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Jetzt bin ich also Bundeskanzler.

Hätt ich mir auch nicht träumen lassen. Ehrlich, die meiste Zeit glaub ich's selber nicht. Aber die Leute hier sind alle sehr ehrerbietig und respektvoll zu mir, und jeder nennt mich so, wenn ich morgens komme, in der dicken schwarzen Staatskarosse natürlich, Mercedes Benz vom Allerfeinsten, und dann komme ich durch die Glastür, und der Portier verbeugt sich und sagt "Guten Morgen, Herr Bundeskanzler". Dann gehe ich die Treppe hoch, breit, schwarzer Marmor, alles edel, und die Mieze, die jetzt meine Sekretärin ist, taucht auf und flötet nochmal "Guten Morgen, Herr Bundeskanzler", und dann fang ich regelmäßig an, es selber auch zu glauben.

So geh ich den Gang zu meinem Büro entlang. Dicker Veloursteppich unter meinen neuen Edeltretern, die Wände getäfelt mit irgendwas teuer Aussehendem. Da hängen übrigens die Gemälde meiner Vorgänger. Adenauer, zwei Herren, die ich nicht kenne, ein ziemlich wildes Bild, das Willy Brandt darstellen soll – naja –, Helmut Kohl in Öl, Gerhard Schröder in Gold, Angela Merkel in bunt und so.

Eines Tages werd ich da wohl auch mal hängen. Es ist noch jede Menge Platz da für jede Menge anderer Kanzler.

Naja, und dann kommt das Büro. Selbstverständlich auch ziemlich protzig, mit gepolsterten Türen und ziemlich groß und mit einem Ungeheuer von einem Schreibtisch mitten drin. Nicht mein Geschmack, ganz ehrlich. Aber soviel Prunk muß eben sein, für einen Staatschef. Obwohl, ehrlich gesagt, in manchen von diesen amerikanischen Spielfilmen, da haben die Industriebosse wesentlich prachtvollere Büros, geradezu kolossal. Dagegen wirkt das hier popelig.

Ja, und da sitze ich dann, lese Berichte, telefoniere mit anderen Staatschefs oder mit meinen Ministern oder empfange Leute. Manchmal muß ich auch in irgendwelche Versammlungen, in denen viel geredet und wenig gedacht wird; da langweile ich mich dann und bin froh, wenn's vorbei ist; aber alles in allem bringe ich doch ziemlich viel Zeit hier in meinem Büro zu. Und manchmal...

Also, ich weiß, der Vergleich ist ziemlich weit hergeholt, aber manchmal fällt mir dann wieder ein, wie ich früher im Büro gesessen bin, bei der Versicherung, bei der ich mal gearbeitet habe. Das war natürlich die reinste Bruchbude gegen diesen Bau hier, aber irgendwas erinnert mich an früher. Vielleicht die Anordnung der Möbel, oder das viele dunkle Holz; das hatten wir da nämlich auch, nur eben alt und abgestossen und meistens sowieso nur Furnier.

Verdienen tu ich jetzt natürlich auch mehr als damals, ganz klar. Das war früher ein Nasenwasser gegen das, was jetzt auf dem Gehaltsstreifen steht. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich meinen ersten Kontoauszug gelesen habe.

Obwohl – mittlerweile seh ich das ein bißchen anders. Im Grunde ist es eine ziemlich lausige Bezahlung. Man hat ja auch laufende Kosten; allein für Klamotten geht ein Wahnsinnsgeld drauf, da sieht der große Betrag vom Monatsersten am Monatsende plötzlich gar nicht mehr so beeindruckend aus. Viel übrigbleiben tut jedenfalls nicht.

Ich meine, ich muß froh sein, daß ich einen Dienstwagen habe. Der Metzger aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat sich einen S-Klasse-Mercedes gekauft; jedenfalls hat mir das ein Kumpel aus alten Zeiten erzählt, den ich angerufen hatte, um ihm die Neuigkeiten zu stecken. Also, ich könnte mir das nicht leisten.

