Cover

Titel

 

 

 

 

 

Wie

funktioniert

Geld?

 

 

 

 

 

 

Rüdiger Rauls

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mitwirkende

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Covergestaltung


minou fou

grafikdesign | webdesign

www.minoufou.de

 

 

Um was geht es?

 

 

Was wird aus dem Euro? Bricht das Währungssystem zusammen? Kommt eine Inflation? Wie kann ich mein Vermögen schützen? Was wird aus meinem Geld, meiner Rente, meiner Zukunft? Was passiert, wenn das alles so weiter geht? Was ist mein Geld noch wert, wenn eine Währungsreform kommt? Wie geht es weiter mit der Wirtschaft? Kommt der allgemeine Zusammenbruch? Läuft alles gegen die Wand? Droht ein dritter Weltkrieg?

Wer ernsthaft glaubt, darauf heute eine Antwort geben zu können, macht sich selbst und anderen etwas vor und überschätzt sich selbst. Zuviel ist unklar in der zukünftigen Entwicklung und sehr vieles kann in der Zwischenzeit geschehen, womit heute noch niemand rechnen kann. Entwicklungen und Ereignisse könnten stattfinden, für deren Eintreten die Menschheit heute noch gar keine Anhaltspunkte hat. Aber immer mehr Menschen stellen sich diese oder ähnliche Fragen. Immer größere Gefahren scheinen zu drohen angesichts der explodierenden Schulden der Staaten. Und immer mehr Unverständnis herrscht über die Vorgänge in den betroffenen Systemen der Wirtschaft und in der Wirtschaft überhaupt. Zwar gibt es allerhand Theorien und Meinungen zu diesen Themen. Aber die meisten von ihnen halten dem Test an der Wirklichkeit nicht stand.

Wer ist schuld an der Krise? Die Schuldigen, die uns präsentiert werden, wechseln immer schneller. Anfangs war es die Gier der Banker. Mit den Schwierigkeiten in Griechenland und Südeuropa wurden Faulheit, Verschwendungssucht und Korruption in diesen Staaten als Schuldige von den hiesigen Medien angeboten. Immer wieder gerne wird auch auf die Politiker eingedroschen, egal welcher politischen Couleur. Dann sind es wieder einmal die Rettungsschirme, die Politik von FED und Notenbanken. Bei anderer Gelegenheit werden die Ratingagenturen als Schuldige an den Pranger gestellt. Für jedes Problem scheint es einen Schuldigen zu geben. Jedenfalls gelingt es immer wieder, der Öffentlichkeit Schuldige anzubieten und sie damit zu beruhigen. Im Moment mehren sich die Stimmen, die das Geldsystem mit seinem Zinseszins als Gefahrenquelle für einen nahenden Zusammenbruch entdeckt haben.

 

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Überall werden Machenschaften vermutet von Politikern, Notenbanken, Geheimdiensten, Heuschrecken, internationalem Judentum, Goldman-Sachs oder anderen Banken mit großem politischem Einfluss. Es gibt kaum eine Sau, die noch nicht als Schuldige durchs Dorf getrieben worden ist. Aber all diese Institutionen, die nun verantwortlich gemacht werden für das Knirschen im Getriebe, haben bereits vor der Finanzkrise bestanden und gearbeitet. Sie haben vor der Krise nichts anderes gemacht als nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers auch. Die Ratingagenturen hatten mit ihren Bewertungen schon Jahrzehnte lang die Grundlage für Investitionsentscheidungen geliefert. Auch damals schon waren sie bezahlt worden von denjenigen, von denen sie für ihre Bewertung beauftragt werden. Auf der Grundlage ihrer Bewertungen investierte man erfolgreich in Firmen und Staatsanleihen. Und Jahrzehnte lang hatte das niemand beanstandet.

Die Notenbanken hatten, unabhängig davon ob sie private oder staatliche Einrichtungen waren, annähernd dieselbe Politik betrieben in der Zuteilung von Geld an die Privatbanken. Gab es auch noch keine übernationalen Rettungsschirme zur Stützung kranker Staaten, so gab es dennoch dieselbe Politik zur Rettung schwächelnder Staaten durch Weltbank und IWF. Nationale Firmen, die in Schieflage geraten waren, wurden auf der nationalen Ebene vom Staat gerettet. Alles das geschah zur Verhinderung größerer Insolvenzen und der Abwendung folgender noch größerer Insolvenzen. Nur, nach der Lehman-Pleite waren andere Maßnahmen gefordert und andere Summen, weil Größeres auf dem Spiel stand. Die Architektur des weltweiten Finanzsystems drohte einzustürzen. Das erforderte ein anderes Vorgehen als die Rettung eines nationalen Baukonzerns.

Die Arbeit der Kritisierten weicht nach der Krise nur unwesentlich ab von ihrer Tätigkeit vor der Krise. Meistens haben sich nur die Summen geändert, selten aber ihre Politik. Sonst ist weitestgehend alles beim alten geblieben. Was sich aber verändert hat, ist die Betrachtungsweise derer, die heute Kritik üben. Waren die Menschen bis zum Beginn der Krise noch weitgehend mit den herrschenden Verhältnissen einverstanden gewesen oder hatten zumindest ein neutrales Verhältnis dazu, so hat die Krise bei vielen Misstrauen entstehen lassen. Am System selbst wird nicht gezweifelt. Der Kapitalismus ist in den Augen der meisten immer noch „gut“ oder zumindest „das kleinere Übel“. Folgerichtig sehen viele Kritiker die Schuld nicht im System selbst sondern bei einigen wenigen, die den Kapitalismus schlecht verwalten, weil ihnen die nötige Kompetenz fehlt. Die Verschwörungstheoretiker unterstellen den Handelnden boshafte Absichten wie Gier und Korruption bei Banken und Politikern. Einigen Eliten und exklusiven Kreisen unterstellt man sogar den Wunsch, den Rest der Menschheit versklaven zu wollen. Die Krise wird verstanden als Ausdruck menschlichen Fehlverhaltens, nicht als Ergebnis der inneren Widersprüche des Kapitalismus selbst. Man sucht nicht nach Erkenntnis über die Sachverhalte sondern nach Schuldigen für die Geschehnisse.

Da aber die aktuellen Probleme nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklung sondern individuellen Fehlverhaltens gesehen werden, schießen wilde Spekulationen und Phantasien über Verschwörungen ins Kraut. Diese Diskussionen belegen nichts weiter als mangelnde Kenntnis über das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das diese Ereignisse hervorgebracht hat. Stattdessen werden Gegenmodelle zum Geld entworfen. Längst vergangene und gesellschaftlich überholte Zins und Währungssysteme werden ausgegraben und als Lösung für die bestehenden Probleme angepriesen. Als könnte man mit den Maschinen von vorgestern die Lasten von heute bewegen. Viele gefallen sich in einem Skeptizismus, der überall Bedrohung und Untergang sieht. Es ist auch Lustvolles dabei. Wer eine so große Bedrohung ist, dass er überwacht werden muss, hält sich auch für ungeheuer wichtig.

 

Was aber wenig verbreitet ist in all diesen Diskussionen, sind sachgerechte Kenntnisse von der Wirklichkeit. Oftmals fehlt auch das Interesse an der Erkenntnis über die Vorgänge. Zwar wissen die meisten nicht, ein schlüssiges Bild über die Funktionsweise des Geldsystems zu zeichnen, aber man wendet viel Energie für die Konstruktion von alternativen Modellen auf. Man kennt die Grundlagen nicht, glaubt aber neue Systeme entwerfen zu können, die weiterhin auf den Grundlagen beruhen, die das hervorgebracht haben, was man überwinden will, obwohl man es nicht versteht. Man glaubt, dass es genügt, sich Neues auszudenken. Das Internet ist voll von Blogs, die genau zu wissen vorgeben, was falsch läuft in der Wirtschaft oder im Geldsystem oder beim (Schuld-) Zinssystem. Aber man kann nicht erklären, wie es funktioniert. Die meisten Ansätze einer Erklärung geraten sehr schnell in Widerspruch zur Realität. Man glaubt, es genügt, wenn neue Leute kommen mit dem festen und ehrlichen Vorsatz, alles anders und besser machen wollen.

Als hätten die alten Macher es gerne gesehen, dass das Finanzsystem vor dem Kollaps steht. Als hätten die Politiker sich einen Spaß daraus gemacht, den Leuten die Angst um ihr Vermögen und ihre Existenz in die Knochen zu jagen. Keine Regierung schürt ohne Not gesellschaftliche Konflikte. Im Gegenteil, man ist bemüht, die Konflikte innerhalb der Gesellschaft niederzuhalten. Die wenigsten Kritiker scheinen sich ausdenken zu können, welch sozialer Sprengstoff entstanden wären, wenn die Banken 2008 zusammengebrochen wären. Keine Regierung bringt gerne die eigene Bevölkerung mit sozialen Grausamkeiten gegen sich auf. Es sei denn, es gibt nach ihrer Sicht der Dinge keine andere Lösung.

