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Bloß keine Party

 

 

David war schon alt, genauer gesagt wird er heute alt. Ganze 90 Jahre hatte er nun auf Buckel, sein Haar war schneeweiß und kurz, die meisten Männer in seinem Alter hatten schon eine Glatze oder nur noch ein paar Fussel auf den Kopf, Er aber nicht. Er hatte noch seine volle Haarpracht vorzuweisen und bis auf ein paar kleine Lachfältchen um die Augen, sah man ihm sein Alter bei weitem nicht an. Das ganze Altersheim war aufgebracht, denn ein neunzigster Geburtstag stand hier nicht gerade auf der Tagesordnung. Ihm war allerdings nicht der Sinn nach feiern.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen; "So Herr Schneider, dann wollen wir mal ab in den Gemeinschaftsraum." Es war Schwester Anneliese, eine junge, hübsche Brünette mit einer warmen und weichen Stimme. Sie kam in das Zimmer gestürmt und griff sich den Rollstuhl, in dem David saß, rollte ihn aus dem Zimmer auf den Gang und in Richtung Fahrstuhl. "Wie alt werden Sie, Herr Schneider?"

"Neunzig" antwortete David mit tiefer, klarer Stimme und musste ein bisschen schmunzeln. "Ach Quatsch, „ kam es da von der Schwester, sie schob den Rollstuhl mit dem alten Mann in den Fahrstuhl und drückte das E. "Sie haben keine einzige Falte im Gesicht, wie machen sie das??" Ungläubig sah Schwester Anneliese zu David hinunter und konnte das hohe Alter immer noch nicht fassen. David lachte, sagte aber nichts.

Der Fahrstuhl stoppte und die Tür ging auf. Schon jetzt konnte er das laute Gemurmel aus dem Gemeinschaftsraum hören. "Schwester Anneliese?" "Ja Herr Scheider?" David drehte sich im Rollstuhl zur Schwester und sagte; "Ich habe keine Lust auf Party, ich möchte lieber zum Friedhof!" "Zum Friedhof? Warum denn das?" Die Schwester war verwundert und stoppte den Rollstuhl, ging um ihn herum, sah David tief in die Augen und fragte: "Sind Sie sich da ganz sicher?" Für David gab es da keine Überlegung "Ja! Ich bin mir ganz sicher!"

Die verwirrte Schwester ging wieder hinter den Rollstuhl und schob ihn in Richtung 

Ausgang."An so einem Ehrentag möchte ich Ihnen natürlich keinen Wunsch abschlagen, Herr Schneider!" David grinste. "Vielleicht kann ich Ihnen, mit einer kleinen Geschichte die Zeit verkürzen?"

Auf den Weg

70 Jahre zuvor:

 

John stand vor dem Spiegel und stylte sich sein kurzes, tiefschwarzes Haar. Er kam gerade aus der Dusche und musste sich ein bisschen beeilen.

Heute stand die langersehnte Betriebsfeier an. 

Alle Mitarbeiter des Seniorenzentrums waren schon seit einer Woche aus dem Häuschen, die Chefin hat sogar extra Aushilfskräfte für diesen Abend engagiert.

Schnell zog sich John Hemd, Hose, Jackett an und richtete seine Krawatte.

Durch seine Arbeit hatte er einiges an Muskeln aufgebaut. Sein Körper, der sich genau 1,80m in die Höhe erhob, passte nun gut zu seinem kantigen Gesicht.

 

Auf dem Weg zur Haustür gab er seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich. "Pass bitte auf dich auf und komm nicht zu spät nach Hause!", rief sie ihm hinterher, aber die Haustür war schon zu.

"Ich bin 20, muss sie mich da noch wie ein Kind behandeln?" murmelte er vor sich hin. 

 

Nach 10 Minuten Laufweg bog er in eine kleine Nebenstraße, in der er sich mit Lynn, seiner zwei Jahre älteren Arbeitskollegin, traf.

Lynn war etwas kleiner als John, Hatte lange rot-blonde Haare und war wie immer in Redelaune. Sie erzählte von ihrem neuen Freund, die Gehässigkeiten ihrer Mutter und all die anderen Dinge, die ihr heute wieder das Leben schwerer machten.

"Ist alles OK bei dir?", fragte sie, denn John ist abrupt stehen geblieben und fasste sich an den Bauch. "Geht schon wieder!", sagte John und ging weiter "Bist du dir sicher? Du siehst blass aus!" 

John ignorierte sie und ging weiter, leicht besorgt trottete Lynn hinterher.

 

plötzliche Wendung

Nach 20 Minuten erreichten Lynn und John endlich das Lokal, in dem die Betriebsfeier stattfand. Es war eine kleine aber sehr beliebte Kneipe, dessen guter Ruf sich auch über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet hatte.

Die meisten Kollegen waren schon dort und es herrschte eine entspannte Atmosphäre.

Innerhalb der nächsten 60 Minuten traf auch der Rest des Kollegiums ein und es wurde gegessen, getrunken, getanzt und viel gelacht.

 

"John! Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" Lynn machte eine besorgte Miene.

"Mir geht es gut, warum fragst du mich das andauernd?" "Weil du dich den ganzen Abend an den Bauch fasst und dein Gesicht verziehst, darum!"

John winkte ab "Es ist wirklich alles in Ordnung, vielleicht muss ich ja auch nur mal aufs Klo." Er erhob sich und steuerte auf die Toiletten zu.

Als er das Herren WC betrat, wusch er sich das Gesicht und schaute in den Spiegel. "Ich bin wirklich blass.", murmelte er seinem Spielgelbild zu. Schon den ganzen Tag plage ihn ein leichter Schmerz in der Magengegend aber er hatte gehofft, dass es sich wieder legen würde.

