Cover

Inhalt


Am 10. Juli 2011 starteten Ute und Dirk Prüter, beide Jahrgang 1963 und eher Couch Potatoes als sportlich ambitioniert, mit dem Rad von Köln in Richtung Barcelona, um von dort mit der Fähre per Ibiza weiter nach Formentera zu gelangen.
Die Strecke hatten sie bereits einige Dutzend Male mit dem Flieger zurück gelegt, doch „Dank“ widriger Umstände stand diesmal ein wenig mehr Zeit zur Verfügung, als die gut 2 Stunden, die das Flugzeug für den Weg in den Süden benötigt.
Auf der entschleunigten Reise kümmerten sie sich nicht nur selbst um Verpflegung und Unterkunft, sie sahen auch mehr von der Landschaft, lernten zahlreiche Menschen kennen und machten die Erfahrung, dass man mit deutlich weniger um sich herum glücklich sein kann als auf dem heimischen Sofa. Doch es verlief nicht immer alles wie geplant ...

Der Autor


Dirk Prüter, Jahrgang 1963, lebt zusammen mit seiner Frau Ute und seinen beiden Söhnen Nick und Tim in Köln. Nach einer Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker richtete er sich als Informatiker mit seinen „schriftstellerischen“ Fertigkeiten an Computer, die sich mit seinen geistigen Ergüssen eher emotions- und kritiklos auseinander zu setzen hatten. Für den menschlichen Leser entstanden hin und wieder Spezifikationen und Bedienungsanleitungen, bei denen allerdings ebenso funktionale bzw. sachbezogene Aspekte im Vordergrund standen.
Etwas mehr Augenmerk in Richtung Unterhaltung erforderte die Gestaltung von Unterrichtseinheiten, in denen er zwischenzeitlich an einer privaten Lehreinrichtung sein Wissen über die Softwareentwicklung an Umschüler weitergab.
In seiner Freizeit steigt der Autor gerne auf das Fahrrad oder begibt sich, bevorzugt auf Formentera, auf bzw. in das die Insel umgebende nasse Element.

Eine Idee nimmt Gestalt an


„Weiß Ute schon davon?“, fragte Rüdiger, allein auf dem anderen Sofa liegend.
Neben mir saß Martin, vor uns flimmerte der Fernseher mit den Bildern eines Pärchens, das per Rad den Globus entlang des nördlichen Polarkreises umkreist hatte.
Ich hatte die beiden gerade wissen lassen, dass mich eine Reise per Velo nach Barcelona reizen würde, um von dort aus weiter mit der Fähre unser favorisiertes Urlaubsziel anzusteuern, die Insel Formentera, und Ute, meine Frau, wusste natürlich nichts von meiner Idee.
Sie saß nebenan am Esstisch, zusammen mit Birgit und Jutta, den Frauen meiner beiden Couchgenossen, und unterhielt sich. Den Wechsel in das Jahr 2011 hatten wir bei uns im Haus in Köln verbracht, und es war mir nach dem Frühstück zu mittäglicher Stunde weder gelungen, die anderen zu einer Runde an die frische Luft, noch zu einem Karten- oder Gesellschaftsspiel zu bewegen. Die Kinder waren allesamt in einem Alter, in dem sie keiner elterlichen Animation bedurften, und Vierbeiner, die zu einem Gang vor die Tür hätten begleitet werden müssen, gab es keine.
Das Resultat war, nachdem die Spuren des ersten Mahls im neuen Jahr beseitigt waren, die Aufteilung nach Geschlechtern, von denen sich nun die eine Hälfte vor der Flimmerkiste berieseln ließ, während die andere ihrem Mitteilungsdrang nachkam.


Die Vorstellung einer Anreise zum Urlaubsdomizil mit dem Rad hatte ich zwar bereits ein gutes halbes Jahr zuvor im Kreise von Arbeitskollegen geäußert, zum damaligen Zeitpunkt erschien mir allerdings eine Umsetzung unter Berücksichtigung der zeitlichen Komponente und dem Bestreben, anschließend noch ein paar Tage auf der Insel zu verbringen, als illusorisch. Für einen Mitstreiter, der ebenfalls Besitzer eines Ferienhauses am spanischen Mittelmeer war, sah die Situation schon anders aus. Er hatte, da der Arbeitgeber mal wieder die Anzahl der Mitarbeiter dezimieren wollte, einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet, in Folge dessen er für die Dauer seiner mehrmonatigen Kündigungsfrist freigestellt wurde; aufgrund seines Lebensalters beabsichtigte er auch darüber hinaus nicht, im Anschluss daran noch einmal einen neuen Job anzutreten. Über mangelnde Zeit konnte sich der Kollege insofern nicht beklagen, doch konnte ihn der Gedanke an eine Reise mit dem Rad nicht begeistern – er wollte den Weg zu seiner Residenz im sonnigen Süden weiterhin mit dem Auto bewältigen.

Als ich im Oktober mal wieder von der Insel des Vertrauens zurück kehrte, zeichnete sich ab, dass eine neuerliche Umstrukturierung mich diesmal meinen Job kosten würde. Aufgrund der über 20 jährigen Betriebszugehörigkeit hatte ich eine 7 monatige Kündigungsfrist, und die Gespräche zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung waren gerade erst aufgenommen worden mit dem Ziel des Arbeitgebers, Kündigungen zum 30.6.2011 auszusprechen, was hinsichtlich einer Umsetzung der Idee mit der Radtour keinen schlechten Zeitpunkt darstellte.

Was die Radelei betraf, so hatte ich diese bereits in der Vergangenheit als DIE sportliche Betätigung auserkoren, mit der ich mich am ehesten anfreunden konnte. Ich besaß ein Rad und fand, dass dies ein optimales Verkehrsmittel war, um es auch für Fahrten mit kleinem Gepäck und auf überschaubaren Distanzen einzusetzen. Neben Einkaufsfahrten nutzte ich es seit Jahren ebenso zu Radtouren, ohne jedoch bis dahin auf dem Weg eine Übernachtung eingelegt zu haben.
Die Entfernungen reichten vom nahe gelegenen Bäcker oder Supermarkt bis zur gut 10 Kilometer entfernten Stadt, schlossen aber auch Fahrten zum doppelt so weit gelegenen Arbeitsplatz im Sommer nicht aus, solange dieser noch in Köln gelegen war - nach einer Verlagerung des Büros vor einigen Jahren in das entlegenere Düsseldorf stellte ich diese Touren allerdings ein, 60 Kilometer für die einfache Strecke waren mir zuviel des Guten.
In der dunklen Jahreszeit quälte ich mich häufig genug auf ein Trimmrad im Keller, um nach einem Tag am Schreibtisch wenigstens ein wenig Bewegung zu haben, doch weder das davor laufende Fernsehprogramm noch wie-auch-immer-geartetes Ton- oder Filmmaterial sowie Spanisch Sprachkurse vermochten mir die Zeit derartig kurzweilig zu gestalten, dass ich es deutlich länger als eine dreiviertel Stunde aushielt.