Was die Regierungen weltweit getan haben zur Rettung des Finanzsystems, taten sie nicht, um die eigene Bevölkerung zu enteignen oder zu versklaven. Viele Kommentatoren der Ereignisse scheinen sich in dieser Sichtweise zu gefallen. Die Regierungen und Institutionen des Finanzwesens handelten so, weil sie nach ihrem Kenntnisstand in diesen Maßnahmen die Lösung des Problems sahen. Sie handelten so, weil sie diese Maßnahmen entsprechend ihren Kenntnissen vom Funktionieren des Wirtschafts- und Geldsystems für richtig hielten. Und nach den Regeln und der Funktionsweise des herrschenden kapitalistischen System haben sie sogar das einzig Richtige getan. Denn ein Zusammenbruch des Finanzsystems wurde abgewendet. Aber die Schwäche ist geblieben und konnte bisher nicht überwunden werden.

 

Woher aber rühren diese Differenzen in der Einschätzung und Beurteilung des Geldsystems, die durch die Finanzkrise und die nachfolgenden Schwächeanfälle besonders des Euro aufgebrochen sind? Die Diskussionen über das Thema offenbaren eine umfassende Unkenntnis und das nicht nur unter den Laien. Auch die sogenannten Fachleute zeigen, dass ihr Wissen darüber eigentlich nur das Offensichtliche und Vordergründige betrifft. Der Börsenexperte Dirk Müller versetzt schon mit einfachen Sätzen und Behauptungen das Publikum in mundoffenes Staunen, wenn er den Zinseszins als eine Plage der Geldwirtschaft verantwortlich macht für die Verschuldungsprobleme. Dabei ist der Zinseszins so alt wie die Geldwirtschaft selbst. Bei der Diskussion, die in die tiefere Analyse des Finanzsystems hinabführt, müssen aber auch ausgewiesene Experten bald einen Offenbarungseid leisten oder sich auf schnell dahin geworfene Erklärungen stützen. Die Halbwertzeit ihres Wahrheitsgehalts sinkt immer schneller. Allzu schnell reißt die Wirklichkeit diesen Theorien den Schleier der Unfehlbarkeit vom Gesicht. Nur, woher rührt diese Unkenntnis des Geldsystems und dahinter des kapitalistischen Wirtschaftssystem insgesamt?

 

Das Geldsystem ist ja nicht erst erfunden worden, seit es durch die Finanzkrise in Verruf geraten ist und die Diskussionen in neuster Zeit darum entbrannt sind. Es besteht als kapitalistisches Geldsystem schon bereits seit Jahrhunderten. Mit dem Geldsystem war es wie mit allem, was bescheiden jeden Tag seinen Dienst verrichtet: Man hat es nicht wahrgenommen. Man hatte sich seiner tagtäglich bedient, unbewusst und selbstverständlich, ohne zu wissen, wie es funktioniert. Und bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008/9 war alles weitgehend reibungslos gelaufen. Zumindest hatte sich kaum jemand darüber Gedanken gemacht oder die Berechtigung und Zuverlässigkeit des Geldsystems in Zweifel gezogen, wie es heute oftmals geschieht. Über die Jahre hatte sich ein ähnliches Verhältnis zu Geld entwickelt wie zum Automobil. Alle benutzen es, aber nur wenige verstehen, wie es funktioniert. Und je leistungsfähiger beide Systeme wurden durch Einbau und Verwendung immer sensiblerer und spezialisierterer Module und Neuerungen, umso weniger verstand der Nutzer sowohl des Automobils als auch des Geldsystems ihre Funktionsweisen.

Konnte der Autobesitzer mit einigem technischen Geschick noch den einfachen Vergaser der frühen Modelle selbst warten und reparieren, so war ihm das bei der modernen Einspritztechnik immer weniger möglich. Dasselbe galt für das Geldsystem. Über die einfachen Finanzinstrumente wie Sparbuch, Fonds, festverzinsliche Wertpapiere, Hypothek und Kredit war den meisten Bürgern das Geldsystem noch verständlich. Sie konnten ihre Finanzentscheidungen noch weitgehend selbst treffen. Mit den modernen Finanzinstrumenten wie Zertifikaten, Optionen, Hebelprodukten, CDS und strukturierten Anleihen war das nicht mehr so einfach. Aber sie brachten mehr Leistung, und das gefiel in den meisten Fällen dem Nutzer. Moderne Anlagesysteme brachten höhere Renditen und die Einspritztechnik beim Automobil mehr Leistung und Fahrspaß. Alle waren damit zufrieden.

Je weniger aber man am System Auto oder Geldanlage selbst Hand anlegen konnte, umso weniger verstand man auch die Vorgänge in diesen Systemen. Geldsystem und Auto wurden immer unverständlicher, weil undurchsichtiger. Aber es gab in beiden Bereichen Experten, die für jedes Problem schnelle Lösungen zur Hand hatten. Sie schufen bei den Bürgern das Vertrauen, dass das eigene Verständnis für Auto und Geldsystem nicht mehr notwendig ist. Es gab ja die Experten, die alle Probleme im Griff hatten.

Aber diese Sicherheit war trügerisch. Die Verkäufer von Anlageprodukten kannten oder verstanden selbst nicht mehr den inneren Aufbau von Produkten wie beispielsweise den strukturierten Anleihen. Sie verstanden nur, sie zu verkaufen. Auch der KFZ-Verkäufer konnte die Funktionsweise der Einspritztechnik ebenso wenig erklären wie der Verkäufer von Zertifikaten und Hebelprodukten. Auch ihnen blieb der tiefere Einblick in Aufbau und Funktionsweise dieser hochkomplexen technischen Einrichtungen im Detail verschlossen. Selbst höher spezialisierte Fachleute in beiden Bereichen verstanden immer weniger von deren Funktionsweise. Der Automechaniker verstand es, defekte Einspritzsysteme gegen neue auszutauschen. Seine Kenntnisse reichen aber in der Regel nicht aus, um sie selbst zu reparieren. Und auch der Bankfachmann konnte vielleicht die Vorzüge des einen Produkts gegenüber dem anderen darstellen, die Feinheiten der komplizierten Wertpapiere kannte er in der Regel nicht.

All diese technischen Neuerungen und Verfeinerungen verstellten aber den Blick auf die Grundlagen. Man glaubte auch, sie nicht mehr zu brauchen, weil die Systeme auch funktionierten, ohne dass man im einzelnen wusste, wie sie funktionieren. Beim Auto ist das auch kein Problem, weil ein einzelnes Auto keine Kettenreaktion auslöst, wenn es nicht mehr funktioniert. Das ist bei den Instrumenten der Finanzwirtschaft anders. Hier herrscht eine Struktur der gegenseitigen Abhängigkeit, die zur Bedrohung für das gesamte System wird, wenn eine der tragenden Säulen des Systems wegbricht. Und das geschah im Zuge der Finanzkrise der Jahre 2008/9.

So hatte man im Laufe der Zeit die Kenntnisse über das Geldsystem verloren, so wie z.B. auch die Kenntnisse unserer Vorfahren weitgehend verloren gegangen sind, was das Konservieren von Lebensmitteln und die Heilkräfte der Natur betraf. Diese aber waren nicht ganz verschwunden sondern gingen ein in moderne Konservierungsverfahren und die Produkte der homöopathischen und pharmazeutischen Herstellung von Medikamenten. Ebenso wusste man nicht mehr, wie das Geldsystem funktioniert, wenn es denn überhaupt von der großen Masse der Bevölkerung jemals verstanden worden war. Man wusste nur noch, dass es funktionierte bis zum Zusammenbruch mehrerer Geldhäuser, von denen Lehman-Brothers der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Alle vorherigen geldpolitischen Maßnahmen von FED und US-Regierung, aber auch der anderen Notenbanken und ihrer Regierungen hatten immer wieder dazu geführt, dass das Geldsystem weiterlief und schadlos geblieben war. Andererseits hatten selbst die führenden Köpfe der Finanzwelt wie Alan Greenspan auch geglaubt und im Brustton der Überzeugung verkündet, mit der Geldpolitik das Mittel gefunden zu haben, mit dem Krisen im Kapitalismus als Vergangenheit angesehen werden können.

Das war keine arglistige Täuschung der Öffentlichkeit. Man war selbst von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugt. Das war das Wissen eines der führenden Männer in der Geldwirtschaft der Welt. Dieser Wissensstand war die Grundlage für Greenspans geldpolitischen Entscheidungen. Auf dieser Basis verbreitete er sein Glaubensbekenntnis über die Unfehlbarkeit der Märkte und die Heilkraft der Geldpolitik. Sein Wissen entsprach dem Kenntnisstand, der in der Elite der weltweiten Geldwirtschaft über das Geldsystem vorherrschte. Und da es sich in vorherigen Krisen bewährt hatte, waren an seiner Funktionsweise immer weniger Zweifel laut geworden. Es schien, zu funktionieren und die Kritiker eines Besseren zu belehren.

