Cover

24.07. 2106, 12:33

Mit einem lautstarken Quietschen verkeilte sich die schwere Stahltür. Immanuel seufzte schwer, stellte den Wasserkanister ab, den er mitgebracht hatte und versetzte der Tür einen herzhaften Tritt.
Widerstrebend knarrend gab die Tür ein kleines Stück nach und kam wieder frei, bevor er sie mit einem energischen Ruck zuzog und sich anschließend in seinem kleinen Heim umsah. Eine flackernde Glühbirne beleuchtete den spärlich eingerichteten Raum, der dazugehörige Generator ratterte gedämpft in einem eigenen Gehege aus mehreren alten Pappkartons in einer Ecke, halb versteckt hinter einem vollgestellten Regal, in dem er alles lagerte, was er für nützlich hielt und nicht in einem Ordner unterbringen konnte.
Einige Kanister mit sauberem Wasser, mehrere Paletten mit Konserven und ein Stapel schmutziger Kleidung lehnten an der Wand rechts von ihm, in einiger Entfernung zu ihm lag eine große, zerschlissene Matratze mit mehreren Decken, daneben stand ein schmutziger Campingtisch und zwei Barhocker.
Die Wände waren bedeckt mit Zeitungsausschnitten aus der Zeit vor der Katastrophe, als die Pressen noch ihre gedruckten Kinder in die Welt setzten und versuchten, die panischen Menschen zu beruhigen. Jeden einzelnen davon hatte sein Vater aufgehoben.
Der junge Mann vergewisserte sich, dass die Tür vollends geschlossen war, entledigte sich seiner Schutzkleidung und setzte sich auf seinen Barhocker, nachdem er seine Wasserflasche nachgefüllt hatte, nahm einen Ordner zur Hand und besah sich dessen Inhalt.
Er blätterte die zerknitterten Klarsichthüllen durch, bis er bei einem Zeitungsausschnitt hängenblieb.
Nur eine Schlagzeile mit einem einzelnen schwarzweißen Foto darunter - "Asteroid Hermes auf dem Weg zur Erde", das Foto war eine Aufnahme des halleyschen Kometen aus dem Jahr 2061, da man damals noch kein Foto von Hermes hatte schießen können.
Immanuels Blick löste sich vom Ordner, er starrte an die Wand, ohne sie zu sehen. Die Wissenschaftler hatten behauptet, der Asteroid würde keine Gefahr darstellen, sondern mit mehreren tausend Kilometern Abstand zur Erde nur ein weiteres Spektakel am Himmel. Keine Gefahr. Er lachte bitter.
Irgendwer hatte sich verrechnet. Kurz vor dem vorausbestimmten Rendezvous hatte jemand festgestellt, dass der Asteroid nicht auf der in vielen Stunden akribischer Arbeit in den Sternwarten berechneten Flugbahn verlief.
Irgendwer hatte einen Fehler gemacht und dieser Fehler wurde erst in der letzten Sekunde bemerkt. Der Asteroid war wenige Minuten, nachdem der Rechenfehler entdeckt wurde, in die Erdatmosphäre eingetreten und aufgrund seiner Größe nicht verglüht, sondern irgendwo in der Sahara eingeschlagen und hatte einen knapp 200 Kilometer durchmessenden Krater in der Wüste hinterlassen.
Der Einschlag selbst hatte kaum Menschen getötet, und selbst wenn es mehr waren, man hätte es nicht mehr herausfinden können. Die Folgen jedenfalls waren verheerend.
Der Impaktwinter, der sich daran anschloss, sorgte dafür, dass beinahe sämtliche Pflanzenarten ausstarben, die oberirdisch wuchsen. Die unterirdischen Gewächshäuser, welche man nach dem vehementen Protest der Bevölkerung angelegt hatte, in denen für Krisenzeiten geringe Mengen verschiedener Lebensmittelpflanzen angebaut wurden, wurden davon verschont - doch diese Bestände reichten nicht aus, um die Weltbevölkerung zu ernähren.
Im Anschluss an die letzte Ernte, die von der Landwirtschaft eingebracht wurde, folgte eine Massenpanik, gepaart mit dem verzweifelten Horten von Lebensmitteln.
Die Menschen stürmten die Läden und sicherten sich, was sie kriegen konnten. Nicht selten kamen Waffen zum Einsatz, wer sie besaß, machte rücksichtslosen Gebrauch davon.
Das Geld verlor seinen Wert, als die Gewalt regierte und wie vor dem Aufkeimen der Gesellschaft das Recht des Stärkeren galt. Auf dem Schwarzmarkt wurde jedoch nach wie vor gehandelt, wenn auch nicht mit Diebesgut oder anderer heißer Ware, sondern mit Lebensmitteln. Immanuel war selbst nie dort gewesen, hatte aber von anderen Überlebenden davon gehört, dass ein Kilogramm Mehl beinahe sein Gewicht in Gold und noch mehr wert war. Die Menschlichkeit blieb in dieser Zeit weit hinter dem Selbsterhaltungstrieb zurück. Wer etwas ergattern konnte, teilte es nur mit denen, die er kannte oder mit denen er verwandt war.
Die ersten Opfer waren die Obdachlosen. Ohne ein schützendes Dach und einigen Wänden gegen die Kälte waren sie dem unnatürlichen Winter schutzlos ausgeliefert und starben dort, wo sie ihre Kräfte verließen. In ihre namenlosen Gräber folgten die Mittellosen, die sich ihr Überleben nicht mehr leisten konnten. Die Alten, Kranken und Kinder folgten auch ihnen.
Innerhalb von kürzester Zeit war der Großteil der Weltbevölkerung ausgelöscht worden. Die Gesellschaft zerfiel, die Überlebenden suchten Zuflucht in Kellern, der Kanalisation oder alten Luftschutzbunkern, genau wie der, in dem Immanuel gerade saß und sich an den Anfang vom Ende erinnerte.
Der junge Mann seufzte, schloss den Ordner und sah sich erneut um, stellte den schweren Gedächtnisersatz an seinen angestammten Platz auf den Boden und stemmte sich vom Hocker hoch.
Er langte nach einem Tuch mit Wüstentarnmuster im Regal, band es sich über Mund und Nase und setzte sich eine uralte und leicht angerostete Pilotensonnenbrille sowie eine Schirmmütze mit leicht zerlöchertem Nackenschutz auf, bevor er den Generator abschaltete und versuchte, die Tür zu öffnen.
Das alte, verrostete Metall kreischte protestierend auf, als er sich mit seinem Gewicht von innen dagegen warf, gab jedoch nach und schwang auf, als der hochgewachsene junge Mann das dritte Mal mit seiner Schulter gegen die Tür lief. Er wanderte durch die verlassenen und schlecht beleuchteten Gänge des kleinen Bunkerkomplexes und dachte wieder über seine Situation nach, diesmal jedoch praktischer.
Er würde bald einen Teil der Gänge räumen müssen - mehrere waren bereits unpassierbar, nachdem sie aus irgendeinem Grund unterspült worden waren und ihr Boden einbrach, was ihn verwunderte – der Bunker stammte aus dem vorigen Jahrhundert, als die Bevölkerung sich noch vor einem Atomkrieg gefürchtet zu haben schien. Das jedenfalls vermutete er. Zum einen hatte sein Vater im einmal etwas derartiges erzählt, zum anderen sprachen die dicken Betonwände und die schweren Stahltüren innerhalb des kleinen Komplexes dafür.
Etwa die Hälfte seiner Vorräte hatte er durch die Unterspülung verloren und mittlerweile konnte er es sich nicht mehr leisten, weitere Lebensmittel wegen Unachtsamkeit zu verlieren. Außerdem musste er dafür sorgen, dass der Aus- und Eingang in den kleinen unterirdischen Komplex verschließbar wurde. Er hatte keine Lust, eines Tages sein Zuhause zu verlassen und sich einem Rudel streunender Köter gegenüber zu sehen, die sich für die kalte Nacht vor seiner Tür niedergelassen hatten.
Er erreichte die Treppe zur Außenwelt und mithilfe des Geländers, das sich mittlerweile aus der Wand löste, bestritt er den kurzen Aufstieg ins blendende Sonnenlicht. Wieder an der Oberfläche angekommen, blinzelte er kurz und vergewisserte sich, dass sich alles noch dort befand, wo er es zurückgelassen hatte.
Zum einen seine improvisierte Funkanlage, mit der er von Zeit zu Zeit mehr schlecht als recht mit anderen Überlebenden Kontakt aufnahm, zum anderen aber seinen Augapfel, den er genau wie die Funkanlage, sorgsam unter einem Tarnnetz und einem aus Wellblech und einigen Stahlrohren zusammengezimmerten Unterstand verborgen hatte.
Immanuel nickte zufrieden, als er seine kurze Liste im Geiste abgehakt hatte und verdeckte, wie jeden Tag, den Eingang zu seinem unterirdischen Heim mit mehreren ausgedörrten und stark verästelten Buschgerippen, bevor er zum Unterstand schritt und beinahe ehrfürchtig das Tarnnetz von dem darunter versteckten Objekt entfernte.
Zum Vorschein kam der - materiell gesehen - wertvollste Besitz des jungen Mannes.
Liebevoll strich er über die sorgsam mattierten Komponenten des antiken Motorrads, auf dem er bisher einmal pro Woche losgezogen war, um seine Suche nach Lebensmitteln, Wasser und Tauschwaren in einem größeren Gebiet zu betreiben.
Er verfluchte sich im Geiste dafür, dass er vor einiger Zeit vergessen hatte, Treibstoff zu beschaffen. Benzin war, ähnlich wie andere mittlerweile zu Luxusgütern erhobene Dinge, nahezu unbezahlbar, wenn man nicht wusste, wie man an wertvolle Güter gelangte.
Immanuel hatte ein relativ sicheres Betätigungsfeld gefunden, das zum einen ihm und zum anderen noch einer kleinen Zahl Überlebender, deren Unterschlupf sich wenige Kilometer von seinem eigenen Heim entfernt befand, das tägliche Überleben sicherte.
Relativ sicher bedeutete, dass er gewissermaßen die Drecksarbeit übernahm, die anderen zu riskant war – dafür musste er aber auch nicht damit rechnen, von anderen Überlebenden angegriffen zu werden.
Er durchstöberte täglich die Ruinen seiner ehemaligen Heimatstadt, auf der Suche nach Konserven, Trinkwasser, Schmuck und noch benutzbaren Medikamenten.
Man sollte nicht glauben, wie viel die Menschen einzutauschen bereit waren, wenn ihre Familie oder jemand aus ihrem Stamm, wie Immanuel diese Zusammenschlüsse von Nachbarn gerne nannte, an Kopfschmerzen oder einer starken Grippe litt und jemand mit passenden Gegenmitteln sowie deren Packungsbeilagen auftauchte - und sie dann auch noch abzugeben bereit war. Gegen einen entsprechenden Wert, natürlich. Nicht selten bekam Immanuel für eine Packung Tabletten oder eine Flasche Hustensaft einen bis zum Rand gefüllten Benzinkanister, manchmal auch Lebensmittel für zwei Wochen oder aber, was ihm am wenigsten gefiel, eine oder zwei Handvoll Schmuck.
Er konnte diesen Plunder nicht ausstehen - man konnte ihn nicht essen, nur in sehr seltenen Fällen irgendetwas nützliches daraus herstellen und zusätzlich machte sein Glitzern und Funkeln im Sonnenlicht auch noch eventuelle Angreifer auf den Träger aufmerksam.
Dafür aber konnte man verarbeitetes Gold und Silber gut weitertauschen. Viele der Frauen wollten sich nach wie vor schmücken, obwohl der eigentliche Sinn der teuren Kleinode, nämlich das Statussymbol, durch die Katastrophe vor gut zwanzig Jahren verschwunden war. Und viele dieser Frauen sorgten irgendwie dafür, dass ihre Männer, Freunde oder einfach nur ihre Partner ihre Lebensmittel gegen Halsketten, Ringe, Diademe oder Armreife eintauschten.
Immanuel kniff die Augen zusammen und wischte vorsichtig mit seinem Hemdsärmel ein wenig Staub vom Motorradsattel.
Was auch immer die Männer dazu trieb, die begrenzten Lebensmittel für nutzlosen Schmuck zu tauschen, er würde sich sicherlich nicht darüber beklagen.
Er breitete wieder das Tarnnetz über der Maschine aus, ging zu seiner Funkanlage und schaltete das funktionslos anmutende Gerät an. Er drehte an einigen Knöpfen, um nach der richtigen Frequenz zu suchen, und schlug fluchend gegen das von abblätterndem Lack bedeckte Metall, als ihm nur sinnloses Fiepen und Rauschen antwortete.
Enttäuscht schaltete er die Anlage ab und erhob sich von dem zusammenklappbaren Campingstuhl, auf dem er sich niedergelassen hatte. "Also wieder eine einsame Runde.", sagte er zu sich selbst, um die für ihn unausstehliche Stille zu brechen, nachdem er seine Ausrüstung und Kleidung überprüft hatte.
Das Tuch zog er sich erneut über Mund und Nase, ebenso hatte er noch immer die Sonnenbrille und die Schirmmütze aufgesetzt. Kampfstiefel, eine Cargohose mit Wüstentarnmuster sowie eine modulare taktische Weste über einem ausgebleichten, langärmeligen Hemd vervollständigten den Aufzug. Die Atemschutzmaske, die er am Gürtel befestigt hatte, sorgte zusammen mit einem Erbstück von seinem Vater, einer beinahe antiken, aber immer noch funktionsfähigen Solartaschenlampe dafür, dass er sich wieder dazu gerüstet fühlte, einen neuen Streifzug zu beginnen.
Zufrieden hängte er sich seinen Kompass um den Hals, rückte die Wasserflasche an seine Seite und kontrollierte auch noch den Sitz des Messers und des Schlagstocks in den Brusttaschen seiner Weste.
Einmal, vor mehreren Jahren, war er eiskalt erwischt worden, sozusagen mit heruntergelassenen Hosen, als er gerade ein Haus auf verwendbare Dinge untersuchte. Er war zwar mit einem Schrecken davongekommen, trotzdem hatte er seine Lektion gelernt. Er verließ seinen Unterschlupf nie, ohne sich ausreichend vorbereitet zu haben.
Manchmal hatte Immanuel das Gefühl, übertrieben vorsichtig zu sein. Andererseits konnte man nie sicher sein, was auf einen zukam, wenn man erst einmal die schützenden Mauern seines Heimes verlassen hatte.
Der junge Mann erklomm den Hügel, in dem der Eingang zu seinem Bunker versteckt lag, zog ein Fernglas aus einer Tasche hervor und betrachtete zunächst den Horizont und die weiter entfernte Umgebung im Südosten, bevor er sich herumdrehte und seine alte Heimatstadt, nordwestlich von ihm, betrachtete.
Die mehrstöckigen Gebäude des Randbezirkes waren schon seit Jahrzehnten verlassen. Teilweise wuchsen besonders widerstandsfähige Bäume auf den Dächern, bei anderen waren die Eingänge vom Wüstensand, der durch den Einschlag über den Globus verteilt worden war, verschüttet worden. Stellenweise, auf einigen der Dünen, sah Immanuel seine eigenen Fußspuren.
Anderenorts, zumeist im Schatten der Betonriesen, huschten kaum erkennbare, kleine Kreaturen umher.
Die meisten von ihnen waren streunende Hunde, die von ihren Besitzern ausgesetzt worden waren, weil sie sich den Unterhalt der Tiere nicht erlauben konnten.
Einige der Wesen waren Ratten, die aufgrund von natürlicher Mutation gewachsen waren, jetzt etwa die Größe eines Pudels erreichten und teilweise äußerst aggressiv in großen Gruppen ihre Nester verteidigten. Immanuel hatte noch von seinem Vater gelernt, um diese Tiere einen Bogen zu machen, wenn er sie sah. „Junge, denk daran. Die Regel deiner Großväter gilt immer noch: Auf eine, die du siehst, kommen zehn, die du nicht siehst.“, kam ihm bei diesem Gedanken die Stimme seines Vaters in den Kopf.
Gedämpft drang wütendes Kläffen an sein Ohr und unterbrach seine nostalgischen Gedanken. Er steckte resignierend sein Fernglas wieder ein, kletterte den Hügel wieder hinunter und beschloss, nach einer großen Stahlplatte zu suchen, die er über den Eingang legen könnte, während er die Büsche tiefer in den Tunnel bugsierte.
Heute würde er nicht tarnen müssen, sondern am Eindringen hindern. Die Pflanzen mochten tot sein, aber sie waren noch nicht brüchig ebenso wenig wie ihre Dornen. Und bevor sich das änderte, wollte er Holz gegen Metall getauscht haben.
Die Ratten quetschten sich zwar durch noch so kleine Löcher, aber sie waren durch ihren Umfang nicht in der Lage, sich durch das verzweigte Geäst der Büsche zu zwängen – aufgrund der Dornen der Büsche würden sie sich auch eher beim Versuch verletzen und sich hoffentlich nach leichterer Beute umsehen. Als er schließlich zufrieden war mit der Positionierung der abgestorbenen Gewächse, rieb der junge Mann sich kurz die schmerzenden Hände und machte sich auf den Weg in die ehemaligen Siedlungen der Unterschicht seiner alten Heimat.