Anders hingegen das Radeln an frischer Luft. Bei den Fahrten den Rhein entlang oder über die Felder vergingen schnell anderthalb Stunden. Im Frühjahr 2009 schaffte ich mir zudem ein GPS Gerät an, mit dem ich meinen Aktionsradius erweiterte. Zwar besaßen wir bereits ein derartiges Elektronik Spielzeug für das Auto, doch erwies sich dieses auf einer Proberunde mit dem Rad als weitestgehend untauglich. Auf einer Fahrt zum gut 20 Kilometer entfernten Otto-Maigler-See versuchte mich das Gerät immer wieder zurück auf die Straße zu lotsen, obwohl mir daran gelegen war, eben diese zu meiden und statt dessen über Feldwege zu fahren, die jedoch häufig genug erst gar nicht im Kartenmaterial vorhanden waren – das Navi war trotz optionalem Fußgänger und Radfahrermodus für den motorisierten Einsatz konzipiert. Als weitere Schwachpunkte erwiesen sich die fehlende Befestigungsmöglichkeit am Lenker sowie die beschränkte Akkulaufzeit, die mich ab einem gewissen Punkt der Strecke meinem eigenen Orientierungssinn überließ.
Entsprechend meiner Vorstellungen wählte ich für das Rad eine so genannte Outdoor Variante aus dem Hause Garmin mit für mich vertretbarem Preis-/Leistungsverhältnis: der Speicher für Kartenmaterial und Routen sollte für Tagesausflüge ausreichen, das Fehlen eines elektronischen Kompasses erschien mir vertretbar, zeigte das Gerät doch die Himmelsrichtung an, sobald es sich in Bewegung befand und sich an den Satelliten orientieren konnte. Und dass ich die Wegführung der zu fahrenden Touren selbst vorab am Rechner planen musste, anstatt mich auf ein obskures Autorouting zu verlassen, erachtete ich eher als Vorteil, als dass ich darin eine Beeinträchtigung sah.

Mit dem elektronischen Wegführer ausgestattet war die Bereitschaft geweckt, bis dahin unbekanntes Terrain zu befahren. Höhepunkte der Experimentierfreudigkeit wurden mit einem Jahr Abstand 2 Fahrten zum gut 50 Kilometer entfernten Zülpicher See anlässlich des dort zelebrierten Sommerfestes; nach knapp 3 Stunden Radelei lud das Gewässer zu einem Bad und die Liegewiese zu einer Siesta ein, bevor nach weiteren 3 Stunden der Rückweg anstand und ich nach der Rückkehr das Bedürfnis hatte, nur noch alle Viere von mir strecken zu wollen.

Ute waren Fahrten jenseits der 50 Kilometer Grenze zu strapaziös. Sie begleitete mich gelegentlich in die Stadt, bei einer Runde um den Köln Bonner Flughafen oder zu einem der näheren Ausflugsziele in der Umgebung, bevorzugte aber ein gemächlicheres Tempo, was nicht zuletzt auf ihr schwereres Cityrad mit 3-Gang Nabenschaltung zurückzuführen war, während mein fast 18 Jahre altes Treckingrad bereits über rein rechnerisch 21 nutzbare Gänge verfügte und ein deutlich geringeres Gewicht auf die Waage brachte.
In der Garage des Ferienhauses auf Formentera standen zudem weitere Drahtesel, die zum Einkauf und den Fahrten zu den Stränden herzuhalten hatten, bietet sich die Insel aufgrund ihrer überschaubaren Größe und wenigen Erhebungen ohnehin dazu an, per Muskelkraft erschlossen zu werden. Zwar gelangten die Räder bereits aus Deutschland dorthin, doch beschränkten sich die Fahrten auf die Abschnitte, die zwischen den Haustüren und Flughafen bzw. Hafen zurückzulegen waren und in Summe keine 20 Kilometer umfassten.

Die Vorstellung, das Eiland ein weiteres Mal und diesmal so weit wie möglich aus eigener Kraft mit Rädern aufzusuchen, faszinierte mich. Nachdem die Idee ausgesprochen war, recherchierte ich ein wenig im Internet. Neben den Reiseberichten derer, die ganze Kontinente überquert hatten und mehr oder minder sportlich ambitioniert waren, stieß ich auch auf Schilderungen Gleichgearteter, die von sich behaupteten, verhältnismäßig untrainiert gewesen zu sein, bevor sie sich aus Deutschland auf den Weg Richtung Süden begaben. Unisono klang aus den Berichten hervor, dass die Autorinnen und Autoren ihren Entschluss nicht bereuten und einige bereits an neuen Touren arbeiteten, auch wenn nicht immer alles wie geplant verlaufen war. So war von zwei Studenten aus Aachen zu lesen, dass ihnen unterwegs auf dem Campingplatz im Regen die Räder gestohlen wurden, sie aber in Frankreich auf ausrangierten Drahteseln dennoch ihren Weg fortsetzten. Zwei andere ließen ihre Leserschaft wissen, mit welchen Problemen sie im Hochsommer bei der Suche nach Unterkünften zu kämpfen hatten, wieder andere schrieben von zahlreichen gebrochenen Speichen und Platten in den Reifen, doch letzten Endes wollte keiner auf die gemachten Erfahrungen verzichtet haben.
Ein paar Tage später konfrontierte ich meine Frau mit der Idee. Ich sagte ihr, dass ich die Tour gerne mit ihr zusammen unternehmen würde, zeigte ihr die gefundenen Erlebnisschilderungen, ließ mich mit ihr von den enthaltenen Bildern fesseln und machte sie mit meinen Vorstellungen vertraut. Dabei muss es mir gelungen sein, die Sache nicht wie ein pures Hirngespinst aussehen und den Abenteuercharakter ausreichend weit entfernt gelassen zu haben, denn sie reagierte nicht pauschal abgeneigt; sie äußerte lediglich ihre Bedenken: wie viele Kilometer am Tag, woher fahren, wie übernachten, was ist, wenn einer nicht mehr weiter kann, und, und, und ...

Auch wenn nicht unbedingt zur sofortigen und ungeteilten Zustimmung, so konnte ich doch die meisten ihrer Zweifel zerstreuen, war mir doch daran gelegen, den gemeinsamen Erlebnissen ein weiteres hinzuzufügen.