Und weil es kein geringer war als der Papst in Fragen der Geldpolitik selbst, der solches behauptete, und weil es sich über Jahre als scheinbar richtig erwiesen hatte, wagte niemand, Greenspan zu widersprechen. Wer es dennoch tat, wurde getroffen vom Spott und Protest derer, die sich mit Greenspans Wissen brüsteten, ohne verstanden zu haben. Diese Liebesdiener der herrschenden Meinung und Speichellecker der Macht tauchen überall dort auf, wo man sich auf Kosten kritischer Geister und unabhängiger Denker ein Fleißkärtchen bei den Mächtigen verdienen kann. Vermutlich aber waren tiefere Kenntnisse über das Geldsystem auch sonst nirgendwo sehr verbreitet. Denn solange es funktionierte, stellte man keine Überlegungen an, wie es eigentlich funktionierte, warum es funktionierte, und schon gar nicht ließ man die Frage laut werden, wie lange das alles gut gehen könne. Es genügte, dass die herrschenden Theorien zu stimmen und die Erfolge in der Praxis diesen Theorien Recht zu geben schienen.

 

Der Mangel an Kritik und kontroverser Diskussion ist einer der entscheidenden Gründe für die Unkenntnis über das kapitalistische Geldsystem und das Wirtschaftssystem generell. Nicht dass eine tiefere Kenntnis die Krisen hätten verhindern können. Die Krisen sind Ergebnis der realen wirtschaftlichen Bewegungen im Kapitalismus, nicht das Ergebnis falscher Theorien über ihn. So wie tiefere Erkenntnisse über das Entstehen von Tsunamis diese nicht verhindern können, so können auch die Urgewalten der kapitalistischen Produktionsweise nicht gebändigt werden, wenn man diese Triebkräfte besser verstehen würde.

Es gab auch vor dem LehmanDebakel Stimmen, die vor den Folgen von Verschuldung und Ausweitung der Geldmenge warnten. Aber wer hätte ihren Vorschlägen folgen und einen Abschwung der Wirtschaft riskieren wollen? Denn die von Greenspan ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen dienten nur einem Ziel, der Stabilisierung der Konjunktur. Bei einem Schließen der Geldhähne aber hätte man gerade mit dem Szenario rechnen müssen, das man durch ihr Öffnen hatte vermeiden wollen: den Wirtschaftsabschwung. Dieses Risiko wollte niemand tragen. Und die Warner und diejenigen, die es vorher schon gewusst zu haben nachher vorgaben, waren in der komfortablen Lage warnen zu können, ohne Entscheidungen treffen und verantworten zu müssen.

Von daher war eine kritische Diskussion in den Reihen der herrschenden Wirtschaftswissenschaft nicht zu erwarten. Diese Disziplin verkommt immer mehr zur Traumfabrik. Ihr fehlt neben dem Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise und ihren Begleiterscheinungen die Reibung mit einer Gegenposition, die sie mit einer anderen Sicht der Vorgänge konfrontiert. Diese Gegenposition hatte in früheren Zeiten die marxistische Wirtschaftsinterpretation dargestellt mit ihrer materialistischen Sichtweise. Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus und der Verdrängung der marxistischen Weltdeutung aus der öffentlichen Diskussion fehlt der herrschenden Wirtschaftswissenschaft der entscheidende Hinweis und Ideengeber.

 

Nur die auf dem Marx'schen Werk ruhende Betrachtungsweise des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems war in der Lage, den herrschenden Gesellschaftswissenschaften die Hinweise zu geben auf die eigene Fehlsicht. Das Kapital von Marx war bisher das einzige Werk, das die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise so ermittelt hatte, dass daraus ein Verständnis jedes weiteren Entwicklungsschrittes dieser Produktionsweise abgeleitet und verständlich gemacht werden konnte. Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft ist dazu nicht in der Lage. Ein in sich geschlossenes und belastbares Bild über die Funktionsweise des Kapitalismus ist ihr bisher nicht gelungen zu entwickeln. Ihre Wirtschafts- und Gesellschaftsinterpretation versuchte sich in erster Linie als Gegenentwurf zum marxistischen Weltbild. Die herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft war mehr davon getrieben, Marx zu widerlegen, als von dem Versuch, die Wirklichkeit und die Wahrheit zu erkennen. Auf sich alleine gestellt, verliert sie sich in der Betrachtung und Deutung einzelner Erscheinungen, die der Kapitalismus hervorbringt. Es gelingt ihr aber nicht, aus den verwirrend bunten Mosaiksteinen der einzelnen Theorien, Behauptungen, Statistiken und Erklärungsansätze ein Bild der kapitalistischen Produktionsweise zu erstellen, das diese verständlich und nachvollziehbar macht und als Bild erkennbar wäre.

Der Sieg über den Marxismus war nicht nur ein Triumph für das kapitalistische Gesellschaftssystem, das darin seine Überlegenheit bestätigt sah. Die Niederlage des Sozialismus galt auch als ein Beweis für die Fehlerhaftigkeit des marxistischen Weltbildes. Aber mit diesem Sieg über den Marxismus begann auch der Niedergang der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft, der nun die Impulse durch die marxistische Kritik fehlten. Der frühe Sozialismus, der erstmals in der UdSSR und der sozialistischen Staatengemeinschaft sich in staatlicher Organisation niedergeschlagen hatte, ist unter anderem untergegangen an der Unfähigkeit des Systems zur offenen, tabulosen Diskussion. Aus ihr hätte dieser frühe Sozialismus modernisiert werden können. Dem Kapitalismus scheint Ähnliches zu drohen, zumindest was das Verständnis seiner Grundlagen durch seine Verfechter angeht.

 

Die Angst ums Geld hat wie jede Angst viele irrationale Züge. Es kann natürlich nicht eindeutig bestimmt werden, ob die Gefahren größer sind, die aus der Wirklichkeit kommen, oder nicht vielleicht doch diejenigen, die die Menschen sich in ihren Phantasien selbst zusammenschustern. Die eigenen Vorstellungen von der Wirklichkeit hindern viele daran, die Wirklichkeit so zu erkennen, wie sie ist, denn diese Vorstellungen stehen zwischen ihnen und der Wirklichkeit selbst. Der Mensch mit seinen Sinnen als den Instrumenten der Wahrnehmung kann die Realität nicht in ihrer Ganzheit erkennen. Er erkennt sie nur teilweise, nämlich die Teile der Realität, die mit den Sinnen erfasst werden können. Er kann beispielsweise nur ein bestimmtes Spektrum von Farben erkennen und zwar die, die innerhalb des Bereiches von Infrarot und Ultraviolett liegen. Auch kann er nur bestimmte Tonfrequenzen wahrnehmen, worin ihm die meisten Tiere überlegen sind. Realität außerhalb dieser Bereiche der Töne und Farben sind für ihn nicht wahrnehmbar, was aber nicht bedeutet, dass es außerhalb dieser Bereiche keine Realität gibt.

Diese Defizite in der Wahrnehmung wurden im Laufe der Entwicklung des Menschen ausgeglichen durch andere Fähigkeiten wie die Vorstellungskraft. Sie ermöglicht es ihm, auf Grund von Erfahrungen, die er in vergleichbaren Situationen gemacht hat, sein Bild von der Wirklichkeit zu vervollständigen, indem er Bestandteile, die er nicht wahrnehmen kann, seinem Bild von der Wirklichkeit hinzufügt. Steht der Mensch beispielsweise vor einem Haus, nehmen seine Sinne nur das Offensichtliche wahr, das heißt die Außenansicht des Hauses, die äußere Erscheinung in seinem Blickfeld. Seine Erfahrung aber sagt ihm, dass das nicht das ganze Haus ist. Er weiß, dass dieses Haus wie alle anderen auch eine Rückseite hat, obwohl der diese nicht wahrnehmen kann, wenn er davor steht. Er weiß auch aufgrund seiner Erfahrung, dass dieses Haus in seinem Inneren Wände, Türen, Treppen, Fußböden und so vieles andere hat, was er von außen beim Betrachten des Hauses gar nicht erkennen kann. Er macht sich also ein Bild von den Teilen des Hauses, die er in der konkreten Situation nicht sehen kann. Er schafft sich eine Vorstellung von den nicht sichtbaren Teilen das Hauses. Diese Vorstellung stellt er zwischen sich und die Wirklichkeit, weil der Rest der Wirklichkeit noch nicht erkennbar ist.

Aber dieses Vorganges der Ergänzung der Wirklichkeit durch seine Vorstellungskraft ist er sich nicht bewusst, weil dieser Vorgang im Laufe der Jahrtausende menschlicher Entwicklung ein selbstverständlicher geworden ist. Er geschieht scheinbar unwillkürlich. Der Mensch macht sich ein ganzheitliches Bild von dem Haus, wobei er die nicht sichtbaren Teile an die sichtbaren anpasst und mit in dieses Bild aufnimmt. Er geht aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen davon aus, dass dieses konkrete Haus sich genauso verhalten wird wie alle anderen auch, die er bisher auch von ihren anderen Seiten her kennengelernt hat.