24.07. 2106, 13:46

Unruhig sah Immanuel sich um. Er hatte schon eine ganze Weile das Gefühl, beobachtet zu werden, während er umsichtig durch die verlassenen Wohngebiete schlich und immer wieder die leerstehenden Häuser untersuchte, die verrosteten Türschlösser auftrat und sich im Inneren nach irgendetwas von Wert umsah.
Seine Erinnerung teilte ihm mit, dass er früher mit jemandem aus dieser Straße befreundet gewesen war... er glaubte, sich an den Namen Timothy zu erinnern. An einen Hund. Oh, und eine Mutter. Der junge Mann zuckte kurz mit den Schultern, warf sich mit der Schulter gegen eine besonders widerstrebende Tür und fiel geräuschvoll mit den Resten der morschen Tür in den Hausflur. Seine durch den jahrelangen Überlebenskampf geschulten Reflexe reagierten sofort auf die neue Situation und ließen ihn sich noch im Fallen direkt in Richtung der nächstbesten Deckung abrollen, falls irgendwelche Gefahren hinter der Tür liegen sollten.
Diesmal jedoch sorgten sie lediglich dafür, dass er sich lächerlich vorkam, als er deckungslos mitten im Flur hockte und die Spuren seiner weiten Kleidung in der fast zentimeterdicken Staubschicht betrachtete, während das leerstehende Haus stummen Beifall klatschte. Seufzend richtete er sich wieder auf und versuchte, sich in der unbekannten Wohnung umzusehen. Stellenweise war die Staubschicht noch nicht so dick wie im Eingangsbereich, teilweise entdeckte der junge Mann einige Abdrücke von Schuhprofilen unter der dünnen, neueren Staubdecke. Die meisten der Spuren befanden sich im Bereich der Kellertreppe und der Küche, wie Immanuel nach einem kurzen Erkundungsgang herausfand.
Trotz des offensichtlichen Alters der Spuren zog er sein Messer, bevor er weiter durch die Wohnung schlich. Die Mischung aus Sand und Staub knirschte leise unter seinen Stiefeln, während er Schlafzimmer und Badezimmer durchquerte. Seine Ausbeute war gering – scheinbar hatten die ursprünglichen Bewohner bereits das meiste eingetauscht oder verbraucht.
Lediglich ein halbes Döschen Halsschmerztabletten konnte er finden sowie einen Ring, der unter das Doppelbett im Schlafzimmer gerollt war. Während er das kleine Schmuckstück einsteckte, sah er sich in dem Zimmer um. Die Tapeten waren kaum mehr als solche zu erkennen, da sie sich von den Wänden gelöst hatten und kraftlos daran herunterhingen oder in kleinen, faltigen Haufen am Boden lagen.
Das Bett war über die Jahre morsch geworden, Bettzeug und Matratze von unsichtbaren Insekten und der Zeit zerfressen und löchrig.
Aus einem Spiegel auf dem ausgeleerten Frisiertisch starrte ihn sein unrasiertes, wettergegerbtes Gesicht an. Er betrachtete sich zunächst, bevor er sich in verschiedenste Posen warf und schließlich das Interesse verlor – was nicht zuletzt daran lag, dass er für eine, seiner Meinung nach, besonders heldenhafte Pose das Bett zu Hilfe nahm, um sich mit dem Fuß darauf abzustützen, woraufhin sich dieses lautstark aus dem vegetativen Zustand ins Nachleben verabschiedete.
Peinlich berührt verstaute Immanuel sein Messer und beschloss, sich einmal den Keller anzusehen.
Er hatte keinerlei Fußspuren finden können, die aus dem Haus heraus führten – seine Bewohner mussten demnach noch irgendwo stecken. Der Gedanke gefiel ihm gar nicht.
Bevor er die Tür öffnete, die zum Keller führte, sah er sich zur Sicherheit noch einmal draußen vor dem Haus um, auch die Küche und das Bad im Erdgeschoss überprüfte er noch einmal.
Er wollte nicht auf dem Rückweg von einem oder mehreren Hunden überrascht zu werden, die sich vor der Mittagssonne verstecken wollten. Auch der zweite Rundgang ergab nichts, worum er sich sorgen müsste. Wieder zog er das Messer, mit der Rechten löste er seine Taschenlampe aus ihrer Halterung an der Weste. Vorsichtig öffnete er die Tür und starrte konzentriert in die Dunkelheit dahinter. Auf der linken Seite, an der Wand, entdeckte er einen Lichtschalter, den er ohne große Hoffnung betätigte.
Und tatsächlich – seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, die Treppe lag weiterhin im Dunkeln. Er schickte ein kurzes Gebet ab, das dafür sorgen sollte, dass die Batterien in seiner Taschenlampe ihn nicht im Stich ließen, bevor er wieder zurück im Sonnenlicht war.
Als er die Lampe einschaltete, zeigte der Lichtstrahl ihm eine erstaunlich gut erhaltene Treppe aus gelochtem Stahl. Während des vorsichtigen Abstiegs legte sich der junge Mann den Kolben der Lampe auf die Schulter, das Messer hielt er mit der Klinge nach unten in der linken Hand. Am Absatz angekommen sah er sich mit zwei Wänden konfrontiert, die eine vor ihm, die andere zu seiner Linken.
Also handelte es sich hier nicht um einen Schutzraum, sondern einen Vorratskeller. Diese Vermutung bestätigte sich, als Immanuel sich genauer umsah. Die Luft im Keller war abgestanden, es roch muffig... und zum Teil auch nach Resten von Verwesung. Die Taschenlampe hatte er direkt am Fuß der Treppe abgeschaltet, da das Licht, das durch ein halb vom Sand verschüttetes Kellerfenster hereinfiel, vollkommen ausreichend war, um den Raum zu beleuchten.
Der Blick des jungen Mannes fiel auf einige leere Wasserkanister sowie zumindest teilweise geleerte Konservendosen, deren Inhalt schon seit langem vertrocknet war und zu verrotten begann. An den Wänden standen leere Regale.
Bis auf wenige Ausnahmen waren wirklich alle dieser Regale leer – nur in einigen standen tatsächlich Bücher. Immanuel streckte zaghaft die Hand nach einem dieser Exemplare aus. Auch wenn er schon seit Jahren in die leeren Häuser einbrach und sich fremdes Eigentum aneignete, so hatte er doch immer noch Skrupel, das Leben der „Opfer“ auszuspionieren.
Und genau das tat er gerade – bei dem Buch handelte es sich um ein altes Fotoalbum.
Was auf den Rest der Hauseinrichtung verheerende Folgen hatte, störte das Buch in seinen Händen gar nicht. Die darin eingeklebten Fotografien zeigten ebenso farbenfroh wie an dem Tag, an dem sie auf den Seiten fixiert worden waren, was sie zeigen sollten – eine glückliche, kleine Familie.
Auf beinahe allen Fotos waren ein kleiner Junge und seine attraktive, junge Mutter zu sehen. Im Haushalt ebenso wie beim Spielen im mittlerweile verwilderten und teils verschütteten Garten, ob im Urlaub oder zu Festtagen, jemand hatte alles im Leben dieser beiden Menschen dokumentiert.
Wehmütig strich Immanuel über die knisternden Seiten des Albums, während er vorsichtig weiterblätterte. Auf einigen der Fotos zeigte sich nun ein kleiner Hund, der ausgelassen mit dem Jungen spielte.
Der junge Mann runzelte die Stirn, während er die Fotos betrachtete. Der Hund war ein Mischlingswelpe. Sein Gedächtnis meldete sich wieder. Hatte nicht Timothy einen solchen Mischling besessen? Das würde bedeuten, dass er soeben das Haus eines Freundes geplündert hatte. Immanuel schüttelte den Kopf. Es war reichlich unwahrscheinlich, dass dies ausgerechnet die alte Heimat seines Freundes war. Außerdem glaubte er, dass das Haus anders aufgebaut war. Vermutlich spielte ihm einfach nur seine Erinnerung einen Streich.
Vorsichtig stellte er das Fotoalbum zurück an seinen Platz und sah sich weiter im Keller um. Mittlerweile hatten seine Augen sich besser an die schummrigen Lichtverhältnisse im Keller gewöhnt und ermöglichten ihm eine unerwartete Entdeckung.
An der gegenüberliegenden Wand, direkt unterhalb des Kellerfensters, lehnte eine ausgemergelte Gestalt mit weit aufgerissenem Mund.
Nach einem Moment des Schrecks und der Starre näherte sich Immanuel langsam dem Leichnam. Er schien schon lange tot zu sein, doch die enorme Trockenheit hatte seinen Körper ausgedörrt und die Verwesung aufgehalten.
Nachdem er den ersten Schreck verdaut hatte, näherte Immanuel sich dem Körper.
Als er prüfend die Augen zusammenkniff und sich unter dem breiten Lichtstrahl hinweg duckte, erkannte er, dass es sich nicht um einen einzelnen Toten handelte. Auf dem Schoss der Leiche lag der Kopf eines großen, schwarzen Hundes.
Immanuel schätzte das Tier auf höchstens ein Jahr, bevor es gestorben war. Wie auch sein Besitzer war der Kadaver gut erhalten. Die einzigen Spuren der Verwesung waren hier die leeren Augenhöhlen.
Dem jungen Mann fuhr ein kalter Schauer über den Rücken, als er sich in etwa einem halben Meter Entfernung von den beiden Toten hinkniete, sich flüchtig bekreuzigte und für einige Sekunden im stillen Gebet für die Verstorbenen versank. Als er die Augen wieder öffnete, musterte er die Kleidung der menschlichen Leiche. Diese Person war nicht wie er auf das Überleben nach dem Einschlag vorbereitet gewesen.
Er vermutete, dass dieser Mensch zusammen mit dem Hund von den Vorräten überlebt hatte, die die Familie angelegt hatte. Als diese zur Neige gegangen waren, hatte er sich wahrscheinlich nicht getraut, das Haus zu verlassen... oder er war bereits zu schwach dafür gewesen. Der junge Mann richtete sich auf, bekreuzigte sich erneut und verließ das Haus.
Kaum, dass er den ersten Schritt in die Mittagssonne machte, fühlte er eine vorher unspürbare Last von sich abfallen. Er zog sein Messer hervor und ritzte von außen ein Kreuz in den Türrahmen, als Zeichen für sich selbst – dieses Haus hatte er bereits besucht.
Seufzend verstaute er die Klinge wieder, blinzelte in das Sonnenlicht und machte sich wieder auf seinen Rundgang durch die verlassene Stadt.


