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Man schreibt, und das, was man schreibt, ist nicht einfach ein Produkt, es ist geistiges Kind. Wie alle Kinder ist das eigene das schönste und jeder, der etwas anderes sagt, blind, ein Idiot oder – und das ist am wahrscheinlichsten – ein böswilliger Mensch.


Doch stimmt das? Auch wenn es hundertmal so empfunden wird, es stimmt nicht. Schreiben ist Kommunikation. Der Versuch, einen Gedanken, ein Bild, ein Erleben, die ureigene Sicht auf die Welt aus dem eigenen Geist in den eines anderen zu übertragen. Das Mittel dafür ist die Sprache.


Kommunikation hat es an sich, dass sie unterschiedlich gut gelingt. Alle Grade sind denkbar. Sei es, dass man seinen Gedanken und Gefühlen eine Form gibt, mit der niemand etwas anfangen kann – so, als seien sie in einer Sprache geschrieben, die niemand außer einem selbst beherrscht – bis hin zu dem Text, der vollendetes Abbild des Geschauten, Gedachten, Gemeinten ist.


Der Autor, der sein Geschriebenes für sich behält, scheut den Moment, in dem er den Beweis antreten muss, dass sein Text Kommunikation herstellt. Oder, landläufig gesagt, dass er "gut ist".

Er verhält sich wie ein Kind, das eine verschlossene Schatulle findet und sie absichtlich nicht öffnet. Solange der Deckel zu und verschlossen ist, ist noch alles möglich. Ein Goldschatz kann darin sein, ein Zauberstab, einfach alles. Das Kind stellt sich nicht vor, es seien nur Kieselsteine darin oder verschimmeltes Brot oder verrostete Nägel; diese Vorstellung wäre wenig erquicklich. Nein, natürlich ist es das Wunderbare.

Aber dieses Spiel hat einen Nachteil: Je länger man wartet, desto weniger wird die Wirklichkeit der Vorstellung standhalten können.

Wenn man es zu lange spielt, wird man die Schatulle niemals mehr öffnen dürfen.

So wird auch der Autor Kritik um so schmerzhafter empfinden, je länger er den Moment hinausgezögert hat, sich ihr zu stellen. Je länger er sich in Phantasien literarischer Größe gesonnt hat, desto härter wird der Fall.


Doch das Ganze ist ein Missverständnis. Es geht nicht um den Autor, es geht um den Text. Es geht darum, etwas zu transportieren, und wie man das macht, das muss man lernen. Ein Autor ist Zeit seines Lebens ein Lernender, Übender, Unvollendeter.

So betrachtet liegt es auf der Hand, dass man um so weiter kommt, je eher man anfängt zu lernen. Und es ist ein unabdingbarer Schritt des Lernens, das, was man versucht hat, auf die Probe zu stellen.

Überall sonst ist das eine Selbstverständlichkeit. Der Maschinenschlosserlehrling feilt ein Stück Stahl herab: Er muss es gegen die Lehre halten, um zu sehen, wie genau er gearbeitet hat. Oder was wäre das für ein Koch, der immer nur für sich selber kocht, der allen erzählt, er könne kochen, ohne dass es jemanden gäbe, der jemals etwas davon gegessen hätte? Das ist Kunst ohne Nährwert.


Wer keine Bewertung mehr will, der behauptet damit zugleich, nichts mehr lernen zu müssen, schon alles zu können, und schiebt die Schuld, daran, dass einer nicht vor Ehrfurcht erstarrt vor dem, was er geschrieben hat, auf diesen: „Der kann halt nicht lesen“, sagt er sich.


Aber kann das das Ziel sein? Nicht kritisiert, nicht negativ bewertet zu werden?


Natürlich: Man kann sich schützen, indem man das, was man schreibt, für sich behält. Wenn es niemand zu sehen bekommt, kann es niemand kritisieren. Und solange es niemand kritisiert, kann man sich in dem Gefühl sonnen, dass es gut sei: Eines Tages, so kann man sich sagen, werde man sein Werk der Öffentlichkeit offenbaren, und alle würden in die Knie sinken vor Ehrfurcht, vor Staunen und Ergriffenheit. Bis dahin lebt man weiter seine Tarnexistenz als normaler Mensch unter normalen Menschen, so wie Superman, der ein alltägliches Leben als Clark Kent führt und sich an dem Wissen ergötzt, dass niemand außer ihm weiß, wer er wirklich ist und was wirklich in ihm steckt.

Doch immerhin zieht Clark Kent ab und zu den Anzug aus, unter dem er sein Superman-Kostüm trägt, und dann – fliegt er tatsächlich! Er stellt seine Fähigkeiten unter Beweis, er tut es nur unter einem Pseudonym.


Vielleicht ist es die Schule, die hier Verheerendes angerichtet hat mit ihrer besessenen Benoterei. Alles wird benotet, selbst ob einer schnell läuft oder langsam. Aber der eine wird mit langen Beinen geboren, der andere nicht. Wäre es, wenn schon, nicht viel sinnvoller, zu loben, wie sich einer verbessert? Wie er das Beste macht aus dem, was ihm die Natur mitgegeben hat?

Da wir alle die Schule durchdulden mussten, tragen wir alle die dort erlernte Angst vor schlechten Zensuren mit uns fort. Dass Kritik auch Wegweisung sein kann, vergleichbar dem Impuls eines Echolots, das dem U-Boot sagt, „halt, hier nicht weiter, hier ist eine Wand“, ist über all der Notengeberei, den Belobungen und blauen Briefen in Vergessenheit geraten. Die Bewertung sollte ein Hilfsmittel sein, um zu wissen, wo man steht, aber durch die Schule ist die zum Selbstzweck pervertiert.

Aus dem natürlichen Lernprozess ist ein Angstprozess geworden.


Was will der Autor denn? Nur, dass man ihn lobe? Und wäre es ihm egal, wofür? Oder will er, dass das, was er geschrieben hat, ankommt, Gefühle auslöst, Einsichten, Diskussion?


Man nehme sich selbst einmal ganz heraus. Man stelle sich vor, man nähme seinen Text, fotokopiere ihn und lege ihn in einem Wirtshaus, einem Eisenbahnabteil, einer Bibliothek wahllos an ein paar Plätze.

Leute kommen, setzen sich, der eine oder andere nimmt den Text zur Hand. Manche legen ihn wieder beiseite, weil sie gerade anderes im Kopf haben oder weil sie sich nicht dafür interessieren. Andere wieder fangen an zu lesen, lesen zunehmend und sichtlich gefesselt, sagen vielleicht zum leeren Raum "Ja, genau" oder "Super!" und am Schluss (falls man nur den Anfang einer Geschichte hingelegt hat) rufen sie "Und wie geht es weiter?" Bei denen hätte man Wirkung erzielt.

Könnte man das hinnehmen, ohne dem Impuls nachzugeben, aufzuspringen, zu dem Betreffenden hinzugehen und zu erklären, man selber sei es, der dies geschrieben habe – in der Erwartung, dafür gelobt und bewundert zu werden?

Was löst die Vorstellung aus, das Lesen nur als stummer Beobachter zu verfolgen? Heimzugehen mit nichts als der Information, welche Reaktionen der eigene Text ausgelöst hat?


Wem es ernst ist mit dem Schreiben, der muss die Kritik suchen, oder besser gesagt: Die Rückmeldung. Er muss sein Geschriebenes auf die Probe stellen, um zu sehen, wo ihm geglückt ist, was er vorhatte, und wo nicht.

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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2008

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