Durch diese vorwegnehmende Vervollständigung auf Grund von Erfahrung war auch die Vorstellung entstanden, dass die Gestirne sich um die Erde drehen. Der Mensch kannte es nicht anders, als dass alles andere auf der Erde, das sich um ihn herum bewegt, selbst in Bewegung sein muss, sobald er selbst unbeweglich steht. Und da er die Erde als unbewegliche Scheibe ansah, so konnten also die Gestirne selbst es nur sein, die sich in Bewegung befanden um die Erde herum. Selbst die Vorstellung von der Erde als einer Scheibe ist auf das Wirken dieser Vorstellungskraft zurückzuführen.

Diese Vorstellungskraft führt immer wieder auch zu Fehlern bezüglich der Einschätzung der Wirklichkeit, weil sie ja die ganze Wirklichkeit nicht erkennt sondern nur annimmt. Im Falle des realen Hauses ist das nicht von Bedeutung, da das Haus unabhängig von der Vorstellung des Menschen existiert und trotzdem nicht zusammenbricht, auch wenn der Mensch es sich anders vorstellt, als es der Wirklichkeit entspricht. Den wirklichen Zustand wird er erkennen, wenn er sich die Rückseite und das Innenleben des Hauses anschaut. In diesem Falle vergleicht der Mensch die Wirklichkeit mit seiner Vorstellung von der Wirklichkeit, er überprüft seine Vermutung über der Wirklichkeit an der Wirklichkeit selbst. Die Vorstellungskraft ist keine Laune der Natur sondern sie ermöglicht dem Menschen, vorausschauend zu handeln. Er überträgt Erfahrungen aus bekannten Situationen auf neue, indem er aus Vergleichbarem Rückschlüsse zieht, die ihm Entscheidungen und damit Handeln erleichtern.

Der Begriff „Vorstellung“, wie wir ihn heute verwenden, hat einen doppelten Sinn, seinen ursprünglichen und seinen daraus abgeleiteten, übertragenen. Der Maler, der ein Bild der Wirklichkeit wiedergeben will, stellt die Staffelei zwischen sich und das, was er von und über die Wirklichkeit in Form seines Gemäldes aussagen will. Seine Leinwand ist die Projektionsfläche, auf die er sein Bild von der Wirklichkeit überträgt. Er stellt also seine Projektionsfläche für seine Vorstellung von der Wirklichkeit zwischen sich und die Wirklichkeit selbst. Das ist die ursprüngliche und alltägliche Funktion der „Vorstellung“, indem man wie der Maler sein eigenes Bild von der Wirklichkeit, sein selbstgeschaffenes Abbild der Wirklichkeit, vor die Wirklichkeit selbst stellt. Das ist unwillkürlich, weil sinnvoller und normaler Erkenntnisprozess. Der Mensch macht sich ein Bild von der Wirklichkeit. Das allein bringt noch keine Probleme mit sich.

Der Maler, will er ein realistisches Bild der Wirklichkeit zeichnen, vergleicht immer wieder in kurzen Abständen sein Bild von der Wirklichkeit mit dem, was die Wirklichkeit selbst als Bild anbietet. Sein Blick wandert vergleichend hin und her zwischen der Wirklichkeit und seiner auf der Leinwand festgehaltenen Vorstellung von der Wirklichkeit. Dabei, und das ist das Entscheidende für den Erkenntnisprozess, greift er korrigierend ein, wenn beides nicht übereinstimmt. Er stellt Unterschiede fest zwischen seinem Bild von der Wirklichkeit und dem Bild, das die Wirklichkeit selbst ihm anbietet. Wenn er nun, die Verschiedenheit erkennend, eingreift, verändert er nicht die Wirklichkeit selbst sondern sein Bild, das er sich selbst von der Wirklichkeit geschaffen hat. In diesem Vorgang verändert er sein Bild von der Wirklichkeit, der verändert seine Vorstellung, die er sich geschaffen und zwischen sich und die wirkliche Wirklichkeit gestellt hat. Das ist die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes „Vorstellung“, wie er aus dem alltäglichen Verhalten in unseren Sprachgebrauch eingegangen ist.

Aus diesem direkt an der Realität orientierten Verhalten nun entwickelte sich die übertragene abstrakte Bedeutung des Begriffes „Vorstellung“. Wir schaffen uns unser Bild von der Wirklichkeit in der Regel nicht mit Pinsel und Farbe auf einer Leinwand sondern in unserem Kopf. Das heißt, wir stellen in unserem Kopf ein Bild von der Wirklichkeit her und stellen es zwischen uns und die Wirklichkeit selbst. Damit schaffen wir uns eine Vorstellung von ihr. Nur, im Unterschied zu unserem Maler fällt es uns nicht sofort auf, wenn beide nicht übereinstimmen. Sticht der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Vorstellung dem Maler sofort ins Auge, weil er offen sichtbar ist, so fehlt uns bei der Vorstellung in unserem Kopf oftmals diese Offensichtlichkeit. Der Unterschied zwischen Vorstellung und Wirklichkeit wird in unserem Kopf nicht so offensichtlich, wie er im Falle des Malers zu Tage tritt.

Zudem handelt es sich bei unseren Beispielen von Haus und Maler um sehr einfache Situationen. Das Erkennen eines Hauses ist von der Aufgabestellung her schon wesentlich leichter als das Durchschauen gesellschaftlicher Situationen, wie das hier zu behandelnde Thema „Geld“, mit dem sich die Menschheit seit der Lehman-Pleite beschäftigt. Außerdem können wir uns in unserem Kopf länger über die Unterschiede zwischen der Wirklichkeit und unseren Vorstellungen über die Wirklichkeit hinwegtäuschen, als wenn es uns so deutlich vor Augen geführt wird wie im Beispiel des Malers.

Wer sich also im Kopf etwas vorstellt, d.h. etwas vor sich stellt, vor sich hinstellt, versperrt sich zuerst einmal die Sicht auf die Wirklichkeit. Das gilt besonders dann, wenn es nicht nur um reinen Erkenntnisgewinn geht sondern wenn dabei auch Interessen berührt sind. Erkenntnis erfolgt nur, wenn man durch Überprüfung auflöst und beiseite räumt, was man als Vorstellung vor sich aufgebaut und sich damit die Sicht auf die Wirklichkeit versperrt hat. Das Mittel, mit dem die Wirklichkeit erkannt und die Angst beseitigt werden kann, ist die vorurteilsfreie Beobachtung, die Analyse, das Walten der Vernunft. Das Verstehen der Lage beseitigt die Angst vor den Gefahren der Lage.

Die Vorstellung, dass die Erde eine Scheibe sei, hatte bei den Menschen die Angst davor geschürt, zu weit aufs offene Meer hinauszufahren. Sie hatten die Vorstellung, sie würden über den Rand dieser Scheibe in die ewige Verdammnis stürzen. Die Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel ist, hat zuerst nicht zum Aufatmen der Menschen geführt über die Befreiung von einer falschen Vorstellung. Lieber verbrannte man die Verkünder dieser Wahrheit, als sich von den alten und lieb gewonnenen Vorstellungen zu trennen. Die alten Vorstellungen gaben Sicherheit, die neue Erkenntnis brachte nur die Befreiung von der Angst. Meistens ziehen die Menschen die Sicherheit der Befreiung von der Angst vor. Und doch setzt sich die Wahrheit durch.

Auf unser Thema übertragen bedeutet das. Greenspan und seine Schule hatten nur vorübergehend Recht mit ihrer Vorstellung und Theorie von der Unfehlbarkeit der Märkte und dem Universalheilmittel Geldpolitik. Währungen können untergehen, nicht aber die Werte, für die sie stehen. Währungsreformen führen nicht zur Verarmung, die Armut bestand schon vorher. Angst hilft nicht gegen die Veränderung in der Welt sondern nur das Verstehen der Vorgänge. Und die Erde war schon immer eine Kugel, egal ob die Menschen das erkannten oder nicht. Der Wirklichkeit ist es auch egal, ob die Menschen sie erkennen oder nicht. Nur, seit die Menschen wissen, dass die Erde eine Kugel ist, können sie sie befreit umkreisen. Die Erde ist offen geworden, ohne Grenzen, endlos. Das beflügelte und befreite den Geist, aber auch die Wirtschaft. Das Leben wurde reicher, allein schon durch die Schätze, die die neuen Welten boten. Erkenntnis macht frei, und das ist hier das tiefere Thema. Es geht um die Erkenntnis über das Funktionieren des Geldes, damit verstanden werden kann, warum geschieht, was geschieht.

