Der Gedanke
Ist es nicht eine abwegige Vorstellung, einen Essayband mit dem Titel ›Bad Karlshafen 2.0‹ zu verfassen? Normalerweise mag das so sein, jedoch sieht im Fall von Bad Karlshafen und Helmarshausen die Sachlage etwas anders aus: Monatelang wurde in der Stadt quasi ›bis auf`s Messer‹ darüber gestritten, ob der historische Hafen mit Hilfe einer Schleuse wieder an die Weser angeschlossen werden soll oder nicht. Bis 1930 die Drehbrücke über dem Kanal entfernt wurde, gab es diese Verbindung zwischen Binnenhafen und Fluss. Viele wünschen sich heute diese ›alten Zeiten‹ zurück. Sie verweisen mit einigem Recht auf die äußerst großzügige Förderung, die mit dieser Entwicklungsmaßnahme einhergehen würde. Man mag zu dieser ›Hafenöffnung‹ jedoch stehen, wie man will: Sie alleine wird die Probleme der Stadt nicht lösen - eine ›Wunderschleuse‹ gibt es nicht und wird es auch nie geben. Dazu ist wesentlich mehr erforderlich.
Die Entscheidung ist am 7. Februar 2016 gefallen: Die Hafenöffnung wird eingeleitet. Wobei dringend und unabhängig von Pro und Kontra Hafenöffnung nun ein ›Ruck‹ durch den Ort gehen muss. Meines Erachtens sind es zwei wesentliche Punkte, die es zu beachten gilt:
a) Die Öffnungsbefürworter dürfen nicht abwarten, dass ihnen die gebratenen Tauben nun in den Mund fliegen. Nur auszuharren, dass andere (nämlich die Stadtverwaltung und die Gemeindevertretung) die Arbeit tun, wäre äußert unsozial und würde ihre zum Teil aggressiv vorgetragenen Parolen als hohle Phrasen entlarven.
b) Die Öffnungsgegner müssen das Ergebnis der Abstimmung anerkennen und all diejenigen von ihnen, denen es um mehr als das ›Dagegen sein‹ geht, sollten sich mit denen verbünden, die dem Ort eine Zukunft geben wollen. Ansonsten gelten sie zurecht als dumpfe Verhinderer. Neben dem eigentlichen Projekt der Hafenöffnung gibt es genügend Tätigkeitsfelder, in denen auch sie sich engagieren können. Auch wenn sie die Schleuse nicht lieben, können sie versuchen, in anderen Bereichen ihren Traum einer blühenden Stadt zu realisieren - örtlich weit über das Hafenareal hinaus. Dazu gehört meines Erachtens vor allem der Ortsteil Helmarshausen.
Eins vereint jedoch die einstigen Befürworter und Gegner einer Hafenöffnung: Wollt ihr wirklich das Beste für eure Stadt, so ist am 8. Februar 2016 der Tag gekommen, endlich wieder gemeinsam zu agieren.
Die Idee
Ich, ein Kritiker der Hafenöffnung, akzeptiere das Ergebnis. Ich sehe die Mehrheit von 40 Stimmen als das, was sie ist: Ein Handelsauftrag an all diejenigen, die etwas Gutes für die Stadt wollen. Für mich persönlich ist die Frage, was kann, was will ich tun? Derzeit ist es noch zu früh, um Geld zu spenden, einen Baum zu pflanzen oder die Spitzhacke in die Hand zu nehmen, um einen vernachlässigten Waldweg von seinem Wildwuchs zu befreien. Ich mache das, was ich sonst auch tue: Anhand von Geschichten Bilder erschaffen, um so die Phantasie der Menschen anzuregen.
Viele Ideen, die die Stadt voranbringen könnten, sind bereits von anderen aufgeschrieben worden. Zu ihnen gehören unter anderem die Studie ›Stadtmarketingprozess und Stadtmarketingkonzept für Bad Karlshafen/Helmarshausen‹ von Dr. Bernd Schabbing (2011) und das ›Teilräumlich integrierte Handlungskonzept Bad Karlshafen‹ des Büros PlanRat (2014). Doch wurden sie vor allem mit dem Hinweis auf fehlende Mittel bislang nicht umgesetzt, Papier ist ja bisweilen sehr geduldig!
Hinzu kommen die zahlreichen Ideen, die im Vorfeld des Bürgerentscheids im Februar 2016 in den sozialen Medien diskutiert wurden. Daraus und aus der Vielzahl an Gesprächen und Phantastereien der letzten Monate entwickelte sich der Gedanke, eine Sicht auf die Stadt in der Zukunft zu entwerfen. Diese neue Perspektive soll aufzeigen, dass viele Maßnahmen, die nun im Zuge der Hafenöffnung in Angriff genommen werden sollen, schon viel früher hätten geschehen können. Zudem lässt sich leicht zeigen, dass sie mit oder ohne Hafenöffnung realisierbar sind. Ihre Betrachtung entkräftet in Teilen auch den so oft geäußerten Vorwurf, dass dazu Unsummen an Geld vorhanden sein müssen. Denn manch wirksame Verbesserung erfordert entweder geringe finanzielle Mittel oder lässt sich mit alternativen Finanzierungsmodellen realisieren. Es geht allein um das Wollen.