Fünf Minuten später verließ John die Toilette, um sich auf den Weg zu seinen Kollegen zu machen. Als er die Tanzfläche erreichte, die überquert werden musste, um zum Tisch zu gelangen, sackte er plötzlich in sich zusammen.

Ein heftiger Schmerz und ein unvorstellbares Ziehen im gesamten Oberkörper brachten ihn um den Verstand. Er lag auf den Boden und krampfte sich zusammen, der Schmerz raubte ihm den Atem.

 

Der Schmerz wurde immer schlimmer, er fühlte sich an, als würden seine Gedärme reißen. Er hörte die Stimme von Lynn, doch sie klang, als käme sie aus weiter Ferne, er spürte nur noch den Schmerz ... "Es soll aufhören, bitte lass es aufhören ...!" John winselte, was um ihn herum geschah, bekam er nicht mit. 

 

Schmerz, er spürte nur noch den Schmerz...

Langweiliger Geburtstag?

David saß im Bereitschaftszimmer der Rettungswache, seinen 20. Geburtstag hatte er sich echt interessanter vorgestellt. Er verfluchte den Kollegen, der es fertig gebracht hatte, ausgerechnet heute von der Leiter zu fallen. "Idiot!", grummelte David mit seiner tiefen und warmen Stimme.

Der junge Rettungssanitäter war 1,85m groß, muskulös und hatte ein weiches Gesicht.

 

"Hey Geburtstagskind!" Rafael, der mit David zusammen Bereitschaft hatte, stürmte zur Tür herein. In seiner Hand hielt er ein Stück Torte mit einer Kerze darauf.

"Sieh mal, was ich aus der Küche stibitzt habe!" Grimmig beäugte David das Stück Kuchen. Erdbeere!- Schokolade wäre ihm jetzt lieber.

"Kopf hoch mein Kleiner." Rafael klopfte David auf die Schulter und lächelte.

"Vielleicht rettest du ja heute deinem Traummann das Leben und dann ist es doch nicht mehr so schlimm, dass du heute arbeiten musstest."

David sah in Rafaels braune Augen "Das glaubst du doch wohl selber nicht, oder?"

Rafael zuckte mit den Schultern "Man weiß ja nie!"

Der Abend verlief schleppend und zunehmend verschlechterte sich Davids Laune immer mehr.

Er strich sich gerade durch sein kurzes, blondes Haar, als kurz vor Mitternacht Rafael herein gestürmt kam und rief: "Ein Notruf ist eingegangen, in der Alten Scheune liegt ein junger Mann mit Krämpfen."

David warf sich seine Jacke über, eilte zum Rettungswagen und brach zu dem Einsatz auf, den er auch nach 70 Jahren nicht vergessen sollte.

Nach vier Minuten trafen sie am Einsatzort ein. David griff den Erste-Hilfe Koffer und rannte in das Lokal, schnell sah der den Jungen, der sich auf dem Boden wand.

Neben ihn kniete eine junge, rot-blonde Frau. Als er bei ihnen ankam, stellte sie sich, mit hysterischer Stimme vor und erzählte ihm, was geschehen war.

Während Rafael, der Sekunden später eintraf, nach dem Stethoskop griff, wandte sich David zu dem sich windenden Jüngling.

 

Blickkontakt

Stille.

 

Johns grüne Augen und Davids grau-blaue Augen trafen aufeinander.

Um sie herum war alles still, es schien, als wären sie fern von allen anderen. Ein Ort, der sie mit Nichts umgab.

Der Blickkontakt dauerte nur wenige Sekunden und doch kam er ihnen vor wie eine Ewigkeit, eine Ewigkeit voller Wärme, Geborgenheit, Liebe, Angst, Verzweiflung und Sehnsucht.

Wie von Blitzen durchzogen, wurden ihre Körper von Gefühlen überschüttet.

Die Welt um sie herum stand still, nichts konnte ihnen in diesem Moment etwas anhaben.

Es war der eine Moment in ihrem Leben. Der Moment, der sich ewig in ihr Gedächtnis brannte.

 

Die Blicke trennten sich, trotzdem kam es David so vor, als würde alles in Zeitlupe ablaufen.

Zwei Sanitäter kamen mit einer Trage, hievten John hinauf und brachten ihn hinaus.

Als die Sanitäter um die Ecke bogen, erhaschte John noch einen letzten Blick auf David, dann wurde alles schwarz...

 

 

 Gegenwart:

 

 

Vor einem sauber gepflegten Grab stand eine junge Frau und neben ihr saß ein älterer Herr in einem Rollstuhl. 

Es begann ein wenig zu nieseln, 

"Es gibt viele Augenblicke im Leben. Einige werden nicht wahr genommen, manche werden nach kurzer Zeit wieder vergessen und es gibt Momente, die nie vergessen werden, denn diese Momente verändern dein Leben."

Davids Stimme war ein wenig heiser, während Schwester Anneliese nur schweigend nickte.

Auf dem Rückweg zum Altersheim beschäftigten Anneliese einige Fragen;

"Was wohl aus John wurde? Ich habe dummerweise nicht auf das Todesdatum geachtet, das auf seinem Grabstein stand!"

David schien erschöpft, kein Wunder bei dem Alter. Sie beschloss, den alten Mann gleich auf sein Zimmer zu bringen und heute nicht weiter nach zu fragen.

Impressum

Bildmaterialien: fanfiktion.de
Lektorat: Lotti Noctua
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2014

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