Geld hat keinen Wert

 

Es stellt sich nun die Frage, wieso Geld diese Erfolgsgeschichte geschrieben hat, die es schrieb? Wieso will jeder es haben, dieses eigentlich wertlose Papier? Wieso besteht es immer noch, obwohl die Zahl seiner Kritiker wächst, obwohl es zu allen Zeiten verflucht, für überflüssig und schädlich gehalten wurde? Wieso konnte es nicht verbannt werden aus der menschlichen Wirtschaftsgeschichte, wo doch so viele kluge Leute seine Schädlichkeit mit guten Argumenten glaubten nachgewiesen zu haben? Dem Verschwörungstheoretiker ist es klar: Dahinter steckt ein ausgeklügelter, langfristig angelegter Plan einer herrschsüchtigen Elite, deren einziges Trachten es ist, die Menschheit zu versklaven und auszupressen. Und er findet auch ständig Beweise und Belege dafür. Denn er ist der eigentlich Kluge, der um diese geheime Verschwörung weiß. Alle anderen sind entweder verwickelt in diese Verschwörung oder zu dumm, sie zu erkennen.

Nur eines kann er nicht präsentieren, eine schlüssige Erklärung für die Funktionsweise des Geldsystems. Wenn die Verschwörungstheoretiker das System auch nicht verstehen, so suchen doch viele von ihnen nach Wegen, ein System zu ersetzen, das sie nicht verstanden haben. Nur, wer nicht weiß, was er zu ersetzen sich anstrengt, findet auch keinen Weg, wie es ersetzt werden kann. Wer die Bedeutung des Geldsystems nicht versteht, kann hinter seinem Fortbestand auch nur Verschwörung finden. Denn es wird nicht verstanden, dass dieses System eine unabdingbare Voraussetzung ist für das Bestehen der gesamten Gesellschaftsordnung. Wer also das Geldsystem zerschlagen will, redet unwissentlich der Zerstörung der herrschenden Ordnung das Wort.

Das Geldsystem ist eine der tragenden Säulen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Und solange diese Ordnung besteht, wird auch das Geldsystem weiterhin Bestand haben trotz aller weltfremden Ersatzmodelle. Denn das Geldsystem ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Und darin, nicht in den vermuteten Verschwörungen einer Elite, besteht seine Robustheit und Stärke. Es ist nicht geboren aus den Machtgelüsten eines geheimen Kreises sondern aus dem Interesse der einzelnen Menschen und der Menschheit insgesamt an wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Fortschritt. Das Geldsystem wurde geboren aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten. Und es hat sich im Laufe der Jahrhunderte als eine gelungene Antwort auf diese Herausforderungen erwiesen. Es hat sich an jeder dieser Herausforderungen weiter entwickelt zu dem weltumspannenden Netz, das heute jeden Ort der Welt teilhaben lässt an der wirtschaftlichen Entwicklung. Es hält heute wie zu allen Zeiten die Weltwirtschaft am Laufen. Das Geldsystem ist der Blutkreislauf des Kapitalismus.

Als nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers der Interbankenhandel nahezu zum Erliegen gekommen war, konnte der Kollaps des Finanzsystems nur abgewendet werden, indem Notenbanken und Regierungen die ununterbrochene Versorgung mit Geld zusicherten. Man kann ihnen natürlich wiederum das als einen lange ausgeheckten Plan zur Weltunterdrückung und Völkerversklavung auslegen, aber letztlich scheinen sie die Bedeutung des Geldes doch besser erkannt zu haben als die diejenigen, die es heute zu einem universellen Unterdrückungsinstrument abstempeln. Denn alleine die Flutung der Finanzmärkte mit Geld und die Zusage einer dauerhaften Geldzufuhr haben den Handel zwischen den Banken wieder in Gang gebracht und den Wirtschaftskreislauf vor dem Zusammenbruch bewahrt. Dass diese Öffnung der Geldschleusen das Problem nicht löste und lösen wird, ist allen Beteiligten bewusst. Nur, das Bewusstsein alleine genügt nicht. Das Geldsystem ist noch lange nicht über den Berg. Und es ist fraglich, ob es zu alter Stabilität zurückkehren wird.

War die Flutung der Märkte damals der richtige Weg, um das Austrocknen der Finanzmärkte zu verhindern, so droht nun die Gefahr, dass die Märkte in der Überschwemmung ertrinken. Aber die Akteure tun das nicht, weil sie dümmer sind als ihre Kritiker oder korrupter. Sie tun es, weil das System selbst keine anderen Möglichkeiten mehr zulässt. Denn letztlich geht es bei allen geldpolitischen Maßnahmen nicht darum, das Geld zu retten sondern die Maschine am Laufen zu halten, die es hervorbringt. Das sind nur vordergründig die Gelddruckmaschinen der Notenbanken. In Wirklichkeit wird das Geld erschaffen in der Realwirtschaft. Hier wird der Wert des Geldes erwirtschaftet. Sie ist die Maschine, die das Geld schafft und ihm das Leben einhaucht. Es wird hergestellt in den Druckereien, geschöpft in den Banken, aber seinen Wert erhält es erst in der realen Wirtschaft. Das sind verschiedene Dinge.

 

Um das Geld zu verstehen, müssen wir der Frage nachgehen, welche wirtschaftliche Funktion es erfüllt. Was ist seine Aufgabe im Rahmen des wirtschaftlichen Prozesses? Was ist das Wesen des Geldes, das Wesentliche an ihm? Was kann das Geld, was andere Systeme nicht können und was es so unentbehrlich macht? Dabei spielt es keine Rolle, welches physische Mittel die Rolle des Geldes übernimmt. Wird die Geldfunktion übernommen von Gold oder andern Metallen? Oder kommt Geld in Form von bedrucktem Papier zum Einsatz? Noch abstrakter wird das Geld in seiner ganz neuen Form, der Form des digitalen Geldes. Es ist nun nicht mehr fassbar. Aber obwohl nun nicht mehr (an-)fassbar, wird gerade dadurch sein Wesen viel deutlicher. In dieser modernen Form des Geldes ist nämlich seine Funktion getrennt worden von dem Träger der Funktion. Das Geld ist nicht mehr gebunden an einen stofflichen Gegenstand, nicht mehr an Metall, nicht mehr an Papier. Damit ist die Grundlage der Täuschung verschwunden, die durch die Bindung der Geldfunktion an einen Stoff entstanden war.

War die Verwechslung von Geld und Wert bei der gegenständlichen Geldform als metallene Münze oder als Papierschein noch nachvollziehbar, so haben neuere Formen des Geldes wie Sparguthaben, Giralgeld oder andere Geldanlagen und bargeldloser Zahlungsverkehr keine gegenständliche Form mehr. Ganz am Ende dieser Entwicklung seht das digitale Geld. Beim Tauschvorgang Ware gegen Geld ist die Annahme noch verständlich, dass das Geld selbst einen Wert hat. Schließlich wird Geld gegen einen Wert getauscht, gegen eine werthaltige Ware. Aber spätestens bei den Geldeinlagen und Geldanlagen wird schon die Gleichsetzung von Geld und Wert fraglich. Bereits hier erfüllt das Geld schon eine andere Funktion als die, Tauschmittel zu sein gegen Waren. Denn die Summe der Geldanlagen und -einlagen übertrifft die Menge des zirkulierenden physischen Geldes bei weitem. Dem gegenständlichen Geld steht also eine andere Geldmenge in anderer Form gegenüber, die sich nicht als physisches oder gegenständliches Geld darstellt.

Daran wird deutlich, dass die Funktion des Geldes nicht gebunden ist an seine Darstellung. Es kann als gegenständliches Geld ebenso seine Funktion erfüllen wie als virtuelles. Dass es die längste Zeit seiner Existenz als gegenständliches Geld in Form von Münzen und Geldscheinen vorlag, hat historische Gründe, ändert aber nichts an seiner Funktion. In der Form des digitalen Geldes hat es seine physische Darstellung nämlich endgültig verloren. War in seiner Goldform die Verwechslung von Geld und Wert noch verständlich, so hat das digitale Geld mit diesem Irrtum vollkommen aufgeräumt. Im digitalen Geld ist nichts Physisches mehr vorhanden. Das digitale Geld macht es unwiderruflich deutlich: Entscheidend dafür, dass das Geld seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe erfüllen kann, ist nicht seine gegenständliche Erscheinung in Form von Metall oder Papier sondern Nicht-Physisches. Die Macht, die in ihm steckt, kommt eben nicht aus dem Physischen, in dem sich sein Wert darzustellen scheint.