24.07. 2106, 15:20

Immanuel hockte sich für eine kurze Verschnaufpause in den Schatten einer privaten Tiefgarageneinfahrt. Mit einem ihm bereits in Fleisch und Blut übergegangenen Bewegungsablauf löste er die Trinkflasche von seinem Gürtel und führte sie an seine Lippen.
Das Haus, in dessen Einfahrt er sich gerade eine Erfrischung gönnte, hatte er bereits vor einigen Tagen durchsucht. Er erinnerte sich daran, dass er dort hauptsächlich Schmuck und recht gut erhaltene Kleidungsstücke gefunden hatte, die er anschließend gegen eine Ration Frischwasser eingetauscht hatte.
In manche Häuser drang er ab und zu mehrmals ein, für den Fall, dass er etwas übersehen hatte – besonders bei weitläufigen Anwesen wie diesem hier.
Der junge Mann verschloss die Flasche wieder und verstaute sie in ihrer Halterung an seinem Gürtel. Als er aufstand, rückte er seine Weste zurecht und holte seinen Schlagstock hervor. In nicht allzu weiter Entfernung hatte er mit seinem Fernglas ein wildes Hunderudel entdeckt. Seine Körper stand in den letzten Minuten in Alarmbereitschaft.
Mit der Waffe in der Hand verließ er sein Versteck und lief, mit gemessenem Schritt, langsam weiter die Straße hinab in Richtung des Stadtzentrums.
Auf der rechten Seite lagen mehrere kleine Einfamilienhäuser, von denen er die meisten schon untersucht hatte. Bei seinen täglichen Ausflügen ging er nie der Reihe nach die Häuser und Wohnungen durch.
Vielmehr machte er Stichproben. Mal ließ er ein Haus aus, dann vielleicht drei oder vier, bevor er bei zwei aufeinander folgenden Häusern die Klinken putzte.
Diese Methode hatte sein Vater ihm noch zu seinen Lebzeiten beigebracht. Dadurch vermied man unliebsame Begegnungen mit möglichen anderen Plünderern, die vielleicht besser ausgerüstet waren als man selber.
Denn eines war sicher: unauffällig war Immanuel nicht gerade. Es konnte leicht passieren, dass ihm jemand mit unfreundlichen Absichten auflauerte, auch wenn die anderen Überlebenden ihm äußerlich wohlgesonnen waren. „Lieber Vorsicht als Nachsicht“, hatte sein Vater immer gepredigt. Immanuel hielt sich daran.
Wieder blieb er vor einem Haus stehen, ein flaches Mehrfamilienhaus, das beinahe den Eindruck machte, es würde sich zwischen den anderen Häusern verstecken wollen. Jedenfalls kam es dem jungen Mann so vor, als er auf den Eingangsbereich mit zwei Haustüren zuging, eine links, die andere rechts. Er entschied sich für die rechte Tür und rüttelte probehalber am Türknauf.
Er hatte nicht das Glück, das er sich erhofft hatte. Die Tür war zwar nicht abgeschlossen, allerdings war der Schließmechanismus eingerostet und bewegte sich keinen Millimeter. Leise seufzend zog Immanuel sein Messer hervor und machte sich an den Schrauben zu schaffen, die seinen Bemühungen ohne Gegenwehr nachgaben.
Sobald er die angerostete Verschalung von der Tür gelöst hatte, drang er vorsichtig mit der Messerklinge zwischen die Tür und ihren Rahmen. Als er spürte, wie er auf Widerstand stieß, begann er damit, vorsichtig mit dem Messer an dem Bolzen herumzukratzen und nach und nach die Tür aufzuhebeln. Schließlich klickte es vernehmlich und die Haustür öffnete sich. Immanuel stieß die Luft aus, die er unbewusst angehalten hatte, verstaute sein Messer wieder in seiner angestammten Brusttasche und nahm den Schlagstock zur Hand.
Vorsichtig öffnete er die Tür weiter, zwängte sich durch den Spalt und betrachtete aufmerksam die Staubpartikel, die in den Lichtstrahlen, die durch die vernagelten Fenster fielen, umhertanzten. Als seine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, bemerkte er, dass die Haustür direkt in ein Wohnzimmer führte, ohne einen Flur oder etwas anderes dazwischen.
Er ließ seinen Blick über die halb verrotteten Möbel gleiten. Die skelettierten Reste eines Sofas standen beinahe direkt vor seinen Füßen, rechts davon ragten die Innereien eines Sessels anklagend zur Decke. Vor dem Sofa stand ein Glastisch, dessen Tischplatte geborsten war. Die Splitter lagen in recht weitem Umkreis verteilt auf den Überresten eines Teppichs. Sowohl Sofa und Sessel als auch Tisch und Teppich wiesen mehrere dunkelbraune Flecken auf.
Unwillkürlich umfasste der junge Mann den Griff seines Schlagstocks fester, während sein Herz damit begann, Adrenalin durch seinen Körper zu pumpen. Hier war etwas passiert.
Ein Blick auf den Boden verriet ihm, dass jemand vor ihm hiergewesen war – auf dem staubbedeckten Laminat zeigten sich mehrere verschiedene Fußspuren, diesmal jedoch waren sie nicht sonderlich alt.
Langsam schlich Immanuel weiter durch das verlassene Haus, seine Sinne bis zum Äußersten angespannt. Die Spuren auf dem Boden nahmen zu, je tiefer er in die leere Wohnung eindrang. Mittlerweile schloss der junge Mann einen Unfall aus. Die Spuren verrieten ihm, dass hier mehrere Menschen hektisch umher gelaufen waren. Also vermutlich ein Überfall.
Ein Geräusch in irgendeinem Raum zu seiner Linken ließ ihn sich flach an die Wand drücken. Es hatte geklungen, als würde jemand Metall aneinander schlagen. In Gedanken lachte Immanuel über sich, blieb aber weiterhin angespannt. Zentimeter für Zentimeter schlich er weiter und spähte vorsichtig um eine Ecke im Flur.
Das Klirren wiederholte sich, ohne dass der junge Plünderer seinen Ursprung erkennen konnte. Dass noch jemand der Einbrecher hier war, schloss er aus – die Flecken auf den Möbeln waren schon wesentlich älter als ein paar Stunden oder Minuten.
Kurzentschlossen streckte er den Kopf durch den leeren Türrahmen. Der Raum war die Küche der Bewohner gewesen. Und die Geräusche, die er gehört hatte, stammten etwa aus der Raummitte, in der sich eine Kochinsel befand, welche ihm die Sicht versperrte.
Die dünne Staubschicht auf den weißen Fliesen knirschte verräterisch, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Das metallische Klirren ertönte ein weiteres Mal, genau in dem Moment, in dem Immanuel seinen Fuß erneut senkte und jetzt kurz vor der Kochinsel stand und den Geruch wahrnahm, der von dieser ausging.
Es roch nach verrottendem Kompost, Exkrementen und feuchtem Hund.
Der junge Mann hob stumm seinen Schlagstock, angespannt bis aufs Äußerste. Während er noch damit rechnete, dass ein tollwütiger Pudel hinter der Kochinsel hervorschoss und sich in seinem Bein verbiss, hörte er leises Quieken. Ratten. Die Stimme seines Vaters erklang wieder in seinem Kopf. „Auf eine, die du siehst, kommen zehn, die du nicht siehst...“
Immanuel wartete trotz seiner Anspannung mit erhobener Waffe, bis er die Ratte anhand ihrer Laute zumindest annähernd geortet hatte. Dann machte er einen Schritt vorwärts, während er gleichzeitig den Schlagstock mit voller Wucht auf ein bodennahes Ziel niederfahren ließ.
Er verfehlte die Ratte um einige Zentimeter. Das Tier fauchte wütend und ging zum Gegenangriff über, den Immanuel mit einem reflexartigen, wuchtigen Tritt konterte. Ein kurzer, heißer Schmerz fuhr durch sein Scheinbein, als er die schwere Ratte traf.
Das Tier quiekte schmerzerfüllt auf und flog, beschleunigt durch den herzhaften Tritt seines Gegners, gegen einen Küchenschrank auf der gegenüberliegenden Seite der Kochinsel und blieb dort benommen liegen.
Während sich die hundegroße Ratte noch aufrappelte, zog Immanuel in einer fließenden Bewegung sein Messer und versenkte seine Klinge bis zum Heft im Nacken des Tieres, bevor er herumwirbelte und nach weiteren Gegnern Ausschau hielt.
Als er keine weiteren Ratten entdeckte, schloss er – noch immer mit erhobenem Schlagstock – die Türen der Kochinsel, aus der die große Ratte einige Töpfe hervorgeholt und auf Nahrung untersucht hatte, mit dem Knauf seiner Waffe.
Dann drehte er sich um und betrachtete das tote Tier. Nachdenklich zog er sein Messer aus dem Kadaver und wischte das Blut an den Resten eines Handtuches ab.
Eine derartig große Ratte hatte er bisher noch nicht gesehen. Auch war dieses Exemplar äußerlich stark verunstaltet.
Scheinbar war die Veränderung der Körpergröße nicht die einzige Mutation, die die Tiere über sich ergehen lassen mussten. Stellenweise hatte die Ratte ihr Fell eingebüßt, an den kahlen Stellen zeigten sich deutliche Biss- und Kratzspuren, die ihr vermutlich von anderen Ratten zugefügt worden waren.
Hier und dort jedoch zeigten sich auch Verletzungen, die nicht von Hackordnungskämpfen stammen konnten. Der Kopf des Tieres war vollkommen kahl. Stellenweise zeigten sich Spuren von Verwesung, die Zähne der Ratte lagen frei und oberhalb der Augen krochen einige kleine Maden durch das spärlich verteilte Fell, die sich beinahe direkt, nachdem der junge Mann sie entdeckt hatte, in das verwesende Fleisch des Rattenkörpers gruben.
Immanuel verzog angewidert das Gesicht und bekreuzigte sich unwillkürlich bei diesem Anblick. Trotz seines Ekels vor dem Kadaver beugte er sich weiter vor, um sich das Tier genauer anzusehen.
Die Ratte hatte im Todeskampf die Augen verdreht und präsentierte ihrem Mörder jetzt ihre gelblich verfärbten Augäpfel. Immanuel war kein Biologe, trotzdem war er sich sicher, dass eine solche Farbe nicht natürlich sein konnte.
Als er die Leiche weiter untersuchte, fand er noch mehrere Stellen, an denen der Knochen hervortrat, meist umgeben von stark verwestem Fleisch. Als er den bestialischen Gestank, den die Ratte mittlerweile verbreitete, kaum noch ertragen konnte, fasste er den Entschluss, jemanden aus dem nächstliegenden Bunker darauf aufmerksam zu machen, dass die Ratten sich wieder veränderten.
Er erschauderte erneut, sah sich noch einmal flüchtig in der Küche um und beschloss, sich dieses Haus an einem anderen Tag genauer vorzunehmen – der Schreck der Begegnung mit der Ratte steckte ihm noch immer in den Knochen.
Der junge Mann verließ das Haus wieder durch den Haupteingang und ritzte mit seinem Messer ein halbes Kreuz in den Türrahmen, als Zeichen für sich selber, dass er das Haus noch nicht vollständig untersucht hatte. Er ließ das Messer zurück in seine Brusttasche gleiten, schätzte die Uhrzeit anhand des Sonnenstandes – früher Nachmittag - und machte sich wieder auf den Weg, tiefer in die menschenleere Stadt hinein.


24.07. 2106, 16:10

Sara beugte sich tiefer über den Rumpf des Motorrads. Sie spürte den Wind in ihren Haaren, der ihr wahrscheinlich Tränen in die Augen getrieben hätte, wenn sie nicht ihre Schutzbrille tragen würde, den rissigen Asphalt unter den Rädern der Sportmaschine und die Vibrationen des Lenkers, wenn sie über kleine Unebenheiten der Straße hinwegschoss.
Sie schloss die Finger fester um die Lenkergriffe und musste unwillkürlich grinsen, während ihr der Blick auf den Tachometer verriet, dass die Maschine unter ihr stabil 120 Stundenkilometer fuhr.
Das Grinsen unter ihrer Staubschutzmaske wuchs in die Breite, faszinierendes Kribbeln machte sich in ihrem Bauch bemerkbar. "Mal sehen, wie weit wir dich noch kriegen, Baby..." sagte sie leise zu sich selbst.
Das leise Knistern in ihrem Ohr jedoch gab ihr zu verstehen, dass sie nicht leise genug war. "Vergiss es. Du hast schon genug Treibstoff für heute verbraucht. Dreh' um." ertönte es rauschend mit russischem Akzent aus ihrem Mono-Headset.
Sie seufzte leise. Soviel also zu ihrem Geschwindigkeitsrausch. Kurz entschlossen zog sie den Hebel, der die Hinterradbremse in Betrieb setzen sollte. Der Hebel blockierte, sie fuhr ungehindert weiter, anstatt die geplante 180°-Drehung zu vollziehen.
Irritiert betätigte sie den Hebel ein, zwei weitere Male, wieder blieb die Reaktion der Maschine aus. "Fuck! Andrej, deine Maschine bremst nicht!" informierte sie ihren Freund, der sicher in einiger Entfernung auf dem Dach eines Hochhauses hockte und ihre Fahrt per Fernglas beobachtete.
Wieder rauschte das Funkgerät an ihrem linken Ohr. "Geh vom Gas." Sara lockerte langsam ihren beinahe krampfhafte Umklammerung des Gashebels und betrachtete danach wieder den Tachometer, dessen Nadel ungeachtet ihrer stummen Gebete bei 120 Km/h stehenblieb und sich nicht mehr rührte.
Wieder funkte sie ihren Partner an, diesmal jedoch deutlich unruhiger. "Heilige... Andrej, das Ding hasst mich!" Mittlerweile war der Wind stärker geworden und hatte gedreht. Statt ihr frontal entgegenzublasen, kamen die Böen jetzt von der linken Seite und drohten, das leichte Sportmotorrad umzuwerfen. Und zusammen mit dem Wind kam der Sand. "Andrej! Antworte, verdammt!", schrie sie in ihr Mikrofon, doch das erhoffte Rauschen an ihrem Ohr blieb aus.
Verzweifelt hielt die junge Frau Ausschau nach einer Gelegenheit, ohne mehrere Knochenbrüche aus der Situation herauszukommen.
Der Sand links und rechts der Fahrbahn war nicht hoch genug, um einen Sturz zu dämpfen, abgesehen davon wurde die dünne Schicht bereits vom Wind abgetragen. Bäume oder Buschwerk wuchsen in der Stadt kaum, und wenn doch, waren sie nicht dicht genug.
Sara richtete sich im Sattel auf, um zumindest durch den Luftwiderstand ihres Körpers ein wenig Geschwindigkeit zu verlieren. Halbherzig versuchte sie währenddessen, Andrej anzufunken, doch seine Antwort blieb jedes Mal aus.
"Warte nur, wenn ich lebendig zurückkomme, ich reiße dir den Arsch auf, du dreimal verfluchter..." schimpfte sie lautstark.
Ihre Beschimpfungen wurden immer ausgeschmückter, während sie weiterhin mit halsbrecherischer Geschwindigkeit geradewegs in Richtung Stadtkern fuhr. Unsicher löste sie ihre rechte Hand vom Lenker, die Augen starr auf die Straße gerichtet, und tastete nach dem Holster an ihrer Hüfte, um sich zu vergewissern, dass sie ihre Pistole vor der Abfahrt darin verstaut hatte.
Ihre Augen wanderten zur Tankanzeige, die sie, entgegen ihrer Hoffnungen, hämisch darüber informierte, dass der Tank noch halb gefüllt war. Leerfahren konnte sie die Maschine also nicht. Mittlerweile begann sie, das Motorrad zu hassen.
Sie erreichte den Stadtkern, der früher einmal die Marktbuden der fahrenden Händler aufgenommen hatte, mittlerweile jedoch langsam wieder von der Natur zurückgefordert wurde.
Dumpf hallte das Röhren der Maschine unter ihr von den nackten Betonwänden der Hochhäuser wieder, die den Marktplatz einrahmten. Sara konzentrierte sich jetzt nicht mehr auf die Instrumente des Motorrads, sondern nur noch auf die Fahrbahn vor ihr, die jetzt nicht nur rissig war, sondern auch an mehreren Stellen von Pflanzen durchbrochen wurde.
Ein Fehler, ein übersehenes Grasbüschel oder ein Ast und sie würde die Kontrolle verlieren, was höchstwahrscheinlich tödlich enden würde.
Die Vorstellung gefiel ihr gar nicht. Das Motorrad donnerte weiterhin ungerührt über die ehemalige Hauptstraße, der Marktplatz lag schon längst hinter Maschine und Reiterin.
Der Klang des Motors, zurückgeworfen von den Hauswänden links und rechts von ihr, hörte sich für Sara wie das brüllende Gelächter eines Riesen an, der sich über ihre Situation lustig machte.
Urplötzlich tauchte aus einer Gasse auf ihrer rechten Seite eine vermummte Gestalt auf. Sara hätte vor Schreck beinahe den Lenker herumgerissen und damit ihre Fahrt sowohl für sich als auch das Motorrad unter ihr sehr endgültig beendet, im letzten Augenblick jedoch realisierte sie die Gefahr, die mit diesem Reflex einherging, und unterdrückte ihn.
Der kurze Blick in den Seitenspiegel verriet ihr, dass die Gestalt verschwunden war. Sie fühlte das Blut in ihren Schläfen pochen und überlegte, was sie weiterhin tun sollte.
Versuchsweise zog sie noch einmal am Bremshebel, wie erwartet wurde das Motorrad nicht langsamer. "Positiv denken... bei der nächsten Gelegenheit tauschst du das Teil gegen ein Taschenmesser oder irgendwas anderes harmloses...", sprach sie sich selber Mut zu. Die hämische, pessimistische Stimme in ihrem Hinterkopf hielt dagegen. "Du wirst draufgehen. Und Andrej hat, was er wollte."
Die junge Frau versuchte, den gedanklichen Dialog zwischen ihren angeborenen optimistischen und pessimistischen Stimme zu ignorieren.
Umdrehen... das war die Lösung. Sofort hielt sie nach einer Wendemöglichkeit Ausschau, die sie auch mit über 100 Sachen, wie ihr der erneute Blick auf die Tachonadel bestätigte, wahrnehmen konnte.
Das Adrenalin, was ihr Körper kontinuierlich ausschüttete, seit die Bremsen den Dienst verweigert hatten, ließ ihre Atmung flach werden, als sie an einem Hinweisschild vorbeiraste, das auf ein nahes Parkhaus aufmerksam machen sollte. "Alles oder nichts," sagte sie sich unsicher, während sie schwer schluckte und den Griff um den Lenker der Sportmaschine so fest schloss, dass sie ihre Fingerknöchel knacken hörte, trotz des Lärms, den das Motorrad verursachte.
Die Einfahrt des Parkhauses kam in Sicht. Sara betete stumm zu irgendeinem Gott, der gerade nichts zu tun hatte und hoffentlich dafür sorgen würde, dass sie das alles unbeschadet überlebte.
Gerade, als es zu spät war, um noch den Kurs zu ändern, fiel ihr ein, dass Parkhauseinfahrten mit Schranken gesichert waren.
Ihre Einbildung zeigte ihr bereits, wie das leichte Motorrad unter ihr ungerührt weiterfuhr, während sie von der uralten Schranke abprallte und sich alle Rippen brach. Zu ihrer geringen Erleichterung jedoch stellte sie eine Hundertstelsekunde später fest, dass die Schranke nicht mehr vorhanden war. Beinahe im gleichen Moment schoss sie bereits ins schummrige Dunkel des leerstehenden Parkhauses.
Sie lehnte sich zur Seite, um die Maschine in eine Kurve zu zwingen, nachdem sie gespürt hatte, wie sie die Schräge zum Kellergeschoss des Parkhauses hinabfuhr. Sie riss panisch die Augen auf, als vor der Sportmaschine der Boden verschwand und sie zur Seite kippte. „Zuviel Gewicht.“, schoss es ihr durch den Kopf. Das Motorrad verlor erst mit dem Vorderrad, dann mit dem Hinterrad den Bodenkontakt und Mensch und Maschine flogen rutschten über den unnachgiebigen Beton.
Für einige Sekunden hatte Sara das Gefühl, am Schock gestorben zu sein, noch bevor sie auf dem Boden auftraf. Ihr wurde schwarz vor den Augen, die Zeit schien stehenzubleiben.
Dann kehrte die Realität mit unverminderter Härte zurück. Sie schlug hart auf ihrer Seite auf, die Wucht des Aufpralls presste ihr die Luft aus den Lungen, während sich ihr linkes Bein schmerzhaft zwischen der Sportmaschine und dem Boden einklemmte. Sie überschlug sich, wurde herumgewirbelt wie eine weggeworfene Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte.
Wie durch ein Wunder kam ihr Kopf nicht in Kontakt mit dem Boden, zumindest nicht auf den ersten Metern ihres Sturzes. Allerdings knallte sie mit der Stirn an eine Wand des Parkhauses, was ihre schmerzhafte Rutschpartie zumindest beendete.
Wie im Delirium grinste sie und betrachtete, wie das Motorrad auf der Seite und mit ohrenbetäubendem Kreischen über den rissigen Betonboden schlitterte, Plastik und Metall der Verkleidung wie auch der Komponenten splitterten gleichermaßen unter der Belastung. Mit einem letzten Röcheln erstarb der Motor, der Benzintank gluckerte, während sich die Bestandteile der Maschine weiterhin über das Kellergeschoss verteilten. Im Anschluss an diese Kakophonie kehrte Ruhe in dem verlassenen Gebäude ein. Sara schloss kurz die Augen und zwang sich mit aller Kraft, nicht ohnmächtig zu werden. Die junge Frau beschloss, ihren immer schwerer werdenden Augenlidern zum Trotz, sich so gut wie möglich auf Verletzungen zu untersuchen, während sie sich die gesplitterte Schutzbrille vom Kopf zog.
Das Aufstehen versuchte sie gar nicht erst. Der stechende Schmerz in ihrem Oberschenkel hielt sie bereits von dem Gedanken daran ab. Vorsichtig betastete sie ihren restlichen Körper.
Ihre Protektoren waren unter der Wucht des Aufpralls gesplittert, hatten jedoch ihre Schuldigkeit getan – sie schien sich keine schweren Verletzungen an ihren Gelenken zugezogen zu haben. Dafür aber hing ihr linker Arm schlaff an ihrer Seite hinab.
Eine Berührung später bestätigte sich ihr Verdacht, als der Schmerz wie flüssiges Magma durch ihre Adern schoss.
Saras Atmung wurde schwer, sie lehnte ihren pochenden Kopf gegen den kühlen Beton hinter sich.
Allen Anscheins nach hatte sie sich bei dem Sturz den Arm ausgekugelt, eine Verletzung, mit der sie auf jeden Fall aufgeschmissen war.
Wider ihre Vernunft versuchte sie, aufzustehen. Der stechende Schmerz in ihrem Bein ließ sie jedoch unvermittelt aufschreien und wieder zurücksinken, bevor der Körper der jungen Frau endgültig beschloss, den Tribut für den Unfall einzufordern.
Sara wurde schwarz vor Augen, ihr Körper erschlaffte.
Mehrere Meter weiter, beim Wrack des Motorrads, dessen Räder sich immer noch drehten, erklang ein leises Piepsen.