Im Ernst nicht. Verglichen mit dem, was man als Chef irgend einer großen Firma verdient, bin ich ein armer Schlucker. Als Bundeskanzler, das muß man sich mal vorstellen. Armes Deutschland. Und wenn ich uns aus dem Schlamassel rausholen sollte, ist nicht mal eine Provision drin, nichts. Das motiviert einen nicht gerade.

Kein Wunder, daß sich keiner um den Job gerissen hat. Nachdem der letzte endgültig keine Lust mehr hatte, haben die anderen die Nachfolge ja erst mal endlos zwischen sich hin und hergeschoben. Keiner wollte. Wohl haben sie mal den einen oder anderen breitgeschlagen, daß er kandidiert, aber keiner hat eine Mehrheit gekriegt im Bundestag, und wahrscheinlich war er jedesmal froh und hat heimlich auf dem Klo ein Kreuz geschlagen. Ich könnte wetten.

Weil, das stellt man sich als Laie nicht vor, aber ein Bundeskanzler hat ja wirklich endlose Arbeitszeiten. Abends geht das bis in die Puppen, ohne Gnade, und morgens heißt es wieder früh raus und weiter. Neulich bin ich freiwillig eine Stunde früher aufgestanden, weil ich wußte, was noch alles auf meinem Schreibtisch liegt.

Soweit kann's kommen mit einem.

Und das geht den ganzen Tag nonstop, ohne Pause, ohne Punkt und Komma. Von einer Besprechung in die nächste, von einer Rede zur nächsten, und dann jagen einen die Reporter, und wenn man im Auto sitzt, hockt einer neben dir, der dir das Gespräch reindrückt über irgendwelche Sachen, die er für unheimlich wichtig und dringend und was weiß ich nicht alles hält.

Mein Kumpel hat, als ich ihm erzählt habe, wie mein Tag so aussieht, nur gesagt, daß ich ihm leid tue und daß er froh ist mit seinem Job am Band, da weiß er wenigstens, wann Feierabend ist.

Und da hat er garnicht so unrecht. Ich meine, ich versuch ja mein Bestes, um den Job hier so ordentlich zu erledigen, wie ich das halt hinkriege; schließlich geht's um's Vaterland und man hat Verantwortung und alle schauen zu einem auf und so weiter. Aber leicht ist es nicht.

Und Feierabend hat man auch keinen. Ehrlich, man kommt nicht ein einziges Mal in der Woche richtig zum Nachdenken! Ständig Streß, ständig Hochdruck, ständig nur Überholspur. Und das ist bei den Ministern nicht anders, das habe ich jetzt schon mitgekriegt. Kein Wunder, daß diese Regierung nichts so richtig geregelt kriegt.

Zuviel Zeit zu haben ist natürlich auch nichts. Weiß ich nur zu gut, weil ich doch arbeitslos war vorher. Meine Firma hatte 'ne Flaute oder zumindest behauptete sie das – so richtig vorstellen kann ich's mir ja nicht, weil: wie kann eine Versicherung in eine Flaute kommen? – aber jedenfalls heulten sie alle mit im Rezessionschor und feuerten einen Haufen Leute, die sie für entbehrlich hielten, darunter mich.

Und da saß ich dann, zuhause, und meine Freundin flippte aus. Es lief ohnehin nicht mehr so gut mit uns, aber sie war immer froh gewesen, wenn sie mich aus dem Haus gehabt hatte. Und jetzt saß ich daheim rum und hatte nichts Gescheites außer vor der Glotze zu sitzen, zu rauchen und Bier zu trinken und einmal die Woche auf dem Arbeitsamt ein paar Stunden in den zugigen Gängen rumzuhocken.

Kurz und gut, es gab bald nur noch Streit, und sie setzte mich an die frische Luft.

