilis Zimmer kleiner als das von Megan war, liebte sie es. Für Lili war es der schönste Raum der Wohnung. Es war die Aussicht, die sie an diesem Raum so liebte. Jedes Mal, wenn sie aus dem Fenster sah, hatte sie das Gefühl, nicht mitten in einer Großstadt zu sein. Von hier oben hatte sie einen Blick auf den kleinen Park, die Bäume mit ihrer bunten Pracht, und manchmal konnte sie sogar morgens, wenn noch kein großer Stadtverkehr herrschte, die Vögel singen hören. Mit schnellen Bewegungen knöpfte sie die Bluse auf und warf sie in den Wäschekorb. Der enge Rock folgte gleich darauf und kurze Zeit später stand sie in Jeans und T-Shirt bei Megan in der kleinen Küche.

„Und, wie war dein Tag?“, wollte diese wissen und fuhr sich durch ihr langes, schwarzes Haar. Seit Lili Megan kannte, bewunderte sie

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Dash - https://de.fotolia.com/id/42389417 - Handsome man holding soccer ball on white- Fotolia, Covergestaltung: Chris Gilcher - http://design.chrisgilcher.com
Lektorat: Sandra Nyklasz
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3724-2

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