24.07. 2106, 16:26

Immanuel hetzte die Strasse in derselben Richtung entlang wie der Motorradfahrer, der wenige Minuten vorher an ihm vorbeigezogen war.
Das Donnern des Motors hatte er schon aus weiter Entfernung gehört, trotzdem hatte ihn das plötzliche Auftauchen der vermummten Gestalt und vor allem die Geschwindigkeit genug erschreckt, dass er sich mit einem Hechtsprung zurück in die Gasse gerettet hatte.
Das Schicksal hatte ihn damit belohnt, dass er sich trotz der Tatsache, dass er sich abgerollt hatte, sich die linke Schulter geprellt hatte, was sich bei seinem jetzigen Lauftempo schmerzhaft bemerkbar machte.
Der dumpfe Hall einer Explosion in nicht allzu weiter Entfernung ließ ihn trotz seiner schmerzenden Schulter noch schneller laufen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass er helfen konnte, trotzdem wollte er es zumindest versuchen.
Dort, wo die Strasse einer plötzlichen Linkskurve folgte, stand ein verlassenes, baufälliges Parkhaus, aus dessen Einfahrt sich jetzt eine dichte Rauchfahne kräuselte und im leichten Wind zerfaserte.
Die Bauweise des Gebäudes in Kombination mit dem Rauch und dem schwachen Leuchten eines Feuers aus dem Inneren gaben dem Anblick etwas infernalisches. Während er sein Lauftempo weiterhin scharf anzog, schüttelte er im Geiste den Kopf. Mit diesem Tempo in eine derartige Höhle zu preschen, grenzte an Selbstmord. So dumm konnte niemand sein.
Kurz vor der Einfahrt blieb er stehen. Trotz der dicken Rauchfahne entschloss er sich dazu, im Inneren des alten Gebäudes nach dem Rechten zu sehen. Er zog den Knoten seines Atemschutzes im Nacken fester, atmete tief durch und lief gebückt in das Parkhaus hinein.
Der Feuerschein kam aus dem unteren Parkdeck. Immanuel kniff kurz die Augen zusammen, blinzelte einige Tränen weg, die ihm durch den beißenden Rauch in die Augen gestiegen waren, und warf einen Blick auf das Inferno.
Überall auf dem unteren Deck lagen einzige Bruchstücke von Metall und Plastik verteilt, der Großteil von ihnen verkohlt oder teilweise geschmolzen. Die Spuren auf dem Boden sprachen dafür, dass das Motorrad über den Boden geschliffen war.
Das jedoch erklärte die Explosion nicht. Vor allem aber erklärte es nicht die Tatsache, dass kein Wrack mehr zu erkennen war. Motorräder explodierten nicht, wenn sie über die Strasse geschliffen wurden. Fremdeinwirken war die einzig sinnvolle Erklärung.
Der junge Mann kniff die tränenden Augen zusammen und ließ den Blick prüfend über das Inferno schweifen. An einer Wand, etwa zehn oder fünfzehn Meter vom Explosionsherd entfernt, entdeckte er eine zerlumpte Gestalt.
Ohne Nachzudenken lief er auf den zusammengesunkenen Menschen zu, warf sich dessen ohnmächtigen Körper über die Schulter und sprintete, so gut es ihm möglich war, aus dem Parkhaus.
Draußen angekommen riss er sich das Tuch von Mund und Nase und atmete erleichtert die frische Luft ein, bevor er seinen Passagier vorsichtig auf das raue Pflaster unter ihm legte.
Zunächst betrachtete er den Körper.
Die zerrissene Kleidung offenbarte ihm, dass es sich mit ziemlicher Sicherheit um eine rußverschmierte Frau handelte.
Ihre Jacke hing in Fetzen an ihr herunter, darunter trug sie ein abgewetztes und stellenweise, besonders am unteren Saum, durchlöchertes Hemd. Von ihrem Hals aus hing eine Infektionsmaske an ausgeleierten Zugbändern auf die Pflastersteine.
Immanuel riss sich zusammen. Vorsichtig legte er zwei Finger an ihren Hals und suchte ihren Puls.
Es hatte den Anschein, dass er eine Leiche gerettet hatte. Der junge Mann schloss in stummem Gebet die Augen, während er es an ihrer Schläfe erneut versuchte.
Und tatsächlich, diesmal spürte er den Herzschlag der Unbekannten, zwar schwach, aber definitiv stark genug, um wieder zu Kräften zu kommen.
Nachdem er festgestellt hatte, dass er nicht gerade eine Tote untersuchte, schaltete sich sein egoistischer Überlebensinstinkt wieder ein.
Vorsichtig löste er die Pistole an ihrer rechten Hüfte aus ihrem Holster und verstaute sie in einer Tasche am Bein seiner Hose. Er klopfte den Körper umsichtig ab, ohne noch weitere Waffen entdecken zu können.
Nachdem er auch diese Untersuchung beendet hatte, betrachtete er die ohnmächtige Frau nachdenklich. Ihre Jacke und Hose waren von dem Unfall zerrissen, allerdings konnte er keine offenen Brüche oder Schürf- und Schnittwunden entdecken.
Wahrscheinlich hatten die gesplitterten Protektoren einen Teil der Wucht des Aufschlages abgefangen – die Risse in der Kleidung lagen genau über den Hartplastikteilen der Schutzkleidung.
Einige Augenblicke lang kniete er ratlos neben der Ohnmächtigen, deren Bauch sich mittlerweile erkennbar hob und senkte.
Immanuel wusste genug über den menschlichen Körper, um davon auszugehen, dass regelmäßiges Atmen ein gutes Zeichen war. Er überlegte eine Weile, während er die schlafende Frau betrachtete.
Er könnte sie hier liegen lassen. Dann würden vermutlich andere Plünderer ihren Körper finden und sie mitnehmen.
Andererseits war das Risiko groß, dass ein Rudel wilder Hunde sie vorher fand. Und diese würden garantiert nicht über die Konsequenzen ihres Tuns nachdenken, sondern sich über eine leichte Mahlzeit freuen... ebenso wie die Ratten.
Der junge Mann seufzte schwer. Es schien ihm beinahe so, als wäre er die einzige Rettung für diese Frau.
Sicher, er konnte sie mitnehmen, aber er hatte kaum genug Platz für sich selbst in seinem Bunker, Nahrung dagegen war sicherlich genug für zwei Personen vorhanden.
Immanuel stand auf. Er hatte seine Entscheidung getroffen.
Der Plünderer streckte sich kurz, bevor er sich zu der ohnmächtigen Frau hinunterbeugte, sie an den Armen in eine aufrechte Position hob und sich schließlich ihren Körper auf den Rücken zog.
Er beugte sich leicht vor und hakte seine Arme unter ihre Oberschenkel. Langsam, aber stetig, begann er den Weg zurück zu seinem Heim.


24.07. 2106, 21:09

Sara hustete ausgiebig. Durch ihren Körper brandete ein wahres Feuerwerk von Schmerzen, besonders in ihrer linken Körperhälfte. Zaghaft hob sie die rechte Hand und tastete vorsichtig über ihren Arm.
Der Schmerz wurde stärker, sie zog schnell die Hand wieder zurück und stieß prompt mit dem Ellenbogen gegen ein für sie unsichtbares Hindernis. Fluchend rieb sie das Gelenk an ihrer Seite, während sie versuchte, die Schmerzen zu ignorieren, die mittlerweile auch ihre Wirbelsäule entlangkrochen.
Als ihr das so gut wie möglich gelungen war, nahm ihr Gehirn sich Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Sie lebte noch. Das war gut. Glaubte sie zumindest. Das bedeutete, dass es doch noch Götter gab.
Unvermittelt schmunzelte die junge Frau. Abgesehen davon... lag sie im Dunkeln auf einer Matratze, unter einer Decke und im Warmen.
Ruckartig riss sie die Augen auf. Ihre letzten Erinnerungen betrafen einige unliebsame Bekanntschaften ihres Körpers mit Beton, Metall und Plastik, aber sicherlich keine Matratzen oder Decken. Fieberhaft versuchte sie, sich an weiteres zu erinnern, aber der Versuch schlug fehl.
Ihr Gehirn lieferte lediglich Empfindungen, nicht aber die dazugehörigen Bilder.
Sie erinnerte sich an Schmerz. Dann an Hitze. Plötzliche Kälte. Dann wieder Schmerzen. Eine Menge Schmerzen.
Nach und nach tröpfelte ihr Gedächtnis zurück. Andrej, dieser miese, verräterische Hund, hatte versucht, sie loszuwerden.
Sie lachte bitter. Zumindest teilweise war ihm das geglückt. So schnell würde er sie nicht wiedersehen. Und wenn er sie wiedersehen sollte, würde es ein kurzes Treffen sein.
Ein weiteres Puzzleteil tauchte an der Oberfläche ihres Gedächtnisses auf. Ihre Waffe. Sie hatte auf dem Motorrad danach getastet und sie sicher verstaut in ihrem Hüftholster gefunden. Ihre rechte Hand tastete vorsichtig an ihrem Körper entlang. Da war das Holster. Ohne die Pistole. Im Geiste schlug sie die Hände vor die Augen.
Ihrem Körper dagegen war nach etwas lauterem zumute. „Fuck!“, schrie sie in die Dunkelheit. „Fuck, fuck, fuck!“
Immer und immer wieder schrie sie ihren Protest hinaus, bis sie schwer atmend still lag und sich zumindest etwas besser fühlte.
Sicher, die beste Idee war das nicht. Trotzdem half es ihr. Der Gedanke, verletzt und ohne eine Möglichkeit zur Selbstverteidigung im Dunkeln zu liegen und darauf zu warten, dass irgendetwas passierte, behagte ihr gar nicht.
Aber genau das war das einzige, was sie tun konnte.
Probehalber versuchte sie, ihr linkes Bein anzuwinkeln. Ihr Bein protestierte mit einer Schmerzwelle, die durch ihren ganzen Körper fuhr und sie aufstöhnen ließ.
„Kein Auslauf für dich, Baby.“, ahmte sie Andrejs Stimme nach, während sie spürte, wie sich Tränen der Verzweiflung in ihre Augen stahlen.
In einiger Entfernung, gedämpft durch für sie unsichtbare Hindernisse, hörte sie ein Geräusch. Es klang so, als würde sie Besuch bekommen. Verzweifelt ging sie im Kopf die wenigen Optionen durch, die ihr blieben.
Sie konnte liegen bleiben und böse aussehen. Oder sie blieb liegen und versuchte, nicht da zu sein.
Damit war ihre Liste am Ende.
Während sie den Schritten lauschte, die immer näher kamen, ging ihr Geist fieberhaft die wenigen Möglichkeiten durch, die ihr sonst noch blieben. Die meisten davon beinhalteten, dass sie laufen konnte und bewaffnet war.
Die Schritte verstummten. Es knackte kurz. Jemand fluchte unverständlich, aber nichtsdestotrotz hingebungsvoll. Es ertönten einige dumpfe Schläge.

Das kleine Mädchen in Saras Kopf hatte sich schon längst bis zur Nasenspitze in seine Decke eingewickelt und saß hellwach in einer Zimmerecke.
Auf die Schläge folgten einige Augenblicke der Stille, dann knackte es erneut, diesmal jedoch begleitet von weiteren dumpfen Schlägen, weniger als vorher diesmal, aber mit weit mehr Hingabe ausgeführt.
Das Knacken wich ohrenbetäubendem Kreischen, das Sara unwillkürlich an ihren Unfall mit dem Motorrad erinnerte. Ihre Fantasie malte die abenteuerlichsten Bilder in ihrem Kopf, während die junge Frau angestrengt in die Dunkelheit starrte und versuchte, zumindest irgendetwas zu finden, mit dem sie sich verteidigen konnte. Sie fand nichts und beschloss, sich einfach schlafend zu stellen.
„Dreimal verfluchtes Ding“, erklang leise eine Männerstimme einige Meter vor ihr aus dem Dunkeln. Wieder schwang ihre Fantasie begeistert den Pinsel – so viel Material bekam sie selten. In Saras Kopf entstand ein Bild von einem missgestalteten, alten Einsiedler, der nur noch ein Auge hatte und sich maßlos über weibliche Gesellschaft freute.
Leise Schritte, wieder das Kreischen von Metall auf Metall. Ein weiterer dumpfer Schlag, dann wieder Stille. Die Schritte wanderten vorsichtig durch die Dunkelheit, es raschelte leise in der Nähe von Saras Füßen, dann war die Luft erfüllt von anhaltendem Knattern – wieder erinnerte sich die junge Frau an das Motorrad.
Ohne jede Vorwarnung sprang plötzlich eine Glühbirne in Aktion und blendete sie. Schützend hielt Sara sich ihre rechte Hand vor die Augen, bevor ihr klar wurde, dass sie sich soeben verraten hatte.

