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Luise:
Da hatte meine Schwester aus dem Museum eine Münze abgezweigt, die mehr als tausend Euro wert war! Unglaublich! Dafür musste eine Polizistin lange schuften. Wahrscheinlich war Xenia der Ansicht, dass dort, wo eine Münze war, leicht auch noch eine zweite oder dritte sein könnte. Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht noch mehr illegale Aktivitäten entwickelte und mir womöglich in meine Arbeit pfuschte ...
Xenia:
Was war ich doch für ein dummes Huhn! War diesem aalglatten Typen auf den Leim gegangen! Ich hätte mich ohrfeigen können, wenn ich denn meine Hände freigehabt hätte. Ich war mit einem seidenen Tuch geknebelt, das nach Rasierwasser schmeckte. Igitt. Für die Hände hatten sie einen Wollschal verwendet, mit dem sie mich an den Stuhl fesselten, auf den sie mich unsanft geschubst hatten. Sie diskutierten gerade, wie sie meine Füße befestigen sollten, als es klingelte. So ließen sie mich allein zurück. Draußen im Flur begrüßten sie den unwillkommenen Besucher. Ich meine, ihnen war er nicht willkommen, aber ich habe mich noch nie so sehr gefreut, die Stimme meiner Schwester zu hören.
He, Luise, spürst du nicht, dass ich hier bin? Durch die Zimmertür sendete ich telepathische Hilferufe. Leider nicht sehr erfolgreich. Schritte entfernten sich im Flur, gefolgt vom Klappern der Hundekrallen auf den Dielen. Eine Tür wurde geschlossen. Gedämpfte Stimmen. Hoffentlich war Luise vorsichtig. Immerhin eine klassische 2:1-Situation. Obwohl: Fricko war dabei.
Ich zerrte an meinen Fesseln, ein hoffnungsloses Unter- fangen. Wolle erreicht mit Synthetikbeimischung erstaun- liche Festigkeit. Meine Handgelenke waren bestimmt schon rot, die Blutzirkulation ließ ohnehin zu wünschen übrig. Also anders. Ich musste aufstehen. Stellen Sie sich das nicht zu einfach vor! Die Sitzgelegenheit war solide Handarbeit aus deutscher Eiche. Verdammt schwer. Ich probierte eine Weile herum, kam aber nicht aus meiner geknickten Haltung heraus und konnte nicht genug Schwung entwickeln, den Stuhl nach oben zu reißen. Erst als ich beide Beine zur linken Seite stellte, schaffte ich es mühsam. Beinahe wäre ich umgefallen, weil die schwere Holzkonstruktion auf dem Rücken die Gleichgewichts- verhältnisse gefährlich verschob. Mit einiger Anstrengung schaffte ich es, die Balance zu halten.
Ziemlich ungelenk bewegte ich mich zur Tür. Sie ging nach außen auf. Ich musste nur die Klinke hinunterdrücken. Irgendwie. Das Stimmengewirr war wieder lauter. Offensichtlich war meine Schwester auf dem Sprung. Luise, bleib!, flehte ich innerlich ...
Copyright © Prolibris Verlag Rolf Wagner
Texte: erschienen im Prolibris Verlag Rolf Wagner
ISBN: 978-3935263641
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2010
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