Zunächst hätte ich nicht gedacht, Ute für ein derartiges Vorhaben motivieren zu können. Ich fürchtete mich zwar nicht davor allein zu reisen, allerdings hatte die Vorstellung einer Fahrt zu zweit seinen Charme.
Einer sollte stets ein wachsames Auge auf die Ausrüstung haben können, wenn es beispielsweise darum ging, einen Gang anzutreten, der in hiesigen Kulturen üblicherweise allein beschritten wird, wenn Lebensmittel Vorräte aufzufüllen waren oder sich die Gelegenheit bieten sollte, sich in einem See, Bach, Freibad oder dem Meer zu erfrischen. Die Reise mit jemand Fremden kam für mich weniger in Betracht. Was lag also näher, als die Herausforderung mit jemandem zu teilen, mit dem man ohnehin jahrein, jahraus zusammen lebt. Man kennt sich, weiß um seine Stärken und Schwächen und kann Freud und Leid unmittelbar teilen.

Meine Vorstellung bzgl. der Tagesetappen reduzierte ich von 80 bis 100 Kilometern auf ein meiner Frau zuträglicheres Maß, welches auch von anderen Gelegenheitsradlern als nicht zu strapaziös erachtet wurde unter dem Aspekt, dass nicht deutlich mehr als 4 Stunden pro Tag bei gemächlichem Tempo auf dem Sattel zu verbringen seien.
Den genauen Weg kannte ich in dieser frühen Phase natürlich noch nicht, aber immerhin stand das Ziel fest, von dem es zum Abschluss per Fähre nach Ibiza und von dort weiter nach Formentera zur Regenerierung gehen sollte. Dabei sollten viel befahrene Straßen ebenso wie Strecken mit starken Steigungen weitestgehend gemieden werden.
Um das Reisebudget nicht zu sprengen ging ich ferner davon aus, die Nächte auf Campingplätzen zu verbringen und nur in Ausnahmesituationen ein festes Dach über dem Kopf haben zu wollen. Zwar verfügten wir weder über Campingerfahrungen geschweige denn über eine entsprechende Ausrüstung, aber der beabsichtigte Reisezeitpunkt fiel mit Juli/August in die Hauptferienzeit, was gemäß der studierten Reiseberichte die Aussicht auf stets ausreichend freie Zimmer nicht begünstigte.
Hinsichtlich der Verpflegung war meine Vorstellung, Abends Restaurants oder Imbissbuden aufzusuchen; tagsüber sollte aus der Hand gelebt werden, was Bäcker oder Supermarkt am Wegesrand hergeben.
Für den nicht erhofften Fall der Fälle, dass uns tatsächlich etwas Ernsthafteres von der Erreichung des Ziels abhalten sollte, bestand gedanklich in erster Instanz die Option, für eine Teilstrecke auf die Bahn umzusteigen, bevor in letzter Konsequenz die Fahrt ganz abzubrechen wäre und in Abhängigkeit der Umstände es entweder weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln Richtung Formentera oder gar zurück nach Köln gehen sollte.