„Ah, du bist wach. Sehr gut.“ Verdammt. „Ich war mir nicht sicher, ob du heute noch aufwachen würdest.“ Wie bitte?
Sara blinzelte, während sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnten und sie gleichzeitig versuchte, sich zu orientieren. Irgendwo links von ihr, wieder in der Nähe ihrer Füße, ertönte ein undefinierbares Geräusch. Es klang wie ein Kleidersack, den jemand abstellte.
„War ein ziemliches Chaos im Parkhaus. Hast Glück gehabt.“ Auf diese Worte folge eine kurze Stille. Die junge Frau spürte, wie sie betrachtet wurde.
„Stumm? Kein Problem. Ich bin ohnehin niemand, der dauernd reden muss. Das macht die Einsamkeit. Man gewöhnt sich dran.“
Also doch der Einsiedler. Verdammt.
Saras Augen hatten sich noch immer nicht an das Licht gewöhnt, trotzdem nahm sie die Hand zurück und stützte sich vorsichtig auf ihren Ellenbogen, um den Sprecher dieses Monologes sehen zu können. Ihr linker Arm protestierte bei dieser Behandlung auf die einzige Art, die ihm einfiel, und sie sank fluchend zurück auf die Matratze.
„Doch nicht stumm. Auch gut. Ich bin kein Arzt, aber ich vermute, du hast dir das Bein gebrochen und den Arm verrenkt oder ausgekugelt. Keine Ahnung, welcher Teufel...“, es folgte kurzes Schweigen, von leisem Rascheln unterbrochen, „dich geritten hat, mit so einem Tempo in unbekanntes Terrain zu fahren.“ Der Unbekannte seufzte leise. „Tja... ich habe ein wenig Benzin besorgt. Heute ist es zu spät, du wirst die Nacht über hier bleiben müssen... morgen bringe ich dich zu einem Arzt. Wehe, du verblutest oder sowas, dann bekommst du Ärger. Kapiert?“ Sara nickte schwach. Normalerweise war sie nicht diejenige Art von Mensch, die schnell nachgab, aber dieser Mann hatte von einem Arzt gesprochen. Das klang gut.
Abgesehen davon duldete der Tonfall der Stimme keinen Widerspruch. Der Unbekannte sprach weiter. „Du schläfst auf der Matratze... ich passe die Nacht über auf. Wenn du durstig bist, links von dir steht ein Becher mit Wasser. Wenn du... irgendwelche anderen Bedürfnisse hast, musst du die bis morgen früh unterdrücken. Das wär's. Gute Nacht.“
Saras Hals entrang sich ein leises „Gute Nacht.“
Nacht. Schlafen. Müde. Unendlich... Müde...


24.07. 2106, 22:12

Immanuel betrachtete nachdenklich die junge Frau auf seiner Matratze. Er hatte sie angelogen. Das war falsch. Zwar hatte er tatsächlich Benzin beschafft, nachdem er die Ohnmächtige in sein Zuhause geschleppt hatte. Aber er würde sie nur zum nächsten Stamm bringen können. Und soweit er wusste, gab es dort keinen Arzt.
Mit etwas Glück kannten die Menschen dort jemanden, der sich ein wenig mit Anatomie auskannte und wusste, wie man Knochenbrüche schiente und Arme wieder einrenkte.
Oder zumindest jemanden, der irgendwann einmal etwas davon gehört hatte und sich hoffentlich richtig daran erinnerte. Auf jeden Fall gab es dort aber jemanden, der wusste, was Arme und Beine waren und zumindest Ratschläge geben konnte, die nicht allzu falsch waren.
Der junge Mann seufzte schwer, während er der Unbekannten bei ihrem unruhigen Schlaf zusah. Er würde sich etwas überlegen müssen. Seine Notlüge, um sie nicht noch weiter zu verstören, hatte funktioniert, aber wie würde sie reagieren, wenn sie herausfand, dass er gelogen hatte?
Er wollte gar nicht genauer darüber nachdenken. Diese Frau hatte ein unglaubliches Temperament. Er hatte ihre Schreie durch alle Korridore des Bunkers gehört.
Immanuel verschränkte die Arme vor der Brust und ging seinen Tag im Kopf durch.
Die Bilanz enttäuschte ihn. Zwar hatte er eine unbekannte Frau vor dem Erstickungstod gerettet und endlich eine Stahlplatte gefunden, die er über den Eingang seines Bunkers legen konnte, aber ansonsten hatte er nicht viel geschafft.
Die wenigen Wertsachen, die er gefunden hatte, musste er gegen einen Benzinkanister eintauschen, um die Frau zu einem Arzt zu bringen. „Oder zumindest zu jemandem, der sich dafür hält“, meldete sich sein schlechtes Gewissen wieder.
Für das Benzin hatte er sogar noch einige weitere Wohnungen durchsuchen müssen, bis er eine Handvoll Hosen und Hemden gefunden hatte.
Den Großteil des Benzins hatte er sich jedoch mit einem anderen Fund verdient. In einer, wahrscheinlich schon vor der Katastrophe, heruntergekommenen kleinen Wohnung war er auf einige Faustfeuerwaffen mit dazugehörigen Munitionsstreifen gestoßen. Das dreckige Spritzbesteck, das neben den Waffen auf dem verstaubten Tisch gelegen hatte, hatte er geflissentlich ignoriert. Man hörte immer wieder von Menschen, die sich Medikamente, die sie fanden, in der Hoffnung spritzten, dass sie irgendwelche Schmerzmittel oder Betäubungsmittel entdeckt hatten. Immanuel hatte schon mehrere Male Leichen gefunden, in deren bleichen Armen benutzte Spritzen steckten, die Gesichter mit verklärtem Grinsen zurückgelehnt. Bei vielen von diesen hatte er am Inhalt der Spritzen gerochen, nur um festzustellen, dass der oder die Betreffende sich Hustensaft in die Venen gejagt hatten. Manche dieser „Fixer“, so hatte sein Vater sie immer genannt, waren jedoch intelligenter und fanden tatsächlich das, was sie suchten. „Diese Menschen sind gefährlich. Sie gehen über Leichen, wenn sie dafür an ihre Drogen kommen.“, hallte die Stimme des alten Mannes durch seinen Kopf.
Da er bereits die Pistole der Frau an sich genommen hatte, ohne damit umgehen zu können, hatte er eine der Waffen mit ein wenig Munition für sich behalten und die anderen beiden eingetauscht.
Er hoffte, dass dadurch keine Unruhe unter den anderen Überlebenden entstand – andererseits besaßen diese auch vorher schon Schusswaffen, wie die Leibwachen des Stammesoberhauptes bei jedem von Immanuels Besuchen einschüchternd unter Beweis stellten.
Nachdenklich kratze der junge Plünderer sich am Kinn, während sein Blick wieder von der neutralen Wand zu der mittlerweile ruhig und vor allem tief schlafenden Frau wanderte.
Wie hypnotisiert hingen seine Augen an ihren Lippen, die sich unmerklich bewegten, als würde sie im Schlaf sprechen.
Er schüttelte den Kopf, um die haarigen, primitiven Gedanken loszuwerden, die gerade aus ihrer Höhle in seinem Kopf gekrochen waren und sich ausgiebig streckten. So etwas wäre falsch. Er hatte sie schon belogen, das war genug.
Er überkreuzte seine Füße, streckte sich auf dem Hocker aus, auf dem er sich vor über einer Stunde niedergelassen hatte, und lehnte sich gegen die kühle Betonwand.
Morgen würde er einen Arzt finden.
Und mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein.


25.07. 2106, 13:14

Alfred beobachtete misstrauisch den jungen Mann, der ihm gegenüber an dem kleinen Tisch saß. Dieser hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und musterte ihn freundlich lächelnd. „Nur zu, entscheiden sie sich.“, sagte er gerade.
Der Blick des gealterten Clanoberhauptes wanderte zu den drei verbeulten Aluminiumbechern in der Mitte des Tisches. Während er auch diese betrachtete, spukten ihm verschiedene Gedanken im Kopf herum. Er wusste genau, unter welchem der Becher der Mann, der sich ihm als Wesley vorgestellt hatte, die Patronenhülse versteckt hatte.
Doch das Lächeln seines Gegenübers verunsicherte ihn.
Genug Bewohner des Komplexes hatten schon gegen diesen Mann verloren, und Glücksspiel war eigentlich verboten. Trotzdem wollte er sich den Mann einmal genauer ansehen, um sich selbst ein Bild machen zu können.
Er reflektierte kurz, was er über den wie geleckt wirkenden Spieler wusste. Er war einer der Nomadengruppe, die vor wenigen Tagen in Zuflucht 14 angekommen waren. Sie alle hatten ihre Vorräte aufgefüllt und wollten noch einige weitere Tage bleiben.
Alfred stand Besuchern normalerweise misstrauisch gegenüber, allerdings hatten ihm bereits andere Stammesoberhäupter von den guten Absichten der Nomaden informiert.
Der einzige der Gruppe, der bei mehreren Gelegenheiten negativ aufgefallen war, war Wesley. Und genau davon wollte Alfred sich nun überzeugen.
Er tippte auf den mittleren Becher, nachdem er den Blick seines Gegenübers erneut gesucht hatte. Wesley folgte seiner Bewegung mit den Augen und grinste breit.
„Tut mir Leid, Mr. Alfred.“ Er langte nach dem rechten Becher. „Aber die Hülse liegt hier.“
Damit hob er den Becher an und betrachtete zu seiner Verblüffung den leeren Tisch darunter.
Diesmal grinste Alfred und entblößte dabei einen fehlenden Schneidezahn. „Tut mir Leid, Mr. Wesley. Versuchen sie es doch noch einmal...“ Die beiden Leibwachen hinter Alfred traten langsam einen Schritt näher, ohne dass Wesley sie bemerkte. „Das... das kann nicht...“, stammelte der junge Mann, während er den linken Becher anhob.
Doch auch hier erwartete ihn nicht etwa die korrodierte Messinghülse, sondern ein weiteres Mal die ausgeblichene Oberfläche seines alten Campingtisches.
Fahrig wischte sich der junge Amerikaner einen Schweißtropfen von der Stirn, nachdem sein Blick zum gewinnend lächelnden Alfred huschte, der mittlerweile von seinen beiden schrankförmigen Leibwächtern flankiert wurde, die ihre Schrotflinten bedrohlich in den Händen hielten.
Alfred löste langsam die Finger vom mittleren Becher. Er wusste, wie Wesley spielte. „Nur zu, Mr. Wesley,“ imitierte er genüsslich den Akzent seines Gegenübers, während er sich zurücklehnte und interessiert betrachtete, wie der Taschenspielertrick des Amerikaners nach hinten losging.
Wesley wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn. Dieser alte Sack hatte ihn durchschaut. Zitternd streckte er den Arm aus, um den mittleren Becher zu heben.
Alfred nahm fürsorglich seine Hand und sah ihm in die Augen. „Junge... ich warne dich. Du wirst nicht auf diesen Becher klopfen. Wenn doch, verteilt sich dein Hirn an der Wand hinter dir.“ Leise klickend entsicherten die Leibwachen ihre Waffen. „Das gleiche passiert, wenn du nicht klopfst und keine Patronenhülse unter deinem Becher liegt.“, fuhr Alfred gelassen fort. „Ich lasse dir die Wahl... pack' dein Zeug zusammen und verschwinde mit deinen Freunden, oder setz' dein Leben auf dieses Spielchen...“
Alfred ließ die zitternde Hand des Amerikaners los, lehnte sich wieder zurück und betrachtete Wesley interessiert.
Dieser schluckte trocken, nahm den kleinen Koffer, in dem er Tisch und Becher verstaute, nickte den drei Männern zu und drehte sich auf der Hacke um.
Gezwungen ruhig schritt er den Gang entlang, weg von diesem fürchterlichen alten Sack. Unbewusst wählte er den richtigen Weg aus dem unterirdischen Komplex, trat an die frische Luft und schritt durch den Sand zu seinen Mitreisenden.
Einige der Frauen räkelten sich auf den aufgeheizten Motorhauben der alten Armeefahrzeuge, die meisten Männer saßen unter improvisierten Zelten und spielten Karten oder dösten in alten Liegestühlen vor sich hin.
Sami, eine der Frauen, die sich nicht sonnten, stellte sich auf die Ladefläche des Pickups, auf der sie gelegen hatte, und winkte ihm lautstark grölend zu. „Wiesel! Hierher!“
Gleichzeitig mit dieser Begrüßung sahen schon die ersten Nomaden in seine Richtung. Zu seiner Verwirrung schienen sie jedoch an ihm vorbeizustarren. Er drehte sich um und fiel beinahe über seine Füße, als er zu laufen begann, während sein Blick noch nach hinten gerichtet war.
Alfreds Stimme drang laut an sein Ohr. „Wiesel, ja? Ein schöner Spitzname.“ Hinter Wesley ertönte eine Explosion und schrilles Pfeifen, während neben ihm einige kleine Staubwölkchen aufgewirbelt wurden, als die Schrotkugeln in der Sandschicht einschlugen.
Der junge Amerikaner stolperte, warf den Ballast – seinen Koffer – von sich, um den Sturz zu verhindern.
Die Nomaden hatten mittlerweile begriffen, was vor sich ging, einige der Geistesgegenwärtigeren hatten bereits Planen und Klappmöbel verstaut und warfen die Maschinen an.
Wesley rannte auf Samis Pickup zu, als hinter ihm ein weiterer Schuss fiel. Wieder ertönte Alfreds Stimme. „Lauf, Hütchenspieler. Das nenne ich ein Spiel!“
Ein stechender Schmerz durchfuhr die Schulter des Amerikaners, die Wucht des Einschlages brachte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht. Er zwang sich dazu, weiterhin auf die geöffnete Beifahrertür zuzurennen, während Sami ihm grinsend von ihrem Fahrersitz aus Parolen wie „Renn', Wiesel, renn'!“ zurief.
Der junge Mann hechtete ins Innere des Wagens als Sami das Gaspedal durchtrat, ihn am Hosenhund packte und ihn ungeachtet seines Protestes, in die Kabine zog, bevor sie die Tür zuschlug und weitere Projektile gegen die Panzerung prasselten.
Während der Motor lauter aufröhrte, setzten sich auch die anderen Wagen in Bewegung.
Die junge Frau betrachtete den Amerikaner grinsend, während dieser mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Schulter betastete. „Was hast du diesmal abgezogen?“, fragte sie neugierig. „Wieder deine Patronennummer, was?“ Krampfhaft verkniff sie sich das Lachen, als Wesley leise aufstöhnte. „Scheiße, das ist nicht nur eine Kugel... ja, genau die... oh Fuck, was verschießen diese Irren?“
Sami warf einen Blick aus dem Fenster zu ihrer Linken, als sie dort eine Bewegung bemerkte. Neben ihr fuhr einer der Motorradspäher der Nomaden, der ihr mit Gesten bedeutete, das Funkgerät einzuschalten, bevor er seine Maschine wendete und in ihrem toten Winkel verschwand.
„Hör' auf zu wimmern, Wiesel... schnapp' dir lieber das Funkgerät.“
Seufzend ließ Wesley von seiner Schulter ab und nahm das Gerät zur Hand, während er die Frequenz suchte. Leise knisternd drang die Stimme des Anführers an ihre Ohren. „Wiesel, Samiya, was war das wieder für ein Dreck?“
Die junge Frau lachte hell auf, Wesley versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, gab jedoch auf, als sie Anstalten machte, ihm in die Hand zu beißen. „Der Clanführer hat den Trick 'rausgefunden.“ Einige Augenblicke lang herrschte Stille auf der anderen Seite, abgesehen von den stetigen Hintergrundgeräuschen der arbeitenden Motoren.
Dann knackte das Funkgerät erneut. „Mach' dich auf was gefasst heute Abend, Wiesel.“
Der Nomadenanführer unterbrach die Verbindung.
Sami imitierte grinsend den Tonfall des letzten Satzes. „Mach dich auf was gefasst, Wiesel... oh Gott, wenn das mit dir so weitergeht, können wir uns bald nirgendwo mehr blicken lassen.“, tadelte sie Wesley unter schallendem Gelächter, während der sich aus seiner zerrissenen Jacke kämpfte.
„Sei bloß ruhig. Das ist das letzte, was ich jetzt brauchen kann... fuck, das brennt vielleicht...“
Sein Blick wanderte von dem Blutrinnsal, das von seiner Schulter mittlerweile seinen Oberkörper entlangsickerte, durch die Windschutzscheibe. „Was'n das? Ein Motorradfahrer... brems' ihn aus, würde mich interessieren, wo der hinwill...“
Sami fixierte die Staubwolke in einiger Entfernung. „Der wird schon von selbst langsamer.“ Sie griff nach dem Funkgerät. „Alle Mann halt. Uns kommt wer entgegen.“
Die junge Frau bremste den Pickup, warf einen Blick in den Rückspiegel, ob der Rest des Konvois es ihr gleichtat, und sprang schließlich aus dem stehengebliebenen Fahrzeug.
Die Verwünschungen ihres Anführers verklangen ungehört, als auch Wesley die Tür hinter sich zuschlug und interessiert den Motorradfahrer betrachtete, der in einiger Entfernung stehengeblieben war.
„Sami... der Typ hat noch 'nen Beifahrer. Sieht nicht aus, als würd's den beiden gutgehen.“

