Hirse ist aus oder die Citibank gehört dem saudischen Königshaus
Alte Menschen wollen beachtet werden. Tut man es aber nach ihrem Gusto, bereut man es sofort und wünscht sich, man hätte sie einfach ignoriert.
Neulich fuhr ich gemütlich mit der U-Bahn durch die Essener Unterwelt. In der Sitzgruppe vor mir kamen zwei junge Türkinnen ihrem sozialen Primatenentlausungsritual nach, indem sie sich gegenseitig die Fingernägel lackierten. Der Lackdampf stach ein wenig unangenehm in die Nasenscheidewand, aber prinzipiell war es ein rührender Anblick.
Nun begab es sich, dass an der nächsten Haltestelle ein kleiner, bemantelter, von der Rente unterbezahlter Greis den Bahnwaggon betrat. Natürlich hatte er keine andere Möglichkeit, als sich in unmittelbare Nähe der Lackierwerkstatt zu setzen. Es war ja ansonsten alles frei. Seinem Blick, der posthum an die türkischen Hände festge- nagelt zu sein schien, war abzulesen, dass er mit einer solch intimen Lackiertätigkeit im öffentlichen Raum ganz und gar nicht einverstanden war. Und so entfuhr ihm auch unversehens der angewiderte Ausruf: »Stinkt!«
Da Herr Rentner mit diesem Annäherungsversuch keinen merkbaren Erfolg erzielen konnte, verweilte er einige Minuten in mümmelnder Haltung, bevor er eine neue Kontaktaktion startete. Diesmal bediente er sich seines Intellekts und einer an die Scheibe geklebten Werbung für ein Bankunternehmen.
»Die Citibank gehört dem saudischen Königshaus! Steht schon in der Zeitung! Man muss sie nur richtig lesen!«
Den Lackladies, für die dieser Ausruf eine Aneinanderreihung von Fremdwörtern darzustellen schien, entfuhr nur ein desinteressiertes: »Hm?«, worauf der Greis seinen Kommentar wiederholte und ihn mit einem Fingerzeig auf die Klebewerbung unterstrich. Den türkischen Mädchenköpfen entfleuchten zahlreiche Fragezeichen, die sich auf artikuliertem Wege durch ein »Ach so...« die Freiheit erkämpften. Der alte Mann begriff, dass auf diese Art nie und nimmer ein Dialog zwischen den Kulturen zustande kommen würde und bestätigte sich noch selbst: »Natürlich nicht in der Bild-Zeitung. Is ja klar.«
Die beschminkten Damen begannen den Rentenempfänger zu ignorieren und eine fragte die andere: »Wie viel Stationen sind noch von Philhomar.., Philmahor.., Philramonie oder wie das heißt?«
Da die andere weder ihre Kollegin, noch die Frage verstand, blieb sie stumm. Glücklicherweise war es auch gar nicht nötig, eine Antwort zu geben, weil die Zielstation der Damen direkt nach der Haltestelle Philharmonie
erschien.
Die Lackierutensilien wurden in kleinen Strasshandtaschen verstaut und Hannü und Nannü verließen duftend die U-Bahn. Alter Mann schickte ihnen noch ein »Viel Spaß!« hinterher, und ich begann mich sofort zu fragen, was er sich bei diesem abschließenden Wunsch wohl gedacht haben mochte, beschloss dann aber, es den jungen Türkinnen gleich zu tun und ihn zu ignorieren.
Als ich den Mantelgreis an der folgenden Station in der Bahn zurücklassen musste, kam in mir aber doch das Bedauern auf, ihn nicht weiter begleiten zu können. Ich dachte daran, wie schön es wäre, ihn beim Einkaufen und den damit verbundenen Entrüstungen über die, seit den fünfziger Jahren gestiegenen Lebensmittelpreise zu beobachten. Wir würden dann durch die Innenstadt spazieren und gemeinsam eine Citibank-Filiale besuchen. Einfach nur, damit er den Angestellten klar machen könnte, dass sie gerade unbewusst eine Terrorzelle in Saudi-Arabien unterstützen und, dass alle Anwesenden für den elften September verantwortlich zu machen sind.
Man würde es ihm nicht übel nehmen, sondern ihn einfach ignorieren.
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2009
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