Die Utopie
Die (kurzen) Geschichten beginnen im Jahr 2018 und umfassen den Zeitraum bis 2021. Sie handeln von Stocherkähnen auf dem historischen Hafen, einem Open-Air-Kino, dem Café Größenwahn, einem Volkswandertag und vielem mehr. Ich zitiere den (fiktiven) US-Präsidenten Frank Underwood aus der TV-Serie ›House of Cards‹: »Vorstellungskraft ist auch eine Form von Mut« (3/8). Sicher ist es couragiert, in dieser finanziellen Situation der Stadt das Abenteuer Hafenöffnung zu wagen. Doch wird für eine wirkliche Entwicklung des Gesamtensembles Bad Karlshafen / Helmarshausen dieser Mut allein nicht ausreichen: Hier braucht es mehr, als ›nur einen Pfeil im Köcher‹ zu haben.
Die Schleuse ...
... spielt in meinen Geschichten aus zweierlei Gründen keine Rolle: Erstens ist sie bislang nur ein Vorhaben, das erst noch auf seine Realisierungsmöglichkeit hin geprüft werden muss. Der Bürgermeister und die Stadtverordneten haben oft genug betont, dass im Fall einer Kostenüberschreitung oder bei technischen Problemen das Projekt gestoppt wird. Zweitens ist es meiner Ansicht nach wichtig, das Augenmerk auch auf andere Unternehmungen zu richten, die eine mögliche Hafenöffnung flankieren müssen. Was nutzt uns die Schleuse sowie Bootsstege auf dem Hafen, wenn nicht die anderen Dinge ebenfalls in Ordnung gebracht werden (Waldwege, Nutzung des Schwimmbadgeländes, Hafenplatzgestaltung)?
Der Autor
Noch eine Anmerkung zum Verfasser dieses ›utopischen Traktats‹: Ich gebrauche das Pseudonym ›Carl Sänger‹ allein aufgrund publizistischer Überlegungen. Als Autor schreibe ich noch in anderen Genres und möchte die verschiedenen Bereiche voneinander trennen. Ich werde jedoch der Öffentlichkeit gegenüber nie einen Hehl daraus machen, wer sich in Wirklichkeit hinter Carl Sänger verbirgt.
Wie sieht es aus, trauen Sie sich jetzt mit mir in das Jahr 2018?
Herzlichst, Ihr Carl Sänger / Christian Schneider
PS1: ›Die Gedanken sind frei‹ – eine Maxime, die jedem von uns tagtäglich um 17.00 Uhr vom Glockenturm des Rathauses in Bad Karlshafen zugetragen wird. Warum also nicht mal das Kino im Kopf laufen lassen?
PS2: Sollte dieses Projekt in irgendeiner Form einen Gewinn erzielen, so wird dieser einem oder mehreren der zahlreichen Vereine des Ortes zufließen.
2019 - drei Jahre sind seit dem Entscheid zur Hafenöffnung vergangen.
Im Sommer 2018 wurde das ehemalige Stadtcafé an den Gastronomen Dieter Kern aus Hameln verpachtet. Kern verwendete viel Zeit und Mühe damit, aus dem lange leerstehenden Café einen Treffpunkt für jung und alt zu machen. Neben der legendären Gulaschsuppe gibt es dort nun zwei Lese-Cafés, einen Billardraum und das sogenannte ›Schwimmerbecken‹. Die Cocktails und Longdrinks haben Namen wie ›Sex an Deichmanns Grotte‹, ›Sabatje‹ und ›Rattenfänger‹ - ein Mitbringsel aus Hameln. Kommen Sie mit, ›Ein Besuch im Café Größenwahn‹ wird auch Sie faszinieren.
Während man sich darüber Gedanken machte, wie man die Stadt für Besucher attraktiver gestalten könne, entwickelte sich die Idee, die alte Eisenbahngeschichte der Stadt weiter in den Fokus zu rücken. Aus einer alten Reinigung wurde eine kleine Fotoausstellung und die verschwundenen sowie die noch existierenden Zeugnisse der Carlsbahn wurden zu einer fünfundsiebzigminütigen Tour mit fünf Stationen zusammengefügt. Begleiten Sie den Eisenbahnexperten Christian Bachmann auf der ›Themenführung 'Die Carlsbahn in Bad Karlshafen'‹.
»Wann kommt er denn endlich?« Ungeduldig zog Achim die neue Outdoorjacke zurecht.
Er sah seinen Kumpel Peter an, der nur mit seinen Schultern zuckte und keine Antwort gab. Den Capri-Sonne-Retro-Regenschirm hatte er bereits vor fünf Minuten aufgespannt.
»Vermutlich denkt der gnädige Herr, dass es um 17.00 Uhr noch zu früh ist, um ins ›Café Größenwahn‹ zu gehen«, Achim war wieder einmal etwas sauer auf ihren unzuverlässigen Kumpel. Er gab Peter ein Handzeichen. »Lass uns reingehen, vielleicht sitzt er ja schon drinnen.«
»Das würde allerdings zu ihm passen. Also, rein in die Lasterhöhle mit Weserblick, es fängt ja auch gerade an, stärker zu nieseln.«
Peter hielt die Tür auf und sie gingen in den Verkaufsraum. »Ich war ganz schön lange nicht mehr hier!«
Achim hörte ihm schon längst nicht mehr zu, er war abgelenkt. Gabi saß hinter dem Tresen, ein kleines Schild neben der Kasse verriet es ihm. ›Gabi‹ hatte blonde, lange Haare, war dezent geschminkt und mit einem kecken
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Carl Sänger
Bildmaterialien: Carl Sänger
Lektorat: Lektor-hoch-drei (Ludwigsburg) / Beate Klemke
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4138-6
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