Dem nun wieder lauter werdenden Ruf nach Rückkehr zur Golddeckung angesichts der immensen Schulden liegt diese Gleichsetzung von Wert und Geld zu Grunde. Es ist der Irrglaube, dass das Geld durch die Golddeckung mehr Wert habe und damit sicherer sei. Alleine die Diskrepanz der Mengen macht schon deutlich, dass Gold den Wert des Geldes nicht absichern kann. Eine Rückkehr zur Golddeckung würde alleine aufgrund des Missverhältnisses der Mengen zu einem Anstieg der Zinsen führen, der jede weitere Wirtschaftstätigkeit im Keim ersticken würde. Die Abkehr von der Golddeckung des Abkommens von Bretton Woods war nicht zuletzt eine wirtschaftliche Notwendigkeit gewesen. Die Bindung der Geldvergabe an die Goldbestände hatte den Zins als die Kosten des Geldes in den 1970er Jahren stark ansteigen lassen. Diese Beschränkung der Kreditvergabe stand der Expansion der Weltwirtschaft im Wege. Die Kosten der Kreditfinanzierung drohten in Bereiche zu wachsen, wo die Finanzierung von wirtschaftlichen Projekten über Kredit unrentabel geworden wäre.

Das Geld erlangt seine Bedeutung nicht aus dem Physischen, also daraus, dass es selbst einen ihm innewohnenden Wert hat sondern aus dem Nicht-Physischen, dem Ideellen, aus dem Reich des Geistigen. Es ist also keine Hardware sondern Software, die das System „Geld“ am Laufen hält. Nun läuft ohne Hardware auch die beste Software nicht. Im Falle des Geldes ist die Software das Vertrauen. Die Hardware des Geldsystems ist die Realwirtschaft. Sie schafft die Werte, für die das Geld steht. Das Vertrauen der Teilnehmer am Geldsystem in die Funktionstüchtigkeit des Geldes als Zahlungsmittel ist die Software, die das Geldsystem und damit auch das Wirtschaftssystem und darüber hinaus das Gesellschaftssystem trägt. Es ist nicht das Vertrauen, dass das Geld einen eigenen Wert hat. Es ist das Vertrauen, dass gegen Geld jede Ware und Dienstleistung zu bekommen ist. Dieses Vertrauen gewährleistet das Funktionieren der Gesellschaft und die Grundlagen des Lebens eines jeden Einzelnen. Das ist der einzige Grund, weshalb das Geldsystem trotz seiner immensen Überschuldung noch nicht zusammengebrochen ist.

Den Teilnehmern am Geldsystem ist die Verschuldung der Staaten und die Irrationalität des Finanzsystem egal. Für den Teilnehmer am Geldsystem ist nur entscheidend, dass er mit dem Geld seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und dass das Geld das weiterhin gewährleisten kann. Solange diese Aussicht besteht, droht dem System selbst keine Gefahr. Die Schuldengrenzen sind willkürlich. Seit Jahren heben die USA die ihren an, so wie die meisten anderen Staaten auch. Es gibt keine vernünftige Erklärung, weshalb eine bestimmter Prozentsatz an Verschuldung den Zusammenbruch des Geldsystems veranlassen sollte. Die Festsetzung dieser Grenzen erfolgt auf Grund der Annahmen von Denkschulen und Lehrmeinungen. Eine objektive Erklärung, die sich aus der Funktionsweise des Wirtschaftsprozess selbst herleitet, liegt nicht vor.(1)

Durch den Verlust jeglicher physischer Darstellung im digitalen Geld hat das Geld seinen Schein als Wert eingebüßt. Es ist in dieser Form reduziert auf sein wirkliches Wesen. Dieses wirkliche Wesen des Geldes ist seine Aufgabe als Stellvertreter von Wert. Wenn aber das digitale Geld selbst keinen Wert hat und in ihm sein Wesen offensichtlich wird, dann liegt auch nahe, dass physisches Geld in der Form von Gold oder Papiergeld selbst auch keinen eigenen Wert hatte. Dann hat sich der Mensch über lange Zeit im Wesen des Geldes getäuscht. Denn läge der Wert des Geldes in seiner physischen Erscheinung, so wäre der Besitzer des deutschen Inflationsgeldes aus der Weimarer Zeit ein reicher Mann. Es ist äußerlich immer noch Geld. Aber es hat das verloren, was man als Wert bezeichnet.

Da es aber äußerlich immer noch Geld ist, innerlich aber nicht mehr, so stellt sich die Frage, wodurch wird Geld zu Geld. Es kann nicht Geld sein durch seine Äußerlichkeit, denn dann wäre ja auch das Inflationsgeld noch Geld. Es muss also einen Wert enthalten, der nicht in ihm selbst begründet liegt. Dieser Wert ist nicht Teil seiner selbst, ist nicht Bestandteil des Geldscheins, der über den Tresen gereicht wird. Dieser Wert ist nicht sein Wesen oder Teil seines Wesen. Das was seinen Wert ausmacht, ist etwas Fremdes, das ihm geliehen wird und wieder entzogen werden kann, ohne dass es ihm äußerlich anzusehen wäre. Das Geld selbst ist also nur ein Repräsentant eines anderen Wertes, so wie der KFZ-Schein nicht das Auto selbst ausmacht und auch nicht seinen Wert.

Nicht umsonst hat das Geld als Geld-Schein denselben Begriff erhalten wie die Täuschung, die auch als Schein bezeichnet wird. Auch sie erweckt den Schein von etwas anderem. Im Schein als einem anderem Begriff für Täuschung wie im Geldschein, Kfz-Schein und jedem anderen Schein ist die Illusion alleine schon sprachlich festgehalten. Sie alle stehen begrifflich für etwas Trügerisches, für einen Schein von der Wirklichkeit, für Scheinbares, nicht aber für den Gegenstand selbst. Sie vertreten nur Gegenständliches, sind nicht der Gegenstand selbst. Der Schein als Täuschung, der KFZ-Schein steht ebenso wie der Geldschein stellvertretend für etwas anderes. Beim KFZ-Schein ist das einfacher zu erkennen als beim Geldschein. Der Kfz-Schein repräsentiert das Fahrzeug und damit auch dessen physische Substanz, seinen Wert. Aber wofür steht der Geldschein, wenn er selbst nicht der Wert ist, den er nach außen hin darstellt? Was wird da verwechselt, vertauscht?

 

Die Ursache dieser Verwechslung liegt im Tausch. Diese Täuschung rührt her aus den Anfängen des Geldes. Um diese Verwechslung und das Funktionieren des Geldsystems zu verstehen, ist es notwendig, zurückzugehen in die Zeit des einfachen Tauschhandels, also die Zeit vor der Entstehung des Geldes. Was geht vor im Akt des Tauschens? Zu welcher Täuschung führt der Tausch? Auch das Geldsystem ruht in seiner Entstehung auf nichts anderem als dem Tausch. Es ist der Tausch mit anderen Mitteln. Und inwiefern hat der Tauschhandel zur Entwicklung des Geldes geführt?

 

Voraussetzung für den Tausch oder Tauschhandel ist der Überschuss und nur ganz allein der Überschuss, nicht der Mangel. In der Frühzeit menschlicher Entwicklung herrschten Mangel und Hunger. Der Mensch als Sammler war auf das angewiesen, was die Natur bereit hielt. Mit der Entwicklung der Fähigkeit zur Jagd erweiterte sich sein Lebensmittelangebot und damit seine Überlebenschancen. Erst mit dem Übergang zur Feldarbeit und Tierhaltung kommt der Mensch in die Lage, mehr aus seiner Arbeitskraft zu erwirtschaften, als zur Erhaltung dieser Arbeitskraft notwendig ist.(2)

Das bedeutet, durch die Intensivierung seiner Arbeitskraft kann er vorübergehend mehr Lebensmittel erzeugen, als er zu seinem eigenen Überleben braucht. Erstmals in seiner Entwicklungsgeschichte erwirtschaftet der Mensch Überschüsse. Sie sind die Voraussetzung für Tauschhandel. Gleichzeitig ist aber auch damit die wirtschaftliche Voraussetzung für die Sklaverei geschaffen worden. Solange die Arbeitskraft des einzelnen nur ausreichte, das Individuum selbst zu ernähren, machte Sklavenhaltung keinen Sinn. Von dem Moment aber, da die Arbeitskraft Überschüsse erwirtschaften konnte, konnte man sich auch das Mehrprodukt dieser Arbeitskraft aneignen, ohne dass der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, dabei zu Grunde ging. Der Mensch war in die Lage versetzt worden, fremde Arbeitskraft auszubeuten, ohne die Existenz der Arbeitskraft selbst zu gefährden.

Mit der Entstehung des Überschusses entsteht aber auch das Problem seiner Verwendung, seiner Sicherung. Da es sich in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte um einen Überschuss an Lebensmitteln handelte, musste dieser Überschuss vor dem Verderben geschützt werden. Denn diese Produktion war in der Erntezeit höher als in der Folgezeit. Eine Möglichkeit bestand in der Konservierung. Dem waren aber Grenzen gesetzt. Eine weitere bestand im Tausch. Man tauschte, woran man selbst im Überfluss hatte, gegen das, woran bei anderen Überfluss bestand. Wer nichts zum Tauschen hatte, also keinen Überschuss hatte, fand auch niemanden, der vom eigenen Überschuss abgeben würde. Denn was hätte derjenige, der tauschen will, zu gewinnen bei jemandem, der nichts zum Tauschen hat? Von daher erschließt sich die Behauptung, dass Tauschhandel nur dort zustande kommt, wo Überschuss vorhanden ist. Der Mangel alleine ist keine Grundlage für Tausch, solange auf der Gegenseite nicht auch ein Angebot steht. Das aber setzt einen Überschuss auch auf der anderen Seite voraus.

Neben einem Tauschobjekt muss auch ein Tauschinteresse bestehen. Wollen zwei Parteien Getreide tauschen, so besteht zwischen ihnen keine Tauschgrundlage. Beide verfügen zwar über Überschuss, der sich aber auf dasselbe Tauschobjekt bezieht. Ein Besitzerwechsel kommt nicht zustande, weil jeder nur das eintauschen könnte, worüber er selbst bereits verfügt. Es besteht also kein Bedarf. Der Tausch kommt erst zustande, wenn dem Anbieter von Getreide die Kuh angeboten wird, die er sucht. Das setzt aber im einfachen Tauschhandel voraus, dass der Anbieter der Kuh gleichzeitig auch Getreide sucht. Dann findet der Übergang zweier verschiedener Produkte oder Waren in den Besitz des jeweils anderen im direkten Austausch statt. Dabei verfügt jeder der beiden Partner über das, was beide brauchen und selbst nicht haben. Sie tauschen ihre Produkte in einem Verhältnis, das beide für angemessen halten.

In unserem Beispiel braucht der Getreideanbieter die Kuh und gibt dafür ihrem Anbieter die Menge an Getreide, die nach seiner Vorstellung dem Wert der Kuh entspricht. Der Anbieter der Kuh gibt diese im Tausch für die vereinbarte Menge Getreide, weil auch er diese dem Wert der Kuh für angemessen hält. Das bedeutet aber, dass beide Waren im Verhältnis, zu dem sie getauscht werden, einander gleich sind. Sie haben in den Augen beider Tauschpartner denselben Wert. Das bedeutet, dass der Wert beider Produkte zu diesem Zeitpunkt, dem Zeitpunkt des Warenaustausches, gleich ist.

Das ist die ganz einfache ökonomische Definition des Tauschwertes einer Ware. Der Wert einer Ware ist nicht objektiv, wie heutige Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler sich alle Mühe geben, mit komplizierten Formeln und Lehrsätzen nachzuweisen. Der Wert einer Ware ist relativ, steht also in einem Verhältnis und ist damit Ermessenssache. Objektive und wissenschaftlich begründete Verfahren zur Wertermittlung haben falsche Voraussetzungen. Sie gehen von einer Annahme aus, die nicht besteht, dem objektiven Preis. Die Gesetze der Wirtschaft sind keine Naturgesetze. Letztere können vom Wirken der Menschen nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Bewegungen der Wirtschaft jedoch werden vom Verhalten der Menschen beeinflusst, nicht vom einzelnen kleinen Verbraucher, aber von Geschmack, Interessen, Preis, Marktlage und Marktsättigung. Diese alle sind keine Naturgesetze sondern von Menschen verursachte Kräfte.(3)

Der einfache Tauschhandel war mit Risiken verbunden. Das größte bestand darin, dass das Ergebnis der eigenen Arbeit verdarb, wenn es nicht verbraucht, gelagert oder sonst irgendwie konserviert werden konnte. Dieses Verlustrisiko nahm zu mit der Menge der erwirtschafteten Überschüsse. Wenn auch in den Anfangszeiten der Menschheit ab dem Stadium der Landwirtschaft und Tierhaltung Überschüsse erwirtschaftet werden konnten, so bedeutete das nicht, dass Überfluss oder gar Reichtum herrschten. Das Leben war entbehrungsreich und drohte jederzeit unterzugehen in den Launen einer übermächtigen Natur. Umso wichtiger waren neben der Entwicklung der Konservierungsmethoden andere Verfahren, mit denen das erwirtschaftete Arbeitsprodukt geschützt und dauerhaft erhalten werden konnte.

Das Geld löste dieses Problem der Werterhaltung. Mit dem Geldhandel wird der direkte Tauschhandel von Ware gegen Ware immer mehr ersetzt durch den indirekten Tauschhandel von Ware gegen Geld gegen Ware. Der Anbieter von Getreide tauscht sein überschüssiges Getreide gegen Geld ein. Er nimmt diesen Tausch vor in dem Wissen, dass er bei späterer Gelegenheit für dieses Geld die Kuh kaufen kann, die er sucht. Der Händler wiederum bekommt Geld von einem anderen Partner für das Getreide, das dieser sucht. Auch dieser hatte eine Ware eingetauscht gegen Geld in dem Wissen, dass er für dieses Geld würde Getreide kaufen können. Alle Beteiligten in dieser Konstellation wissen, dass das Geld es ihnen möglich macht, den Wert ihrer verderblichen Produkte vor dem Verfall zu retten.

 

Der Übergang vom direkten Tauschhandel zum indirekten über den Umweg des Geldes ist ein langwieriger Prozess. Dieser Prozess war zudem nicht gradlinig. Immer wieder wurde er auch unterbrochen durch die gesellschaftlichen Entwicklungen. War der Norden Afrikas während des Römischen Reiches eingebunden in dessen Geldwirtschaft, so verschwindet das Geld in Form von Metallmünzen in der Folgezeit fast ganz aus dem Wirtschaftsprozess dieser Region. Gleiches gilt auch für Zentraleuropa. Nach dem Zerfall des Römischen Reiches war das Geld in Form von Metall zwar nicht ganz verschwunden, aber es hatte bei weitem nicht mehr die Bedeutung und Ausbreitung, die es zur Zeit der Römer noch gehabt hatte. Das Geldsystem auf Metallbasis wurde in Nordafrika erst unter der französischen Herrschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts wieder eingeführt.

Hier kann dann auch davon gesprochen werden, dass dieses Geldsystem unter Zwang eingesetzt wurde. Es hatte also in diesem Falle tatsächlich die Unterwerfung des Volkes unter das Gelddiktat stattgefunden, die heute viele Kritikern glauben, auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern festgestellt zu haben.(4) Diese Sichtweise gründet sich auf Erscheinungen, die an der Oberfläche Ähnlichkeiten zeigen. Dabei wird aber übersehen, dass der Ausbau des Finanzsystems und seine weltumspannende Gültigkeit in den vergangenen Jahrzehnten kein Gewaltakt war, wie er im Norden Afrikas stattgefunden hat. Die Weltherrschaft des Finanzsystems hat sich entwickelt aus der weltweiten Ausbreitung des Kapitalismus, dessen Bestandteil das Geldsystem ist. Es war ein organischer freier Prozess, der weitgehend unter der aktiven Teilhabe der meisten Gesellschaftsmitglieder und ihrer Regierungen stattgefunden hat. Das moderne Geldsystem hatte in den entwickelten Industriestaaten nicht mit Gewalt durchgesetzt werden müssen. Hier wurde seine Weiterentwicklung eher als eine Chance angesehen für weiteren gesellschaftlichen Fortschritt, zumindest bis zum Jahre 2008.

Im Falle der Kolonien jedoch kann die Einführung des Geldsystems als eine Zwangsmaßnahme angesehen werden, als ein Gewaltakt der Unterdrückung, da diese Völker aus ihrem eigenständigen Entwicklungsprozess herausgerissen und in einen gesellschaftlichen Rahmen gezwungen wurden, der ihrem Entwicklungsstand noch nicht entsprach. Hier hatte sich das Geldsystem durchsetzen können, weil es durch wirtschaftlich und militärisch überlegene Mächte abgesichert wurde. Im Herrschaftsbereich der kapitalistischen Staaten, die ja die Importeure des Finanzsystems waren, hatte es zudem bereits eine Reife erhalten, die es ermöglichte, es in den kolonialisierten Staaten erfolgreich umzusetzen. Seine Funktionstüchtigkeit hatte dann auch dort zu wirtschaftlichem Fortschritt geführt.

 

Aber das Geldsystem der kapitalistischen Staaten hatte auch in den Kolonien auf bereits vorhandenen Geldsystemen aufbauen können. Nordafrika hatte das römische Finanzsystem kennengelernt, das jedoch nicht vergleichbar war mit dem des heutigen Kapitalismus. Es ruhte auf anderen Grundlagen, dem Produktionsverhältnis der Sklavenhalter-Gesellschaften. Aber auch Nordafrika hatte vor der Wiedereinführung des modernen Metallgeldes über ein Finanzsystem verfügt. Das nordafrikanische Geld war das Getreide. Waren wurden gegen Getreide getauscht. Leistungen mit Getreide bezahlt. Gleiches galt für die Steuern wie auch die Entlohnung der Soldaten und Beamten.(5) Diese Gleichsetzung von Getreide mit Geld ist gewöhnungsbedürftig. Aber das liegt nur an der Sicht des Beobachters, der sich Geld nur in der Form von Münzen und Geldscheinen vorstellen kann. Er kann sich Metall und auch Edelsteine als Geld, als Werte vorstellen, nicht aber Getreide, weil er festgelegt ist auf Geld in der Form, wie man es in seinem Kulturkreis und seinem Wirtschaftssystem kennt.