Ich zog mit meinem bißchen Kram zu Freunden, aber das ist natürlich auch nicht das Wahre. Nach ein paar Tagen fällt man denen genauso auf den Wecker, und vor allem hat man ja null Privatleben mehr, wenn man auf der Couch pennt.

Obwohl... Das hat mich natürlich irgendwo auch trainiert für diesen Job hier. Hier hat man ja auch kein Privatleben mehr. Wohin man in Urlaub geht, mit welcher Frau man techtelmechtelt, was man auf dem Klo treibt – nichts, was die Jungs von der Presse nicht brennend interessiert. Beim alten Kohl haben sie jedes Jahr mit schöner Regelmäßigkeit rumgenölt, weil er immer nach Österreich in den Urlaub gegangen ist. Als deutscher Kanzler. Ich bin im Urlaub immer nach Spanien getrampt, bin mal gespannt, was das noch gibt.

Ja, und wehe, du nimmst das Wort Privatleben auch nur in den Mund. Da flippt alles aus. Die verzeihen dir eher, wenn du regelmäßig in den Puff gehst, als wenn du auf Privatsphäre bestehst. Der Reporter von der Bildzeitung muss immer mit. Der Bundeskanzler gehört allen. Daß sie nicht live aus meinem Badezimmer übertragen, ist alles. Wahrscheinlich ist nur noch keiner drauf gekommen.

Den Ministern geht das nicht anders. Neulich haben sie die Familienministerin fertiggemacht, weil sie in einem Interview gesagt hat, sie wolle ab und zu vor elf Uhr abends daheim sein, um ihre Gören hin und wieder zu sehen – das gab einen mittleren Volksaufstand von wegen was das für ein faules Weibsstück sei und so weiter.

Ich weiß eines: Ich halt den Mund. Wenn ich mal einen Mittagsschlaf mache, dann nenn ich das interne Besprechung.

Kein Wunder, daß keiner den Job wollte. Sie haben die Stelle ausgeschrieben, ganz regulär, nachdem keiner aus dem Parlament in Frage kam. In allen großen Tageszeitungen, ganzseitige Anzeigen. Hat ziemlichen Wirbel gemacht, aber es gibt da ein Gesetz, das diese Vorgehensweise vorschreibt. Bundeskanzler- Bestimmungs-Gesetz, abgekürzt BkBestG. Kennt kaum jemand. Wahrscheinlich weil man es noch nie gebraucht hat. Es greift nämlich erst, wenn keiner den Job haben will.

Aber auf die Anzeigen hin hat sich niemand gemeldet oder jedenfalls nur Schrott. Die Jungs sind zu allen großen Personalberatern gegangen, händeringend, auf Knien buchstäblich, aber die haben alle abgewinkt: Den Job, zu den Konditionen? Uninteressant für unsere Klientel. Absolute Fehlanzeige.

Und da begann es allmählich eng zu werden für die Regierung.

Ich weiß, wie das ist. Für mich ist es damals auch ziemlich eng geworden. Was hab ich alles unternommen, um eine Wohnung zu finden! Ich hätte auch fast alles akzeptiert, aber es gab schlichtweg nichts. Absolute Fehlanzeige. Als ich die Freunde durch hatte, bin ich noch eine Weile in einem billigen Hotel untergekommen, aber irgendwann war die Knete eben alle, und dann war ich auf der Straße. Ja, so kann's gehen. Und da findest du dich plötzlich unter Typen wieder, daß du bloß noch denkst, du träumst.

Obwohl – manchmal geht's mir hier genauso. In diesem Regierungsbusineß, da gibt's auch Gestalten wie im schlechten Film. Ich meine, ein Job kann ja trotz mieser Bezahlung und aufreibender Arbeit ganz amüsant sein, wenn man in einem duften Team drinsteckt. Da rackert man sich zwar den Arsch ab, aber man hat wenigstens seinen Spaß dabei. Aber hier? Einer ist verschrobener als der andere, allesamt sind sie überdreht, halten sich für weiß Gott wie wichtig, lauter Näbel der Welt, die hier durch die Gänge hecheln und nur nach einem suchen, dem sie ans Bein pinkeln können.