25.07. 2106, 15:49

Immanuel betrachtete das ungleiche Paar, das sich ihm langsam näherte, mit unverhohlenem Misstrauen. Die Frau trug seiner Meinung nach ein viel zu knappes, weißes Oberteil, eine dunkle Hose aus Jeansstoff und eine Schirmmütze auf den kurzen, blonden Haaren.
Der Mann dagegen hielt sich die rechte Schulter und sah, von der Tatsache, dass er stark blutete, relativ frisch aus, wenn auch ein wenig gehetzt.
Als die beiden noch etwa zehn Meter von ihm und Sara entfernt waren, beschloss er, sie am Näherkommen zu hindern. „Halt!“ schallte seine Stimme den beiden entgegen. Beinahe synchron hielten die zwei inne.
„Sehr schön. Nomaden, richtig?“
Die Frau nickte. „Habt ihr einen Arzt?“ Diesmal nickte der Mann. „Yeah, haben wir...“
Immanuel kniff die Augen zusammen und musterte seinen Gegenüber. „Amerikaner, was? Sind selten hier, mitten in Deutschland. Wenn ihr einen Arzt habt, warum verblutest du dann fast?“
Die Frau grinste. „Wiesel hier hat ein wenig zu hoch gepokert...“
Der als Wiesel vorgestellte Amerikaner schlug ihr unsanft gegen den Oberarm und quiekte schmerzerfüllt auf, als sein Körper ihn dafür tadelte, dass er seine geschundene Schulter beanspruchte. „Ich kam noch nicht dazu...“ antwortete er, und leiser; „Sami, würdest du vielleicht Emile benachrichtigen...“
Der junge Plünderer stieg von seinem Motorrad ab und achtete darauf, die schlafende Frau auf dem Sattel nicht zu wecken. „Sagt eurem Arzt, er muss noch jemanden behandeln.“
Der Amerikaner betrachtete ihn interessiert. „Dich oder deine Freundin?“
Immanuel deutete mit dem Daumen auf Sara. „Sie. Hat einen ziemlich turbulenten Tag hinter sich.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Zuflucht 14 hat keinen Arzt... liegt genau in der Richtung, aus der ihr gerade kommt.“
Wiesel rieb sich wieder die schmerzende Schulter, während er sich zu Samis Pickup umdrehte und ihr dabei zusah, wie sie das Funkgerät wieder im Armaturenbrett einhakte und den Daumen dann sichtbar in die Höhe reckte.
„Alles klar,“, rief die junge Frau den beiden Männern zu, „Emile ist auf dem Weg.“
Im Hintergrund heulte ein Motor auf, einer der Wagen kam vom Ende des Konvois vorgefahren. Auf der Motorhaube prangte ein in Neon-orange gesprühtes Kreuz.
Sami bemerkte Immanuels irritierten Blick.
„Wir hatten kein Rot.“

25.07. 2106, 16:04

Immanuel sah dem Arzt interessiert bei dessen Arbeit zu. Da Sara trotz der sehr unruhigen Fahrt auf dem Motorrad eingeschlafen war, hatten sie beschlossen, zuerst den jungen Amerikaner zu versorgen, zumal dieser bereits merklich blasser wurde.
Wesley war auf bäuchlings auf einer Liege festgeschnallt worden. Samiya kniete vor ihm, ihren Kopf auf einer Höhe mit seinem. In ihrer Hand hielt sie ein Stück von einem alten Besenstiel.
„Du kennst Emile,“ erklärte sie dem Mann gerade, „also tu' uns bitte den Gefallen und schrei' möglichst laut, alles klar?“
Wesley grunzte leise. „Den Teufel werd' ich tun... her mit dem Stock!“
Sami zuckte mit den Schultern und schob ihm den Besenstiel zwischen die Zähne. „Dann muss ich mir wohl was anderes zu tun suchen.“, sagte sie, während sie sich erhob und einen Schritt zurücktrat.
Emile, ein Italiener, wie Immanuel erfahren hatte, beugte sich über seinen Patienten. In seiner Rechten hielt er eine Pinzette.
„Also gut, Wiesel,“, schnarrte der Arzt mit unverkennbarem Akzent, „schön stillhalten.“ Vorsichtig versenkte er das Instrument in den hässlichen Löchern, die die Schrotkugeln in den Rücken des Amerikaners gerissen hatten.
Der jungen Plünderer hatte das Gefühl, dass sich die Pinzette gerade in seinen Rücken bohrte, als er dabei zusah, wie Emile arbeitete. Schaudernd wandte er sich ab.
Leider konnte er dadurch nicht die nur ansatzweise gedämpften Schreie des Spielers hinter ihm überhören.
„Der macht immer so ein Spektakel.“, hörte er unvermittelt Samiyas Stimme neben sich.
Irritiert drehte Immanuel sich zu ihr um. „Bitte?“
Die junge Frau grinste ihn belustigt an. „Wiesel. Glaubst du wirklich, das ist das erste Mal, dass er das über sich ergehen lässt?“
Der Plünderer ließ seinen Blick zu Wesley wandern, dessen zerschossener Rücken von Emile verdeckt wurde, und runzelte die Stirn.
„Nun, ich... er sieht nicht wie ein Kämpfer aus...“
Sami nickte.
„Ist er auch nicht. Er ist ein Spieler.“
„Ein Spieler?“
Die junge Frau nickte. „Er hilft Leuten dabei, Dinge abzugeben, die sie gar nicht brauchen.“ Sie lachte hell auf. „Und um ihnen das leichter zu machen, bietet er ihnen Spaß dabei.“
„Du meinst, er spielt... Glücksspiele, richtig?“
Wieder nickte die Nomadin. „Ganz genau das. Was glaubst du, woher er seinen Spitznamen hat?“
In Immanuels Geist tauchte ein dickes Buch auf, das wie von selbst zu einem Bild von einem Wiesel blätterte. „Wiesel... ein kleines, flinkes Säugetier, nicht wahr?“
Als die Antwort ausblieb, folgte der junge Mann dem Blick des Mädchens neben ihm.
Ihre Augen klebten wie hypnotisiert an Wesley. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte am ganzen Körper.
Die Schreie des Mannes waren mittlerweile anhaltendem Wimmern gewichen, Kopf, Arme und Beine hatte er zitternd auf die Liege gepresst, während der Arzt Kugel um Kugel aus seinem geschundenen Rücken hervorholte.
Immanuel kniff die Augen zusammen und räusperte sich, wodurch Samiya aus ihren Gedanken aufschreckte. „Oh... äh, genau.“
Sie musterte ihn interessiert. „Du bist der erste, der das Vieh kennt... beeindruckend.“
Der junge Mann zuckte nur mit den Schultern. „Mein Vater hat versucht, mir möglichst viel vom alten Wissen zu vermitteln. Das ist alles. Nichts besonderes...“
Die Nomadin schüttelte den Kopf. „Oh doch, Mister... und wie das etwas besonderes ist. Viele von uns kennen nur diese Welt hier... sie sind in den Bunkern zur Welt gekommen und aufgewachsen. Oder direkt an Bord der Wagen... Das hier ist normal für uns... sie, meine ich.“
Samiya verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihren Blick zurück zu Wesley wandern.
Emile hatte seinen Eingriff so gut wie beendet. Ein Junge, der aufmerksam zugesehen hatte, reichte ihm gerade einige lange Stoffstreifen, mit denen der alternde Italiener seinen Patienten verband.
Immanuel reckte sein Kinn in Richtung des Jungen. „Wer ist das?“
„Emiles Sohn, Manolo.“
Die Knappheit der Antwort verwirrte den jungen Mann, aber er beschloss, nicht näher darauf einzugehen. Er kannte die Frau nicht gut genug.
Stattdessen wanderte er zu Samiyas Pickup, in dessen Schatten er die schlafende Sara gelegt hatte.
Den Blick, den Samiya ihm hinterherwarf, bemerkte er nicht.
Auch nicht den Blick, mit dem sie den schweißgebadeten Wesley ansah, der, kaum dass er ihre Augen auf sich ruhen spürte, dem jungen Plünderer folgte und kaum merklich nickte.


25.07. 2106, 17:12

Direkt nachdem sich der Arzt der Nomaden begonnen hatte, sich um die verletzte Frau zu kümmern, trat Wesley an Immanuel heran und legte ihm freundschaftlich einen Arm um die Schultern.
„Ist nichts ernstes. Emile kriegt sie schon wieder hin, mach' dir keinen Kopf wegen ihr. Die paar Brüche und Verstauchungen... sowas behandelt der fast täglich.“
Er nahm einen tiefen Zug von der arg mitgenommenen Zigarette, die er sich vor wenigen Sekunden angezündet hatte und ignorierte geflissentlich den misstrauischen Blick, den Immanuel auf seine Hand geheftet hatte.
„Kommen wir beide lieber zum interessanten Teil.“
Der junge Plünderer löste seinen Blick von der schmutzigen Hand auf seiner Schulter und wendete sich dem Amerikaner zu.
„Interessanter Teil?“
Der Mann nickte. „Yeah. Du scheinst mir'n gut trainierter Typ zu sein. Was hältst du davon, wenn du dich mit ein paar von unseren Jungs misst, hm?“
Wesley grinste gewinnend.
„Nichts wildes. Nur ein paar Faustkämpfe. Ich wette, sowas hast du schonmal gemacht.“
Das Funkgerät an seinem Gürtel knisterte, eine abgehackte Stimme drang an die Ohren der beiden Männer. Der Amerikaner fluchte, löste das Gerät und entfernte sich einige Meter von Immanuel, bevor er den Funkspruch annahm.
„Wiesel hier, kommen Amok. Yeah. Nein, habe ich nicht. Leck' mich, Mann. Also, was liegt an... Was soll das heißen, ihr habt die Spur verloren? Seht zu, dass ihr sie wiederfindet, sonst gibt’s Ärger mit dem Meister, klar? Over!“
Entschuldigend lächelnd hakte er den klobigen Empfänger wieder in die Vorrichtung am Gürtel ein und grinste Immanuel zu, während er mit den Schultern zuckte und das Gesicht verzog. Die Wunden waren noch zu frisch, um sie so zu beanspruchen.
„Wenn man nicht alles selber macht, was?“
Wesley grinste wieder und begann, mit seinem Schatten zu boxen, während er dem jungen Mann vor sich seinen Vorschlag erneut darlegte.
„Also, Faustkämpfe. Die Regeln sind einfach, genau wie beim Boxen vor der Katastrophe. Keine Ahnung, ob du davon mal gehört hast, war im letzten Jahrhundert noch ziemlich in.“
Er hüpfte auf der Stelle und beschrieb mit seinen Händen eine schnelle Schlagfolge, die er mit einem rechten Uppercut beendete.
„Kannst auch was gewinnen, wenn du gut bist. Dein Einsatz muss nur stimmen. Wir brauchen im Moment neue Kämpfer... von uns hat keiner Lust drauf, immer gegen die gleichen Leute anzutreten, wenn man alle Tricks schon kennt.“
Er griff nach einer ledernen Weste aus der Führerkabine des Wagens hinter sich und hängte sie sich über den Arm, bevor er Immanuel seine Hand hinstreckte.
„Was meinst du dazu, hm?“
Der junge Plünderer dachte nur kurz nach, bevor er einschlug. Keine Waffen, ein gleichberechtigter Kampf.
Er konnte tatsächlich ein wenig Abwechslung brauchen. Das ewige Durchsuchen ehemaliger Wohnungen ging ihm langsam an die Substanz.. Hätte er den Kalender, den er vor einiger Zeit gefunden hatte, nicht gehabt, wäre er sich nicht einmal mehr sicher, welcher Tag heute war. Und was Wesley ihm da anbot... Vom Boxen hatte er tatsächlich bereits gehört, sein Vater hatte ihm davon erzählt und auch ein paar der Bewegungsabläufe beigebracht, falls er einmal keine Waffen zur Hand haben sollte. Außerdem hatte er bereits den Kämpfen zugesehen, die der Stamm von Zuflucht 14 zum Zeitvertreib organisierte, wenn die Kinder schliefen.
Der Amerikaner zog beinahe im gleichen Augenblick noch seine Hand weg, in dem Immanuel sie schüttelte.
„Yeah, Partner! Ich wusste, du hast 'nen Riecher für Spaß. Ich muss los, gibt noch einiges zu organisieren... bleib' in der Nähe.“

Immanuel sah ihm geringfügig verwirrt nach. Letztendlich versprach dieser Tag interessanter zu werden als die vorigen. Er sah Emile dabei zu, wie dieser Sara eine Schiene anlegte, die ihr dabei helfen sollte, das Bein wieder richtig zusammenwachsen zu lassen.
Der junge Plünderer verschränkte die Arme vor der Brust. Das Gesicht der jungen Frau sprach Bände darüber, dass ihr die Art, wie der Arzt sie behandelte, nicht sonderlich gefiel.
Immanuel zuckte mit den Schultern. Seine Entscheidung, sie zum nächsten Unterschlupf zu bringen, hatte sich doch noch gelohnt.

25.07. 2106, 21:23

Wesley flitze hektisch hin und her. Die Arena, die die anderen, kräftigeren Nomaden aufgebaut hatten, stand. Genauso wackelig wie immer, aber sie würde halten. Immer wieder kontrollierte er, dass die abgegebenen Wetten richtig notiert wurden, gleichzeitig berechnete er seine Chancen, möglichst gut abzuschneiden. Er kannte jeden der Gegner, dem der Typ mit dem Motorrad entgegentreten würde.
Seiner Vermutung nach würde dieser spätestens im dritten Kampf unterliegen, vielleicht aber schon im ersten. In jedem Fall aber gewannen die Nomaden - die beiden Männer, die Wesley am Nachmittag losgeschickt hatte, um den Motorradspuren durch den Sand zu folgen, waren mit erfreulichen Nachrichten zurückgekehrt und direkt wieder mit einem der Pickups losgezogen, ohne dass dieser „Immanuel“ etwas bemerkt hatte.
Dieser war voll in den Vorbereitungen versunken und übte nun, einige Meter außerhalb von Wesleys Sichtfeld, seine Schläge. Der Amerikaner hatte ihm dafür extra einige der Geräte der Nomaden zur Verfügung gestellt. Seine Schutzkleidung hatte er im Schatten von Samiyas Pickup abgelegt und zwischenzeitlich in der Fahrerkabine des Wagens verstaut.
Wesley grinste breit in Gedanken an die Überraschung, die er gleich miterleben würde. Faustkämpfe... nun, zumindest hatte er nur in Hinsicht auf den ersten Kampf gelogen.
Die Zuschauer auf den Rängen begannen, rhythmisch mit den Füßen auf die Metallgitter, aus denen der Boden der Tribünen bestand, zu stampfen. Sie wurden ungeduldig.
Das Klemmbrett mit den aufgeschriebenen Wetten fest an seine Brust gepresst, hetzte Wesley zu Immanuel, um ihn zu informieren, dass es bald losgehen würde.