Aber in den Anfängen des indirekten Tausches hat auch das Metall als Geldform keine andere Funktion erfüllt als das Getreide als Geldform. Es war ein allgemein anerkanntes Tauschmittel, das gegen alle anderen Produkte eingetauscht werden konnte. Auch das Metall hatte seinen Wert als universelles Tauschmittel dadurch erhalten, dass es begehrt war für die Weiterverarbeitung. Aus ihm ließen sich langlebige und robustere Werkzeuge und Waffen herstellen. Die Metalle boten erhebliche Vorteile gegenüber den Materialien, die bisher im Einsatz gewesen waren. Das machte die Metalle so begehrt. So haben wir vor dem Aufkommen des zu Geld geprägten Metalls in vielen Kulturen nur Metallstücke, die die Funktion des Geldes erfüllen.

Das Metall hatte gegenüber allen anderen Geldformen erhebliche Vorteile. Es war als Werkstoff verwendbar und begehrt. Es war handlich und beständig im Gegensatz beispielsweise zum Getreide als Zahlungsmittel. Es verdarb nicht so leicht und war nicht beliebig vermehrbar, wurde aber auch nicht durch Verzehr knapper, wie es beim Getreide der Fall war. So setzten sich die bis dahin bekannten Metalle, hauptsächlich aber Gold, Silber und Kupfer, mehr und mehr als Geld gegenüber anderen Geldformen durch, wenn auch in verschiedenen Währungen und Prägungen. Das scheint dem modernen Menschen selbstverständlich, weil er es nicht anders kennt. Zudem scheinen ihm andere Geldformen als undenkbar, so zum Beispiel das Getreide, Reis oder seltene Muscheln wie in verschiedenen Südsee-Kulturen.

Dabei ist aber auch das Metallgeld auf dem besten Wege, dasselbe Schicksal zu ereilen. Was den meisten Menschen der entwickelten Gesellschaften als Inbegriff des Geldes erscheint, die Münze, ist längst beiseite gedrängt worden durch eine Geldform, die von ihrer Substanz noch weniger Wert enthält als die Geldform Getreide. Die Rede ist vom Papiergeld. Diese Geldform hat in dem Wert, den es repräsentiert, längst die Münze überholt. Die einzelne Münze repräsentierte noch einen Wert, der annähernd auch seinem Metallgehalt entsprach. Zu Zeiten hoher Kupferpreise waren die Pfennigstücke der D-Mark von ihrem Metallwert sogar höher als der Wert, für den sie standen. Gleiches gilt noch heute für den Silberdollar, der aber als Zahlungsmittel nur einen Bruchteil seines Metallwertes darstellt.

Gemessen an seinem Materialwert steht der Wert, den das Papiergeld repräsentiert, doch in einem krasseren Widerspruch, als es Münze oder gar Getreide jemals waren. Aus herkömmlicher Sicht ist unbestritten und selbstverständlich, dass eine entsprechende Menge des „wertvollen“ Metalls Gold einer bestimmte Menge Euro entspricht, beispielsweise 500 Euro. Für diesen Wert steht der Materialwert des Goldes. Beim Gold sieht man das als selbstverständlich an, da es nach den herrschenden Wirtschaftsdogmen als offensichtlich gilt. Nur, wie sieht es aus mit dem Wert des 500€-Scheins? Er repräsentiert denselben Wert, kann aber im Gegensatz zum Gold keinen entsprechenden Materialwert vorweisen. Dass sein Wert derselbe ist wie der des Goldes, kann offensichtlich nicht im Material begründet liegen.

Und doch würde kaum jemand in den entwickelten Gesellschaften die Berechtigung des Papiers als Grundlage für die Darstellung von Geld in Zweifel ziehen. Noch unüberwindlicher ist der Widerspruch zwischen repräsentiertem Wert und Wertgehalt des Materials im Falle von allen Arten des virtuellen Geldes. Der Nordafrikaner des 19. Jahrhunderts hätte sich ungläubig an den Kopf gefasst, hätte man ihm erzählt, dass Zahlen in einem Sparbuch oder gar auf einem online-Konto mehr Wert haben sollen, als das Getreide, das er auf seinem Karren transportiert. Und doch ist es beim digitalen Geld oder den Zahlen des Sparbuchs so, obwohl nichts gesehen werden kann, was einen gegenständlichen Wert darstellt.

Vieles liegt also doch an der Art und Weise und dem Standpunkt, wie wir die Dinge betrachten. All diese Beispiele sollen nur verdeutlichen, dass einerseits die Gleichsetzung von Wert und Geld in die Verwirrungen führt, vor der wir heute mitunter stehen. Zum anderen zeigen sie, dass die Darstellungsformen des Geldes abhängig sind vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Ob Geld in Gold dargestellt wird oder in Bits, hängt davon ab, ob die Gesellschaft bereits Bits hervorgebracht hat oder ob man sich noch immer auf dem Entwicklungsstand der Goldmünze befindet. Das Geld mag sich verschieden darstellen. Sein Wesen und seine Funktion für die Gesellschaft ändern sich dadurch nicht. Im Gegenteil, gereinigt von den verschiedenen Formen seiner Darstellung als Getreide, als Metallstück, als geprägte Metallmünze, als das Leichtmetallgeld der DDR, als ausgedruckte Zahlen der Sparbücher, als Plastikgeld unserer Kreditkarten, als das virtuelle Geld der Bits, erscheint das Geld letztlich in seinem eigentlichen Wesen. Sein Wesen ist es, Medium zu sein zur Speicherung von Werten, ohne selbst Wert zu haben.

Dieses Wesen des Geldes war uns über Jahrhunderte verstellt dadurch, dass es an einen stofflichen Träger gebunden war wie Metall oder Papier oder Getreide. Wir hielten es für werthaltig, weil diese Funktion der Übertragung von Werten gebunden war an Stoffe, die über einen eigenen Wert verfügten. Das Metall hatte einen Wert als Metall, der aber nicht immer dem Wert des Geldes entsprach, für den es stand, wie wir am Kupferpfennig und dem Silberdollar gesehen haben. Und doch blieb der Wert dieses Metalls, wenn es als Münze daherkam, immer so hoch wie der Wert, den sie repräsentierte, obwohl der Preis des Metalls, aus dem sie hergestellt war, vielleicht ein anderer war.

Seine Funktion der Wertübertragung und Wertkonservierung schien verbunden mit dem stofflichen Träger Metall oder Papier oder Plastik. Aber diese Funktion benutzte den Träger nur, ohne Teil davon zu sein, so wie es die Funktion des Telefonkabels ist, Überträger von Nachrichten zu sein. Der Telefonierende benutzt das Kupfer oder die Glasfaser der Telefonleitung, um seine Nachricht zu versenden. Die Nachricht ist gebunden für die Zeit der Übertragung an das Kabel. Die Nachricht selbst aber ist zu keiner Zeit Bestandteil des Kabels selbst. Sie nutzt es nur.

Das Geldsystem war ein bahnbrechender Fortschritt gegenüber dem einfachen Tauschhandel. Der Bauer rettet den Wert seines Getreides durch den Verkauf, bevor sein Getreide verdirbt. Der Wert ist geronnen und festgehalten in dem Geld, das er von seinem Handelspartner erhält. Und der Partner verkauft das Getreide an jemanden, der vorher den Ertrag seiner Arbeit vor dem Verderben gerettet hatte, indem er ihn gegen Geld eingetauscht hat. Jetzt kann er für den Warenwert seiner eigenen Waren andere kaufen über den Umweg des Geldes. Das Geld senkt die Risiken der Produktion, indem es dem Produzenten ermöglicht, den Wert der Ware umzuwandeln in Geld. Über diese indirekte Vermittlung durch das Geld haben sich Tauschpartner gefunden, die sich nicht kannten und die vielleicht auch nie zusammengefunden hätten, weil sie nicht voneinander wussten.

Der direkte Tauschhandel wird durch das Geld umgewandelt zum indirekten Tauschhandel. Der Tausch Ware gegen Ware wird ersetzt durch den Tausch Ware gegen Geld gegen Ware. Es werden also nicht mehr Waren direkt getauscht sondern über den Umweg des Geldes. Da aber bisher der direkte Tauschhandel

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.09.2015
ISBN: 978-3-7396-1602-5

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Widmung Meinem Freund Werner Seipel, der es nun leider nicht mehr lesen konnte. Der Meinungsaustausch mit Dir hat nicht unwesenlich zum Entstehen dieses Buches und seiner inhaltlichen Schärfe beigetragen. Deine Geduld in der Diskussion, Dein Interesse am Thema und Deine Unnachgiebigkeit in der Klärung von Unklarem haben zu einem Ergebnis geführt, das seinesgleichen sucht. Ich danke Dir für Deine Freundschaft

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