Planung


Nachdem die Idee ausgesprochen war, musste sie bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen als Gesprächsstoff herhalten. Im Kreise von Familie, Freunden und Bekannten wurde das Vorhaben thematisiert sowie Meinungen und Erfahrungen eingeholt. Ausrüstung, Tipps, Bedenken und Horrorszenarien - alles wurde diskutiert und erörtert, wobei der Zuspruch überwog, was wiederum zur Motivation beitrug.
Mit einem halben Jahr Zeit galt es nun, eine Reihe von Vorbereitungen zu treffen; eine Route war auszuarbeiten, die Ausrüstung zu beschaffen, eine gewisse Kondition anzutrainieren sowie weitere Dinge zu organisieren.
Entgegen Utes Willen setzte ich mich durch, die Nächte im Zelt verbringen zu wollen. Ginge es nach ihr, so schliefen wir in Jugendherbergen, Hotels und Pensionen, was unter anderem das Risiko des Diebstahls unserer Ausrüstung minimierte sowie die Fragestellung vereinfachte, wie die mitzunehmende Elektronik mit Energie zu speisen sei, aber halt auch seinen Preis und das Risiko seiner Verfügbarkeit hätte.
Hinsichtlich der Route waren wir uns einig, dass neben vorzugsweise ebener und nur wenig vom Straßenverkehr frequentierter Strecke die Entfernung zwischen zwei Campingplätzen 60 Kilometer nicht deutlich überschreiten sollte.
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit dem Navi war es mein Ziel, eine Route in elektronischer Form auszuarbeiten, mit der ich das vor 2 Jahren erstandene GPS Gerät versorgen konnte. Dabei bediente ich mich in der Regel des im Internet frei verfügbaren Kartenmaterials des Openstreetmap Projekts, dem ich letzten Endes auch selbst einige Wege hinzugefügt hatte.
Die Hoffnung, eine von anderen bereits absolvierte Tour nahezu nachfahren zu können, hakte ich nach einigem Suchen im Internet ab. Einzelne Teilstrecken speicherte ich zwar zur weiteren Verwertung, aber so richtig wollte nichts passen. Entweder stimmten die Richtungen nicht oder der gewählte Verlauf deckte sich nicht mit unseren Vorstellungen hinsichtlich zu bewältigender Steigungen. Wieder andere Kandidaten machten in ihren Wegbeschreibungen nur ungefähre Angaben oder waren dem Anschein nach mit einer Straßen- anstelle topographischen Karte unterwegs gewesen, was ich nun gar nicht nachvollziehen konnte. Also setzte ich mich hin und begann auf eigene Faust mein Glück.
Zur groben Orientierung wählte ich zunächst Google Maps und gab Start und Zielpunkt ein - von der heimischen Wohnung in Köln zum Ableger nach Ibiza in Barcelona.
Google errechnete eine 1400 Kilometer lange Route über Autobahnen; nicht das, was ich haben wollte, aber immerhin ein Anfang.
Als nächstes änderte ich das Routenprofil. Anstelle des Autos wählte ich den Fußgänger - an eine Option für nur mäßig sportlich ambitionierte Radler hatten die Macher des Internet Dienstes nicht gedacht.
Das Resultat war auch nicht viel besser. Der Weg führte nun vorzugsweise über Schnellstraßen, zudem nach Marseille, von dort weiter via Fähre nach Sardinien und von da aus, wie auch anders möglich, abermals über das Mittelmeer in die Katalanenmetropole.
Als weitere Alternative gab ich ein paar Zwischenziele ein, um Spanien auf dem Landwege zu erreichen, doch das Ergebnis blieb bescheiden - gut ausgebaute und mutmaßlich entsprechend genutzte Autopisten waren die bevorzugten Wege bei der Routenoptimierung.
Anschließend versuchte ich es mit den Openstreetmap Karten.
Entgegen dem Engagement der Nutzer für Deutschland waren Frankreich und Spanien in den erforderlichen Regionen deutlich weniger erschlossen und das Kartenmaterial zur Planung somit ungeeignet.
Der nächste Blick galt den Karten aus dem Hause Garmin, dem Hersteller meines GPS Gerätes. Dort bot man für Frankreich neben einer kompletten Karte 4 Teilkarten an, von denen ich mindestens 2 benötigen würde - Frankreich Südwest und Frankreich Südost. Der Preisunterschied zwischen den beiden benötigten Karten und der des kompletten Landes war nahezu unbedeutend; unabhängig davon erschien mir die Ausgabe von 250 Euro nur für dieses Kartenmaterial als unverhältnismäßig, kamen noch die nur wenig entgegenkommenden Nutzungsbedingungen hinzu. Da mein GPS Gerät nur einen Speicher für Tagestouren bot, gehörte für mich gedanklich mein Netbook zur Reiseausstattung, um von diesem aus den elektronischen Wegführer mit tagesaktuellen Planungsdaten zu versorgen.
Bildschirmgröße und Rechenleistung des mobilen Rechners waren aber weniger geeignet, die komplette Routenplanung auf diesem vorzunehmen, was wiederum mit den Garmin Lizenzvereinbarungen kollidierte, nach denen die Karten nur auf einem Rechner installiert werden durften.
Dass die Spanien Karte aus gleichem Hause mit weiteren mindestens 150 Euro zu Buche schlagen sollte, geriet damit zur Nebensache.
Als verbleibende Alternative stellte sich für mich die Benutzung von Google Earth dar. Den kostenlos erhältlichen und aus Satellitenaufnahmen konstruierten Globus hatte ich bereits zahlreiche Male genutzt um zu überprüfen, wie geplante Routen „in echt“ aussehen bzw. um aufgezeichnete Touren virtuell noch einmal abzufahren. Mit dem Routenwerkzeug des Programms selbst hatte ich bis dahin nur hin und wieder herumgespielt. Wie auch immer, ich startete mit einem Teilstück in Deutschland den Rhein entlang, das ich anschließend unter Zuhilfenahme eines Konvertierungsprogramms in das Programm importierte, von dem aus ich das GPS Gerät mit Daten versorgen konnte und schaute mir das Ergebnis auf der Openstreetmap Karte an; es machte einen tauglichen Eindruck.
An verschiedenen Stellen wichen Route und Wege laut Kartenmaterial um einige Meter voneinander ab, was aber meines Erachtens systembedingt kaum vermeidbar ist unter der Berücksichtigung, dass per GPS ohnehin Abweichungen von ca. 10 Metern hinzunehmen sind und in den Satellitenaufnahmen wie auch in den zweidimensionalen Karten die Erdkrümmung ein gewisses Problem darstellt. Ansonsten erwies sich das Google Earth Routenwerkzeug als gewöhnungsbedürftig aber bedienbar bzw. hatte gegenüber dem Garmin Routenplaner den Vorteil, dass auch ein Höhenprofil der erstellten Route angezeigt werden konnte, welches Auskunft über Steigungen bzw. Gefälle gibt.
Nach geleisteter Basisarbeit lenkte ich mein Augenmerk wieder auf das eigentliche Problem - wie kommen wir von A nach B bzw. von Köln nach Barcelona unter Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen.
Die Anforderung einer möglichst ebenen Wegführung war ebenso schnell gelöst, wie sie neue Fragen aufwarf. Sowohl Köln als auch Barcelona liegen am Wasser, und entlang von Wasserwegen herrscht traditionell überschaubares Gefälle, von Wasserfällen und Sturzbächen mal abgesehen. Die Aufgabe bestand nun darin, DIE Wasserwege zu finden, die Köln am Rhein mit dem Mittelmeer verbinden. Klar, eine Möglichkeit war, dem Rhein Richtung Nordsee zu folgen und via Atlantikküste und Gibraltar dem Ziel entgegen zu steuern, doch dass der Weg das Ziel sein sollte, musste nicht derartig übertrieben werden.
Grundsätzlich war für mich klar, dass es zunächst den Rhein hinauf gehen musste - ob bis Koblenz oder noch weiter, das galt es herauszubekommen.
Ebenso stand fest, dass der Weg die Rhône hinunter bis an das Mittelmeer und mehr oder weniger an dessen Küste entlang nach Barcelona zu führen hatte.
Somit reduzierte sich eine Frage darauf, wie es ohne großartige Anstrengungen gelingen sollte, vom Rhein zur Rhône zu gelangen; eine weitere bestand darin, an welcher Stelle die Pyrenäen zu überqueren seien unter Beachtung der gering zu haltenden Höhenmeter.
Bekanntermaßen entspringen sowohl Rhein als auch Rhône den Alpen, einem Gebiet also, dass zwar reichlich sehenswerte und beeindruckende Panoramen liefert, dummerweise aber etwas weitläufiger ist und zudem durch, auf jeden Fall für unsere Verhältnisse, zahlreiche zu bewältigende Höhenzüge brilliert. Die in Google Earth hinterlegten Fotos von Bodensee und Genfer See mit Schnee bedeckten Berggipfeln im Hintergrund waren zwar verlockend, doch eine entsprechend unserer Vorstellungen passable Verbindung konnte ich nicht ausfindig machen. Eine Alternative sah ich darin, von Koblenz aus die Mosel hoch zu radeln und „irgendwo“ einen Weg Richtung Saône, die bei Lyon in die Rhône mündet, einzuschlagen, was allerdings auch nicht frei von Höhenmetern gelingen wollte.
Die Problematik löste sich eines Tages, als ich im Internet auf die Existenz eines Rhein-Rhône-Kanals stieß, entlang dem durch Frankreich auch weitestgehend ein Radweg bestehen sollte. Entsprechend eines Videos einiger französischer Radwanderer führte der Kanal von Straßburg aus 240 Kilometer in südwestlicher Richtung, um via Doubs und Saône die Rhône mit dem Rhein zu verbinden. Laut Wikipedia bestand der Höhenunterschied insgesamt mal gerade 280 Meter, durchschnittlich im Zweifelsfall also 1 Meter Steigung pro Kilometer Strecke.
Hinsichtlich der Pyrenäen Überquerung entschied ich mich für einen Weg entlang der Küste. Zwar ließen sich auch hier diverse Steigungen und Gefälle nicht vermeiden, aber ich hatte den Eindruck, dass nördlichere Passagen z.B. auf der Strecke Perpignan/Figueres/Girona abschnittweise entlang einer Autobahn auch nicht einfacher oder attraktiver wären.
So wuchs die Strecke in Abende langer Kleinarbeit Kilometer um Kilometer; etliche Sackgassen wurden gelöscht, nachdem deutlich wurde, dass ein eingeschlagener Weg nicht zielführend war, während ich andere Male gesammelte Abschnitte aus fremden Routen integrieren konnte.

Bzgl. der Campingplätze orientierte ich mich an dem, was als solches auf den Satellitenaufnahmen zu erkennen war bzw. verglich es mit den Angaben in den Openstreetmap Karten oder dem, was im Internet darüber zu finden war.
Besondere Herausforderungen stellten die Routen durch bzw. um Ludwigshafen, Lyon und Barcelona dar. Aufgrund von Autobahnen, Schnellstraßen, Bahntrassen und Fabrikgeländen war es schwer, fahrenswerte Radwege zu finden, ohne mutmaßlich unter die Räder zu kommen. Fand ich für die beiden erstgenannten Städte nach einigen Irrwegen doch noch halbwegs passable Umgehungen, so mochte sich für Barcelona keine Alternative finden. Den gelesenen Reiseberichten hatte ich entnommen, dass es deren Verfassern ähnlich ergangen ist und diese sich für die letzten 50 Kilometer entschlossen hatten, einer vielbefahrenen Schnellstraße zu folgen.
Die Aussicht, die Stadt entweder zwischen LKW Reifen oder total genervt zu erreichen, trieb mich zu dem Entschluss, für diese Etappe auf die Schiene umzusteigen.
Den Internetseiten der Bahnlinie entnahm ich, dass es halbstündlich Züge geben sollte, in denen es außerhalb der Berufsverkehrszeiten auch gestattet ist, Fahrräder mitzuführen - und dies alles für weniger als 5 Euro pro Person. Nach einer Stunde Fahrtzeit, so war zu lesen, erreiche man von Calella aus Barcelona.
Schon mal in der Stadt, sollte eine Besichtigung diverser Sehenswürdigkeiten nicht fehlen.
Ich recherchierte weiter im Netz und stieß auf die Seiten eines Anbieters, der Rundfahrten per Rad anbot. Leider fand ich weder eine Route durch die Stadt noch Hinweise, dass man sich der Fahrt mit dem eigenen Rad anschließen könne, also googelte ich mir abermals einen Weg zusammen entlang dessen, was man als Tourist von der Stadt gesehen haben sollte. Das Ergebnis: je nach Lust und Laune eine 30 Kilometer Runde inklusive 300 Metern bergauf und ebenso vielen bergab, bevor Nachts die Fähre Richtung Ibiza ablegt oder bei mangelnder Anzahl freier Plätze auf dem Schiff oder ausreichend großem Interesse an der Stadt in einem Hotel Kraft für einen weiteren Tag Sightseeing zu sammeln sei.

Vorbereitung


Nachdem die Tourenplanung abgeschlossen war, sandte ich diese zusammen mit einer E-Mail an Garmin, den Hersteller meines GPS Gerätes. Ich fasste das Vorhaben kurz in Worte, wies auf einen beabsichtigen Reisebericht im Internet sowie auf wahrscheinliche Gespräche während der Fahrt hin und warb um ein Sponsoring in Form der benötigten Karten.
Auf die vor Ostern abgesandte Mail erhielt ich zunächst die Abwesenheitsnotiz, dass die zuständige Bearbeiterin für einige Tage im Urlaub sei; 2 Wochen später dann die Mitteilung der Dame, dass derartige Anfragen zu häufig eingingen und ein Erfolg für das Unternehmen auf das Entgegenkommen nicht messbar sei - schade aber auch.

Parallel dazu begannen Ute und ich, weitere Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Für eine Tour durch zivilisierte Gegenden Westeuropas erübrigten sich zwar Dinge wie die Beantragungen von Visa, Versorgung mit Devisen, Impfungen gegen längst bekämpft geglaubte Erreger, Erdbeben oder Vulkanausbrüche, aber es blieb genug zu tun übrig.
Mit an erster Stelle stand die Kondition, die es zumindest rudimentär zu stärken galt. Hatte ich ohnehin den Winter hindurch einige Abende in der Woche eine knappe Stunde auf dem Heimtrainer im Keller verbracht, so begannen wir mit den ersten schönen Tagen des Jahres damit, Runden an der frischen Luft zu drehen.
Wie bereits seit Jahren, so gehörte eine Runde um den Köln Bonner Flughafen zu den bevorzugten Trainingsstrecken. Andere Male ging es in die Stadt, um bereits einen Blick in die Kollektionen der hiesigen Outdoor Ausstatter zu werfen, derer es in Köln gleich zwei größere gab. Außerdem musste für meine Frau ein neues Rad angeschafft werden.
Ein Samstag Mittag bei zwei Fahrradhändlern im Vorort zeigte, dass es mit dem Geldausgeben nicht so einfach war. Trotz vorgegebenem finanziellen Rahmen blieben eine Reihe von Entscheidungen zu treffen: Federgabel bzw. gedämpfte Sattelstütze vs. ungefederten Ausführungen, Hydraulik- vs. Felgenbremse, Gewicht, Ausstattung des Antriebs - für alles gab es Alternativen und jeweils ein Für und ein Wider.
Der Besuch eines Fachgeschäftes in der Stadt löste diese Fragen. Hier gab es ein Vorjahresmodell zum Vorzugspreis mit geeignet erscheinender Ausstattung. Der Verkäufer trug sein Übriges dazu bei und redete uns das Rad schön. Der Haken an der Sache: es gab neben dem benötigten Damenrad auch noch die Herrenvariante mit Querstange und dem Bewusstsein, dass mein altes Rad über 15 Jahre auf dem Buckel und die Ausstattung sich weiterentwickelt hatte. Einmal im Kaufrausch und mit dem gewählten Rad für Ute zufrieden, entschloss ich mich 2 Wochen später zum Partnerlook.
Gegenüber der Ladenausstattung ließen wir die Räder mit „unkaputtbaren“ Reifen ausstatten und starteten unsere Vorbereitungsfahrten mit den Neuerrungenschaften.
Am 1. Mai ging es aus Kölns Süden mit einer Tour zum Fühlinger See in den Norden der Stadt über eine Distanz, wie wir sie in Richtung Mittelmeer täglich zurücklegen wollten, allerdings noch ohne Gepäck. Die letzten paar Kilometer waren für Ute ein wenig anstrengender als die ersten, aber der Ausflug machte Spaß und verlief ohne größere Probleme.
Die Woche drauf folgte die nächste Runde mit ähnlicher Anzahl an Kilometern in den Westen der Domstadt bzw. Richtung Brühl. Dort hatte Globetrotter, einer der beiden Möchtegern-Abenteurer-Fachhändler, zur Messe auf einem Campingplatz am Heider Bergsee gerufen, wo Zelte und Kajaks in freier Wildbahn getestet und begutachtet werden konnten.
Bzgl. der mobilen Unterkünfte hatte ich mir aufgrund verschiedener Kriterien eine Liste entsprechender Modelle zusammengestellt, bei denen ich mein Augenmerk unter der Berücksichtigung des Preises auf Packmaß, Gewicht und Größe gelegt hatte; die Bauform war mir egal.
Der aufgesuchte Verkäufer zeigte uns die Zelte meiner Wahl bereitwillig, ließ jedoch nicht unerwähnt, auf seines Erachtens geeignetere Behausungen hinzuweisen, die seltsamerweise allesamt teurer waren als die von mir ins Auge gefassten. Nichts desto trotz erschienen uns einige der Argumente einleuchtend. Für jeden von uns ein eigener Eingang, auch im Regen leicht aufbaubar - wieder stellte sich die Qual der Wahl. Die uns nahe gelegten Ausstellungsstücke zum Vorzugspreis waren glücklicherweise bereits verkauft, so dass wir eine Entscheidung nicht über das Knie brechen mussten. Ein Besuch ein paar Tage später bei der Blackfoot Konkurrenz vereinfachte auch hier die Entscheidungsfindung.
Nach nunmehr fachkundigeren Fragen wurde mir ein Zelt empfohlen, welches gegenüber denen der revidierten Favoritenliste weitere Vorzüge aufwies und das nach oben hin angepasste Budget auch nicht weiter sprengte.
Was die Ausrüstung anbelangte, so war mit dem Kauf des Zeltes die Shoppingtour allerdings bei weitem nicht erledigt. Mangels Vorhandensein entsprechenden Equipments galt es, weitere Einkäufe zu tätigen, und jedes Mal mussten neue Entscheidungen getroffen werden: Daunen- vs. Kunstfaserschlafsack, Luftmatratze vs. selbstaufblasender Variante, verschiedene Packtaschen, und dergleichen mehr.
Doch nachdem die Utensilien weitestgehend angeschafft waren, stand die nächste Herausforderung an: eine erste größere Runde mit Gepäck und Übernachtung im Freien - für Ute und mich eine Premiere, da uns das Campieren auf Zeltplätzen bislang nicht vom Hocker reißen konnte. Nun galt es, Nägel mit Köpfen zu machen!
Eine erste ausgearbeitete Tour sollte komplett per Rad absolviert werden und uns die Erft hinauf in die Eifel, die Ahr hinab zum Rhein und diesen entlang zurück nach Hause führen. Abermals setzte ich mich an den Rechner, arbeitete eine Runde aus, suchte Campingplätze und warf einen Blick auf das Höhenprofil. Eifel, dass bedeutete Erhebungen, und da waren sie: Berge!
Unglücklicherweise war meiner Frau eine Sehne im rechten Oberarm gerissen, was für sie mit Schmerzen verbunden war. Der aufgesuchte Arzt äußerte zwar keine generellen Bedenken gegen unser Vorhaben, riet aber von Belastungen ab.
Welche Alternativen gab es?
Geradelt werden sollte unbedingt, nur möglichst ohne großartige Steigungen. Mosel oder Ruhr flussabwärts schieden aus, da wir unseren Sohn nicht dazu überreden konnten, uns samt Rädern und Gepäck mit dem Auto an einem Startpunkt unserer Wahl abzusetzen und uns die Anreise mit der Bahn zu aufwendig war - also musste eine Rundtour her. Meine Wahl fiel auf das flache Land, genauer gesagt, Ostfriesland - Morgens sehen, wer Mittags zum Essen kommt.
Ich konstruierte eine neue Route: Dank Routing fähiger Openstreetmap Karte keine große Sache und innerhalb von 3 Stunden geschehen, inklusive Campingplätzen in 60 Kilometer Entfernung. Start- und Zielpunkt war irgendwo am Rande von Leer, leicht von der Autobahn aus zu erreichen. Von dort ein Stück die Ems hinunter, irgendwann der Kompassnadel hinterher Richtung Norddeich, von dort an der Küste entlang bis Greetsiel und noch ein wenig weiter, landeinwärts über Emden wieder zurück zur Ems und nach Leer, insgesamt gute 150 Kilometer.
Der Wetterbericht versprach zwar neben Sonne auch Regen, auf jeden Fall aber Wind mit Böen von bis zu 60 km/h, doch die Richtung sollte uns wohl gesonnen sein; aufgrund eines zwischenzeitlichen Wechsels der Windrichtung prognostizierten uns die Wetterfrösche Rückenwind. Soviel zur Theorie.