Manchmal probieren sie's bei mir, aber da geraten sie an den Falschen. Nicht mit mir, Bürschchen! Die Frauen sind übrigens genauso schlimm, kein Haar anders. Jedenfalls ist mir bis heute noch unklar, wie man etwas bewegen können soll mit so einem Gesocks um einen herum.

Wer würde sich klaren Geistes um so einen Job bewerben? Keiner. Eben, und so war es auch. Also zogen die Jungs Plan B aus der Tasche, oder, um im Juristenjargon zu bleiben, Absatz 5 BkBestG oder so ähnlich, und leierten eine Rekrutierung über die Kreiswehrersatzämter an.

Notfallplan. Ein Bundeskanzler muß her. Aber auch damit war es Essig, denn die Kandidaten, die sie rekrutieren wollten, beriefen sich allesamt auf ihre gesetzlich vorgesehenen Einspruchsmöglichkeiten und kamen davon. Wenn einer sich zum Beispiel zehn Jahre zum Technischen Hilfswerk verpflichtet oder fünzehn Jahre zur Freiwlligen Feuerwehr oder zwanzig Jahre zum Zivilschutz, dann kann man ihn nicht mehr zwingen, Bundeskanzler zu werden. Gesetz ist Gesetz, und das haben die ausgenützt.

So richtig übel sind Gesetze ja immer bloß für die ganz unten. Ich meine, ich hab unter Brücken geschlafen, Flaschen gesammelt und Kippen aufgehoben, und bei so geistreicher Lebensführung fängt man natürlich unvermeidlich das Saufen an. Dann hat man Hunger und klaut etwas, und weil man sich zu blöde anstellt mit seinem versoffenen Kopf wird man erwischt und steht plötzlich vor dem Richter.

Ich hatte noch Glück, weil meine Ex ein paar mitleidige Anwandlungen hatte und mir einen Rechtsverdreher spendierte. Der hat mich mit einem psychologischen Gutachten aus dem Gefängnis geholt und eine Einweisung in eine psychiatrische Heilanstalt erwirkt, wo es entschieden angenehmer war.

Aber dort haben sie mich dann erwischt. Als letzte Möglichkeit sieht das Bundeskanzler-Bestimmungs-Gesetz nämlich vor, per Los zu entscheiden unter den Insassen von Heilanstalten, soweit sie dem Staat als Vormund unterstehen. Da gibt's dann keine Ausrede und keine Gegenwehr, keinen Einspruch und kein Entkommen: wenn dein Los gezogen wird, bist du dran.

Und so wurde ich Bundeskanzler. Gott, es gibt Schlimmeres. Irgendwo ist es ja nicht ganz uninteressant; man trifft eine Menge Leute, die man bisher nur aus dem Fernsehen kannte und kann sich einbilden, Geschichte zu machen. Aber, ganz ehrlich: Ich glaube, die Geschichte macht sich von selber und nimmt garnicht so viel Rücksicht auf uns. Und wenn man will, daß irgendwas wirklich in Ordnung geht, ist es am besten, man hält sich so weit wie möglich raus und läßt die Dinge sich von selbst regeln.

Die ganze Prozedur ist natürlich geheime Kommandosache. Offiziell bin ich gewählt und alles. Die beiden Knaben von der Public-Relations-Agentur, die mich beraten, haben jetzt den Spruch ausgeknobelt, ich sei jemand, der die Probleme versteht, die der Mann auf der Straße hat. Und das ist ja weiß Gott wahr.

Ist das nicht ulkig, insgesamt gesehen? Ich muß mich mal erkundigen, wo die die ganzen Minister hernehmen.

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Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008

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