Der junge Plünderer winkte den Nomaden zu, die ihn von den Tribünen aus anfeuerten. Rund um die alten Maschendrahtzaunstücke, die die Arena bildeten, waren große Fackeln in den Boden gerammt worden, die die sich bietende Szene bei der beginnenden Abenddämmerung ausreichend beleuchten sollten. Wesley stand hinter ihm, außerhalb des Gitters.
„Viel Glück, Champion!“
Immanuel nickte. „Danke, Wiesel. Wann geht’s los?“
„Yeah, du bist ja total angespannt... keine Sorge, ein paar Sekunden nur noch. Oh, hier... das könntest du brauchen.“
Der Amerikaner warf ein Metallrohr über den Zaun, bevor er in der Menge verschwand und Immanuel seiner Verwirrung gebührend Ausdruck verleihen konnte.
In nicht allzu weiter Entfernung erklang Hundegebell.
Der Plünderer bückte sich und hob das Rohr auf, die Augen starr auf das andere Ende der Arena geheftet. Dort, abgeschirmt von einigen Blechplatten, warteten seine Gegner, zumindest hatte Wesley ihm das erzählt. Die Zauntore öffneten sich, irgendjemand warf etwas in die Arena. Praktisch noch in der gleichen Sekunde preschte ein großer Dobermann durch den Sand, während sich hinter ihm die Tore wieder schlossen.
Der Hund stürzte sich gierig auf den Leckerbissen, der ihn zu seinem eigentlichen Ziel locken sollte. Er streckte sich auf dem warmen Sand aus und kaute auf der toten Maus herum. „Soll das dein Ernst sein, Wiesel?! Ich soll einen Hund töten?“, rief Immanuel, ohne den Blick von dem Dobermann abzuwenden. Irgendwo hinter ihm ertönte die Stimme des Amerikaners.
„Yeah, genau das, Partner. Sei mir nicht böse, aber hättest du zugestimmt, wenn ich dir das von Anfang an gesagt hätte? Keine Sorge, Mann. Ist nur der eine.“
Der Plünderer schluckte die Beleidigungen, die ihm auf der Zunge lagen, herunter und schickte stattdessen ein Stoßgebet an den ersten Gott, der ihm zuhörte.
Gebeugt ging er näher zum Hund, während er das Gewicht seiner Waffe einschätzte. Das Tier heftete seine Augen auf das Rohr und verschlang die Maus, auf der es vorher herumgekaut hatte.
Der Dobermann knurrte, als Immanuel sich ihm näherte. Die zurechtgefeilten Zähne, die er dabei präsentierte, ließen dem jungen Mann einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Den Narben auf dem Körper des Hundes nach zu urteilen, war das nicht sein erster Kampf.
Ohne Vorwarnung sprang das Tier auf Immanuel zu. Durch einen raschen Seitenschritt brachte er sich zumindest für den Moment aus der Reichweite der zuschnappenden Kiefer. Irgendwo am Rande seines Bewusstseins hörte er die Nomaden grölen.
Der Hund wendete nach seinem fehlgeschlagenen Angriff und hetzte wieder auf seinen Gegner zu. Als auch der zweite Versuch ins Leere ging, schlich das Tier mit etwa einem Meter Abstand um Immanuel herum. Das bedrohliche Knurren aus seiner Kehle ließ nicht nach, das erwartete Bellen jedoch blieb aus.
Trotz seiner Situation musste der junge Mann grinsen. „Sogar du sparst dir deine Energie. Wirklich nicht schlecht.“
Als der Dobermann wieder auf ihn zu rannte, war Immanuel vorbereitet. Er bückte sich und schleuderte dem Tier eine handvoll Sand entgegen, bevor er seinen schon bewährten Seitenschritt machte und mit dem Rohr nach dem Körper des Hundes schlug, der gerade an ihm vorbeischoss. Er traf das Tier am linken Hinterlauf, wie ihm das Winseln verriet. Immanuel wirbelte herum, um seinen Gegner nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Hund stand in einiger Entfernung von ihm im Sand und schüttelte sich, bevor er, nach einem hingebungsvollen Niesen, wieder mit gebleckten Zähnen auf den Plünderer zuhielt.
Dieser entschied sich dazu, das Tier diesmal nicht ins Leere laufen zu lassen. Stattdessen wollte er versuchen, mit einem gezielten Schlag auf die Stirn den Kampf für sich zu entscheiden. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass der Dobermann den letzten Meter springen würde. Sein Schlag gegen ein Ziel in Bodenhöhe ging daneben, geistesgegenwärtig riss er den anderen Arm hoch und spürte, wie sich die spitzen Zähne des Hundes in seinem Unterarm statt in seinen Hals versenkten. Durch das plötzliche Gewicht auf seiner Brust fiel der junge Mann in den warmen Sand. Wieder hörte er am Rande das begeisterte Brüllen der Menge auf den Tribünen, vordergründig jedoch drang nur das Knurren des Hundes an sein Ohr, der seinen Biss noch verstärkte und den Kopf wild hin und her schüttelte.
Den Blick vom Schmerz getrübt schlug er mit seinem Metallrohr auf den Hund ein. Das Knurren wich einem schmerzerfüllten Winseln und erstarb nach dem letzten Schlag in den Nacken schließlich ganz.
Immanuel hörte einige Sekunden lang nur das Rauschen des Blutes in seinen Ohren, dann jedoch drang wieder der Jubel von den Tribünen zu ihm durch. Er rappelte sich auf, legte den toten Hund vorsichtig zu Boden und reckte die Arme empor, um seinen Triumph zu feiern.

25.07. 2106, 21:46

Wesley hetzte erneut geschäftig hin und her. Nach Immanuels nicht vollkommen unerwartetem Sieg hatten die Wettquoten sich verändert. Seine Helfer wanderten bereits seit der Mitte des Kampfes über die Tribüne und nahmen neue Wetten an. Viele der Nomaden, die den jungen Mann hatten kämpfen sehen, wollten ihre Wetten ändern oder sogar streichen lassen. Davon abgesehen musste der Pickup noch entladen werden... Nichts als Arbeit. Nach einem kurzen Blick zu Emile, der den jungen Plünderer nach dem gewonnenen Kampf verarztete, verschwand Wesley im hinteren Teil des Lagers, das größtenteils aus auf Metallrohre gespannten Plastikplanen und alten Geländewagen bestand.
Hier, hinter der Arena und damit abseits von neugierigen Blicken, wurde der eben zurückgekehrte Wagen von seinen Fahrern ausgeladen. Amok, der Nomade, der Wesley vor einigen Stunden angefunkt hatte, kam dem Amerikaner mit breitem Grinsen und zwei randvollen Wasserkanistern in der Hand entgegen.
„Wiesel, sieh' dir das mal an! Wahnsinn, was der Typ alles gebunkert hat! Das waren mindestens zwei Vorratskammern voll!“
Wesley erwiderte Amoks Grinsen und blätterte die beiden Seiten mit den notierten Wetteinsätzen um.
„Also gut, Leute... was habt ihr gefunden?“
Der Mann stellte die beiden Kanister ab und richtete den Blick gen Himmel, während er an den Fingern abzählte.
„Also, wir haben mindestens 20 Kanister Frischwasser zu 30 Litern, etwa vier Paletten Dosenfutter mit Etiketten, eine ohne... Oh, und das beste kommt noch. Da war alles zugepflastert mit Zeitungsseiten und sonstigem Firlefanz von vor dem Met... Meteoro... von vor dem Einschlag! Fotoalben, ein Generator... wir haben alles aufgeladen und auch die Matratze und die Decken mitgenommen. Oh, und noch eine Menge Ausrüstung. Messer, Kleidung, sowas eben. Aber nur für eine Person, keine Ahnung, wo das Zeug von seinem Mädchen steckt.“
Wiesel notierte fleißig, während sein Helfer weiter aufzählte. Leise knirschend brach die Spitze seines Bleistifts ab und der Amerikaner starrte entgeistert auf den temporär unbenutzbaren Stummel.
„Amok, behalt's im Kopf, ich komm' später nochmal drauf zurück. Weitermachen, ich bin in ein paar Minuten wieder da... packt das Zeug in den leeren Laster.“
Er stöhnte innerlich auf, als er den verständnislosen Blick seines Gegenübers bemerkte. „Die Sprayerkarre!“
Er deutete mit weit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen der LKW, die am Rand des Lagers standen. Dieser spezielle Wagen war von den Nomadenmechanikern geländetauglich gemacht worden und einige der jüngeren Mitreisenden hatten ihrer Kreativität mithilfe von grellem Farbspray Ausdruck verschafft.
Amok nickte, als er verstanden hatte, was der Amerikaner von ihm wollte. Er rief seinem Mithelfer kurz etwas zu und nickte dann in Richtung des Transporters, bevor er sich selber auf den Weg machte, um die ersten beiden Kanister zu verstauen.
Wesley war indessen wieder auf dem Weg zurück zur Arena. In Gedanken verfluchte er weiterhin den Gott der Bleistifte. Er hatte nur eine Hälfte der Aufzählung mitschreiben können, verdammt seien Amok und seine schnelle Zunge.
Sein Laufschritt brachte ihn schneller wieder zurück zum vorderen Teil der Arena. In Gedanken versunken hatte er nicht auf seinen Weg geachtet und realisierte nur wenige Sekunden zu spät, wen er gerade beinahe über den Haufen gerannt hätte.
Zwei kräftige Hände schlossen sich um den Kragen seiner Weste und zogen ihn auf eine Höhe mit dem wutverzerrten Gesicht Immanuels.
„Faustkämpfe, ja? Gleichberechtigt? Ich habe gerade deinetwegen einen Kampfhund töten müssen, du dreckiger kleiner...“
Wesley hob beschwichtigend die Hände. „Hoo, ruhig, Partner. Das war deine Bewährungsprobe.“ Wieder fluchte er in Gedanken, diesmal jedoch wegen seiner Stimme, die ein gutes Stück höher ausfiel als normal. Er klang wie eine Ratte, der man auf den Schwanz getreten hatte. „Glaub' mir, Champion, das hat jeder hinter sich. Naja, jeder von den Kämpfern zumindest. Und jetzt.... lass' mich wieder 'runter, ich hab' noch 'ne Menge zu tun.“
Zaghaft klopfte er dem jungen Plünderer auf die angespannten Schultermuskeln , während er spürte, wie sich der Boden wieder seinen Sohlen näherte.
„Yeah, danke, Mann. Puh, ich hab' echt 'nen Schreck bekommen. Also, seh' ich dich gleich in der Arena? Klar seh' ich das. Entschuldige mich, ich muss mal kurz wohin.“
Immanuel starrte der sich rasch in Richtung der Tribünen entfernenden Staubwolke nach, in der der junge Amerikaner verschwunden war, nachdem er wieder Bodenkontakt hatte, fassungslos nach.
Dann zuckte er mit den Schultern, lockerte seine Arme und wanderte mit federndem Schritt zurück in die Mitte der Arena.
Diesmal wartete bereits eine der Nomaden innerhalb des Maschendrahtzaunes. Sie nickte dem jungen Plünderer kurz zu, als dieser etwa einen Meter von ihr entfernt stehenblieb.
„Hast 'nen guten Kampf hingelegt. Und sogar schnell entschieden. Schafft nicht jeder.“
Immanuel musterte die Frau kurz. Dunkle, unauffällige Kleidung, feste Stiefel und eine Nase, mit der man Stahl schneiden konnte, kombiniert mit hellen, kurzen Haaren, sonnengebräunter Haut und einem ebenso gewinnenden Lächeln wie das des Amerikaners schufen eine Frau, der man gerne näherkommen wollte.
„Ich mach' euch die Schiedsrichterin... ab jetzt wird das eher gebraucht. Oh, deine Wetten laufen übrigens gut. Fast die Hälfte setzt auf dich.“
Immanuel zog eine Augenbraue hoch. „Ein kleiner Trost dafür, dass ich einen Hund erschlagen habe.“
Die Nomadin verpasste ihm einen Stoß vor die Brust. „Erzähl mir nichts davon, die Typen verheizen jedes Mal einen der Hunde, die ich trainiert habe, nachdem sie'n Neuen gefunden haben.“ Sie bemerkte den fragenden Blick des jungen Mannes.
„Was'n? Jeder von den Kämpfern hier hat so angefangen wie du...“

25.07. 2106, 22:02

Page, die Schiedsrichterin, verfolgte aufmerksam den Kampf zwischen dem „Neuen“, wie sie ihn in Gedanken nannte, und Markus, einem breitschultrigen und muskelbepackten Nomaden.
Irgendwer hatte ihr mal eine uralte Story erzählt... darin ging es um einen Jungen, der alleine mit einer Steinschleuder einen Riesen getötet haben sollte. Irgendwie stellte sie sich den Kampf genauso vor wie den, den sie gerade beobachtete. Der Neue war schnell und wich den Schlägen seines Gegners fast ohne Probleme aus, hatte dafür aber selber kaum Treffer landen können.
Sie ahnte, was der Mann vorhatte. Wenn sein Plan wirklich war, Markus zur Erschöpfung zu bringen, würde dieser Kampf lange dauern. Sie hatte beide Männer trainieren sehen, den Nomaden häufiger als den Neuen, sicherlich... aber er hatte Chancen. Auch wenn die Schläge nicht so wuchtig waren wie die von Markus, hatte er immer noch den Vorteil seiner Geschwindigkeit.
Davon abgesehen war Markus nicht gerade einer der hellsten Nomaden. Die meisten Finten seines Gegners verstand er gar nicht und führte Schläge, die nur in leerer Luft endeten.
Während sie die beiden Männer mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete, wie sie umeinander herumtänzelten, um eine Lücke in der Deckung des anderen zu entdecken, dachte sie zurück an den zweiten Kampf des Mannes, der sich ihr als Immanuel vorgestellt hatte.
Sein Gegner war einer der älteren Nomaden gewesen, Thomas. Überraschenderweise hatte der Nomade verloren... er hatte aufgegeben, nachdem er einen üblen Treffer auf das untere Ende seines Brustbeines, den sogenannten Solarplexus, eingesteckt hatte und nach Luft ringend am Boden lag. Sein wesentlich jüngerer Gegner hatte den Kampf tatsächlich mit nur einem Schlag für sich entschieden, ohne dabei unter die Gürtellinie zu gehen.
Page seufzte leise, als sie sich wieder auf die beiden Kontrahenten konzentrierte. Die beiden hüpften bereits seit mindestens zehn Minuten umeinander herum, ohne dass es irgendetwas gab, das eine Entscheidung herbei gebracht hätte.
Sie kratzte sich kurz an der Nase, bevor sie die Hände trichterförmig an die Lippen legte, um den Kampf zu unterbrechen.
„Jungs, macht mal 'ne Pause. In... sagen wir, fünf Minuten geht's weiter, alles klar?“, hallte ihre Stimme von den Tribünen wieder. Zwar leiser, als sie geplant hatte, aber immer noch laut genug, um die johlenden Zuschauer auf den Tribünen zu übertönen. Während die beiden Kämpfer sich anerkennend auf den Rücken klopften, bevor sie an die gegenüberliegenden Seiten der Arena begaben, schritt Page durch den Sand auf den Neuen zu.
„Schlägst dich nicht schlecht,“ sprach sie den jungen Mann an, der sich gerade mit dem Arm einige Schweißtropfen von der Stirn wischte. „Ist nicht dein erstes Mal im Ring?“
Immanuel sah die Schiedsrichterin kurz an, bevor er den Kopf schüttelte. „Das erste Mal... wenn du die beiden vorher dazu zählst, das dritte. Mein Vater hat mir ein paar Tricks gezeigt.“
Page zog eine Augenbraue fragend hoch. „Dein Vater? Wo steckt denn der Alte?“
Ihr Gegenüber hob warnend den Zeigefinger. „Nicht so unverschämt. Tja... wo er steckt, weiß ich nicht. Eines Tages bin ich aufgewacht und... er war verschwunden.“
Die junge Frau schluckte ihren Kommentar über Tiere, die sich zum Sterben von ihrer Familie trennten, herunter. Stattdessen nickte sie nur verständnisvoll. „Muss hart gewesen sein, was?“
Immanuel beugte sich vornüber, um seine Hände auf die Knie zu stützen. Page bemerkte einen Schweißtropfen, der von seiner Stirn herunterrann und von der Nasenspitze auf den Boden tropfte.
„Man schlägt sich durch... irgendwelche Tipps für den Brocken da vorne?“
Die Nomadin nickte. „Wenn er nicht damit rechnet, gib' ihm voll eins auf die zwölf.“
Sie stemmte die Hände in die Hüften und wanderte zu Markus' Hälfte der Arena, um ihm den gleichen hilfreichen Ratschlag zu geben.
Den Amerikaner, der außerhalb der Umzäunung beinahe auf und ab sprang, um auf sich aufmerksam zu machen, ignorierte sie dabei geflissentlich.

