Inhaltsverzeichnis
Ein ganz normaler Tag
Scherben und Jim
Eine erfolglose Suche
Kismet und Helene Fischer
Beulenpest und Kaffeetraum
Cupcakes und Muskelkater
Liebeskummer und ein Kuss
Auflauf mit Überraschungen
Fotoshooting und neue Erkenntnisse
Shopping mit Jim
Eine Nacht mit Folgen
Liebeskummer
Allein, allein ...
Danksagung
Leseprobe
Martina Gercke
Bezaubernd verliebt
Liebesroman
Impressum:
1. Auflage 2013 erschienen unter „Glücksstern mit Schwips“
Neuauflage 2016 erschienen unter „Bezaubernd verliebt“
Copyright © 2016 by Martina Gercke,
Martina Gercke wird vertreten durch die Literatur Agentur AVA München
Covergestaltung: Catrin Sommer rausch-gold.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Ein ganz normaler Tag
»Aufstehen!«.
Eine mir bekannte Stimme dringt in mein Unterbewusstsein.
»Was?« Ich blinzele vorsichtig. Alles ist verschwommen und es dauert einen Moment, bis ich meine Umgebung einigermaßen klar erkennen kann. Zumindest das nähere Umfeld, denn ich bin schrecklich kurzsichtig und alles, was mehr als zwei Meter von mir entfernt ist, bleibt infolgedessen leicht unscharf.
»Sara, Schnuppelchen, es ist bereits kurz nach sieben. Wir kommen zu spät, wenn du jetzt nicht aufstehst.«
Mit einem Schlag bin ich hellwach. Schade eigentlich, denn ich hatte gerade meinen Lieblingstraum! Florian David Fitz hatte vor mir gestanden und wollte mich genau in dem Moment küssen, als mein Florian mich geweckt hat. Sehr bedauerlich.
Wahrscheinlich hat er unbewusst geahnt, dass ich gleich Sex mit einem fremden Mann haben würde, wenn auch nur im Traum. Florian ist nämlich schrecklich eifersüchtig. Was auf der einen Seite ja sehr schön ist, denn das bedeutet ja, dass er mich liebt. Auf der anderen Seite kann es manchmal ganz schön anstrengend sein, wenn er anfängt, mich ständig zu kontrollieren.
In meinen Träumen hatte ich schon mit einigen berühmten Persönlichkeiten Sex. Channing Tatum, Bradley Cooper, Brad Pitt, um nur einige von ihnen zu nennen. Aber Florian David Fitz ist mir immer noch der liebste von allen. Er ist einfach unglaublich sexy auf ganz natürliche Art. Ich finde den Umstand, dass ich meinen Traum-Sex genieße, nicht schlimm, denn letztlich betrüge ich ja nicht wirklich. Vor allem deshalb nicht, weil mein Freund mit Vornamen auch Florian heißt. Es bleibt sozusagen unter uns.
»Du bist ja schon angezogen«, gähne ich. Vor mir steht mein Freund mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Das weiße Hemd sitzt perfekt über seinen breiten Schultern und die Anzughose betont seine langen Beine und die schmale Hüfte. Seine Füße stecken in glänzenden schwarzen Lederschuhen, die wir letzte Woche zusammen gekauft haben. Florian legt sehr viel Wert auf gute Kleidung und kauft aus diesem Grund nur in Geschäften ein, die angesehene Marken führen. Sein welliges blondes Haar ist sorgfältig mit Gel zurückgekämmt, was ihn ein klein wenig wie einen Streber aussehen lässt. Seine blauen Augen funkeln vergnügt. Auch ein hübscher Anblick, mein Florian.
»Ich habe heute Morgen einen wichtigen Termin in der Kanzlei, da kann ich es mir nicht erlauben, zu spät zu kommen«, erklärt er und signalisiert mir damit, dass ich mich beeilen soll.
Ach, so ist er, mein Florian. Immer korrekt und immer pünktlich. Einer der Gründe, warum ich ihn liebe. Bis ich Florian kennenlernte, hatte es in meinem Leben nur Chaos gegeben, ausgelöst durch meine Familie. Erst mit Florian hat die Normalität in meinem Leben Einzug gehalten.
Florian und ich sind seit knapp drei Jahren offiziell zusammen. Wir haben beide unsere eigene Wohnung, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir zusammenziehen werden. Faktisch gesehen leben wir schon zusammen, denn wir verbringen jede freie Minute miteinander und an den meisten Tagen übernachtet Florian bei mir.
Verschlafen taste ich auf meinem Nachttisch nach meiner Brille.
»Hier«, kommt mir Florian zuvor und streckt mir das schwarze Gestell entgegen. Den Kauf habe ich nie bereut, auch wenn mich die Brille ein Vermögen gekostet hat. Sie verleiht meinem Gesicht so etwas Intelligentes. Nicht, dass ich mich selbst als dumm bezeichnen würde. Naiv trifft es vielleicht eher.
»Ich warte in der Küche auf dich«, sagt Florian und verschwindet.
»Ich beeile mich«, rufe ich ihm hinterher.
Müde tapse ich ins Badezimmer, einen im Verhältnis zum Rest der Wohnung kleinen Raum mit einer schmucklosen Badewanne darin, die gleichzeitig als Dusche dient. Das Waschbecken ist aus schlichtem weißen Porzellan und so groß wie ein Vogelbad.
Missmutig schaue ich in den Spiegel und unterdrücke nur mit Mühe einen Aufschrei. Leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die morgens aufwachen und wunderschön aussehen. Ich frage mich immer, wie die anderen Frauen das anstellen, dass sie so frisch und strahlend aus dem Bett steigen.
Ich habe Knitterfalten im Gesicht und meine Haare sehen aus, als ob ein Vogel darin über Nacht sein Nest gebaut hat. Ganz zu schweigen von meinen verquollenen Augen.
Missmutig greife ich zur Bürste und versuche zu retten, was noch zu retten ist. Ein sinnloses Unterfangen! Also schnappe ich mir kurzerhand einen Haargummi und binde das Chaos auf meinem Kopf zu einem unordentlichen Bun zusammen. Zum Wachwerden spritze ich mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht.
»Na, Schlafmütze?« Florian taucht im Türrahmen auf. »Bist du immer noch nicht fertig?«
»Ich beeile mich schon. Gib mir fünf Minuten«, bitte ich ihn.
»Einverstanden.« Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. Sofort habe ich seinen wunderbar männlichen Geruch in der Nase. Er sieht zum Anbeißen aus und mein Unterleib zieht sich erwartungsvoll zusammen. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und ziehe ihn zu mir.
»Dazu haben wir jetzt keine Zeit, Schnuppelchen«, wehrt Florian meinen Versuch, ihn zu küssen, ab. »Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir können uns ja morgen einen gemütlichen Abend zusammen machen.« Dabei betont er das Wort »gemütlich« wie ein Synonym für zügellosen Sex.
Florian ist sehr diszipliniert, wenn es um unser Liebesleben geht. Als ich ihn neulich auf das Thema Familie angesprochen habe, hat er nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Wir haben doch noch so viel Zeit. Ich möchte das Leben mit dir erst einmal genießen, da würde ein Kind wirklich stören.« Man kann sicher verstehen, dass ich nach dieser Antwort etwas verstimmt reagiert habe. So wie er das gesagt hat, hat es sich ganz so angehört, als wäre ein Leben mit Kindern nicht mehr lebenswert.
»Nee, morgen Abend geht es leider nicht, da bin ich mit meinen Mädels verabredet.« Ich starre auf meine Fußspitzen, was bei mir sofort eine Krise auslöst, denn meine Füße sind nicht unbedingt das, was man als schön bezeichnen würde. Ich habe kleine, knubbelige Zehen mit Haaren darauf, bei deren Anblick ich sofort an Bilbo Beutlin, den kleinen Hobbit, denken muss.
»Ach, kannst du dieses dämliche Treffen nicht mal absagen?«, brummt er. »Ich mag das nicht, wenn du allein weggehst und dich die ganzen Typen anglotzen.«
»Ach Flo.« Ich drehe mich zu ihm um. »Erstens bin ich ja nicht allein, und zweitens weißt du doch, wie wichtig mir die Treffen mit meinen Freundinnen sind. Es ist doch nur ein Mal in der Woche und außerdem quatschen mich nie fremde Männer an.«
Florian hat leider einen starken Hang zur Eifersucht, was so manches Mal zu Irritationen zwischen uns geführt hat. Deswegen habe ich es mir angewöhnt, die eine oder andere Information andere Männer betreffend lieber nicht mit ihm zu teilen. Das bringt gleich zwei Vorteile mit sich: Florian braucht sich keine Gedanken über etwas zu machen, das eventuell sein könnte, aber nicht ist, und ich habe meine Ruhe und brauche mich nicht für etwas zu rechtfertigen, das ich nie gemacht habe.
Florian verzieht das Gesicht. »Ein Mal ist ein Mal zu viel.«
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen Kuss. »Komm, sei nicht beleidigt. Ich esse nur eine Kleinigkeit und dann bin ich spätestens um elf Uhr wieder bei dir.«
»Versprochen?«
Ich nicke.
»Gut.« Florian lächelt versöhnt. »Kaffee?«
Ich bejahe seine Frage dankbar. In Momenten wie diesen frage ich mich manchmal, womit ich einen derart perfekten Mann verdient habe. Ich meine, Florian sieht nicht nur gut aus, sondern ist auch beruflich erfolgreich. Erst letzte Woche hat ihm sein Chef angedeutet, dass die Kanzlei ihn als Juniorpartner haben möchte.
Ich habe nämlich einen Job, der sich toll anhört, es aber nicht ist. Aber wer konnte schon ahnen, dass ausgerechnet Susanne Müller die Abteilung leitet, für die ich mich bei der Werbeagentur Rausch als Grafikerin beworben habe. Susanne ist ein echter Drachen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mir das Leben zur Hölle zu machen.
Das Problem an der Sache ist, dass Susanne und ich uns schon seit der Schulzeit kennen. Susanne war eine Stufe über mir und hätte mich niemals beachtet, wäre da nicht Lennart gewesen.
Lennart war der Schwarm aller Mädchen in der ganzen Schule. Er war groß, hatte eine makellose Haut (was damals echt eine Seltenheit war) und war außerdem eine absolute Sportskanone, der bei »Jugend trainiert für Olympia« schon mehrfach durch gute Leistungen aufgefallen war. Warum sich Lennart damals ausgerechnet für mich entschieden hat, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls erwischte uns Susanne beim Knutschen. Seit diesem Tag herrscht zwischen ihr und mir eine Art Kriegszustand und es ist bis heute Susannes größtes Vergnügen, mich bei jeder Gelegenheit bloßzustellen.
Nachdem Susanne ihr Abitur bestanden hat, haben wir uns aus den Augen verloren. Sehr zu meiner Erleichterung, wie ich zugeben muss.
Eigentlich hätte ich den Job sofort ablehnen müssen, als ich erfahren habe, dass ausgerechnet Susanne Müller meine Chefin sein würde. Aber bei der Agentur Rausch zu arbeiten ist eine Auszeichnung in der Branche und im Hinblick auf meine Zukunft ein absolutes Muss. Also habe ich in den sauren Apfel gebissen und den Job angenommen. Mittlerweile sind drei Monate vergangen und ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich keinen Tag davon vermisse, zumindest nicht die, die ich im Büro verbracht habe.
Während Florian in die Küche verschwindet, trage ich einen Hauch getönte Tagescreme auf, denn ich neige zu Rötungen im Gesicht.
Ganz besonders rot werde ich allerdings, wenn ich lüge. Das hat sich schon mehrfach ungünstig auf mein Leben ausgewirkt. Nicht, dass ich gern lüge, aber manchmal ist eine kleine Notlüge von elementarer Wichtigkeit, wenn man es sich nicht mit seiner Umwelt verscherzen will. Welche Frau will schon hören, dass die neue Frisur, für die sie stundenlang beim Friseur gesessen und ein Vermögen hingelegt hat, absolut schrecklich an ihr aussieht? Oder dass der neue Freund ein absoluter Idiot ist, der mit jeder Frau flirtet? Oder dass das Essen, für das man den ganzen Nachmittag in der Küche gestanden hat, total furchtbar geschmeckt hat? Ich habe eine Studie gelesen, in der es hieß, der durchschnittliche Deutsche lüge im Schnitt bis zu zweihundert Mal am Tag. Das nenne ich mal eine ganz amtliche Zahl. Womit in meinen Augen bewiesen wäre: Jeder lügt, aber nicht allen sieht man es an. Wenn dies tatsächlich so ist, bin ich ganz klar im Nachteil.
Sorgfältig trage ich die Wimpern verlängernde, Volumen schenkende Wimperntusche auf. Man muss seine Vorzüge schließlich betonen, vor allem wenn man wie ich nicht gerade üppig damit bestückt ist. Ein Hoch auf die Kosmetikindustrie! Deshalb liebe ich es auch, mir diese Videos auf YouTube anzuschauen, wo sich junge Frauen ungeschminkt vor die Kamera stellen, um ihren Mitmenschen zu demonstrieren, was man mit wenigen Handgriffen und dem richtigen Make-up bewirken kann. Das hat mein Selbstwertgefühl ungemein verbessert.
Nachdem ich meine Augenbrauen mit etwas Spucke in die richtige Form gebracht habe, gehe ich zurück ins Schlafzimmer, um meine Klamotten einzusammeln. Wo ist denn nur meine Lieblingsjeans? Ich habe sie doch neben meinem Bett fallen gelassen, bevor ich gestern Abend hineingehüpft bin. Diese Jeans ist mir heilig, weil sie die einzige ihrer Art ist, in der ich nicht wie eine geplatzte Weißwurst aussehe.
»Wo bleibst du denn?« Florian steht mit zwei Bechern Kaffee bewaffnet im Türrahmen und mustert mich interessiert.
»Ich suche meine Jeans«, antworte ich hastig.
Florian zieht missbilligend die Augenbraue nach oben. »Ich habe deine Jeans ordentlich über den Bügel gehängt.« Er deutet mit einer Kopfbewegung auf meinen Kleiderschrank.
Florian ist der wahrscheinlich ordentlichste Mann auf der Welt. In seiner Wohnung sieht es immer so aus, als würde jeden Moment ein Fotografenteam auftauchen, um Bilder für die nächste Ausgabe von »Schöner Wohnen« zu machen. Die Wände sind so weiß, dass man eine Sonnenbrille aufsetzen muss, wenn die Sonne durch die Fenster scheint, um nicht schneeblind zu werden. Seine Anzüge hängen nach Wochentagen sortiert zusammen mit dem jeweils passenden Hemd und der Krawatte aufgereiht in seinem Ankleidezimmer. Seine geschätzt fünfzig Paar Schuhe stehen ordentlich nebeneinander in einem eigens dafür angepassten Schuhschrank. Auf seinem Bett liegt immer eine Tagesdecke, die derart glatt gespannt ist, dass man meinen könnte, es handele sich um ein Trampolin. Und in der Küche ist es so sauber, dass man dort jederzeit eine Notoperation auf dem Küchentisch durchführen könnte. Selbst wenn Florian kocht, sieht man keinen Spritzer. Alles ist steril in Weiß und Edelstahl gehalten.
Ebenso wenig Zustimmung fand mein Vorschlag, ein etwas sanfteres Licht über dem Bett anzubringen. So kommt es, dass wir uns im grellen Neonlicht lieben. Das ist weder vorteilhaft für mein Aussehen noch für mein Selbstbewusstsein. Auch in diesem Fall folgten Belehrungen über den hohen Energieverbrauch herkömmlicher Glühbirnen und seitdem behalte ich derlei Vorschläge lieber für mich.
Ich steige in meine Jeans und schwöre mir dabei einmal mehr, abzunehmen. Ein Vorsatz, den ich oft fasse, aber niemals einhalte. Ich bin eben nur eine schwache Frau und wenn ich Schokolade sehe, dann gibt es kein Halten mehr.
»Bist du so weit?« Florian mustert mich streng.
Ich schlüpfe rasch in meine Schuhe und schnappe mir meine Umhängetasche.
»Fertig!«
»Endlich«, kommt die prompte Antwort.
Ich werfe mir meinen Mantel über und gehe zu Florian, der bereits an der Eingangstür wartet. Sein Unmut über mein Trödeln ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Eilig verlassen wir die Wohnung.
Als ich im Büro ankomme, herrscht die übliche morgendliche Betriebsamkeit.
»Findest du, ich habe zugenommen?«, begrüßt mich Melanie und betrachtet sich mit kritischem Blick im Fenster. Melanie Womela ist meine Kollegin und Freundin. Wir teilen uns ein winziges Büro am Ende des Ganges, was bezeichnend für unsere Position in der Werbeagentur Rausch ist. Während die übrigen Kollegen aus der Werbeabteilung einen fantastischen Ausblick auf die Hamburger Innenstadt und den Hafen genießen, schauen Melanie und ich auf eine unschöne Häuserfront. Die Sonne bekommen wir praktisch nie zu Gesicht. Bei den Kollegen hat unser Büro deshalb den Spitznamen »Maulwurfshügel«.
»Och«, antworte ich zaghaft und lasse mich geräuschvoll auf meinen Stuhl fallen. Denn ehrlich gesagt hat Melanie genau wie ich ein paar Kilo zu viel auf den Hüften, was ihrem guten Aussehen aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil! Melanie ist eine ausgesprochen attraktive Frau mit lebhaften Augen, einem Busen, für den andere Frauen viel Geld bezahlen würden, und der Figur einer Marilyn Monroe. Einziges Manko ist ihr mangelndes Selbstbewusstsein, was uns zu Verbündeten macht. Ich habe nämlich das gleiche Problem.
»Wirklich nicht?« Melanie dreht sich fragend zu mir. »Warum wirst du dann rot?«
Mist!
»Na ja, vielleicht ... wenn man ganz genau hinschaut.« Ich lege den Kopf schräg. »So ein mini bisschen um den Bauch herum ...«
»Du siehst es also auch!« Melanie sieht aus, als würde sie jeden Moment losheulen.
»Nein! Also, wenn du nichts gesagt hättest, wäre es mir nicht aufgefallen. Ehrenwort!«, verteidige ich mich.
»Ich bin total unglücklich«, jammert Melanie.
»Brauchst du nicht. Sieh mich an.« Ich deute auf die kleine Wölbung unter meiner Bluse. »Ich habe auch einen Muffintop.«
»Ich meine doch nicht wegen meines Gewichts.«
»Ach nein?«
»Nein, ich bin unglücklich, weil ich Angst habe, dass Andreas mich nicht wirklich liebt.«
»Wie kommst du denn darauf?«, frage ich überrascht. Vor meinen Augen taucht das gutmütige Marzipanschweinchengesicht ihres Freundes auf.
Melanie zuckt mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Das ist so ein Gefühl, das mich in letzter Zeit immer wieder beschleicht. Andreas verhält sich so komisch.«
»Definiere ›komisch‹«, verlange ich. Ich habe nämlich schon ein paar Mal ordentlich danebengelegen, was die Interpretation von Gefühlen meiner Mitmenschen betrifft.
»Na ja, irgendwie nicht normal eben. Er ist nervös und flüchtet sich in Ausreden, wenn ich ihn darauf anspreche. Er sagt, er habe viel im Büro zu tun und außerdem würde ihn seine Mutter wegen der Hochzeit nerven.«
»Aber das wäre doch möglich, oder nicht?«
»Also wenn Andreas' Mutter nervig sein soll, dann frage ich mich, als was man meine Mutter bezeichnen soll. Hysterisch trifft es wohl am ehesten.«
»Sag mal, kann es sein, dass gar nicht Andreas das Problem ist, sondern du?« Ich gehe innerlich auf Tauchstation.
»Ich? Wie meinst du das denn?« Ihre Augen funkeln angriffslustig.
»Na ja, es wäre doch durchaus möglich und mehr als natürlich, wenn du Panik wegen eurer bevorstehenden Hochzeit hast?«, sage ich vorsichtig. »Schließlich sind es nur noch drei Wochen und da kann man es schon mal mit der Angst zu tun bekommen.«
»Wie kommst du denn auf die blöde Idee?« Melanie dreht sich mit höchst erstauntem Gesichtsausdruck zu mir. »Panik vor der Hochzeit gibt es nur bei Männern! Genauso wie die Midlife-Crisis. Oder kennst du eine Frau, die sich mit vierzig plötzlich einen Porsche kauft und sich einen jüngeren Liebhaber zulegt?«
Ich schüttele den Kopf.
»Siehst du! Das hat nichts damit zu tun.«
»Aha«, äußere ich verblüfft.
»Nein, wirklich! Aber Andreas redet in letzter Zeit so viel davon, dass so eine Heirat auch ihre praktischen Seiten hat«, erklärt Melanie nachdenklich.
»Wirklich? Und die wären?« Von der praktischen Seite habe ich eine Heirat bisher nicht betrachtet, in dieser Hinsicht bin ich typisch weiblich emotional. Aber in meiner Argumentationsreihe zum Thema Heirat könnte sich dieser Aspekt gegenüber Florian durchaus als nützlich erweisen.
»Andreas behauptet, dass wir dadurch eine Unmenge an Steuern sparen können.«
»Das ist natürlich ein schlagendes Argument.« Muss ich mir merken!
»Ja, findet er auch«, grübelt Melanie plötzlich. »Glaubst du, er will mich nur wegen des Geldes heiraten?«
»Quatsch! Wie kommst du denn auf die Idee? Das macht bei unserem mickrigen Gehalt wirklich keinen Sinn.«
»Da hast du auch wieder recht«, seufzt sie. »Es ist einfach nur so ein Gefühl!«
»Vielleicht stimmt mit deinem Gefühl etwas nicht?« Ich finde diese Frage durchaus berechtigt, denn jede Frau unterliegt gewissen emotionalen Schwankungen, die nicht immer mit Logik zu erklären sind.
»Damit ist alles in Ordnung«, beharrt Melanie. »Aber es wäre doch möglich, dass etwas mit Andreas' Gefühlen für mich nicht stimmt.«
»Na dann frag ihn, wenn du dir so unsicher bist.«
»Bist du völlig wahnsinnig?«, schimpft sie. »Ich habe diesem Mann meine besten Jahre geschenkt, da werde ich doch nicht in letzter Minute einen Rückzieher machen.«
»Entschuldige, wenn ich deiner Logik nicht so ganz folgen kann.« Ich wickele eine Haarlocke um meinen Finger.
»Ich heirate um des Heiratens willen. Eine Hochzeit war schon immer mein Traum. Das schöne weiße Kleid, die Feier, die vielen Geschenke und so«, schwärmt Melanie.
»Also liebst du Andreas gar nicht?«, frage ich entsetzt.
»Natürlich liebe ich ihn.« Melanie greift nach einem Stift. »Darum will ich ja auch nicht mit ihm über seine Gefühle sprechen. Nachher habe ich recht und er liebt mich tatsächlich nicht mehr. Jetzt, so kurz vor dem Zieleinlauf!«
Ich seufze. Melanie ist manchmal wirklich etwas schwierig.
Mit einem Ruck wird die Tür zu unserem Büro aufgerissen. Unsere Chefin Susanne Müller steht im Raum. Sie trägt trotz des kühlen Wetters eine enge weiße Bluse, einen schwarzen Bleistiftrock und schwarze Pumps. Mit ihren hochgesteckten schwarzen Haaren und dem strengen Mittelscheitel sieht sie aus wie Popeyes Freundin Olivia. Melanie lässt vor Schreck den Stift fallen.
»Du, Brillenschlange ...« Susannes langer Zeigefinger zeigt auf meinen Kopf. »Wo bleibt der Entwurf für die neue Kampagne von Frostglück?«
Frostglück ist einer unserer größten Kunden. Es handelt sich um eine Tiefkühlkost-Firma, die ihre Kunden mit besonders kreativen Fertiggerichten locken will.
Ich wühle hektisch auf meinem Schreibtisch herum.
»Bist du etwa noch nicht fertig?«, giftet sie mich an. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Entwurf bis heute brauche.« Sie leckt sich mit der Zunge über die Lippen. Dabei sieht sie aus wie eine Hyäne, die sich jeden Moment auf ihr sterbendes Opfer stürzen wird. »Na ja, aber schnell bist du ja immer nur, wenn es ums Essen geht.«
Das ist mal wieder typisch für Susanne! Immer baut sie kleine Sticheleien über mein Gewicht ein.
Ich schlucke meinen Ärger herunter. »Einen schönen guten Morgen, Susanne.« Das ist reiner Überlebensinstinkt, der da aus mir spricht.
Keine Reaktion. Mist.
»Und?« Susannes dünne Spinnenfinger trommeln ungeduldig auf der Tischplatte herum. »Bekomme ich heute noch eine Antwort?«
»Ja. Äh … ich bin fast ... na ja ... eigentlich bin ich ... fertig.«
»Wirklich?« Sie sieht mich ungläubig an.
Ich nicke und versuche dabei, zuversichtlich zu wirken.
»Na dann!« Susanne streckt den Arm aus und wedelt mit der Hand. »Her damit!«
Jetzt ist sie wütend. Susanne hasst es, wenn Mitarbeiter bessere Ideen haben als sie selbst. Aber ganz besonders hasst sie mich! Egal, was ich sage oder tue.
Endlich habe ich den Entwurf zwischen meinen übrigen Arbeiten entdeckt.
»Bitte.« Meine Hand zittert, als ich ihn ihr reiche. Ich lächele tapfer.
Susannes Augen überfliegen das Papier.
»Eiskalt erwischt, kommt der Fisch frisch auf den Tisch.«
Der Satz hängt in der Luft. Susanne verzieht keine Miene. Es liegt so viel Spannung im Raum, dass ich befürchte, gleich in Flammen aufzugehen. Melanie wirft mir einen nervösen Blick zu.
»Du.« Susanne deutet auf Melanie. »Kaffee. Jetzt!«
Melanie springt wie von der Tarantel gestochen auf und hastet nach draußen. Die Glückliche!
Susanne wendet sich wieder meinem Entwurf zu. »Gar nicht so übel«, sagt sie schließlich.
Erleichtert atme ich aus. »Gar nicht so übel« bedeutet übersetzt: »Absolut spitze! Super!«
»Ich dachte, wir machen mal was Neues. Etwas, das es so in der Werbung bisher noch nicht gab«, freue ich mich.
»Was Neues?«, murmelt Susanne und kneift die Augen zusammen. »Und warum hängt da eine Meerjungfrau im Netz?«
»Die Meerjungfrau ist ein Symbol für die Frische des Meeres«, erkläre ich. »Dadurch soll der Kunde assoziieren, dass der Fisch freiwillig ins Netz gegangen ist.«
»Aha!« Das ist alles, was Susanne zu meiner großartigen Idee sagt.
Ich nicke. »Und bei dem Piraten habe ich an Fluch der Karibik gedacht. Das spricht auch unsere jungen Kunden an.«
»Fluch der Karibik.« Susanne hat die Augen zusammengekniffen. »Das könnte funktionieren.«
»Wirklich?«, hauche ich ungläubig. Ich traue meinen Ohren nicht. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass Susanne irgendetwas gefallen könnte, was von mir kommt.
»Ja!« Susanne bleckt die Zähne, was ich wohl als Lächeln deuten soll. »Diese Idee ist absolut genial!«
»Echt jetzt?« Ich halte vor Anspannung die Luft an.
»Wenn ich ›genial‹ sage, dann meine ich auch ›genial‹«, blafft sie mich von der Seite an.
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Vielleicht ist sie doch nicht so übel, wie ich immer dachte.
»Du, Susanne«, beginne ich meine kleine Rede. »Das finde ich echt nett, dass du das sagst. Ich meine, wir hatten ja in der Schule nicht immer das beste Verhältnis zueinander, und dass Lennart mich geküsst hat, war nicht meine Schuld. Ich wusste ja nicht, dass du und er ...«
»Ach Sara, diese alten Sachen sind doch schon lange her«, wischt sie meine Bedenken mit einer Handbewegung weg, als hätte ich etwas völlig Abwegiges gesagt. »Hast du echt gedacht, dass ich immer noch sauer bin, weil du mir damals Lennart weggeschnappt hast?« Ihre Mundwinkel kräuseln sich belustigt.
Ich schlucke. »Ja, ich dachte ... ich hatte den Eindruck ...«
»Sara, Sara.« Sie legt ihre manikürte Hand auf meine Schulter. »Jetzt bin ich aber enttäuscht. Wie konntest du nur denken, dass ich immer noch sauer deswegen bin? Das wäre doch echt kleinlich von mir, nach all den Jahren noch böse auf dich zu sein. Nein wirklich! Das ist ja absurd. Lennart war meine große Liebe, aber er hat sich damals für dich entschieden.« Sie grinst wie ein Haifisch, kurz bevor er zuschnappt. »Ich freue mich, dass du in meinem Team bist. Freundinnen?« Sie streckt mir die Hand entgegen. Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Bestimmt steht mein Mund offen. Erleichtert schlage ich ein.
»Freundinnen!« Mir fällt ein Stein vom Herzen.
»So, jetzt aber genug geredet. Wir werden schließlich nicht fürs Nichtstun bezahlt. Also hopp, hopp, mein kleines fleißiges Helferlein. Ab an die Arbeit!«
Hastig drücke ich die Entertaste meines Computers. Melanie kommt mit zwei Bechern Kaffee in den Händen zurück. Ohne zu fragen, schnappt sich Susanne einen und lächelt zuckersüß.
»Und nicht vergessen: Das Leben ist kein Ponyhof.« Susanne wedelt mit meinem Entwurf in der Luft.
»Äh … Vorsicht mit dem Entwurf ...«, rufe ich, aber da ist Susanne schon verschwunden. Verwundert über ihren plötzlichen Sinneswandel, sinke ich auf dem Stuhl zusammen. Meine Hände zittern, als ich sie auf die Tastatur lege.
»Was war denn das gerade?«, fragt Melanie erstaunt und reicht mir den Kaffee.
»Stell dir vor, Susanne hat meinen Entwurf gelobt.«
Melanie rümpft die Nase. »Und das glaubst du?«
»Sie hat gesagt, sie finde ihn genial.« Ich kann es nicht fassen. »Das waren ihre exakten Worte.«
»Na, wer's glaubt, wird selig.« Melanie klappt den Laptop auf. »Aber wenn es so ist, gönne ich es dir von Herzen. Die blöde Kuh hat dich lange genug terrorisiert.«
Ich nicke. Gott sei Dank ist heute Freitag. Das Wochenende ist in greifbarer Nähe. Ich kann es kaum erwarten, mich am Samstag mit meinen Freundinnen zu treffen.
»Hey, wie war eure Woche?«, fragt Leonie, als wir uns auf den Stühlen unseres Lieblingsrestaurants niederlassen. Es ist brechend voll und dementsprechend laut. »Ich hoffe, besser als bei mir! Mein Chef nervt, und damit nicht genug, hatte ich gestern den schlechtesten Sex meines Lebens.«
Leonie ist achtundzwanzig Jahre alt, hat braunes Haar und einen Hang dazu, sich immer in den falschen Mann zu verlieben. Sobald ihr ein Kerl erzählt, dass er noch nie eine faszinierendere Frau als sie getroffen habe, ist es um Leonie geschehen.
»Ich kann nicht klagen, danke der Nachfrage!«, entgegnet Anna fröhlich.
Anna und ich kennen uns seit der Schulzeit. Annas Männergeschichten sind geradezu legendär! Langhaarige Typen in Lederjacken, Surfer, Musiker, Yogalehrer und seit Neuestem Internetdates. Von Anna habe ich alle wichtigen Informationen zum Thema Beischlaf bekommen. Während meine Mutter etwas von der »universellen Liebe« faselte, brachte Anna die Sache auf den Punkt: »Wenn dir ein Kerl sagt, dass er dich liebt, will er dich nur ins Bett kriegen. Deshalb nimm lieber eine Packung Kondome mit!«
»Ich wünschte, ich hätte eure Sorgen. Hans schreit den ganzen Tag«, klagt Claudia. Hans ist Claudias zehn Monate alter Sohn und ein echter Satansbraten. Bevor Hans auf die Welt kam, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es Babys gibt, die ich schrecklich finden könnte. Hans ist ein solches Baby. Äußerlich sieht er wie ein blonder Engel aus – mit der Seele eines Teufels. Dieses Kind macht nichts anderes, als zu schreien, dabei ist Claudia die ruhigste und entspannteste Person, die ich kenne.
»Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal mehr als vier Stunden am Stück geschlafen habe, geschweige denn Sex hatte.« Claudias Mann ist Koch und sieht aus, als wäre er geradewegs vom Hungerstreik in die Küche gekrochen. Der Mann ist lang und dürr. Ganz im Gegensatz zu Claudia, die seit der Geburt das eine oder andere Kilo zu viel auf den Rippen hat. »Wenn ich jemals in eurer Gegenwart noch einmal den Wunsch äußere, schwanger zu werden, dürft ihr mich zwangssterilisieren.« Claudia nippt am Rotwein.
»Ach komm«, versuche ich sie zu trösten. »So schlimm wird es schon nicht sein.«
Claudia nickt. »Nein, du hast recht – es ist viel schlimmer!«
»Wenn ich dich so höre, bin ich gleich wieder froh, dass ich noch Single bin«, sagt Anna. »Ich sage nur diegeheimeliebe.de. Diese Plattform ist der absolute Geheimtipp, wenn man als Frau auch beim Sex auf seine Kosten kommen möchte. Ganz und gar diskret, keine Verpflichtungen, keine Tabus. Und das Beste daran: Man ist völlig anonym.« Anna leckt sich über die Lippen.
»Anonym?«, frage ich. »Wie soll denn das gehen? Äh … ich meine, man hat doch Sex miteinander, oder nicht?«
»Ja«, Anna nickt, »aber unter einem Pseudonym, das du dir selbst aussuchen kannst. Gesetzt den Fall, dass du willst, kannst du dich auch mit deinem richtigen Namen dort registrieren, das machen jedoch die wenigsten.«
»Und wie nennst du dich?«, fragt Claudia interessiert.
»Venusblüte29!«
Ich verschlucke mich am Rotwein und beginne zu husten.
Anna klopft mir auf den Rücken.
»Findest du den Namen nicht gut?«
»Doch. Klar. Absolut super. Und so eindeutig«, grinse ich.
»Ja, nicht wahr?«, ruft Anna begeistert und leert ihr Glas mit einem Schluck.
»Nur mal interessehalber: Wie heißt dein neuer Lover?«, frage ich.
»Oliver!« Anna spricht den Namen betont mit französischem Akzent aus.
»Ein Franzose?«, frage ich überrascht.
»Keine Ahnung.« Anna zuckt mit den Schultern. »Es törnt mich total an, zu glauben, er sei Franzose. Außerdem vögelt er wie ein junger Gott.«
»Das will ich gar nicht wissen«, sage ich.
»Spießer«, lacht Anna.
»Du Glückliche«, seufzt Leonie. »Carsten ... ich möchte den Namen lieber so schnell wie möglich vergessen.« Sie schüttelt sich mit angewidertem Gesicht. »Also der Typ von gestern Nacht war eine absolute Katastrophe. Ich meine, da baggert der Kerl nächtelang, als ob es kein Morgen gäbe, und dann so was. Es war armselig. Ich hatte gedacht, ein Mann in seinem Alter bringe etwas mehr Erfahrung mit – aber leider Fehlanzeige. Es war so langweilig, dass ich die ganze Zeit darüber nachgedacht habe, ob Til Schweiger braune oder blaue Augen hat. Nur um dabei nicht einzuschlafen.«
»Wow. Das ist übel!« Anna prostet ihr lachend zu.
Leonie wühlt lautstark in ihrer Tasche.
»Suchst du was?«, frage ich irritiert.
»Einen Stift und Papier. Ich muss mir unbedingt den Namen von dieser Plattform aufschreiben.« Leonie hält nichts von Smartphones und Tablets und trägt aus diesem Grund so einen megadicken Planer mit sich herum, der bestimmt ein Kilo wiegt.
»Hab ihn!« Sie wedelt mit dem Papierkoloss in der Luft.
»Mädels, man könnte meinen, wir kennen keine anderen Themen als Männer und Sex«, schimpfe ich. »Wie läuft es denn bei der Arbeit?«
»Nur weil du mit Super-Flo zusammen bist und Sex haben kannst, wann immer du willst, bedeutet das nicht, dass wir Übriggebliebenen nicht auch mal von einem heißen Fick träumen dürfen«, entgegnet Leonie und hebt ihr Glas. »Wie oft treibt ihr es eigentlich miteinander?«
Alle Blicke sind auf mich gerichtet. Ich verschlucke mich fast.
»Och ... äh ...«, stottere ich, »… so das Übliche.« Über mein Gesicht ergießt sich eine flammende Röte. Das kann ich zwar nicht sehen, aber ich spüre es.
»Soso, das Übliche also«, sagt Leonie. »Was soll das denn bedeuten? Da musst du schon etwas deutlicher werden.«
»Na ja, das Übliche eben. Ein bis zwei Mal die Woche.«
»Du bist ja das reinste Sexmonster!« Leonie lacht.
»Ihr treibt es nur zwei Mal in der Woche?«, ruft Anna laut. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Glatzkopf am Nachbartisch sein Gespräch unterbricht und interessiert zu uns rübersieht.
»Hey, geht es ein bisschen leiser?! Es muss ja nicht das ganze Restaurant mithören«, zische ich sie an.
»Jetzt sei doch nicht so prüde«, entgegnet Leonie. »Nimm dir ein Beispiel an deiner Mutter.«
»Ich bin nicht prüde. Das Thema Sex geht mir eben nicht so leicht über die Lippen, und schon gar ich, wenn ich stocknüchtern bin.«
»Dann wird es Zeit, dass wir das ändern.« Leonie schenkt mir Weißwein in mein leeres Glas. »Trink!«
»Außerdem kannst du mich nicht mit meiner Mutter vergleichen. Die ist Sexualtherapeutin, da gehört es zum guten Ton, über Sex zu sprechen.«
Es ist nicht immer toll, die Tochter einer durchgeknallten Ex-Hippie-Frau zu sein, die irgendwann in ihrem Leben beschlossen hat, die Menschheit mit ihrem selbsterworbenen Wissen über Sex zu bereichern. Ich gebe der Bedienung ein Zeichen, mir die Karte zu bringen.
Wie immer am Wochenende herrscht hektisches Treiben in unserem Lieblingsrestaurant. Das Publikum ist bunt gemischt. Anzugträger, Eppendorfer Schickeria und Schanzenbewohner sitzen hier friedlich nebeneinander. Eine Mischung, die sich wunderbar zum Lästern eignet. Das Mobiliar sieht aus, als hätte es der Besitzer persönlich vom Flohmarkt erstanden. Rustikal zusammengezimmerte Tische und Stühle, keiner wie der andere. Die Bedienung ist freundlich und schnell. Und gelegentlich lässt sich auch der Chef persönlich hier blicken und wandert von Tisch zu Tisch, um sich nach dem Wohlbefinden der Gäste zu erkundigen.
Auf der Karte findet man hier lediglich ein paar einfache, aber sehr schmackhafte Gerichte. Der Burger ist mein absolutes Highlight. Aber der eigentliche Grund, warum wir uns jede Woche hier treffen, ist nicht das Essen, sondern die gemütliche Atmosphäre, die hier herrscht.
»Und ich dachte, du und Super-Flo treibt es den ganzen Tag miteinander«, sagt Claudia. »Na, dann besteht ja noch Hoffnung für Bernd und mich.«
»Das hängt damit zusammen, dass Florian ein totaler Langweiler und Spießer ist«, ergänzt Anna.
»Florian ist nicht langweilig, nur weil er sich nicht Oliver nennt!«, protestiere ich entrüstet. »Florian ist genau der Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Ordentlich, zuverlässig und immer für mich da.«
»Uahhh!« Anna gähnt lauthals. »Da schlafe ich ja schon vom Zuhören ein. Hört sich für mich nach langweiligem Sex und billigem Wein an.«
»Jetzt übertreib mal nicht«, schaltet sich Claudia ein. Ich werfe ihr einen dankbaren Blick zu. »Das liegt doch in der Natur der Sache. Wilde Sexspielchen sind nur etwas für ein Abenteuer. Auf der Suche nach dem Mann fürs Leben setzt eine Frau meistens andere Prioritäten, da spielt Sex eher eine untergeordnete Rolle. Schließlich soll sich dein zukünftiger Mann auch mal um eure gemeinsamen Kinder kümmern, anstatt nur daran zu denken, wie man sie macht. Da musst du dich entscheiden, was dir wichtiger ist – heißer Sex oder Zuverlässigkeit«, seufzt Claudia. »Ich spreche da aus Erfahrung!«
»Hm.« So wie Claudia das sagt, klingt es irgendwie gar nicht gut. Dabei haben Florian und ich schönen Sex miteinander. Okay, vielleicht nicht so wild und leidenschaftlich, wie man es immer in Büchern liest, aber dafür sehr vertraut. Bei Florian weiß ich immer genau, was ich zu erwarten habe. Alles verläuft nach einem festen Schema. Das hat auch seine Vorteile! Die besten Werbesprüche sind mir bisher beim Sex eingefallen.
»Was macht die Wohnungssuche?«, fragt mich Claudia.
»Du suchst 'ne neue Wohnung?« Anna sieht mich mit großen Augen an.
»Nein, keine Angst, ich ziehe nicht weg.« Ich schüttele den Kopf. »Ich suche eine neue Mitbewohnerin. Das weißt du doch.«
Anna und ich wohnen im selben Haus zur Miete. Um genau zu sein, wohnen wir sogar im selben Stock, Tür an Tür sozusagen.
»Puh!«, seufzt Anna erleichtert. »Erschreck mich nicht so.« Sie fasst sich an die Brust.
»Keine Sorge, sollte es jemals so weit sein, bist du die Erste, die davon erfährt«, lächele ich.
»Und hast du schon jemanden gefunden?«, wiederholt Claudia ihre Frage.
»Nein. Es ist gar nicht so einfach, einen Ersatz für Lisa zu finden.« Claudia nickt mitfühlend. »Entweder sind die Leute WG-ungeeignet oder nicht bereit, den hohen Mietpreis in Eppendorf zu zahlen.«
Lisa hat in den letzten drei Jahren während ihres Studiums bei mir gewohnt. Das hatte den Vorteil, dass wir uns die Miete teilen konnten und immer jemand zum Quatschen zu Hause war. Seit Lisa nach Bremen gezogen ist, um dort als Lehrerin an einer Grundschule zu arbeiten, ist es in meiner Wohnung schrecklich ruhig und meine monatliche Belastung höher geworden.
»Hey, da hinten ist ja mein Lieblingskollege«, ruft Anna unvermittelt und wedelt freudig mit den Händen in der Luft herum. Ich folge ihrem Blick. Ein leicht untersetzter Mann mit schütterem Haar nähert sich unserem Tisch. Er trägt eine karierte Hose, dazu ein weißes T-Shirt und Chucks.
»Kennt ihr den?«, fragt Claudia.
»Ich glaube, das ist der schwule Chirurg, von dem sie uns ein paar Mal erzählt hat«, erkläre ich, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.
»Ein ganz klarer Fall von modischer Entgleisung«, flüstert mir Claudia ins Ohr. »Wahrscheinlich trägt er den ganzen Tag nur die grüne Uniform und abends steht er total überfordert vor dem Kleiderschrank und sucht den Mundschutz.«
Ich kann nur mit Mühe ein Kichern unterdrücken.
»Hallo!« Anna steht auf und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. »Wo warst du letzte Woche? Wo ist dein Freund?« Sie schielt über seine Schulter, als könne sich dahinter jemand versteckt halten.
»Der elende Mistkerl hat mich verlassen«, antwortet der Mops mit Grabesstimme. Er sieht aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Das tut mir leid«, sagt Anna bedauernd. »Dabei warst du doch so verliebt!«
»Ja«, schluchzt er. »Er findet, ich bin zu sensibel.«
Schnief!
»Zu sensibel?« Anna runzelt die Stirn.
»Das muss ja ein ganz schön großer Idiot sein«, mische ich mich in das Gespräch ein. »Wenn du mich fragst, ist das eher als Pluspunkt zu werten und nicht als Trennungsgrund.«
Annas Kollege wirft mir einen dankerfüllten Blick zu.
»Möchtest du dich vielleicht zu uns setzen?«, fragt Anna.
»Hey«, protestiert Claudia. »Wir haben heute Mädelsabend. Keine Männer erlaubt ...« Sie lächelt den Mops entschuldigend an. »Nichts gegen dich.«
Der Mops nickt mit Tränen in den Augen. Irgendwie erinnert er mich an Baby Björn, eine Puppe, die mir meine Eltern mal zu Weihnachten geschenkt haben. Wenn man auf den Bauch der Puppe gedrückt hat, fing sie an zu weinen.
»Genau deshalb! Dieser Mann hier ist einer von uns – zumindest gefühlt«, entgegnet Anna grinsend.
»Na dann, herzlich Willkommen in unserer Mädelsrunde«, proste ich ihm zu.
Wir rutschen ein wenig auf der Bank zusammen. Anna und ihr Kollege sitzen mir gegenüber.
»Ich bin übrigens Sara«, stelle ich mich vor.
»Eigentlich heißt sie Saraswati Sananda Elisabeth«, mischt sich Anna feixend ein.
»Du Schlange! Wer dich als Freundin hat, braucht keine Feinde mehr«, grinse ich.
»Ach du meine Güte. Das ist allerdings ein ziemlich ausgefallener Name. Sind deine Eltern Schauspieler?« Das Dickerchen wirft mir einen bedauernden Blick zu.
»Ne, warum?«, frage ich. »Meine Mutter ist Therapeutin.«
»Sexualtherapeutin«, fällt mir Anna ins Wort.
Ich seufze. »Danke, Anna! Jetzt weiß es wirklich jeder!«
»Gern geschehen«, säuselt sie.
Miststück!
»Na, weil Schauspieler ihren Kindern auch immer so ausgefallene Namen geben müssen«, erklärt das Dickerchen und lächelt.
»Nein, meine Mutter ist ein ehemaliger Hippie und glühende Anhängerin der indischen Kultur.«
»Oje, du Arme.«
»Das kann man wohl laut sagen«, nicke ich.
»Und was hast du vor?«, fragt Anna ihn.
»Ich werde mir den nächstbesten Kerl schnappen und möglichst wilden Sex haben.«
Die Augen des Mops wandern über die Köpfe der Gäste und bleiben schließlich am Nachbartisch hängen, wo ein einzelner Mann sitzt.
»Das klingt allerdings alles andere als sensibel«, rümpfe ich die Nase.
»Liebelein. Ich bin zwar sensibel, aber nicht blöd«, entgegnet er und nippt an seinem Glas. »Wenn er wilden Sex haben kann, will ich es auch!«
In diesem Moment kommt die Bedienung. »Vier Aperol Spritz.«
»Wir haben keinen Aperol Spritz bestellt«, sagt Claudia verdutzt.
Der Kellner macht eine Kopfbewegung. »Der Herr am Nachbartisch möchte Sie gern einladen.«
Wir drehen uns um. Ein Mann im blauen Hemd lächelt uns breit an. Marke Banker. Er sitzt direkt hinter uns. Sein Gesicht ist markant geschnitten, mit dichten Augenbrauen und wulstigen Lippen. Die wenigen Haare, die er hat, sind hellbraun.
»Der sieht doch gar nicht so übel aus«, flüstert Leonie neben mir.
»Du bekommst nichts mehr zu trinken, so viel ist sicher. Hast du einen Knick in der Optik?«, schnaube ich. »Der Typ sieht steinalt aus, außerdem hat er eine Glatze.«
»Ach, Schnickschnack. Wenn man sich sonst gut versteht, spielt das Alter keine Rolle«, entgegnet Leonie. »Ich finde, dass eine Glatze bei den meisten Männern durchaus sexy aussieht.«
»Du weißt ja, was man über Männer mit Glatze sagt, oder?«, kichert Claudia. »Vorn eine Glatze, dann ist er ein guter Liebhaber. Hinten eine Glatze, dann ist er ein großer Denker. Hat er eine Vollglatze, dann denkt er, er wäre ein großer Liebhaber.«
»Haha.« Leonie wirft ihr einen bösen Blick zu. »Schlimmer als die letzte Nacht mit Carsten kann es eh nicht werden.«
Die Bedienung stellt die Gläser auf den Tisch. Wir prosten dem unbekannten Spender zu.
»Köstlich«, sagt Claudia, als sie das Glas absetzt.
Leonie schenkt dem Glatzkopf ein breites Lächeln.
»Nicht«, sage ich. »Sonst kommt der Typ noch rüber.«
»Das ist ja genau das, was ich erreichen will«, entgegnet Leonie. »Außerdem hat er mir zugezwinkert.«
»Bist du sicher?«
»Na klar. Der Typ steht auf mich.«
»Mhm«, sage ich.
»Hey, heute ist unser Mädelsabend. Keine Männer«, warnt Claudia. »Ich bin gekommen, obwohl heute Bernds freier Abend ist. Ich hätte heute Sex haben können. Also bitte!«
»Ist ja schon gut«, murrt Leonie. »Man wird doch mal gucken dürfen.«
»Scheiße, er steht auf«, kommentiert Claudia.
»Das hast du nun davon«, zische ich. »Ich habe dich gewarnt, ihn nicht zu ermutigen.«
»Jetzt bin ich also schuld«, flüstert Leonie. Sie zieht einen Schmollmund.
»Meine Damen.« Der unbekannte Spender lächelt selbstgefällig. »Ich wollte mich bei Ihnen für einen äußerst aufschlussreichen Abend bedanken. Ich habe eine Menge über die weibliche Psychologie gelernt.« Er nickt Annas Kollege mit einem Gesichtsausdruck zu, den ich eindeutig als Aufforderung zum Sex verstehen würde.
»Tja, Liebelein, ich mach mich dann mal auf den Weg«, sagt der Mops plötzlich und steht auf. Anscheinend deutet er den Gesichtsausdruck unseres Wohltäters so wie ich und eilt davon. Direkt in die Arme des Glatzkopfes.
Verdutzt blicken wir den beiden Männern hinterher.
»So kann man sich täuschen«, giggele ich.
»Jep!«, stimmt mir Anna grinsend zu.
Leonie starrt fassungslos auf den leeren Platz neben sich. »Damit habe ich jetzt nicht gerechnet.«
»Meint ihr, der hat alles mitgehört, was wir gesagt haben?«, fragt Claudia nachdenklich.
»Ich glaube, darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Der Typ hat ganz andere Interessen.« Ich nehme mein Glas. »Auf einen fröhlichen Abend!«
»Oh nein, wie peinlich«, lacht Claudia noch immer, als wir das Restaurant verlassen. Die frische Abendluft schlägt uns entgegen. Mir ist total schwindlig und der Boden unter meinen Füßen schwankt. Ich fühle mich beschwingt und giggele wie ein hysterischer Teenager. Normalerweise trinke ich nicht so viel. Ich vertrage nämlich keinen Alkohol. Das letzte Mal, als ich zu viel getrunken hatte, war ich einen Tag lang krank und konnte mich an nichts erinnern.
»Ich werde dein dämliches Gesicht nicht vergessen, als der Glatzkopf mit meinem Kollegen verschwunden ist«, kichert Anna, die wie ich Probleme mit ihrem Gleichgewichtssinn hat.
»Na ja, ich konnte ja nicht ahnen, dass der Typ auch schwul ist.« Leonie zieht einen Schmollmund.
»Ich fandz lussstig!« In meinem Kopf klang der Satz flüssiger und ich stelle fest, dass nicht nur mein Gleichgewichtssinn unter dem übermäßigen Alkoholgenuss gelitten hat. »Und wasss machen wir jetzt?« Oh weia!
»Also ich bin nicht müde, und die Chance, dass Bernd um diese Uhrzeit noch wach ist, ist gleich null«, gackert Claudia. »Von mir aus können wir beim Goldfischglas vorbeischauen. Was meint ihr?«
Das Goldfischglas ist eine beliebte Bar mit einer Miniaturtanzfläche direkt um die Ecke. Die Longdrinks in dem Schuppen sind absolut lecker und man trifft immer nette Leute. Außerdem ist die Musik ganz nach meinem Geschmack. Nicht zu laut und trotzdem tanzbar.
»Goldfischglas?«, fragt Anna in die Runde.
»Goldfischglas!«, rufen Leonie, Claudia und ich wie aus einem Munde.
»It's raining men, halleluja«, singe ich lautstark, als wir das Goldfischglas zwei Stunden später verlassen. Mein Gesicht glüht vom Tanzen und zwischen meinen Brüsten läuft kitzelnd ein Schweißtropfen hinunter. Wie meine Haare aussehen, möchte ich gar nicht wissen. Es ist kühl geworden und eine Gänsehaut huscht über meine Arme.
»... halleluja!«, fallen Anna, Leonie und Claudia mit in den Refrain ein. Arm in Arm untergehakt, laufen wir singend die Straße entlang. Es ist schon spät und die meisten Restaurants sind bereits geschlossen.
»Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so viel getanzt habe«, lalle ich.
»Ja, cool. Die Musik war einsame Spitze«, pflichtet Anna mir bei.
Meine Beine fühlen sich an, als seien sie mit Pudding gefüllt, und in meinem Kopf dreht sich alles.
Zwei junge Männer kommen uns entgegen. Einer von beiden trägt eine Baseballmütze auf dem Kopf und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, brennt nicht gerade die hellste Kerze darunter. Sein Kumpel ist etwas untersetzter und scheint seinem Blick nach zu urteilen auch nicht mehr als das Gehirn einer Stubenfliege im Kopf zu haben.
»Es gibt nichts Schrecklicheres als besoffene Weiber«, verkündet der Untersetzte lautstark mit abschätzendem Blick in unsere Richtung, als sie an uns vorbeigehen.
Sein Kumpel mit der Baseballmütze lacht höhnisch. »Ja, voll krass. Aber die kann man wenigstens gut flachlegen!«
»Krass ist nur deine Mütze«, rufe ich den beiden hinterher. »Und dich würde ich nicht mal nehmen, selbst wenn du der letzte Mensch auf der Welt wärst.«
»Ups!«, kichert Anna und die Mädels stimmen fröhlich mit ein.
Abrupt bleiben die zwei stehen und drehen sich in Zeitlupe zu uns um.
»Was hast du gesagt?«, blafft mich der Baseballmützenträger an.
Anna gibt mir einen Stoß in die Seite.
»Äh«, stammele ich, darum bemüht, mein Lachen zu unterdrücken, das wie Brausepulver in meinem Hals kitzelt. »Dass du eine krasse Mütze hast.«
»Aha!« Der Typ mustert mich misstrauisch.
Der Untersetzte zieht die gezupfte Augenbraue nach oben.
»Ja«, nicke ich, durch seinen dümmlichen Gesichtsausdruck ermutigt. »Und dein Freund sollte sich unbedingt einen Stylingberater zulegen.« Ich deute auf die Augenbraue. »Das geht gar nicht!«
In dem mechanischen Hirn des Mützenträgers laufen die Synapsen auf Hochtouren, um das Gesagte zu verarbeiten. Als die Information endlich angekommen ist, wechselt sein Gesichtsausdruck von dümmlich zu wütend.
»Entschuldige bitte, aber meine Freundin hier ...«, ergreift Leonie das Wort und deutet auf mich, »… sie ist ein bisschen ...«, Leonie tippt mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn, »… plemplem. Beachtet sie einfach nicht.«
Die Typen flüstern miteinander.
»Los!« Anna zerrt an meinem Arm. »Lass uns gehen, bevor du noch mehr Blödsinn erzählst und die Typen sauer werden.«
»Dabei war ich gerade so richtig in Fahrt«, murmele ich.
»Quatsch nicht, sondern komm jetzt!«, drängt mich Claudia und zupft an meinem Ärmel.
»Aber wieso?«
»Weil die nicht den Eindruck machen, als ob sie über deinen Humor lachen können«, wispert Claudia und deutet auf die beiden Männer, die grimmige Blick in unsere Richtung schießen.
Stolpernd folge ich meinen Freundinnen und wir biegen hastig um die nächste Häuserecke.
»Auf den Schreck brauche ich erst einmal dringend was zu essen«, verkündet Leonie.
»Bitte?« Ich sehe meine Freundin an. »Du hast doch vorhin auch einen Burger gegessen.«
Leonie sieht auf ihre Armbanduhr. »Das ist ja locker schon drei Stunden her. Außerdem habe ich ein bisschen viel getrunken. Ich habe mal gelesen, dass Fett den Alkohol neutralisiert.«
»Das hört sich doch gut an«, pflichtet Claudia ihr bei. »Hat jemand eine Ahnung, wo es hier in der Nähe einen guten Dönerladen gibt?« Claudias Blick fällt wie zufällig auf mich.
»Hey, warum siehst du mich so an?«
»Weil du eigentlich immer weißt, wo es etwas zu essen gibt. Das ist bei dir so eine Art angeborener Instinkt«, kichert Claudia.
»Haha, sehr witzig«, brumme ich.
»Ach komm schon.« Claudia gibt mir einen Stups.
»Na ja, ich wüsste da schon einen Dönerladen«, gebe ich zu. »Hassans Eck! Sieht nicht besonders einladend aus, aber Hassan macht die besten Döner in der ganzen Stadt.«
»Dachte ich es mir doch«, lacht Claudia.
Der Dönerladen empfängt uns mit grellem Neonlicht. Außer uns haben sich tatsächlich zwei weitere Schanzenbesucher hierher verirrt. Es riecht herrlich nach gebratenem Fleisch und mir läuft sofort das Wasser im Mund zusammen.
Mit meinem Speichelfluss würde ich mich hervorragend zu Forschungszwecken eignen. Sobald ich etwas Leckeres rieche oder nur daran denke, beginnt meine Speichelproduktion.
Der Besitzer des Ladens, ein stämmiger Türke, sieht uns erwartungsvoll an. Dabei zwirbelt er seinen mächtigen Schnurrbart. »Was kann isch für schöne Frauen so spät noch tun?« Er verzieht den Mund zu einem Lächeln.
»Wir hätten gern vier Döner, bitte«, bestelle ich mit schwerer Zunge.
»Döner für hübsche Frau, geht klar!« Der Dönermann schnappt sich sein Messer und beginnt das Fleisch vom Spieß zu schälen.
»Äh, könnten Sie bitte …«. Der Mann hört auf, das Fleisch zu schneiden, und sieht über die Schulter zu mir rüber. Seine braunen Augen mustern mich belustigt.
»Für mich den Döner spezial.« Diese Variante ist geschmackstechnisch eine echte Offenbarung, leider auch geruchstechnisch (der Belag besteht aus Unmengen von Zwiebeln) und somit eine Beleidigung für die Umwelt.
Ich finde, in einer Partnerschaft muss man auf diese kleinen Dinge achten. Es gibt in meinen Augen nichts Schlimmeres als Mundgeruch, wenn man den anderen küssen will. Da schläft bei mir alles ein! Aber da Florian heute in seiner Wohnung übernachtet, ist es mir egal und ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Martina Gercke
Cover: Catrin Sommer rausch-gold.com
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2021
ISBN: 978-3-7487-9346-5
Alle Rechte vorbehalten