Die Fahrt begann am Freitag den 13'ten Mai gegen 11:00 Uhr mit dem Auto. Dem KFZ-Navi ward das Fahrtziel beigebracht und mit den Rädern auf der Heckklappe unseres Golfs zockelten wir in gemütlichem Tempo über die Autobahn.
A3, A2, A31 - alles ohne größere Staus und Probleme. Zwischendurch Pinkelpause, und weiter, immer geradeaus. Während ich mir im Vorbeifahren an Moorlandschaften Appetit holte auf das, was uns in Kürze erwarten sollte, fielen Ute auf dem Beifahrersitz immer wieder die Augen zu, bis wir hinter dem Emstunnel um viertel vor drei unser Ziel erreichten - ein ruhiges Gewerbegebiet am Rande Leers.
Nach kurzem Debattieren, ob der Wagen besser vor einem der Häuser in einer Seitenstraße oder doch lieber direkt am Straßenrand vor einem der Betriebe zu parken sei, ließ ich mich zu Letzterem überreden und fand eine Parklücke mit ausreichend Platz, um ohne Kratzer in fremden Fahrzeugen zu verursachen die Räder von der Heckklappe hieven zu können.
Als auch der Fahrradträger abmontiert im Innern des Wagens verschwunden war und die Packtaschen an den Rädern hingen, waren wir uns einig, dass das schon etwas anders aussah als der Aufbruch zu einer Flughafenrunde.
Mit leichtem Kribbeln im Bauch hieß es jetzt noch raus aus den Jeans und rein in die Fahrradklamotten, bevor wir erstmalig die voll beladenen Räder bestiegen. Von dem Gepäck war nicht viel zu spüren. Das Wetter meinte es gut mit uns und ab ging es hinter dem Deich entlang. Nach einigen Kilometern verließen wir die vorbereitete Route und wechselten auf einen Weg hinauf auf den Schutzwall.
Alle paar hundert Meter mussten Tore geöffnet werden, welche Schafe am Fortlaufen hindern sollten. Nur wenig später standen wir jedoch vor einem quer über den Weg gespannten Weidezaun, in dem sich eines der Tiere verfangen hatte, das sich zudem in seiner Aufregung aufgrund unseres Erscheinens weiter verhedderte.
Weit und breit war niemand zu sehen, und es siegte der Beschützerinstinkt. Meine Frau bückte sich, ich assistierte irgendwann, und gemeinsam befreiten wir das strampelnde Vieh aus seiner misslichen Lage. Anstatt es als Abendmahlzeit auf den Gepäckträger zu schnallen, setzten wir es auf der Seite seiner Artgenossen ab. Als Ute zu guter letzt den etwas in Mitleidenschaft gezogenen Weidezaun richten wollte, gab es nach einem beherzten Griff um eine Eisenstange ein kräftiges Kribbeln als Belohnung - der Zaun stand, bis dahin unbemerkt, unter Strom.
Nach dem kleinen Intermezzo kehrten wir auf die ausgearbeitete Route zurück und setzten unseren Weg planmäßig fort. Sicher vom Navi auf dem Lenker geführt ging es über zuweilen holprige Feldwege Richtung „Grosses Meer“, einem Binnensee, an dem der erste Campingplatz auf uns wartete.
Dort angekommen, machten wir unsere ersten Erfahrungen mit dieser Form der Übernachtung.
Entgegen der Vorhersage hatte sich das Wetter gehalten, die Sonne wärmte verhalten, doch die meisten Stellplätze auf dem Campingplatz waren leer. So überließ man uns die freie Wahl des Platzes, woraufhin wir zunächst das komplette Gelände ab radelten, um uns schließlich für einen Platz in unmittelbarer Nähe der Sanitäreinrichtungen zu entscheiden.
Im Zuge der Erkundungsrunde lernten wir 2 ältere Ehepaare kennen, dem Anschein nach rüstige Rentner oder Vorruheständler, die mit Wohnmobil und Rädern unterwegs waren. Sie kamen aus Marl, und während die Männer bereits 300 Kilometer auf dem Sattel hinter sich gelassen hatten, fuhren ihre Frauen mit dem fahrenden Heim von Campingplatz zu Campingplatz und nahmen dort ihre Gatten in Empfang.

Der erste Aufbau unseres Zeltes in bestimmungsgemäßer Umgebung gelang uns ohne größere Schwierigkeiten. Als problematischer stellte sich eher die Ordnung der restlichen Ausstattung heraus. Obwohl jeder von uns nur 3 Taschen zur Verfügung hatte, wurden für jedes Teil sämtliche Packtaschen durchwühlt, am besten gleich mehrfach; je kleiner der gesuchte Gegenstand, desto aufwändiger die Suche. Hier galt es, schnellstens ein System herein zu bekommen, wobei ich Utes Vorschlag, die Taschen mit einer Inhaltsliste zu versehen, für mich als ungeeignet abtat. Insofern war der Tipp beim Kauf, dass jeder seine eigene Ecke im Zelt für sich haben sollte und auch der Ein-/Ausstieg am besten individuell zu arrangieren sei, ein wertvoller Hinweis zum Erhalt der Partnerschaft.
Eine weitere Erfahrung war die Nutzung der sanitären Anlagen. Auch wenn die zurückgelegte Etappe nicht großartig schweißtreibend gewesen war, so durfte die Nutzung der Dusche nicht außen vor bleiben. Beim Betreten des Campingplatzes sprach man uns darauf an, in welchem Umfang uns nach Duschen zumute war. Zwar empfanden wir die Frage als ein wenig indiskret, doch der Hintergrund war, dass je 4 minütigem Schauer eine Duschmünze zu erwerben war. Der Preis von 75 Cent pro Wertmarke blieb im Rahmen, zumal eine zwischenzeitliche Pause beim Einseifen die Uhr ruhen lassen sollte.
Während mir die Zeit alle Male ausreichte und ich letzten Endes die Dusche vorzeitig abstellte, zog es Ute vor, sich vom warmen Nass berieseln zu lassen, bis kein Tropfen mehr kam. Anschließend musste sie feststellen, dass in ihrem Gepäck ein Reisefön fehlte, um die Haare trocken zu bekommen. Bei dieser Gelegenheit machte sie die nette Erfahrung, die uns noch häufiger widerfahren sollte - bereitwillig stellte ihr eine Mitcamperin das benötigte Utensil zur Verfügung.

Pünktlich zum Sonnenuntergang gegen 21 Uhr begaben wir uns auf die Futtersuche. Eines der Restaurants in unmittelbarer Nähe des Campingplatzes hatte den Küchenbetrieb gerade eingestellt, doch ein gegenüber liegendes Hotel hielt seine Pforten noch geöffnet. Auch wenn unser Outfit nicht unbedingt dem Ambiente entsprach, so ließ man uns nicht lange warten. Entsprechend der Region orderten wir Fischgerichte und wurden nicht enttäuscht.
Anderthalb Stunden später kam man freundlich auf uns zu und fragte, ob wir zahlen und die gastliche Stätte verlassen könnten - der Koch des Hauses hatte zur Hochzeitsfeier geladen und man wollte sich das Ereignis nicht entgehen lassen. Verständnisvoll wie wir sind, kamen wir der Bitte nach, was der Chef des Hauses wiederum zum Anlass nahm, uns mit einem Schluck selbst aufgesetzten Feuerwassers zu versorgen; so soll es sein.
Kurze Zeit später, der klangvolle Name des nordischen Gebräus war bereits wieder verflogen, lagen wir durch die Reißverschlüsse unserer Schlafsäcke voneinander getrennt in unserem Zelt, ließen den Tag noch ein wenig Revue passieren und harrten der ersten Nacht quasi unter freiem Himmel - wie aufregend ...