25.07. 2106, 22:20

Sara betrachtete den Kampf ihres Retters eher mit mäßigem Interesse. Andrej hatte damals eine Menge solcher Kämpfe auf einem uralten Datenspeicher gehabt und sie beinahe dazu gezwungen, sie mit ihm anzusehen, aber Spaß hatte sie dabei nie empfunden. Ganz im Gegenteil zu ihrem damaligen Partner. Obwohl er die Abläufe bereits in- und auswendig kannte, fieberte er jedes Mal aufs Neue mit und ahmte einen Teil der Schlagfolgen nach.
Die junge Frau seufzte, als sie über ihren Freund nachdachte. Sie fragte sich, warum er versucht hatte, sie umzubringen. Daran, dass er fürchtete, nicht überleben zu können, konnte es nicht liegen – sie war immer diejenige gewesen, die für genug Nahrung und Wasser gesorgt hatte, nicht er.
Wütend verscheuchte sie die Gedanken. Das war wehmütiger Unsinn. Sie würde dem Kerl seine eigene Schrotflinte zwischen die Beine rammen und freudig grinsend den Abzug ziehen, wenn sie ihn wiedersehen sollte.
Immanuel und der riesige Nomade hüpften immer noch wie groteske Marionetten im Ring umeinander, also ließ sie den Blick schweifen. Man hatte sie, direkt nachdem die Tribüne errichtet worden war, in eine der oberen Sitzreihen verfrachtet. Sara grinste bitter – verfrachtet, das traf es ziemlich genau. Mit ihrer Beinschiene konnte sie kaum laufen, geschweige denn Treppensteigen – also hatte man sie einfach an den Armen und ihrem gesunden Bein gepackt und getragen, so sehr sie auch protestiert hatte.
Ihr Blick wanderte von der gegenüberliegenden Tribüne kurz über den Ring im Sand und dann in die Ferne.
Trotz der Jahreszeit war es immer noch nicht komplett dunkel. Am Rande des sichtbaren, weit abseits der Arena, sah sie zwei Nomaden, die einen großen LKW mit irgendetwas beluden.
Sara stieß den Nomaden neben ihr an und deutete in die entsprechende Richtung. „Was genau machen die beiden da? Alle anderen sind hier und sehen sich die Kämpfe an...“
Der schmächtige Junge folgte ihrem Finger und kniff die Augen zusammen, um zu sehen, wovon die junge Frau sprach.
„Ach, das... das sind Amok und Drake. Die beiden räumen das Zeug von deinem Freund um.“
Offensichtlich hatte sich das Erstaunen in ihr Gesicht geschlichen, denn der Nomade fügte noch eine Erklärung an.
„Das läuft hier eigentlich immer so. Hast du dich noch nicht gefragt, wie wir unser Überleben sichern?“ Er rutschte ein wenig vor und gestikulierte herum, obwohl die Bewegungen seiner Hände eigentlich keinen Sinn im Zusammenhang mit dem erklärten machten.
„Also, die Arenakämpfer sind eigentlich gar nicht von uns gestellt. Das sind alles Leute, die wir auf unseren Reisen getroffen haben... Wiesel hat sie überredet, eine Weile mitzukommen, und Amok und Drake sind den Spuren gefolgt und haben alles mitgenommen, was nicht festgenagelt war. Und was man essen oder anziehen kann.“
Jetzt war es an Sara, die Augen zusammenzukneifen. Aber nicht, um genauer zu sehen, sondern um für einen Augenblick ihr Umfeld auszublenden.
Immanuel hatte ihr einiges erzählt, nachdem sie in seinem Bunker aufgewacht war und versucht hatte, ihn ohne ihre Pistole zu bedrohen. Unter anderem kam er auch auf die vielen Zeitungsausschnitte zu sprechen, die er in verknitterten Plastikhüllen an die Bunkerwände gehängt und in den Ordnern auf den Regalen verstaut hatte. Er sagte, dass sein Vater damals für die Zeitung gearbeitet hätte und jeder der Artikel von ihm stammte.
Als Reporter war wohl die Umwelt sein Fachgebiet gewesen, anders konnte Immanuel sich das nicht erklären.
Jedenfalls erinnerten die vergilbten Papierfetzen den jungen Mann an seinen Vater. Sara hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen, als er von dem alternden Reporter sprach, aber auch ein begeistertes Glitzern.
Die Faszination für die Geschichte des Untergangs hatte ihren Retter gepackt. Er sammelte alles, was sich irgendwie in einen Zusammenhang einordnen ließ. Er hatte alle Zeitungsmeldungen, die mit Hermes zusammenhingen, fein säuberlich nach ihrem Veröffentlichungsdatum geordnet, und so konnte er die Katastrophe quasi schriftlich für die Nachwelt rekonstruieren. Von der ersten Sichtung des Meteoriten bis zu seinem Einschlag in der Sahara war alles fein säuberlich dokumentiert, teilweise sogar in anderen Sprachen als Deutsch.
Als Immanuel ihr eine türkische Zeitungsseite zeigte, widerstand sie dem Drang, ihn zu fragen, ob er überhaupt verstand, was dort zu lesen war. Tatsächlich erübrigte sich die Frage, denn er wusste es. Hier, sieh' dir das an... felâket bedeutet 'Katastrophe', kuyruklu yıldız bedeutet so viel wie 'Sternschnuppe' oder 'Komet...“, hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf, als sie sich erinnerte.
Der Gedanke, dass all diese Erinnerungen zerstört worden waren, ließ sie tiefes Mitgefühl für den eigentlich unbekannten jungen Mann empfinden.
„Das bedeutet also... alles, was er besitzt, wurde von den beiden hierher gebracht, richtig?“, fragte sie ihren Sitznachbarn, bevor sie wieder die Augen öffnete.
Der Junge nickte. „Genau das. Oh, der Kampf geht weiter... auf wen hast du gesetzt?“
Sara seufzte. Den Namen des Nomaden kannte sie nicht.
„Auf Immanuel.“
„Auf wen?“
„Meinen Freund.“


25.07. 2106, 22:32

Wesley gönnte sich einen Moment der Ruhe. Immanuels Besitz war sicher untergebracht, die Wetten hatten sich in den letzten Minuten nicht geändert, trotz der Tatsache, dass der „Neue“ seinen Gegner besiegt hatte.
Wie es letztendlich dazu gekommen war, hatte der Amerikaner nicht gesehen, aber er hatte seine Augen und Ohren überall in der Arena verteilt. Ein großer Vorteil seiner Augen und Ohren war, dass er damit Notizen machen konnte.
Er hatte sich das Klemmbrett von einem seiner Wetthelfer angesehen. Allen Anscheins nach hatte Markus wegen Erschöpfung das Handtuch geworfen. Das kam nicht ganz unerwartet, da der Hüne seine Kämpfe lieber schnell beendete, ebenso wie sein Training. Andere droschen stundenlang auf ihre Schatten ein, Markus dagegen bevorzugte mehrere über den Tag verteilte Übungszeiten zwischen 20 und 30 Minuten.
Mit einem Gegner, der wie eine wild gewordene Heuschrecke um ihn herumhüpfte und ihn ab und zu zwickte, wollte er sich einfach nicht einlassen.
Das Wiesel kratzte sich an der Nase, als er einen Blick auf die Liste von Immanuels Habseligkeiten warf. Die letzten Minuten hatte er damit verbracht, die Aufzählung zu vervollständigen, nachdem ihm zuvor sein Bleistift den Dienst quittiert hatte.
Insgesamt belief sich der Vorrat, wie Amok richtig festgestellt hatte, auf zwanzig Wasserkanister mit jeweils 30 Litern Inhalt und zahlreiche Paletten mit konservierten Lebensmitteln. Die Kleidung wollte der Amerikaner nicht unter den Nomaden verteilen, im Gegensatz zu Wasser und „Brot“. Nachdem die zuletzt aufgenommene Arenakämpferin versucht hatte, mit seinem Gesicht die Motorhaube von einem der Pickups zu polieren, weil er ihre Kleider verschenkt hatte, wollte er das nicht mit Immanuel erleben.
Vor allem, weil er nicht recht wusste, wie er ihn davon abhalten sollte... damals hatten einige Zuwendungen ausgereicht, aber Wesley bezweifelte, dass er damit bei ihrem Neuling Erfolg haben würde. Er schüttelte sich kurz, legte das Klemmbrett mit Wettquoten und der Liste von Amoks Beschaffungen beiseite und fummelte an einer der Beintaschen seiner Cargohose herum. Nach unzähligen Sekunden hatte er endlich den Knopf gelöst und förderte einige der plastikumhüllten Zeitungsausschnitte zutage, die auf den Konservenstapeln im Laster lagen.
Drake hatte ihm gesagt, dass sein Fahrer die unnützen Dinger verbrennen wollte, aber er konnte es ihm ausreden. Jetzt widmete der junge Amerikaner sich kurz den Schlagzeilen und las sie laut vor, während er sie rasch durchblätterte.
„Komet Hermes auf dem Weg zur Erde... Beeindruckendes Naturschauspiel... Bringt der Götterbote Nachricht vom Ende der Welt... Bah, sensationsgeiles Gesindel. Was haben wir hier... Rechenfehler der Astrologen...“
„Hey Wiesel, was hast'n da?“
Der Angesprochene zuckte zusammen und zerknüllte dabei ein paar der Seiten. Unbemerkt von ihm hatte Samiya sich an ihn herangeschlichen und schaute ihm jetzt über die Schulter.
„Gar nichts... das Zeug hat Amok aus dem Bunker von unserem Neuen geholt. Komischer Kerl, right?“
Die junge Frau nickte nachdenklich.
„Hab' nicht viel mit ihm geredet, eigentlich macht er einen guten Eindruck. Oh, und er schlägt sich ziemlich gut, findest du nicht?“
Wesley knirschte mit den Zähnen. Der Junge hatte ihm einen schönen Abend verdorben, indem er dafür gesorgt hatte, dass die Mehrzahl der Wetten jetzt zu seinen Gunsten standen. Er würde nur die Hälfte gewinnen, und das höchstens. Bye-bye, Mr. Walker.
„Yeah... hätte gedacht, dass wir den Hund von ihm 'runterziehen müssen. Aber nein, stattdessen versaut er mir mir meine Verabredung mit meinem Whisky.“
Samiya lachte und zerzauste ihm die Haare.
„Armes Wiesel. Hey, kann ich mal sehen, was der Typ so an Klamotten hatte?“
„Nope, keine Chance, Missy. Nicht nochmal. Und jetzt“, antwortete der junge Amerikaner, während er sich wieder hinstellte und nach seinem geliebten Klemmbrett angelte, „wirst du mich entschuldigen müssen.“
Er setzte ein ernstes Gesicht auf und hob den imaginären Hut auf seinem Kopf ein wenig an. „Farewell, Sammy.“
Anschliessend schlenderte er wieder in Richtung des Kampfringes, nachdem er sich im Schatten der Tribünen hingesetzt hatte.
In Gedanken war er noch immer bei den Zeitungsausschnitten. Was hatte den Jungen dazu gebracht, die Dinger zu horten? In der nächsten Pause würde er sich mit ihm unterhalten und... nein, würde er nicht. Nicht wenn er eine Konfrontation wie nach dem ersten Kampf vermeiden wollte.
Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. Wahrscheinlich würde er bis zum Ausscheiden Immanuels warten, bis er ihm die Wahrheit sagte. Oder er würde einen seiner Wetthelfer dazu bringen, es ihm zu sagen. Zumindest aber würde er dem Neuen eine Notiz in die Hand drücken. Am besten gab er sie dem Mädchen... wie hieß sie noch... genau, Sara. Dann würde niemand geschlagen werden müssen.
Zufrieden mit seiner Planung trat er in den Ring der Tribünen.

25.07. 2106, 22:40

Page klopfte Immanuel den Staub vom Rücken, nachdem sie ihm wieder auf die Beine geholfen hatte. Er hatte einen ziemlich üblen Schlag in die Magengrube von seinem neuen Gegner, Thomas, eingesteckt und war zusammengeklappt wie ein Fahnenmast im Sandsturm.
Scheinbar sank der neue Stern am Prügelhimmel genauso schnell wieder, wie er aufgestiegen war. Emile kam herbeigelaufen und stellte dem jungen Mann einige Fragen, um herauszufinden, ob er noch weiterkämpfen konnte. Mit einem Nicken in Richtung der Schiedsrichterin signalisierte er, dass die beiden Kontrahenten ihren Schlagabtausch fortsetzen konnten, ohne dass man später am Abend noch eine Beerdigung abhalten musste.
Page wartete, bis der Italiener aus dem Ring gehetzt war, dann ließ sie die beiden Männer wieder aufeinander los und lehnte sich an den Drahtzaun in ihrem Rücken. Irgendwie gefiel ihr der Neue. Er hatte die gleiche Zielstrebigkeit wie sie, wenn sie ihre Hunde trainierte. Nur mit dem Unterschied, dass er nicht einmal wusste, warum er eigentlich antrat.
Wie sie das Wiesel kannte hatte er ihm nichts von den Wetten erzählt. Und selbst wenn doch, hatte er sicherlich mit keinem Wort davon berichtet, dass die Kämpfer selbst auch an den Gewinnen beteiligt wurden.
Letztendlich lief es darauf hinaus, dass gefeiert wurde. Die Gewinner der Wetten bekamen nur etwas mehr zu essen und zu trinken als die anderen und vielleicht auch die ein oder andere Köstlichkeit, aber das war der einzige Unterschied zwischen ihnen. Ansonsten wäre es auch kaum möglich, den bunten Haufen der Nomaden ohne zu große Konflikte zusammenzuhalten.
Als sie begann, ihre Kinnpartie mit dem Zeigefinger zu pieksen, während sie dem Kampf zusah, schalt sie sich im Geiste selbst. Sie sollte eher aufpassen, dass keiner der Beiden Mist baute, statt irgendwelchen Gedanken nachzuhängen.
Einige Momente lang versuchte sie, allen Bewegungen der beiden Männer zu folgen, aber das gab sie schnell wieder auf. Diesmal hatten sich wirklich zwei gefunden. Beide verwendeten dieselbe Taktik. Sie versuchten, allen Angriffen auszuweichen und gleichzeitig jede gute Gelegenheit für einen Schlag auszunutzen.
Nur leider gab sich keiner der beiden eine Blöße, was den Kampf eher langweilig als interessant machte.
Jemand tippte ihr auf die Schulter.
„Was' los, Wiesel?“
„Wie machst du das jedes Mal? Egal. Wie läuft's bisher?“
Die Nomadin gähnte, bevor sie antwortete.
„Würd' sagen, da habt'er echt 'ne Superauswahl getroffen. Sollt'st dir deine Jungs mal ansehen, bevor du sie von der Leine lässt.“
In dem Moment geschah ein Wechsel im Rhythmus des Kampfes. Immanuel schien eingesehen zu haben, dass er nicht gewinnen würde. Oder er war einfach nur zu erschöpft, aber auf jeden Fall vernachlässigte er seine Deckung. Thomas nutzte die Gelegenheit und schlug zu. Seine Faust zielte auf die ungeschützte Linke Immanuels.
Die Zuschauer auf den Tribünen, in deren Gunst der Nomadenkämpfer stand, grölten bereits, bevor der Neuling getroffen wurde.
Tatsächlich wurde er gar nicht getroffen. Seine Rechte schoss vor und schloss sich um Thomas' Handgelenk, mit der linken packte er den anderen Arm. In einer flüssigen Bewegung zog er seinen Kontrahenten zu sich heran und verpasste ihm eine üble Kopfnuss. Trotz der Entfernung hörte Page das trockene Knacken, als Immanuels Stirn auf die Nase seines Gegners traf.
„Muss los“, bellte sie dem Amerikaner zu, und rannte zu den beiden Männern, die beinahe synchron nach hinten kippten.
Auch Emile hatte die Situation begriffen, jedoch war er schneller bei den beiden als die Nomadin. Er kniete bereits über Thomas und überprüfte seine Lebenszeichen.
Anhand der Zeit, die er sich dafür nahm, folgerte Page, dass wohl keine Lebensgefahr drohte. „Dafür aber ein geschienter Riechkolben“, dachte sie, als sie die deformierte Nase sah.
Der neue Kämpfer lag am Boden, aber im Gegensatz zu Thomas war er nicht ohnmächtig. Aus seinem Blick jedoch konnte man keine Dankbarkeit für diesen Umstand erkennen.
Die Nomadin hob beide Hände über den Kopf und winkte, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zu lenken.
„Wir unterbrechen für heute! Morgen geht’s weiter, lasst die Tribünen stehen!“
Dann kniete sie sich neben Immanuel, der sich stöhnend aufsetzte.
„Hat jeder von euch so eine verdammt harte Nase?“
Sie grinste, als er sich an die Stirn fasste und seine Hand zurückzuckte, nachdem sein Kopf ihm zu verstehen gab, dass es keine gute Idee sei, sich jetzt auf der Stirn herumzudrücken.
„Nein, nicht jeder. Aber die meisten. War 'ne gute Idee, aber an der Umsetzung musste noch arbeiten. Ich wollt' schon 'nen Doppelknockout ansagen.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /