Cover

Leseprobe



Die dritte Kugel durchschlug die Windschutzscheibe und pfiff so nahe an Dopplers linkem Ohr vorbei, dass er den Luftzug spürte.
»Vorsicht!«, schrie er und warf sich zur Seite, wo sein Kopf mit dem von Mag. Kleist kollidierte. »Der Arsch schießt auf uns!«
»Ich hab’s bemerkt«, stöhnte Kleist. Auf seiner Stirn wuchs in Windeseile eine Riesenbeule. »Die Situation stellt sich für uns einigermaßen ungünstig dar, so ganz ohne Deckung«, brachte er die prekäre Lage auf den Punkt. Dann versuchte er abzuwägen, welches Übel ihm mehr zu schaffen machte. Unter Beschuss eines Schwerverbrechers zu stehen oder der scharfe Mundgeruch seines Vorgesetzten, der ihm stoßweise in die Nase fuhr.
»Wir müssen etwas unternehmen«, hauchte der Bezirks- inspektor einer plötzlichen Eingebung folgend.
»Und zwar?«
»Sie könnten aussteigen und mit dem Typen verhandeln.
«Kleist glotzte ihn entgeistert an. »Das meinen Sie nicht ernst, oder? Ich spiele doch nicht die Zielscheibe für Sie!«
Doppler hatte es nicht ernst gemeint. Trotzdem gefiel ihm die Vorstellung, und es bereitete ihm eine gewisse Befriedigung, den jungen Wichtigtuer endlich aus der Reserve zu locken.
»Also, worauf warten Sie?«, hakte er nach.
»Auf die Vorbildfunktion meines Vorgesetzten«, erwiderte Kleist. Er dachte nicht im Traum daran, für den Bezirks- inspektor die Kastanien aus dem Feuer zu holen, wobei er Kastanien als Sinnbild verstand, ganz im Gegensatz zum Feuer. »Das alles ist ja wohl nicht meine Schuld, oder?«
»Aha? Und wessen Schuld ist es dann?« Doppler fletschte die Zähne. »Sie wollen doch hoffentlich nicht andeuten …«
»Wenn ich mich recht erinnere, war ich es, der auf die außergewöhnlichen Umstände hingewiesen hat.«
»Ach ja?«
»Hätte ich Sie nicht darauf aufmerksam gemacht, Ihnen wäre nicht einmal aufgefallen, dass die Zufahrtsstraße fein säuberlich vom Schnee geräumt wurde. Als wollte man uns geradezu einladen, blindlings ins Verderben zu rennen.«
»Ach ja?«
»Ich habe jedenfalls nicht verächtlich gelacht und diese Tatsache einfach ignoriert.«
»Ach ja? Jetzt sage ich Ihnen etwas.« Doppler rümpfte trotzig die Nase. »Wer bei der Polizei arbeitet, muss hin und wieder mit Unannehmlichkeiten rechnen. Wenn Ihnen das nicht behagt, suchen Sie sich besser einen anderen Job. Bei der Post zum Beispiel. Dort ist man in der glücklichen Lage, anderen Unannehmlichkeiten zu bereiten.« Das wusste er aus eigener schmerzlicher Erfahrung. Als er einmal bei einem Versandhaus eine Sexpuppe mit sage und schreibe acht lebensechten Funktionen bestellt hatte, war diese nie angekommen.
Einige Sekunden starrten sie einander böse an. Der Bezirksinspektor war der Erste, der blinzelte.
»Und was gedenken Sie nun zu unternehmen?«, forderte Kleist eine rasche Entscheidung.
»Na, was wohl?« Doppler gab sich betont lässig. Einen Mann mit seiner Erfahrung konnte nichts erschüttern. »Notfalls hungern wir den Kerl aus. Ich bin schon mit ganz anderen Typen fertig geworden. Mit richtig schweren Burschen.«
»In welche Kategorie würden Sie Reichenbach ein- ordnen?«
Wieder krachte ein Schuss, und das Projektil bohrte sich über Dopplers Rücken in den Fahrersitz.
»Vor allem interessiert mich, wie es Ihnen bisher gelungen ist, gegen die richtig schweren Burschen am Leben zu bleiben«, stichelte Kleist. »Ich schlage vor, den Rückzug anzutreten und Verstärkung anzufordern.«
»Lächerlich!« Mit einer abfälligen Handbewegung wischte der Bezirksinspektor Kleists Vorschlag beiseite. »Zwei Kriminalbeamte und ein Irrer: Auf wen würden Sie setzen?«
Die Detonation einer Handgranate erschütterte das Fahrzeug. Splitter regneten auf das Wagendach und durch die geborstene Windschutzscheibe.
»Auf den Irren«, machte Mag. Kleist seine Wette.
»Hören Sie, Sie tun, was ich sage!« Dopplers Stimme klang kratzig. »Hier bestimme immer noch ich! Wir treten den Rückzug an und holen Verstärkung! Haben Sie mich verstanden? Der Wahnsinnige ist bewaffnet wie eine ganze Armee!«


Copyright © Prolibris Verlag Rolf Wagner

Impressum

Texte: Prolibris Verlag Rolf Wagner ISBN: 978-3935263535
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Leseprobe

Nächste Seite
Seite 1 /