Der nächste Morgen brachte eine gewisse Ernüchterung mit sich. Der Himmel war grau und Wolken verhangen, die Wiese um uns herum voll Tau, und Ute hatte schlecht geschlafen. Die geliehene Luftmatratze war ihr zu hart aufgeblasen gewesen, und überhaupt und sowieso.
Der Abbau des Zeltes und anschließende Aufbruch verliefen ähnlich wie Ankunft und Aufbau - unproblematisch. Die ersten Meter mit dem Rad führten uns an der Stelle vorbei, an der wir am Vorabend den Sonnenuntergang sahen und zum Abendessen einkehrten. Da uns für das Frühstück nichts besseres einfiel, stoppten wir erneut, erkundigten uns nach den Möglichkeiten und beteiligten uns ausgiebig am Frühstücksbuffet, welches an sich für die Hotelgäste gedacht war.
Als wir um kurz nach 11 Uhr aufbrechen wollten, ließ uns die Hotelbesitzerin mit einem Blick auf die Wolkendecke wissen, dass da etwas auf uns zukommen werde. Doch egal, wir wollten unsere Tagesetappe wie geplant angehen, fanden, dass wir ohnehin schon ein wenig spät dran waren, und ließen uns nicht bange machen. Ich schlüpfte in meine Regenhose und zog die Kapuze der Regenjacke über den Fahrradhelm, während Ute zusah, dass sie ihren Anorak einigermaßen wettertauglich zu bekam. Wir saßen kaum auf den Rädern, da begann auch der Regen. Mangels entsprechender Beinkleider waren die meiner Frau auch relativ zügig nass und es wurde unangenehm für sie, doch das Glück ließ nicht lange auf sich warten. An einer Kreuzung im nächsten Dorf entdeckten wir ein Geschäft mit dem Schriftzug „Regenjacken 24“. Voller Hoffnung betrat Ute den Laden. Nur wenige Minuten später folgten ihr 2 Motorradfahrer, deren Beine ebenso wenig regenfest bekleidet schienen.
Ein paar Minuten verstrichen, dann stand meine Frau wieder vor mir - neu ausgestattet mit einer Angler grünen Regenhose. Wie sie berichtete, gab es noch genau 3 Regenhosen, so dass auch für die Motorbiker noch Aussicht auf Erfolg bestanden haben dürfte.
Irgendwann ließ der Regen nach, so dass auch der langsam durchnässte Anorak wieder trocknen konnte. Nach entspannter Radelei bei wieder blauem Himmel erreichten wir Norddeich.
Von der Nordsee war nicht viel zu sehen, es war Ebbe, dafür stürmte es jedoch um so heftiger.
Wir fuhren zum Hafen, machten ein paar Fotos und legten eine kurze Rast an einer Fischbude ein. In der Sonne genossen Ute und ich ein Krabben- bzw. Fischbrötchen, bevor es auf dem Deich entlang westwärts Richtung Strand weiterging. Zwar sah der Plan vor, dort ein Stück mit Blick auf Norderney, Juist und Borkum weiter entlang zu radeln, doch der Wind machte einen Strich durch die Rechnung.
Anstatt uns, wie vorhergesagt, zu unterstützen, blies er uns direkt entgegen. Mal mehr hinter dem Deich, mal weniger, erreichten wir nach anderthalb Stunden Greetsiel - Zeit für eine weitere Pause und ein Kännchen Ostfriesentee zum Aufwärmen. Die Wolken hingen zeitweise bedrohlich tief und dunkel vor uns am Himmel, doch wir hatten Glück und mussten keine weiteren Regenschauer über uns ergehen lassen.
Um 18:00 Uhr machten wir uns auf zur letzten Etappe des Tages. Auch wenn der Kilometerzähler meiner Frau nur noch 5 Kilometer erahnen ließ, so hatten wir noch etwas mehr als das Doppelte aufgrund diverser Umwege vor uns. Nicht nur der Wind hinderte uns an einem raschen Fortkommen, auch der Weg hinter dem Deich wurde immer beschissener, was aber in keinem kausalen Zusammenhang miteinander stand, sondern eher auf die dort weidenden Schafe und derer Hinterlassenschaften zurückzuführen war.
Eine gute Stunde später lag der anvisierte Campingplatz vor uns, dessen Name „Am Deich“ zutreffend gewählt war; nur durch den Erdwall getrennt fegte der Wind vom Meer über die Anlage.
Die Rezeption war bereits nicht mehr besetzt, doch nach einem Druck auf die Klingel ließ man uns nicht lange warten. Auch die Anmeldeformalitäten waren schnell erledigt. Der Platz war ein wenig größer als der des Vortags und wir erhielten diesmal klare Anweisungen, wo wir unser Zelt aufzuschlagen hätten. Bereits wieder auf den Rädern sitzend, um dorthin zu gelangen, fiel mir ein, dass wir vergessen hatten darauf hinzuweisen, dass uns auch nach Duschen zumute war. Also erneute Betätigung des Klingelknopfes, einen Augenblick verharren und Anliegen vortragen.
„Wie funktioniert das bei Ihnen mit den Duschen?“
Die Antwort war ebenso hilfreich wie überraschend.
„Einfach den Knopf drücken, dann sollte Wasser kommen.“
So einfach kann das Leben sein!

Auf der uns zugewiesenen Wiese standen bereits 2 Zelte aufgebaut. Wir wählten einen uns genehmen Platz dazwischen und begannen mit dem Aufbau. Da der Wind noch immer kräftig blies, verwendeten wir diesmal sämtliche Heringe, um unser Dach über dem Kopf wettergerecht zu sichern. Kaum stand unsere Behausung, lernten wir einen unserer Nachbarn kennen; ein Holländer, der mit seiner Frau ebenfalls per Rad unterwegs war. Die beiden kamen aus Amsterdam und hatten vor, innerhalb von 4 Monaten eine 6000 Kilometer lange Radwanderroute abzufahren, die sie entlang der Nordseeküste nach Schweden, und von dort weiter nach Norwegen und quer durch England zurück in ihre Heimat führen sollte - klang auch nicht schlecht, und hatte sogar einen Namen: Euro Velo Route 12.

Nach dem Duschen stand das Abendessen an. Diesmal wurden wir in dem dem Campingplatz angeschlossenen Restaurant fündig. Als wir das nüchtern und zweckmäßig gehaltene Lokal betraten, waren nur noch einige wenige Tische besetzt; eine gute Stunde später erging es uns zu etwa gleicher Stunde wie am Abend zuvor - die Bedienung schloss hinter uns die Pforten. Anstelle der ostfriesischen Variante eines spanischen Chupitos wurde uns diesmal vor dem Kehraus ein Nachtisch serviert, der nicht auf der Speisekarte erwähnt war.
Liebevoll in ein Dessertglas umgefüllt gab es Fruchtjoghurt aus dem Becher - wir gingen mal davon aus, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht ganz überschritten war, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass wir von Verstimmungen des Verdauungstraktes verschont blieben.

Der Versuch der anschließenden Nachtruhe musste für Ute als gescheitert erklärt werden. Dem Bekunden nach fand sie erst zu fortgeschrittenerer Stunde in den Schlaf, lauschte dafür aber einem heftigen Schauer und konnte attestieren, dass unser Zelt diesem Stand hielt. Gegen Morgen musste

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Dirk Prüter
Bildmaterialien: Dirk Prüter
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2013
ISBN: 978-3-7309-0754-2

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /